Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. Apr. 2015 - L 1 R 136/12

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2015:0423.L1R136.12.0A
23.04.2015

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009.

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Die am ... 1949 geborene Klägerin erlernte zunächst von 1965 bis 1967 den Beruf der Maschinenbauzeichnerin. Darüber hinaus absolvierte sie von 1969 bis 1972 ein Studium zur Ingenieurin für Maschinenbau. Danach war sie wie folgt beschäftigt:

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1972 bis 1973: Konstrukteurin

4

1974 bis 1981: Technologin im Getränkemaschinenbau M.

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1983 bis 1993: Leiterin der Informationsstelle beim VEB G. M.

6

Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses 1993 war sie arbeitslos, unterbrochen durch eine Weiterbildung zur Führungskraft im mittleren Management bei der Urania M. (1993/94), einer Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Stadtplanungsamt (1994 bis 1999), sowie – erneut im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – als Projektleiterin bei der GISE M. (2000 bis 2003). Seit dem 1. Mai 2009 erhält sie von der Beklagten eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

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Am 14. April 2005 beantragte die Klägerin wegen der Folgen eines Schlaganfalls, eines Herzimplantats und einer Zwerchfelllähmung die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 ab, nachdem sie Gutachten von Dr. W., Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie (12. Mai 2005), Dr. N., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (13. Oktober 2005), Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde (ebenfalls 13. Oktober 2005) und Dr. L., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (24. April 2006) sowie Befundberichte von Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie (22. August 2005), Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (ebenfalls 22. August 2005) und Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie (23. August 2005) eingeholt hatte. Dabei wurden im Wesentlichen die Diagnosen

8

Zustand nach Kleinhirn-Insult links (Schlaganfall) im März 2000

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Zustand nach operativem Verschluss eines Lochs in der Herzvorhofscheidewand im September 2001

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Zwerchfellhochstand rechts

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gestellt. Es fanden sich keine schwerwiegenden kardialen Veränderungen. Auch die pulmonale Leistungslimitation war nur leichtgradig. Objektiv war die Klägerin bis 85 Watt belastbar, wobei die submaximale Pulsbelastungsgrenze nicht erreicht wurde. Dr. N. meinte, aus nervenärztlich-psychotherapeutischer Sicht sei nicht eindeutig zu klären, ob die Klägerin leistungsbringend tätig sein könne. Es fehlten insbesondere Befunde einer Hirnleistungsdiagnostik. Dagegen hielt Dr. L. die Klägerin nach Auswertung von Zusatzuntersuchungen vom 17. März 2006 (EEG, AEP, VEP und Dem Tec Test) aus neuro-psychiatrischer Sicht für in der Lage, Tätigkeiten im mittleren Management sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der Dem Tec Test habe eine fragliche Demenz bei Verdacht auf Simulation und Rentenbegehren ergeben. Auch Dr. W. und Dr. S. votierten für ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten unter Bürobedingungen ohne weitere qualitative Einschränkungen.

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Dagegen erhob die Klägerin am 26. Juli 2006 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG; S 10 R 472/06), mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Das SG holte zunächst Befundberichte ein: Dr. R. (27. Februar 2007), Fachärztinnen für Orthopädie/Chirotherapie Dres. S. (2. März 2007), Dr. R. (5. März 2007) und Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (27. März 2007). Dr. R., Dres. S. und Dr. D. hielten die Klägerin für noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Dr. D. sah Einschränkungen der Konzentrations- und Anpassungsfähigkeit und die Notwendigkeit vermehrter Pausen. Zeitdruck sei nicht möglich. Dr. R. kam zu der Einschätzung, dass die Klägerin auch keine drei Stunden täglich mehr erwerbstätig sein könne, weil sie unter Belastungsluftnot leide.

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Das SG veranlasste anschließend ein Gutachten durch den Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie im Universitätsklinikum M. Prof. Dr. K. In seinem Gutachten vom 28. September 2007 bescheinigte er der Klägerin eine altersgerechte Herzfunktion bei allenfalls geringer Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Es sei von einer psychosomatischen Komponente auszugehen, weil die von der Klägerin angegebenen Beschwerden kein entsprechendes organisches Korrelat hätten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend, ohne extreme Umwelteinflüsse (Hitze, Kälte, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft, Staub, hautreizende Chemikalien und Ähnliches), ohne Akkordarbeit sowie ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Beanspruchung des rechten Beines sowie ohne geistig schwierige Tätigkeiten sechs bis unter acht Stunden täglich verrichten. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen könne die Klägerin als Projektleiterin mindestens sechs Stunden täglich tätig sein. Die üblichen Arbeitspausen reichten aus. Prof. Dr. E., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, diagnostizierte in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 14. April 2008 gemischte dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) sowie eine abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (in der gegenabhängigen Form). Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend bzw. im Wechsel der drei Haltungsarten und ohne besonderen Zeitdruck verrichten. Die Ausübung geistiger Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt. Vermehrte Arbeitspausen seien nicht erforderlich. Als Projektleiterin könne sie zunächst sechs Stunden und nach sechs Monaten ambulanter Therapie acht Stunden täglich arbeiten.

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Das SG wies die Klage sodann mit Urteil vom 24. Juli 2008 ab und führte unter anderem aus, die Klägerin könne trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen arbeiten, insbesondere auch ihre zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Projektleiterin verrichten. Die gegen dieses Urteil am 28. August 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung (L 1 R 272/08) nahm die Klägerin im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 14. Mai 2009 zurück.

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Am 21. Dezember 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung des Ablehnungsbescheides und führte zur Begründung aus, der Sachverhalt sei nicht ausreichend geklärt gewesen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 ohne weitere medizinische Ermittlungen mit der Begründung ab, die vor dem Überprüfungsantrag durchgeführten medizinischen Ermittlungen hätten ergeben, dass eine Tätigkeit als Projektleiterin und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden könne.

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Dagegen hat die Klägerin am 17. Juni 2010 erneut Klage beim SG erhoben. Einige Umstände seien bisher nicht berücksichtigt worden. Die jetzt vorhandenen Depressionen hätten zu einer deutlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes geführt. Diese Depressionen hätten bereits zum damaligen Zeitpunkt erkannt und behandelt werden können und würden dann nicht zur Grundlage der Verschlechterung des Zustandes werden. Weiter sei zu monieren, dass ihr bisheriger Beruf als Diplom-Ingenieur Konstruktion nicht berücksichtigt worden sei. Während ihrer Tätigkeit von November 2000 bis November 2003 als Projektleiterin einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme mehrmals arbeitsunfähig gewesen. Diese Tätigkeit sei befristet gewesen und aufgrund der gesundheitlichen Ausfälle sowie der Nichtbelastbarkeit nicht verlängert worden. Sie gehe deshalb davon aus, dass hinsichtlich der beruflichen Qualifikation und der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auf den Beruf des Diplom-Ingenieurs abzustellen sei. Im Übrigen sei bereits im Gutachten von Dr. N. vom 13. Oktober 2005 auf Störungen verwiesen worden, die von der Beklagten nicht aufgegriffen worden seien. Es habe keine Hirnleistungsdiagnostik stattgefunden. Ihr seit 2009 behandelnder Psychotherapeut Herr D. habe sich Einblick in alle für ihren Rentenantrag erstellten Gutachten verschafft und habe Tests zu ihrem Zustand gemacht. Die Auswertung der Gutachten durch Herrn D. und die Ergebnisse seiner Tests seien für sie der Anlass gewesen, eine Überprüfung der Rentenablehnung zu verlangen.

17

Zu ihrer Tätigkeit als Informationsstellenleiterin hat sie folgende ergänzende Ausführungen gemacht: Zum Bereich der Informationsstelle hätten die Normenverwaltung, das Patentwesen, das Neuererwesen, die technische Dokumentation der Erzeugnisse sowie die Verwaltung und Auswertung von Fachpublikationen für Getränke- und Etikettiermaschinen gehört. Es seien wissenschaftlich-technische Literatur- und Patentrecherchen für die Forschung und Entwicklung erarbeitet worden. In diesem Bereich hätten vier Personen gearbeitet. Des Weiteren seien zwei Kombinatsbetriebe in B. und Mittweida mit den geforderten Unterlagen versorgt worden. Ihr Arbeitsplatz im Bereich Technik sei in einem eigenen Büro gewesen. Separate Räume zum Kopieren und Rückvergrößern von Mikrofichen habe es genauso gegeben wie eine Bibliothek. Zweimal im Jahr sei am Stammsitz des Kombinates in D. eine jeweils einwöchige Weiterbildung auf dem Gebiet wissenschaftlicher Information durchgeführt worden. Verantwortlich für die Anleitung und Koordinierung seien in festgelegtem Turnus die Leiter der einzelnen Informationsstellen gewesen. 1991 sei durch den Einsatz von Computern die Beschäftigtenzahl heruntergesetzt worden. Bis zu ihrem Ausscheiden sei sie für die Informationsstelle alleine zuständig gewesen. Durch Umstrukturierung der Firma sei diese Arbeitsstelle 1993 dann komplett gestrichen worden. Ergänzend hat die Klägerin noch ausgeführt, leitende Tätigkeiten, hier auf Hochschulniveau, seien regelmäßig mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden.

