Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 08. Sept. 2016 - I-3 W 316/15
Gericht
Tenor
1.Das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 19.10.2015 (Az.: 5 O 198/15) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Das Prozesskostenhilfegesuch des Antragsgegners vom 18. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Wert: 10.000 €
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Antragstellerin ist die Tante der geschiedenen Ehefrau des Antragsgegners.
4Nach Rechtskraft der Scheidung im April 2014 erwirkte die Antragstellerin am 06. Oktober 2014 beim Amtsgericht A (Republik L2) ein Urteil gegen den Antragsgegner (Az.: Nr. 73/14), durch welches dieser zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 10.000 € nebst gesetzlichen Verzugszinsen zum Referenzkurs der NB RM von 8 % seit dem 10. Mai 2011 verurteilt worden ist.
5In dem Verfahren vor dem Amtsgericht in A wurde der Antragsgegner vertreten durch Rechtsanwalt B aus C. Dieser war vom Amtsgericht A als Rechtsbeistand bestellt worden, weil sich der Antragsgegner zum Zeitpunkt des Verfahrens in Land 1 befand. Im Verhandlungstermin vom 06. Oktober 2014 sind – ausweislich des Protokolls vom selben Tag – auf Antrag der Antragstellerin die geschiedene Ehefrau des Antragsgegners, D, und ein Cousin des Antragsgegners, E, als Zeugen vernommen worden. Der weitere als Zeuge geladene Cousin des Antragsgegners, F, machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Außerdem wurde die Antragstellerin selbst vernommen.
6Auf das Gesuch der Antragstellerin vom 08. Juni 2015 hat der Vorsitzende der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal (Az.: 5 O 198/15) antragsgemäß angeordnet, das vorgenannte Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
7Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. Dezember 2015 Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G aus H beantragt.
8Er macht im Wesentlichen geltend, das Urteil des Amtsgerichts A verstoße gegen den ordre public und behauptet hierzu, die Antragstellerin habe zunächst durch die unwahre Behauptung, der Antragsteller sei unbekannten Aufenthalts dafür gesorgt, dass ihm die Klageschrift nicht zugestellt und er persönlich nie gehört worden sei. Tatsächlich sei der Antragstellerin und der Familie seiner geschiedenen Ehefrau bekannt gewesen, dass er, der Antragsgegner, sich in Land 1 bei seiner neuen Lebensgefährtin aufhalte.
9Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils seien unzutreffend und beruhten auf bewusst falschen Angaben der Antragstellerin und unwahren Aussagen der Zeugen. Es habe am 10. Mai 2010 weder eine Vereinbarung über eine Darlehensgewährung gegeben, noch habe er einen Barbetrag in behaupteter Höhe von 10.000 € von der Antragstellerin erhalten.
10Nach Kenntniserlangung von seiner Verurteilung – durch Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 28. April 2015 – habe er die Rechtsanwälte I und J aus C mit der Einlegung eines Wiederaufnahmeverfahrens beauftragt.
11Durch – in Übersetzung als Anlage K5 von der Antragstellerin eingereichtes – Urteil des Amtsgerichts A vom 26. Januar 2016 (Az.: PROV. Nr. 2/2195) wurde der Antrag des Antragsgegners auf Wiederholung des durch Urteil vom 06. Oktober 2014 abgeschlossenen Verfahrens als unbegründet abgewiesen.
12Der Antragsgegner hat mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 11. März 2016 und 21. März 2016 mitgeteilt, dass er gegen das Urteil des Amtsgerichts A vom 26. Januar 2016 Berufung eingelegt habe. Die Antragstellerin sei entgegen ihrer Behauptung am 10. Mai 2010 gar nicht in Land 2 gewesen, so dass sie ihm gar kein Darlehen habe zur Verfügung stellen können. Ergänzend verweist er auf den Bericht der von ihm in Land 2 beauftragten Rechtsanwälte I und J vom 15. März 2016. Mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 07. Juli 2016 weist der Antragsgegner daraufhin hin, dass wegen eines Streiks vorerst keine Verhandlungen vor dem Berufungsgericht in Land 2 stattfänden.
13Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
14II.
15Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
161.
17Auf das vorliegende Verfahren sind noch die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – EuGVVO, heute bezeichnet als Brüssel I-VO – sowie die Vorschriften des AVAG in seiner Fassung bis zum 09. Januar 2015 anwendbar. Denn die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 – bezeichnet als Brüssel Ia-VO – ist nach deren Art. 66 Abs. 2 nicht anwendbar auf Vollstreckungstitel, die in Erkenntnisverfahren, die vor dem 10. Januar 2015 eingeleitet wurden, erlassen bzw. geschaffen wurden oder noch werden (vgl. Senat, 3 W 95/15).
