Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 01. Apr. 2014 - 1 Vollz (Ws) 93/14
Gericht
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 2 StVollzG).
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene befindet sich in der Unterbringung der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt X. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss wollte er am 11.07.2013 um 17.50 Uhr ein Telefonat mittels eines der beiden auf der für ihn zuständigen Abteilung für Sicherungsverwahrte vorhandenen Telefone führen. Das Telefonat kam zu dem o.g. Zeitpunkt nicht zustande, weil offenbar kein Abteilungsbeamter zur Vermittlung des Telefonats verfügbar war. Pro Abteilung für Sicherungsverwahrte stehen für etwa je 15 Untergebrachte zwei Telefone zur Verfügung. Die Telefonate erfolgen wegen der Gebührenerfassung durch Vermittlung der Abteilungsbeamten.
4Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrt der Betroffene die Feststellung, dass es rechtswidrig gewesen sei, dass er zu dem o.g. Zeitpunkt nicht habe telefonieren können.
5Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen, weil der Betroffene am 11.07.2013 um 12.23 Uhr und 18.51 Uhr zwei Telefonate habe führen können. Dass ihm darüber hinaus ein Anspruch auf Durchführung weiterer Telefonate zu bestimmten Zeitpunkten zustehe, sei § 26 Abs. 1 SVVollzG nicht zu entnehmen. Das sich daraus ergebende Recht des Untergebrachten erstrecke sich darauf, überhaupt Telefonate durchführen zu können, nicht aber darauf, dies zu ganz bestimmten Zeiten tun zu können. Dass der Betroffene das Telefonat nicht habe später führen können sei von ihm ebensowenig dargelegt worden wie eine Unaufschiebbarkeit.
6Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form rügt.
7Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen. Ergänzend führt es aus, dass die Rechtsbeschwerde auch unbegründet wäre. Es sei ausreichend, wenn die Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens einen deutlichen Abstand zum Strafvollzug erkennen lasse. Die Anstalt sei aber nicht gehalten, unmögliche oder unzumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, soweit die Maßnahmen insgesamt ausreichen, dem gesetzlichen Anspruch gerecht zu werden.
8II.
9Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 116 Abs. 1 StVollzG), da der Fall Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften aufzustellen. Bei der entscheidungsrelevanten Norm des § 26 SVVollzG handelt es sich um eine erst im vergangenen Jahr eingeführte Vorschrift, zu der noch keine obergerichtliche Rechtsprechung existiert und die von der dieselbe Materie regelnden Vorläufervorschrift des § 32 StVollzG deutlich abweicht.
10Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Auch fehlt es nicht an der Verfahrensvoraussetzung eines zulässigen Antrages auf gerichtliche Entscheidung. Die Fristenregelung des § 112 Abs. 1 StVollzG gilt nicht für den – über die gesetzlich aufgeführten Antragsarten hinaus grds. anerkannten (vgl. nur: KG Berlin NStZ-RR 2008, 92, 93) – Feststellungsantrag (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 112 Rdn. 2). Der Betroffene hat für das hiesige konkrete Begehren (Unmöglichkeit eines Telefonats zu einem bestimmten, von ihm gewünschten Termin) auch das analog § 115 Abs. 3 StVollzG erforderliche Feststellungsinteresse, denn es besteht – da die personelle Ausstattung der Abteilung die jederzeitige Ermöglichung eines Telefonats nicht erlaubt – Wiederholungsgefahr. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung scheitert auch nicht an der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Verpflichtungsklage (vgl. dazu KG a.a.O.). Diese müsste hier daran scheitern, dass die generelle Ermöglichung von Telefonaten zu beliebiger Zeit (auf welche eine Verpflichtungsklage gerichtet sein müsste) auf eine unmögliche Leistung gerichtet wäre, da nach dem Gesetz die Telefonate durch Vermittlung der Anstalt zu führen sind und damit zwangsläufig immer eine, wenn auch regelmäßig zeitlich geringfügige – Verzögerung eintritt. Weitere Verzögerungen können sich aus der Prüfung der Überwachung nach § 26 Abs. 2 S. 1 SVVollzG und der Mitteilung nach § 26 Abs. 2 S. 2 SVVollzG ergeben.
11III.
12Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
13Durch die (faktische) Unmöglichkeit der Durchführung eines Telefonats zu dem o.g. bestimmten Zeitpunkt ist der Betroffene nicht in seinen Rechten verletzt.
14Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG sind den Untergebrachten Telefonate durch Vermittlung der Anstalt zu ermöglichen. Beschränkungen sind lediglich zur Nachtzeit (§ 26 Abs. 1 S. 2 SVVollzG) oder – nach begonnenem Gespräch – aus Gründen der Sicherheit und Ordnung (§§ 26 Abs. 4, 22 Abs. 2 S. 3 und 4 SVVollzG) zulässig.
