Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 11. Dez. 2013 - L 7 VE 11/11

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2013:1211.L7VE11.11.0A
bei uns veröffentlicht am11.12.2013

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

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Die Eltern des am ... 1997 geborenen Klägers beantragten am 24. Januar 2003 bei dem Beklagten (Amt für Versorgung und Soziales H.) für ihren Sohn die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Sie gaben auf dem auf den 9. August 2002 datierten Antragsformular an, das Kind leide infolge ungewollten Dabeiseins bei sexuellem Missbrauchs des Bruders S. durch einen Halbbruder in der Zeit von Sommer bis Herbst 2000 unter physischen und psychischen Störungen in Form von Schlafstörungen, Angstzuständen und Albträumen. Der vom Beklagten beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. ist zu entnehmen, dass der Vater des Klägers, K-D. O., am ... 2001 Anzeige gegen seinen 1982 geborenen leiblichen Sohn C., den Halbbruder des Klägers, wegen sexuellen Missbrauchs des Bruders des Klägers erstattet hatte. C. O. gab in der Beschuldigtenvernehmung am 29. Mai 2001 an, er habe seinen damals vierjährigen Halbbruder sexuell missbraucht, indem er mit ihm in dessen Kinderzimmer im Jahr 2000 fünfmal Analverkehr im Abstand von mehreren Tagen bzw. Wochen durchgeführt habe. Die erste Tat habe er im August, die vierte im Oktober und die fünfte im November 2000 begangen. Der Bruder T. sei in zwei Fällen aus dem Schlaf erwacht und habe den sexuellen Missbrauch beobachtet, wobei er in einem Fall vom Halbbruder habe beruhigt werden müssen. Das Amtsgericht S., Jugendschöffengericht, hat C. O. mit Urteil vom 18. September 2001 wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. In den Entscheidungsgründen hat es in Auswertung mehrerer Zeugenaussagen und des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisses im Wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte habe die Taten an nicht mehr genau feststellbaren Tagen im Zeitraum von August bis November 2000 begangen. Geschehen sei der sexuelle Missbrauch jeweils abends im Kinderzimmer des Geschädigten und dessen Bruder T. O. Der Bruder T. sei bei den Taten im Oktober und November 2000 jeweils aufgewacht und habe die sexuellen Handlungen an seinem Bruder beobachtet, was dem Angeklagten bewusst gewesen sei.

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Des Weiteren hat der Beklagte medizinische Ermittlungen durchgeführt und den Entlassungsbericht des Krankenhauses S. E. und S. B., Klinik f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie H., vom 7. Januar 2003 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 21. Oktober bis 5. Dezember 2002 beigezogen. Hiernach waren bei dem Kläger die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung (F 43.1) und eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F 92.8) gestellt worden. Die stationäre Aufnahme sei wegen Störungen im Sozialverhalten und der Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung auf der Grundlage eines sexuellen Missbrauchs des Kindes durch einen wesentlich älteren Halbbruder erfolgt. Im Kindergarten seien plötzlich auftretende Erregungszustände aufgefallen, Launenhaftigkeit und sexualisiertes Verhalten. Es habe bereits Anzeigen der Eltern der anderen Kinder gegeben, so dass der Junge seit September von der Kindergartenbetreuung ausgeschlossen worden sei. Der Kläger sei gemeinsam mit seinem ein Jahr älteren Bruder S. zur stationären Behandlung erschienen. Beide Kinder seien von sexueller Gewalt betroffen. Nach den Angaben der Eltern sei der Kläger schon immer ein besonders lebhaftes Kind gewesen. Er habe starke Verlustängste, Angst vor Dunkelheit und vor dem Alleinsein. In letzter Zeit habe er häufig über Angstträume geklagt. Nach der Eigenanamnese der Mutter sei die Schwangerschaft durch deren nervliche Probleme belastet gewesen. Der Verlauf sei problematisch gewesen mit ausbleibenden Herztönen des Kindes und einem Sauerstoffmangelsyndrom. Die frühkindliche Entwicklung sei altersgerecht verlaufen. Der Kläger sei eher wenig krank gewesen, habe jedoch stets sehr stark auf Schmerzen reagiert und heftig geschrien. Motorisch sei er eher ungeschickt. Sexualisiertes Verhalten sei zuhause nicht, im Kindergarten jedoch in den letzten Wochen häufig aufgefallen. Zum psychologischen Befund gab das Krankenhaus an, der Kläger verfüge insgesamt über gut durchschnittliche kognitive Leistungsmöglichkeiten. Im Leistungsprofil seien jedoch große Unterschiede deutlich geworden. Beim Arbeitsverhalten habe sich eine äußerst geringe Durchhaltefähigkeit gezeigt, weil bereits nach wenigen Minuten das Konzentrationsvermögen nachgelassen habe. Seine Stärken lägen eher in den verbal-theoretischen Bereichen der Intelligenz. So sei er in der Lage, soziale Zusammenhänge sehr gut zu erfassen und über diese auch zu berichten. Trotz leichter Artikulationsprobleme verfüge er über einen guten Wortschatz und altersgerechtes Umweltwissen. Rückstände seien vor allem in den handlungsgebundenen praktischen Fähigkeiten deutlich geworden. Die optische Differenzierungsfähigkeit und das visuell-motorische Koordinationsvermögen seien beeinträchtigt. Auch beim Erledigen feinmotorischer Anforderungen arbeite der Kläger eher unbeholfen und ungeschickt. Aufgrund der großen Unterschiede im Leistungsprofil könne eine Beeinträchtigung auf der Grundlage einer minimalen zerebralen Dysfunktion vermutet werden. Im stationären Alltag habe sich eine Affektlabilität des Kindes gezeigt. Bei den Beschäftigungen in der Gruppe sei auch sein vermindertes Durchhaltevermögen aufgefallen. Ferner sei ein hohes Maß an Suche nach Kontakt und Nähe zu den Erwachsenen deutlich geworden. In der Spieltherapie sei es zu kurzzeitigen dissoziativen Zuständen gekommen, bei denen der Kläger starr aus dem Fenster geblickt und aus dem Spielzusammenhang heraus inhaltliche sinnentfremdete Bemerkungen gemacht habe, wie zum Beispiel "Der Affe hat sich dem Arsch verbrannt Er muss rote Bananen fressen Dann darf er wieder ins Bett". Nach diesen dissoziativen Zuständen habe der Kläger erregt gespielt und sich in Wiederholungen von Handlungen ergangen, um die Erinnerung zu vergessen. Beim Spielen sei er darauf bedacht gewesen, die angreifende Partei zu besiegen, deren Werkzeug zu zerstören und die Schuldigen ins Gefängnis zu sperren. Dann sei er stets beruhigt gewesen und habe das Spiel beendet.

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Nach dem vom Beklagten ebenfalls beigezogenen Entlassungsbericht des Krankenhauses vom 6. Juni 2003 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 26. März bis 31. Mai 2003 waren folgende Diagnosen gestellt worden: Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8), einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90), sekundäre Enuresis nocturna (nächtliches Einnässen, F98.0). Das Verhalten des Kindes habe sich nach dem ersten Behandlungsabschnitt deutlich stabilisiert. Die Schlafstörungen und die extreme Angst vor dem Verlassenwerden seien nicht mehr beobachtet worden. Nach wie vor bestehe jedoch eine Störung im Sozialverhalten im Sinne von heftigen affektiven Erregungszuständen und Geschwisterrivalität. In der Zusammenfassung des psychologischen Befundes hat das Krankenhaus angegeben, der Kläger weise insgesamt eine altersgerechte Entwicklung mit Schwächen im praktischen Bereich auf. Das verminderte Konzentrations- und Durchhaltevermögen sowie die fein motorischen Defizite sollten ambulant mittels Ergotherapie weiter gefördert werden. Auch scheine eine länger dauernde psychotherapeutische Begleitung des Kindes dringend indiziert.

