Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 21. Juli 2014 - I- 8 U 132/09
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 24.11.2009 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten
1
G r ü n d e :
2A.
3Der am 16.10.1951 geborene Kläger litt im November 2004 unter grippeähnlichen Symptomen und unter einem leicht ziehenden Schmerzempfinden im Rückenbereich. Am 14.11.2001 traten massive Rückenschmerzen auf, die ihn dazu veranlassten, in der folgenden Nacht gegen 4.00 Uhr das B…-Krankenhaus in W… aufzusuchen. Eine dort angefertigte Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule zeigte keinen auffälligen Befund; man diagnostizierte eine Ischialgie. Am folgenden Tag suchte der Kläger den Orthopäden Dr. F... auf, der ihm zur Schmerzlinderung zwei Injektionen verabreichte. Am 16.11.2001 war die Beschwerdesymptomatik rückläufig; allerdings verspürte der Patient beim Wasserlassen ein leichtes Brennen. Am 17.11.2001 stellte sich der Kläger gegen 2.00 Uhr als Notfall in der orthopädischen Klinik des S…. J… Krankenhauses in W… vor, weil die Schmerzen in der Nacht unerträglich geworden waren. Trägerin des Krankenhauses ist die Beklagte zu 2), Chefarzt der Abteilung der Beklagte zu 1). Bei der klinischen Aufnahmeuntersuchung stellte man ausweislich der handschriftlichen Behandlungsdokumentation bei dem nicht stehfähigen Patienten einen paravertebralen Druckschmerz fest, der in beide Beine ausstrahlte; der Patellarsehnenreflex war beidseits auslösbar, der Achillessehnenreflex nicht; die Blasen- und Mastdarmfunktion war nicht sicher intakt. Im Laufe der Nacht verschlechterte sich das Krankheitsbild dahingehend, dass am Morgen eine rechtsseitige Fußheberschwäche bestand. Angesichts dessen veranlasste der Beklagte zu 1) ein Notfall-Computertomogramm der Lendenwirbelsäule, das ausweislich des Befundberichtes vom 11.02.2002 einen Bandscheibenvorfall im Bereich L 4 / L 5 und L 5 / S 1 mit einer Nervenwurzel- und Spinalkanalkompression zeigte; eine Laboruntersuchung ergab einen Anstieg des CRP-Wertes auf 31,5 mg/dl und eine Leukozytose von 18.480. Der Beklagte zu 1) entschloss sich zu einer chirurgischen Dekompression, die er nach einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Patienten gegen 14.00 Uhr nach Darstellung des Klägers als alleiniger Operateur durchführte; bei dem Eingriff erwies sich der Zugang als erschwert; auch traten Blutungen auf, die sukzessive durch Koagulation gestillt werden mussten. Postoperativ kam es zunächst zu einem Abfall der Leukozyten auf 13900, sodann aber wieder zu einem Anstieg der Entzündungsparameter und zu einer Verschlechterung des Allgemeinzustands; der Kläger litt unter einer zunehmenden Fußheberschwäche und unter Sensibilitätsstörungen im Penisbereich. Man veranlasste deshalb am 19.11.2001 eine Magnetresonanztomographie der unteren Brust- sowie der Lendenwirbelsäule; dabei fand man lediglich ein diffuses Ödem im operierten Segment L 4 bis S 1, aber keinen Hinweis auf eine intraspinale Blutung oder einen Abszess (Bericht vom 20.11.01, 179 f GA). Wegen des weiteren Anstiegs der Leukozyten auf 19.700 und des CRP-Wertes auf 44,1 mg/dl leitete man eine antibiotische Therapie mit „Clindamycin“ und „Cefazolin“ ein. Man zog einen Neurologen konsiliarisch hinzu; dieser stellte eine Nackensteifigkeit sowie eine schlaffe Paraplegie beider Beine fest und vermutete einen entzündlichen spinalen Prozess mit einer Begleitmeningitis; er empfahl eine Verlegung in die neurologische Klinik in W…. Dort wurde der Patient am 20.11.2001 stationär aufgenommen; ein am 23.11.2001 angefertigtes Magnetresonanztomogramm der Lendenwirbelsäule ergab Hinweise auf ein entzündliches Geschehen innerhalb des Duralsackes. Angesichts dieses Befunds verlegte man den Patienten als Notfall erneut in die orthopädische Klinik der Beklagten zu 2), wo man noch am selben Tag eine Revisionsoperation durchführte, bei der nach einer Abtragung von entzündlich ödematösem Gewebe und einer Kontrolle des ursprünglichen Operationsgebiets eine ausgiebige Spülung des Wundbereichs erfolgte; als bakterieller Erreger wurde der Keim Staphylokokkus aureus nachgewiesen. In der Zeit vom 19.12.2001 bis zum 8.2.2002 sowie vom 13.2.2002 bis zum 26.6.2002 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme in H… teil; während dieser Behandlung bildeten sich die Ausfallerscheinungen nur teilweise zurück : Der Patient ist von der Hüfte ab querschnittsgelähmt; auch leidet er unter einer Blasen- und Darmlähmung.
