Oberlandesgericht Köln Beschluss, 09. Okt. 2014 - 21 UF 152/14
Gericht
Tenor
A) Auf die Beschwerde des Antragstellers wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengerichts – Köln vom 24.07.2014 (304 F 171/14) angeordnet:
I. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, das Kind N, geboren am 21.11. 2010, derzeit wohnhaft T Straße 10, M, bis zum 07.11.2014 nach Italien zurückzuführen.
II. Kommt die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zu Nr. I nicht nach, so hat sie und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, das Kind N an den Antragsteller oder eine von ihm bestimmte Person zum Zweck der Rückführung nach Italien herauszugeben.
III. Die Antragsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat gegen sie bei Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtungen zu Nr. I und II ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 € anordnen und – falls das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder seine Anordnung keinen Erfolg verspricht – Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festsetzen kann.
IV. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zu Nr. I nicht freiwillig nachkommt, wird in Vollziehung von Nr. II angeordnet:
1. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das Kind N der Antragstellerin oder jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es an Ort und Stelle dem Antragsgegner oder einer von ihm bestimmten Person zu übergeben.
2. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zu diesem Zweck die Wohnung der Antragsgegnerin in der T Straße 10, M, zu betreten und zu durchsuchen.
3. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, unmittelbaren Zwang gegen die Antragstellerin oder jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, anzuwenden; die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen das Kind selbst ist zulässig, wenn die Wegnahme und Übergabe mit keinem milderen Mittel durchgesetzt werden kann.
4. Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, zu Maßnahmen nach Nr. 1 bis 3 polizeiliche Vollzugsorgane hinzuziehen.
5. Das Jugendamt der Stadt M hat die sichere Rückführung des Kindes N nach Italien zu unterstützen, insbesondere das Kind – soweit erforderlich – nach seiner Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher bis zur Rückführung durch den Antragsteller oder eine von ihm bestimmte Person in die Obhut einer geeigneten Person oder Einrichtung zu geben.
B) Die Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Vollstreckungs- und Rückführungskosten hat die Antragsgegnerin zu tragen.
C) Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2I.
3Die am 16.01.1978 geborene Antragsgegnerin hat die deutsche, der am 06.10.1970 geborene Antragsteller die italienische Staatsangehörigkeit.
4Das Kind N wurde am 21.11.2010 in G / Kanton Thurgau / Schweiz als nichteheliche Tochter der Antragsgegnerin geboren. Am 13.01.2011 trug der zuständige Zivilstandsbeamte im Geburtsregister von G den Antragsteller als Vater des Kindes ein und händigte eine Mitteilung seiner zuvor erklärten Kindesanerkennung nach der Geburt der anwesenden Antragsgegnerin aus; weitere Mitteilungen erhielten das Eidgenössische Amt für Zivilstandswesen zur Weiterleitung an das Standesamt Berlin 1 sowie das italienische Konsulat in St. Gallen. Die Antragsgegnerin wurde über ihr Recht zur Anfechtung der Kindesanerkennung nach Art. 260a-260c des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) belehrt; sie unterschrieb eine Optionserklärung, wonach der Name des Kindes nach dem Recht ihres Heimatstaates Deutschland „N E“ laute.
5Bis April 2012 lebten die Antragsgegnerin, der Antragstellerin und N in der Schweiz zusammen. Danach zog der Antragsteller, begleitet von der Antragsgegnerin und N, in seine Geburtsstadt U / Italien, wo sie bei seiner Mutter W C wohnten. Mitte 2012 nahm die Antragsgegnerin nach ihrer Elternzeit ihre Berufstätigkeit als Flugbegleiterin bei der E2 wieder auf; sie wurde vorwiegend auf Interkontinentalflügen von der Basis N aus eingesetzt, von der Anschlussverbindungen nach U bestehen. Während ihrer Einsätze wurde N regelmäßig von der Mutter und der Schwester S des Antragstellers in U betreut. Nach längerer Erwerbslosigkeit arbeitet dieser dort seit Anfang 2013 wieder vollschichtig in seinem Beruf als Koch. N wurde in einem Kindergarten und einer Schule in U angemeldet.
