Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 13. Juli 2005 - 6 W 35/05 (Verg)

published on 13/07/2005 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 13. Juli 2005 - 6 W 35/05 (Verg)
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 14.3.2005 - 1 VK 5/05 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung der angefochtene Beschluss in Ziffern 1 und 2  abgeändert:

Der Nachprüfungsantrag wird auch insoweit zurückgewiesen, als die Antragstellerin das Verbot des Abschlusses eines ÖPNV-Finanzierungsvertrages sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Ausschreibung eines solchen Vertrages erstrebt.

3. Die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig.

4. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beigeladenen.

5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1 Million EUR festgesetzt.

Gründe

 
 I. Gegenstand des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens sind zwei ausgehandelte Verträge zur Finanzierung der Gewährleistung einer ausreichenden Verkehrsbedienung der Allgemeinheit im öffentlichen Schienennahverkehr (SPNV-Finanzierungsvertrag) und auf Buslinien der Beigeladenen im ... Gebiet (ÖPNV-Finanzierungsvertrag). Die Antragstellerin will der Antragsgegnerin den Abschluss der Vereinbarungen mit einer Laufzeit bis einschließlich 2016 (Schienennahverkehr) beziehungsweise 2012 (Busverkehr) untersagen und ihr die Verpflichtung auferlegen lassen, die jeweiligen Verkehrsleistungen in einem förmlichen Vergabeverfahren auszuschreiben.
 Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen, so weit er die Verkehrsbedienung im Schienenpersonenverkehr betrifft. Demgegenüber hat sie das Begehren der Antragstellerin im ÖPNV-Leistungsbereich für zulässig und begründet erachtet.
 Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladenen haben gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde erhoben, mit der sie ihren bisherigen Verfahrensziele weiter verfolgen.
 Die Beigeladene macht mit ihrem Rechtsmittel geltend, der Nachprüfungsantrag sei insgesamt, also auch bezüglich des ÖPNV-Finanzierungsvertrages unzulässig, da nach Inhalt und Zweck der Vereinbarung lediglich die Zuschüsse der Antragsgegnerin sowie der betroffenen Umlandgemeinden geregelt, aber kein Dienstleistungsauftrag vergeben werden solle.
 Demgegenüber hält die Antragstellerin die Herausnahme der SPNV-Vereinbarung aus den vergaberechtlichen Bestimmungen für rechts- und insbesondere für europarechtswidrig. Insoweit handele es sich bei der Beschaffung von Eisenbahndienstleistungen um öffentliche Aufträge, die zwingend dem Vergaberecht unterfallen würden.
 Die Antragsgegnerin tritt dem Rechtsmittel der Antragstellerin entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer.
 II. Die zulässigen sofortigen Beschwerden haben unterschiedlichen Erfolg. Während sich das Rechtsmittel der Antragstellerin als nicht begründet erweist, ist auf das Rechtsmittel der beschwerdeführenden Beigeladenen die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und der Nachprüfungsantrag insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.
 1. Beschwerde der Beigeladenen
 Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass der abzuschließende Vertrag über die Buslinie nicht der vergaberechtlichen Nachprüfung unterliegt. Es fehlt bereits an einem privatrechtlichen Beschaffungsvertrag, zumindest ist die Vereinbarung als Dienstleistungskonzession einzuordnen, die vergaberechtsfrei ist.
10 
 a) Die im Streitfall zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin ausgehandelten ÖPNV-Finanzierungsverträge haben nicht Dienstleistungen im Sinne der §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB zum Gegenstand. Mangels Beschaffungsvorgang fehlt es an einem ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag.
11 