4Der Kläger hat zunächst ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren (80 Js 40/03 StA W…) eingeleitet, in dessen Verlauf der Sachverständige Prof. Dr. E... ein Gutachten erstattet hat (21.7.04, 125 ff AH; 24.7.05, 194 ff GA), welches er und die Sachverständige Dr. L… mehrfach ergänzt haben. Nunmehr macht er unter Bezugnahme auf ein neurochirurgisches Privatgutachten (Dr. P…) und gutachterliche Stellungnahmen des Neurologen Prof. Dr. J… zivilrechtliche Ersatzansprüche geltend. Er hat behauptet, bei ihm habe im November 2001 kein Bandscheibenvorfall, sondern eine bakterielle Radikulitis vorgelegen; typischerweise habe er unter grippeähnlichen Beschwerden und einer langsam fortschreitenden Schmerzsymptomatik gelitten. In dem Krankenhaus habe man eine entzündliche Ursache des Krankheitsbildes nicht in Betracht gezogen und deshalb fehlerhaft von der frühzeitigen Hinzuziehung eines Neurologen sowie der Durchführung einer Magnetresonanztomographie abgesehen; bei der gebotenen Diagnostik hätte man die Beschwerden durch eine sofortige antibiotische Therapie beheben können. Der chirurgische Eingriff vom 17.11.2001 sei auch technisch fehlerhaft durchgeführt worden, da er in einen bakteriellen Infektionsherd erfolgt sei; ferner hätte der Beklagte zu 1) einen Assistenten hinzuziehen müssen. Schließlich sei er vor der Operation nicht einwandfrei aufgeklärt worden; wegen der erheblichen Schmerzen habe er einer Belehrung nicht folgen können; man hätte deshalb seine Ehefrau über das weitere Vorgehen informieren und ihre Zustimmung einholen müssen. Zum Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen sei ihm ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 € zuzubilligen; außerdem sei ihm ein aus Verdienstausfall, Umbaukosten und Mehrbedarf bestehender materieller Schaden in Höhe von insgesamt 183.860,19 € zu erstatten. Schließlich seien die Beklagten zum Ersatz aller weitergehenden Schäden sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 3.775,80 € verpflichtet.
5Die Beklagten haben eigene Versäumnisse bestritten. Sie haben vorgetragen, die Beschwerden des Patienten seien auf einen Bandscheibenvorfall zurückzuführen gewesen; angesichts der raschen Progredienz der Symptomatik habe man zur Vermeidung weitergehender Ausfallerscheinungen unverzüglich chirurgisch intervenieren müssen.
6Ein entzündlicher Prozess habe sich erst später entwickelt. Vor dem Eingriff sei der Patient ausführlich aufgeklärt worden; insbesondere habe man ihn auf das Risiko dauerhafter Lähmungserscheinungen hingewiesen; dieser Belehrung habe der Patient ohne weiteres folgen können.
7Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal hat durch Verwertung der in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten, durch eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. E... (348 ff GA), durch Vernehmung von Zeugen (362 ff, 448 ff GA) sowie durch Anhörung der Sachverständigen Dr. L… (353 ff GA) Beweis erhoben und sodann die Klage durch Urteil vom 24.11.2009 (476 ff GA) abgewiesen.
8Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter verfolgt. Er beanstandet die Verwertung der in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten. Zudem habe die Sachverständige Dr. L… betont, dass ihres Erachtens neben der auf dem Bandscheibenvorfall beruhenden Einengung des Spinalkanals eine begleitende Infektion vorgelegen habe, die für das Querschnittssyndrom ursächlich geworden sei. Unter Bezugnahme auf ergänzend vorgelegte neurologische Gutachten des Privatsachverständigen Prof. Dr. J… macht er geltend, wegen der erhöhten Entzündungsparameter hätte man diesbezügliche differentialdiagnostische Untersuchungen durchführen müssen, zumal die Symptomatik bereits dadurch abgeschwächt worden sei, dass er zwei fiebersenkende und schmerzlindernde Infusionen erhalten habe. Unterstelle man, dass tatsächlich ein bedrohlicher Bandscheibenvorfall vorgelegen habe, sei das Vorgehen in dem Krankenhaus der Beklagten zu 2) als zögerlich zu beanstanden: Der Ausfall der Fußheber sei am 17.11.2001 bereits um 8.00 Uhr aufgefallen; bis zur Durchführung des Computertomogramms habe es fast drei Stunden gedauert und bis zur Operation seien drei weitere Stunden vergangen; dieser Zeitablauf werde der Einstufung als Notfall nicht gerecht; jedenfalls hätten in der Zwischenzeit weitere diagnostische Untersuchungen stattfinden können und müssen.
9Der Kläger beantragt,
10unter Abänderung des am 24.11.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Wuppertal,
111.
12die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;
132.
14die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 183.860,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2006 zu zahlen;
153.
16festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der fehlerhaften Behandlung aus der Zeit vom 17.-20.11.2001 im Krankenhaus S…. J…, Zentrum für Orthopädie und Rheumatologie entstanden sind und/oder noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
174.
18Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 3.775,- € nebst 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2006 zu zahlen.
19Die Beklagten beantragen,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen. Zutreffend sei die Operationsindikation auf den Verdacht eines Bandscheibenvorfalls gestützt worden; Infektzeichen seien intraoperativ nicht nachgewiesen worden. In zeitlicher Hinsicht sei das ärztliche Vorgehen nicht zu beanstanden.
22Der Senat hat durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. K… Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Berichterstattervermerke vom 15.12.2010 (GA 668-686) und vom 26.05.2011 (GA 786-805) Bezug genommen.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das angefochtene Urteil verwiesen.
24B.
25Die Berufung ist zulässig; sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der Kläger kann von den Beklagten weder die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangen, noch steht ihm ein Anspruch auf Ersatz entstandener oder zukünftiger materieller Schäden zu.
26Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt und/oder Krankenhausträger ein zumindest fahrlässiges Versäumnis bei der medizinischen Versorgung zur Last zu legen ist, das eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Diesen Nachweis hat der Kläger nach dem Ergebnis der in erster Instanz begonnenen und von dem Senat fortgesetzten Beweisaufnahme nicht geführt.
271.
28Es bestehen keine berechtigten Zweifel daran, dass der am 17.11.2001 von dem Beklagten zu 1) durchgeführte operative Eingriff indiziert war.