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Sodann zog der Beklagte das aussagepsychologische Gutachten des Dr. D. vom 9. August 2001 bei, das dieser im Auftrag der Staatsanwaltschaft H. zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers bei der polizeilichen Vernehmung erstattet hatte. Nach den Feststellungen des Dr. D. habe der Kläger eine für sein Alter durchschnittlich entwickelte kognitive Leistungsfähigkeit besessen. Es handele sich um ein sozial relativ kompetentes, situativ angepasstes und beziehungsfähiges Kind. Der Kläger wirke aktiv, Konflikte nicht vermeidend, etwas hyperaktiv und insgesamt emotional stabil. Merkmale einer psychischen Störung hätten nicht vorgelegen, so dass aufgrund der Untersuchung und unter Berücksichtigung der diagnostischen Leitlinien der WHO für den Zeitraum nach Beginn der mutmaßlichen Handlungen bis zur Begutachtung keine Symptome einer krankheitswertigen Störung zu diagnostizieren seien.

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Schließlich holte der Beklagte vom Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. ein nervenärztliches Gutachten vom 13. November 2003 ein. Dieser stellte die Diagnose von sehr leichtgradigen allgemeinen Verhaltensstörungen eines Vorschulkindes, die insgesamt keinen Krankheitswert erreichten. Sekundär bestehe eine bislang unbehandelte Enuresis nocturna. Er nehme zur Kenntnis, dass der Beklagte es für möglich halte, der Kläger könne Ansprüche als "Sekundäropfer" haben. Hinsichtlich der Kausalitätsbeurteilung sei nicht zu differenzieren, ob die einfachen Verhaltensauffälligkeiten konstitutionell bedingt sind, ob sie das Ergebnis eines anamnestisch emotionalen Mangelmilieus in der Familie seien oder ob es sich um die krankheitswertige psychische Folgeschädigung eines "Sekundäropfers" handele. Bei dem Kläger seien keinerlei Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung feststellbar. Die Geschwisterrivalität entspreche noch der Norm. Dies gelte auch für die sekundäre Enuresis nocturna, bei der die jeweils jüngeren Kinder unbewusst dokumentieren wollten, wie klein, schutz- und zuwendungsbedürftig sie eigentlich seien. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) seien die Voraussetzungen für die Gewährung eines MdE-Grades nach Nr. 26.3 "andere emotionale und psychosoziale Störungen (Verhaltensstörungen)" nicht erfüllt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass sich, ähnlich wie beim Bruder, irgendwann in der Zukunft eine primäre Persönlichkeitsstörung entwickelt. Der prüfärztliche Dienst des Beklagten (MR D. H.) hat in Auswertung dieses Gutachtens festgestellt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung zu verneinen sei. Diese können nur angenommen werden, wenn der Kläger Zeuge eines Ereignisses gewesen wäre, bei dem das eigene Leben oder das anderer Personen bedroht oder eine ernste Verletzung zur Folge gehabt hätte. Dies könne bei dem Tathergang nicht unterstellt werden. Insofern sei es eher unwahrscheinlich, dass die leichte Verhaltensstörungen und das nächtliche Einnässen Folge des Zuschauens bei einem sexuellen Missbrauch sei. Ein sog. Schockschaden liege nicht vor.

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Mit Bescheid vom 5. Februar 2004 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG ab. Zur Begründung gab er an, nach § 1 Abs. 1 OEG habe eine Person dann Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG, wenn sie infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe. Unter bestimmten Voraussetzungen könne Beschädigtenversorgung auch für Dritte, die nicht selbst Opfer einer Gewalttat geworden sind, gewährt werden, wenn diese aufgrund einer stattgefundenen Gewalttat einen Schock erlitten haben, welcher nicht nur vorübergehende psychische Gesundheitsstörungen von Krankheitswert ausgelöst habe. Das schädigende Ereignis müsse geeignet sein, den Schock durch das eigene Erleben auszulösen. Im Ergebnis aller medizinischen Stellungnahmen habe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass die bei dem Kläger heute noch bestehenden Verhaltensauffälligkeiten auf das angeschuldigte schädigende Ereignis zurückzuführen sind. Insbesondere habe nicht nachgewiesen werden können, ob durch das Beobachten der an seinem Bruder vorgenommenen rechtswidrigen Handlungen eine unmittelbare Schockwirkung eingesetzt und eine nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert ausgelöst hat.

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Mit seinem dagegen durch seine Eltern am 29. Februar 2004 erhobenen Widerspruch machte der Kläger zunächst geltend, der Antrag auf Entschädigung sei bereits am 9. August 2002 gestellt, dann aber vom Amt zurückgesandt worden. In nochmaliger Auswertung der medizinischen Unterlagen kam der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten (Dr. W.) am 18. Mai 2004 zu dem Ergebnis, es liege bei dem Kläger keine psychische Störung, die auf einen Schockschaden folgen würde, vor. Selbst wenn eine dauerhafte psychische Beeinträchtigung bestehen würde, könne diese nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf einen Schockschaden zurückgeführt werden. Der Kläger habe als damals dreijähriges Kind den beobachteten sexuellen Missbrauch noch nicht einordnen können und habe diesen aus der Erinnerung heraus auch nicht als gewalttätig oder "böse" geschildert. Ein solches Erlebnis könne zwar negative Einflüsse auf die seelische Entwicklung nehmen, ein Schockschaden sei daraus im vorliegenden Fall jedoch nicht abzuleiten. Entsprechende Gesundheitsstörungen lägen bei dem Kläger auch tatsächlich nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

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Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 6. August 2004 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle erhoben. Er hat auf einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus S. E. und S. B. in H. vom 11. Oktober 2004 bis 9. März 2005 hingewiesen und vortragen lassen, dass es sich bei den in der Epikrise des Krankenhauses vom 6. April 2005 genannten Diagnosen um die Folgen der durch die Beobachtung des sexuellen Missbrauchs des Bruders eingetretenen psychischen Belastungsstörung handele. In Stresssituationen nässe er nachts ein und schlafe unruhig. Vor kurzem habe er in Tränen aufgelöst erstmals davon gesprochen, dass alles seine Schuld sei, weil er seinem Bruder nicht habe helfen können, weil er selber noch so klein gewesen sei. Dabei habe er aus seiner Sicht die Vorkommnisse erzählt, die sich damals mit seinem Stiefbruder abgespielt haben. Gegen den Kläger habe sich zwar kein tätlicher Angriff gerichtet, er sei jedoch als Sekundäropfer im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Schutzbereich des § 1 OEG einbezogen. Denn es liege sowohl die von BSG geforderte persönliche Nähe zum Opfer als auch die zeitliche und örtliche Nähe zur Schädigungshandlung vor. Gesundheitsschädigung im Sinne des OEG könne auch eine psychische Schädigung sein, wozu auch psychische Traumen gezählt werden müssten. Entscheidend sei, dass das Beobachten der Tat eine seelische Reaktion des Sekundäropfers von einigem Gewicht bewirke (BSG, Urteil vom 12.6.2003, B 9 VG 1/02 R). In dem von den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegten Befundbericht des Krankenhauses vom 6. April 2005 sind Diagnosen nach dem sog. multiaxialen Klassifikationsschema genannt, darunter u. a. eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8), posttraumatische Belastungsstörung (F43.1), vorübergehende Tic-Störung (F95.0), sekundäre Enuresis nocturna (F 98.0), einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0). Zur Vorgeschichte wird in dem Bericht angegeben, der Kläger sei durch einen schweren sexuellen Missbrauch und den seines Bruders vorbelastet, daneben bestehe ein Alkoholismus der Kindesmutter, die seit zwei Jahren trocken sei und eine sozial instabile Familiensituation mit knappen finanziellen Verhältnissen. Der Kläger sei aus vorangegangenen stationären Behandlungen bekannt, die zu einer Stabilisierung geführt hätten. Im Zuge der bevorstehenden Einschulung und dann auch während des ersten Halbjahres der ersten Klasse sei es zu einer erneuten Verschlechterung vor allem der Tic-Symptome gekommen. Bei der Behandlung habe die Komplexität der Störungen des Kindes eine besondere Schwierigkeit dargestellt. Neben dem Verdacht auf das Vorliegen einer minimalen zerebralen Dysfunktion mit Konzentrationsschwächen, Teilleistungsstörungen im motorischen Bereich und starker Impulsivität seien die Belastungsfaktoren der frühen Kindheit nach wie vor zu erkennen. Der unbedingte Drang, die Kontrolle über andere Menschen zu behalten, die große Ängstlichkeit des Klägers vor neuen Situationen und die mangelnde Empathie gegenüber anderen Menschen seien als Folgen der posttraumatischen Belastung nach wie vor problematisch. Lediglich das beklagte sexualisierte Verhalten habe während der fünfmonatigen Behandlungszeit nicht beobachtet werden können.

