Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 19. Juli 2016 - 11 WF 106/16

Gericht
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ahlen vom 20./21.04.2016 abgeändert.
Die Ablehnung der Sachverständigen Diplom-Psychologin C ist begründet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt 1.500,00 €.
1
Gründe:
2Die gemäß § 30 Abs. 1 und analog § 6 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 406 Abs. 1, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde des Kindesvaters gegen den sein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts hat in der Sache Erfolg.
31.
4Die nicht miteinander verheirateten Eltern des mittlerweile sechs Jahre alten Kindes Gabriel streiten über die elterliche Sorge. Das betroffene Kind wird derzeit im Haushalt der Kindesmutter betreut und versorgt. Das Amtsgericht hat beschlossen, Beweis zu erheben über die Frage der Erziehungsfähigkeit beider Eltern sowie zu der Frage, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
5Mit Beschluss vom 5.8.2013 hat es die Diplom-Psychologin C mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt. Diese führte zunächst in der Zeit von Oktober 2013 bis Oktober 2014 Explorationsgespräche mit den Eltern, dem betroffenen Kind und weiteren Personen. Eine Interaktionsbeobachtung zwischen Vater und Kind fand im März 2015 statt. Im Oktober 2015 übersandte die Sachverständige ihr schriftliches Gutachten an das Amtsgericht.
6Mit Schriftsatz vom 4.11.2015 lehnte der Kindesvater die Sachverständige wegen – sich aus dem Inhalt des Gutachtens ergebender - Besorgnis der Befangenheit ab. Nach ausführlicher Stellungnahme der Sachverständigen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20./21.4.2016 den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kindesvater mit seiner Beschwerde, mit der er sein Ablehnungsgesuch weiter verfolgt.
72.
8Aus der maßgeblichen Sicht des Kindesvaters ist gem. § 42 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 406 Abs. 1 ZPO und § 30 FamFG die Besorgnis gerechtfertigt, dass die vom Amtsgericht als Sachverständige beauftragte Diplom-Psychologin C befangen sein könnte.
9Die Besorgnis der Befangenheit einer Sachverständigen ist dann anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen lassen. Nicht erforderlich ist, dass die Sachverständige tatsächlich befangen ist, und ebenso unerheblich ist, ob sie sich für befangen hält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.12.1992, 2 BvF 2/90, FamRZ 1993, 899). Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Ausübung der Sachverständigentätigkeit zu rechtfertigen, sind Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, die Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – VII ZB 32/12 –, MDR 2013, 739). In Abgrenzung dazu scheiden rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge eines Verfahrensbeteiligten als Ablehnungsgrund aus (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03 –, MDR 2003, 892). Werden mehrere Gründe für die Ablehnung geltend gemacht, so sind sie nicht jeder für sich, sondern in ihrer Gesamtheit darauf zu prüfen, ob sie den Ablehnungsantrag rechtfertigen (Zimmermann im Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 406 Rn 4).
10Unter Anlegung dieses Maßstabs besteht die Besorgnis der Befangenheit. Der Senat hält das schriftliche Sachverständigengutachten für mangelhaft. Dieser Umstand allein begründet zwar noch nicht die Besorgnis der Befangenheit. Im vorliegenden Fall kommt aber hinzu, dass die Sachverständige in dem Gutachten vielfach ein zum Teil unsachliches Missfallen des Kindesvaters zum Ausdruck bringt. Außerdem zieht sie durch ihre – zu beanstandende Vorgehensweise – an Stellen des Gutachtens Schlüsse zu Lasten des Kindesvaters, an denen sie methodisch nicht gerechtfertigt sind. Dadurch konnte bei dem Kindesvater der Eindruck der Voreingenommenheit der Sachverständigen ihm gegenüber entstehen.
11Die Sachverständige hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass es in der Psychologie bislang keine generalisierbaren Theorien, Methoden und standardisierte Verfahren für die Erstellung familienpsychologischer Gutachten gibt, die jedem Einzelfall vollends gerecht werden. Auch bei den „Qualitätsstandards für psychologisch-diagnostische Gutachten“ aus dem Jahr 2011 handelt es sich um Empfehlungen der Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, die ihrerseits noch keinen standardisierten Charakter haben und außerdem nicht auf die Besonderheiten eines familiengerichtlichen Verfahrens zugeschnitten sind. Aber auch wenn es keine verbindlichen Standards zur Aussagekraft und Zuverlässigkeit verschiedener gutachterlicher Vorgehensweisen in familiengerichtlichen Verfahren gibt, besteht weitgehend Übereinstimmung für den Aufbau und bei der Durchführung von Gutachten in der Familiengerichtsbarkeit. Um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz zu gewährleisten, sollen in einem Gutachten neben allgemeinen Vorbemerkungen, der Wiedergabe des richterlichen Beschlusses und Darstellung des Arbeits-/Untersuchungsplans folgende Gesichtspunkte enthalten sein:
121.
13Übersetzung der juristischen Fragestellung in konkrete psychologische Fragestellungen (sog. hypothesengeleitetes Vorgehen),
142.