6Am 15.08.2013 verließ die Antragsgegnerin mit N U und fuhr mit ihr – ihr Auto und andere Teile ihrer Habe wie Kleidung und Arzneimittel zurücklassend – im Pkw ihrer Mutter und des Lebensgefährten ihrer Mutter nach Deutschland. Der Antragsteller versuchte sie telefonisch vergeblich zur Rückkehr zu bewegen. Nach zeitweiligem Aufenthalt bei ihrer Mutter H X in T2 / Landkreis Konstanz lebte die Antragsgegnerin mit ihrer Tochter zunächst in L; beim dortigen Standesamt ließ sie N im Geburtsregister zu Nummer X X36X /2013 ohne Angabe eines Vaters unter ihrem Nachnamen L2 eintragen. Seit Anfang 2014 wohnt sie mit ihrer Tochter in M, wo N seit dem 01.08.2014 den Kindergarten besucht.
7Im Zivilstandsregister von U wurde Ns Geburt auf Grund eines vom Antragsteller im Januar 2014 erwirkten gerichtlichen Beschlusses (3759/13) unter seinem Nachnamen eingetragen. Die Zustellung eines von ihm im September 2013 beim Gericht in U (2886/13) angebrachten sorgerechtlichen Eilantrags an die Antragsgegnerin verzögerte sich bis Mai 2014; eine Entscheidung in diesem Verfahren ist noch nicht ergangen. Wegen der weiteren vom Antragsteller unternommenen rechtlichen Schritte – Anzeige wegen Kindesentführung bei der in Deutschland um Rechtshilfe nachsuchenden Staatsanwaltschaft Triest, Einschaltung des Bundesamts der Justiz, Verfahren auf Anerkennung seiner Vaterschaft bei dem Amtsgericht Siegburg (317 F 55/14) und anwaltlicher Schriftwechsel – wird auf den Akteninhalt verwiesen.
8Der Antragsteller hat mit seinem am 10.06.2014 beim Amtsgericht – Familiengericht – Köln eingegangenen Antrag die Rückgabe des Kindes N nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) begehrt. Er hat behauptet, bis August 2013 sei N niemals in Deutschland gewesen; die Antragsgegnerin habe ihm mitgeteilt, nur einige Tage mit ihrer Mutter und N nach Deutschland verreisen zu wollen. Er hat geltend gemacht, nach italienischem Recht sei er Mitinhaber der elterlichen Sorge, weshalb er es für widerrechtlich hält, dass die Antragsgegnerin das Kind ohne seine Zustimmung dauerhaft nach Deutschland verbracht habe und dort zurückhalte.
9Die Antragsgegnerin hat um Zurückzuweisung des Antrags gebeten und gemeint, das Vaterschaftsanerkenntnis des Antragstellers sei jedenfalls außerhalb der Schweiz zunächst nicht wirksam gewesen. Schon deshalb habe im August 2013 keine gemeinsame elterliche Sorge der Beteiligten für N bestanden. Auch habe N ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Italien gehabt. Hierzu hat sie behauptet, dass N von Februar 2011 bis Anfang 2014 in L-T3 unter ihrer eigenen dortigen Anschrift wohnhaft gemeldet und in Italien nie sozial integriert gewesen sei; immer wieder sei sie mit ihr zu Arztbesuchen und auch für längere Zeit in Deutschland gewesen – seit Mai 2012 insbesondere im Juni 2012, von Mitte Oktober bis Anfang November 2012 und von Anfang Dezember 2012 bis Ende Januar 2013 mit Ausnahme der in Italien verbrachten Feiertage. Beim Antragsteller hätten sich während ihres Zusammenlebens in der Schweiz zunehmend psychische Probleme und entsprechende Verhaltensweisen gezeigt, weshalb sie ihre Beziehung zu ihm schon im März 2012 beendet habe. Ein Trennungsgrund sei nicht zuletzt sein unbeherrschtes Verhalten vor und gegenüber dem Kind gewesen. Als N anderthalb Jahre gewesen sei, habe er sie in der Küche versehentlich so auf die Anrichte gestellt, dass sie mit dem Fuß auf die heiße Herdplatte getreten habe und im Krankenhaus in Konstanz habe behandelt werden müssen. Weil er suizidgefährdet erschienen sei, habe sie ihn dennoch nach U begleitet und sich dort für begrenzte Zeit um ihn kümmern, jedoch nie endgültig mit N zu ihm ziehen wollen; sie hätten aus Umzugskisten gelebt, statt sich in U eine eigene Wohnung zu suchen. Auslöser ihrer Abreise im August 2013 seien Tätlichkeiten des Antragstellers gewesen, vor denen sie sich und ihr Kind habe schützen müssen. Inzwischen habe sich N in Deutschland eingelebt; nach ihrer Auffassung würde eine Rückkehr nach Italien das Kind der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens aussetzen oder zumindest in eine unzumutbare Lage bringen.