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Der Beklagte ist der Klage mit dem Hinweis entgegengetreten, in der Epikrise des Krankenhauses S. E. und S. B. in H. vom 6. April 2005 sei die unzutreffende Angabe enthalten, der Kläger selbst sei durch seinen Halbbruder sexuell missbraucht worden. Stattdessen sei weiter davon auszugehen, dass er durch das Beobachten des Missbrauchs keinen Schockschaden bzw. keine psychische Gesundheitsstörung erlitten habe. Dem Bericht vom 6. April 2005 sei auch deutlich zu entnehmen, dass beim Kläger ein komplexes Beschwerdebild vorliege. Trotz der fehlerhaften Annahme eines sexuellen Missbrauchs werde in dem Bericht diesem fälschlicherweise angenommenen Geschehen nicht die Bedeutung einer wesentlichen Bedingung für die bestehenden Verhaltensstörungen zugesprochen, so dass nach der entschädigungsrechtlichen Ursachentheorie ein Versorgungsanspruch nicht zu begründen sei. Die Verhaltensauffälligkeiten des Klägers könnten auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein, wozu auch der Alkoholmissbrauch der Mutter gerechnet werden müsse. Es sei zwar nicht geklärt, ob dieser bereits vor der Geburt des Klägers vorgelegen habe, in jedem Falle aber seien dadurch seelische Belastungen in der frühen Kindheit anzunehmen. Des Weiteren wiesen das Sauerstoffmangelsyndrom nach der Geburt und der kurze Herzstillstand zusätzlich auf fortbestehende organische Schäden hin, die auch mit einigen der im sonderpädagogischen Gutachten vom 21. bis 25. Februar 2005 beschriebenen Funktionseinschränkungen vereinbar seien. Für einige Verhaltensauffälligkeiten würden in dem Bericht ungünstige Entwicklungsfaktoren wie längerfristige Trennung von den Eltern, häufiger Einrichtungswechsel sowie pausenlose unverschuldete Maßregelungen verantwortlich gemacht. Die Beobachtung des sexuellen Missbrauchs des Bruders dagegen werde nicht erwähnt, obwohl auch diese Tatsache selbstverständlich bekannt gewesen sei. Sollte angesichts dessen eine Kausalitätsbeurteilung überhaupt möglich sein, würde den vorbestehenden Schäden und den vielfältigen schädigungsunabhängigen ungünstigen Entwicklungsbedingungen die weit überwiegende Bedeutung zukommen. Die vom Rechtsanwalt des Klägers beschriebenen Schuldgefühle seien nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei zum Tatzeitpunkt erst drei Jahre alt gewesen und aus seinen Schilderungen gehe an keiner Stelle hervor, dass er seinen Bruder habe beschützen wollen.

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Mit Schreiben vom 18. Juli 2005 hat der Kläger ein sonderpädagogisches Gutachten des Landesbildungszentrums für Körperbehinderte H. vom 16. März 2005 über Feststellungen im Zeitraum vom 21. bis 25. Februar 2005 vorgelegt. Darin wird u.a. ausgeführt, dass der Kläger in unbelasteten Situationen ein lebhaftes und aufgeschlossenes Kind sei. Er gehe auf andere zu und nehme Kontaktangebote unter Wahrung von Distanzen an. Er sei erkundungs- und teilweise beschäftigungsfreudig, zeige sich kooperativ und hilfsbereit. In Anforderungssituationen blockiere er schnell, aber meist nur kurzzeitig. Er habe für sein junges Alter zu viele negative Erfahrungen und Erlebnisse gesammelt einschließlich häufiger Einrichtungswechsel, längerfristiger Trennung von der Familie, pausenloser Maßregelungen für Dinge, die er nicht verschuldet habe usw. Dies sei kombiniert mit einer Reihe von konstitutionellen Defiziten wie Reizselektionsschwäche, zu schlaffem Muskeltonus, mangelnder Kenntnisse und Fertigkeiten im tiefensensiblen Bereich. So erlebe man den Jungen in permanenter motorischer Unruhe, lärmend störend, auf ständiger Suche nach verbaler Rückkopplung und schließlich den Unterricht verweigernd.

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Mit Beweisanordnung vom 3. Februar 2006 hat das SG den Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das der Sachverständige schließlich am 13. Dezember 2008 erstattet und auf der Grundlage von Untersuchungen des Klägers am 1. September 2006 und 26. Oktober 2006 festgestellt hat, beim Kläger seien im Sommer 2002 erstmals Symptome aufgetreten, die sich einer posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen ließen. Die Mehrzahl dieser bei einem ersten stationären Krankenhausaufenthalt beobachteten Symptome ließen sich allerdings einer Aufmerksamkeits-Defizit-und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zuordnen, die im Rahmen der zweiten Klinikbehandlung auch als Diagnose benannt worden sei. Symptome, die auf das Fortbestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung sicher hinweisen, seien bei der zweiten Klinikbehandlung nicht mehr genannt worden. Der psychische Zustand des Klägers habe sich stabilisiert, die Verhaltensauffälligkeiten und –störungen insgesamt abgenommen. Im Rahmen der dritten stationären Behandlung in demselben Krankenhaus von Oktober 2004 bis März 2005, zu der massive sexuelle Verhaltensauffälligkeiten im Vorfeld und weitere Verhaltensstörungen des Klägers geführt hätten, seien Symptome einer ADHS und damit assoziierte Störungen in den Vordergrund getreten und eine Störung in Form von multiplen Tics (unwillkürliche Bewegungen und Geräusche) hinzugekommen. Jedoch seien Symptome, die sicher auf eine posttraumatische Belastungsstörung hinweisen, nicht geschildert worden. Bei seiner Untersuchung des Klägers und der Befragung der Eltern hätten sich keine sicheren Zeichen auf Gesundheitsstörungen als Folge des Missbrauchs eruieren lassen. Hingegen sei die Symptomatik der Aufmerksamkeits- und der Tic-Störung deutlich in Erscheinung getreten. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung hätten sich nur in der Vorgeschichte gefunden. Das Vorhandensein der ADHS lasse sich für einen länger vor den Missbrauchshandlungen zurückliegenden Zeitpunkt sichern und sei nicht als Folgestörung anzusehen. Da posttraumatische Belastungsstörung und ADHS eine Reihe gemeinsamer Symptome hätten, die beim Kläger in starker Ausprägung bestünden, da zudem permanent weitere ADHS-Symptome vorhanden seien, sei eine differenzierte Zuordnung der Symptomatik zu einer der Störungen nicht möglich. Damit lasse sich das eventuelle Fortbestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht sichern. Sichere Hinweise auf die Manifestation einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge des erlebten sexuellen Missbrauchs ließen sich nur für die Zeit von Sommer 2002 bis zu den beiden ersten stationären Behandlungen in der Klinik in H. eruieren. Für diese Zeit sei die Ausprägung einer stärkeren psychischen Störung mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beim Kläger sicher anzunehmen, was einem GdB-Grad von 30 bis 40 entspreche. Für die Zeit danach bestünden zwar weitere Störungen mit Behinderungen, für die sich aber eine sichere Zuordnung als Missbrauchsfolge nicht treffen lasse.

