Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 09. Aug. 2016 - 3 Ss OWi 494/16

bei uns veröffentlicht am09.08.2016

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Gründe

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den Betr. als Geschäftsführer und die nach § 30 OWiG Nebenbeteiligte, eine Gesellschaft nach polnischem Recht, im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG von dem jeweils gegen sie mit Bußgeldbescheiden vom 01.09.2014 erhobenen und mit Geldbußen in Höhe von 2.000 Euro (Betroffener) und in Höhe von 20.000 Euro (Nebenbeteiligte) geahndeten Tatvorwurf der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 16 I Nr. 1 AÜG aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Zur Begründung hat das AG im Wesentlichen darauf abgestellt, dass aufgrund vorliegender Entsendebescheinigungen „A 1“ die Bestimmungen der §§ 9 Nr. 1, 10 I 1, 16 I Nr. 1 AÜG nicht einschlägig seien. Die sozialrechtliche und arbeitsrechtliche Bindungswirkung dieser Bescheinigungen bestätige das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum der Entsendung mit dem Verleiher. Nachdem der sozialrechtliche Arbeitgeberbegriff identisch mit dem strafrechtlichen sei, könne kein Arbeitsverhältnis zwischen den Entleihern und den entsendeten Arbeitnehmern entgegen der Bindungswirkung der A 1-Bescheinigung begründet werden. Vielmehr sei dadurch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Verleiher für die inländischen Gerichte bindend festgestellt worden. Die gegen den freisprechenden Beschluss geführte Rechtsbeschwerde der StA, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, erwies sich als erfolgreich.

Aus den Gründen:

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG und hinsichtlich der Nebenbeteiligten nach den §§ 79 I 1 Nr. 3, 71 I, 46 I OWiG i. V. m. §§ 444 II 2, 437 I bis 3 StPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht - entgegen der von der Verteidigung geäußerten Ansicht - nicht entgegen, dass die StA dem Beschlussverfahren nicht widersprochen und für diesen Fall auf Gründe verzichtet hat. Ein Verzicht auf die Begründung einer Entscheidung stellt keinen - ohnehin im Vorfeld nicht zulässigen - Verzicht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 28.08.1997 - 4 StR 240/97 = BGHSt 43, 195 = StV 1997, 583 = StraFo 1997, 312 = NJW 1998, 86 = wistra 1997, 341 = NStZ 1998, 31= JR 1998, 245; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 302 Rn. 14) auf das statthafte Rechtsmittel dar.

II. Der Freispruch kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Gründe der angefochtenen Entscheidung den inhaltlichen Anforderungen, die an ein freisprechendes Erkenntnis zu stellen sind, nicht genügen.

1. Erfolgt der Freispruch - wie hier - aus rechtlichen Gründen, ist es unabdingbar, dass in den Gründen des freisprechenden Erkenntnisses gemäß § 72 V 1 OWiG die vom Tatgericht für erwiesen erachteten Tatsachen in geschlossener Form bezeichnet werden, weil dem Rechtsbeschwerdegericht anderenfalls eine auf den konkreten Tatvorwurf zugeschnittene und von diesem abhängige Nachprüfung der den Freispruch tragenden Begründung auf etwaige rechtsfehlerhafte Erwägungen hin von vornherein verwehrt ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 05.08.1997 - 5 StR 210/97 = NStZ-RR 1997, 374 = StraFo 1997, 302; Meyer-Goßner/Schmitt § 267 Rn. 34; KK/Kuckein StPO 7. Aufl. § 267 Rn. 42, jeweils m. w. N.).

2. Diesen Mindestanforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Es fehlt an konkreten Feststellungen zum Tatgeschehen, insbesondere bleibt gänzlich unklar, ob die für die Beurteilung des Vorwurfs relevante Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen die Einschätzung eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zulässt oder nicht. Die unterbliebene Darstellung kann auch nicht durch die vom AG ausgesprochene Bezugnahme auf die Bußgeldbescheide ersetzt werden. Denn zum einen hat die Bezugnahme zur Folge, dass die Entscheidung aus sich heraus nicht mehr verständlich ist. Zum anderen wird in den Bußgeldbescheiden nur der Sachverhalt, der den Betr. zur Last gelegt wird, wiedergegeben. Entscheidend für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist aber - wie bereits erwähnt - das Tatgeschehen, das der Tatrichter für erwiesen erachtet hat.

3. Entgegen der Ansicht der Verteidigung ist dieser Begründungsmangel nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die StA im Vorfeld auf eine Begründung verzichtet hatte. Dies lässt sich ohne weiteres der Bestimmung des § 72 VI 3 OWiG entnehmen, der gerade eine Begründungspflicht für den Fall der Anfechtung der getroffenen Entscheidung trotz vorhergehenden Verzichts auf die Begründung durch die Beteiligten normiert.

4. Das Begründungsdefizit wäre allenfalls dann unbeachtlich, wenn - wie dies das AG annimmt - die Entsendebescheinigung dazu geführt hätte, dass die Tatbestandsverwirklichung des § 16 I Nr. 1 AÜG aus rechtlichen Gründen entfiele. In diesem Fall wäre die Feststellung zusätzlicher Fakten für die Beurteilung der Vorwürfe überflüssig. Eine derartige Konstellation liegt jedoch nicht vor. Vielmehr sind auch die rechtlichen Erwägungen des angefochtenen Beschlusses für sich genommen rechtsfehlerhaft. Das AG hat aus der erteilten A-1 Bescheinigung rechtsirrig den Schluss gezogen, dass aufgrund der von der Bescheinigung ausgehenden Bindungswirkung die nationalen Gerichte daran gehindert seien, eine Verurteilung wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nach § 16 I Nr. 1 AÜG auszusprechen. Damit hat es der Entsendebescheinigung eine Reichweite beigemessen, die ihr von vornherein nicht zukommt.

a) Im Ansatz noch zutreffend hat das AG allerdings darauf abgestellt, dass so genannten Entsendebescheinigungen absolute Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte anderer Mitgliedstaaten zukommt. Dies entspricht nicht nur der Rspr. des Europäischen Gerichtshofs zu der nach dem Vorgängerregelungswerk, der Verordnung (EWG) Nr. 574/72, erteilten E-101 Bescheinigung (vgl. EuGH [4. Kammer], Urt. v. 26.01.2006 - C-2/05 [bei juris]), sondern ist mittlerweile auch positiv-rechtlich in Art. 5 I VO (EG) 987/2009 normiert. Dies bedeutet, dass die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigung keiner Überprüfung durch andere Mitgliedstaaten unterliegt, wobei die Bindungswirkung sich zusätzlich auf Tatsachen, auf deren Grundlage die Bescheinigung ausgestellt wurde, erstreckt (EuGH a. a. O.).

b) Allerdings verkennt das AG, dass die Bindungswirkung einer entsprechenden Bescheinigung nicht weitergehen kann, als der Inhalt der Bescheinigung und die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen reichen. Diese Einschränkung, die sich ohnehin gleichsam von selbst versteht, lässt sich im Übrigen unschwer der Bestimmung des Art. 5 I VO (EG) Nr. 987/2009 entnehmen. Hiernach wird explizit die Bindungswirkung in Bezug zu den „Zwecken der Grundverordnung“, d. h. der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (vgl. Art. 1 I lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 987/2009), und der „Durchführungsverordnung“, d. h. der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (vgl. Art. 1 I lit. b)) gesetzt.

aa) Die Entsendebescheinigung verfolgt den Zweck, die Träger der Mitgliedstaaten, auf deren Gebiet Arbeitnehmer von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber entsandt werden, von der Verpflichtung und der Berechtigung zu entheben, die Frage nach dem anwendbaren Recht der „sozialen Sicherheit“ zu beantworten. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass nach dem Grundsatz des Art. 11 III lit. a) der VO (EG) Nr. 883/2004 bei Entsendung von Arbeitnehmern in andere Mitgliedstaaten das Recht der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats Anwendung findet, in dem diese ihre tatsächliche Beschäftigung ausüben. Von diesem Grundsatz normieren die Art. 12 und 13 der Verordnung zum Zwecke der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit (vgl. hierzu EuGH a. a. O.; Wilde NZS 2016, 48 ff.) Ausnahmen. Unter anderem regelt Art. 12 I der VO (EG) Nr. 883/2004, dass abweichend von der zitierten Grundsatzregelung bei kurzfristigen Entsendungen unter den dort im Einzelnen genannten Prämissen das Recht des Entsendestaates Anwendung findet. Als Nachweis, dass der entsandte Arbeitnehmer weiterhin dem Recht des Staates unterliegt, in dem der Entsendeunternehmer seine Betriebsstätte hat, dient die Entsendebescheinigung (EuGH a. a. O.).

bb) Die Frage nach dem Bedeutungsgehalt des Begriffs der „sozialen Sicherheit“, die sich damit nur noch stellt, nachdem der generelle Zweck der Entsendebescheinigung geklärt ist, lässt sich ebenfalls klar mit den einschlägigen Bestimmungen beantworten. In Art. 3 der VO (EG) Nr. 883/2004, der den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung festgelegt, sind die „Zweige der sozialen Sicherheit“ enumerativ aufgezählt. Die dort genannten Konstellationen erfassen ausschließlich Materien, die ohne weiteres nach deutschem Verständnis dem Sozialversicherungsrecht zuzuordnen sind.

cc) Nach alledem ist die Reichweite der Entsendebescheinigung nicht zweifelhaft. Sie legt verbindlich fest, dass der betreffende Arbeitnehmer in der Sozialversicherung seines Heimatsstaates verbleibt (im Ergebnis ebenso: Räuchle/Schmidt RdA 2015, 407, 410; Schüren, Funktionsmängel des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bei Scheinwerkverträgen aus dem Ausland - Eine Skizze, in: FS Düwell [2011], S. 84, 89; Wilde a. a. O.). Auch der BGH hat in einer Entscheidung, bei der es um die Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB ging, hervorgehoben, dass es sich bei den Vorgängerregelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 um Kollisionsvorschriften handelt, die das anwendbare nationale Sozialversicherungsrecht bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2006 - 1 StR 44/06 = BGHSt 51, 124 = StV 2007, 32 = NJW 2007, 233 = wistra 2007, 65 = NStZ 2007, 218 = NZS 2007, 197; vgl. auch BGH, Beschl. v. 07.03.2007 - 1 StR 301/06 = BGHSt 51, 224 = NJW 2007, 1370 = wistra 2007, 218 = NStZ 2007, 581 = BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 3 und BGH, Urt. v. 24.10.2007 - 1 StR 160/07 = BGHSt 52, 67 = NJW 2008, 595 = wistra 2008, 60 = JZ 2008, 366 = BGHR StGB § 266a Europäisches Recht 2 = NStZ 2008, 399).

dd) Der Umstand, dass nach Art. 5 I VO (EG) Nr. 987/2009 auch die Belege, auf deren Grundlage die Entsendebescheinigung ausgestellt wurde, von der Bindungswirkung erfasst werden, führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

(1) Zwar hat der Europäische Gerichtshof a. a. O. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entsendebescheinigung auch die arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem entsandten Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber, also dem entsendenden Unternehmen, bestätigt. Im Hinblick darauf wollen Stimmen in der Literatur Friktionen mit den Vorschriften der §§ 9, 10 AÜG erkennen (vgl. etwa Schüren a. a. O. S. 93; Thuengerthal AuA 2014, 84; Wilde NZS 2016, 48, 51). Denn im Falle unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung regelt § 9 Nr. 1 AÜG, dass Arbeitsverträge zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nichtig sind, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis besitzt; gleichzeitig wird nach § 10 I 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert. Insoweit besteht in der Tat ein Spannungsverhältnis zwischen der durch die Entsendebescheinigung bestätigten arbeitsrechtlichen Bindung zwischen Einsender und Arbeitnehmer einerseits und den innerstaatlichen Vorschriften, wonach der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Arbeitnehmer im Falle der illegalen Arbeitnehmerüberlassung nichtig ist. Dieser Antagonismus soll nach Vertretern dieser Ansicht dadurch gelöst werden, dass die Nichtigkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG nicht eintritt und ebenso wenig die Fiktion § 10 I 1 AÜG eingreift.

(2) Die Frage, ob das Konstrukt einer Sperrwirkung der Entsendebescheinigung in Bezug auf die §§ 9 und 10 AÜG letztlich überzeugend ist, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn die Verbindlichkeit der Entsendebescheinigung in Bezug auf die arbeitsrechtliche Verbindung zwischen Entsender und Arbeitnehmer als Grundlage der Bescheinigung ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 5 I VO (EG) Nr. 987/2009 auf die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung begrenzt. Wie bereits dargestellt, bezieht sich das Regelungswerk gemäß Art. 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 allein auf die „soziale Sicherheit“, also das Sozialversicherungsrecht. Nachdem die Bindungswirkung der Entsendebescheinigung in Bezug auf die dem Dokument zugrundeliegenden „Belege“ nach dem klaren Normtext ebenfalls auf den Anwendungsbereich der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung beschränkt ist, stellt sich die Frage eines Vorrangs gegenüber innerstaatlichen Rechtsvorschriften nur dann, wenn es um die Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Fragen, nicht aber etwa um die Anwendbarkeit der für die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgesehenen Bußgeldbestimmungen geht (im Ergebnis ebenso Räuchle/Schmidt a. a. O.).

ee) Im Ergebnis hat die Entsendebescheinigung keine Auswirkungen auf die Frage, ob eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen ist (ebenso Wilde a. a. O. S. 52.; Zimmermann, AuA 2010, 514, 517; Schüren a. a. O. S. 84, 94). Vielmehr bleibt die Bußgeldbewehrung des § 16 I Nr. 1 AÜG, dessen Tatbestand lediglich voraussetzt, dass es sich um Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Erlaubnis handelt, von der Entsendebescheinigung unberührt.