18

Mit Urteil vom 29. Februar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne den bisherigen Beruf als Informationsstellenleiterin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Das SG ist dabei von folgendem Leistungsbild ausgegangen: Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten, überwiegend sitzend und ohne besonderen Zeitdruck, ohne extreme Umwelteinflüsse, schwankende Temperaturen und inhalative Belastungen unter Vermeidung von überdurchschnittlichem Stress und Akkordarbeit verrichten. Die Klägerin habe in ihrem Überprüfungsantrag keine Tatsachen vorgetragen, die neue medizinische Ermittlungen erforderlich gemacht hätten. Insbesondere seien die von ihr geltend gemachten psychologischen und neurologischen Einschränkungen (Depression, Hirnleistung) damals ausreichend berücksichtigt worden. Es seien verschiedene Befundberichte behandelnder Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie eingeholt und ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten erstellt worden, deren Feststellungen für das SG auf der Grundlage der erhobenen Befunde schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend seien.

19

Bei der Tätigkeit der Informationsstellenleiterin im Bereich Technik handele es sich – entsprechend der eigenen Schilderung der Klägerin – um eine Tätigkeit, die nicht mit schweren körperlichen Verrichtungen verbunden sei. Die Tätigkeit sei überwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen ausgeübt worden. Die Klägerin sei bei dieser Arbeit keinen extremen Umwelteinflüssen, schwankenden Temperaturen oder inhalativen Belastungen ausgesetzt gewesen. Es habe sich dabei um eine Tätigkeit mit verwaltungstypischen Aufgaben gehandelt. Neben der überwiegenden Tätigkeitsausübung im Sitzen sei auch ein zeitweises Gehen und Stehen möglich gewesen. Dieser Wechsel der Körperhaltungen habe den körperlichen Einschränkungen der Klägerin ausreichend Rechnung getragen. Nach ihren Schilderungen sei die Tätigkeit auch nicht mit überdurchschnittlichem Stress oder Zeitdruck verbunden gewesen. Nach alledem sei die Klägerin noch in der Lage gewesen, ihren bisherigen Beruf als Informationsstellenleitern täglich mindestens sechs Stunden zu verrichten. Deshalb habe es auch keiner Benennung einer sozial zumutbaren Verweisungstätigkeit nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema bedurft.

20

Gegen das ihr am 29. März 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. April 2012 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Das angegriffene Urteil lasse wesentliche Tatsachen außer Acht. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Informationsstellenleiterin im Bereich Technik sei eine leitende Tätigkeit gewesen, die üblicher- und idealerweise eine akademische Ausbildung vorausgesetzt habe. Sie sei nicht ohne Grund von ihrem früheren Arbeitgeber als Diplom-Ingenieurin für diese Tätigkeit eingestellt worden. Leitende Positionen seien regelmäßig geprägt von erhöhter Verantwortung und der Aufgabe, Mitarbeiter zu führen sowie innerbetriebliche Strukturen zu organisieren. Dies erfordere einen erhöhten persönlichen Einsatz, sei aber auch mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden. Darüber hinaus seien erhöhte Anforderungen an die Übersicht, Konzentration und das komplexe Denken gestellt worden. Zudem sei ihr Anpassungs- und Umstellungsvermögen zum Zeitpunkt der Antragstellung in relevantem Umfang reduziert gewesen. Auch die Vorinstanz sei davon ausgegangen, dass sie nicht mehr überdurchschnittlich stressbelastbar sei, weshalb Tätigkeiten mit überdurchschnittlicher Stressbelastung gemieden werden sollten. Sie könne deshalb ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Informationsstellenleiterin im Bereich Technik nicht mehr ausüben. Denn diese Tätigkeit sei mit regelmäßig anfallendem erhöhtem und damit überdurchschnittlichem Stress verbunden gewesen. Zudem lasse die Vorinstanz bei der Beurteilung des Leistungsvermögens wesentliche Symptome, respektive deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen außer Acht. Unstreitig leide sie an einer Zwerchfelllähmung. Diese führe aufgrund der damit einhergehenden starken Verminderung des Lungenvolumens zu einer erheblichen Einschränkung in ihren Lebensabläufen. So gerate sie bei geringer Belastung rasch in Atemnot. Dies löse Angstattacken aus, den Tagesablauf unter Zeitdruck nicht zu meistern und bei körperlicher Anstrengung zu versagen. Die psychologischen Einschränkungen seien demnach unwillkürlich und in Dauer und Stärke schwankend. Zudem habe sie, bedingt durch ihren Schlaganfall, Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit zu beklagen. Diese Beschwerden ließen in ihrer Gesamtschau und ganzheitlichen Wirkung auf eine erhebliche Minderung ihres Leistungsvermögens schließen.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 aufzuheben und ihr für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 zurückzuweisen.

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Sie sehe weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in dem für ihren bisherigen Beruf typischen Aufgabenbereich einem Zeitdruck und einer Stressbelastung hätte ausgesetzt sein können, die das ihr gesundheitlich zumutbare Maß einer gelegentlichen erhöhten Beanspruchung überschritten hätten.

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Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 15. Dezember 2014 mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

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Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil die ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 und vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschweren. Die Beklagte hat bei Erlass ihres Bescheides vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz nicht vorliegen. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009. Das SG hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

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Nach § 240 SGB VI haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin ist zwar vor dem 2. Januar 1961 geboren, nämlich am ... 1949. Sie war im umstrittenen Zeitraum vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 aber nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI. Denn sie konnte in diesem Zeitraum ihre zuletzt außerhalb von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung als Informationsstellenleiterin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

31

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit vom bisherigen Beruf der Versicherten auszugehen. Es ist zu prüfen, ob sie diesen Beruf ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben können. Maßgeblich für die Frage, ob die bisherige Tätigkeit ausgeübt werden kann, ist nicht ein allgemeines Berufsbild (z.B. Sachbearbeiterin), sondern die konkret zuletzt ausgeübte Tätigkeit (vgl. auch Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Februar 2011, L 10 KN 21/08, juris, Rdnr. 48). Sind Versicherte hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs dafür maßgebend, auf welche Tätigkeiten sie verwiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1994, 4 RA 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; Urteil vom 16. November 2000, B 13 RJ 79/99 R, SozR 3-2600 § 43 Nr. 23, S. 78). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dabei ist nicht unbedingt auf die letzte Berufstätigkeit abzustellen, sondern auf diejenige, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985, 4a RJ 53/84, SozR 2200 § 1246 Nr. 130).

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Bisheriger Beruf der Klägerin in diesem Sinne ist der der Leiterin einer Informationsstelle. Diese Tätigkeit übte die Klägerin von 1983 bis 1993 beim VEB G. M. aus. Danach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit, unterbrochen durch Weiterbildungen sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Damit war die Tätigkeit der Informationsstellenleiterin die letzte nicht nur vorübergehende (also prinzipiell auf Dauer ausgerichtete) versicherungspflichtige Beschäftigung. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels in geschlossenen Räumen ausgeübt wurde. Diese Tätigkeit war entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht mit überdurchschnittlichem Stress oder Zeitdruck verbunden, zumal sie zuletzt vor ihrem Ausscheiden für die Informationsstelle alleine zuständig war. Damit war sie jedenfalls nicht in einer Vorgesetztenfunktion tätig. Abgesehen davon teilt der Senat die Auffassung der Klägerin nicht, wonach leitende Tätigkeiten regelmäßig mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden sind. Diese Schlussfolgerung ist in dieser verallgemeinernden Form nicht zutreffend, da es immer auf die konkrete letzte Tätigkeit in dem jeweiligen Einzelfall ankommt. Hier kann der Senat jedenfalls keine überdurchschnittliche Stressbelastung bis zur Streichung der Arbeitsstelle im Zuge betrieblicher Umstrukturierungen erkennen. Auch ein besonderer Zeitdruck ergibt sich aus der Tätigkeitsbeschreibung der Klägerin nicht. Mit Zeitdruck wird eine im Vergleich zur Normalleistung erhöhte Anforderung von Arbeitsaufgaben, die innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens zu bewältigen sind, bezeichnet. Normalleistung ist diejenige Leistung, die von jedem hinreichend geeigneten Arbeitnehmer nach genügender Übung und ausreichender Einarbeitung ohne Gesundheitsschäden auf Dauer in der vorgegebenen Arbeitszeit erreicht werden kann (vgl. Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung, Sozialmedizinische Beurteilung bei neurologischen Krankheiten, Juli 2010, Seite 143; abrufbar unter www.deutsche-rentenversicherung.de, Pfad: Infos für Experten -) Sozialmedizin & Forschung -) Begutachtung -) Leitlinien). Eine derartige, erhöhte Anforderung von Arbeitsaufgaben ist der Beschreibung der Tätigkeit als Informationsstellenleiterin durch die Klägerin nicht zu entnehmen.

