Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 21. Juli 2015 - 20 U 141/15

Gericht
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Der Kläger begehrt mit seiner Klage Invaliditätsleistungen aus einer bei dem Beklagten unter Geltung der AUB 94 genommenen privaten Unfallversicherung, nachdem bei seiner als versicherte Person in die Versicherung einbezogenen Ehefrau, welche als Krankenschwester tätig war, am 10.11.2012 eine Infektion mit Hepatitis C diagnostiziert worden ist. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 03.03.2014 die Erbringung von Leistungen vorgerichtlich mit der Begründung verweigert, der Kläger habe die behauptete Invalidität nicht fristgerecht geltend gemacht.
4Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, seine Ehefrau habe sich die Infektion durch einen Nadelstich zugezogen, der innerhalb eines Jahres vor Feststellung der Infektion erfolgt sei. Seine Ehefrau habe das Unfallereignis bereits im Januar 2013 telefonisch der Agentur des Beklagten gemeldet.
5Der Beklagte hat eine Unfallverletzung, den Eintritt von Invalidität binnen Jahresfrist, die Anzeige des Unfalls im Januar 2013 sowie den Grad der vom Kläger behaupteten Invalidität bestritten. Er hat sich ferner auf den in § 2 II (3) AUB 94 bedungenen Ausschluss berufen, wonach Haut- oder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und die die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangen, nicht als Unfallverletzung gelten.
6Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 30.04.2015 verwiesen.
7Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es mit Blick auf § 2 II (3) AUB 94 auf der Grundlage der Sachdarstellung des Klägers an einem versicherten Unfallereignis fehle. Als geringfügige Hautverletzungen im Sinne dieser Klausel seien Verletzungen anzusehen, die abgesehen von der Infektion keinen Krankheitswert hätten und keiner ärztlichen Behandlung bedürften. Vorliegend sei eine etwaige Verletzung der versicherten Person jedenfalls so unbedeutend, dass sie nicht einmal wahrgenommen worden sei und sich die Frage einer Behandlungsmaßnahme erst gar nicht gestellt habe. Abzustellen sei auf die Erheblichkeit der Hautverletzung als solcher, nicht auf die dadurch verursachte Infektion und deren Folgen.
8Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Er macht geltend, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einer Geringfügigkeit der Hautverletzung ausgegangen. Denn bei einer Nadelstichverletzung würden mit einem scharfen Objekt, der Nadel, sämtliche drei Hautschichten durchstochen, so dass ein erheblicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vorliege. Die Frage der Erheblichkeit der Hautverletzung habe das Landgericht nicht ohne sachverständige Hilfe beantworten können. Das diesbezügliche Beweisangebot des Klägers habe das Landgericht rechtsfehlerhaft übergangen.
9II.
10Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
11Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
12Das Landgericht hat die Klage zu Recht unter Hinweis auf § 2 II (3) AUB 94 abgewiesen.
13Nach dieser Klausel sind Infektionen grundsätzlich nicht von der Unfallversicherung abgedeckt, es sei denn, dass die Krankheitserreger durch ein Unfallereignis in den Körper gelangt sind. Nicht als Unfall gelten hierbei geringfügige Haut- und Schleimhautverletzung. Dieser Wiederausschluss vom Wiedereinschluss (vgl. Senat, Beschl. v. 23.02.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 38, VersR 2008, 342) hält einer Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB stand. Sie benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen. Dieser darf zwar, wenn er eine Unfallversicherung abschließt, einen grundsätzlich umfassenden Schutz gegen Unfälle erwarten, so dass die Klausel eine Einschränkung des Versicherungsschutzes darstellt und somit vom normativen Leitbild der Unfallversicherung abweicht. Die Einschränkung rechtfertigt sich aber damit, dass Gesundheitsschädigungen, die durch Infektionen hervorgerufen werden, nicht zu den Lebensrisiken gehören, die durch die Unfallversicherung abgedeckt werden sollen, was deutlich in der Klausel zum Ausdruck kommt. Das betrifft gerade auch Infektionen aufgrund von Bagatellverletzungen, denn in einem solchen Fall steht als Ursache für die Erkrankung nicht das Unfallereignis, sondern die Infektion im Vordergrund (Senat, a.a.O., Rn. 39 mit weiteren Nachweisen).
14Das Landgericht hat auch zu Recht angenommen, dass es sich bei der vom Kläger behaupteten Nadelstichverletzung um eine geringfügige Hautverletzung im Sinne des Ausschlusses handelt.
15Ob eine Hautverletzung als geringfügig anzusehen ist, beurteilt sich – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht in erster Linie nach der Tiefe oder der oberflächlichen Ausbreitung der Verletzung, sondern danach, ob ein Verletzungsbild entstanden ist, dass – objektiv gesehen – Veranlassung gibt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben (vgl. OLG Köln, Urt. v. 21.09.2012, 20 U 116/12, juris, Rn. 7, VersR 2013, 992 = r+s 2013, 399; LG Dortmund, Urt. v. 02.10.2014, 2 O 459/12, juris, Rn. 14). Denn als geringfügig wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf dessen Verständnismöglichkeiten und Interessen bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen nach ständiger Rechtsprechung abzustellen ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.04.2015, IV ZR 419/13, Rn. 12, VersR 2015, 706), solche Haut- oder Schleimhautverletzungen ansehen, die keiner Behandlung bedürfen oder mit einfachen Mitteln wie etwa einem Pflaster selbst versorgt werden können und bei denen zu erwarten ist, dass sie alsbald folgenlos wieder verheilen (vgl. Senat, Beschl. v. 16.05.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 4, VersR 2008, 342 = r+s 2007, 387; vgl. auch OLG Köln, a.a.O., mit weiteren Nachweisen und LG Dortmund, a.a.O. – jeweils zu Ziff. 5.2.4.2 AUB 2002/04; vgl. zum Problem auch Kloth/Tschersich, r+s 2015, 276, 281 f.). Abzustellen ist hierbei – worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – ausschließlich auf die Verletzung und nicht auf die möglichen Folgen, die dadurch entstehen, dass Erreger in den Körper gelangt sind (Senat, Beschl. v. 16.05.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 4, VersR 2008, 342 = r+s 2007, 387).
16Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.
17Aufgrund des Hinweisbeschluses ist die Berufung zurückgenommen worden.

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.