Oberlandesgericht Köln Beschluss, 08. Okt. 2014 - AuslA 65/14 - 57-
Gericht
Tenor
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Köln auf Erlass eines
Auslieferungshaftbefehls gegen den
polnischen Staatsangehörigen J. wird zurückgewiesen.
1
Gründe :
2I.
3Die polnischen Behörden ersuchen mit Europäischem Haftbefehl des Bezirksgerichts in E. vom 27.11.2009 um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung. Der Verfolgte ist durch Urteil des Amtsgerichts in O. vom 22.11.2005 wegen einer Betäubungsmittelstraftat, wegen räuberischen Diebstahls sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in seiner Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, von der noch ein Jahr, vier Monate und 18 Tage zu vollstrecken sind. Gegenstand des Urteils sind nach den Angaben im Europäischen Haftbefehl folgende Tatvorwürfe :
4- der Besitz von 3,47 g Amphetamin sowie von 0,53 g Haschisch;
5- Diebstahl von Gegenständen im Wert von umgerechnet ca. 50 €, wobei der Verfolgte und Mittäter gegen die Geschädigte Gewalt anwendeten, um sich im Besitz der Beute zu halten;
6- Misshandlungen des Vaters durch Schläge gegen Kopf und Brust;
7Nach den ergänzenden Angaben des Bezirksgerichts E. im Schreiben vom 06.10.2014 hatte der seinerzeit in einer Justizvollzugsanstalt inhaftierte Verfolgte auf eine Anfrage des Amtsgerichts O. mitgeteilt, dass er zum Verhandlungstermin am 22.11.2005 vorgeführt werden wolle. Am 18.11.2005 habe das Amtsgericht O. beschlossen, dass der Verfolgte nicht vorgeführt werden solle. Ihm sei der Verhandlungstermin schriftlich mitgeteilt und zugleich der Beschluss über die Bestellung von Rechtsanwältin D. als Pflichtverteidiger zugestellt worden, die an der Hauptverhandlung teilgenommen habe. Ob die Pflichtverteidigerin ihrer Pflicht zur Information des Verfolgten über den Ausgang des Verfahrens nachgekommen sei, sei dem insoweit nicht zur Nachprüfung verpflichteten Gericht nicht bekannt. Das Verfahren vor dem Amtsgericht O. sei in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der polnischen StPO geführt worden. Es sei zu vermuten, dass der Verfolgte das Urteil vom 22.11.2005 nicht angefochten habe, weil er die damit verhängte Strafe vom 10.04.2006 bis zu seiner bedingt vorzeitigen Entlassung am 07.09.2007 verbüßt habe.
8Diesen Ausführungen ist die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten und hat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, gegen den Verfolgten einen Auslieferungshaftbefehl zu erlassen.
9II.
10Dem Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach § 15 IRG kann nicht entsprochen werden. Die Auslieferung erscheint von vorneherein unzulässig, weil ein Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG entgegensteht.
11Der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts E. vom 27.11.2009 stellt zwar ein den Anforderungen des § 83a IRG genügendes Auslieferungsersuchen dar. Auch ist die beiderseitige Strafbarkeit der zugrundeliegenden Straftaten unbedenklich gegeben und beträgt die noch zu vollstreckende Reststrafe mehr als vier Monate, so dass die Voraussetzungen des § 81 Nr. 2 und 4 IRG erfüllt sind.
12Es handelt sich jedoch um die Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils, die eine Auslieferung nur unter den Voraussetzungen des § 83 Nr. 3 IRG zulässt. Danach ist die Auslieferung bei ordnungsgemäßer Ladung des Verfolgten zulässig, sofern er in der Verhandlung durch einen Verteidiger vertreten war. Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, dass der Verfolgte nach den Angaben der polnischen Behörden gegenüber dem Amtsgericht O. auf dessen Anfrage hin ausdrücklich erklärt hat, an der Verhandlung teilnehmen zu wollen, daran indes gehindert war, weil er sich nicht auf freiem Fuß befand. Es mag sein, dass es nach polnischem Strafverfahrensrecht zulässig war, die Verhandlung entgegen dem Wunsch des Verfolgten in seiner Abwesenheit zu führen, weil die Anwesenheit eines Verteidigers ausreichend ist. Den Voraussetzungen des § 83 Nr. IRG genügt diese Verfahrensweise nicht. Auf einen Angeklagten, der vom Verhandlungstermin zwar Kenntnis hat, sein Recht auf Anwesenheit an der Hauptverhandlung aufgrund seiner Inhaftierung aber nicht wahrnehmen kann, können die Regelungen, nach denen die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils zulässig ist, nicht angewendet werden.