15Die Regelung des § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG regelt allerdings nur den Anspruch auf die Telefonate (das „Ob“), nicht aber (abgesehen davon, dass sie durch Vermittlung der Anstalt zu führen sind) die Modalitäten der Abwicklung der Telefonate (das „Wie“). Schon aus dem Wortlaut ergibt sich kein jederzeitiger und sofortiger Anspruch auf das Führen von Telefonaten außerhalb der Nachtruhe. Allein schon die Voraussetzung „durch Vermittlung der Anstalt“ beinhaltet eine zwangsläufige Verzögerung. Auch die systematische Auslegung zeigt, dass das Gesetz gerade nicht davon ausgeht, der Untergebrachte habe im Rahmen des § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG einen jederzeitigen und sofortigen Anspruch auf Telefonate außerhalb der Nachtruhe. So beinhaltet die Möglichkeit der Anordnung der Überwachung von Telefonaten nach § 26 Abs. 2 SVVollzG zwangsläufig auch die Einräumung eines bestimmten Prüfungszeitraums, denn ansonsten wäre möglicherweise nur die Alternative, dass jedes Gespräch überwacht würde, was aber gegen den Verhältnismäßigkeitsgrund-satz verstoßen könnte. Auch der Unterschied zu § 26 Abs. 3 SVVollzG zeigt, dass das Gesetz durch § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG keinen jederzeitigen und sofortigen Zugang zum Telefon regelt. Nur die Teilnahme an einem ggf. eingerichteten Telefon-system gibt dem Untergebrachten die Möglichkeit „unmittelbar“ mit Außenstehenden – und damit jederzeit und sofort – in Kontakt zu treten, denn der Gesetzgeber geht hier davon aus, dass hier zufällige und unbemerkte Gesprächskontrollen notwendig sind, weil „im Vorhinein unbekannt ist, wann welcher Untergebrachte mit welcher Person aus seiner Telefonliste in Kontakt treten wird“ (vgl. LT-Drs. 16/1435 S. 80).
16Auch wenn der Untergebrachte grds. keinen Anspruch auf Telefonate zu einem von ihm festgesetzten beliebigen Zeitpunkt hat, muss aber die Praxis der Vermittlung der Telefonate nach § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG darauf ausgerichtet sein, dem „hohen Stellenwert von Telefongesprächen für die Kommunikation des Untergebrachten mit der Außenwelt“ (LT-Drs. 16/1435 S. 80) gerecht zu werden. Eine Praxis oder personelle oder sächliche Ausstattung, die keine oder nur vereinzelte Telefonate oder nur Telefonate zu Zeitpunkten, zu denen sich das mit ihnen verfolgte Anliegen des Untergebrachten bereits erledigt hat, zuließe, wäre damit nicht vereinbar. Dafür ist hier allerdings nichts erkennbar. So stehen auf der Abteilung des Betroffenen 15 Unterge-brachten zwei Telefone zur Verfügung. Damit entfallen auf jeden Sicherungsver-wahrten außerhalb der von 22 Uhr bis 6 Uhr andauernden Nachtruhe (vgl. LT-Drs. 16/1435 S. 75) durschnittlich potentiell über zwei Stunden Telefonierzeit/Tag. Selbst wenn sich diese potentielle Zeit durch Abwesenheiten aufgrund von Arbeit etc., Inan-spruchnahme der Telefone durch andere Untergebrachte o.ä. verkürzt, erscheint jedenfalls eine durchschnittliche potentielle Kommunikationszeit von einer Stunde pro Tag als ausreichend. Wenn dann grundsätzlich Vollzugsbeamte in einer Zahl zur Verfügung stehen, die zeitnah zur Erklärung des Wunsches des Untergebrachten nach einem Telefonat dessen Vermittlung ermöglichen, ist dem gesetzlichen Anliegen hinreichend genüge getan. Als zeitnah sieht der Senat – unter Berück-sichtigung der oben genannten durchschnittlichen potentiellen Kommunikationszeit jedes Untergebrachten auf der Abteilung und der damit verbundenen Möglichkeit, dass auch schon einmal beide Telefone besetzt sein können, sowie der Zeit für eine Prüfung der Überwachung (s.o.) – jedenfalls eine Vermittlung innerhalb von zwei Stunden nach Äußerung des Wunsches nach einem Telefonat als ausreichend an, wenn daneben grds. gewährleistet ist, dass in nachgewiesenen besonderen Eilfällen auch eine kurzfristigere Nutzung des Telefons möglich ist.
17Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Betroffene hier nicht in seinen Rechten verletzt. Zwar ist ihm am 11.07.2013 um 17.50 Uhr kein Telefonat ermöglicht worden, wohl aber um 18.51 Uhr, also nur eine Stunde später. Außerdem hatte er auch bereits um 12.23 Uhr die Möglichkeit, zu telefonieren. Dass es sich um einen besonderen Eilfall gehandelt hat, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
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(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
Dem Gefangenen kann gestattet werden, Ferngespräche zu führen oder Telegramme aufzugeben. Im übrigen gelten für Ferngespräche die Vorschriften über den Besuch und für Telegramme die Vorschriften über den Schriftwechsel entsprechend. Ist die Überwachung der fernmündlichen Unterhaltung erforderlich, ist die beabsichtigte Überwachung dem Gesprächspartner des Gefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung durch die Vollzugsbehörde oder den Gefangenen mitzuteilen. Der Gefangene ist rechtzeitig vor Beginn der fernmündlichen Unterhaltung über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht nach Satz 3 zu unterrichten.
(1) Der Antrag muß binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihrer Ablehnung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt werden.
(2) War der Antragsteller ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(4) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.