Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 16. Sept. 2014 - 1 Vollz (Ws) 446/14
Gericht
Tenor
Dem Betroffenen wird kostenfrei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen (§ 121 Abs. 2 StVollzG).
1
Gründe:
2I.
3Der Betroffene befindet sich aufgrund eines Urteils des Landgerichts Bochum vom 07. Mai 1993 im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt C. Seit dem 17. Januar 2014 können die Sicherungsverwahrten dort an einem Telefonkontensystem (§ 26 Abs. 3 SVVollzG NW) teilnehmen, welches ihnen eine höhere Eigenständigkeit bei der Führung der ihnen gesetzlich zustehenden Telefonate durch eine unmittelbare eigene Anrufmöglichkeit bieten soll. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Untergebrachten die Namen der Personen, die sie unmittelbar – mithin ohne Vermittlung der Anstalt – über dieses System erreichen wollen, zuvor der Anstalt mitteilen, damit diese in eine so genannte „Weißliste“ genehmigter Gesprächsteilnehmer aufgenommen werden können.
4Weitere Bedingung für die Aufnahme potentieller Gesprächspartner in die Liste ist die Abgabe einer Einwilligungserklärung des Gesprächspartners, welche einerseits die Zustimmung enthält, als zugelassener Gesprächsteilnehmer eines Untergebrachten mit Namen und Telefonnummer elektronisch erfasst zu werden, sowie andererseits auch das Einverständnis, dass aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt einzelne Telefonate mitgehört werden. Auf diese Möglichkeit wird jeweils vor einem Telefonat zusätzlich durch eine elektronische Bandansage hingewiesen. Es wird indessen nicht jedes Gespräch mitgehört; die Überwachung findet vielmehr nur unregelmäßig in Stichproben statt.
5Am 07. April 2014 beantragte der Antragsteller die Freischaltung der Telefonnummern von drei Personen, welche zur Abgabe der vorstehend erläuterten Einwilligungserklärung nicht bereit waren. Die Freischaltung wurde abgelehnt.
6Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit welchem der Betroffene geltend gemacht hat, durch die Ablehnung der Freischaltung in seinen Rechten aus § 26 SVVollzG NW sowie aus Art. 2 GG nicht nur durch die Notwendigkeit einer Einwilligungserklärung und die Möglichkeit einer Überwachung der Telefonate, sondern auch deshalb verletzt zu sein, weil den potentiellen Gesprächspartnern unter Verstoß gegen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung in den Einwilligungsformularen seine Eigenschaft als Sicherungsverwahrter offenbart wird, hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das seitens der JVA C zur Einrichtung des Telefonkontensystems vorgesehene Verfahren einschließlich der erforderlichen Einwilligungen entspreche in vollem Umfang den gesetzlichen Vorgaben des § 26 Abs. 3 SVVollzG NW und halte auch verfassungsrechtlicher Prüfung stand.
7Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er die Sach- und Verfahrensrüge, und hierzu insbesondere die „Aufklärungsrüge“ mit der Begründung erhebt, die Strafvollstreckungskammer habe ungeachtet seines Vorbringens, dass er einem Verfahren der Vollzugsanstalt entgegentrete, bei dem bei jedem Kontakt automatisch der Gesprächspartner schon vor der eigentlichen Gesprächssituation darüber informiert werde, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Sicherungsverwahrten handele, allein auf die Regelung des § 26 Abs. 3 SVVollzG NW abgestellt und dementsprechend nicht aufgeklärt, ob die Vollzugsanstalt den Betroffenen zwingen könne, das Telefonkontensystem mit vorgeschriebener Einwilligung zu nutzen und – entsprechend einer Formulierung im Einwilligungsformular der Vollzugsanstalt – „nur in begründeten Ausnahmefällen“ eine Vermittlung von Telefonaten gemäß § 26 Abs. 1 SVVollzG NW zu gewähren.
8Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
9II.
10Das Rechtsmittel des Betroffenen hat keinen Erfolg.
