Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 14. Jan. 2016 - 1 Vollz (Ws) 595/15
Gericht
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bonn zurückverwiesen.
1
Gründe
2I.
3Die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bonn hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Betroffenen, die JVA A unter Aufhebung des Bescheids vom 10.08.2015 zu verpflichten, ihm die Ausübung eines Ehrenamtes während der Woche vor 16 Uhr zu gestatten, als unbegründet zurückgewiesen.
4Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss ist der Betroffene, dessen Vollzugsverhalten beanstandungsfrei ist, seit dem 22.10.2014 ausgangs- und seit dem 07.11.2014 auch langzeitausgangsgeeignet. In der Zeit vom 17.09.2014 bis zum 19.06.2015 war der Betroffene, der Schulden in Höhe von 40.000,00 € hat, als Hausarbeiter eingesetzt; seit dem 18.05.2015 war er – erfolglos - zur Arbeitssuche in einem freien Beschäftigungsverhältnis zugelassen. Zwischen dem 29.04.2015 und dem 24.06.2015 nahm der Betroffene nach entsprechender Genehmigung durch die JVA an einer Schulung des X zum Thema „Umgang mit demenziell Erkrankten“ teil. Der Betroffene beabsichtigt, nach Haftentlassung seinen Vater bei der Pflege seiner an Demenz erkrankter Mutter zu unterstützen. Die Teilnahme an der Schulung war mit einer Rückkehr in die JVA erst nach 21.00 Uhr verbunden. Der X bot den Teilnehmern der Schulung an, ihre erworbenen Fähigkeiten in ehrenamtlicher Tätigkeit in einem Praktikum anzuwenden, wobei dieses montags bis donnerstags vor 16 Uhr stattfinden würde.
5Den entsprechenden Antrag des Betroffenen lehnte die JVA mit Bescheid vom 10.08.2015 ab, da das Ehrenamt während der Arbeitszeit ausgeübt werden sollte und der Betroffene gemäß § 29 StVollzG NRW arbeitspflichtig sei. Auch stehe die beantragte ehrenamtliche Tätigkeit einem freien Beschäftigungsverhältnis nicht gleich, da es nicht dazu dienen würde, den Betroffenen auch zu befähigen, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
6Nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer erfolgte die Ablehnung des Antrages des Betroffenen zu Recht, da der Betroffene gemäß § 29 StVollzG NRW arbeitspflichtig sei und die als Freizeitgestaltung einzustufende Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit während der Arbeitszeit nicht gestattet sei. Nach dem Konzept des StVollzG NRW seien „Arbeitszeit“ und „Freizeit“ klar voneinander getrennt und nicht zu vermischen. Die Aufnahme einer Freizeitbeschäftigung während der Arbeitszeit sei durch das StVollzG NRW schlichtweg nicht vorgesehen. Der Betroffene sei vielmehr gemäß § 63 Abs. 2 StVollzG NRW verpflichtet, sich an die Tageseinteilung der JVA Y zu halten.
7Der Betroffene macht mit seiner Rechtsbeschwerde geltend, richtigerweise müsse man bei dem beantragten Praktikum zumindest von einer Weiterbildungsmaßnahme ausgehen. Da ihm die JVA keine Arbeit zuweisen konnte, sei im Übrigen die Arbeitspflicht entfallen.
8Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes für unzulässig.
9II.
10Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 116 StVollzG), da die Strafvollstreckungskammer verkannt hat, dass es sich bei der Genehmigung einer als Freizeitbetätigung einzustufenden ehrenamtlichen Tätigkeit auch während der Arbeitszeit um eine Ermessensentscheidung der JVA handelt und die Gefahr besteht, dass unrichtige Entscheidungsmaßstäbe auch in weiteren Verfahren zugrunde gelegt werden, wodurch sich eine unrichtige Rechtsprechung verfestigen könnte.
11III.
12Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der ihr zu entnehmenden Sachrüge – zumindest vorläufig – Erfolg, soweit der angefochtene Beschluss die Ablehnung des Antrags des Betroffenen insgesamt für rechtmäßig erachtet hat.
13Mangels besonderer Ermächtigungsgrundlage handelt es sich bei der Entscheidung der JVA, ob sie einem Gefangenen während der in ihrer Hausordnung gemäß § 102 Satz 1 StVollzG NRW geregelten Arbeitszeit eine als Freizeitmaßnahme eingestufte Teilnahme an einem Praktikum gestattet, um eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG durch die Strafvollstreckungskammer nur eingeschränkt überprüfbar ist.
14Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer dies nicht erkannt. Sie hat ausgeführt, dass der Betroffene zwar „derzeit keiner Beschäftigung nachgehe“, er „jedoch zur Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses zugelassen“ sei und sich daher gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 StVollzG an die Tageseinteilung in der JVA zu halten habe. Im Kern ist sie daher – unzutreffend – von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen.
15Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zurückzuverweisen.
163.
17Für die neuerliche Behandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass Strafgefangene gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW nur verpflichtet sind, eine ihnenzugewiesene Beschäftigung auszuüben. Dies war nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses gerade nicht der Fall. Soweit dem Gefangenen eine Beschäftigung aber nicht zugewiesen ist, besteht für diesen keine Arbeitspflicht (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 28.02.1979 – Ws 453/78, ZfStrVo SH 1979, 57).
18Weiterhin dürfte es ermessensfehlerhaft sein, einem Gefangenen, der unverschuldet unbeschäftigt ist und keine Gefangenenvergütung erhält bzw. unverschuldet nicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht, eine Nutzung der ihm – ansonsten eher nutzlos – zur Verfügung stehenden Tageszeit durch Vertiefung der in einer zuvor von der JVA vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgedankens genehmigten Schulung zum Umgang mit demenziell Erkrankten erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten allein mit der Begründung abzulehnen, er erziele dadurch keine Einkünfte. Auch wird die Strafvollstreckungskammer in den Blick zu nehmen haben, dass der Betroffene bereits seit geraumer Zeit langzeitausgangsgeeignet ist und die Schulungsmaßnahme zuvor völlig beanstandungsfrei durchgeführt wurde, wobei die tägliche Rückkehr in die JVA erst nach 21.00 Uhr erfolgte. Insoweit dürfte sich auch die Prüfung aufdrängen, ob – was nahe liegt – auch schon diese Maßnahme unter Erteilung eines Dispenses im Hinblick auf die Einhaltung der Tagesordnung genehmigt wurde. Soweit im Rahmen der Begründung der Rechtsbeschwerde vorgetragen wurde, das angestrebte Praktikum sei auch geeignet, den Einstieg in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu erleichtern bzw. stehe einer Weiterbildungsmaßnahme gleich, dürfte auch dies weiterer Aufklärung bedürfen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Frage, ob sich das Praktikum zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigt hat.
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(1) Der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger wird nicht überwacht. Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zugrunde, gelten § 148 Abs. 2, § 148a der Strafprozeßordnung entsprechend; dies gilt nicht, wenn der Gefangene sich in einer Einrichtung des offenen Vollzuges befindet oder wenn ihm Lockerungen des Vollzuges gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 zweiter Halbsatz oder Urlaub gemäß § 13 oder § 15 Abs. 3 gewährt worden sind und ein Grund, der den Anstaltsleiter nach § 14 Abs. 2 zum Widerruf oder zur Zurücknahme von Lockerungen und Urlaub ermächtigt, nicht vorliegt. Satz 2 gilt auch, wenn gegen einen Strafgefangenen im Anschluß an die dem Vollzug der Freiheitsstrafe zugrundeliegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zu vollstrecken ist.
(2) Nicht überwacht werden ferner Schreiben des Gefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Europäische Kommission für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 und 2 genannten Stellen, die an den Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht.
(3) Der übrige Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.
Mit Zustimmung des Gefangenen soll die Vollzugsbehörde ärztliche Behandlung, namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchführen lassen, die seine soziale Eingliederung fördern. Er ist an den Kosten zu beteiligen, wenn dies nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt ist und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen.
(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen.
(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Mit Zustimmung des Gefangenen soll die Vollzugsbehörde ärztliche Behandlung, namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchführen lassen, die seine soziale Eingliederung fördern. Er ist an den Kosten zu beteiligen, wenn dies nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt ist und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird.
(1) Der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger wird nicht überwacht. Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zugrunde, gelten § 148 Abs. 2, § 148a der Strafprozeßordnung entsprechend; dies gilt nicht, wenn der Gefangene sich in einer Einrichtung des offenen Vollzuges befindet oder wenn ihm Lockerungen des Vollzuges gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 zweiter Halbsatz oder Urlaub gemäß § 13 oder § 15 Abs. 3 gewährt worden sind und ein Grund, der den Anstaltsleiter nach § 14 Abs. 2 zum Widerruf oder zur Zurücknahme von Lockerungen und Urlaub ermächtigt, nicht vorliegt. Satz 2 gilt auch, wenn gegen einen Strafgefangenen im Anschluß an die dem Vollzug der Freiheitsstrafe zugrundeliegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zu vollstrecken ist.
(2) Nicht überwacht werden ferner Schreiben des Gefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Europäische Kommission für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 und 2 genannten Stellen, die an den Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht.
(3) Der übrige Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.