33

Nach Auswertung der medizinischen Beweisaufnahme ist der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung davon überzeugt, dass die Klägerin nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen wäre, diese Tätigkeit noch bis Ende April 2009 mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat bis zu dem genannten Zeitpunkt folgendes Leistungsbild: Die Klägerin konnte zumindest noch körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen, sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Zu vermeiden waren Arbeiten unter besonderem Zeitdruck bzw. überdurchschnittlichem Stress, Akkord- und Fließbandarbeiten, Nachtschichtarbeiten sowie Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen oder Umwelteinflüssen (Hitze, Kälte, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft, Staub, hautreizende Chemikalien und Ähnliches) und mit besonderer Beanspruchung des rechten Beines. Dieses – eingeschränkte – Leistungsvermögen im Erwerbsleben beruhte im Wesentlichen auf folgenden Gesundheitsstörungen:

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Zustand nach Kleinhirn-Insult links (Schlaganfall) im März 2000

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Zustand nach operativem Verschluss eines Lochs in der Herzvorhofscheidewand im September 2001

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Zwerchfellhochstand rechts.

37

Hinsichtlich der Leistungseinschätzung folgt der Senat den schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. W., Dr. S., Dr. L., Prof. Dr. K. und Prof. Dr. E. Sogar die behandelnden Ärzte Dr. R., Dres. S. und Dr. D. hielten die Klägerin ausweislich ihrer Befundberichte für noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Nicht überzeugt hat den Senat dagegen die Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. R. in ihrem Befundbericht vom 5. März 2007, wonach die Klägerin auch keine drei Stunden täglich mehr erwerbstätig sein könne, weil sie unter Belastungsluftnot leide. Die Klägerin hat dies in ihrer Berufungsbegründung aufgegriffen, indem sie vorgetragen hat, sie gerate bei geringer Belastung rasch in Atemnot. Dies löse Angstattacken aus, den Tagesablauf unter Zeitdruck nicht zu meistern und bei körperlicher Anstrengung zu versagen. Die geklagte Atemnot wird durch Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 28. September 2007 überzeugend widerlegt. Er bescheinigte der Klägerin eine altersgerechte Herzfunktion bei allenfalls geringer Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Es sei von einer psychosomatischen Komponente auszugehen, weil die von der Klägerin angegebenen Beschwerden kein entsprechendes organisches Korrelat hätten. Die Einschätzung von Prof. Dr. K. wird durch das Gutachten von Dr. S. vom 13. Oktober 2005 gestützt. Objektiv war die Klägerin bei der Untersuchung dort immerhin bis 85 Watt belastbar, wobei die submaximale Pulsbelastungsgrenze noch nicht einmal erreicht wurde.

38

Die von Dr. D. in seinem Befundbericht vom 27. März 2007 befürworteten vermehrten Pausen konnte Prof. Dr. K. nicht bestätigen. Er war der Auffassung, dass die üblichen Arbeitspausen ausreichen. Es liegen für den Senat jedenfalls keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sogenannten Katalogfälle vorliegt, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R). Denn der Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin bis April 2009 keine betriebsunüblichen Pausen hätte in Anspruch nehmen müssen. In ihrem Fall kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass der gesetzliche Arbeitspausenanspruch und die üblichen Verteilzeiten nicht ausgereicht hätten. Es können nämlich auch am Arbeitsplatz kurzzeitige Entspannungsphasen in Anspruch genommen werden. Nach § 4 Satz 1 Arbeitszeitgesetz besteht ein gesetzlicher Arbeitspausenanspruch von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden. Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1989, 6 AZR 326/86, in EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung Nr. 11; vom 27. April 2000, 6 AZR 861/98, in NZA 2001, 274). In der Personalbedarfsberechnung in Wirtschaft und Verwaltung werden persönliche Verteilzeiten veranschlagt. Es handelt sich um Zeitanteile, die nicht für den Arbeitsprozess selbst verwendet, aber dennoch als Arbeitszeit gerechnet werden (z.B. für persönliche Verrichtungen, Toilettengänge, Erholungs- und Entspannungszeiten außerhalb der Pausen, vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 7. Auflage, S. 678; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. Februar 2013, L 3 R 136/10, und Urteil vom 26. Februar 2015, L 1 R 55/14; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. Juli 2014, L 5 R 830/12). Beispielsweise ist in § 10 des Lohnrahmentarifvertrags des Unternehmerverbands Metall Baden-Württemberg, Bereiche Feinwerktechnik und Metallbau und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg vom 16. Mai 2014 über die o.g. gesetzlichen Pausen hinaus eine Erholungszeit von mindestens fünf Minuten in der Stunde sowie ferner eine Zeit für persönliche Bedürfnisse von nicht weniger als drei Minuten in der Stunde vorgesehen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen mehr als die gesetzlichen Pausen und die üblicherweise zustehenden persönlichen Erholungs- oder persönlichen Verteilzeiten hätte in Anspruch nehmen müssen. Der Senat kann deshalb offen lassen, was Dr. D. mit der Notwendigkeit vermehrter Pausen konkret gemeint hat.

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Schließlich vermag der Senat nicht der Einschätzung von Dr. N. in ihrem Gutachten vom 13. Oktober 2005 zu folgen, wonach aus nervenärztlich-psychotherapeutischer Sicht nicht eindeutig zu klären sei, ob die Klägerin leistungsbringend tätig sein könne, weil insbesondere Befunde einer Hirnleistungsdiagnostik fehlten. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das zeitlich nachfolgende Gutachten von Dr. L. vom 24. April 2006 zu verweisen. Diese Gutachterin hat die Klägerin nach Auswertung von Zusatzuntersuchungen vom 17. März 2006 (EEG, AEP, VEP und Dem Tec Test) aus neuro-psychiatrischer Sicht für leistungsfähig erachtet, Tätigkeiten im mittleren Management sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Bemerkenswert ist, dass der Dem Tec Test eine fragliche Demenz bei Verdacht auf Simulation und Rentenbegehren ergeben hatte. Auch die von der Klägerin gegenüber Dr. L. geschilderten Aktivitäten widersprechen einer wesentlichen Leistungsminderung. So gab sie an, zu Hause sehr viel zu lesen und sich mit dem Enkelkind zu beschäftigen sowie Garten- und PC-Arbeiten zu verrichten. Außerdem betreue sie ihre Eltern. Die Leistungseinschätzung von Dr. L. wird schließlich durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E. in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 14. April 2008 gestützt. Die Klägerin, die an Konversionsstörungen sowie an einer abhängigen Persönlichkeitsstörung leide, konnte nach seiner Beurteilung noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend bzw. im Wechsel der drei Haltungsarten und ohne besonderen Zeitdruck verrichten. Auch die Ausübung geistiger Tätigkeiten war nicht eingeschränkt. Vermehrte Arbeitspausen waren ebenfalls nicht erforderlich. Soweit Prof. Dr. K. geistig schwierige Tätigkeiten ausgeschlossen hat, ist darauf hinzuweisen, dass er offensichtlich geistig besonders anspruchsvolle Tätigkeiten gemeint hat. Anderenfalls wäre es nicht erklärbar, warum er eine Tätigkeit als Projektleiterin für mindestens sechs Stunden täglich möglich hielt. Abgesehen davon ist Prof. Dr. E. von seinem Fachgebiet her prädestiniert, die geistige Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Deshalb verweist der Senat auf seine auch diesbezüglich überzeugende Beurteilung.

40

Nach alledem hatte die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

42

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.


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(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. Apr. 2015 - L 1 R 136/12 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 26. Feb. 2015 - L 1 R 55/14

bei uns veröffentlicht am 26.02.2015

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Streitig ist die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch..

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 27. Feb. 2013 - L 3 R 136/10

bei uns veröffentlicht am 27.02.2013

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Bu

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2011 - B 13 R 78/09 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Instandhaltungsmechaniker und war zuletzt von 1997 bis 2004 als LKW-Fahrer beschäftigt. Im Januar 2004 kam es zu einem Arbeitsunfall, der ua die Amputation seines linken Unterarms zur Folge hatte. Im März 2004 erlitt er einen Herzinfarkt. Der Kläger erhält Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalls.

