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Das Amtsgericht - Strafrichter - M. verurteilte den Angeklagten am 11.11.2004 - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je EUR 8,00. Sein hiergegen form- und fristgerecht mit Verteidigerschriftsatz vom 16.11.2004 eingelegtes, als Berufung zu behandelndes Rechtsmittel verwarf das Landgericht M. mit Beschluss vom 19.01.2005 gemäß §§ 313 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, 322 a StPO als unzulässig; die Strafkammer nahm die Berufung des Angeklagten, die der Annahme bedurfte, nicht an, da sie das Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet erachtet. Einen Hinweis, dass diese Verwerfungsentscheidung nicht anfechtbar ist (§ 322 a Satz 2 StPO), gibt der Beschluss nicht. Mit am 28.01.2005 beim Landgericht eingekommenem Schreiben vom 25.01.2005 hat der Angeklagte gegen den Beschluss der Strafkammer „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Er macht - unter Beifügung einer Ablichtung eines an das Amtsgericht adressierten eigenhändigen Schreibens vom 30.12.2004 - geltend, die Kammer habe bei ihrer Entscheidung seine Berufungsbegründung vom 30.12.2004 nicht berücksichtigt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schrift vom 07.03.2005, die sofortige Beschwerde des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Eine „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33 a StPO“ hält sie für nicht geboten, da das Landgericht den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.
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Der Senat gibt die Sache an die Strafkammer zur weiteren Veranlassung zurück, da das als „sofortige Beschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten als Gehörsrüge nach § 33 a StPO i. d. F. des Anhörungsrügengesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I 2004, 3220) auszulegen ist. Wie sich aus der einen allgemeinen Rechtsgedanken ausdrückenden Bestimmung des § 300 StPO ergibt, ist nämlich ein Rechtsmittel so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (vgl. nur Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 300 Rdnr. 3 m.w.N.).
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Der Angeklagte macht mit seiner sofortigen Beschwerde der Sache nach die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Mit der sofortigen Beschwerde wird er aber sein Rechtsmittelziel, die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, die Annahme seiner Berufung und die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung, nicht erwirken können. Denn die Nachprüfung durch das Beschwerdegericht ist darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht die formellen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO - die hier zweifelsfrei gegeben sind - zu Recht angenommen hat, d. h. darauf, ob es sich um einen gesetzlich vorgesehenen Fall der Annahmeberufung nach § 313 Abs. 1 StPO handelt (Senat Die Justiz 1996, 233 = StV 1997, 69 = MDR 1996, 517; OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 425; Meyer-Goßner a.a.O. § 322 a Rdnr. 8 m.w.N.). Insbesondere sind die Bestimmungen der §§ 313 Abs. 1, 322 a StPO auch in Fällen einer Hauptverhandlung vor dem Strafrichter mit eingeschränktem Beweisantragsrecht (§ 420 Abs. 4 StPO) - wie vorliegend - anwendbar (OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1997, 273; Meyer-Goßner a.a.O. Rdnr. 6 vor § 417)).
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Da die formellen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO erfüllt sind, wäre mithin die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Kammer vom 19.01.2005 als unzulässig, weil nicht statthaft, zu verwerfen; der Beschluss, mit dem das Berufungsgericht über die Annahme einer Berufung entscheidet (§ 313 Abs. 2 StPO), ist unanfechtbar ist (§ 322 a Satz 2 StPO). Dies gilt auch im Fall der Nichtannahme der Berufung (Senat a.a.O.; vgl. auch B. v. 11.03.2002 - 3 Ss 30/02 - m.w.N.). Der Rechtsmittelausschluss ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG B. v. 01.03.1994 - 2 BvR 2112/93 -; KG B. v. 22.12.1999 - 4 Ws 280/99 - jew. bei juris Rechtsprechung), vor allem nun in Anbetracht des in Umsetzung des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 - (BVerfGE 107, 395) mit dem Anhörungsrügengesetz vom 09.12.2004 geschaffenen eigenständigen Rechtsbehelfs der „Anhörungsrüge bzw. Gehörsrüge“ nach der neu gefassten Bestimmung des § 33 a StPO (vgl. auch BVerfG NStZ 2002, 43 zum Nachverfahren gem. § 33 a StPO a.F. in Fällen der Nichtannahme der Berufung nach §§ 313, 322 a StPO).
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Der Senat deutet nach alledem die sofortige Beschwerde des Angeklagten, die unzulässig wäre, in eine Anhörungsrüge nach § 33 a StPO n. F. um und gibt die Sache zur weiteren Behandlung an die Strafkammer zurück.
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Die Strafkammer wird in eigener Zuständigkeit als „iudex a quo“ zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 33 a StPO n. F. gegeben sind, d. h. ob durch ihre Entscheidung der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und der Angeklagte dadurch noch beschwert ist; ggf. wäre das Berufungsverfahren durch Kammerbeschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung vom 19.01.2005 bestand. Im Zuge dieses Nachverfahrens nach § 33 a StPO obliegt es ausschließlich dem Berufungsgericht, auch nachzuprüfen, ob es seine eigene Entscheidung über die Nichtannahme nach § 313 Abs. 2 StPO ausreichend, d.h. unter Beachtung des Vorbringens des Angeklagten/Berufungsführers begründet hat (vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an einen Verwerfungsbeschluss BVerfG a.a.O.; dass. NJW 1996, 2785).