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Schließlich hat das SG mit weiterer Beweisanordnung vom 30. Juli 2009 ein Gutachten von Prof. Dr. F. vom 4. Juni 2010 eingeholt, der zu den Fragen, welche konkreten Schädigungen beim Kläger infolge des im Jahr 2000 visuell wahrgenommen sexuellen Missbrauchs an dem Bruder bzw. in der Folgezeit bis heute aufgetreten seien, welche MdE die sonach festzustellende Schädigung bedinge und welche Gesamt-MdE insgesamt festzustellen sei, Stellung genommen hat. Der Sachverständige hat sein Gutachten auf der Grundlage der kinderpsychiatrischen Untersuchung des Klägers vom 22. März 2010 während eines ambulanten Termins in M. im Beisein der Eltern erstellt und ausgeführt, es sei nach den Vorfällen mit dem sexuellen Missbrauch und dem Umzug der Familie in ein neues Wohnumfeld im neuen Kindergarten zu Vorkommnissen mit sexualisiertem Verhalten gegenüber Mädchen gekommen. Im Sommer 2002 seien erstmals Tics in Form von Augenzwinkern und Kopfzucken bis hin zu starken Kopfschlagen aufgetreten. Mit Hilfe der Einnahme von Medikamenten hätten sich die Tics deutlich gebessert. In der Grundschule sei er im Hort auffällig gewesen, wobei es auch hier sexualisierte Vorfälle mit Jungen gegeben habe. In psychopathologischer Hinsicht sei keine Hypermotorik erkennbar, keine Hinweise auf manifeste Angststörungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, somatoforme oder andere Störungen. In der Untersuchungssituation seien motorische Tics mit Zwinkern und Kopfbewegungen in moderater Form aufgefallen. Weiter hat der Sachverständige angegeben, in Kenntnis der Aktenlage, der diversen Vorbegutachtungen sowie der Exploration zur jüngsten Vergangenheit auf eine Reexploration der Tatzusammenhänge und der sich anschließenden Folgen in direkter Ansprache verzichtet zu haben.

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In seiner zusammenfassenden Beurteilung hat der Sachverständige ausgeführt, für den Kläger sei belegt, dass er im Rahmen des sexuellen Missbrauchs an seinem Bruder S. zweimal diesem Geschehen beigewohnt habe. Dies habe in Folge, ebenso wie bei seinem Bruder, zu einem zunächst zweimaligen Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in H. in den Jahren 2002 und 2003 sowie in derselben Klinik von Oktober 2004 bis 2005 geführt. Als Hauptdiagnosen seien von Seiten der Klinik "posttraumatische Belastungsstörungen" sowie eine "kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen" gestellt worden. Zusätzlich bestehe bis heute eine sich zu verschiedenen Zeitpunkten verschlechternde multiple Tic-Störung sowie eine zeitweise noch auftretende Enurasis nocturna. Etwa ein halbes Jahr vor dem letzten Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in H. hätten sich im schulischen Rahmen sowie auch sonst schwer steuerbare verbale und täglich aggressive sowie sexualisierte Verhaltensweisen gezeigt. Zusätzlich hätte sich die Tic-Störung verstärkt und in multiplen Tics mit Lautäußerungen (Tourette-Syndrom) geäußert. In vormaligen Behandlungen im Jahre 2003 seien massive Ängste des Klägers und starke affektive Schwankungen ebenfalls ein Aufnahmegrund gewesen. Das ausgesprochen komplexe Störungsbild bei dem Kläger, das auch mit Anteilen einer minimalen zerebralen Dysfunktion beschrieben werde, müsse als in Anteilen deutlich mit dem sexuellen Missbrauch des Bruders in Zusammenhang stehend interpretiert werden (affektive Schwankungen, Ängstlichkeit, aggressives Ausagieren etc. sowie auch als vorbestehend MCD [minimaler cerebraler Dysfunktion], Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, nächtliches Einnässen) bzw. sich eigenständig entwickelnd (Tourette-Syndrom). In den vorliegenden Zeugnissen zeige sich seit Schulbeginn bis heute die Schwierigkeit der Integration des Klägers in den Klassenzusammenhang und die verschiedenen Auffälligkeiten aus dem Spektrum der ADHS, der Tic-Störung, aber auch der affektiven emotionalen Regulation. Insgesamt sei aus den verfügbaren Quellen von deutlichen Fortschritten die Rede, dies entspreche der vom Sachverständigen durchgeführten kinderpsychiatrischen Exploration vom 22. März 2010. Bei laufender Medikation fänden sich situativ wenig bis mittelstark ausgeprägte, vor allen Dingen motorische Tics. Insgesamt zeigten sich zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren relevanten psychopathologischen Auffälligkeiten.

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In Zusammenfassung und Beantwortung der Beweisfragen hat der Sachverständige ausgeführt, bei dem komplexen Störungsbild des Klägers über Jahre mit deutlicher Besserung in letzter Zeit könne von Anteilen einer posttraumatischen Belastungsstörung und Anteilen von mitgebrachten Störungen ausgegangen werden. Kausal ließen sich die verschiedenen Anteile nicht mit hinreichender Sicherheit differenzieren und trennen. Vor allem die geschwisterliche Nähe zum Bruder sowie auch die gemeinsamen Begutachtungen und Krankenhausaufenthalte legten für den emotionalen Bereich eine starke Verkoppelung mit dem Thema "sexueller Missbrauch" nahe, zumindest sekundär. Ob und inwieweit im Rahmen einer Schockeinwirkung das Zuschauen beim sexuellen Missbrauch des Bruders sich auswirke, könne nicht abschließend geklärt werden. Die gesamte Symptomatik des Jungen mit ausagierend aggressiven, emotional fluktuierenden Verhaltensweisen spreche aber für eine deutliche Belastung aus diesem Bereich. Die geschilderten Auffälligkeiten könnten nicht im Rahmen einer ADHS-Störung allein ihre Begründung finden. Das Tourette-Syndrom sei als unabhängige Krankheitsidentität zu werten. Es könne von einer Verhaltensproblematik mit affektiven Regulationsstörungen ausgegangen werden, für die eine MdE um 30 vom 100 gerechtfertigt sei. Auch beim Kläger sei eine Auseinandersetzung im therapeutischen Prozess mit dem Geschehenen bisher nicht erfolgt, sondern durch die anderen Lebenssituationsprobleme überlagert worden. Als Gesamt-MdE sei ebenfalls ein Wert von 30 vom 100 für die Zeit von Herbst 2000 bis heute zu veranschlagen. Die symptomatische Besserung bei dem Kläger entspreche der des Bruders S. und deute keineswegs auf ein verarbeitetes Geschehen hin. Abschließend werde man die Auswirkung der Missbrauchserlebnisse erst zum Ende der Pubertät hin beurteilen können.