3

Den im August 2004 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege (Bescheid vom 17.8.2005). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007). Das SG Gotha hat die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 1.2.2005 bis zum 31.1.2009 zu gewähren (Urteil vom 4.3.2008). Das Leistungsvermögen des Klägers sei auf leichte Arbeiten begrenzt, die er grundsätzlich sechs bis acht Stunden täglich mit Einschränkungen verrichten könne. Es liege jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung mit der Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit vor, da er die linke Hand nach Amputation des Unterarms allenfalls als Beihand einsetzen könne. Für solche leistungseingeschränkten Versicherten sei der allgemeine Arbeitsmarkt nicht als offen anzusehen. Die von der Beklagten benannten leichten Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Kontrolleurtätigkeiten könne der Kläger nicht ausüben, weil es sich um bimanuelle Tätigkeiten handele. Auch eine Tätigkeit als Pförtner oder Telefonist scheide aus, da der Kläger dem damit verbundenen Zeitdruck nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. nicht gewachsen sei.

4

Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.9.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach den Feststellungen des vom SG gehörten Sachverständigen noch in der Lage, eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Die linksseitige Unterarmamputation sowie die Schmerzsymptomatik im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule erforderten allerdings eine Begrenzung auf körperlich leichte Arbeiten. Wegen der orthopädischen Leiden und der Schmerzzustände im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule seien Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen nicht zuzumuten. Die koronare Herzerkrankung und der arterielle Hypertonus erlaubten keine Nachtschichten und Überstunden, keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Mensch und Technik, besondere geistige und seelische Beanspruchung sowie auch taktgebundene Arbeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck. Der Zugang zu alkoholischen Getränken sollte während der Arbeitszeit wegen der Alkoholerkrankung nicht ermöglicht werden. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw bimanuelle Tätigkeiten seien dem Kläger ebenfalls nicht möglich. Diese qualitativen Einschränkungen stünden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nicht entgegen. Insbesondere könne der Kläger eine zumutbare Wegstrecke zurücklegen.

5

Dem Kläger sei eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht zu benennen. Dabei sei schon fraglich, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Die - zu dem vor dem 1.1.2001 geltenden Recht - ergangene Rechtsprechung zur Prüfung und Feststellung von Rentenansprüchen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Falle der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung könne auf das aktuelle Recht nicht übertragen werden. Bereits der Wortlaut "übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" schließe eine konkrete, dh individualisierte Betrachtungsweise aus. Die Gesetzesbegründung sei in sich widersprüchlich, wenn dort auf die Entscheidung des Großen Senats (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) verwiesen werde, wonach mit "konkreter Betrachtungsweise" - dann aber anders als das BSG - arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrenten gemeint seien. Unter dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" verstehe die Gesetzesbegründung "jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe". Hingegen erfasse die Rechtsprechung des BSG damit nur körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten (Hinweis auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 - B 13 RJ 38/05 R - BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9). Zudem habe der Gesetzgeber eine spezielle zeitliche Komponente eingeführt (sechs Stunden und mehr). Auch dies verbiete eine Fortgeltung der Rechtsprechung zur Summierung. Der Gesetzgeber habe vielmehr den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen wollen.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 43 SGB VI. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass es auf die bei ihm vorliegende schwere spezifische Leistungseinschränkung nicht ankomme. Auch die aktuelle Rechtslage erfordere eine individuelle Betrachtung mit der Folge, dass bei Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Erwerbsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nur gegeben sei, wenn eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden könne. Daran fehle es hier.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

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Sie meint, § 43 SGB VI in der seit 2001 geltenden Fassung enthalte nicht nur neue Begrifflichkeiten, sondern auch neue Beurteilungsmaßstäbe. Bei den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts handele es sich um objektive Maßstäbe. Solange ein Versicherter vollschichtig, ohne betriebsunübliche Pausen und ohne infolge einer ekelerregenden Krankheit für andere Betriebsangehörige unzumutbar zu sein, irgendeine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten und den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen könne, sei er nicht erwerbsgemindert. Selbst wenn die konkrete Betrachtungsweise bei Versicherten mit einer Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung beibehalten werde, ändere dies hier im Ergebnis nichts. Das Fehlen des linken Unterarms müsse nicht zwangsläufig eine schwere spezifische Leistungsbehinderung sein, etwa wenn eine Prothese getragen und der Arm noch zur Unterstützung verwendet werde. Tätigkeiten eines Nebenpförtners könnten durchaus auch an außerhalb eines Betriebs stehende Personen vermittelt werden.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Halbs 1 SGG).

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung hat.

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1. Der Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754). Bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 1 Satz 1 bzw Abs 2 Satz 1, jeweils Nr 2 und 3) haben danach Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Abs 1 Satz 1 Nr 1), bzw auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 Satz 1 Nr 1). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 1 Satz 2). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3).

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2. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten. Nicht entschieden werden kann unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen indes, ob der Kläger in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch erwerbstätig zu sein, und ob ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Das LSG hat dies offengelassen, da eine Benennung von Verweisungstätigkeiten nach § 43 SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit(RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) - § 43 SGB VI nF - generell nicht mehr erforderlich sei.

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Die Ansicht des LSG hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Grundsätze, die das BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der vor Inkrafttreten des RRErwerbG geltenden Rechtslage herausgearbeitet hat (hierzu a), sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 1.1.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (hierzu b). Eine Änderung der insoweit maßgeblichen Rechtslage lässt sich weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzesbegründung oder sonstigen Erwägungen begründen (hierzu c). Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hängt daher davon ab, ob der Kläger noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts im zeitlichen Rahmen erwerbstätig sein kann (hierzu d), bzw ob bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, so dass ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist (hierzu e). Entsprechende Feststellungen wird das LSG daher nachzuholen haben (hierzu f).

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a) Nach der zu § 44 SGB VI aF ergangenen Rechtsprechung des BSG war die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit bei Versicherten mit einem, wenn auch mit qualitativen Einschränkungen vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag(BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 mwN). Bereits nach den §§ 1246 und 1247 RVO knüpfte der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an ein Herabsinken der Fähigkeit des Versicherten an, auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen. Die RVO differenzierte zwischen Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit: Während der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ua davon abhängig war, ob dem Versicherten eine ihm nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch mögliche Berufstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnte, setzte der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs 2 RVO voraus, dass der Versicherte eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben konnte. Diese Struktur wurde in den §§ 43 und 44, jeweils aF, SGB VI inhaltlich unverändert übernommen(vgl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 81 mwN). Das Leistungsvermögen und dessen Umsetzungsfähigkeit war an den individuellen Verhältnissen des Versicherten und den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarkts zu messen (BSG stRspr, vgl nur BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und Nr 9 RdNr 18 ff; SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 22 ff, Nr 14 S 41 ff, Nr 17 S 58 ff und Nr 21 S 72 ff).

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Die Ablehnung einer Rente mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit setzte danach regelmäßig die konkrete Benennung zumindest einer Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) voraus, die die den Rentenfall begründende Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschloss, weil der Versicherte diese Tätigkeit noch ausüben konnte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale war hingegen nicht ausreichend (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits war aber auch nicht die Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes erforderlich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33; vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

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Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte unteren Ranges (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

18

Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten grundsätzlichen Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27).

19

b) Diese Maßstäbe haben - wie bereits der 5. Senat entschieden hat (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18)- auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (vgl insoweit auch bereits die Senatsbeschlüsse vom 10.7.2002 - B 13 RJ 101/02 B - Juris RdNr 7 und vom 27.2.2003 - B 13 RJ 215/02 B - Juris RdNr 12). Durch das RRErwerbG wurden die oben skizzierten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht abgeschafft, sondern vielmehr für den Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF übernommen: Erwerbsfähigkeit iS des § 43 Abs 3 SGB VI nF setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, dh unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal der Fähigkeit zur Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" in § 43 Abs 3 SGB VI nF ist § 44 Abs 2 SGB VI aF entnommen. Das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" knüpft an die - oben wiedergegebene - Rechtsprechung des BSG zu den §§ 1246 und 1247 RVO bzw den §§ 43 und 44 SGB VI aF und die dort verwendete Begrifflichkeit an.

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c) Die vom LSG gegen eine Weitergeltung dieser Grundsätze nach § 43 SGB VI nF angeführten Argumente überzeugen nicht.

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aa) Insbesondere steht der Wortlaut des Gesetzes einem Vergleich zwischen der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorkommenden Erwerbsmöglichkeiten bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht entgegen, sondern gebietet diesen. Denn die - von § 43 SGB VI nF nach dessen Wortlaut geforderte - Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts besteht nur, wenn die dem Versicherten noch möglichen Tätigkeiten überhaupt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden können. Auch die Gesetzesbegründung bringt dies klar zum Ausdruck, indem sie auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 ("BSGE 80, 24, 34") Bezug nimmt und ausführt, maßgeblich für die Feststellung des Leistungsvermögens sei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dh in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe, wobei allerdings nur Tätigkeiten in Betracht kämen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich seien. Damit werde sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten nicht in Betracht zu ziehen seien, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente werde nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (sog abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarkts die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen (BT-Drucks 14/4230 S 25). In Bezug genommen werden durch diese Formulierung - entgegen der Ansicht des LSG - die Möglichkeiten der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem Teilzeit- und dem Vollzeitarbeitsmarkt. Durch den Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) und die Übernahme der dort verwendeten Begrifflichkeit macht die Gesetzesbegründung darüber hinaus deutlich, dass keine Abkehr von der zitierten Rechtsprechung des BSG beabsichtigt war, sondern dass vielmehr an diese angeknüpft werden sollte.