III. Aufgrund des unter II. aufgezeigten Rechtsfehlers ist auf die Rechtsbeschwerde der StA der angefochtene Beschluss mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das AG zurückzuverweisen (§ 79 VI OWiG). Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das AG ggf. die Frage der Verjährung zu prüfen haben wird, wobei auch die Vorschrift des § 33 III 2 OWiG in den Blick zu nehmen sein wird. Dabei werden insbesondere der Zeitpunkt der Tatbeendigung i. S. d. § 31 III OWiG sowie - im Hinblick auf § 31 II i. V. m. § 17 II OWiG - der Umstand, ob vorsätzliches oder nur fahrlässiges Verhalten anzunehmen ist, von Bedeutung sein.

IV. Wegen der gegen die Nebenbeteiligte im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro entscheidet der Senat gemäß §§ 80a II 1 i. V. m. 79 I 1 Nr. 3 OWiG über die Rechtsbeschwerde einheitlich in der Besetzung mit drei Richtern (BayObLG, Beschl. v. 17.08.1998 - 3 ObOWi 83/98 = BayObLGSt 98, 137 = wistra 1999, 71 = NStZ-RR 1999, 248; Göhler/Seitz § 80a Rn. 3; KK/Senge OWiG 4. Aufl. § 80a Rn. 7).

V. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss gemäß § 79 V 1 OWiG.

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(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehene

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(1) Unwirksam sind: 1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwi

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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 72 Entscheidung durch Beschluß


(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solch

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Referenzen

(1) Hat jemand

1.
als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs,
2.
als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes,
3.
als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft,
4.
als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person oder einer in Nummer 2 oder 3 genannten Personenvereinigung oder
5.
als sonstige Person, die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder einer in Nummer 2 oder 3 genannten Personenvereinigung verantwortlich handelt, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört,
eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden.

(2) Die Geldbuße beträgt

1.
im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu zehn Millionen Euro,
2.
im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu fünf Millionen Euro.
Im Falle einer Ordnungswidrigkeit bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße. Verweist das Gesetz auf diese Vorschrift, so verzehnfacht sich das Höchstmaß der Geldbuße nach Satz 2 für die im Gesetz bezeichneten Tatbestände. Satz 2 gilt auch im Falle einer Tat, die gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist, wenn das für die Ordnungswidrigkeit angedrohte Höchstmaß der Geldbuße das Höchstmaß nach Satz 1 übersteigt.

(2a) Im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Absatz 1 des Umwandlungsgesetzes) kann die Geldbuße nach Absatz 1 und 2 gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden. Die Geldbuße darf in diesen Fällen den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße nicht übersteigen. Im Bußgeldverfahren tritt der Rechtsnachfolger oder treten die Rechtsnachfolger in die Verfahrensstellung ein, in der sich der Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge befunden hat.

(3) § 17 Abs. 4 und § 18 gelten entsprechend.

(4) Wird wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt oder wird von Strafe abgesehen, so kann die Geldbuße selbständig festgesetzt werden. Durch Gesetz kann bestimmt werden, daß die Geldbuße auch in weiteren Fällen selbständig festgesetzt werden kann. Die selbständige Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann; § 33 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(5) Die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung schließt es aus, gegen sie wegen derselben Tat die Einziehung nach den §§ 73 oder 73c des Strafgesetzbuches oder nach § 29a anzuordnen.

(6) Bei Erlass eines Bußgeldbescheids ist zur Sicherung der Geldbuße § 111e Absatz 2 der Strafprozessordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Urteils der Bußgeldbescheid tritt.

(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hin und gibt ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern; § 145a Abs. 1 und 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Das Gericht kann von einem Hinweis an den Betroffenen absehen und auch gegen seinen Widerspruch durch Beschluß entscheiden, wenn es den Betroffenen freispricht.

(2) Geht der Widerspruch erst nach Ablauf der Frist ein, so ist er unbeachtlich. In diesem Falle kann jedoch gegen den Beschluß innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden; hierüber ist der Betroffene bei der Zustellung des Beschlusses zu belehren.

(3) Das Gericht entscheidet darüber, ob der Betroffene freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird. Das Gericht darf von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen.

(4) Wird eine Geldbuße festgesetzt, so gibt der Beschluß die Ordnungswidrigkeit an; hat der Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur Bezeichnung der Ordnungswidrigkeit verwendet werden. § 260 Abs. 5 Satz 1 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Die Begründung des Beschlusses enthält die für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sieht. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Ferner sind die Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Geldbuße und die Anordnung einer Nebenfolge bestimmend sind.

(5) Wird der Betroffene freigesprochen, so muß die Begründung ergeben, ob der Betroffene für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen angenommene Tat nicht als Ordnungswidrigkeit angesehen worden ist. Kann der Beschluß nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist.

(6) Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn die am Verfahren Beteiligten hierauf verzichten. In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides; das Gericht kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen zusätzliche Ausführungen machen. Die vollständigen Gründe sind innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen, wenn gegen den Beschluß Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 44/06
BGHSt: ja
BGHR: ja
____________________
1. Eine von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilte Entsendebescheinigung
(E 101) bindet auch die deutschen Organe der Strafrechtspflege.
2. Die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen
(§ 266a Abs. 1 StGB) ist ebenso gehindert wie eine Strafverfolgung
in Zusammenhang mit Erklärungen gegenüber den Behörden des Entsendestaates
zur Erlangung der E 101-Bescheinigung jedenfalls solange die erteilte Bescheinigung
nicht zurückgenommen ist.
BGH, Urteil vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 44/06 - LG München I
vom
24. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. Oktober 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten F. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Juli 2005 aufgehoben. Die Angeklagten werden freigesprochen. 2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. 3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht München I hat den Angeklagten F. durch Urteil vom 14. Juli 2005 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen Beihilfe zu diesen Taten unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu jeweils 10,-- € verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.
2
Die Angeklagten machen mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen geltend, dass den Angeklagten F. wegen Unanwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechtes keine Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur deutschen Sozialversicherung treffe, eine Strafbarkeit nach § 266a StGB daher für beide Angeklagte ausscheide. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

3
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte F. war Geschäftsführer der „A. GmbH“ mit Sitz in M. (fortan: A. GmbH), die auf Baustellen in Deutschland als Subunternehmerin Aufträge im Bereich der Fassadenmontage ausführte und dabei portugiesische Arbeiter einsetzte. Um die Arbeiter der deutschen Sozialversicherungspflicht zu entziehen, wurden sie auf Veranlassung des Angeklagten F. zum Schein bei zwei portugiesischen Bauunternehmen angestellt. Die portugiesischen Unternehmen traten formell auch in die Bauaufträge der A. GmbH ein. Tatsächlich hatten die portugiesischen Firmen keinerlei Geschäftsbeziehungen nach Deutschland, insbesondere weder Kontakt zu den Auftraggebern der A. GmbH noch zu den portugiesischen Arbeitnehmern. Diese blieben faktisch bei der A. GmbH beschäftigt, von der sie auch ihren - auf Konten der portugiesischen Unternehmen überwiesenen und von dort ausgezahlten - Arbeitslohn erhielten. Der Angeklagte H. , ein ehemaliger Rechtsanwalt, hatte zusammen mit dem Angeklagten F. die Verhandlungen mit den portugiesischen Firmen geführt, die abgeschlossenen Scheinarbeitsverträge entworfen und die Organisation der umgeleiteten Lohnzahlungen übernommen.
4
Die Angeklagten beabsichtigten, durch die angeblichen Arbeitsverhältnisse in Portugal den Anschein einer nur vorübergehenden Entsendung der Ar- beiter von Portugal nach Deutschland zu erwecken. Das deutsche und das europäische Sozialversicherungsrecht sehen für einen derartigen Fall vor, dass die entsandten Arbeitnehmer nur in ihrem Herkunftsstaat zu versichern sind, im Gastland dagegen beitragsfrei beschäftigt werden können. Die Geschäftsführer der portugiesischen Gesellschaften stellten nach Absprache mit den Angeklagten daher bei den portugiesischen Sozialversicherungsträgern Anträge auf Erteilung so genannter E 101-Bescheinigungen, welche daraufhin auch ausgestellt wurden. In den Bescheinigungen bestätigten die portugiesischen Behörden , dass die eingesetzten Arbeiter nach der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 aufgrund von Werkverträgen für nicht länger als ein Jahr ins Ausland entsandt wurden mit der rechtlichen Folge, dass sie in Portugal sozialversicherungspflichtig blieben. Tatsächlich lagen die Voraussetzungen hierfür - wie das Landgericht feststellt - nicht vor, da die Arbeitnehmer bereits zum Zeitpunkt ihrer angeblichen Entsendung durch die portugiesischen Unternehmen länger als ein Jahr in Deutschland tätig und vollständig in den Betrieb der A. GmbH eingegliedert waren.
5
Bei den deutschen Sozialversicherungsbehörden meldeten die Angeklagten die Arbeiter nicht an und führten auch keine Beiträge für sie ab. Nach der Berechnung des Landgerichts entzogen sie dadurch im Zeitraum zwischen Juli 2001 und Juni 2002 in Deutschland Beiträge in Höhe von insgesamt 112.132,40 €. In Portugal sollten Beiträge nach Vorstellung der Angeklagten aus dem an die dortigen Unternehmen überwiesenen Arbeitslohn entrichtet werden. Ob dies tatsächlich geschah, hat das Landgericht nicht festgestellt.
6
Zur behördlichen Handhabung der E 101-Bescheinigungen teilt das Urteil mit, dass die deutschen Sozialversicherungsträger aufgrund von Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes darin übereingekommen seien, den Bescheinigungen bindende Wirkung beizumessen. Die Landesversicherungsan- stalt Oberbayern hob daher in einem das Vorgängerunternehmen der A. GmbH betreffenden Verfahren mit ähnlichem Sachverhalt - die Arbeitnehmer wurden bei zu diesem Zweck eigens gegründeten portugiesischen Briefkastenfirmen angestellt und erlangten auf diesem Weg E 101-Bescheinigungen - einen bereits ergangenen Leistungsbescheid wieder auf, nachdem die portugiesischen Behörden die Richtigkeit der von ihnen ausgestellten Bescheinigungen bestätigt hatten. Im laufenden, gegen den Angeklagten F. gerichteten sozialversicherungsrechtlichen Verfahren wurden Beitragsforderungen gar nicht erst erhoben. Nach Aussage von Mitarbeitern der befassten deutschen Sozialbehörden ist dies auch für die Zukunft nicht beabsichtigt, sofern die vorliegenden Bescheinigungen Bestand haben.
7
2. Das Landgericht ist der Auffassung, dass die portugiesischen Arbeiter ungeachtet der vorgelegten E 101-Bescheinigungen in Deutschland sozialversicherungspflichtig waren, da die Voraussetzungen für eine versicherungsfreie Tätigkeit nicht gegeben waren. Den Bescheinigungen misst es eine nur formale Bedeutung zu. Sie entfalten nach Auffassung des Landgerichts bindende Wirkung nur im Sozialversicherungsrecht, begründen auch dort aber nur eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der betroffene Arbeitnehmer in das Sozialversicherungssystem eines anderen Landes eingebunden ist. Die deutschen Sozialversicherungsträger seien bis zur Rücknahme der auf falschen Annahmen beruhenden Bescheinigungen durch die ausstellende Behörde zwar gehindert , Beiträge einzuziehen. Am Bestehen eines darauf gerichteten materiellen Anspruches und an der strafrechtlichen Bedeutung unterlassener Beitragsabführung ändere dies aber nichts.

II.

8
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Kollisionsvorschriften des europäischen Sozialversicherungsrechtes in der ihnen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zukommenden Reichweite und Wirkung findet deutsches Sozialversicherungsrecht auf die dem Urteil des Landgerichts zugrunde liegenden Beschäftigungsverhältnisse keine Anwendung. Eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 266a StGB scheidet infolgedessen aus.
9
1. Gegenstand einer Beitragsstraftat nach § 266a StGB sind fällige Arbeitnehmerbeiträge , die aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches geschuldet sind. § 266a StGB ist insoweit sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (vgl. BGHSt 47, 318 f.; Tröndle /Fischer StGB 53. Aufl. § 266a Rdn. 9a, 10; Ignor/Rixen, wistra 2001, 201, 202). Auch das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass eine sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht die Voraussetzung für eine Beitragsstraftat bildet.
10
2. In Fällen mit Auslandsbezug ist daher von vorrangiger Bedeutung, ob der betroffene Arbeitnehmer der inländischen Sozialversicherungspflicht unterliegt oder davon ausgenommen ist. § 266a StGB knüpft hierbei nicht allein an die deutschen Sozialgesetze, sondern auch an zwischen- und überstaatliche Bestimmungen an, soweit sie in Deutschland gelten und das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmen. Danach ergibt sich Folgendes:
11
a) Nach den Bestimmungen des deutschen Sozialgesetzbuches führt eine inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers (§ 2 Abs. 2, § 3 Nr. 1 SGB IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 Abs. 1 SGB IV). Die Versicherungs- pflicht entfällt gem. § 5 Abs. 1 SGB IV bei Personen, die im Rahmen eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses in das Inland entsandt werden, sofern die Entsendung im Voraus zeitlich begrenzt ist.
12
Nach diesem Maßstab unterlagen die portugiesischen Arbeiter in der zugrunde liegenden Fallkonstellation der deut schen Sozialversicherungspflicht. An einer zur Versicherungsfreiheit führenden Entsendung fehlte es bereits deshalb , weil ein ausländisches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 5 Abs. 1 SGB IV nicht bestand, die Arbeiter vielmehr allein von der inländischen A. GmbH beschäftigt wurden. Sie waren insbesondere weder an Weisungen der nur nach außen als Arbeitgeber auftretenden portugiesischen Unternehmen gebunden noch in deren Arbeitsorganisation eingegliedert (vgl. § 7 Abs. 1 SGB

IV).