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Der Beklagte ist den Feststellungen des Prof. Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2010 entgegengetreten und hat u. a. vorgetragen, ein Versorgungsanspruch scheitere bereits daran, dass über einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem schädigenden Ereignis im Sommer/Herbst 2000 keine psychischen Auffälligkeiten bestanden hätten, die nach Art und Ausmaß einen Rückschluss auf eine traumatische Schädigung im Zusammenhang mit dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs erlaubten. Als Beleg dafür sei zunächst auf das forensisch-psychologische Gutachten des Dr. D. vom 9. August 2001 zu verweisen, der unbestritten festgestellt habe, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung am 6. August 2001 bei dem Kläger keine psychische Störung von Krankheitswert vorgelegen habe. Soweit der gerichtliche Sachverständige davon abweichend nunmehr unter Rückgriff auf die Behandlungsunterlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie H. von 2002 und 2003 zu dem Ergebnis komme, dass zumindest Anteile des zu dieser Zeit beim Kläger vorliegenden komplexen Störungsbildes mit dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs seines Bruders im Zusammenhang stünden, sei ihm nicht zu folgen. Die stationäre Erstaufnahme sei im Oktober 2002 wegen Störungen des Sozialverhaltens und der Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfolgt. Diese Verdachtsdiagnose, die offenbar in der Annahme gestellt worden sei, dass auch der Kläger selbst sexuell missbraucht worden ist, finde im Behandlungsbericht vom 7. Januar 2003 keine Bestätigung. In diesem Bericht sei weder über während des Aufenthaltes aufgetretene krankheitswertige Angstzustände oder Angstträume noch über sexualisierte Verhaltensauffälligkeiten berichtet worden. Im Vordergrund hätten vielmehr psychische Auffälligkeiten wie starke Konzentrationsschwierigkeiten, sehr geringe Durchhaltefähigkeit gestanden, die einer ADHS zugeordnet worden seien, bei Verdacht auf eine bestehende minimale zerebrale Dysfunktion. Auch wenn in der herrschenden medizinischen Lehre die Möglichkeit einer Latenzzeit von wenigen Wochen bis zu Monaten zwischen dem Trauma und dem Ausbruch der psychischen Erkrankung beschrieben werde, habe ein Versorgungsanspruch zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen, weil während der bis Dezember 2002 andauernden Erstbehandlung keine psychische Erkrankung bestanden habe, die im Ursachenzusammenhang mit dem schädigenden Ereignis von Sommer/Herbst 2000 steht. Dies gelte auch für die Zeit nach der Antragstellung. Bei der zweiten stationären Behandlung vom 26. März bis 31. Mai 2003 seien gleichfalls keine traumatypischen psychischen Auffälligkeiten beobachtet bzw. diagnostiziert worden. Auch Dr. W. habe anlässlich der Begutachtung im November 2003 derartige Auffälligkeiten nicht festgestellt. Gleiches gelte für Dipl.-Med. B. bei seiner Begutachtung im September/Oktober 2006. Auch im Entlassungsbericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie H. vom 6. April 2005 seien keine traumatypischen Auffälligkeiten berichtet worden. Insbesondere sei während der dortigen fünfmonatigen Behandlung im Zeitraum vom 11. Oktober 2004 bis 9. März 2005 kein sexualisiertes Verhalten beobachtet worden. Sofern ein solches Verhalten im Vorfeld der stationären Aufnahme im Schulhort beobachtet worden sei, könne dies zu dieser Zeit nicht mehr im Sinne der bestärkenden Kausalität dem vier Jahre zurückliegenden schädigenden Ereignis zugerechnet werden. Eine solche Einschätzung widerspräche der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, wonach lediglich eine Latenzzeit von wenigen Wochen bis zu Monaten zwischen dem Trauma und dem Ausbruch der psychischen Erkrankung beschrieben werde. In der Gesamtschau der vorliegenden Befunde unter Einschluss des Begutachtungsergebnisses von Prof. Dr. F., der auch aktuell bestätigt habe, dass keine relevanten psychopathologischen Auffälligkeiten vorliegen, könne ein Versorgungsanspruch auf der Grundlage der für Sekundäropfer geltenden Kriterien nicht festgestellt werden. Soweit Prof. F. dennoch die Empfehlung ausgesprochen habe, dem Kläger Versorgungsleistungen nach einem GdS von 30 vom 100 zu gewähren, widerspreche dies seiner Befunderhebung, wonach keine relevanten psychopathologischen Auffälligkeiten beim Kläger vorliegen.

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In der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2011 hat der Kläger u. a. die Zahlung einer Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen in Höhe von mindestens 50 vom 100 ab 1. Dezember 2002 beantragt. Mit Urteil vom 4. Februar 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, nach der Rechtsprechung sei anerkannt, dass einem Dritten (Sekundäropfer), der Zeuge einer Gewalttat geworden ist und dadurch einen sog. Schockschaden erlitten habe, Versorgung nach dem OEG zustehen könne. Im Falle von psychischen Gesundheitsstörungen komme es bei der Kausalitätsprüfung darauf an, ob das Erleben der Gewalttat als Sekundäropfer in erhöhtem Maße geeignet sei, die vorhandene psychische Erkrankung hervorzurufen. Dies sei dann der Fall, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Handlung und den danach aufgetretenen Gesundheitsschäden nicht auch auf andere, nachweislich ebenfalls vorliegende und vom Sekundäropfer erlebte Ereignisse in seinem Umfeld ursächlich sein könnten. Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. F. getroffenen Feststellungen sei davon auszugehen, dass die psychischen Störungen des Klägers in einem Tourette-Syndrom (Tic-Syndrom), einer ADHS und einer posttraumatischen Belastungsstörung bestünden. Das Tourette-Syndrom beruhe auf körperimmanenten Vorgängen und sei nicht durch das Beobachten der Gewalteinwirkung hervorgerufen worden. Diese Erkrankung sei damit nicht als schädigungsbedingt anzusehen. Aber auch das ADHS und die posttraumatische Belastungsstörung seien nicht als Folge des vom Kläger beobachteten sexuellen Missbrauchs seines Bruders zu werten. Denn Prof. F. habe bei seiner Feststellungen hervorgehoben, es könne neben Anteilen einer posttraumatischen Belastungsstörung und Anteilen von mitgebrachten Störungen eine Trennung oder Differenzierung nicht mit hinreichender Sicherheit getroffen werden. Genau darauf komme es im vorliegenden Fall aber an, da weitere Umstände und Ereignisse sowohl vor als auch nach dem sexuellen Missbrauch des Bruders vorgelegen hätten, die ebenfalls geeignet seien, eine posttraumatische Belastungsstörung zu begründen. So werde in den medizinischen Berichten bis zum fachpsychiatrischen Gutachten von Dr. W. vom 13. November 2003 keine psychische Beeinträchtigung des Klägers konkret dargestellt. Allerdings würden in diesem Gutachten und ärztlichen Befunden Ausführungen zum familiären Umfeld des Klägers vorgenommen, die zumindest das Entstehen einer posttraumatischen Belastungsstörung begründen könnten. Hierzu zähle die damalige Alkoholerkrankung der Mutter mit einer zwölf Wochen dauernden stationären Behandlung in einer Klinik in E. während des ersten Halbjahres 2003. Es sei nicht auszuschließen, dass dieser Alkoholmissbrauch der Mutter zu frühen, von dem Missbrauchsereignis losgelösten seelischen Belastungen beim Kläger geführt habe. Auch durch das Sauerstoffmangelsyndrom und den kurzzeitigen Herzstillstand nach der Geburt könne die Gesundheitssituation des Klägers negativ beeinflusst worden sein. Darüber hinaus seien auch die längeren Trennungen von den Eltern geeignet, posttraumatische Belastungsstörungen bei einem Kind zu manifestieren. Für die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs und den psychischen Störungen reiche es nicht aus, wenn der Sachverständige Prof. Dr. F. meine, die beim Kläger vorliegende Symptomatik in Form von aggressivem, emotional fluktuierendem Verhalten sei als deutliche Folge der Beobachtung des sexuellen Missbrauchs zu werten, wenn er andererseits aber nur von einer "sekundären Verkoppelung" ausgehe. Da ein kausaler Zusammenhang nicht nachzuweisen sei, könne der Kläger nicht als Sekundäropfer im Sinne des OEG anerkannt werden.

18

Das ihm am 9. März 2011 zugestellte Urteil greift der Kläger mit seiner am Montag, den 11. April 2011 eingelegten Berufung an. Er ist unter Hinweis auf das Ergebnis der ergänzenden Befragung des Prof. Dr. F. weiterhin vom Erfolg seiner Klage überzeugt und macht geltend, es müssten etwaige noch verbliebene Zweifel am ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs und seinen psychischen Störungen durch Befragung seiner Person ausgeräumt werden.

19

Der Kläger beantragt,

20

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Februar 2011 abzuändern, den Bescheid des Beklagten vom 5. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2004 weiter abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Schädigungsfolgen einer posttraumatischen Belastungsstörung einhergehend mit affektiv aggressiven Verhaltensauffälligkeiten ab 1. Dezember 2002 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen in Höhe von mindestens 30 vom 100 zu zahlen,

21

ferner:

22

zum Beweis für die Tatsache, dass das Beobachten der Gewalt des sexuellen Missbrauchs des Bruders wesentlich kausal für eine posttraumatische Belastungsstörung mit affektiv aggressiven Verhaltensweisen des Klägers war, wird die Ergänzung des Gutachtens von Prof. Dr. F. durch persönliche Exploration des Klägers beantragt.