182.
19Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Wuppertal eingegangene Beschwerde der Antragsgegner ist zulässig, Art. 43 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 Brüssel I-VO.
203.
21Das Rechtsmittel ist unbegründet.
22a)Die Antragstellerin hat die gemäß Art. 54 Brüssel I-VO erforderliche Bescheinigung des L2-Gerichts vorgelegt.
23b)
24Nach Art. 33 Brüssel I-VO werden Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.
25Die Vollstreckbarerklärung darf vom Senat als Rechtsmittelgericht gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz Brüssel I-VO nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 Brüssel I-VO aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden.
26(1)
27Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner darauf, er ihm sei auf Grund des wahrheitswidrigen Vortrags der Antragstellerin, ihr sei der Aufenthalt unbekannt, die Klageschrift nicht zugestellt worden und er sei nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen, worin ein Verstoß gegen den ordre public zu sehen sei.
28Bereits in tatsächlicher Hinsicht ist die Antragstellerin dem Vortrag entgegengetreten.
29Sie hat durch Vorlage von Unterlagen hinreichend dargetan, dass sie vor Klageeinreichung von dem zuständigen Ministerium für innere Angelegenheiten auf ihr Auskunftsersuchen hin die Mitteilung (= Anlage K 2 zum Schriftsatz vom 20. Januar 2016) erhalten habe, dass der Antragsteller nicht unter seiner damaligen Wohnanschrift in „K“ zu erreichen gewesen sei, sondern sich nach den Erkenntnissen des Ministeriums in Land 1 ohne Angabe einer Anschrift aufgehalten habe, ohne zuvor seine Abwesenheit den Behörden anzuzeigen. In solchen Fällen erfolge nach L2-Recht die Bestellung eines Rechtsanwalts.
30Unstreitig wurde vom Amtsgericht A – als „vorläufiger Vertreter“ – für den Antragsgegner Rechtsanwalt B aus C bestellt. Ausweislich des von der Antragstellerin – als Anlage K1 zum Schriftsatz vom 20. Januar 2016 – eingereichten Berichts ihrer L2-Rechtsanwälte vom 19. Januar 2016 wird eine solche Bestellung sowohl auf der Anzeigetafel des Gerichts als auch im Amtsblatt der Republik Land 2 veröffentlicht.
31In rechtlicher Hinsicht kann in der Bestellung eines Rechtsanwalts in derartigen Fällen kein Verstoß gegen den ordre public gesehen werden. Der vom Antragsgegner angestellte Vergleich mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Oktober 1996 (Az.: C 78/95) geht schon deshalb fehl, weil es dort nicht um die Bestellung eines „Prozessvertreters“ durch das erkennende ausländische Gericht ging, sondern um die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten durch hierzu nicht bevollmächtige Dritte.
32(2)
33Soweit der Antragsgegner weiter geltend macht, das Urteil sei auch in der Sache falsch, ist unerheblich, ob ein durch vorsätzlich falschen Sachvortrag „erschlichenes“ Urteil im Einzelfall gegen den ordre public verstoßen kann. Denn nach Art. 34 Abs. 1 Nr. 1 Brüssel I-VO kann die Entscheidung nur dann nicht anerkannt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung (ordre public)offensichtlich widersprechen würde. Das ist ohne Zweifel vorliegend nicht der Fall.
34Im Übrigen ist dem Senat eine Nachprüfung der ausländischen Entscheidung nach Art. 45 Abs. 2 Brüssel I-VO ausdrücklich versagt.
35Es ist daher unerheblich, dass die Antragstellerin in Land 2 im Prozess angegeben hat, dem Antragsgegner das Geld (als Darlehen) zur Verfügung gestellt zu haben, damit dieser „Geschäfte beginnen“ könne und es demgegenüber im Schriftsatz vom 19. Januar 2016 heißt, das Geld habe als „Rücklage für Beerdigungskosten“ gedient. Dies gilt zumal die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin im Schriftsatz vom 02. März 2016 diese „unterschiedlichen Versionen“ nachvollziehbar damit erklärt hat, dass die Antragstellerin sehr schlecht Deutsch spreche und es zu Verständigungsschwierigkeiten mit ihr gekommen sein mag. Im weiteren Schriftsatz vom 18. April 2016 hat sie erläuternd klargestellt, dass das als Kredit gewährte Geld aus einem Sparguthaben stamme, welches die Antragstellerin zur Deckung ihrer Beerdigungskosten angespart hatte.