13
b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. SGB IV stehen jedoch unter dem Vorbehalt über- und zwischenstaatlichen Rechtes (§ 6 SGB IV). Als derartige, nach Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag mit unmittelbarem Geltungsvorrang ausgestattete Regelung enthält die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (sog. „Wanderarbeitnehmerverordnung“, ABl. L 149 vom 5. Juli 1971 S. 2; fortan: VO 1408/71) für Fälle grenzüberschreitender Beschäftigung in Ländern der europäischen Union Kollisionsvorschriften, die das anwendbare nationale Sozialversicherungsrecht bestimmen.
14
Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 der VO 1408/71 sollen grenzüberschreitend beschäftigte Personen dem Sozialversicherungsrecht nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Art. 13 Abs. 2 lit. a) der VO 1408/71 bestimmt insoweit , dass auf einen Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates beschäftigt ist, unabhängig von seinem Wohnsitz und dem Sitz seines Arbeitgebers das Recht dieses Staates Anwendung findet. Als Ausnahme hierzu findet im Falle einer Entsendung von voraussichtlich nicht mehr als zwölf Monaten nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 a) der VO 1408/71 weiterhin das Sozialversicherungsrecht des Herkunftsstaates Anwendung, aus dem der Arbeitnehmer entsandt wird, sofern der Arbeitnehmer einem dortigen Unternehmen gewöhnlich angehört und für Rechnung dieses Unternehmens entsandt wird. Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung ist eine auch während der Entsendung fortbestehende arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer, die sich in der Zahlung des Entgeltes , der Erhaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses, der Verantwortung für Anwerbung, Arbeitsvertrag, Entlassung und der Entscheidungsgewalt über die Art der Arbeit ausdrückt (vgl. die Beschlüsse der - nach Art. 80, 81 der VO 1408/71 zu Fragen der Auslegung und Durchführung der Verordnung eingesetzten - Verwaltungskommission Nr. 128 vom 17. Oktober 1985, ABl. C 141 vom 7. Juni 1986, S. 6; Nr. 162 vom 31. Mai 1996, ABl. L 241 vom 21. September 1996, S. 28; Nr. 181 vom 13. Dezember 2000, ABl. L 329 vom 14. Dezember 2001, S. 73).
15
Auch nach diesem Maßstab lagen die Voraussetzungen einer zur inländischen Versicherungsfreiheit führenden Entsendung auf Grundlage der Feststellungen des Landgerichts nicht vor; denn die portugiesischen Arbeitnehmer befanden sich in keiner arbeitsrechtlichen Bindung zu den portugiesischen Unternehmen. Sie waren auch nicht für deren Rechnung tätig, da ihre Arbeitskraft allein zur Durchführung der tatsächlich bei der A. GmbH verbliebenen Bauaufträge diente und sie faktisch auch ihren Lohn von der GmbH bezogen.
16
3. Dem Landgericht war es gleichwohl verwehrt, seiner Beurteilung die Anwendung deutschen Sozialversicherungsrechtes zugrunde zu legen. Nach den zur Durchführung der VO 1408/71 ergangenen europäischen Rechtsvorschriften war es an die Bescheinigung des portugiesischen Sozialversiche- rungsträgers gebunden, wonach die Arbeiter der A. GmbH portugiesischem Sozialversicherungsrecht unterliegen. Die Strafkammer war daher gehindert , entgegen der Bewertung der portugiesischen Behörde dennoch zu einer bestehenden Sozialversicherungspflicht in Deutschland zu gelangen.
17
a) Die VO 1408/71 wird ergänzt durch Durchführungsvorschriften in der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 vom 21. März 1972 (ABl. L 74 vom 27. März 1972, S. 1; fortan: VO 574/72). Für die Fälle einer Entsendung nach Art. 14 Abs. 1 der VO 1408/71 sieht Art. 11 der VO 574/72 ein Verfahren vor, in dem der zuständige Sozialversicherungsträger des Herkunftsstaates auf Antrag des betroffenen Arbeitnehmers oder Arbeitgebers die Entsendung bestätigt und für einen begrenzten Zeitraum bescheinigt, dass der Beschäftigte den Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates unterstellt bleibt. Die Bescheinigung erfolgt auf einem gemäß Art. 2 der VO 574/72 von der Verwaltungskommission entworfenen einheitlichen Formblatt mit der Bezeichnung „E 101“.
18
Über die Rechtsnatur und Wirkung einer derartigen E 101-Bescheinigung verhält sich die VO 574/72 nicht unmittelbar. Ihr ist insbesondere nicht zu entnehmen , welche Wirkung der Bescheinigung in einem das Sozialversicherungsverhältnis eines entsandten Arbeitnehmers betreffenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren im Gastland zukommt, ob sie dort etwa nur verfahrensrechtliche Bedeutung im Sinne einer Beweiserleichterung oder widerleglichen Vermutung für das Vorliegen des bescheinigten Entsendetatbestandes erlangt, oder ob sie materielle Bindungswirkung dahingehend entfaltet, dass sie die sich aus der bescheinigten Entsendung ergebende Anwendung des Sozialversicherungsrechtes des Entsendestaates verbindlich festschreibt.
19
b) Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen, denen Vorlagefragen aus arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren der Mitgliedsstaa- ten zugrunde lagen, zur Wirkung einer E 101-Bescheinigung ausgesprochen, dass die nationalen Behörden des Gastlandes und dessen Gerichte an die bescheinigte Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechtes des Herkunftslandes gebunden sind (Urteil vom 10. Februar 2000 - Rs. C-202/97, EuZW 2000, 380; Urteil vom 30. März 2000 - Rs. C-178/97, Slg. 2000 I, 2005, 2040 ff.; Urteil vom 26. Januar 2006 - Rs. C-2/05, AP EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Nr. 13.).
20
Der Gerichtshof begründet seine Auffassung mit dem Zweck der Verordnungen , dass ein Arbeitnehmer nur an ein einziges System der sozialen Sicherheit angeschlossen werden soll, der damit verbundenen Rechtssicherheit und der mit der Verordnung und der Bescheinigung beabsichtigten Förderung von Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit. Er führt darüber hinaus aus, dass der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Art. 10 (alt: Art. 5) EG-Vertrag den ausstellenden Träger verpflichte, den Sachverhalt ordnungsgemäß zu beurteilen und damit die Richtigkeit der Bescheinigung zu gewährleisten. Umgekehrt würde der zuständige Träger des Aufnahmestaates seine Verpflichtung zur Zusammenarbeit verletzen, wenn er sich nicht an die Angaben in der Bescheinigung gebunden sähe und den Betroffenen (zusätzlich) seinem eigenen Sozialversicherungssystem unterstellen würde. In Konfliktfällen habe der Träger des Aufnahmestaates sich vielmehr zunächst an den Träger des Entsendestaates zu wenden, dann an die Verwaltungskommission. Gelinge dieser keine Vermittlung, könne der Träger des Aufnahmestaates im Entsendestaat klagen oder ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 (alt: Art. 170) EG-Vertrag einleiten.
21
Zur Reichweite der Bindung führt der Europäische Gerichtshof aus, dass eine E 101-Bescheinigung notwendig zur Folge habe, dass das System der sozialen Sicherheit des anderen Mitgliedstaates nicht angewandt werden kann. Hieran seien auch die nationalen Gerichte gebunden (Urteil vom 26. Januar 2006 - Rs. C-2/05; AP EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Nr. 13). Der Gerichtshof hatte insoweit über die Vorlagefrage zu befinden, ob ein Gericht des Gaststaates das Fortbestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer prüfen darf, weiterhin, ob es die E 101-Bescheinigung unbeachtet lassen darf, wenn nach den ihm vorliegenden tatsächlichen Umständen feststeht, dass während des Entsendungszeitraums eine solche Bindung nicht bestand. Der Europäische Gerichtshof hat dies abgelehnt und ausgeführt, ein Gericht des Gaststaates sei „nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (…) zu überprüfen“ (EuGH aaO Rdn. 33).
22
c) Der Senat sieht vor diesem Hintergrund auch die an einem innerstaatlichen Strafverfahren beteiligten Behörden und Gerichte an eine von einem ausländischen Sozialversicherungsträger ausgestellte E 101-Bescheinigung gebunden , soweit sich das Strafverfahren auf eine Verletzung der Beitragspflicht des Arbeitgebers bezieht.
23
Er hält zunächst für nicht zweifelhaft, dass der Europäische Gerichtshof trotz einzelner Formulierungen, die der Bescheinigung lediglich Beweiskraft oder die Wirkung einer Vermutung zuschreiben (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - Rs. C-202/97, EuZW 2000, 380, 384), eine behördliche oder gerichtliche Auseinandersetzung über die tatsächlichen Verhältnisse, aufgrund derer die Bescheinigung erteilt wurde, im Gastland für ausgeschlossen hält. Die seitens des Gerichtshofes betonte Bindung lässt sich nicht anders verstehen, als dass eine derartige Sachprüfung durch dortige Behörden nicht stattfinden darf.
24
Dies betrifft auch die Organe der Strafrechtspflege. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner - erst nach dem Urteil des Landgerichts ergangenen - Entscheidung vom 26. Januar 2006 (Rs. C-2/05) bereits die Vorlagefragen weitreichend im Hinblick auf eine Bindung der „innerstaatlichen Rechtsordnung des Gaststaates“ verstanden und eine Bindung der nationalen Gerichte ohne Unterscheidung nach Gerichtsbarkeit ausgesprochen. Ein solches Verständnis entspricht dem Zweck der europäischen Kollisionsvorschriften und der Entsendebescheinigung. Denn ein strafrechtliches Urteil, das sich auf von der Bescheinigung abweichende Feststellungen stützt, hätte wegen der einschneidenden Sanktionsfolge tiefergreifende Auswirkungen als eine von der Bescheinigung abweichende Beitragserhebung durch die Sozialversicherungsbehörden des Gastlandes.
25
Im Hinblick auf § 266a StGB ergibt sich eine Bindung auch mittelbar aus der sozialrechtsakzessorischen Natur der Strafvorschrift. Da die strafrechtliche Beitragsvorenthaltung eine sozialrechtlich begründete Beitragspflicht voraussetzt , lässt eine Unanwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechtes infolge der bindenden Bewertung der Entsendebehörde zugleich die Strafbarkeit nach § 266a StGB entfallen (zutreffend Ignor/Rixen, wistra 2001, 201, 204; a.A. Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rdn. 70 f., 76, der einer Entsendebescheinigung allerdings auch für das sozialrechtliche Verfahren nur eine Beweisfunktion zuschreibt). Dies zeigt auch die Struktur von § 266a StGB als echtes Unterlassungsdelikt. Dem Unterlassen steht bei Vorliegen einer Entsendebescheinigung eine erfüllbare Rechtspflicht nicht gegenüber; da mangels eines Sozialversicherungsverhältnisses kein Anspruch eines inländischen Sozialversicherungsträgers besteht, ist dem Täter die von § 266a StGB abverlangte Handlung - rechtzeitige Beitragsabführung - rechtlich und tatsächlich unmöglich. Eine strafrechtliche Feststellung fehlender Entsendungsvoraussetzungen, wie von dem Landgericht vorgenommen, ver- mag hieran nichts zu ändern, da sie eine Sozialversicherungspflicht nicht begründen kann.
26
d) Der Senat hat erwogen, ob die Bindungswirkung der E 101Bescheinigung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden in Frage steht, in denen die Bescheinigung durch Manipulation erschlichen worden ist. Der Europäische Gerichtshof hat insoweit in anderem Zusammenhang mehrfach ausgesprochen , dass das Gemeinschaftsrecht die missbräuchliche oder betrügerische Anwendung von Vorschriften nicht gestatte (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996 - Rs. C-206/94, BB 1996, 1116, 1117 m.w.N.).
27
Sollte der Verdacht von Manipulationen eine Überprüfungsmöglichkeit des Entsendetatbestandes durch die Behörden und Gerichte des Gaststaates eröffnen, würde dies allerdings die von den Verordnungen bezweckte und in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als wesentliche Zielsetzung betonte eindeutige Rechtszuordnung unterlaufen, da eine auf den Missbrauchsverdacht gestützte Ermittlungs- und Eingriffsbefugnis keine trennscharfen Konturen aufweist und zu Konflikten zwischen den Versicherungsträgern der beteiligten Mitgliedstaaten Anlass geben würde.
28
Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof eine Ausnahme von der Bindungswirkung nicht vorgesehen und an der Richtigkeit der Bescheinigung zweifelnde Gastlandbehörden ausnahmslos auf eine Überprüfungsanregung bei der Ausstellungsbehörde verwiesen. Dies betrifft auch das vom Gerichtshof mit Urteil vom 30. März 2000 (- Rs. C-178/97, Slg. 2000 I, 2005) entschiedene Vorlageverfahren, dem die Problematik einer Scheinselbständigkeit zugrunde lag. In den im Verfahren eingeholten Stellungnahmen der deutschen und niederländischen Regierungen wurde der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass mit einer allzu großzügigen Handhabung der Verordnungen und der auf ihrer Grundlage ergangenen Bescheinigungen einem Missbrauch durch erschlichene Rechtswahl der Sozialrechtsordnung eines Mitgliedsstaates, dessen Sozialabgaben niedriger als jene im tatsächlichen Beschäftigungsstaat ausfallen, Vorschub geleistet würde (vgl. Slg. 2000 I, 2005, 2016). Der Gerichtshof hat gleichwohl auch in diesem Fall keine Veranlassung gesehen, die Bindungswirkung der E 101-Bescheinigung unter einen Missbrauchsvorbehalt zu stellen.
29
Nach Auffassung des Senats liegt daher eine gesicherte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor, die vernünftige Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes im vorliegenden Fall nicht zulässt; hiermit entfällt zugleich eine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag, § 1 Abs. 2 EuGHG zur Klärung der Rechtsfrage (vgl. hierzu Kokott, JZ 2006, 633).
30
4. Eine Beitragsvorenthaltung zu Lasten der portugiesischen Sozialbehörden kommt nach den Feststellungen des Landgerichts gleichfalls nicht in Betracht. Angesichts des durch die Entsendebescheinigung festgestellten Arbeitsverhältnisses trifft eine Beitragspflicht allein die portugiesischen Unternehmen und ihre Organe. Darüber hinaus ergeben die Feststellungen des Landgerichts , dass nach Absicht der Angeklagten aus den von ihnen an die portugiesischen Firmen überwiesenen Lohnzahlungen Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden sollten. Es kann daher dahinstehen, ob § 266a StGB allein die Nichtabführung von Beiträgen aufgrund einer inländischen Sozialversicherungspflicht betrifft oder aufgrund der Verknüpfung der europäischen Sozialsysteme auch das gesamteuropäische Beitragsaufkommen schützt.