23

Der Beklagte beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Er hält seine Bescheide und das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

26

Das Gericht hat den Sachverständigen am 9. Mai 2012 um ergänzende gutachterliche Stellungnahme unter Berücksichtigung der kritischen Würdigung des Gutachtens vom 3. Mai 2010 durch den Beklagten gebeten, wobei es auch um die vom Beklagten getroffene Feststellung gehen solle, es hätten über einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem schädigenden Ereignis beim Kläger keine psychischen Auffälligkeiten bestanden, die nach Art und Ausmaß einen Rückschluss auf eine traumatische Schädigung im Zusammenhang mit dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs erlauben. In seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2013 hat Prof. Dr. F. ausgeführt, die Verlaufs- und Symptombeschreibungen des Klägers während der stationären Aufenthalte hätten ein massiv ausgeprägtes Mischbild mit aggressiv-ängstlich durchbrüchigen Verhaltensweisen neben der geschilderten Aufmerksamkeits- bzw. Tic-Störung gezeigt. Tic-Störung und ADHS ließen sich noch im Rahmen eigenständiger Krankheitsidentitäten beschreiben, die geschilderte affektive instabile Sozialverhaltensproblematik könne aber nicht hinreichend plausibel einem anderen Kausalgeschehen zugewiesen werden als den Zusammenhängen im Rahmen des sexuellen Missbrauchs des Bruders und den sich daraus ableitenden Entwicklungsfolgen. Insbesondere im letzten Arztbrief aus dem Krankenhaus S. E. und S. B. vom 6. April 2005 sei noch einmal auf die posttraumatische Konstellation und die starken Belastungsfaktoren der frühen Kindheit hingewiesen worden. Auch in den beschriebenen spieltherapeutischen Sequenzen hätten sich die aggressiven Themen mit dem Besiegt-werden-müssen des bösen Gegners und ähnlichem gezeigt. Die enge Bezogenheit der Kinder aufeinander mit dem gegenseitigen Beschützen sei ausführlich dargestellt worden. Bei der Gegenüberstellung der Einschätzungen aus den kinderpsychiatrischen mehrmonatigen Aufenthalten mit der Bewertung aus dem forensisch psychologischen Gutachten des Dr. D. sowie den Bewertungen von Dr. W. und Dipl-Med. B. falle auf, dass die Befunderhebung einerseits unterschiedlichen Zwecken gedient und andererseits auf der Basis von kürzeren Untersuchungsbedingungen erfolgt sei. Die Glaubhaftigkeit des Erlebnismaterials bei dem Kläger kontrastiere auffällig mit der festgestellten psychopathologischen Unauffälligkeit. Die Möglichkeit normopathischer Anpassungsprozesse im Sinne einer fast parentifizierenden Verantwortungsübernahme für den anderen (in diesem Falle den Bruder) in bestimmten Entwicklungsaltern werde in diesem Zusammenhang von den Sachverständigen nicht diskutiert. Zu schließen sei also die zeitliche Lücke der vermeintlichen Unauffälligkeit hin zu den danach als gravierend beschriebenen Störungen. In der Summe blieben als schwerste kinderpsychiatrische Befunde die schweren affektiven aggressiven Auffälligkeiten verbunden mit massiv regredierenden Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum, die nicht durch ADHS, Tourette-Störung oder andere bekannte Umstände erklärt werden könnten. Dies alles stützte die These einer anderen Genese und damit auch inhaltlich die einer erheblichen posttraumatischen Belastung. Zu klären bleibe die Frage, wie mit der doch einigermaßen langen Latenzphase zwischen Schädigungsereignis und Auftreten von psychischen Folgen umzugehen ist. Hierzu sei anzumerken, dass es keine systematische Literatur über solche Phänomene bei Kleinkindern gebe. Latenzzeiten von wenigen Wochen bis Monaten könnten für das Jugend- und Erwachsenenalter als gesichert gelten, ob sie jedoch Anwendung auf das Kleinkindalter finden dürfen, scheine mehr als fraglich und sei nicht geklärt. Auf Kleinkinder wirkten Vorfälle wie die im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch des Bruders berichteten Beobachtungen wie das Zerbrechen einer bis dahin als sicher geglaubten und erlebten Welt, ohne dass die Bedrohung, ihr Ausmaß und ihre Auswirkungen eingeschätzt, reflektiert und damit eingeordnet werden könnten. Das Kind sei also hilflos diesen Ereignissen und seinen diesbezüglichen Erlebnissen ausgesetzt und könne sie nicht weiter zuordnen, außer dass sie einen klar bedrohlichen Charakter haben. Diese Erlebnisse stünden affektiv in gravierender Weise quer zum bisher Erlebten. Es sei daher klinisch mehr als plausibel anzunehmen, dass die gemeinsame Lebensgeschichte mit dem Bruder – auch und insbesondere zur affektiven Verarbeitung des sexuellen Missbrauchs – immer wieder und reaktualisierend auf den Kläger eingewirkt hat, so dass schlussendlich im Jahre 2005 die Klinik in H. festgestellt habe, dass der unbedingte Drang des Klägers, die Kontrolle über andere Menschen zu behalten, seine große Ängstlichkeit vor neuen Situationen und die mangelnde Empathie gegenüber anderen Menschen als Folge der posttraumatischen Belastung nach wie vor problematisch seien. Abschließend sei daher vorzuschlagen, den Sachverhalt so zu werten, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die psychischen Auffälligkeiten des Klägers Folge der Schädigungen sind, der Kläger also als Sekundäropfer anzusehen ist. Eine wahrscheinliche, geschweige denn gesicherte alternative Kausalität finde sich nicht.

27

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 20. August 2013 die Stellungnahme seines prüfärztlichen Dienstes vom 16. August 2013 (Dr. S.) zu den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen vorgelegt. Darin wird festgehalten, es sei diesem weiterhin nicht gelungen, einen Gesundheitsschaden nachvollziehbar in die erforderliche kausale Wahrscheinlichkeitsbeziehung zu einem Schockerlebnis einzubringen. Es genüge nicht, eine Wahrscheinlichkeit zu unterstellen oder zu behaupten, allein weil neben dem Schockerlebnis vermeintlich keine andere alternative Kausalität zu finden sei. Der Sachverständige habe es weiterhin versäumt, sich mit der Eignung des Schädigungstatbestandes hinsichtlich Schwere und Dauer der Einwirkung zu befassen. Prof. Dr. F. habe nicht geklärt, ob sich das Beobachten des sexuellen Missbrauchs beim Bruder auf den Kläger nachhaltig ausgewirkt hat. Des Weiteren sei er wiederum nicht in der Lage, einen nach dem Erlebnis eingetretenen primären Gesundheitsschaden vorzuweisen. Hierbei habe er auf andere Fachgutachten zurückgegriffen und wiederholt, dass noch Jahre nach dem Erlebnis keine traumatypischen psychischen Auffälligkeiten diagnostiziert worden seien. An dieser Stelle mangele es an Fakten, die für eine nach dem sozialen Entschädigungsrecht nachvollziehbare Wahrscheinlichkeitsbeurteilung grundlegend einzubeziehen seien, um dieselbe anhand einer überzeugenden Kausalkette unter Aufzeigen von Bindegliedern wie u. a. Brückensymptomen herleiten zu können. Als Verstoß gegen die versorgungsmedizinischen Grundsätze sei es zu werten, dass der Sachverständige schädigungsfremde Einwirkungen von erheblichem Einfluss auf die kindliche emotionale Entwicklung völlig außer Acht gelassen habe. Es handele sich hier um starke seelische Belastungsfaktoren, denen der Kläger in einer häuslichen Umgebung mit einer instabilen familiären Situation ausgesetzt gewesen sei. Die genannten Umstände außerhalb des nach dem OEG zuerkannten Schädigungstatbestandes hätten auf den Kläger schwerwiegend und langfristig eingewirkt, so dass ihnen im Verhältnis zum OEG-Schädigungstatbestand die wesentliche Ursachenbedeutung zukommen müsse. Diese Wertung sei im Urteil des SG näher beleuchtet und entsprechend dargelegt worden. Demgegenüber habe die mit der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen nachgereichte Auseinandersetzung mit der Materie keine neuen überzeugenden Gesichtspunkte erbracht. Dies gelte auch für die von ihm hervorgehobene besondere Bindung des Klägers zu seinem Bruder, denn auch hier seien die bekannten schädigungsfremden Einflüsse außer Acht gelassen worden. Wenn Kinder in einem Milieu familiär zerrütteter Verhältnisse mit dem Gefühl, einer fehlenden Geborgenheit hilflos ausgesetzt zu sein aufwachsen müssten, stelle eine enge Bezogenheit mit dem Drang, sich gegenseitig zu beschützen, keine Besonderheit dar, die für den geschilderten OEG-Schädigungstatbestand spreche. Die bei dem Kläger bestehenden Störungen seien weder unmittelbar noch zeitnah mit dem nach dem OEG geschützten Negativerlebnis aufgetreten, sondern hätten sich erwiesenermaßen langfristig entwickelt. Damit seien sie aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis einer sich auf das Persönlichkeitsgefüge ungünstig auswirkenden familiären Obhut mit u. a. auch schweren seelischen Belastungsfaktoren, unter denen der Kläger in einer häuslichen Umgebung mit einer ausgeprägt instabilen familiären Situation aufgewachsen sei. Dem OEG-Tatbestand komme vor diesem Hintergrund keine relevante Ursachenbedeutung zu.