36(3)Er werden auch keine Umstände geltend gemacht, die eine Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 46 Abs. 1 Brüssel I-VO rechtfertigen könnten.
37Nach Art. 46 Abs. 1 Brüssel I-VO und § 36 AVAG kann der Senat als Beschwerdegericht auf Antrag des Schuldners das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist (vgl. Senat, 29.09.2006, 3 W 156/06, juris, m.w.N.).
38Soweit der Antragsgegner unstreitig ein Verfahren auf „Wiederholung des Verfahrens“ eingeleitet hat, ist schon zweifelhaft, ob es sich hierbei um einen „ordentlichen“ Rechtsbehelf im Sinne der vorgenannten Vorschrift handelt. Ein ordentlicher Rechtsbehelf ist jeder Rechtsbehelf, der zur Aufhebung und Abänderung im Erststaat führen kann und für dessen Einlegung im Erststaat eine gesetzliche Frist bestimmt ist (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, Anh I EuGVVO, Art. 46 Rn. 8).
39Jedenfalls aber ist dieser Antrag durch Entscheidung des Amtsgerichts in A vom 26. Januar 2016 als unbegründet zurückgewiesen worden.
40Soweit der Antragsgegner zwischenzeitlich Rechtsmittel gegen diese Entscheidung vom 26. Januar 2016 eingelegt hat, hat er jedenfalls keine Aussetzung des Verfahrens beantragt, sondern mit Schriftsatz vom 07. Juli 2016 mitgeteilt, dass wegen eines Streiks vorerst keine Verhandlungen vor dem Berufungsgericht in Land 2 stattfinden würden
41Zudem kommt eine solche Aussetzung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn mit einem Erfolg des im Erststaat eingelegten ordentlichen Rechtsbehelfs zu rechnen ist, weil die Brüssel I-VO die Vollstreckung vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen in den anderen Mitgliedsstaaten ermöglichen will (Senat, a.a.O.; OLG Köln BeckRS 2009, 03274; Gottwald, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., 2013, Art. 46 EuGVVO Rn. 4).
42Der Sachvortrag des Antragsgegners rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines erfolgreichen Rechtsmittels. Soweit er geltend macht, die Antragstellerin sei am 07. Mai 2010 aus Land 2 ausgereist und es sei unklar, ob sie bereits bis zum 10. Mai 2010 wieder eingereist gewesen sei, handelt es sich um bloße durch keine greifbare Tatsachen unterstützte Spekulationen des Antragsgegners.
43Nach alledem war das Rechtsmittel zurückzuweisen.
44III.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
46IV.
47Da das Rechtsmittel keinen Erfolgt hat, war auch das Verfahrenskostenhilfegesuch vom 18. Dezember 2015 zurückzuweisen.
48R e c h t s b e h e l f s b e l e h r u n g :
49Gegen diese Entscheidung kann Rechtsbeschwerde eingelegt werden. Diese ist nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.
50Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat, die mit der Zustellung der vorliegenden Entscheidung beginnt, durch Einreichen einer Rechtsbeschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.
51Die Beteiligten müssen sich durch eine bei dem Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin oder einen dort zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen.
52Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen, und zwar innerhalb eines Monats ab Zustellung der vorliegenden Entscheidung. Die Begründung muss enthalten die Rechtsbeschwerdeanträge (die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Oberlandesgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde), eine Darlegung zu den hier im ersten Absatz genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe (die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt, und, soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben); soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Beschwerdegericht von einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abgewichen sei, muss die Entscheidung, von der der angefochtene Beschluss abweicht, bezeichnet werden.
Annotations
(1) Das Oberlandesgericht kann auf Antrag des Verpflichteten seine Entscheidung über die Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentliches Rechtsmittel eingelegt oder die Frist hierfür noch nicht verstrichen ist; im letzteren Falle kann das Oberlandesgericht eine Frist bestimmen, innerhalb deren das Rechtsmittel einzulegen ist. Das Gericht kann die Zwangsvollstreckung auch von einer Sicherheitsleistung abhängig machen.
(2) Absatz 1 ist im Verfahren auf Feststellung der Anerkennung einer Entscheidung (§§ 25 und 26) entsprechend anzuwenden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)