15Darstellung der Vorgeschichte aus den Akten und Vorbefunden, soweit sie nach psychologischen Gesichtspunkten relevant ist,
163.
17Bericht über die Untersuchung einschließlich der angewandten diagnostischen Verfahren (z.B. Exploration der Eltern und der Kinder, Verhaltensbeobachtungen, Tests),
184.
19Befund – Zusammenstellung der für die psychologische Fragestellung relevanten Untersuchungsergebnisse,
205.
21Stellungnahme und Beantwortung der vom Gericht gestellten Fragen,
226.
23Interventionsvorschläge, die eine Veränderung bzw. eine Lösung der Familienprobleme möglich machen.
24(vgl. Herrler, Überprüfung und Auswertung von familienpsychologischen Gutachten aus richterlicher Sicht, NZFam 2015, 597).
25Die öffentliche Kritik an Sachverständigengutachten hat zu einer interdisziplinären Arbeitsgruppe geführt, die professionsübergreifend zentrale Mindestanforderungen für die Sachverständigentätigkeit und die Erstellung von Gutachten erarbeitet hat. Erstmals stellt ein Papier professionsübergreifend fachlich begleitet durch das BMJV die zentralen Mindestanforderungen zusammen, die Sachverständige, ihr Vorgehen und ihre Gutachten im Kindschaftsrecht vor Gericht erfüllen müssen (Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2015: Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht; abgedruckt u.a. in: NZFam 2015, 937 ff.).
26Danach sind die Darstellung von Untersuchungsergebnissen und Interventionen sowie Bewertungen und Beurteilungen streng zu trennen. Werden Kriterien als gegeben erachtet, müssen sie sich in der Regel auf mindestens zwei unterschiedliche Informationsquellen beziehen, die sich entweder in den Anknüpfungstatsachen (vor allem Akten) und/oder den Untersuchungsergebnissen finden lassen.
27Diesen Anforderungen wird das schriftliche Gutachten der Sachverständigen C nicht gerecht. Die Mitteilung der Untersuchungsergebnisse und die Darstellung der sich daraus ergebenden (psychologischen) Befunde bei den Eltern und bei dem betroffenen Kind werden durchgängig miteinander vermischt und sind deshalb nicht nachvollziehbar. So bewertet die Sachverständige zum Beispiel die für die Frage der Erziehungsfähigkeit maßgeblichen psychologischen Kriterien zunächst allein auf der Grundlage der Explorationsgespräche mit dem Kindesvater. Danach teilt sie mit, dass sie auch Testverfahren angewendet habe. Im weiteren Verlauf wertet sie die Akte aus dem Strafverfahren gegen den Kindesvater aus, das im Jahr 2008 stattgefunden hat. Aus jeder dieser Erkenntnisquellen leitet sie isoliert einen Befund ab bzw. sieht darin ihre bisherigen Befunde bestätigt. Erst nach der Darstellung der psychologischen Befunde beider Elternteile und des Kindes finden die jeweiligen Interaktionsbeobachtungen der Elternteile mit dem Kind Erwähnung und werden jeweils psychologisch bewertet. Schließlich gibt die Sachverständige den Inhalt ihrer Explorationsgespräche mit dem Ehemann der Kindesmutter sowie der Mutter des Kindesvaters wieder und fügt umfangreiche Informationen aus dem Umfeld der Betroffenen an (Jugendamtsberichte, Arztberichte über die Mutter und das Kind, Bericht des Kindergartens etc.), ohne dass sich dem Leser des Gutachtens erschließt, für welchen psychologischen Befund diese jeweils Relevanz haben sollen.
28Dadurch, dass die Sachverständige, die oben dargestellten Mindestanforderungen an ein familienpsychologisches Gutachten missachtend, nicht zunächst für jeden der Elternteile und das Kind sämtliche Untersuchungsergebnisse zusammengestellt hat und erst im Anschluss daran die sich aus ihrer fachlichen Sicht daraus ergebenden Befunde festgestellt hat, konnte bei dem Kindesvater der Eindruck entstehen, sie sei ihm gegenüber voreingenommen. Denn schon nach den mit ihm allein geführten Explorationsgesprächen hat sie in ihrem Befund nur Kriterien aufgeführt, die gegen seine Erziehungseignung sprechen. Aus der – hier allein maßgeblichen – Sicht des Kindesvaters besteht für ihn Anlass zur Sorge, dass sie mit einer vorgefassten Meinung an die Mitteilung und Bewertung anderer ihn betreffender Untersuchungsergebnisse, insbesondere der Interaktionsbeobachtung, herangegangen ist.
29Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung entsprechend. Ausgeschlossen ist auch, wer bei einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.
(2) Der Beschluss, durch den das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar.
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.
(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.
(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.
(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.
(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.
(1) Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es die entscheidungserheblichen Tatsachen durch eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung feststellt.
(2) Eine förmliche Beweisaufnahme hat stattzufinden, wenn es in diesem Gesetz vorgesehen ist.
(3) Eine förmliche Beweisaufnahme über die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung soll stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird.
(4) Den Beteiligten ist Gelegenheit zu geben, zum Ergebnis einer förmlichen Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, soweit dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich ist.