28

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 30. September 2013 ausgeführt, der Sachverhalt sei nunmehr mit den ergänzenden schlüssigen Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen aufgeklärt. Dieser habe überzeugend dargelegt, dass die affektiv aggressiven Verhaltensstörungen des Klägers Symptome einer wesentlich durch das Beobachten des Missbrauchs des Bruders bedingten Gesundheitsstörung seien. Auf der Grundlage dieser Feststellungen sei dem Kläger ein Anspruch auf Opferentschädigung zuzusprechen. Allerdings sei der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht zum zeitlichen Umfang des Anspruchs noch weiter aufzuklären, da es aufgrund der Verpflichtungsklage auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Der gerichtliche Sachverständige habe nachvollziehbar dargelegt, dass die von ihm beschriebenen affektiv aggressiven Verhaltensstörungen des Klägers wahrscheinlich eine Folge der erlittenen Belastungsreaktionen sind. Richtig sei hierbei auch, dass der Ursachenzusammenhang zwischen der Belastung und dem Gesundheitsschaden bzw. der Gesundheitsstörung nicht mit dem Vollbeweis zur vollen, alle anderen Zweifel ausschließenden Überzeugung geführt werden müsse. Als Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität im Entschädigungsrecht genüge seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. Dezember 1999 (B 9 VG 2/98 R) die Wahrscheinlichkeit. Diese Wahrscheinlichkeit werde vom Sachverständigen nachvollziehbar bejaht. Zu den Möglichkeiten, die der Beklagte als mögliche andere Ursache für die Gesundheitsstörungen benenne, sei nichts festgestellt. Der Alkoholmissbrauch der Mutter sei schon lange vorher beendet gewesen und habe in der Familie keine Rolle mehr gespielt. Ein niedriges Familieneinkommen als Ursache für seelisch bedingte Verhaltensstörungen könne vom Beklagten nicht ernsthaft unter Beweis gestellt werden. Im Hinblick auf die noch nicht abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung des Klägers und die Tatsache, dass bei ihm mehrere psychische Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren seien, wobei die affektiv aggressiven Verhaltensstörungen nur die Symptome der Gesundheitsstörung seien, sei es wichtig, die zu entschädigende Gesundheitsstörung genau zu bezeichnen, damit diese festgestellt werden könne. Insoweit bedürfe der Sachverhalt noch der medizinischen Aufklärung.

29

Mit Schreiben vom 18. November 2013 hat der Beklagte eine weitere Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes vom 14. November 2013 vorgelegt, wonach die aus der Sicht des Klägers bestehende entschädigungspflichtige Gesundheitsstörung unter der Bezeichnung "affektiv aggressive Verhaltensauffälligkeiten" zu führen wäre. Es sei aber nochmals zu verdeutlichen, dass der Sachverständige die Symptomatik von affektiv aggressiven Verhaltensauffälligkeiten als bleibende Folge einer schädigungsbedingt erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung herauskristallisieren wolle, eine solche aber bzw. Hinweise für eine solche aber zu keinem Zeitpunkt zu belegen seien. Affektiv aggressive Verhaltensauffälligkeiten seien dem Diagnosebild einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen zuzuordnen. Die Störungen hätten sich nachgewiesen langfristig entwickelt und seien aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis einer sich auf das Persönlichkeitsgefüge ungünstig auswirkenden familiären Obhut mit u. a. auch schweren seelischen Belastungsfaktoren, unter denen der Kläger in einer häuslichen Umgebung mit einer ausgeprägt instabilen familiären Situation aufgewachsen sei. Dem OEG-Tatbestand könne vor diesem Hintergrund keine relevante Ursachenbedeutung zukommen. Dies gelte auch, soweit die affektiv aggressiven Verhaltensauffälligkeiten als Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung zu werten seien. Auch hier seien die häuslichen Milieuumstände für sich geeignet, aufgrund von wiederkehrenden traumatischen Erfahrungen ursächlich im Sinne der wesentlichen Bedeutung zu sein. Zu berücksichtigen sei zuletzt der Umstand, dass das Tourette-Syndrom Auswirkungen habe, die vom persönlichen Umfeld als aggressiv emotional fluktuierendes Verhalten missgedeutet werden könnten.

30

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten nebst Auszügen aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. und der Gerichtsakte des Amtsgerichtes S. haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

31

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

32

Streitbefangen ist die Frage, ob dem Kläger eine Beschädigtenrente ab 1. Dezember 2002 nebst Feststellung einer Schädigung i. S. des OEG zusteht. Diese Frage ist zu verneinen. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgericht {SGG]). Das insoweit zur Überprüfung stehende Urteil des SG ist nicht abzuändern, weshalb der Berufung der Erfolg verwehrt bleibt.

33

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält auf Antrag wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG Versorgung, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dabei genügt gemäß §§ 1 Abs. 1 OEG, 1 Abs. 3 BVG zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung oder einer Verschlimmerung einer anerkannten Schädigungsfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, die dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Dagegen müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen wie "schädigender Vorgang" einschließlich der Rechtswidrigkeit des Angriffs, "gesundheitliche Schädigung", "gesundheitliche bzw. wirtschaftliche Folgen" selbst erwiesen sein, wofür eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit genügen kann, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach § 30 Abs. 1 BVG nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigung ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

34

Im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Ermächtigung in §§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX, § 1 Abs. 1 VfG-KOV, 30 Abs. 16 BVG nach § 2 Satz 1 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen", Ausgabe 2008 (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008) die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdS festgelegt, die fortlaufend auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft fortentwickelt werden (§ 2 Satz 2 VersMedV). Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" ersetzen die bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (letzte Ausgabe 2008) und stellen eine verbindliche Rechtsquelle für die Feststellung einer Schädigungsfolge und des GdS dar (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2009, A.: B 9 SB 4/08 R, juris).