III.

31
Der Senat hat weiterhin erwogen, ob das Landgericht - gegebenenfalls nach einem Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO - der Frage hätte nachgehen müssen, ob sich die Angeklagten aufgrund der Beantragung der Entsendebescheinigungen eines Beitragsbetruges nach § 263 StGB schuldig gemacht haben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen legen nahe, dass die E 101-Bescheinigungen von den portugiesischen Sozialversicherungsbehörden infolge einer - von den Angeklagten zumindest veranlassten - Täuschung über die tatsächlichen Voraussetzungen des Entsendetatbestandes ausgestellt worden sein könnten. Die Ausstellung der Bescheinigungen könnte in diesem Fall eine irrtumsbedingte Verfügung darstellen, da sie aufgrund ihrer Bindungswirkung die Erhebung höherer Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland hindern.
32
Eine Zurückverweisung der Sache zur ergänzenden Sachaufklärung war gleichwohl nicht veranlasst. Unabhängig davon, ob die einem etwaigen Beitragsbetrug zugrunde liegenden Tathandlungen von der zugelassenen Anklage und damit der Kognitionspflicht des Landgerichts umfasst sind, steht einer solchen Prüfung gleichfalls die Bindungswirkung der erteilten Entsendebescheinigungen entgegen. Nach der - für den Senat bindenden - Auffassung des Europäischen Gerichtshofes sind die Gerichte des Gaststaates nicht befugt, die der Entsendebescheinigung zugrunde liegenden Tatsachen einer eigenständigen Überprüfung zu unterziehen (vgl. Urteil vom 26. Januar 2006, Rs. C-2/05 Rdn. 32 f.). Die Annahme eines Beitragsbetruges widerspräche einer solchen Bindung. Denn sie setzt die Bewertung voraus, dass es an den tatsächlichen Voraussetzungen einer Entsendung fehlt, diese dem ausländischen Versicherungsträger vielmehr nur vorgetäuscht wurden und die von ihm ausgestellte Bescheinigung auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage beruht.
33
Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, welche Rechtsfolgen ein möglicher Widerruf der erteilten E 101-Bescheinigungen durch die ausstellende Behörde hätte, doch könnte bei erschlichenen Bescheinigungen Betrug zum Nachteil deutscher Sozialversicherungsträger nahe liegen.
34
Da mithin lediglich ein Mangel der rechtlichen Würdigung vorliegt und weitergehende Feststellungen ausscheiden, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom Landgericht zu treffen, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht zu bestimmen sind (vgl. BGH StV 2002, 422, 423). Der Senat weist im übrigen klarstellend darauf hin, dass die in die Gesamtstrafe gegenüber dem Angeklagten H. gem. § 55 StGB einbezogenen Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung von dem Freispruch nicht berührt werden. Insoweit verbleibt es bei der in dem früheren Erkenntnis gebildeten Gesamtstrafe, deren Auflösung mit Aufhebung des landgerichtlichen Urteils entfallen ist. Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 301/06
vom
7. März 2007
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
BGHR: ja
________________________
Zur Anwendbarkeit von § 266a StGB bei einem durch türkische Scheinfirmen vorgetä
uschten Entsendetatbestand (im Anschluss an BGH NJW 2007, 233, zur Veröffentli
chung in BGHSt vorgesehen).
BGH, Beschluss vom 7. März 2007 - 1 StR 301/06 - LG Landshut
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. März 2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 30. Januar 2006
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 53 Fällen, des Betruges in 14 Fällen sowie der Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung durch unrichtige Angaben in 62 Fällen schuldig ist;
b) in den Einzelstrafaussprüchen zu V. 1. c) Fälle 3. bis 11. der Urteilsgründe aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
Der Angeklagte war von 1996 bis 2001 faktischer und seit 2001 formeller Geschäftsführer der Firma HaCe GmbH (im Folgenden: HaCe GmbH) mit Sitz in P. . Die Gesellschaft führte unter Einschaltung von Subunternehmen Bauarbeiten im Bereich der Eisenflechterei durch. Auf Veranlassung des Angeklagten gründete der anderweitig Verfolgte O. in der Türkei in den Jahren 1999 und 2002 die Firmen Eryilmaz Limited (im Folgenden: Eryilmaz Ltd.) und Kanal Ltd. (im Folgenden: Kanal Ltd.), zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung türkischen Rechts. Faktischer Geschäftsführer auch dieser Gesellschaften war der Angeklagte. Ihr alleiniger Zweck bestand darin, Arbeiter anzuwerben, die in Deutschland auf Baustellen der HaCe GmbH Arbeiten verrichten sollten; im Übrigen waren sie, wie die Strafkammer im Einzelnen ausführt, nicht unternehmerisch tätig. Zweigstellen beider Firmen wurden in Deutschland in P. angemeldet.
3
Die HaCe GmbH schloss mit der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd. Werkverträge , denen zufolge die türkischen Gesellschaften unter Einsatz der angeworbenen Arbeiter in Deutschland als Subunternehmer für die HaCe GmbH tätig werden sollten. Gegenüber den deutschen Behörden stellte der Angeklagte mit Unterstützung des - früheren - Mitangeklagten A. - der keine Revision eingelegt hat - die beabsichtigte Beschäftigung der Arbeiter als „Entsendefall“ dar. Bei den deutschen Sozialversicherungsbehörden meldete der Angeklagte die türkischen Arbeiter nicht an und führte auch keine Beiträge für sie ab. Hierdurch wurden der deutschen Sozialversicherung zwischen April 1999 und Juni 2003 insgesamt 315.290,93 € entzogen. In der Türkei wurden für die Arbeiter Sozialversicherungsbeiträge in dem dort vorgeschriebenen Umfang entrichtet.
4
Der Angeklagte beschäftigte bei der HaCe GmbH zugleich deutsche Arbeitnehmer , die sich auf seine Weisung in den Wintermonaten arbeitslos meldeten , tatsächlich jedoch im Betrieb der Firma weiterbeschäftigt wurden. In den Monaten Januar, Februar und Dezember der Jahre 1999 bis 2001 sowie im Januar und Februar 2002 entzog der Angeklagte auf diese Weise Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 20.979,78 €.
5
2. Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung als auf den monatlichen Fälligkeitszeitpunkt bezogene Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB bewertet. Hinsichtlich der türkischen Arbeiter ist es von 51 selbständigen Taten ausgegangen; hinsichtlich der nicht angemeldeten deutschen Arbeiter hat es weitere elf Taten angenommen.
6
Nach Auffassung des Landgerichts waren die auf Baustellen der HaCe GmbH tätigen türkischen Arbeiter in Deutschland sozialversicherungs- und daher beitragspflichtig. Bei ihnen habe es sich zwar nicht um Arbeitnehmer der deutschen HaCe GmbH gehandelt, da sie nicht hinreichend in deren Betrieb integriert gewesen seien, sondern um solche der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd.. Aufgrund ihrer Tätigkeit in Deutschland unterlägen sie gleichwohl der deutschen Sozialversicherungspflicht. Eine nur vorübergehende Entsendung der Arbeiter nach § 5 SGB IV mit der Folge, dass die Arbeiter in Deutschland hätten beitragsfrei beschäftigt werden können, scheide aus.
7
Die Verantwortung des Angeklagten für die Beitragsabführung hinsichtlich der türkischen Arbeitnehmer folge - so das Landgericht - aus seiner Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd.. Hinsichtlich der deutschen Arbeitnehmer sei der Angeklagte aufgrund seiner Stellung als zunächst faktischer, später formeller Geschäftsführer der HaCe GmbH zur Zahlung der Beiträge verpflichtet gewesen.
8
3. Das Landgericht hat den Angeklagten auf dieser Grundlage wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen verurteilt. Wegen dieser Taten und weiterer Verurteilungen wegen Betruges in 14 Fällen und wegen Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in 62 Fällen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt weitgehend erfolglos. Sie führt bei gleichblei- bendem Schuldumfang zu einer Änderung des Schuldspruchs und dementsprechend zum Wegfall von neun Einzelstrafen; der Gesamtstrafenausspruch bleibt hiervon unberührt.

II.

9
Das Landgericht hat für die Strafbarkeit nach § 266a StGB zu Recht auf die sozialversicherungsrechtliche Pflicht zur Beitragsabführung abgestellt (vgl. BGH NJW 2007, 233, 234 - „E 101“, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGHSt 47, 318 f.; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 266a Rdn. 9 ff.). Es hat die in der Türkei angeworbenen und in Deutschland tätigen Arbeitnehmer im Ergebnis zutreffend für sozialversicherungspflichtig in Deutschland gehalten und dem Angeklagten die unterlassene Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen als Vorenthaltung von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB angelastet.
10
Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings der Ausgangspunkt des Landgerichts, wonach es sich bei den betroffenen türkischen Arbeitnehmern um Angehörige ausländischer Unternehmen gehandelt haben soll. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen waren die angeworbenen türkischen Arbeiter nicht bei der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd., sondern bei der deutschen HaCe GmbH beschäftigt. Eine zur Versicherungsfreiheit führende Entsendung der Arbeiter war danach von vornherein ausgeschlossen. Zugleich ergibt sich eine abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung der festgestellten Taten.
11
1. Die - fehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Bewertung, dass es sich bei den in der Türkei angeworbenen Arbeitern um Beschäftigte der Firmen Eryilmaz Ltd. und Kanal Ltd. gehandelt hat. Sie belegen vielmehr, dass die Arbeiter nur zum Schein bei diesen Gesellschaften angestellt wurden, tatsächlich jedoch der deutschen HaCe GmbH zuzuordnen waren.
12
a) Nach den teilweise an unterschiedlichen Stellen der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen ging die Gründung der beiden türkischen Gesellschaften auf den Angeklagten zurück, der türkische Arbeitnehmer einstellen, durch Vortäuschung eines Entsendefalles die deutschen Sozialversicherungsbeiträge ersparen und dadurch Wettbewerbsvorteile erlangen wollte. Die Gründung der Kanal Ltd. erfolgte auch deshalb, weil Lohnsteuerverpflichtungen umgangen werden sollten. Die Gesellschaften traten in der Türkei nicht nach außen auf; sie besaßen keine Betriebsräume, sondern verwendeten die Anschrift eines Steuerberatungsbüros. Nach der Aussage des Zeugen O. haben sie „lediglich auf dem Papier existiert“. Nach der den Feststellungen gleichfalls zugrunde gelegten Einlassung des Mitangeklagten A. haben die Firmen in der Türkei „keinen eigentlichen Firmensitz“ gehabt. Die Arbeiter seien bei den Firmen auch nicht beschäftigt gewesen.
13
Das Landgericht stellt weiter fest, dass alle maßgeblichen, das Arbeitsverhältnis der türkischen Arbeitnehmer betreffenden Vorgänge durch den Angeklagten in Deutschland abgewickelt wurden. Zu diesem Zweck befand sich bei der HaCe GmbH eine „grüne Kiste“, in welcher sich Blankoformulare (Schecks, Überweisungsträger, Briefpapier) und Stempel der Eryilmaz Ltd. und Kanal Ltd. befanden, und die auf der jeweiligen Baustelle nach Bedarf eingesetzt wurde. Nach der Einlassung des Mitangeklagten A. habe diese Kiste letztlich das „Büro“ der Firmen dargestellt. Die türkischen Firmen unterhielten auch ihre Konten am Firmensitz der HaCe GmbH, auf die der Angeklagte Zugriff hatte und über die er die finanziellen Angelegenheiten der Firmen abwickelte ; dies schloss die Lohnzahlungen an die türkischen Arbeiter ein. Die finanziellen Mittel hierfür stammten aus dem Vermögen der HaCe GmbH. Der Angeklagte hatte auch in allen Personalangelegenheiten der türkischen Arbeitnehmer bis in Einzelheiten das Sagen, entschied insbesondere über Einstellungen , Entlassungen und Urlaub. Er bestimmte den Einsatz der Arbeiter an den Baustellen der HaCe GmbH, zum Teil über die durch die Werkverträge bestimmten Einsatzorte hinaus, und gab vermittelt über die Vorarbeiter oder den als Strohmann eingesetzten Zeugen O. Weisungen. Auf den Baustellen hatte er „das letzte Wort“.
14
b) Bei der Eryilmaz Ltd. und Kanal Ltd. handelte es sich demnach um bloße Scheinfirmen ohne eigene Organisationsstruktur und Tätigkeit, deren Zweck allein darin bestand, Beschäftigungsverhältnisse formal zu begründen und mittels Vortäuschung eines Entsendetatbestandes die bei der HaCe GmbH anfallenden Lohnnebenkosten zu verringern. Dass die türkischen Arbeiter gleichwohl bei der Eryilmaz Ltd. oder Kanal Ltd. beschäftigt waren, scheidet bereits deshalb aus, weil es gänzlich an einer betrieblichen Organisation fehlt, in die die Arbeiter hätten eingegliedert sein können (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB

IV).