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Für das weitere Verfahren sei diesseits noch angemerkt:
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Die nach der Behauptung des Angeklagten mit Schreiben vom 30.12.2004 abgegebene Berufungsbegründung ist ausweislich der dem Senat vorliegenden Akten nicht binnen der mit Zustellung des Urteils des Amtsgerichts vom 11.11.2004 an den dem Angeklagten beigeordneten Verteidiger am 28.12.2004 in Lauf gesetzten Wochenfrist des § 317 StPO, vielmehr erst nach Fristablauf (04.01.2005) in Ablichtung als Anlage der beim Landgericht am 28.01.2005 eingekommenen „sofortigen Beschwerde“ des Angeklagten zur Akte gelangt. Es bedarf daher der Nachprüfung, ob die fragliche Berufungsbegründungsschrift des Angeklagten vom 30.12.2004 beim zuständigen Amtsgericht überhaupt und ggf. innerhalb der Begründungsfrist des § 317 StPO eingekommen ist, ob sie lediglich nicht zur Akte genommen und dadurch der Kenntnisnahme durch das Berufungsgericht entzogen worden ist. Dies könnte die Gehörsrüge begründen. Die Frage, ob dem Angeklagten bei verspätetem Eingang der Begründungsschrift gegen die Versäumung der Begründungsfrist des § 317 StPO nach §§ 44 ff. StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte (verneinend die bislang herrschende Meinung, wonach die Bestimmungen der §§ 44 ff. StPO auf diese Frist keine Anwendung finden: vgl. nur OLG Dresden OLG-NT 1998, 216; Meyer-Goßner a.a.O. § 44 Rdnr. 4; § 317 Rdnr. 2), mit der Folge, dass der Verwerfungsbeschluss der Strafkammer vom 19.01.2005 ggf. gegenstandslos würde, stellt sich dann nicht.
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Im Übrigen wurde freilich dem - verteidigten - Angeklagten nach Lage der Akten vor der Verwerfung bzw. Nichtannahme seiner Berufung (§§ 313, 322 a StPO) in ausreichendem Maße rechtliches Gehör (vgl. dazu nicht differenzierend Meyer-Goßner a.a.O. § 322 a Rdnr. 7) gewährt:
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Die Strafkammer, der die Akten ohnedies erst am 17.01.2005 vorlagen, hat, wie mangels einer bereits mit der Einlegung der Berufung gegebenen und auch nicht nachgereichten Berufungsbegründung geboten (vgl. Meyer-Goßner a.a.O § 322 a Rdnrn. 4, 7), ihren Verwerfungsbeschluss nicht vor Ablauf der Frist des § 317 StPO (04.01.2005) erlassen, sondern erst unter dem 19.01.2005.
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Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte - wie der Ablichtung seines Schreibens [Berufungsbegründung] vom 30.12.2004, wonach er „nunmehr von dem Begründungserfordernis des § 313 StPO“ erfahren habe, zu entnehmen ist - der Möglichkeit der Nichtannahme seiner Berufung bewusst war. Unter dieser Voraussetzung genügte zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) die ihm eröffnete Möglichkeit (§ 317 StPO), die Berufung zu begründen; der Angeklagte hatte hinreichende Gelegenheit [und diese mit dem fraglichen Schreiben vom 30.12.2004 genutzt], im Rahmen der Berufungsbegründung nach § 317 StPO auch die Gesichtspunkte vorzutragen, die aus seiner Sicht gegen eine Verwerfung der Berufung als offensichtlich unbegründet i. S. d. § 313 Abs. 2 StPO sprechen könnten. Einer gesonderten Anhörung des Angeklagten seitens des Berufungsgerichts, d. h. der Strafkammer dazu, dass sie die Verwerfung der Berufung im Beschlusswege beabsichtige, bedurfte es daher vor der Entscheidung der Strafkammer nicht mehr (vgl. OLG Koblenz StV 1995, 14 = NStZ 1995, 251). Unschädlich ist vorliegend mithin im Ergebnis, dass nach Lage der Akten zum Zeitpunkt der Entscheidung der Strafkammer nicht eindeutig erkennbar war, ob der Angeklagte durch das erstinstanzlich entscheidende Amtsgericht, wie zwar gesetzlich nicht vorgeschrieben, wegen des Sachzusammenhangs mit dem Rechtsmittel der Berufung aber erforderlich (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; KG B. v. 04.11.1998 - 5 Ws 619/98 - bei Juris Rechtsprechung), auch über die in §§ 313, 322 a StPO vorgesehene Möglichkeit der Nichtannahme der Berufung, d.h. der Verwerfung durch Beschluss (ohne erneute Hauptverhandlung) belehrt worden war.
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Deshalb stellt sich auch nicht die Frage, ob es der vorherigen Anhörung des Angeklagten zu einem Verwerfungsantrag der Staatsanwaltschaft bedurfte (bejahend OLG München StV 1994, 237; verneinend OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 273), zumal ein solcher Antrag auf Verwerfung der Berufung nach § 313 Abs. 2 StPO weder erforderlich ist, noch vorliegend gestellt war.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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