11- 12
1.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde allerdings zu, da es vorliegend im Sinne des § 116 Abs. 1 S. 1 StVollzG geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Die im vorliegenden Fall aufgeworfene Problematik, ob die Teilnahme an einem Telefonkontensystem und die Freischaltung von Rufnummern von einer Einwilligung der potentiellen Gesprächspartner in eine Speicherung ihrer Daten sowie die Möglichkeit eines unregelmäßigen Mithörens der Gespräche abhängig gemacht werden kann, hat der in Nordrhein-Westfalen landesweit für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerden in Vollzugssachen zuständige Senat für den Fall der Unterbringung eines Sicherungsverwahrten unter Geltung des am 01. Juni 2013 in Kraft getretenen SVVollzG NW bisher nicht entschieden.
14Der Senat hat insoweit lediglich für den Geltungsbereich des für Strafgefangene geltenden Strafvollzugsgesetzes mit Beschluss vom 31. Oktober 2008 - 1 Vollz(Ws) 635/08, juris - entschieden, dass das Strafvollzugsgesetz keine Handhabe bietet, zur Zulassung der freiwilligen Teilnahme an einem Telefonkontensystem von dem Gefangenen und seinen Gesprächspartnern eine schriftliche Einwilligung zu fordern, dass die Justizvollzugsanstalt befugt sein soll, ohne besonderen Anlass und ohne dass die Gesprächsteilnehmer dies bemerken, die geführten Telefongespräche mitzuhören. Da der Betroffene als Sicherungsverwahrter nunmehr nicht mehr dem Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes unterfällt, ist die vorgenannte Senatsentscheidung für die nunmehr zur Entscheidung anstehende Fallkonstellation nicht vorgreiflich.
152.
16Die – nach Gewährung von Wiedereinsetzung – fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.
17a. Soweit der Betroffene nunmehr allerdings mit der Rechtsbeschwerde als „Aufklärungsrüge“ geltend macht, die Strafvollstreckungskammer habe sich rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage befasst (nicht „aufgeklärt“), ob die Vollzugsanstalt berechtigt sei, den Betroffenen zur Nutzung des vorhandenen Telefonkontensystems mit vorgeschriebener Einwilligung zu „zwingen“ und nur in begründeten Ausnahmefällen noch eine Vermittlung von Telefonaten gemäß § 26 Abs. 1 SVVollzG NW zu gewähren, ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst, da insoweit ein diese Frage berührender Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht vorliegt. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung war ausschließlich darauf gerichtet, ihn „an dem Telefonsystem teilnehmen zu lassen, ohne(!) dass ich eine `Einwilligungserklärung für Gesprächsteilnehmer´ vorlegen muss“. Ein etwaiger seitens der JVA abgelehnter Antrag des Betroffenen auf Vermittlung eines Gesprächs zu einem der gewünschten und nicht zu der für die Teilnahme am Telefonkontensystem erforderlichen Einwilligung bereiten Gesprächspartner ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
18b. Die auf die allgemein erhobene Sachrüge durchzuführende Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen.
19Die Strafvollstreckungskammer hat zutreffend ausgeführt, dass das seitens der Antragsgegnerin praktizierte Verfahren zur Nutzung des Telefonkontensystems in vollem Umfang den gesetzlichen Vorgaben des § 26 Abs. 3 SVVollzG NW unter Berücksichtigung der hierzu erfolgten amtlichen Gesetzesbegründung entspricht. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung bestehen schon deshalb nicht, da die mit dem Einwilligungserfordernis einhergehenden Einschränkungen der Rechte des Betroffenen unter Berücksichtigung der Sicherheitserfordernisse der Anstalt und der Allgemeinheit lediglich im gebotenen und mithin angemessenen Umfang erfolgen. Dabei ist zudem zu beachten, dass es sich bei dem Telefonkontensystem um eine über die grundsätzlich den Anspruch auf Telekommunikation regelnden Vorschriften des § 26 Abs. 1 und 2 SVVollzG NW hinausgehende und von vornherein nur fakultative Möglichkeit einer vereinfachenden Abwicklung des Telefonverkehrs handelt, zu deren Bereitstellung die Vollzugsanstalt einerseits und zu deren Inanspruchnahme der Sicherungsverwahrte andererseits nicht verpflichtet ist und auch nicht verpflichtet werden kann.