15
Ein Beschäftigungsverhältnis bestand demgegenüber zur deutschen HaCe GmbH (zu den maßgeblichen Kriterien vgl. Radtke in: MüKo StGB § 266a Rdn. 9; Heitmann in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rdn. 15). Die türkischen Arbeiter waren von dem Angeklagten als Geschäftsführer der HaCe GmbH weisungsabhängig, erhielten auf seine Veranlassung aus dem Vermögen der Gesellschaft ihren Lohn und arbeiteten auf den Baustellen der Gesellschaft zur Erledigung der von ihr übernommenen Bauaufträge. Das Landgericht sieht sich an einer Einordnung der Arbeiter als Beschäftigte der HaCe GmbH gleichwohl dadurch gehindert, dass es eine weiterreichende Integration der Arbeiter in den Geschäftsbetrieb des Unternehmens, insbesondere eine „Vermischung“ der von den türkischen Gesellschaften ge- worbenen Arbeiter mit sonstigen Arbeitnehmern der HaCe GmbH nicht festzustellen vermochte. Nach den Umständen des Falles war dies aber nicht zu verlangen. Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte eine Zugehörigkeit der Arbeiter zu einem Fremdunternehmen gezielt - etwa durch gefälschte Lohnund Arbeitszeitlisten für den Fall einer Kontrolle durch die Zollbehörden - vorzutäuschen versuchte. Dem entsprach es, die türkischen Arbeiter Bauleistungen nur abgetrennt an „ihren“ Gewerken verrichten zu lassen.
16
2. Bereits hieraus folgt, dass die türkischen Arbeitnehmer der deutschen Sozialversicherungspflicht unterlagen.
17
a) Nach den Vorschriften des deutschen Sozialgesetzbuches führt eine inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers (§ 3 Nr. 1 SGB IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 SGB IV). Abweichend hiervon gelten für Arbeitnehmer , die im Rahmen eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses für einen im Voraus begrenzten Zeitraum in das Inland entsandt worden sind, gemäß § 5 Abs. 1 SGB IV die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ihres Heimatlandes fort; eine Versicherungspflicht am Beschäftigungsort besteht nicht.
18
Die auf Baustellen in Deutschland eingesetzten türkischen Arbeitnehmer waren danach in Deutschland zu versichern. An den Voraussetzungen einer zur Versicherungsfreiheit in Deutschland führenden Entsendung fehlt es schon deshalb, weil ein ausländisches Beschäftigungsverhältnis nicht bestand. Auf die Erwägungen des Landgerichts, dass eine Entsendung nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung einen ausländischen Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSGE 79, 214, 217) und eine beabsichtigte Rückkehr in das Ausland unter Fortsetzung der Tätigkeit (vgl. BSGE 71, 227, 234 f. zu den insoweit identischen Voraussetzungen von § 4 SGB IV) voraussetze, kommt es demnach nicht mehr an.
19
b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. SGB IV stehen unter dem Vorbehalt überund zwischenstaatlichen Rechts, soweit es in Deutschland gilt und das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmt (§ 6 SGB IV). Hiernach ergibt sich keine abweichende Bewertung.
20
aa) Solches Recht bildet das durch Zustimmungsgesetz vom 13. September 1965 (BGBl. II 1965, 1169) umgesetzte bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965, 1170; fortan: Sozialversicherungsabkommen ) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl. II 1972, 2) und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. II 1975, 374), ergänzt durch Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986, 1040). Das Abkommen enthält zur Frage des anwendbaren Rechts für Fälle länderübergreifender Beschäftigung Kollisionsvorschriften, die das anwendbare Sozialversicherungsrecht bestimmen.
21
Art. 5 des Sozialversicherungsabkommens geht - entsprechend § 3 SGB IV - als Grundregel davon aus, dass die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern sich unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers nach dem Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsortes richtet. Art. 6 Abs. 1 des Sozialversicherungsabkommens sieht hiervon - insoweit ähnlich § 5 SGB IV - eine Ausnahme für den Fall einer Entsendung vor: Nach dem Vertragstext gelten für den „Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet der einen Vertragspartei“ , welcher „vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt“ wird, die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei fort.
22
Auch nach diesem Maßstab liegt eine zur Versicherungsfreiheit in Deutschland führende Entsendung nicht vor. Denn die türkischen Arbeiter waren auf Grundlage der Feststellungen gerade nicht Arbeitnehmer eines Unternehmens mit Sitz in der Türkei. Damit fehlt es bereits an der personalen Anknüpfung des im Abkommen enthaltenen Entsendetatbestandes.
23
bb) Die zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts in Ländern der Europäischen Union geltenden Kollisions- und Verfahrensvorschriften (Verordnung [EWG] 1408/71, ABl. L 149 vom 5. Juli 1971, S. 2; Verordnung [EWG] 574/72, ABl. L 74 vom 27. März 1972, S. 1) finden mangels einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union keine unmittelbare Anwendung. Sie sind auch auf Grundlage des im Hinblick auf eine Annäherung der Türkei an die Europäische Union abgeschlossenen Assoziationsabkommens vom 12. September 1963 (BGBl. II 1964 S. 510) und den zu seiner Umsetzung getroffenen Maßnahmen nicht heranzuziehen. Soweit der Assoziationsratsbeschluss 3/80 (ABl. C 110 vom 25. April 1983, S. 60) die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 für anwendbar erklärt, gilt dies nach der Ermächtigung in Art. 39 Abs. 1 des zu dem Assoziationsabkommen vereinbarten Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (ABl. L 293 vom 29. Dezember 1972, S. 4) nur für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedsstaat in einen anderen zu- oder abwandern, nicht aber für den - vorliegenden - Fall eines rein bilateralen Geschehens zwischen einem Mitgliedsstaat und der Türkei (Hänlein, Sozialrechtliche Probleme türkischer Staatsangehöriger in Deutschland , S. 24 ff.; Sieveking ZIAS 2001, 160, 162; vgl. auch VO [EWG] Nr. 859/03 vom 14. Mai 2003, ABl. L 124 vom 20. Mai 2003, S. 1).
24
cc) Schließlich hindern auch Besonderheiten des zwischenstaatlichen sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens nicht, auf das Beschäftigungsver- hältnis der türkischen Arbeitnehmer deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung zu bringen.
25
Die zu dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen am 2. November 1984 geschlossene Durchführungsvereinbarung (BGBl. II 1986, 1055) sieht in Artikel 5 Abs. 1 vor, dass in Entsendungsfällen der zuständige Träger des Entsendestaates dem Betroffenen auf Antrag eine Bescheinigung darüber ausstellt, dass er den Rechtsvorschriften des Entsendestaates untersteht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 85, 240) ist eine derartige - im EU-Raum der E 101-Bescheinigung entsprechende - Entsendebescheinigung von den Sozialgerichten des Gaststaates nur in begrenztem Umfang auf ihren materiellen Gehalt überprüfbar. Eine derartige Bescheinigung hat hier - wie das Landgericht ausdrücklich feststellt - nicht vorgelegen. Der Senat braucht daher nicht darüber zu befinden, inwieweit ihr auch im Strafverfahren Bindungswirkung im Hinblick auf die bescheinigte Anwendbarkeit ausländischen Sozialversicherungsrechts zukommen würde (zum europäischen Recht vgl. BGH NJW 2007, 233).
26
Nach den Feststellungen des Landgerichts verfügte ein Teil der von dem Angeklagten eingesetzten türkischen Arbeiter allein hinsichtlich ihrer Krankenversicherung über einen Leistungsberechtigungsschein, der aufgrund der Anmeldung der Arbeiter bei der türkischen Sozialversicherung ausgestellt wurde und sie berechtigte, Sachleistungen bei einem Aufenthalt in Deutschland in Anspruch zu nehmen („A/T 11-Schein“). Die Ausstellung des Scheines beruht auf der Anwendung der leistungsrechtlichen Koordinierungsvorschriften des Sozialversicherungsabkommens (Art. 12 Abs.1 b) und c), Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens; Art. 9 der Durchführungsvereinbarung). Diese Vorschriften sind nicht kollisionsrechtlicher Natur. Entgegen der Auffassung der Revision verhält sich der Leistungsschein daher nicht zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts. Eine Bindungswirkung im Hinblick auf die Sozialversicherungspflicht kann ihm daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zukommen.
27
c) Für die Abführung der geschuldeten Beiträge war der Angeklagte als zunächst faktischer, später formeller Geschäftführer der HaCe GmbH auch strafrechtlich verantwortlich. Aus den Feststellungen des Landgerichts geht hinlänglich hervor, dass er auch vor seiner Berufung zum formellen Geschäftsführer mit allen Belangen der Gesellschaft befasst war. Dies begründet seine Täterstellung für eine Beitragsstraftat nach § 266a StGB (vgl. BGHSt 47, 318; 324, 21, 101, 103).
28
3. Die Einordnung der türkischen Arbeitnehmer als Beschäftigte der HaCe GmbH führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall von neun Einzelstrafen.
29
Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung hinsichtlich der bei der HaCe GmbH beschäftigten deutschen Arbeitnehmer und der - nach Auffassung des Landgerichts der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd. zugehörigen - türkischen Arbeitnehmer jeweils als selbständige Taten gewertet, auch soweit sie in den Monaten Dezember 1999, Januar 2000, Februar 2000, Dezember 2000, Januar 2001, Februar 2001, Dezember 2001, Januar 2002 und Februar 2002 auf gleiche Beitragszeiträume und Fälligkeitszeitpunkte bezogen waren und die Beiträge zur gleichen Einzugsstelle zu entrichten waren. Es kann offen bleiben, ob dieser Bewertung auf der Grundlage einer Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Unternehmen zu folgen wäre. Denn bei zutreffender Einordnung der türkischen Arbeitnehmer als Beschäftigte der deutschen HaCe GmbH bildet die unterlassene Beitragsabführung zum jeweiligen Fällig- keitszeitpunkt gegenüber derselben Einzugsstelle jedenfalls nur eine Tat (vgl. Gribbohm in LK, 11. Aufl. § 266a Rdn. 108).
30
Der Senat hat daher die auf die betroffenen Beitragszeiträume entfallenden neun Einzelstrafen, die das Landgericht hinsichtlich der deutschen Arbeitnehmer verhängt hat (Geldstrafen in Höhe von jeweils 70 Tagessätzen zu 150 €), in Wegfall gebracht. Die hinsichtlich der türkischen Arbeitnehmer für die gleichen Beitragszeiträume verhängten - jeweils höheren - Einzelstrafen können angesichts des erhöhten Schuldgehalts der erfassten Taten bestehen bleiben.
31
Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe kann gleichfalls bestehen bleiben. Der Schuldgehalt der Beitragsstraftaten bleibt im Hinblick auf die unveränderte Höhe der entzogenen Beiträge gleich. Auch angesichts von Zahl und Gewicht der verbleibenden 129 Taten, der Höhe der für sie verhängten Einzelstrafen und aller sonstiger im angefochtenen Urteil getroffener für die Strafzumessung bedeutsamer Feststellungen hält der Senat die verhängte Gesamtstrafe jedenfalls für angemessen (§ 354 Abs. 1a StPO; vgl. BGH StV 2005, 118; NStZ-RR 2006, 44; Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 StR 445/05).
32
4. § 265 StPO steht all dem nicht entgegen. Dem Angeklagten war bereits in der zugelassenen Anklage vorgeworfen worden, auch für die türkischen Arbeitnehmer als Geschäftsführer der deutschen HaCe GmbH Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt zu haben, da es sich bei ihnen um Beschäftigte der HaCe GmbH handele. Die Anklage qualifiziert die Taten allerdings als (Beitrags -)Betrug gemäß § 263 StGB. Das Landgericht hat dem Angeklagten daraufhin in der Hauptverhandlung den Hinweis erteilt, dass auch eine Bewertung als Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB in Betracht komme. Erst hiernach hat es an einem nachfolgenden Verhandlungstag darauf hingewiesen, dass der Tatvorwurf auch an seine Stellung als faktischer Geschäftsführer der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd. anknüpfen könne. Für den Angeklagten war damit hinreichend ersichtlich, dass eine Verurteilung wegen Beitragsvorenthaltung insgesamt aufgrund seiner Organstellung bei der deutschen Gesellschaft erfolgen konnte.

III.