10Mit dem (nach Erlass einer Sicherungsanordnung, Bestellung eines Verfahrensbeistandes und Anhörung aller Beteiligten ergangenen) angefochtenen Beschluss vom 24.07.2014, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht den Rückführungsantrag zurückgewiesen.
11Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht insbesondere geltend, die in der Schweiz erklärte Anerkennung seiner Vaterschaft (von der die inzwischen Barunterhalt für das Kind verlangende Antragsgegnerin selbst ausgehe) sei in Italien ohne weiteres Verfahren unmittelbar wirksam gewesen und habe zur Entstehung des gemeinsamen Sorgerechts geführt; dieses habe er bis zur Abreise der Antragsgegnerin aus Italien auch gemeinsam mit ihr ausgeübt.
12Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen; insbesondere hält sie die vom Antragsteller in G erklärte Kindesanerkennung in formeller Hinsicht schon nach Schweizerischem Recht, zumindest aber in Deutschland und Italien ohne vorheriges Anerkennungsverfahren für nicht rechtswirksam, einen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Italien für nicht gegeben und seine Rückführung dorthin für unzumutbar und extrem kindeswohlschädlich.
13Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen, dem Bericht des Verfahrensbeistandes, den Sitzungsniederschriften und dem Vermerk über die Anhörung des Kindes N durch den Senat.
14II.
15Die nach § 40 Abs. 2 IntFamRVG in Verbindung mit §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
16Dem Antragsteller als nichtehelichem Vater steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückführung des Kindes N nach Italien aus Art. 3 und 12 Abs. 1 HKÜ auf der Grundlage der unstreitigen Umstände des Falles und des eigenen Sachvortrags der Antragsgegnerin zu. Beachtliche Versagungsgründe nach Art. 13 HKÜ in Verbindung mit Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die eheliche Verantwortung (Brüssel-IIa-VO) vermag der Senat nicht festzustellen.
171. Das noch nicht vier (also deutlich weniger als sechzehn, Art. 4 S. 2 HKÜ) Jahre alte Kind N hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt unmittelbar vor der vom Antragsteller geltend gemachten Verletzung seines (Mit-) Sorgerechts im August 2013 in dem wie Deutschland zu den Vertragsstaaten des HKÜ gehörenden EU-Mitgliedsstaat Italien (Art. 4 S. 1 HKÜ).
18a) Der in Art. 3 und 4 HKÜ wie in Art. 8 und 10 Brüssel-IIa-VO verwendete, jedoch nicht näher definierte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts bezeichnet den Ort, an dem eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist, was von dem angerufenen Gericht unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls – wie der Dauer, der Regelmäßigkeit und der Umstände des Aufenthalts in dem betreffenden Staat, der Gründe dafür und für den Umzug der Familie in diesen Staat, der Staatsangehörigkeit des Kindes, seiner Sprachkenntnisse sowie seiner familiären und sozialen Bindungen – festzustellen ist (vgl. EuGH, FamRZ 2009, 843 [Tz. 44]; FamRZ 2011, 617 [Tz. 47]; KG, Beschl. v. 12.08.2013 – 16 UF 122/13 [Rn. 11, 24 f. bei juris]). Dabei teilt ein sehr kleines Kind zwangsläufig das soziale und familiäre Umfeld des Personenkreises, auf den es angewiesen ist (EuGH, FamRZ 2011, 617 [Tz. 52-54]; KG, a.a.O. [Rn. 12]). Teils wird von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen, wenn dieser sechs Monate angedauert hat; ein Aufenthalt kann aber auch schon früher zum gewöhnlichen Aufenthalt werden, wenn er von vornherein auf Dauer angelegt ist (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577; OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2011 – 11 UF 240/11; KG, a.a.O. [Rn. 11, 24]).
