Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 06. Sept. 2016 - II-2 UF 87/16
Gericht
Tenor
I.Auf die Beschwerde der Pflegeeltern wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Duisburg-Ruhrort vom 18.05.2016 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 09.06.2016 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Pflegeeltern des am 28.06.2015 geborenen Kindes P. werden als Beteiligte hinzugezogen.
II.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
III.Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Pflegeeltern, bei denen sich das Kind P. – von wenigen Tagen abgesehen – seit seiner Geburt in (Bereitschafts-) Pflege befindet, begehren in dem vorliegenden Verfahren, in welchem ein Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB in Rede steht, ihre (förmliche) Beteiligung als Pflegeeltern.
4Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18.05.2016 zurückgewiesen und hierbei unter anderem darauf verwiesen, dass sich P. bei ihnen lediglich vorübergehend in Bereitschaftspflege befinde. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 133 ff. GA) verwiesen.
5Hiergegen wenden sich die Pflegeeltern mit ihrer Beschwerde, mit welcher sie ihren Antrag, an dem Verfahren beteiligt zu werden, weiter verfolgen. Es ginge nicht an, dass sie einerseits in die gutachterliche Untersuchung einbezogen werden sollten, andererseits keine Möglichkeit haben sollten im Rahmen einer förmlichen Beteiligung, sich mit dem einzuholenden Gutachten auseinanderzusetzen. Unstreitig sei auch, dass das Kind P. seit längerer Zeit in Familienpflege lebe. Bei den hierdurch entstandenen Bindungen handele es sich allerdings nicht nur um „relativ enge Bindungen“, wie das Amtsgericht ausgeführt habe, sondern sie seien als Pflegeeltern zu den sozialen und psychologischen Eltern geworden, nachdem P. zum Zeitpunkt der Unterbringung 5 Tage alt gewesen sei und seither bei ihnen lebe. Eine Unterscheidung zwischen Bereitschafts- und Dauerpflege, wie sie das Amtsgericht gemacht habe, werde weder im BGB noch im FamFG vorgenommen. Im Übrigen sei vorliegend sicherlich der zeitliche Rahmen einer Bereitschaftspflege weit überschritten. Würden Kinder, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht worden seien und dort Bindungen zu den Pflegeeltern aufgebaut hätten, in eine andere Pflegefamilie wechseln, um dort ein Dauerpflegeverhältnis zu begründen, würde dies den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widersprechen. Die Argumentation, dass der Aufenthalt P’s bei ihnen nur vorübergehend und daher keine Beteiligung geboten sei, liege deshalb neben der Sache. Aus den vorstehenden Erwägungen folge zugleich, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liege. Dass sie dem Wohl des Kindes schaden würde, sei nicht ersichtlich.
6Der Verfahrensbeistand erachtet eine Beteiligung der Pflegeeltern im Hinblick aufdas Kindeswohl nicht für zielführend. Die Pflegeeltern würden verkennen, dass es sich bei der installierten Jugendhilfemaßnahme unverändert um ein (zeitlich begrenztes) Bereitschaftspflegeverhältnis handele und die weitere Lebensperspektive P’s – ergebnisoffen – familiengerichtlich erst noch zu klären sei.
7Das Jugendamt hat mitgeteilt, dass nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens mit allen relevanten Beteiligten die Frage des weiteren Lebensmittelpunktes P’s erörtert werde. Bei der dann zu treffenden Entscheidung werde auch die bereits bestehende Bindung zu den jetzigen Bereitschaftspflegeeltern berücksichtigt. Ein Verbleib in der jetzigen Bereitschaftspflegefamilie und die damit verbundene Einrichtung eines Dauerpflegeverhältnisses werde mit Blick auf das Kindeswohl vorrangig geprüft.
8II.
9Die nach §§ 7 Abs. 5 Satz 2 FamFG, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Amtsgericht den Antrag der Pflegeeltern, nach §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 Satz 1 FamFG am Verfahren beteiligt zu werden, zurückgewiesen.
10Es entspricht vorliegend pflichtgemäßem Ermessen, die Pflegeeltern zu beteiligen.
11Mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht angenommen, dass sich P. seit längerer Zeit in Familienpflege bei den Pflegeeltern befindet.
12Nicht gefolgt werden kann dem Amtsgericht indes darin, dass sich nicht feststellen lässt, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt.
13Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/6308, S. 241) ist ein entsprechendes Interesse zu bejahen, wenn die Beteiligung dem Kindeswohl dienen kann, mithin die Tatsache, dass die Pflegepersonen aufgrund einer formellen Beteiligung unter anderem über den Fortgang des Verfahrens und die Beweisergebnisse informiert werden und aktiv auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen können, dem Kindeswohl dienen kann. Zu berücksichtigen ist hierbei nach der Gesetzesbegründung ferner, ob es dem Kindeswohl dienen kann, dass die Pflegepersonen unmittelbar in die Entscheidung des Gerichts einbezogen werden können, so z.B. bei der Regelung des Umgangs mit dem Kind.
14Hiervon ausgehend liegt eine Beteiligung im Interesse P’s.