33
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils auf Grundlage der Revisionsrechtfertigung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Soweit der Angeklagte beanstandet, dass das Landgericht ihn zu Unrecht als faktischen Geschäftsführer eingestuft habe, geht dieser Vortrag bereits im Ansatz ins Leere (vgl. oben II. 2. c)). Soweit er vorbringt § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sei unrichtig angewandt, verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
Nack Wahl Boetticher Frau RiinBGH Elf befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Kolz Nack

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 160/07
vom
24. Oktober 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I.1 a, 2 a, 3, II.1)
Veröffentlichung: ja
________________________________________
Zur Anwendbarkeit von § 266a StGB bei Vorliegen einer Entsendebescheinigung
auf Grund eines bilateralen Sozialversicherungsabkommens, hier: Bescheinigung
"D/H 101" auf Grund des zwischenstaatlichen Abkommens zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale
Sicherheit vom 2. Mai 1998 (in Fortführung von BGHSt 51, 124).
BGH, Urt. vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 160/07 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Einschleusens von Ausländern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 4. Dezember 2006 wird
a) das Verfahren hinsichtlich der unter VI.I des Urteils festgestellten Taten (Überlassen von Leiharbeitnehmern ohne Genehmigung nach dem AÜG) eingestellt; im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen,
b) im Übrigen das Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt. Von den Vorwürfen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeits- entgelt (§ 266a Abs. 1 StGB), des - weiteren - gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92a Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 1 AuslG aF) und des Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung (§ 15 Abs. 1 AÜG) hat es ihn freigesprochen.
2
Gegen den Teilfreispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft , mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Im Hinblick auf die Vorwürfe des Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung begehrt sie die Einstellung des Verfahrens, da deswegen die Auslieferung des Angeklagten nicht erfolgt und auf die Spezialität nicht verzichtet worden sei. Im Übrigen beantragt sie Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Das Landgericht hat festgestellt:
4
Der Angeklagte war angestellter Geschäftsführer der V. mit Sitz in Darmstadt, die im Handelsregister als unselbständige Zweigniederlassung der V. mit Hauptsitz in Ungarn eingetragen war (fortan : Firma V. ). In Ungarn unterhielt das Unternehmen nur ein Büro, das einzig zur Anwerbung von Personal und zur Durchführung administrativer Tätigkeiten für die vorwiegend in Deutschland zu erbringenden Arbeitsleistungen genutzt wurde.
5
a) Zu den Vorwürfen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt :
6
Der Angeklagte schloss für die Firma V. Werkverträge mit verschiedenen deutschen Unternehmen ab, wonach die Firma V. für diese jeweils als Subunternehmerin tätig werden sollte. Vor dem Hintergrund der Verträge wurden ungarische Arbeitnehmer der Firma V. bei den deutschen Unternehmen eingesetzt, für die der Angeklagte den sozialversicherungsrechtlichen Ausnahmetatbestand der Entsendung nach dem Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn vom 2. Mai 1998 in Anspruch nahm. Der "einzige Geschäftszweck" der Firma V. bestand darin, Arbeitnehmer für die vermeintliche Entsendung anzuwerben und sie den deutschen Unternehmen zu überlassen. Sie war weder imstande, die werkvertraglich geschuldeten Leistungen eigenverantwortlich zu planen, durchzuführen und zu überwachen, noch die angeworbenen Arbeitnehmer im Anschluss an die Tätigkeit in Deutschland - mit Ausnahme eines etwaigen erneuten "Verleihs" - weiter zu beschäftigen. Die nur "auf dem Papier geschlossenen Werkverträge" waren "einzig und allein zu dem Zweck geschlossen", die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland zu ersparen.
7
Sämtliche vom Angeklagten in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer verfügten während ihrer Tätigkeit über gültige D/H-101-Bescheinigungen, denen zufolge die Arbeitnehmer nach Art. 7 des vorbezeichneten Sozialversicherungsabkommens ausschließlich dem ungarischen Sozialversicherungsrecht unterfielen. Diese Bescheinigungen waren von der zuständigen ungarischen Sozialversicherungsbehörde OEP ausgestellt worden. Wären die Arbeitnehmer in Deutschland sozialversicherungspflichtig gewesen, wären an die Einzugsstellen für die Monate Juni 2000 bis März 2004 Arbeitnehmeranteile von insgesamt 358.327,12 € abzuführen gewesen. Ob für die Arbeitnehmer in Ungarn Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden, ist nicht festgestellt.
8
b) Zu den Vorwürfen des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern :
9
Auf Anweisung oder unter Mitwirkung des Angeklagten wurden dem Landesarbeitsamt Hessen die mit den deutschen Unternehmen abgeschlossenen Werkverträge sowie die D/H-101-Bescheinigungen mitgeteilt und für die ungarischen Arbeitnehmer sog. Zusicherungsbescheide beantragt. In diesen - daraufhin erlassenen - Bescheiden wurde die spätere Erteilung von entsprechenden Arbeitserlaubnissen zugesichert. Unter Vorlage der von den ungarischen Behörden ausgestellten Unterlagen, insbesondere den D/H-101-Bescheinigungen, und den Zusicherungsbescheiden wurden bei der deutschen Botschaft in Budapest für die Arbeitnehmer Visa beantragt, die in der Folgezeit auch erteilt wurden. Mit den Visa reisten die Arbeitnehmer in das Bundesgebiet ein, wo ihnen die zuständigen Arbeitsämter auf entsprechende Anträge Arbeitserlaubnisse ausstellten.
10
Nach Ablauf der zunächst auf drei Monate begrenzten Gültigkeit der Visa wurden sodann bei den deutschen Ausländerbehörden auf Veranlassung des Angeklagten entsprechende Aufenthaltsbewilligungen beantragt. Mit diesen Anträgen wurden jeweils das für den Arbeitnehmer ursprünglich erteilte Visum, die D/H-101-Bescheinigung sowie die ihm erteilte Arbeitserlaubnis vorgelegt. Die in den Anträgen enthaltene Frage nach dem Arbeitgeber wurde jeweils mit der ungarischen Firma beantwortet, die sich aus der entsprechenden D/H-101-Bescheinigung ergab. Die Aufenthaltsbewilligungen wurden in der Folgezeit antragsgemäß erteilt.
11
c) Zu den Vorwürfen des Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung:
12
Für die ungarischen Arbeitnehmer, welche die Firma V. den deutschen Unternehmen überließ, lag keine Erlaubnis nach § 1 AÜG vor. Dazu, ob sie in die Betriebe der deutschen Unternehmen eingegliedert waren, hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen.
13
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
14
a) Eine Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB hat es verneint, weil die ungarischen Arbeitnehmer in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig gewesen seien. Ihm sei die Prüfung verwehrt, ob auf Grund der festgestellten Tatsachen die Voraussetzungen einer zur inländischen Versicherungsfreiheit führenden Entsendung vorgelegen hätten. Denn das Landgericht hat den D/H-101-Bescheinigungen insoweit Bindungswirkung zuerkannt. Die Grundsätze, die nach der Senatsrechtsprechung für die innerhalb der Europäischen Union verwendeten E-101Bescheinigungen gelten (vgl. BGHSt 51, 124), seien auf die D/H-101-Bescheinigungen auf der Grundlage des deutsch-ungarischen Sozialversicherungsabkommens vom 2. Mai 1998 zu übertragen. Insbesondere die Zielsetzungen des Abkommens seien nämlich mit denjenigen der - für die Rechtslage in der Europäischen Union maßgeblichen - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vergleichbar. Eine Ausnahme von der Bindungswirkung wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn die Ausstellung der Bescheinigungen auch nach ungarischem Rechtsverständnis fehlerhaft gewesen wäre. Hierfür bestünden jedoch keine Anhaltspunkte.
15
b) Der Angeklagte habe sich auch nicht nach ausländerrechtlichen Strafvorschriften strafbar gemacht, da die Angaben, die zur Erteilung von Visa und Aufenthaltsbewilligungen für die ungarischen Arbeitnehmer geführt hätten, nicht im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG aF unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Den mit den Anträgen vorgelegten D/H-101-Bescheinigungen komme auch insoweit Bindungswirkung zu. Im Hinblick auf eine Entsendung seien weitergehende Erklärungen indessen nicht abgegeben worden. So habe das Antragsformular für die Aufenthaltsbewilligungen eine Frage nach den Entsendevoraussetzungen nicht enthalten; die Frage nach dem Arbeitgeber hätte jeweils mit der - sich aus der bindenden D/H-101-Bescheinigung ergebenden - ungarischen Firma beantwortet werden dürfen.
16
c) Schließlich hat die Wirtschaftsstrafkammer eine Strafbarkeit wegen Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung nach § 15 Abs. 1 AÜG verneint, da die ungarischen Arbeitnehmer sowohl über eine gültige Arbeitserlaubnis als auch über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügten. Darauf , ob die Arbeitnehmer in den Betrieb des jeweiligen deutschen Unternehmens eingegliedert waren, komme es daher nicht an.
17
3. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Landgericht den D/H-101-Bescheinigungen Bindungswirkung zuerkannt hat. Sie macht geltend, die Grundsätze, die nach der Senatsrechtsprechung für E-101-Bescheinigungen gelten (vgl. BGHSt 51, 124), seien hier nicht anwendbar. Das deutsch-ungarische Sozialversicherungsabkommen habe sich von der für die Rechtslage in der Europäischen Union maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nicht nur in seinen Zielsetzungen unterschieden. Vor dem Beitritt Ungarns zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 sei auch kein dem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EG-Vertrag gleichwertiges Beanstandungsverfahren vorgesehen gewesen; ferner habe kein übergeordneter, Art. 10 EG-Vertrag gleichwertiger Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gegolten. Jedenfalls hinsichtlich ausländerrechtlichen Strafvorschriften dürften aus dem Vorliegen von D/H-101-Bescheinigungen keine derart weitgehenden Schlüsse gezogen werden.

II.