29a)
30Die Sachverständigen Prof. Dr. E... und Dr. L… haben in ihren für die Staatsanwaltschaft W… erstatteten und von dem Landgericht gemäß § 411a ZPO in zulässiger Weise verwerteten Gutachten deutlich gemacht, dass die Operation angesichts der bei der Vorstellung des Klägers in der Klinik anamnestisch angegebenen Beschwerdesymptomatik, rasch zunehmender Lähmungserscheinungen und einer computertomographisch gesicherten hochgradigen Einengung des Spinalkanals mit breitbasiger Bandscheibenprotusion zur Erreichung einer Dekompression absolut angezeigt war (Gutachten v. 21.07.2004, Seite 11; v. 24.07.2005, Seite 3; v. 19.02.2009, Seite 2). Zwar sprechen nach Darstellung der Sachverständigen Dr. L… die späteren Untersuchungen dafür, dass es bei dem Kläger infolge einer Mitralklappen-Endokarditis zu einer bakteriellen Radikulits gekommen war, die im Bereich der Einengung des Rückenmarkkanals zu Schwellungen führte; die Sachverständige hat allerdings deutlich gemacht, dass alleine eine bakterielle Ursache für die festgestellten neurologischen Ausfallerscheinungen auch aus der Sicht ex post sehr unwahrscheinlich ist. Im Hinblick auf den klinischen Befund am Morgen des 17.11.2001 haben beide Sachverständige keinen Zweifel daran gelassen, dass eine präoperative diagnostische Abklärung der Ursache der bereits bei der Aufnahme des Patienten erhöhten Laborparameter (17.11.2001, 11.04 Uhr: CRP-Wert 31,7 mg/dl; Leukozyten 18,48/nl) wegen der Dringlichkeit des operativen Entlastungseingriffs nicht vertretbar war (Gutachten v. 05.03.2006, Seite 6); die Sachverständige Dr. L… hat bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht ergänzend darauf hingewiesen, dass die Operation wegen der dringenden Notwendigkeit der Entlastung von betroffenen Nerven selbst dann indiziert war, wenn die beeinträchtigende Schwellung im Rückenmarkskanal auch aus damaliger Sicht entzündungsbedingt entstanden wäre und man dies erkannt hätte (Sitzungsprotokoll v. 24.02.2009, Seite 3).
31b)
32Die durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. K…, der als Chefarzt einer orthopädischen Klinik über umfassende praktische und wissenschaftliche Erfahrung zur Beurteilung des streitgegenständlichen medizinischen Sachverhaltes verfügt, in zweiter Instanz ergänzend erfolgte Begutachtung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Auch Prof. Dr. K… hat die Operationsindikation eindeutig und überzeugend bejaht:
33aa)
34Der Patient stellte sich in der Nacht zum 17.11.2001 mit zunehmenden, nachts unerträglichen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in beide Beine und das Gesäß im Krankenhaus der Beklagten zu 2) vor. In der Behandlungsdokumentation wird er als bei der Aufnahmeuntersuchung nicht stehfähig und mit nicht sicherer Blasen- und Mastdarmfunktion beschrieben. Der Richtigkeit dieser Eintragung steht der Hinweis des Klägers, er habe zu keiner Zeit unter Blasenentleerungsstörungen gelitten, im Ergebnis nicht entgegen. Aus dem Arztbrief des Klinikums W… vom 28.12.2001 (dortige Behandlungsdokumentation) geht hervor, dass er nicht nur über eine ausstrahlende Schmerzsymptomatik und eine Fußheberschwäche, sondern auch über eine entsprechende Blasenentleerungsstörung geklagt hatte; diese sei dadurch zum Ausdruck gekommen, dass er kein Gefühl mehr für die Blase verspürt und deshalb einmalig eingenässt habe. Die sich bis zum Morgen des 17.11. rechtsseitig entwickelte Lähmung mit einer Fußheberschwäche Kraftgrad Null zeigte nach Darstellung des Sachverständigen angesichts der Progression der Entwicklung einen alarmierenden Befund, der unter Berücksichtigung der bisherigen Beschwerdesymptomatik den Verdacht einer Nervschädigung im Bereich der Lendenwirbelsäule rechtfertigte und das notfallmäßig durchgeführte Computertomogramm indizierte. Prof. Dr. K… hat nach einer eigenen Auswertung des computertomographischen Befundes keinen Zweifel daran gelassen, dass man aufgrund der Bildgebung zu Recht von einer schweren Spinalkanalstenose und in ihrer Folge von einer dringend operativ zu entlastenden mechanischen Nervenkompression im Rückenmarkskanal ausging (Berichterstattervermerk v. 02.12.2010, Seite 9 – 11; v. 05.05.2011, Seite 4). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass – anders als der Beklagte zu 1), der den CT-Befund in seinem Bericht vom 11.02.2002 (Behandlungsdokumentation der Beklagten zu 2)) als Bandscheibenvorfall (Prolaps) beschreibt – die Vorgutachter und auch Prof. Dr. K… von einer Protrusion sprechen. Entscheidend war – so Prof. Dr. K… –, dass sich radiologisch eine umfassende Enge des Rückenmarkskanals im Sinne einer schweren Spinalkanalstenose zeigte, die, selbst wenn eine Verengung bereits seit längerer Zeit vorgelegen haben sollte, aufgrund der signifikanten neurologischen Verschlechterung zwanglos als Ursache der schwerwiegenden Lähmungserscheinungen angesehen werden konnte (Berichterstattervermerk v. 05.05.2011, Seite 3). Der Sachverständige hat deshalb wiederholt deutlich gemacht, dass der durch die klinische Symptomatik begründete Verdacht einer mechanischen Nervenkompression im Rückenmarkskanal durch den computertomographischen Befund nachvollziehbar erklärt wurde, weshalb es erforderlich und richtig war, eine operative Dekompression vorzunehmen.