35

Der Kläger ist nicht selbst Opfer eines unmittelbaren Angriffes im oben dargestellten Sinne geworden. Allerdings werden seit einer Entscheidung des BSG vom 7. November 1979 (9 RVg 1/78, SozR 3800 § 1 Nr. 1) in ständiger Rechtsprechung auch Opfer sog. Schockschäden in den Schutzbereich des OEG einbezogen. Dabei geht es um die psychische Schädigung von Personen, die nicht selbst von einem tätlichen Angriff getroffen, sondern Zeuge einer Gewalttat werden oder denen die Nachricht von einem besonders schrecklichen Geschehen übermittelt wird. Dass die psychische Schädigung nicht bei demjenigen eintritt, auf den der Angriff (unmittelbar) gerichtet ist, steht einem Anspruch nicht entgegen, weil § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht einen Angriff auf den Geschädigten voraussetzt, sondern es sich auch um einen Angriff gegen eine andere Person handeln kann. Auch braucht sich der Vorsatz des Angreifers nicht auf die psychische Schädigung auch der anderen Person zu beziehen. Nach der Rechtsprechung des BSG steht einem Anspruch nicht entgegen, dass das Opfer eines sog. Schockschadens keiner körperlichen, sondern einer psychischen Einwirkung ausgesetzt ist. Das Opfer eines Schockschadens wird in der Rechtsprechung regelmäßig als "Sekundäropfer" bezeichnet. Dessen Anspruch setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung im Sinne einer engen, untrennbaren Verbindung beider Elemente voraus. Es müssen die psychischen Auswirkungen der Gewalttat beim Sekundäropfer bei wertender Betrachtung mit der Gewalttat so eng verbunden sein, dass beide eine natürliche Einheit (BSG, Urteil vom 12. Juni 2003, B 9 VG 1/02 R, juris) bilden. Maßgebliches Kriterium für das Vorliegen des erforderlichen unmittelbaren Zusammenhangs ist die zeitliche, örtliche und personale Nähe, wobei nicht alle Aspekte kumulativ vorliegen müssen. Bei der Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Angriff und Schädigung, insbesondere bezogen auf den sexuellen Missbrauch von Kindern ist darauf abzustellen, ob es der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft entspricht, dass Ereignisse dieser Art allgemein geeignet sind, solche Krankheiten hervorzurufen (BSG, Urteil vom 26. Januar 1994, 9 RVg 3/93, SozR 3-3800 § 1 Nr. 3 OEG).

36

In Anwendung dieser Grundsätze ist hier die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der psychischen Erkrankung des Klägers mit dem sexuellen Missbrauch des Bruders zu verneinen. Nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben der Ärzte, mit Ausnahme der Begutachtung durch Prof. Dr. F., hat der Kläger bei Untersuchungen und Behandlungen im Sommer 2001, von Oktober bis Dezember 2002, von März bis Mai 2003 und im November 2003 keine Schädigungsfolgen aufgewiesen, wie sie für eine eindeutige posttraumatische Belastungsstörung typisch sind. Zwar ist es bei durchlittenen oder als Zeuge beobachteten Gewalttaten denkbar, dass eine psychische Reaktion auf die Tat zunächst weitgehend symptomlos verläuft und sich erst nach einer Latenzzeit eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Allerdings hat eine solche Belastungsstörung beim Kläger nicht nur im oben angegebenen Zeitraum, sondern auch später bei keiner der Untersuchungen im Vordergrund gestanden und wird selbst von Prof. Dr. F. lediglich als sekundäre Folge im Zusammenhang mit anderen möglichen Krankheitsursachen diskutiert. Daher ist es unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger von Geburt an bestimmten Belastungsfaktoren wie der Alkoholerkrankung der Mutter und dem Sauerstoffmangel infolge Herzstillstand mit nachfolgender leichter zerebrale Dysfunktion ausgesetzt war, nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass die später umfangreich festgestellten psychischen Störungen auf den sexuellen Missbrauch im Jahre 2000 zurückzuführen sind. Dabei war auch zu beachten, dass der Kläger seine Beobachtungen als dreijähriges Kind gemacht und diese angesichts seiner fehlenden intellektuellen Reife zunächst nicht als übermäßig bedrohlich hat bewerten können.

37

Demgegenüber sind die Ausführungen von Prof. Dr. F., auch die in seiner ergänzenden Stellungnahme von Juli 2013, nicht überzeugend. Er selbst beschreibt bestimmte psychische Vorgänge wie das Tourette-Syndrom, die auch seiner Auffassung nach mit dem Tatgeschehen nicht in Verbindung stehen. Seine Wertung, der ursächliche Zusammenhang müsse bejaht werden, weil auch ein anderweitiger Ursachenzusammenhang nicht belegt sei, ist keine rechtlich zulässige Schlussfolgerung. Diese Annahme wird überdies auch durch die von sämtlichen Ärzten, sowie auch von Prof. Dr. F. selbst herausgearbeiteten Belastungsfaktoren widerlegt, die auf den Kläger unabhängig von dem sexuellen Missbrauch eingewirkt haben. Angesichts dieser Belastungsfaktoren, zu denen neben den beschriebenen Umständen bei der Geburt des Klägers auch ein gewisses familiäres Mangelmilieu gezählt werden muss, kann nicht mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass gerade das Beobachten des sexuellen Missbrauchs des Bruders im Alter von drei Jahren zu einer posttraumatischen Belastungsstörung in Form affektiv aggressiver Verhaltensauffälligkeiten im höheren Lebensalter geführt hat. Dr. D. hat mit Gutachten vom 9. August 2001 im Auftrag der Staatsanwaltschaft H. u. a. festgestellt, beim Kläger hätten keine Merkmale einer psychischen Störung vorgelegen und lägen keine Symptome einer krankheitswertigen Störung vor (S. 23 des Gutachtens). Am 13. November 2003 ist Dr. W. im Auftrag des Beklagten zu dem Ergebnis "sehr leichtgradiger allgemeiner Verhaltensstörungen eines Vorschulkindes, die insgesamt nicht Krankheitswert erreichen" gekommen, sodass über einen Zeitraum von drei Jahren nach dem Beobachten des sexuellen Missbrauchs keine durch Untersuchung des Klägers gesicherten medizinischen Erkenntnisse über nennenswerte psychische Störungen vorliegen. Wie und wodurch es dann später zu stärkeren Ausprägungen von psychischen Störungen gekommen ist, lässt sich angesichts der Gemengelage von ungünstigen sozialen Faktoren und einer gewissen Vorschädigung durch die Geburt wie aber auch durch das Beobachten des sexuellen Missbrauchs nicht genauer bestimmen. Auch Prof. Dr. F. hat diese Klärung nicht herbeigeführt, sondern in seiner Zusammenfassung der Stellungnahme vom 8. Juli 2013 lediglich darauf hingewiesen, der Kläger müsse als Sekundäropfer entschädigt werden, da sich keine gesicherte alternative Kausalität finden lasse. Eine solche (negative) Beweisregel, wonach die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Ereignis und einer Gesundheitsschädigung nur deshalb anzunehmen ist, weil ein anderer Ursachenzusammenhang mit anderen Ereignissen oder Einwirkungen nicht zu finden ist, ist im Sozialrecht jedoch nicht anerkannt. Hiervon abgesehen, ist die Feststellung von Prof. Dr. F. auch sachlich falsch, denn er selbst hat festgestellt, dass das Tourette-Syndrom, die ADHS und die minimale cerebrale Dysfunktion nicht auf das Beobachten des sexuellen Missbrauchs zurückgeführt werden könnten. Wenn aber psychische Störungen mit Krankheitswert gegeben sind, die auf anderen Ursachen beruhen müssen, ist es nicht plausibel, bestimmten, tatsächlich oder scheinbar abgrenzbaren Störungen (affektiv agressive Verhaltensauffälligkeiten) einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zuzuweisen, für den über einen Zeitraum von rund drei Jahren nach einem schädigenden Ereignis keine Nachweise vorhanden sind.

38

Es erscheint durchaus denkbar, dass der erlebte sexuelle Missbrauch des Bruders Auswirkungen auf die seelische und psychische Entwicklung des Klägers gehabt hat. Allerdings lassen sich entgegen der Annahme des Klägers und des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. F. diese Auswirkungen im Geflecht mit den anderen bekannten Faktoren nicht hinreichend wahrscheinlich differenzieren oder gar hinsichtlich eine bestimmten Schweregrades von psychischen Störungen quantifizieren.

39

Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers brauchte der Senat nicht nachzugehen, weil der Sachverhalt in zwei Instanzen und im Vorverfahren hinreichend aufgeklärt worden und dabei auch insbesondere der Kläger ausführlich exploriert worden ist, zuletzt von Prof. Dr. F. im Gutachten vom 4. Juni 2010.

40

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

41

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

42

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.


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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 30


(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereich

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 1 Anspruch auf Versorgung


(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche

Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 11. Dez. 2013 - L 7 VE 11/11 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 11. Dez. 2013 - L 7 VE 11/11.

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 21. Apr. 2015 - L 6 VJ 1460/13

bei uns veröffentlicht am 21.04.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2013 wird zurückgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Der Kläger begehrt Beschädigten

Referenzen

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.