 Die Beteiligten bezwecken mit dem Abschluss der Vereinbarung nicht die Neuvergabe der Buslinie auf dem Gebiet der Antragsgegnerin. Die Beigeladene betreibt vielmehr auf der Grundlage einer befristeten öffentlich-rechtlichen Genehmigung bereits den Busverkehr auf der in Rede stehenden Linie. An diese Lage knüpft die geplante Vertragsregelung an, deren Gegenstand schon nach der Vertragsüberschrift sich in der „Finanzierung der Gewährleistung einer ausreichenden Verkehrsbedienung der Allgemeinheit“ erschöpft. Ein Verkehrsvertrag, durch den sich die Beigeladene erstmals verpflichtet, im Auftrag der Antragsgegnerin den Busverkehr einzurichten und zu betreiben, liegt auch nach dem Inhalt und dem Wortlaut des Vertragswerks nicht vor. Die Präambel des projektierten Vertrages stellt heraus, dass die Vertragsparteien den Vertrag „zur Sicherstellung der Finanzierung“ der Busverkehre schließen. Auch der Anlass und das Motiv für den Vertragsschluss werden genannt. Insoweit verweist § 1 Abs. 2 des Vertragsentwurfs auf das Altmark-Trans Urteil des EuGH vom 24.7.2003, das umgesetzt werden soll. Der beabsichtigte Vertrag zielt daher auf die Neuregelung der „Ausgleichszahlungen im Rahmen eigenwirtschaftlicher Leistungserbringung“ der Beigeladenen. Dem entspricht sodann die Detailregelung in § 3 Abs. 1 des Vertragsentwurfs, die an den Vorgaben des EuGH-Urteils ausgerichtet ist.
12 
 Die Antragsgegnerin beschafft sich mit der Vereinbarung auch keine Dienstleistungen der Beigeladenen. Der Pflichtenkatalog in § 2 des Vertragskonzepts beschreibt die Aufgabenstellung der Beigeladenen nicht konstitutiv, sondern zählt lediglich deklaratorisch die auf Grund der vergebenen Linienverkehrsgenehmigungen bestehende allgemeine Pflichtenlage des Leistungserbringers auf (vgl. Beschwerdebegründung der Beigeladenen Seite 10/11). Die Ausgleichszahlungen betreffen nur die finanzielle Gewährleistung einer bestimmten Qualität der von der Beigeladenen der Allgemeinheit erbrachten Verkehrsbedienung.
13 
 Der Zweck des ÖPNV-Finanzierungsvertrages besteht daher nicht in der Vergabe von Verkehrsleistungen, sondern darin, den beihilfenrechtlichen Kontext im Rahmen des personbeförderungsrechtlichen Genehmigungstatbestandes zu regeln. Von Vergütung der Busverkehre kann keine Rede sein. Auch der Vertragsentwurf spricht daher nicht von Entgelt, sondern lediglich von Ausgleichszahlungen (die nicht der Umsatzsteuer unterliegen). Damit wird der Vertrag nicht von dem (als Auffangtatbestand weit zu verstehenden) Abs. 4 des § 99 GWB erfasst.
14 
 b) An einem öffentlichen Auftrag i. S. des Vergaberechts fehlt es im Streitfall aber zumindest schon deswegen, weil das Tatbestandsmerkmal „entgeltlich“ nicht gegeben ist. Dieses Merkmal dient der Abgrenzung ausschreibungspflichtiger Dienstleistungsverträge zu Konzessionen, die dem Vergaberecht nicht unterliegen. Nach dem Vertragsentwurf steht der Verkehrsleistung der Beigeladenen (selbst wenn man darin mit der Antragstellerin einen Vorgang der öffentlichen Bedarfsdeckung erkennen wollte) nicht ein Entgelt der Antragsgegnerin gegenüber, vielmehr ist der Vorgang als vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzession einzustufen.
15 
 Eine Dienstleistungskonzession liegt vor, wenn die dem Auftraggeber obliegende Gegenleistung nicht in einem bestimmten Entgelt besteht, vielmehr dem beauftragten Unternehmen das Recht übertragen wird, eigene Leistungen zu nutzen oder entgeltlich zu verwerten. Die Konzessionsgewährung erschöpft sich daher nicht in der Verleihung einer Rechtsposition an den Auftragnehmer, sondern setzt außerdem voraus, dass dieser als Konzessionär bei der Nutzung des übertragenen Rechts auf der Grundlage der getroffenen Absprachen ganz oder jedenfalls zum überwiegenden Teil die wirtschaftlichen Risiken der Rechtsverwertung trägt (allg. Meinung, vgl. etwa OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 212, 213 – SPNV-Tariftreue).
16 
 Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist festzustellen, dass der Vertragsentwurf nicht auf die Erteilung eines Dienstleistungsauftrages, sondern auf die Gewährung einer Konzession gerichtet ist. Denn nach Maßgabe von § 4 des Regelwerks verbleibt das wirtschaftliche Risiko überwiegend bei der Beigeladenen. Ihr ist im wesentlichen das Nachfragerisiko bezüglich der von ihr am Markt angebotenen Verkehrsdienstleistungen zugeordnet. Die vertragsgemäß vorgesehenen und bis einschließlich 2008 festgeschriebenen Ausgleichszahlungen der Antragsgegnerin dienen nicht der Absicherung der Kosten der Beigeladenen, sie decken jährlich abnehmend lediglich 9 bis 4 % des prognostizierten Gesamtaufwands. Damit findet eine Risikoüberwälzung auf die Beigeladene statt, die zum weit überwiegenden Teil darauf verwiesen ist, die Kosten der Verkehrsdienstleistungen durch das Entgelt der Fahrgäste einzufahren. Ein nachträglicher Ausgleich von Defiziten ist beihilfenrechtlich nicht möglich (EuGH, Urt. vom 247. 2003 – Rs. C -280/00, NZBau 2003, 503 ff) und auch vertraglich nicht vorgesehen, sodass das Deckungsrisiko daher in jedem Falle der Beigeladenen verbleibt (anders lag es in den Fällen OLG Düsseldorf, a. a. O. sowie Vergabekammer Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.7.2004 – 1 VK 48/04 NZBau 2004, 59, 61).
17 
 2. Beschwerde der Antragstellerin
18 
 Nach den vorstehenden Ausführungen erweist sich das Rechtsmittel der Antragstellerin bereits als unbegründet. Denn der für die SPNV-Leistungen angestrebte Vertrag enthält hinsichtlich der Ausgleichszahlung und des wirtschaftlichen Risikos vergleichbare Regelungen unter Beachtung der einschlägigen beihilfenrechtlichen Rahmenvorschriften. Aus diesem Grunde ist auch insoweit wegen der Risikoverlagerung auf die Beigeladene von einer ausschreibungsfreien Dienstleistungskonzession auszugehen.
19 
 Im Streitfall kann mithin offen bleiben, ob die Bedenken der Beschwerdeführerin gegen die Rechtsauffassung der Vergabekammer zur Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 AEG durchgreifen. Jedenfalls dürfte angesichts des eindeutigen Wortlauts für eine restringierende Auslegung oder europarechtskonforme Umdeutung dieser Vorschrift nach Maßgabe der DLR ein Spielraum nicht eröffnet sein.
20 
 3. Die Kostenentscheidung folgt in entsprechender Anwendung aus § 97 Abs. 1 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

5 Referenzen - Gesetze

moreResultsText

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt. (2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind

Öffentliche Auftraggeber sind 1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen,2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewe

Annotations

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

(3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.

(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.

(5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen.

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

Öffentliche Auftraggeber sind

1.
Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen,
2.
andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern
a)
sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden,
b)
ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder
c)
mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind;
dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat,
3.
Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen,
4.
natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die unter die Nummern 1, 2 oder 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert werden.

Für die Vereinbarung oder Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ist die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 in der jeweils geltenden Fassung maßgebend. Zuständig im Sinne dieser Verordnung sind, sofern es sich um Schienenpersonennahverkehr handelt, die nach Landesrecht zuständigen Behörden, im Übrigen die zuständigen Behörden des Bundes.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)