35bb)
36Der auf die Begutachtung durch den neurologischen Privatsachverständigen Prof.Dr. J… gestützte Einwand des Klägers, der Eingriff sei aufgrund der bereits präoperativ erhöhten Entzündungsparameter, die auf eine entzündliche Ursache der Beschwerdesymptomatik hingewiesen und gegen eine mechanische Kompression gesprochen hätten, kontraindiziert gewesen (Gutachten v. 10.01.2011; Stellungnahme v. 22.06.2011), rechtfertigt keine andere Beurteilung:
37(a)
38Allerdings zeigte sich im weiteren Verlauf der Behandlung des Klägers tatsächlich ein entzündlicher Prozess im Rückenmarksbereich, der zunächst durch ein im Klinikum Wuppertal am 23.11.2001 gefertigtes MRT verifiziert werden konnte. Bei der am selben Tag von dem Beklagten zu 1) durchgeführten Revisionsoperation ergaben sich zwar keine Hinweise auf eine massive Abszessbildung, allerdings wurden Eiterbeimengungen festgestellt und als bakterieller Erreger konnte der Keim Staphylokokkus aureus nachgewiesen werden.
39(b)
40Dennoch hatte der Beklagte zu 1) nach der Auswertung des CT-Befundes vom 17.11.2001 keinen Anlass, statt einer operativ zu behebenden mechanischen Nervenkompression ein medikamentös zu behandelndes Entzündungsgeschehen anzunehmen und von dem Eingriff abzusehen: Die bereits am 17.11.2001 erfolgte Blutuntersuchung ergab zwar einen Anstieg des CRP-Wertes auf 31,7 mg/dl sowie eine Leukozytose von 18.480 bei einer Blutsenkungsgeschwindigkeit von 67/88 mm. Ausweislich der damaligen Fieberkurve war die Temperatur des Klägers, die nach der Aussage seiner Ehefrau am Tag vor der stationären Aufnahme 39° betragen haben soll, allerdings nicht erhöht. Angesichts dessen geht die Sachverständige Dr. L… davon aus, dass – aus der Sicht ex ante – kein Anhalt für ein den Allgemeinzustand beeinträchtigendes Infektionsgeschehen vorlag und deshalb kein Anlass für eine dringliche Abklärung der erhöhten Entzündungsparameter bestand (Gutachten vom 05.03.2006, Seite 6 = GA 308). Prof. Dr. K… hat dies bestätigt und darauf hingewiesen, dass der computertomographische Befund in Verbindung mit dem klinischen Bild eine mechanische Kompression als Ursache für die Lähmungserscheinungen nahelegte, weshalb trotz vorliegender Entzündungszeichen mit dem Eingriff nicht zugewartet werden konnte; die Entzündungsparameter hätten letztlich auch auf eine allgemeine mit der akuten Symptomatik nicht in Verbindung stehende Infektion zurückgeführt werden können.
41Der Hinweis darauf, dass ausweislich der sogenannten Wunddokumentation am Morgen des 17.11. im Gesäßbereich eine aufgegangene "5 Markstück" große Blase ("geröteter oberflächlicher Hautdefekt") festgestellt wurde, ändert an dieser Beurteilung nichts. Dieser Befund rechtfertigt nach Darstellung des Sachverständigen nicht die Annahme, dass die neurologischen Ausfallerscheinungen entzündungsbedingt waren und man deshalb therapeutisch anders vorzugehen hatte. Prof. Dr. K… hat hierzu im Übrigen auf die Möglichkeit eines bloß mechanisch verursachten Defektes hingewiesen.