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bb) Wenn die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4230 S 23, 25) den der abstrakten Betrachtungsweise entgegengesetzten Begriff "konkrete Betrachtungsweise" in anderem Zusammenhang gebraucht, nämlich in Bezug auf sog "Arbeitsmarktrenten" bei teilweiser Erwerbsminderung, ändert dies hieran nichts. Jedenfalls kann daraus, dass der Gesetzgeber die sog "Arbeitsmarktrenten" beibehalten wollte, nicht geschlossen werden, dass er die konkrete Betrachtungsweise in Bezug auf die Fähigkeit eines Versicherten, mit seinem individuellen Leistungsvermögen eine Tätigkeit auszuüben, mit der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen erzielt werden kann, abschaffen wollte. Hierfür ergeben sich aus der Gesetzesbegründung ebenso wenige Anhaltspunkte wie für die Annahme des LSG, der Gesetzgeber habe "den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen" wollen.

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Die Gesetzesbegründung benennt als Ausgangspunkt für die Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vielmehr zum einen, dass die Rentenversicherung bei einem beträchtlichen Teil der Versicherten nicht nur das Invaliditätsrisiko, sondern auch das Arbeitsmarktrisiko trage, und zum anderen, dass die Rente wegen Berufsunfähigkeit - wegen der dort typischen Bevorzugung von Versicherten mit besonderer Qualifikation in herausgehobenen Positionen - zunehmend in die Kritik geraten sei (BT-Drucks 14/4230 S 1). Ziel des Gesetzgebers war es damit, das durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsmarktrisiko von dem durch die Rentenversicherung abzusichernden Invaliditätsrisiko sachgerecht abzugrenzen (insbesondere auch durch Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung, vgl BT-Drucks 14/4230 S 1); weiteres Ziel war die Abschaffung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Verzicht auf die Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarkts, dh der fehlenden Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem konkret offenstehenden Arbeitsmarkt, gehörte - entgegen der Ansicht des LSG - nicht zu den in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Zielen. Im Gegenteil legt die Gesetzesbegründung dar, dass eine Erwerbsminderungsrente, bei der (ohne Berücksichtigung der dem Versicherten verbliebenen Möglichkeit, auf dem [Teilzeit-]Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen) allein auf den Gesundheitszustand des Versicherten abgestellt werden sollte, nicht beabsichtigt war (so ausdrücklich BT-Drucks 14/4230 S 25).

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cc) Eine Ungleichbehandlung von Versicherten mit unterschiedlicher fachlicher Qualifikation ist darin nicht zu sehen. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass ein Versicherter nur auf diejenigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden kann, die er mit seiner individuellen fachlichen Qualifikation auch ausüben kann, da ihm nur mit diesen Tätigkeiten die Erzielung eines Erwerbseinkommens möglich ist.

25

dd) Maßgeblich ist damit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (auch) nach § 43 SGB VI nF, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist(so auch Mey, SGb 2007, 217 ff; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 84 ff; KomGRV, § 43 SGB VI Anm 1.3, 4, 7, Stand April 2008; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Kamprad in Hauck/Noftz, K § 43 SGB VI RdNr 31 ff, 41, Stand Juni 2011; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, § 43 SGB VI RdNr 81 ff, Stand September 2009; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 43 SGB VI Anm 2, Stand März 2008; Lange in Jahn, SGB für die Praxis, § 43 SGB VI RdNr 26 ff, Stand Februar 2008; Steiner, SGb 2011, 310 ff; 365 ff; Dünn, MedSach 2011, 131 f; aA Apidopoulos, SGb 2006, 720 ff).

26

d) Im vorliegenden Fall kommt es mithin darauf an, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet.

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aa) Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 85; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 35 f, Stand Juni 2011). Eine Beschränkung auf körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten erfolgt durch die Bezeichnung "allgemeiner Arbeitsmarkt" entgegen der Meinung des LSG hingegen nicht.

28

Eine solche Beschränkung galt auch bei der früheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht. Vielmehr waren bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit alle Versicherten unabhängig von ihrem Beruf auf alle geeigneten Tätigkeiten verweisbar (BSGE 80, 24, 27 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 20; BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18). Wenn Versicherte, die zu körperlich leichten oder mittelschweren Arbeiten noch vollschichtig in der Lage waren, "auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder -feld (das meint ungelernte Tätigkeiten)" verwiesen werden durften (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24), so deshalb, weil dies die Tätigkeiten waren, auf die jedenfalls alle Versicherten - unabhängig von ihrem Bildungsstand - verwiesen werden konnten. Ein grundsätzlicher Ausschluss der Verweisung eines qualifizierten Versicherten auf eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende Tätigkeit erfolgte hierdurch jedoch nicht. Deswegen geht auch der Hinweis des LSG auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 (SozR 4-2600 § 43 Nr 9) fehl: Wenn dort Feststellungen zu "körperlich leichten und fachlich einfachen Arbeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden" (aaO RdNr 24) gefordert wurden, bedeutet dies nicht, dass sich der allgemeine Arbeitsmarkt in solchen Tätigkeiten erschöpfen würde; vielmehr ging es in dieser Entscheidung um die Erwerbsfähigkeit einer ungelernten Versicherten, bei der lediglich eine Verweisung auf Tätigkeiten mit diesem Anforderungsprofil in Betracht kam.

29

bb) Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB VI nF ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, dh unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl zB Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 86 ff, Stand September 2009). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle einschlägig ist (vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 f).

30

cc) Hieran ändert auch nichts, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nach § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI nF nicht zu berücksichtigen ist. Denn hiermit ist lediglich gemeint, dass konjunkturelle Schwankungen des Arbeitsmarkts unberücksichtigt zu bleiben haben. Wird eine bestimmte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber aus strukturellen Gründen nicht (mehr) nachgefragt, kann man mit ihr auch kein Erwerbseinkommen erzielen, mit ihr also nicht erwerbstätig sein iS des § 43 Abs 3 SGB VI.

31

dd) Für den Regelfall kann damit davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen noch erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw - vgl BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f).

32

Der Senat hält diese beispielhaft genannten Verrichtungen bzw Tätigkeiten nach wie vor für geeignet, um zu überprüfen, ob tatsächlich von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden kann. Er übersieht hierbei nicht, dass sich die Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Anfang der 1980iger Jahre (vgl hierzu BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 und Nr 90) verändert haben. Neue Arbeitsfelder, insbesondere im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik mögen hinzugekommen sein; gleichwohl ist anhand der og Verrichtungen bzw Tätigkeiten eine Überprüfung, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ausreichende Erwerbsmöglichkeiten für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorhanden sind, jedenfalls auch für dort zu verrichtende ungelernte Tätigkeiten weiterhin möglich.

33

e) Es besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind (Senatsurteile vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69; vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f). Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (so BSGE 80, 24, 39, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33, 27: "ernste Zweifel"; vgl schon BSG 4. Senat vom 30.11.1982 - SozR 2200 § 1246 Nr 104 LS; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 55/96 - SozSich 1998, 112 - Juris RdNr 24; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 59; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 20, vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73; vom 23.8.2001 - B 13 RJ 13/01 R - Juris RdNr 21; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43 und vom 10.12.2003 - BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 11).

34

aa) Insofern richtet sich der hierbei anzustellende Prüfungs- und Begründungsaufwand nach den konkreten Umständen des Einzelfalls; insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss der Rentenversicherungsträger bzw das Tatsachengericht die Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen. Erforderlich ist eine Untersuchung, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (Senatsurteile vom 23.5.2006 - SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 70; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 24 ff). Diesen aufgezeigten abstrakten Maßstäben ist allerdings Kritik entgegengesetzt worden im Hinblick auf die Praktikabilität dieser Rechtsprechung (Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006)und den damit verbundenen Begründungsaufwand für die Rentenversicherungsträger und die Instanzgerichte (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 107).

35

bb) Aus diesem Grund weist der Senat erneut darauf hin, dass sich aus Zweckmäßigkeits- und aus Effektivitätsgründen die rentenrechtliche Prüfung in zwei Schritten anbietet:

36

(1) Bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, ist die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen (noch kommt die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts in Betracht). Auf der ersten Prüfstufe ist daher festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw <vgl BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25>)erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl, aaO RdNr 168; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand Juni 2011; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

37

(2) Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungsvermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteile vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44). Verbleibt es bei den ernsten Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der individuellen Leistungseinschränkungen, ist mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33).