19b) Unter Abwägung aller Umstände kann hier ein gewöhnlicher, mit einer gewissen sozialen und familiären Integration verbundener Aufenthalt des Kindes N in Italien vor seiner Abreise mit der Antragsgegnerin nach Deutschland am 15.08.2013 nicht verneint werden.
20N hatte sich bis dahin über einen Zeitraum von ungefähr sechzehn Monaten, nämlich seit Mai 2012, regelmäßig in U aufgehalten. Dass sie – wie von der Antragsgegnerin behauptet – während dieses Zeitraums immer wieder, insgesamt aber nur knapp vier Monate lang (Juni 2012, Mitte Oktober bis Anfang November 2012, Dezember 2012 und Januar 2013, wobei die Feiertage zum Jahreswechsel hiervon ausgenommen waren) mit ihrer Mutter in Deutschland gewesen sein mag und jedenfalls auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, steht der Annahme nicht entgegen, dass sich ihr Lebensmittelpunkt damals in Italien befand. Dort wurde sie während der beruflichen Einsätze der Antragsgegnerin überwiegend von ihrer italienischen Großmutter („Nonna W“) und der Schwester des Antragstellers betreut. Die Antragsgegnerin mag in L (im Rahmen einer Wohngemeinschaft) über eine vollständig eingerichtete Wohnung verfügt und dort mit ihrer Tochter wohnhaft gemeldet gewesen sein (inwieweit sie während ihrer Deutschlandbesuche dort übernachtete, ist unklar); faktisch wohnte sie mit N aber in U, wo das Kind durch räumliche Nähe und persönliche Betreuung in das Leben der väterlichen Familie einbezogen und bereits zum Besuch des Kindergartens sowie der Schule angemeldet war. Dort befand sich zudem der wesentliche Hausstand der Antragsgegnerin, mag sie auch nicht benötigte Sachen in Kisten verpackt gelassen haben. Unabhängig davon, ob sie selbst ihr Wohnen beim Antragsteller (und seiner Mutter) als Ausdruck einer Partnerbeziehung oder eher „als eine Art von Psychotherapie“ für den Vater ihres Kindes empfand, zeigte sie damit objektiv, dass sie sich seinerzeit für U als gewöhnlichen Aufenthaltsort für sich und ihr Kind entschieden hatte; nichts anderes folgt aus ihren mit Schriftsatz vom 27.06.2014 überreichten Aufzeichnungen, wonach sie dem Antragsteller ein wenig Halt mit N habe geben wollen und sich sonst schon längst dort (sic!) eine Wohnung gesucht hätte.
212. Der von der Antragsgegnerin am 15.08.2013 mit N vollzogene Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts von Italien nach Deutschland stellt sich (unabhängig von den Unterschieden im Sachvortrag, wonach die Antragsgegnerin ihre Abreise nach Deutschland mit N dem Antragsteller gegenüber entweder als Beginn eines Kurzurlaubs oder als endgültiges Verlassen der Wohnung in U dargestellt haben soll) als ein Verbringen und Zurückhalten des Kindes dar, welches nach Lage der Dinge als widerrechtlich angesehen werden muss (Art. 3 S. 1 HKÜ).
22Durch die ohne Zustimmung des Antragstellers vorgenommene Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts wurde das ihm nach dem Recht Italiens zustehende (Mit-) Sorgerecht verletzt, was der Senat ohne Rücksicht auf besondere Verfahren des Nachweises ausländischer Rechte oder der Anerkennung ausländischer Entscheidungen selbst feststellen kann (Art. 14 HKÜ).