42Die Darstellung der Sachverständigen überzeugt, weil die nach der stationären Aufnahme des Klägers festgestellten neurologischen Beeinträchtigungen ohne weiteres auf die radiologisch nachgewiesene Raumenge im Rückenmarkskanal zurückgeführt werden konnten. Der Privatsachverständige Prof. Dr. J… stellt zwar unter Hinweis darauf, dass der Patient bereits Tage zuvor über nachts betonte Rückenschmerzen geklagt habe, eine klassische Entzündungssymptomatik als Ursache der Beschwerden in den Vordergrund. Dem hält Prof. Dr. K… nach Auffassung des Senates überzeugend entgegen, dass die Entzündungssymptomatik auch unter Berücksichtigung der verabreichten Medikation aus damaliger Sicht nicht besorgniserregend erschien und sich die Lähmungserscheinungen zwanglos auf die computertomographisch belegten Veränderungen im Rückenmarkskanal zurückführen ließen. Berücksichtigt man dies, so ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Beklagte zu 1) aufgrund des CT-Befundes allein eine dringend zu entlastende Nervenkompression annahm. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aufgrund des von dem Kläger vorgelegten neurochirurgischen Privatgutachtens des Sachverständigen Dr. P… vom 06.08.2002 (GA 189). Auch dieser Sachverständige spricht zwar von einer ungewöhnlich starken Ausprägung präoperativer Entzündungszeichen sowie davon, dass die klinisch-neurologische Symptomatik alleine durch entzündliche Veränderungen von Nervenwurzel und Myelon erklärbar sei. Der Gutachter macht allerdings deutlich, dass eine Bewertung des Entschlusses zur Durchführung der Operation die Auswertung des – ihm seinerzeit nicht vorliegenden – computertomographischen Befundes der Lendenwirbelsäule voraussetzt. Da der Privatsachverständige eine solche Auswertung nicht vorgenommen hat, fehlt seiner Begutachtung letztlich die hinreichende Aussagekraft. Die Auswertung des computertomographischen Befundes durch Prof. Dr. K… bestätigt – wie dargestellt – hingegen die unzweifelhafte Operationsindikation.
432.
44a)
45Der von dem Kläger hilfsweise vorgetragene Gesichtspunkt, die am 17.11.2001 durchgeführte Operation sei angesichts der zunehmenden neurologischen Symptomatik jedenfalls nicht schnell genug eingeleitet worden, ist ebenfalls nicht gerechtfertigt. Prof. Dr. K… hat unter Berücksichtigung der nach Feststellung der Befundverschlechterung um 8 Uhr zunächst durchzuführenden computertomographischen Untersuchung und der notwendigen Operationsvorbereitung den Zeitraum bis zum Beginn des Eingriffs um 14.00 Uhr als normal und damit nicht zu beanstanden angesehen.
46b)
47Auch das operative Vorgehen selbst ist – ohne dass es entscheidend darauf ankommt, ob der Beklagte zu 1) den Eingriff alleine oder mit Unterstützung eines Assistenten durchführte - nicht zu beanstanden. Insbesondere gab es unter Berücksichtigung der Beschreibung in dem Operationsbericht des Beklagten zu 1) keine Anzeichen dafür, dass er – fehlerhaft – in ein ersichtlich entzündetes Gebiet hinein operierte. Prof. Dr. K… hat hierzu deutlich gemacht, dass der beschriebene Operationssitus eine mechanische Einengung von überwiegend knöcherner Natur aufwies, ohne dass – ebenso wie in dem zuvor gefertigten Computertomogramm - entzündungsbedingte Veränderungen beschrieben wurden. Dabei hat der Sachverständige eingeräumt, dass die Ursache der Symptomatik aus der Sicht ex post in der Tat vermutlich auf einen entzündlichen Prozess zurückzuführen war, der im Rahmen der präoperativen Diagnostik und bei dem Eingriff selbst allerdings nicht als solcher erkannt werden konnte. Auch Prof. Dr. J… hat hierzu eingeräumt, dass es intraoperativ keine Entzündungszeichen gab (Berichterstattervermerk vom 26.05.2011, Seite 14).