38

f) Ob dem Kläger ein Verweisungsberuf benannt werden muss, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Sollte sich das LSG nicht davon überzeugen können, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch bestimmte "Arbeitsfelder" ausfüllen bzw og "Tätigkeiten der Art nach" noch verrichten kann - um Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuräumen -, wird das LSG das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu prüfen haben. Bejaht es die eine oder andere Alternative, wird es Feststellungen nachzuholen haben, ob dem Kläger ein konkreter Verweisungsberuf benannt werden kann, den er mit seinen individuellen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und seiner fachlichen Qualifikation noch ausüben kann. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, ob der Kläger den Bedingungen und Anforderungen, unter denen die entsprechende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgeübt wird, noch gewachsen ist.

39

Das LSG wird abschließend über die gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 193 SGG zu befinden haben(BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201 f).

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

2

Die 1952 geborene Klägerin absolvierte nach dem Abschluss der Zehnten Schulklasse im Zeitraum vom 1. September 1969 bis zum 31. Juli 1971 erfolgreich eine Lehre zur Bibliotheksfacharbeiterin. Im Anschluss daran war sie bis 1976 als buchhändlerische Mitarbeiterin sowie als Instrukteurin beim Rat des Kreises Q. beschäftigt. Die längste Zeit ihres Erwerbslebens arbeitete die Klägerin im Zeitraum von 1976 bis 1991 als buchhalterische Mitarbeiterin in einem inzwischen nicht mehr existenten Druckereibetrieb. Nachdem die Klägerin von 1991 bis 1993 arbeitslos war, begann sie 1993 als Verkäuferin in einem Küchenstudio zu arbeiten. Eine wiederum bis 1996 andauernde Arbeitslosigkeit beendete die Klägerin durch die Eröffnung eines Küchenplanungsstudios, welches sie selbstständig ohne weitere Mitarbeiter bis 2002 betrieb. Nach Aufgabe dieser selbstständigen Tätigkeit war die Klägerin wiederum kurzzeitig arbeitslos und nahm 2003 bei einer Sicherheitsfirma eine Tätigkeit als Aufsichtskraft in einer Bildergalerie auf, die im November 2004 beendet wurde. Im Rahmen der Gründung einer sogenannten Ich-AG betrieb die Klägerin vom 4. Oktober 2005 bis zum 3. Oktober 2007 als Einzelunternehmen eine Seniorenbetreuung/Hauswirtschaftshilfe. Das Unternehmen stellte die Klägerin nach eigenen Angaben mit dem Auslaufen der Förderung durch die Agentur für Arbeit und aufgrund ihrer häufigen Erkrankungen ein.

3

Am 8. März 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, seit 2009 aufgrund von Bandscheibenschäden und der Folgen einer Borreliose erwerbsgemindert zu sein.

4

Die Beklagte holte zunächst Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein. Dem dem Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. H. vom 20. März 2007 beigefügten Entlassungsbericht der O-Klinik M., Klinik für Neurochirurgie, ist eine am 15. Oktober 2003 aufgrund eines Bandscheibenvorfalls in Höhe L4/5 durchgeführte Operation zu entnehmen. Im Ergebnis der durchgeführten Operation habe die Klägerin eine deutliche Besserung der bestehenden Lumboischialgien angegeben. Neue Beschwerden oder neurologische Ausfälle seien nicht aufgetreten. Eine wegen unveränderter Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) am 4. April 2004 durchgeführte ambulante Untersuchung in der bereits benannten Klinik für Neurochirurgie ergab keinen Hinweis auf eine neurogene Schädigung.

5

Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie Dr. B., der die Klägerin am 22. Mai 2007 ambulant untersuchte und sein Gutachten am 4. Juni 2007 erstattete. Folgende Gesundheitsstörungen lägen bei der Klägerin vor:

6

Varusarthrose des rechten Kniegelenkes mit beginnender Streckhemmung.

7

Lumbales Pseudoradikulärsyndrom links infolge ISG-Blockierung bei Zustand nach Bandscheibenoperation L4/5 links im Oktober 2003.

8

Im Vordergrund stehe bei der Klägerin eine Arthrose des rechten Kniegelenkes mit Reizerscheinungen und einem leichten Erguss; die Streckung sei bei 5Grad eingeschränkt. Hinsichtlich der Kniegelenksbeschwerden rechts müsse im Laufe der nächsten Jahre mit einer weiteren Verschlechterung gerechnet werden. Eine orthopädische stationäre Rehabilitationsbehandlung sei erfolgversprechend. Eine leichte bis mittelschwere körperliche Arbeit überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen sei vollschichtig möglich.

9

Nach Durchführung der empfohlenen orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme in der T. Fachklinik B. im Zeitraum vom 16. Oktober bis zum 6. November 2007 attestierten die behandelnden Ärzte der Klägerin im Entlassungsbericht vom 21. November 2007 ein sechs- und mehrstündiges tägliches Leistungsvermögen sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Küchenplanerin als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen. Der Rehabilitationsentlassungsbericht wies als Diagnosen ein Postdiskektomiesyndrom bei Zustand nach Bandscheibenoperation L4/5 links (10/2003) und eine beginnende Gonarthrose rechts aus. Die Klägerin habe nach dreiwöchiger physikalisch-balneologischer Therapie in einem guten Allgemeinzustand als sofort arbeitsfähig entlassen werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend im Gehen, zeitweise im Sitzen und Stehen, unter Meidung von häufigem Bücken, Hocken und Knien, ständigem Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, schwerem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten von mehr als zehn kg sowie ohne einseitige Körperhaltungen im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich möglich.

10

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 3. Juli 2007 ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten im angelernten Beruf als selbstständige Küchenplanerin Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden.

11

Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 erhob die Klägerin am 18. Juli 2007 Widerspruch. Die ablehnende Entscheidung sei aufgrund der täglichen Schmerzen nicht nachvollziehbar. Sie leide zudem unter einem Drehschwindel und könne nicht lange sitzen, laufen, stehen oder liegen. Hinzu kämen die Beschwerden im rechten Knie. Die Ausübung der Tätigkeit einer Küchenplanerin sei unmöglich.

12

Eine nochmalig durch die Beklagte bewilligte stationäre orthopädische Rehabilitationsmaßnahme lehnte die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ab. Sie bevorzuge eine ambulante Kur in Heimatnähe.

13

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2008 als unbegründet zurück. Ausgehend von dem Hauptberuf der Seniorenbetreuerin/Hauswirtschaftshilfe in einer Ich-AG sei die Klägerin als Angelernte des unteren Bereichs im Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) einzugruppieren. Die ihr damit zumutbaren Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne sie noch im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

14

Mit ihrer am 23. Juni 2008 bei dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie leide unter Problemen der Lendenwirbelsäule (LWS) und des rechten Kniegelenkes. Ihr körperlicher Zustand lasse befürchten, dass nicht einmal Wegefähigkeit vorliege. Eine Strecke von 500 m bewältigte sie mit Pausen in einer Zeit von über einer halben Stunde. Es sei daher davon auszugehen, dass sie diese Strecke täglich viermal nicht bewältigen könne. Beim Gehen stelle sich ein Taubheitsgefühl im linken Oberschenkel ein, sodass die Gangsicherheit erheblich eingeschränkt sei. Längeres Sitzen, Treppensteigen und das Tragen von Lasten bereiteten erhebliche Schwierigkeiten. Im Haushalt könne sie nur noch leichteste Tätigkeiten verrichten.

15

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte eingeholt. Dr. T., Fachärztin für HNO-Heilkunde/Allergologie, hat unter dem 4. Dezember 2008 mitgeteilt, dass der Verdacht auf eine orofaziale Dyskinesie bestehe, die jedoch aus ihrer fachärztlichen Sicht nicht zu einer quantitativen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit führe. Die orthopädische Gemeinschaftspraxis D. N./M. hat im Befundbericht vom 10. Dezember 2008 ausgeführt, dass die Klägerin seit August 2001 behandelt werde und bei ihr ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom, ein Zervicobrachialsyndrom , eine Epicondylitis sowie eine Hemigonarthrose rechts vorlägen. Es habe sich ein wechselhaftes Beschwerdebild bei einer leichten Progredienz der degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS gezeigt. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in Wechselhaltung seien noch vollschichtig möglich.