23a) Zwischen den Beteiligten ist in tatsächlicher Hinsicht unstreitig, dass der Antragsteller der leibliche Vater des Kindes N ist. Durchgreifende Zweifel daran, dass er in Italien auch im Rechtssinne schon vor dem 15.08.2013 als nichtehelicher Vater des Kindes anzusehen war, hat der Senat nicht.
24Unerheblich dafür ist, ob die Antragsgegnerin als Mutter des Kindes einem in der Schweiz erklärten Vaterschaftsanerkenntnis des Antragstellers formgerecht gemäß §§ 1595 Abs. 1, 1597 Abs. 1 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zugestimmt hat. Denn abgesehen davon, dass die in der Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin (unter Hinweis auf Palandt / Brudermüller, BGB, 74. Aufl., § 1595 Rn. 1) angeführte ältere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 1975, 273) sich auf eine Legitimation nach belgischem Recht und die deutsche Rechtslage des Jahres 1961 bezog, kommt es im vorliegenden Fall auf die Wirksamkeit der Schweizerischen Kindesanerkennung nicht in Deutschland, sondern in Italien an.
25Die dafür maßgebliche Kollisionsregel – Art. 35 des Gesetzes n. 218 vom 31.05.1995 zur Reform des italienischen Systems des internationalen Privatrechts (IPRG) – erklärt auf die Form des Anerkenntnisses das Recht des Staates anwendbar, in dem es erklärt wird (Art. 35 Abs. 3 IPRG). Die Form des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB), wonach die Anerkennung eines nichtehelichen Kindes seitens des Vaters durch Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten erfolgt (Art. 260 Abs. 3 ZGB), ist gewahrt: Durch die von der Antragsgegnerin inhaltlich nicht in Zweifel gezogenen Mitteilungen des Zivilstandsbeamten L3 in G / Kanton Thurgau und den in Kopie vorgelegten Auszug aus dem dortigen Geburtsregister ist hinreichend nachgewiesen, dass der Antragsteller eine entsprechende Anerkennungserklärung abgegeben hat; über die amtliche Beurkundung hinaus ist eine besondere Form der Erklärung, etwa ein vom leiblichen Vater eigenhändig unterschriebenes und in amtliche Verwahrung zu nehmendes Schriftstück nicht vorgesehen.
26Den ihr obliegenden Nachweis, dass der Antragsteller die nach dem Registerstand erfolgte Anerkennungserklärung tatsächlich nicht abgegeben habe, vermag die Antragsgegnerin ebenso wenig zu führen wie den Nachweis eines auf mangelnde Sprachkenntnisse zurückzuführenden Irrtums über den Inhalt (nicht nur über mittelbare Rechtsfolgen) der Erklärung. Nach Lage der Dinge hat der Antragsteller die Kindesanerkennung vielmehr bewusst und ausdrücklich in Gegenwart der Antragsgegnerin und mit deren Zustimmung erklärt; denn andernfalls hätte für diese kein Anlass bestanden, mit der von ihr unterschriebenen Optionserklärung zu bestimmen, dass N den Nachnamen „E“ tragen solle. Sollte trotz des auf das Heimatrecht des Anerkennenden verweisenden Günstigkeitsprinzips die Zustimmung der Mutter eine Bedingung für die Anerkennung nach dem (deutschen) Heimatrecht des Kindes zur Zeit seiner Geburt gewesen sein (Art. 35 Abs. 1 IPRG), so bedurfte diese nach dem insoweit maßgebenden Schweizerischem Recht jedenfalls keiner besonderen Form (Art. 35 Abs. 3 IPRG). Eine Belehrung über die Möglichkeit der Anfechtung des Vaterschaftsanerkenntnisses (Art. 260a bis 260c ZGB) ist erfolgt, ohne dass die Antragsgegnerin davon Gebrauch gemacht hätte.
27Die nach alledem in der Schweiz formwirksam erklärte Anerkennung des Antragstellers, nichtehelicher Vater des Kindes N zu sein, war auch in Italien ohne Weiteres wirksam.