483.
49Dem Beklagten zu 1) sowie den übrigen mit der Behandlung des Klägers in der Klinik der Beklagten zu 2) befassten Ärzten ist auch nicht vorzuwerfen, die Entzündungssymptomatik nicht sofort gezielt (antibiotisch) behandelt zu haben. Die Sachverständige Dr. L… hat deutlich gemacht, dass eine unmittelbare Abklärung der erhöhten Entzündungsparameter nicht geboten war, weil kein Anhalt für ein den Allgemeinzustand beeinträchtigendes Infektionsgeschehen vorlag, man aufgrund des klinischen und des bildgebenden Befundes von einer alleine mechanisch verursachten Nervenkompression ausgehen konnte und aufgrund der rasch zunehmenden Lähmungserscheinungen zunächst ein schnelles operatives Vorgehen notwendig war (Gutachten vom 05.03.2006, Seite 6 = GA 308). Prof. Dr. K… bestätigte diese Beurteilung unter Hinweis darauf, dass selbst bei Annahme eines bakteriellen Syndroms im vorliegenden Fall die die neurologische Symptomatik erklärende Stenose im Vordergrund stand, was eine unmittelbare Operationsindikation gerechtfertigt habe. Dies ist überzeugend: Denn der Eingriff war aus damaliger Sicht zwingend erforderlich, um eine wahrscheinliche Nervenkompression zu beheben; unter diesen Umständen ist es verständlich, wenn man ohne hinreichenden Anhalt dafür, dass die Lähmung auf ein Infektionsgeschehen zurückzuführen war, von einer antibiotischen Behandlung oder einer ohnehin längere Zeit in Anspruch nehmenden Keimidentifizierung absah.
504.
51Allerdings waren die therapeutischen Konsequenzen nach der postoperativen Verschlimmerung der neurologischen Symptomatik und einem – nach zwischenzeitlicher Normalisierung – weiteren Anstieg der Entzündungsparameter am 19.11.2001 (CRP-Wert 44,1 mg/dl; Leukozyten 19.700) nicht in jeder Hinsicht einwandfrei. Die besorgniserregende Verschlimmerung des neurologischen Befundes zeigte, dass die Beschwerdeursache durch die Operation nicht behoben war; die pathologischen Entzündungsparameter wiederum wiesen auf ein akutes Infektionsgeschehen hin, dem nunmehr in erster Linie nachzugehen war. Prof. Dr. K… hat aufgrund dieser Entwicklung deutlich gemacht, dass jetzt neu überlegt werden musste, was Ursache dieser Verschlechterung war; er hat deshalb die unmittelbare Anlage einer Blutkultur zur Keimidentifizierung – die erst am 22.11.2001 im Klinikum W… erreicht werden konnte – als erforderlich angesehen. Das Unterbleiben entsprechender Maßnahmen hat sich jedoch im Ergebnis nicht nachteilig ausgewirkt. Denn tatsächlich wurde – wenn auch ohne Keimnachweis – bereits am 19.11.2001 mit der antibiotischen Behandlung durch die Gabe von „Clindamycin“ und „Cefazolin“ begonnen. Prof. Dr. K… hat nach Auswertung der Dokumentation des Klinikums W… über die mikrobiologischen Befunde darauf hingewiesen, dass diese Antibiotika gegenüber dem später identifizierten Erregers Staphylokokkus aureus sensibel und damit wirksam waren. Ein früherer Keimnachweis hätte deshalb nicht zur Verordnung anderer bzw. wirksamerer Medikamente führen müssen und damit an dem weiteren Verlauf nichts geändert.
525.