16

Nachdem der Klägerin von der Beklagten nach Durchführung einer Knietotalendoprothesenimplantation (Knie-TEP) rechts am 9. April 2009 eine ambulante Anschlussheilbehandlung in der T. Fachklinik B. bewilligt worden war, hat das Sozialgericht den ärztlichen Entlassungsbericht vom 28. Mai 2009 über die im Zeitraum 6. bis zum 28. Mai 2009 durchgeführte Rehabilitation beigezogen. Die ganztägige ambulante Anschlussheilbehandlung habe sich aufgrund der Schmerzsymptomatik im operierten Knie etwas schwierig gestaltet. Die häufig geänderte Schmerzmedikation habe nur kurzfristig zur Beschwerdelinderung geführt. Die Klägerin leide unter einer Gonarthrose rechts, einem Zustand nach zementfreier Knie-TEP rechts am 9. April 2009, einem Lumbalsyndrom bei Zustand nach Nukleotomie L4/5 (2003), einem chronischen atopischen Ekzem sowie einer allergischen Diathese. Die Klägerin sei in einem subjektiv und objektiv eher verschlechterten Zustand arbeitsunfähig nach Hause entlassen worden. Zum Zeitpunkt der Entlassung könne noch keine Aussage über den Eintritt der Arbeitsfähigkeit getroffen werden. Es empfehle sich die schnellstmögliche Vorstellung in der operierenden Einrichtung zur Ursachenforschung der massiven Beschwerden einschließlich der Verschlechterung des klinischen Bildes. Die Klägerin sei zuletzt als selbstständige Küchenplanerin tätig gewesen. Diese Arbeit sowie körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien auch weiterhin sechs Stunden und mehr täglich möglich. Vermieden werden sollten lange Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, häufiges Arbeiten im Bücken, Hocken, Knien sowie häufiges Heben von Lasten über zehn kg ohne Hebehilfsmittel. Die Klägerin sollte auf wechselnde Körperhaltungen achten.

17

Aufgrund einer Prothesenlockerung im rechten Knie ist die Klägerin erneut vom 26. September bis zum 5. Oktober 2009 stationär im Klinikum Q. behandelt worden. Nach entsprechender Vorbereitung ist am 28. September 2009 ein vollständiger Wechsel der Knie-TEP rechts vorgenommen worden. Im Anschluss daran hat sich die Klägerin vom 10. bis zum 30. November 2009 erneut zu einer teilstationären Anschlussheilbehandlung in der T. Fachklinik B. befunden. Im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 7. Dezember 2009 sind als Diagnosen aufgeführt worden:

18

1. Gonarthrose rechts.

19

2. Wechsel der Knie-TEP rechts am 28. September 2009.

20

3. Knie-TEP-Implantation rechts zementfrei.

21

4. Lokales LWS-Syndrom, Zustand nach Nukleotomie L4/5 (2003).

22

Die Klägerin könne sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als selbstständige Küchenplanerin als auch körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nach mindestens dreimonatiger Arbeitsunfähigkeit und anschließender komplikationsloser Rekonvaleszenz im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Bei wechselnden Körperhaltungen sollten Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, häufiges Bücken, Hocken und Knien vermieden werden. Als objektiver Abschlussbefund sind ein ausreichend sicheres und flüssiges Gangbild mit zwei Unterarmgehstützen im Vierpunktgang unter Vollbelastung des rechten Beines beschrieben worden. Über dem rechten Knie hätten sich eine reizlose Narbe, kein Anhalt für eine Ergussbildung, keine Weichteilschwellung und eine Kräftigung der kniegelenkführenden Muskulatur gezeigt. Der Einbeinstand sei links sicher, rechts noch nicht möglich gewesen.

23

Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 12. Februar 2010 zu einer beabsichtigten Entscheidung nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. April 2010 abgewiesen. Bei der Klägerin liege kein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich vor. Dies ergebe sich aus dem Entlassungsbericht der im Jahr 2009 durchgeführten Rehabilitation sowie dem Gutachten von Dr. B. Für das Gericht stehe fest, dass die Klägerin unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide. Ein rentenberechtigender Grad werde hierbei jedoch nicht erreicht. Bisheriger Beruf der Klägerin sei der der Küchenplanerin, den sie bis 2002 ausgeübt habe. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen könne die Klägerin diese Tätigkeit noch zumutbar ausüben.

24

Gegen den ihr am 4. Mai 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Mai 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung ihres Rechtsmittels hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Sozialgericht nur auf ältere Befundberichte aus den Jahren 2008 und 2009 sowie einen Rehabilitationsentlassungsbericht vom Dezember 2009 bezogen habe, der sich aber nicht mit allen gesundheitlichen Einschränkungen befasse. Ihre orthopädischen Leiden und der Drehschwindel ließen eine Berufstätigkeit überhaupt nicht mehr zu. Sie sei nicht wegefähig. Hierzu lägen zudem überhaupt keine Ermittlungen vor. Ihre letzte Tätigkeit sei als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren.

25

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 26. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. März 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, insbesondere bei Berufsunfähigkeit, bewilligen.

26

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

27

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Hinsichtlich der Feststellungen zum Hauptberuf werde auf den Bescheid über die Versicherungspflicht vom 24. November 2005 verwiesen, aus dem hervorgehe, dass die Klägerin für die Tätigkeit als Seniorenbetreuerin pflichtversichert gewesen sei.

28

Der Senat hat zunächst aktuelle Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. S., Facharzt für Orthopädie, hat unter dem 1. März 2011 mitgeteilt, dass nach dem TEP-Wechsel im September 2010 röntgenologisch ein regelrechter Sitz der Prothese festgestellt worden sei. Die am 19. Juli 2010 durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) der LWS hätte eine reaktivierte Osteochondrose in Höhe L4/5, eine Bandscheibenvorwölbung in Höhe L1/2 sowie als Hauptbefund narbige Veränderungen in Höhe L4/5 ergeben. Dipl.-Med. G., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, hat in seinem Befundbericht vom 7. März 2011 mitgeteilt, dass er die Klägerin seit 2006 regelmäßig behandele. Infolge der Implantation sei die Klägerin länger nicht arbeitsfähig gewesen. Die Behandlung sei im Frühjahr 2010 abgeschlossen worden. Danach habe sich die Klägerin bei der Agentur für Arbeit vorgestellt. Bei der letzten Vorstellung am 2. März 2011 bei ihm habe sich ein unveränderter Gesundheitszustand gezeigt. Mit dem Gelenkoberflächenersatz käme sie zurecht. Es bestünden jedoch deutliche Einschränkungen im täglichen Leben. Das Bewegungsausmaß und die Belastungsfähigkeit hätten sich nach dem zweiten operativen Eingriff am Kniegelenk verschlechtert. Am 3. März 2011 hat sich die Klägerin in psychotherapeutische Behandlung bei Dr. C., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, begeben. Dieser hat am 14. März 2011 eine schwere depressive Episode ohne psychosomatische Symptome diagnostiziert. Auf die Frage des Senats, wann, wo und mit welchem Ergebnis klinische Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden hätten, hat der Facharzt geantwortet, dass trotz eines Suizidversuches im Jahre 1981 psychiatrisch bisher keine Interventionen stattgefunden hätten. Aufgrund der bisher kurzen Behandlungsdauer von zwei Wochen sei nur eine leichte Besserung zu verzeichnen. Der Facharzt für Neurochirurgie W. hat mitgeteilt, dass er die Klägerin zwei- bis dreimal jährlich untersuche. Die erhobenen Befunde hätten sich insgesamt leicht verschlechtert. Neue Leiden seien nicht hinzu gekommen.

29

Der Senat hat aufgrund der kurzen psychotherapeutischen Behandlungsdauer im August 2011 nochmals einen Befundbericht von Dr. C. angefordert. Der Facharzt hat am 22. August 2011 als Diagnose eine schwere rezidivierende depressive Episode mitgeteilt. Die Klägerin sei seit dem 3. März 2011 durchgehend arbeitsunfähig; eine leichte Besserung sei bei Einnahme des Medikaments Trevilor zu verzeichnen.