13Die von der Generalstaatsanwaltschaft überreichte Handreichung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 17.06.2014 – II B 4 -9362/1-2-27 297/2014 – betrifft die Rechtslage bei Auslieferungen nach dem EuAlÜbK und kann für den Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach dem Europäischen Haftbefehlsgesetz nicht herangezogen werden. Sie würde davon abgesehen zu keiner anderen Beurteilung führen, weil die hier maßgebliche Besonderheit, dass ein Verfolgter nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann, weil er sich nicht auf freiem Fuß befindet, in der Handreichung nicht behandelt wird. Auch die auf die Teilverbüßung der Strafe gestützte Vermutung der polnischen Behörden, der Verfolgte habe das Abwesenheitsurteil „nicht in Frage gestellt“, entspricht nicht den Ausführungen in der Handreichung, wonach die Zusicherung für ein neues Verfahren entbehrlich ist, wenn der Verfolgte nach Urteilszustellung samt Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich erklärt hat, keine Neudurchführung der Verhandlung zu beantragen oder auf Rechtsmittel zu verzichten. Die Darstellung im Schreiben des Bezirksgerichts lässt darüber hinaus die Möglichkeit offen, dass es sich bei der Teilverbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 22.11.2005 ab dem 10.04.2006 um eine Anschlussvollstreckung im Anschluss an eine vorhergehende Strafe in anderer Sache gehandelt hat.
14Schließlich ist nach dem Inhalt des Schreibens des Bezirksgerichts vom 06.10.2014 auch davon auszugehen, dass der Verfolgte in vorliegender Sache am 07.09.2007 vorzeitig auf Bewährung aus der Haft entlassen worden ist. Angaben zu einem Bewährungswiderruf, der zur Fortsetzung der Strafvollstreckung hätte erfolgen müssen, enthält weder der Europäische Haftbefehl noch das Schreiben vom 06.10.2014.
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(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn
- 1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder - 2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.
(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn
- 1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, - 2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder - 3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder - 4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.
(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn
- 1.
die verurteilte Person - a)
rechtzeitig - aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder - bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
- b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
- 2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder - 3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.
(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils
- 1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder - 2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.
(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die in § 10 genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wurden, der die folgenden Angaben enthält:
- 1.
die Identität, wie sie im Anhang zum Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl näher beschrieben wird, und die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, - 2.
die Bezeichnung und die Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, - 3.
die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justitielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung vorliegt, - 4.
die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, - 5.
die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person, und - 6.
die für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgesehene Höchststrafe oder im Fall des Vorliegens eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe.
(2) Die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Überstellung oder Auslieferung nach der Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission (ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 56), die die unter Absatz 1 Nr. 1 bis 6 bezeichneten Angaben enthält oder der diese Angaben nachgereicht wurden, gilt als Europäischer Haftbefehl.
§ 3 findet mit den Maßgaben Anwendung, dass
- 1.
die Auslieferung zur Verfolgung nur zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist, - 2.
die Auslieferung zur Vollstreckung nur zulässig ist, wenn nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates eine freiheitsentziehende Sanktion zu vollstrecken ist, deren Maß mindestens vier Monate beträgt, - 3.
die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates, - 4.
die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190 vom 18. 7. 2002, S. 1), der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI (ABl. L 81 vom 27.3.2009, S. 24) geändert worden ist, (Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl) aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist.
(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn
- 1.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, - 2.
der Verfolgte zur Tatzeit nach § 19 des Strafgesetzbuchs schuldunfähig war oder - 3.
bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist oder - 4.
die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt.
(2) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 jedoch zulässig, wenn
- 1.
die verurteilte Person - a)
rechtzeitig - aa)
persönlich zu der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, geladen wurde oder - bb)
auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu dem Urteil geführt hat, in Kenntnis gesetzt wurde, sodass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die verurteilte Person von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und
- b)
dabei darauf hingewiesen wurde, dass ein Urteil auch in ihrer Abwesenheit ergehen kann,
- 2.
die verurteilte Person in Kenntnis des gegen sie gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder - 3.
die verurteilte Person in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, sie in der Verhandlung zu verteidigen, und sie durch diesen in der Verhandlung tatsächlich verteidigt wurde.
(3) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 auch zulässig, wenn die verurteilte Person nach Zustellung des Urteils
- 1.
ausdrücklich erklärt hat, das ergangene Urteil nicht anzufechten, oder - 2.
innerhalb geltender Fristen keine Wiederaufnahme des Verfahrens oder kein Berufungsverfahren beantragt hat.
(4) Die Auslieferung ist abweichend von Absatz 1 Nummer 3 ferner zulässig, wenn der verurteilten Person unverzüglich nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Mitgliedstaat das Urteil persönlich zugestellt werden wird und die verurteilte Person über ihr in Absatz 3 Satz 2 genanntes Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt werden wird.