28Dass Italien die Wirkung einer der Schweizerischen Ortsform entsprechenden Erklärung der Kindesanerkennung ohne zusätzliches Verfahren beachtet und einer gleichlautenden Eintragung in das italienische Zivilstandsregister keine konstitutive Bedeutung beimisst, zeigt sich daran, dass das italienische internationale Privatrecht sowohl ausländische Urteile („sentenze straniere“) als auch Maßnahmen über das Bestehen von Familienbeziehungen („provvedimenti stranieri relativi all’esistenza di rapporti die famiglia“) und in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit („provvedimenti stranieri di volontaria giurisdizione“) grundsätzlich anerkennt (Art. 64-66 IPRG) und nur für den Fall der Nichtbefolgung, des Bestreitens der Anerkennung oder einer notwendigen Zwangsvollstreckung („in caso di mancata ottemperanza o di contestazione del rinoscimento … ovvero quando sia necessario procedere ad esecuzione forzata“) eine Feststellung der Anerkennungsvoraussetzungen durch den Appellationshof vorsieht (Art. 67 IPRG). Für entsprechend anwendbar erklärt wird dieses Verfahren auf ausländische öffentliche Urkunden ebenfalls nur in Bezug auf Durchsetzung und Vollstreckung („attuazione ed esecuzione“) einer im Ausland für vollstreckbar erklärten Verpflichtung (Art. 68 IPRG). Dazu gehört aber nicht der familienrechtliche Tatbestand eines im Ausland erklärten Vaterschaftsanerkenntnisses, das in Italien auch und gerade zu seiner Eintragung in das Zivilstandsregister keiner besonderen Vollstreckungsanerkennung (Exequatur, Delibation) bedarf (vgl. zur Wirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses in einer deutschen Jugendamtsurkunde die Entscheidung des italienischen Kassationshofs vom 09.03.1988, bei Jayme, IPRax 1989, 326).
29Dem entspricht es, dass im vorliegenden Fall der gerichtliche Beschluss über die Eintragung von N unter dem Nachnamen E im italienischen Geburtsregister (3759/13) vom erstinstanzlichen Gericht in U und nicht etwa vom Appellationshof erlassen wurde. Auch die „Vereinbarung vom 16.11.1966 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über den Verzicht auf die Beglaubigung, den Austausch von Zivilstandsurkunden und die Vorlage der zur Eheschließung erforderlichen Zeugnisse“ (Nr. 0.211.112.445.4 der Systematischen Sammlung des Schweizerischen Bundesrechts, abrufbar unter admin.ch), nach deren Art. 1 und 2 ein von einem Schweizerischen Zivilstandsbeamten ausgestellter Anerkennungsschein zum Gebrauch in Italien keiner Beglaubigung bedarf und die den Vertragsstaaten die Mitteilung solcher Registervorgänge aufgibt, wie sie hier durch Unterrichtung des italienischen Konsulats auch erfolgt ist, spricht für die unmittelbare Wirksamkeit Schweizerischer Kindesanerkennungen in Italien.
30b) Die somit in Italien von Anfang an und nicht erst seit der Eintragung des Kindes N unter dem Namen E in das italienische Geburtsregister als wirksam anzusehende Anerkennung der nichtehelichen Vaterschaft durch den Antragsteller hatte zur Folge, dass ihm am 15.08.2013 gemäß Art. 317bis des italienischen Codice Civile (CC) die elterliche Sorge für das nichteheliche Kind zustand. Denn wie sich aus den Erwägungen zum gewöhnlichen Aufenthalt Ns bis zu diesem Tag (oben zu Nr. 1) ergibt, lebte das Kind bei ihm (in seiner elterlichen Wohnung). Ob darüber hinaus auch der Antragsteller und die Antragsgegnerin im Rechtssinne zusammenlebten, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend; bei Würdigung aller Umstände dürfte davon allerdings auszugehen sein, so dass nach italienischem Recht das Bestehen gemeinsamer Sorge der Eltern anzunehmen sein dürfte.