18
Der Teilfreispruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
1. Zu den Vorwürfen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt :
20
Zu Unrecht nimmt das Landgericht an, der Angeklagte habe den sozialrechtsakzessorischen Straftatbestand des § 266a StGB deshalb nicht verwirklicht , weil die betroffenen ungarischen Arbeitnehmer nicht der inländischen Sozialversicherungspflicht unterstanden hätten. Vielmehr ergab sich die Pflicht, Arbeitnehmerbeiträge zur deutschen Sozialversicherung zu entrichten, aus § 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1 SGB IV, da die Arbeitnehmer nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 SGB IV entsandt waren (nachfolgend a)) und abweichende Regelungen des über- oder zwischenstaatlichen Rechts im Sinne von § 6 SGB IV nicht bestanden (nachfolgend b)).
21
a) Nach deutschem Recht liegt eine Entsendung nicht vor. Denn bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 SGB IV ("im Rahmen eines … Beschäftigungsverhältnisses" ) folgt, dass das Beschäftigungsverhältnis für die Entsendung den Rahmen bilden muss. Jedenfalls in den Fällen, in denen das Beschäftigungsverhältnis - ausnahmsweise - erst mit der Entsendung begonnen hat, ist daher erforderlich, dass infolge der Eigenart der Beschäftigung feststeht oder von vornherein vereinbart ist, dass die Beschäftigung beim entsendenden Unternehmen weitergeführt wird (BSG SozR 3-2400 § 4 SGB IV Nr. 5; vgl. auch BSGE 75, 232). Der Firma V. selbst war aber eine Weiterbeschäftigung der angeworbenen Arbeitnehmer nach Beendigung der vermeintlichen Entsendung nicht möglich.
22
Da die Firma ferner nicht imstande war, die werkvertraglich geschuldeten Leistungen eigenverantwortlich zu planen, durchzuführen und zu überwachen, ist auch nicht ersichtlich, dass tatsächlich die Möglichkeit bestand, das Weisungsrecht (§ 7 Abs. 1 SGB IV) auszuüben (vgl. BGHSt 51, 124, 128 f.; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht 54. Lfg. § 5 SGB IV Rdn. 2). Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich nach deutschem Recht nicht um ein entsendefähiges Unternehmen.
23
b) Die in den verfahrensgegenständlichen Bescheinigungen "D/H 101" bestätigte Anwendbarkeit ungarischen Sozialrechts führt nicht zu einer Befreiung von der inländischen Sozialversicherungspflicht.
24
Die D/H-101-Bescheinigungen beruhen - anders als die innerhalb der Europäischen Union verwendeten Bescheinigungen "E 101" - auf einem völkerrechtlichen Vertrag, so dass das Gemeinschaftsrecht keine Anwendung findet (nachfolgend aa)). Bisher hat der Senat ausdrücklich offen gelassen, inwieweit Bescheinigungen auf Grund bilateraler Sozialversicherungsabkommen bindend sein können (vgl. NJW 2007, 1370, 1372, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 224 bestimmt). Er entscheidet diese Rechtsfrage nunmehr dahingehend, dass solche Bescheinigungen, somit auch die verfahrensgegenständlichen D/H-101Bescheinigungen keine derart weitgehende Bindungswirkung wie die E-101-Bescheinigungen haben (nachfolgend bb)). Der Senat kann dahinstehen lassen, inwieweit ihnen eine beschränkte Bindungswirkung zukommt (nachfolgend cc)); denn die gegenständlichen Beschäftigungsverhältnisse wären hiervon jedenfalls nicht erfasst (nachfolgend dd)).
25
aa) Rechtsgrundlage für die - vom 1. Mai 2000 bis zum 30. April 2004 maßgeblichen - D/H-101-Bescheinigungen ist nicht das Gemeinschaftsrecht, sondern das zwischenstaatliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit vom 2. Mai 1998 in Verbindung mit der Vereinbarung zur Durchführung dieses Abkommens vom selben Tag. Durch Gesetz vom 7. Oktober 1999 (BGBl II 900) sind Abkommen und Durchführungsvereinbarung Bestandteile des Bundesrechts geworden. Art. 7 des Abkommens regelt die Versicherungspflicht für Fälle der Entsendung wie folgt: "Wird ein Arbeitnehmer, der in einem Vertragsstaat beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses von seinem Arbeitgeber in den anderen Vertragsstaat entsandt, um dort eine Arbeit für diesen Arbeitgeber auszuführen, so gelten in bezug auf diese Beschäftigung während der ersten 24 Kalendermonate allein die Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaats über die Versicherungspflicht so weiter, als wäre er noch in dessen Hoheitsgebiet beschäftigt."
26
Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsvereinbarung erteilt in diesen Fällen der zuständige Träger des Herkunftsstaats auf Antrag eine Bescheinigung darüber, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber seinen Rechtsvorschriften unterstehen.
27
Mit dem Beitritt der Republik Ungarn zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 (A Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 des EU-Beitrittsvertrags vom 16. April 2003, BGBl II 1408) hat die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (sog. "Wanderarbeitnehmerverordnung", ABlEG L 149 vom 5. Juli 1971 S. 2, fortan: VO 1408/71) das zwischenstaatliche Abkommen über Soziale Sicherheit im Wesentlichen abgelöst. Diese Verordnung, die insbesondere in Art. 14 Abs. 1 lit. a den Fall einer Entsendung regelt, wird ergänzt durch die Durchführungsvorschriften in der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 vom 21. März 1972 (ABlEG L 74 vom 27. März 1972 S. 1, fortan: VO 574/72), welche in Art. 11 vorsieht, dass der zuständige Sozialversicherungsträger des Herkunftsstaats auf Antrag die Entsendung bestätigt und für einen begrenzten Zeitraum bescheinigt, dass der Arbeitnehmer dessen Rechtsvorschriften unterstellt bleibt (sog. E-101-Bescheinigung ).
28
Dass für Ungarn als einem der beigetretenen Staaten diese Vorschriften des Gemeinschaftsrechts rückwirkend in Kraft gesetzt werden sollten, folgt aus dem EU-Beitrittsvertrag vom 16. April 2003 nicht (vgl. nur B Art. 2, 4, 53 sowie Schlussakte II 13 "Erklärung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Ungarn"). Auch aus Art. 37 ff. des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Ungarn vom 16. Dezember 1991 (Assoziierungsabkommen, BGBl 1993 II 1472) lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten (vgl. LSG NW, Beschl. vom 17. Januar 2005 - L 2 B 9/03 KR ER - Rdn. 30).
29
Die Anwendbarkeit von - milderem - Gemeinschaftsrecht ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 StGB. Dass mittlerweile auch im Verhältnis zu Ungarn E-101-Bescheinigungen Verwendung finden, welche die inhaltsgleichen D/H-101-Bescheinigungen ersetzt haben, berührt nämlich den Inhalt der strafbewehrten Gebotsnorm nicht, sondern betrifft lediglich die verwaltungstechnische Abwicklung der Entsendung (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 2 Rdn. 6 f.; ferner BGHSt 50, 105, 120 f.).
30
bb) Eine Gleichstellung der D/H-101-Bescheinigungen mit den E-101-Bescheinigungen und deren weitgehenden Bindungswirkung ist nicht geboten.
31
Die Grundsätze, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die europarechtlichen Kollisionsnormen in der VO 1408/71 in Verbindung mit der VO 574/72 gelten (Urteile vom 10. Februar 2000 - Rs. C-202/97, SozR 3-6050 Art. 14 EWGV 1408/71 Nr. 6; vom 30. März 2000 - Rs. C-178/97, Slg. 2000 I, 2005, 2040 ff.; vom 26. Januar 2006 - Rs. C-2/05, AP EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Nr. 13), können nicht auf das deutsch-ungarische Sozialversicherungsabkommen und die Durchführungsvereinbarung übertragen werden.
32
Maßgebend hierfür ist die unterschiedliche Rechtsnatur von herkömmlichen internationalen völkerrechtlichen Verträgen im Vergleich zum einheitlichen Rechtsraum, wie er für die Europäische Union kennzeichnend ist. Die supranationale Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften fußt auf der Zuweisung von Souveränitätsrechten und damit einhergehend auf der Beschränkung von Souveränitätsrechten ihrer Mitgliedstaaten. Dies schließt ein, dass Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats auf Grund Gemeinschaftsrechts an Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat - etwa E-101-Bescheinigungen - gebunden sein können, selbst wenn diese Entscheidungen nicht der Rechtsordnung der Gemeinschaften entsprechen sollten. Mit einer solchen Beschränkung von Souveränitätsrechten korrespondiert andererseits - neben dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (Art. 10 EG-Vertrag) - die Möglichkeit, gegen Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat , die der Rechtslage nicht entsprechen, effektiv vorzugehen. So können sich etwa die beteiligten Mitgliedstaaten, sollten sie sich über die Rechtmäßigkeit von E-101-Bescheinigungen nicht einigen können, an die - nach Art. 80, 81 der VO 1408/71 zu Fragen der Auslegung und Durchführung der Verordnung eingesetzten - Verwaltungskommission wenden und anschließend ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EG-Vertrag einleiten.
33
Eine Auslegung des deutsch-ungarischen Sozialversicherungsabkommens dahingehend, dass die beiden Vertragsstaaten derart weitgehend Souveränitätsrechte wechselseitig übertragen wollten, liegt fern. Insbesondere Wortlaut und Materialien geben hierfür keinen Anhalt. Der unterschiedlichen Rechtsqualität von europarechtlichen Regelungen einerseits und bilateralem völker- rechtlichem Vertrag andererseits erlaubt eine Gleichstellung ohne einen solchen Anhalt indessen nicht. Dies gilt umso mehr, als die in Art. 39 des deutschungarischen Sozialversicherungsabkommens vorgesehenen Möglichkeiten der Streitbeilegung nicht denjenigen innerhalb der Europäischen Union gleichkommen.
34
Überdies ist die weitgehende Bindungswirkung der E-101-Bescheinigungen deshalb sachgerecht, weil die europarechtlichen Kollisionsnormen - anders als das deutsch-ungarische Sozialversicherungsabkommen - an einen einheitlichen , nämlich gemeinschaftsrechtlich zu bestimmenden Entsendebegriff anknüpfen. Die Frage der Entsendung ist damit nach dem Gemeinschaftsrecht für alle Mitgliedstaaten im gleichen Sinn verbindlich zu beantworten (vgl. Seewald aaO § 6 SGB IV Rdn. 4a m.w.N.). Gerade der gemeinschaftsrechtliche Entsendebegriff setzt unter anderem voraus, dass das entsendende Unternehmen gewöhnlich eine nennenswerte Geschäftstätigkeit im Gebiet des Herkunftsstaats verrichtet. Um dies zu beurteilen, müssen in einer Gesamtschau sämtliche Tätigkeiten des Unternehmens gewürdigt werden. Dagegen kann insbesondere ein Unternehmen, das - wie hier - im Herkunftsstaat bloß interne Verwaltungstätigkeiten ausführt, nicht den Ausnahmetatbestand der Entsendung in Anspruch nehmen (vgl. Beschl. der Verwaltungskommission Nr. 181 vom 13. Dezember 2000, ABlEG L 329 vom 14. Dezember 2001 S.73, Nr. 3 b ii; ferner EuGH, Urt. vom 10. Februar 2000 - Rs. C-202/97, SozR 3-6050 Art. 14 EWGV 1408/71 Nr. 6).
35
Der Senat teilt infolgedessen nicht die Auffassung, dass für die Frage einer Bindungswirkung die Zielsetzungen des Abkommens - auch vor dem Hintergrund des Assoziierungsabkommens vom 16. Dezember 1991 - entscheidend seien, mögen diese Zielsetzungen auch mit denjenigen der VO 1408/71 in mancher Hinsicht übereinstimmen (so aber Jofer/Weiß StraFo 2007, 277, 281 f.).
36
cc) Den D/H-101-Bescheinigungen könnte allenfalls eine beschränkte Bindungswirkung zukommen.
37
Zur Prüfung einer etwaigen Bindung ist vom Wortlaut des deutsch-ungarischen Sozialversicherungsabkommens auszugehen. Bei der Auslegung von Sozialversicherungsabkommen kommt dem Vertragstext eine größere Bedeutung als bei der Auslegung rein nationaler Rechtsvorschriften zu (BSGE 72, 25, 31 m. w. N.).
38
Art. 7 des Abkommens enthält zwar keine abschließende Definition der Entsendung, so dass sich nach Art. 1 Abs. 2 des Abkommens die Einzelheiten ihrer Bedeutung im Grundsatz nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften des Herkunftsstaats richten. Artikel 7 regelt jedoch Mindestvoraussetzungen; hiernach liegt ein Fall der Entsendung - nur - vor, wenn ein Arbeitnehmer, der in einem Vertragsstaat beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses von seinem Arbeitgeber in den anderen Vertragsstaat entsandt wird, um hier eine Arbeit für diesen Arbeitgeber auszuführen. Für den so umschriebenen Fall bestimmt die Vorschrift, dass in Bezug auf diese Beschäftigung während der ersten 24 Kalendermonate allein die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Herkunftsstaats weiter gelten, als wäre der Arbeitnehmer noch dort beschäftigt.
39
Sind die Entsendebescheinigungen gemessen an dem Wortlaut des Abkommens inhaltlich offensichtlich unzutreffend, haben die deutschen Behörden und Gerichte die Rechtslage nach deutschem Recht zu prüfen. Eine Bindung an die Bescheinigungen könnte demgegenüber allenfalls insoweit bestehen, als die Beschäftigungsverhältnisse, für die die Bescheinigungen erteilt wurden, noch vom möglichen Wortsinn des Vertragstexts erfasst werden, mag dieser in Deutschland auch anders ausgelegt werden.
40
In diesem Sinne versteht der Senat auch die Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem Urteil vom 16. Dezember 1999 - B 14 KG 1/99 R (= BSGE 85, 240) zu Entsendebescheinigungen auf Grund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (ebenso BayLSG, Urt. vom 23. Januar 2007 - L 5 KR 124/05 - Rdn. 31 zum deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen ). Hiernach sind der "deutsche Sozialleistungsträger und die deutschen Sozialgerichte … grundsätzlich nicht berechtigt, Entscheidungen des ausländischen Trägers über die nach dessen Recht … maßgebenden Voraussetzungen für die Entsendung von Arbeitnehmern zu überprüfen. Der deutsche Sozialleistungsträger und die deutschen Sozialgerichte sind allerdings berechtigt zu überprüfen, ob die im anderen Vertragsstaat zuständige Stelle die Vorschriften des Abkommens richtig angewandt hat. Nur insoweit besteht keine Bindung an die Auslegung oder Anwendung des Abkommens durch den im anderen Vertragsstaat zuständigen Träger" (BSG aaO 243).
41
dd) Eine etwaige beschränkte Bindungswirkung der D/H-101-Bescheinigungen ist für die gegenständlichen Beschäftigungsverhältnisse ohne Bedeutung. Denn eine solche Bindungswirkung fände nach dem oben Gesagten (s. II.1.b cc)) ihre Grenze dort, wo die Bescheinigungen - wie hier - gemessen am Wortlaut des Abkommens inhaltlich offensichtlich unzutreffend sind.
42
Gemäß Art. 7 des Abkommens lagen keine Fälle der Entsendung vor. Nach den Feststellungen des Landgerichts trifft es nicht zu, dass die ungarischen Arbeitnehmer in Ungarn beschäftigt waren und im Rahmen dieser Beschäftigungsverhältnisse von der Firma V. nach Deutschland entsandt wur- den, um eine Arbeit für diese Firma auszuführen. Vielmehr wurden die Arbeitnehmer in Ungarn nur angeworben, um sie den deutschen Unternehmen zu überlassen; im Anschluss an diese Tätigkeit in Deutschland konnten sie von der Firma V. nicht weiterbeschäftigt werden. In Ungarn hatte diese lediglich Büroräume. Darüber hinaus war sie nicht imstande, die werkvertraglich geschuldeten Leistungen eigenverantwortlich zu planen, durchzuführen und zu überwachen.
43
Darauf, ob die Ausstellung der D/H-101-Bescheinigungen durch die zuständige ungarische Sozialversicherungsbehörde OEP der ungarischen Rechtslage entsprach (vgl. BSGE 85, 240, 244: "Rechtsverständnis"), kommt es bei Berücksichtigung des Wortlauts des Abkommens nicht mehr an. Unbeschadet dessen bestünden aber auch Zweifel, ob nach ungarischem Recht Entsendungsfälle vorlagen. Denn § 105 Abs. 1 des ungarischen Gesetzes Nr. XXII von 1992 über das Arbeitsgesetzbuch lautet wie folgt: "Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Interessen zeitweilig zu einer Arbeitsverrichtung außerhalb des gewöhnlichen Ortes seiner Arbeitsverrichtung verpflichten (Entsendung ). Voraussetzung dessen ist, dass der Arbeitnehmer auch während dieses Zeitraumes seine Arbeit auf Anleitung und Anweisung des Arbeitgebers verrichtet. Es wird nicht als Entsendung angesehen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit - aus der Natur der Arbeit heraus - gewöhnlich außerhalb der Niederlassung verrichtet."
44
Mit dem Wortlaut dieser Vorschrift sind die Feststellungen des Landgerichts nur schwerlich in Einklang zu bringen. Insbesondere dürfte die Vorschrift so zu verstehen sein, dass im Fall der Entsendung die arbeitsrechtliche Bindung fortbestehen, jedenfalls das Weisungsrecht des Arbeitgebers aufrechterhalten bleiben muss. Schon deswegen scheint sie hier nicht einschlägig zu sein. In Anbetracht dessen und unter Berücksichtigung der Feststellungen, dass der "einzige Geschäftszweck" der Firma V. darin bestand, ungarische Arbeitnehmer anzuwerben und diese den deutschen Unternehmen zu überlassen, und zur Verschleierung manipulierte Werkverträge geschlossen wurden, liegt es nicht fern, dass auch gegenüber den ungarischen Behörden falsche Angaben gemacht und/oder manipulierte Dokumente vorgelegt wurden, um dem ungarischen Recht nicht entsprechende Entsendebescheinigungen zu erhalten.
45
Die Frage nach der Rechtslage in Ungarn ist eine Rechtsfrage, welche der eigenständigen Beurteilung durch das Revisionsgericht - unabhängig von Mutmaßungen zum "Rechtsverständnis" nicht individualisierter Behördenmitarbeiter - unterliegt. Hierauf kommt es nach dem zuvor Gesagten jedoch nicht an, so dass der Senat dieser Rechtsfrage nicht näher nachzugehen braucht.
46
2. Zu den Vorwürfen des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern :
47
Die Ausführungen, mit denen die Kammer eine Strafbarkeit nach ausländerrechtlichen Strafvorschriften abgelehnt hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
48
Gemäß den obigen Ausführungen (s. II.1.b)) vermag der Senat der Kammer nicht darin zu folgen, dass für die ungarischen Arbeitnehmer schon deshalb keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG aF gemacht worden seien, weil der Inhalt der D/H-101-Bescheinigungen auch insoweit bindend sei. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben hängt vielmehr von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Hiernach lagen keine Fälle der Entsendung vor.
49
Zwar wurden bei der Beantragung der Visa und Aufenthaltsbewilligungen keine ausdrücklichen Erklärungen im Hinblick auf eine Entsendung abgegeben.
Es liegt jedoch nahe, dass mit der Vorlage der D/H-101-Bescheinigungen die konkludente Erklärung verbunden war, dass die Arbeitnehmer tatsächlich im Rahmen eines in Ungarn bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in das Bundesgebiet entsandt waren. Eine solche konkludente Erklärung wäre nach den Urteilsfeststellungen - objektiv - "unrichtig" gewesen. Ebenso könnten die Angaben zum Arbeitgeber unzutreffend sein, die in die Antragsformulare für die Aufenthaltsbewilligungen eingetragen wurden. Denn den Feststellungen zufolge kommt in Betracht, dass tatsächlich die deutschen Unternehmen Arbeitgeber der ungarischen Arbeitnehmer waren. All dies hätte daher näherer Erörterung bedurft.
50
Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 lässt eine etwaige Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern nach § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92a Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 1 AuslG aF - nunmehr: § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG - unberührt (vgl. BGHSt 50, 105, 120 f.).
51
3. Zu den Vorwürfen des Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung:
52
Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz zwar zutreffend davon ausgegangen , dass sich der Angeklagte schon deshalb nicht wegen Überlassens ausländischer Leiharbeitnehmer ohne Genehmigung nach § 15 Abs. 1 AÜG [aF] strafbar gemacht hat, weil dies voraussetzen würde, dass für die ungarischen Arbeitnehmer keine Genehmigungen des Arbeitsamts im Sinne von § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF vorgelegen hätten. Nach den Feststellungen hatten die zuständigen Behörden jedoch formell wirksame Arbeitserlaubnisse erteilt (vgl. § 284 Abs. 4 SGB III aF), die inhaltlich nicht auf einen konkret bezeichneten Arbeitgeber und eine bestimmte Tätigkeit im Rahmen einer Entsen- dung beschränkt waren. Darauf, ob die Arbeitserlaubnisse durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen worden sind, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGHSt 50, 105).
53
Das Landgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte auch den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG verwirklicht haben könnte (vgl. § 82 Abs. 1 OWiG). Die vom Senat vorgenommene Überprüfung hat ergeben, dass insoweit noch keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist (vgl. § 16 Abs. 2 AÜG, § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Dementsprechend wären Feststellungen dazu erforderlich gewesen, ob die ungarischen Arbeitnehmer in die Betriebe der deutschen Unternehmen eingegliedert waren.
54
Soweit dem Angeklagten Taten nach dem AÜG vorgeworfen werden, ist das Verfahren allerdings wegen des Verfahrenshindernisses der Spezialität (vgl. Art. 14 EuAlÜbk) einzustellen. Das zuständige Hauptstädtische Gericht der Republik Ungarn hat nämlich ausdrücklich davon abgesehen, den Angeklagten auch wegen dieser Taten auszuliefern, weil ein derartiges Verhalten nach ungarischem Recht nicht strafbar ist; ein Verzicht auf die Spezialität liegt nicht vor (vgl. Schreiben des Ministeriums für Justiz und Polizeiwesen der Republik Ungarn vom 23. November 2006, Bl. 44 des Sonderhefts "Auslieferung"). Da es nicht ausgeschlossen ist, dass das Verfahrenshindernis der Spezialität in einem neuen Verfahren nicht mehr besteht, ist insoweit die Teileinstellung gegenüber einem Teilfreispruch vorrangig (vgl. Schoreit in KK-StPO 5. Aufl. § 260 Rdn. 51). Nack Boetticher Kolz Hebenstreit Graf