15Auch wenn § 161 Abs. 1 Satz 1 FamFG per se eine längere Familienpflege voraussetzt, besteht hier die Besonderheit, dass sich P. – abgesehen von wenigen Tagen − von Geburt an durchgängig bei den Pflegeeltern aufgehalten hat, so dass diese diejenigen Personen sind, die ihn und seine Bedürfnisse mit Abstand am besten kennen und daher – in Ergänzung der Ausführungen der übrigen Beteiligten - zuverlässig Auskunft über ihn aus erster Hand erteilen können. Inwieweit das für sich genommen eine Beteiligung rechtfertigen oder ob insoweit eine bloße Anhörung genügen würde, bedarf keiner Entscheidung. Denn vorliegend besteht die weitere Besonderheit, dass die Einbeziehung der Pflegeeltern in das zu erstellende Sachverständigengutachten erfolgen soll. Schon vor dem Hintergrund der Vermeidung von Missverständnissen und zur Klärung der Tatsachengrundlagen ist es deshalb zur Ermöglichung einer umfassenden Sachaufklärung, welche dem Kindeswohl dient, angebracht, den Pflegeeltern als Beteiligten unter anderem die Möglichkeit zu eröffnen, von dem Gutachten Kenntnis zu nehmen und hierzu– soweit geboten – Stellung zu nehmen sowie gegebenenfalls eine ergänzende Stellungnahme zu beantragen. Ganz entscheidend kommt noch hinzu, dass das Jugendamt zwischenzeitlich mitgeteilt hat, angesichts des bereits seit langer Zeit bestehenden Bereitschaftspflegeverhältnisses einen Verbleib bei den derzeitigen Pflegeeltern im Wege der Dauerpflege zu prüfen. Das bedeutete aber, dass vorliegend auch eine Einbeziehung der Pflegeeltern bei der für den Fall eines (teilweisen) Sorgerechtsentzugs zu klärenden Frage, wer gegebenenfalls als Vormund oder Ergänzungspfleger in Betracht kommt, zu erfolgen hätte. Denn hierfür kommen potentiell auch die späteren Betreuungspersonen in Betracht. Zudem soll sich das Gutachten auch zu einer möglichen Betreuungskonzeption verhalten. Auch insoweit ist nach dem Vorstehenden eine unmittelbare Einbeziehung der Pflegeeltern als potentiellen Dauerpflegeeltern sinnvoll, so dass in der Gesamtschau eine Beteiligung in jedem Fall dem Kindeswohl dienen könnte und damit nach der Gesetzesbegründung dem Interesse des Kindes.
16Angesichts dessen bedarf keiner Klärung, ob, wie teilweise angenommen, das Bestehen eines längeren Pflegeverhältnisses die Vermutung begründet, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt. Denn vorliegend treten – wie dargetan - zu der besonders langen Bereitschaftspflege, die von Geburt an bestand, weitere Umstände hinzu, die in der Gesamtschau im konkreten Einzelfall die Annahme rechtfertigen, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt, mithin die Beteiligung dem Kindeswohl dienen kann. Aspekte, die dem entgegen stehen könnten, insbesondere Umstände, aufgrund derer eine Beteiligung vorliegend dem Kindeswohl schaden könnte, sind nicht ersichtlich und auch nicht dargetan.
17Da auch sonstige Gründe, die gegen eine Beteiligung der Pflegeeltern sprechen könnten, nicht ersichtlich sind, entspricht es pflichtgemäßen Ermessen, die Pflegeeltern zu beteiligen. Die Ermessensentscheidung des Amtsgerichts, welche bereits im Hinblick darauf, dass das Amtsgericht von einer lediglich vorübergehenden Bereitschaftspflege ausgegangen ist, keinen Bestand haben kann, war daher entsprechend abzuändern und das Ermessen des Amtsgerichts durch das Ermessen des Senats zu ersetzen.
18III.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 FamGKG.
20Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamFG.
21Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 ZPO ist im Hinblick darauf, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, nicht veranlasst.
22Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
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(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
- 1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, - 2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, - 3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält, - 4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen, - 5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, - 6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
(1) In Antragsverfahren ist der Antragsteller Beteiligter.
(2) Als Beteiligte sind hinzuzuziehen:
- 1.
diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird, - 2.
diejenigen, die auf Grund dieses oder eines anderen Gesetzes von Amts wegen oder auf Antrag zu beteiligen sind.
(3) Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag weitere Personen als Beteiligte hinzuziehen, soweit dies in diesem oder einem anderen Gesetz vorgesehen ist.
(4) Diejenigen, die auf ihren Antrag als Beteiligte zu dem Verfahren hinzuzuziehen sind oder hinzugezogen werden können, sind von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen, soweit sie dem Gericht bekannt sind. Sie sind über ihr Antragsrecht zu belehren.
(5) Das Gericht entscheidet durch Beschluss, wenn es einem Antrag auf Hinzuziehung gemäß Absatz 2 oder Absatz 3 nicht entspricht. Der Beschluss ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar.
(6) Wer anzuhören ist oder eine Auskunft zu erteilen hat, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 2 oder Absatzes 3 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.
(1) Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Pflegeperson im Interesse des Kindes als Beteiligte hinzuziehen, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt. Satz 1 gilt entsprechend, wenn das Kind auf Grund einer Entscheidung nach § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bei dem dort genannten Ehegatten, Lebenspartner oder Umgangsberechtigten lebt.
(2) Die in Absatz 1 genannten Personen sind anzuhören, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt.
(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.
(1) Der Beschluss wird wirksam mit Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist.
(2) Ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Dies ist mit der Entscheidung auszusprechen.
(3) Ein Beschluss, durch den auf Antrag die Ermächtigung oder die Zustimmung eines anderen zu einem Rechtsgeschäft ersetzt oder die Beschränkung oder Ausschließung der Berechtigung des Ehegatten oder Lebenspartners, Geschäfte mit Wirkung für den anderen Ehegatten oder Lebenspartner zu besorgen (§ 1357 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auch in Verbindung mit § 8 Abs. 2 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), aufgehoben wird, wird erst mit Rechtskraft wirksam. Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. Der Beschluss wird mit Bekanntgabe an den Antragsteller wirksam.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.