31Dieses – auch – dem Antragsteller zustehende und von ihm ausgeübte Sorgerecht hat die Antragsgegnerin verletzt, indem sie N ohne seine Zustimmung nach Deutschland verbrachte und dort zurückhält.
323. Gründe für eine Versagung der Rückführung des Kindes nach Italien, die nach den insoweit maßgeblichen strengen Regeln (Art. 13 HKÜ i.V.m. Art. 11 Abs. 4 Brüssel-IIa-VO) die Ausnahme bleiben muss, sind nicht dargetan oder ersichtlich.
33Frühere Zornausbrüche des Antragsteller oder die versehentliche Brandverletzung des Kindes noch während des Zusammenlebens in der Schweiz sind keine Umstände, die aktuell und konkret für eine ungewöhnlich schwere Beeinträchtigung des Kindeswohls sprechen und denen durch keine angemessene Schutzvorkehrungen entgegengewirkt werden könnte. Die von der Antragsgegnerin geschilderten weiteren psychischen Probleme des Antragstellers stehen einer Rückführung des Kindes nach Italien (mit der ja nicht notwendig die Rückkehr nach U in die dortige Wohnung des Antragstellers verbunden ist) ebenfalls nicht entscheidend entgegen.
34Eine nicht anders abwendbare unzumutbare Lage entsteht auch nicht allein dadurch, dass das noch nicht vier Jahre alte Kind – nach Möglichkeit von der Mutter begleitet – bis zur Klärung der Sorgerechtslage nach Italien zurückkehrt, wo es bis Mitte August 2013 seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Anhaltspunkte dafür, dass die Rückführung für N zu einem schweren traumatischen Erlebnis werden könnte, hat der Senat auch bei seiner Anhörung des Kindes nicht gefunden. Im Übrigen hat das Kind noch kein Alter und keinen Grad der Reife erreicht, der es angebracht erscheinen ließe, einen der Rückführung entgegengesetzten Willen zu berücksichtigen (Art. 13 Abs. 2 HKÜ).
354. Auf die zwischenzeitliche Integration des Kindes in Deutschland, von der auszugehen sein dürfte, kommt es in rechtlicher Hinsicht nicht an, weil der Antrag auf Rückführung innerhalb eines Jahres nach dem Verbringen gestellt worden ist (Art. 12 Abs. 2 HKÜ).
36III.
37Die von Amts wegen zum Zwecke der Vollstreckung getroffenen Anordnungen beruhen auf § 44 IntFamRVG.
38Die Kostenentscheidung folgt § 20 Abs. 2 IntFamRVG, §§ 81 Abs. 1, 92 Abs. 2 FamFG, Art. 26 Abs. 4 HKÜ. Für die Wertfestsetzung gilt § 45 Abs. 1 Nr. 3 FamGKG.
39Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 40 Abs. 2 S. 4 IntFamRVG ausgeschlossen.
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Annotations
(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.
(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.
(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.
(1) Ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zuzulassen, so beschließt das Gericht, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. In dem Beschluss ist die zu vollstreckende Verpflichtung in deutscher Sprache wiederzugeben. Zur Begründung des Beschlusses genügt in der Regel die Bezugnahme auf den auszuführenden Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag sowie auf die von der antragstellenden Person vorgelegten Urkunden.
(2) Auf die Kosten des Verfahrens ist § 81 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden.
(3) Ist der Antrag nicht zulässig oder nicht begründet, so lehnt ihn das Gericht durch mit Gründen versehenen Beschluss ab. Für die Kosten gilt Absatz 2.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) In einer Kindschaftssache, die
- 1.
die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge, - 2.
das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft, - 3.
das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, - 4.
die Kindesherausgabe oder - 5.
die Genehmigung einer Einwilligung in einen operativen Eingriff bei einem Kind mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung (§ 1631e Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
(2) Eine Kindschaftssache nach Absatz 1 ist auch dann als ein Gegenstand zu bewerten, wenn sie mehrere Kinder betrifft.
(3) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.
(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.
(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.
(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.