53Die Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 29.06.2011 (Stellungnahme zur Beweisaufnahme) rechtfertigt keine andere Beurteilung:
54a)
55Den Vorwurf, der Beklagte zu 1) habe am 17.11.2001 „in eine Infektion hineingeschnitten“ hat Prof. Dr. K… nicht bestätigt und hierzu – wie bereits dargestellt - deutlich gemacht, dass jedenfalls aus der für die Frage eines fehlerhaften Vorgehens maßgebenden damaligen Sicht trotz erhöhter Entzündungsparameter Anzeichen eines infektiösen Befundes nicht vorlagen.
56b)
57Mit dem erstmals vorgebrachten Einwand, die Ärzte in der Klinik der Beklagten zu 2) seien mangels entsprechender Erfahrung bereits aus fachlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, ihn sachgemäß zu behandeln, ist der Kläger nach § 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen, weil nicht vorgetragen wird, dass dieser Gesichtspunkt ohne Nachlässigkeit nicht bereits in erster Instanz hätte erfolgen können. Im Übrigen rechtfertigt dieses Vorbringen auch der Sache nach nicht die Unterstellung etwaiger Versäumnisse bei der Behandlung.
58c)
59Einer Vernehmung der von dem Kläger zu seinem Befinden an den Tagen vor der stationären Aufnahme am 16./17.11.2001 benannten Zeugen bedurfte es nicht. Auch wenn man unter Berücksichtigung der Bekundungen seiner Ehefrau (Sitzungsprotokoll v. 24.02.2009) davon ausgeht, dass er sich bereits Tage zuvor unwohl und schlapp fühlte und eine erhöhte Temperatur hatte, ändert dies nichts an der überzeugenden gutachterlichen Einschätzung, wonach die akute neurologische Symptomatik aus damaliger Sicht eine bloße mechanische Ursache hatte.
60d)
61Dem Antrag des Klägers, ein (weiteres) neurologisches Sachverständigengutachten einzuholen, war nicht stattzugeben. Es ist allgemein anerkannt, dass bei der Frage nach ärztlichen Versäumnissen die Begutachtung durch einen Sachverständigen zu erfolgen hat, der das Fachgebiet des in Anspruch genommenen Arztes bzw. der Klinik vertritt. Weil der Beklagte in einer Orthopädischen Klinik als Facharzt für Orthopädie tätig ist, hat der Senat deshalb Prof. Dr. K…, der Leiter einer Orthopädischen Klinik ist, mit der Begutachtung beauftragt. Auch aus diesem Gesichtspunkt ist bei der Beurteilung des damaligen ärztlichen Vorgehens nicht die Bewertung des Neurologen Prof. Dr. J…, sondern die des orthopädischen Sachverständigen ausschlaggebend.
626.
63Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass der Kläger seine Ansprüche auch nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt eines Versäumnisses bei der präoperativen Patientenaufklärung stützen kann. Ausweislich der von dem Kläger schriftlich erteilten Einwilligungserklärung in den Eingriff wurde er über die geplanten operativen Maßnahmen und auch gravierende Komplikationen bis zu andauernden Lähmungen informiert (GA 181). Dass sich auf der Rückseite des entsprechenden Dokumentes (GA 182) erläuternde Zeichnungen befinden, spricht dafür, dass dem Kläger das operative Vorgehen im einzelnen beschrieben wurde. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass entsprechende Hinweise nicht erteilt wurden oder dass die Informationen unzureichend waren; er beruft sich vielmehr darauf, dass er aufgrund seines damaligen gesundheitlichen Zustandes nicht in der Lage gewesen sei, einem ärztlichen Aufklärungsgespräch zu folgen und in den Eingriff wirksam einzuwilligen. Davon kann allerdings nicht ausgegangen werden: Zu Recht berufen sich die Beklagten darauf, dass der Kläger ersichtlich in der Lage war, zahlreiche – insbesondere für die Anästhesie relevante – Fragen zu beantworten und die ihm vorgelegte Einwilligungserklärung zu unterschreiben, was wiederum zeigt, dass eine verständige Kommunikation mit ihm durchaus hatte erfolgen können.
64C.
65Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.
66Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus 708 Nr. 10, 711 ZPO.
67Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
68Die Beschwer des Klägers liegt über 20.000 €.
69Streitwert für das Berufungsverfahren: (bis zu) 700.000,- €
70G S S
Annotations
Die schriftliche Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)