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Unwirksam sind:

1.
Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwirksam, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit,
1a.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn entgegen § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
1b.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
2.
Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer schlechtere als die ihm nach § 8 zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen,
2a.
Vereinbarungen, die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b beschränken,
3.
Vereinbarungen, die dem Entleiher untersagen, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem dessen Arbeitsverhältnis zum Verleiher nicht mehr besteht; dies schließt die Vereinbarung einer angemessenen Vergütung zwischen Verleiher und Entleiher für die nach vorangegangenem Verleih oder mittels vorangegangenem Verleih erfolgte Vermittlung nicht aus,
4.
Vereinbarungen, die dem Leiharbeitnehmer untersagen, mit dem Entleiher zu einem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht mehr besteht, ein Arbeitsverhältnis einzugehen,
5.
Vereinbarungen, nach denen der Leiharbeitnehmer eine Vermittlungsvergütung an den Verleiher zu zahlen hat.

(2) Die Erklärung nach Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 1b (Festhaltenserklärung) ist nur wirksam, wenn

1.
der Leiharbeitnehmer diese vor ihrer Abgabe persönlich in einer Agentur für Arbeit vorlegt,
2.
die Agentur für Arbeit die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versieht, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat, und
3.
die Erklärung spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Ver- oder Entleiher zugeht.

(3) Eine vor Beginn einer Frist nach Absatz 1 Nummer 1 bis 1b abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam. Wird die Überlassung nach der Festhaltenserklärung fortgeführt, gilt Absatz 1 Nummer 1 bis 1b. Eine erneute Festhaltenserklärung ist unwirksam. § 28e Absatz 2 Satz 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt unbeschadet der Festhaltenserklärung.

(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen. Das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Für das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Im übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnisses nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen; sind solche nicht vorhanden, gelten diejenigen vergleichbarer Betriebe. Der Leiharbeitnehmer hat gegen den Entleiher mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt.

(2) Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher nach § 9 von diesem Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer den Grund der Unwirksamkeit kannte.

(3) Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 unwirksam ist, so hat er auch sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen wären, an den anderen zu zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(4) und (5) weggefallen

(1) Unwirksam sind:

1.
Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwirksam, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit,
1a.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn entgegen § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
1b.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
2.
Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer schlechtere als die ihm nach § 8 zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen,
2a.
Vereinbarungen, die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b beschränken,
3.
Vereinbarungen, die dem Entleiher untersagen, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem dessen Arbeitsverhältnis zum Verleiher nicht mehr besteht; dies schließt die Vereinbarung einer angemessenen Vergütung zwischen Verleiher und Entleiher für die nach vorangegangenem Verleih oder mittels vorangegangenem Verleih erfolgte Vermittlung nicht aus,
4.
Vereinbarungen, die dem Leiharbeitnehmer untersagen, mit dem Entleiher zu einem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht mehr besteht, ein Arbeitsverhältnis einzugehen,
5.
Vereinbarungen, nach denen der Leiharbeitnehmer eine Vermittlungsvergütung an den Verleiher zu zahlen hat.

(2) Die Erklärung nach Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 1b (Festhaltenserklärung) ist nur wirksam, wenn

1.
der Leiharbeitnehmer diese vor ihrer Abgabe persönlich in einer Agentur für Arbeit vorlegt,
2.
die Agentur für Arbeit die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versieht, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat, und
3.
die Erklärung spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Ver- oder Entleiher zugeht.

(3) Eine vor Beginn einer Frist nach Absatz 1 Nummer 1 bis 1b abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam. Wird die Überlassung nach der Festhaltenserklärung fortgeführt, gilt Absatz 1 Nummer 1 bis 1b. Eine erneute Festhaltenserklärung ist unwirksam. § 28e Absatz 2 Satz 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt unbeschadet der Festhaltenserklärung.

(1) Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung) wollen, bedürfen der Erlaubnis. Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Die Überlassung und das Tätigwerdenlassen von Arbeitnehmern als Leiharbeitnehmer ist nur zulässig, soweit zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Überlassung von Arbeitnehmern ist vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b zulässig. Verleiher und Entleiher haben die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen. Vor der Überlassung haben sie die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren.

(1a) Die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft ist keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Arbeitgeber Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist, für alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges gelten und alle Mitglieder auf Grund des Arbeitsgemeinschaftsvertrages zur selbständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet sind. Für einen Arbeitgeber mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ist die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft auch dann keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn für ihn deutsche Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges wie für die anderen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft nicht gelten, er aber die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt.

(1b) Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 3 können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung übernommen werden. In einer auf Grund eines Tarifvertrages von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Können auf Grund eines Tarifvertrages nach Satz 5 abweichende Regelungen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen werden, kann auch in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Entleihers bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten davon Gebrauch gemacht werden, soweit nicht durch diesen Tarifvertrag eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festgelegt ist. Unterfällt der Betrieb des nicht tarifgebundenen Entleihers bei Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nach Satz 4 oder Satz 6 den Geltungsbereichen mehrerer Tarifverträge, ist auf den für die Branche des Entleihers repräsentativen Tarifvertrag abzustellen. Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften können von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauern in ihren Regelungen vorsehen.

(2) Werden Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlassen und übernimmt der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3), so wird vermutet, daß der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt.

(3) Dieses Gesetz ist mit Ausnahme des § 1b Satz 1, des § 16 Absatz 1 Nummer 1f und Absatz 2 bis 5 sowie der §§ 17 und 18 nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung

1.
zwischen Arbeitgebern desselben Wirtschaftszweiges zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen, wenn ein für den Entleiher und Verleiher geltender Tarifvertrag dies vorsieht,
2.
zwischen Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird,
2a.
zwischen Arbeitgebern, wenn die Überlassung nur gelegentlich erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird,
2b.
zwischen Arbeitgebern, wenn Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und auf Grund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes
a)
das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und
b)
die Arbeitsleistung zukünftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird,
2c.
zwischen Arbeitgebern, wenn diese juristische Personen des öffentlichen Rechts sind und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften anwenden, oder
3.
in das Ausland, wenn der Leiharbeitnehmer in ein auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen begründetes deutsch-ausländisches Gemeinschaftsunternehmen verliehen wird, an dem der Verleiher beteiligt ist.

(1) Unwirksam sind:

1.
Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwirksam, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit,
1a.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn entgegen § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
1b.
Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
2.
Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer schlechtere als die ihm nach § 8 zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen,
2a.
Vereinbarungen, die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b beschränken,
3.
Vereinbarungen, die dem Entleiher untersagen, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem dessen Arbeitsverhältnis zum Verleiher nicht mehr besteht; dies schließt die Vereinbarung einer angemessenen Vergütung zwischen Verleiher und Entleiher für die nach vorangegangenem Verleih oder mittels vorangegangenem Verleih erfolgte Vermittlung nicht aus,
4.
Vereinbarungen, die dem Leiharbeitnehmer untersagen, mit dem Entleiher zu einem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht mehr besteht, ein Arbeitsverhältnis einzugehen,
5.
Vereinbarungen, nach denen der Leiharbeitnehmer eine Vermittlungsvergütung an den Verleiher zu zahlen hat.

(2) Die Erklärung nach Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 1b (Festhaltenserklärung) ist nur wirksam, wenn

1.
der Leiharbeitnehmer diese vor ihrer Abgabe persönlich in einer Agentur für Arbeit vorlegt,
2.
die Agentur für Arbeit die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versieht, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat, und
3.
die Erklärung spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Ver- oder Entleiher zugeht.

(3) Eine vor Beginn einer Frist nach Absatz 1 Nummer 1 bis 1b abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam. Wird die Überlassung nach der Festhaltenserklärung fortgeführt, gilt Absatz 1 Nummer 1 bis 1b. Eine erneute Festhaltenserklärung ist unwirksam. § 28e Absatz 2 Satz 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt unbeschadet der Festhaltenserklärung.

(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen. Das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Für das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Im übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnisses nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen; sind solche nicht vorhanden, gelten diejenigen vergleichbarer Betriebe. Der Leiharbeitnehmer hat gegen den Entleiher mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt.

(2) Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher nach § 9 von diesem Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer den Grund der Unwirksamkeit kannte.

(3) Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 unwirksam ist, so hat er auch sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen wären, an den anderen zu zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(4) und (5) weggefallen