20Nimmt der Sicherungsverwahrte nicht am Telefonkontensystem teil, bleibt ihm nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in jedem Fall der Anspruch auf Vermittlung von Telefongesprächen durch die Einrichtung gemäß § 26 Abs. 1 SVVollzG NW. Zum Inhalt und Umfang dieses Anspruchs, der vorliegend keiner näheren Erörterung bedarf, wird auf die Entscheidung des Senats vom 1. April 2014 – OLG Hamm, III-1 Vollz(Ws) 93/14, juris – Bezug genommen.
21Ob der Betroffene berechtigt ist, lediglich hinsichtlich einzelner Gesprächspartner das Telefonkontensystem und im Übrigen weiterhin die Vermittlung der Anstalt in Anspruch zu nehmen, ist nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens und bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung. Der Senat weist jedoch die Antragsgegnerin allerdings vorsorglich darauf hin, dass die in der Einwilligungserklärung für die Sicherungsverwahrten enthaltene sanktionsgleiche Rechtsfolge einer zeitlich nicht begrenzten Reduzierung vermittelter Telefongespräche auf „begründete Ausnahmefälle“ im Falle eines Ausschlusses vom Telefonkontensystem („Wenn sie an dem Telefonsystem nicht mehr teilnehmen dürfen, können Telefonate gemäß § 26 Absatz 1 SVVollzG NRW gestattet werden. Dies jedoch nur in begründeten Ausnahmefällen.“) rechtlich bedenklich erscheint, da die vorgesehene Reduzierung der Telefonkontakte auf „begründete Ausnahmefälle“ der Regelung des § 26 Abs. 1 SVVollzG NW widerspricht und auch in den weiteren Vorschriften des SVVollzG NW keine Stütze findet. Der abschließende Katalog disziplinarrechtlicher Maßnahmen des § 80 SVVollzG NW sieht in Abweichung zu den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes (vgl. § 103 Abs. 1 Nr. 8 StVollzG: „Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten“) eine Beschränkung des Kontaktes zu Personen außerhalb der Anstalt nicht vor. Auch die Regelung des § 27 SVVollzG NW betreffend ein etwaiges Verbot oder die Beschränkung von Telefonkontakten rechtfertigt die zudem nach dem Wortlaut unbefristet vorgesehene Beschränkung der Telefonkontakte nicht.
22Der vom Betroffenen für den Fall einer sein Begehren abweisenden Entscheidung erstrebten Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof im Hinblick auf von ihm zitierte – angeblich – anderweitige obergerichtliche Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg bedarf es vorliegend nicht, da sich die vorliegende Entscheidung allein auf die landesrechtliche Regelung des SVVollzG NW bezieht. Der Gesetzgeber hat sich mit der Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer bewusst für die Möglichkeit der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung des Straf- und Maßregelvollzuges in den einzelnen Bundesländern entschieden. Daraus folgt notwendigerweise auch die Möglichkeit einer unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtsprechung.
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(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind:
- 1.
Verweis, - 2.
die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten, - 3.
die Beschränkung oder der Entzug des Lesestoffs bis zu zwei Wochen sowie des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen, - 4.
die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten, - 5.
die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen, - 6.
(weggefallen) - 7.
der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge, - 8.
die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten, - 9.
Arrest bis zu vier Wochen.
(2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.
(3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.
(4) Die Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 bis 8 sollen möglichst nur angeordnet werden, wenn die Verfehlung mit den zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnissen im Zusammenhang steht. Dies gilt nicht bei einer Verbindung mit Arrest.