30

Der Senat hat sodann das Gutachten von dem Chefarzt und Ärztlichen Leiter der Neurologischen Klinik im SKH A., Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, Dr. V. vom 29. März 2012 eingeholt, das auf der Grundlage einer Untersuchung der Klägerin am 26. März 2012 erstellt worden ist. Die Klägerin habe sich in einem guten körperlichen Allgemeinzustand befunden, einen Gehstock links benutzt, den sie aber bei Eintritt in den Untersuchungsraum nicht benötigt habe. Es bestünden als Gesundheitsstörungen eine mittelgradige depressive Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Bei der Klägerin sei eine familiäre Belastung mit psychischen Störungen anzunehmen. Schon die Mutter der Klägerin sei in jungen Jahren in nervenärztlicher Behandlung gewesen. Die Klägerin sei bei ihrer Großmutter aufgewachsen, weil die Mutter offenbar mit ihrer Erziehung überfordert gewesen sei. Aufgrund einer plötzlichen Erkrankung der Großmutter sei sie im Alter von sechs Jahren vorübergehend in einem Kinderheim untergebracht worden. Dies sei für sie ein erstes psychisch traumatisierendes Erlebnis gewesen. Insgesamt seien bei der Klägerin zumindest zwei depressive Phasen aus der Vorgeschichte abgrenzbar. Im Rahmen einer Depression habe sie 1981 einen Suizidversuch im Zusammenhang mit ihrer Ehescheidung unternommen. Eine weitere depressive Phase habe es 1992 gegeben, die die Klägerin im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit und Konflikten mit der Tochter sehe. Beide Phasen hätten nicht zu einer psychiatrischen Vorstellung oder Behandlung geführt. Wann dann erneut eine depressive Störung aufgetreten sei, sei fraglich. Es sei davon auszugehen, dass die weit in die Vergangenheit zurückreichenden depressiven Störungen die sich seit Ende der neunziger Jahre manifestierende Schmerzproblematik mitgestaltet hätten. Sicher sei, dass es in der Vergangenheit mehrere rezidivierende depressive Episoden gegeben habe und eine erneute anhaltende depressive Episode jetzt länger als ein Jahr bestehe. Eine schwere depressive Episode, wie sie vom behandelnden Psychiater im März 2011 diagnostiziert worden sei, sei jetzt nicht mehr feststellbar. Derzeit handele es sich um eine mittelschwere depressive Episode. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet seien in ihrer Ausprägung und Art indes derzeit nicht so schwerwiegend, dass hieraus quantitative Leistungsminderungen abzuleiten wären. Die Klägerin bedürfe zwar intensivierter stationärer oder zumindest teilstationärer psychiatrisch/psychotherapeutischer Behandlung. Sie sei aber in der Lage, körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen im Gehen, Stehen und Sitzen - wobei der gehende und stehende Anteil 50 Prozent nicht überschreiten sollte - mit gelegentlichen einseitigen körperlichen Belastungen ohne Gerüst- und Leiterarbeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen sowie an mnestische Fähigkeiten und Tätigkeiten mit geistig einfachen und mittelschwierigen Anforderungen sei sie gewachsen. Die Klägerin könne keine Arbeiten in Nachtschicht, unter Zeitdruck, mit häufigem Publikumsverkehr sowie unter besonderen emotionalen oder psychischen Belastungen mehr verrichten. Sie benötige über die in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht gewährten üblichen Pausen hinaus zusätzliche Pausen von bis zu dreimal zehn Minuten. Länge und Verteilung der Pausen könnten den Erfordernissen des Betriebsablaufs angepasst werden. Die Gehfähigkeit sei eingeschränkt. Die Klägerin benutze einen Gehstock. Sie könne jedoch einen Fußweg von mehr als 500 m vor und nach einer Arbeitsschicht in jeweils unter 20 Minuten bewältigen.

31

In der öffentlichen Sitzung am 6. Juni 2012 hat die Klägerin einen Arztbrief von Dr. S. vom 30. Mai 2010 überreicht, der in Auswertung von Röntgenaufnahmen der LWS eine progrediente Osteochondrose in Höhe L4/5 bei fast vollständig aufgebrauchtem Zwischenwirbelraum (ZWR) beschreibt. Nach der Vertagung des Rechtsstreits ist Dr. V. um eine ergänzende Stellungnahme zum aktuell vorgelegten Arztbericht sowie zur Pausengestaltung und -häufigkeit gebeten worden. In seinem hierzu übersandten Schreiben vom 23. Juli 2012 hat Dr. V. mitgeteilt, dass sich aus dem Arztbrief von Dr. S. keine Anhaltspunkte für eine abweichende Leistungseinschätzung oder weitere medizinische Ermittlungen ergäben. Die Klägerin leide vordergründig unter einer psychischen Störung, die sich in emotional-affektiver und psychosomatischer Schmerzverarbeitung äußere. Sie benötige in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht zusätzliche Pausen von bis zu dreimal zehn Minuten. In einer genau sechsstündigen Arbeitsschicht benötige sie außer einer halbstündigen oder zwei viertelstündigen Arbeitspausen zusätzliche Pausen von bis zu zweimal zehn Minuten. In den jeweils zehnminütigen Pausen müsse eine sitzende Ruhephase mit dem Verzicht auf berufliche Leistungserbringung gewährleistet sein. Ein Ruheraum oder eine liegende Position sei hierfür nicht erforderlich.

32

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

34

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

35

Die Klägerin ist nicht erwerbsgemindert. Sie ist noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen im Gehen, Stehen und Sitzen, wobei der gehende und stehende Anteil 50 Prozent der täglichen Arbeitszeit nicht überschreiten sollte, zu verrichten. Arbeiten mit gelegentlichen einseitigen körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie Knien, Hocken, Bücken, Heben, Tragen sind möglich. Das Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sowie Gerüst- und Leiterarbeiten sind nicht mehr zumutbar. Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen sowie an mnestische Fähigkeiten und mit geistig einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen ist sie gewachsen. Die Gebrauchsfähigkeit ihrer Hände ist erhalten. Die Klägerin kann Arbeiten in Wechselschicht unter Vermeidung von Nachtschicht, Zeitdruck und häufigem Publikumsverkehr und ohne besondere emotionale und psychische Belastungen im genannten Umfang bewältigen.

36

Dieses Leistungsbild ergibt sich unter anderem aus den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. V., die mit den Feststellungen in den Rehabilitationsentlassungsberichten vom 28. Mai und 7. Dezember 2009 sowie denen im Gutachten von Dr. B. vom 4. Juni 2007 übereinstimmen.

37

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin unter einer Gonarthrose rechts nach einer Knie-TEP-Implantation am 9. April 2009 sowie einem Wechsel der Knieprothese am 28. September 2009. Zudem besteht bei der Klägerin ein lokales LWS-Syndrom bei einem Zustand nach Nukleotomie L4/5 im Jahr 2003. Diese Gesundheitsstörungen beeinträchtigen nur das qualitative Leistungsvermögen. Die Klägerin kann unter Berücksichtigung dieser Erkrankungen nur noch leichte körperliche Tätigkeiten in geschlossenen Räumen unter Vermeidung von Zwangshaltungen, häufigem Bücken, Hocken sowie Knien ausführen. Dabei sollte sie auf eine wechselnde Körperhaltung achten; der gehende und stehende Anteil der täglichen Arbeitszeit sollte auf 50 Prozent beschränkt werden. Die Klägerin kann keine Arbeiten verrichten, die mit Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel verbunden sind. Gerüst- und Leiterarbeiten sind ebenfalls ausgeschlossen. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist erhalten.

38

Die Haupterkrankung der Klägerin ist derzeit auf nervenärztlichem Fachgebiet festzustellen. Die Klägerin leidet unter einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Bei ihr ist eine familiäre Belastung mit psychischen Störungen anzunehmen. Weit in die Vergangenheit reichende traumatisierende Erlebnisse, wie die zeitweise Unterbringung in einem Kinderheim und ein 1981 im Zusammenhang mit der Ehescheidung erfolgter Suizidversuch, die jeweils nicht - trotz indizierter medizinischer Notwendigkeit - in eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung mündeten, führten zu immer wieder auftretenden depressiven Phasen, welche letztlich auch die sich seit den neunziger Jahren entwickelnde Schmerzstörung mitgestalteten. Bei der Klägerin bestehen trotz der vorliegenden Erkrankung keine kognitiven Einschränkungen oder Hinweise auf eine rasch nachlassende Konzentration oder Aufmerksamkeit. Die Befunde und festgestellten somatoformen Anteile der Schmerzproblematik sprechen gegen das Auftreten einer unzumutbaren Beschwerdeverstärkung im Laufe einer sechsstündigen leidensgerechten Tätigkeit. Die Klägerin ist unter Berücksichtigung der Erkrankung nicht in der Lage, Nachtschichten, Arbeiten unter Zeitdruck sowie Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr und besonderen emotionalen oder psychischen Belastungen auszuführen. Sie ist aber geistig einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen sowie Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Reaktionsvermögen, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen. Der gerichtliche Sachverständige Dr. V. führt nachvollziehbar aus, dass die Gesundheitsstörungen in ihrer Ausprägung und Art derzeit nicht so schwerwiegend sind, dass hieraus quantitative Leistungsminderungen abzuleiten wären. Die Klägerin bedarf allerdings intensivierter stationärer oder zumindest teilstationärer psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung.

39

Eine quantitative Leistungsminderung lässt sich weder aus dem Gutachten des Dr. V. vom 29. März 2012 noch aus den Rehabilitationsentlassungsberichten vom 28. Mai und 7. Dezember 2009 oder dem Gutachten von Dr. B. vom 4. Juni 2007 ableiten. Eine entgegenstehende Auffassung hat nur der die Klägerin seit dem 3. März 2011 behandelnde Neurologe/Psychiater Dr. C. vertreten. Allerdings konstatiert auch er eine leichte Besserung unter medikamentöser Therapie und kann aufgrund der erst kurzen Behandlungsdauer letztlich nur gesicherte Angaben für den Zeitraum von März bis August 2011 treffen. Insoweit besteht auch Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. V., der nicht ausschließt, dass zwischen März und August 2011 die depressive Störung stärker ausgeprägt war als zum Zeitpunkt der Begutachtung. Hieraus kann jedoch kein Anspruch auf eine Rentenbewilligung resultieren, da die stärkere Ausprägung der Erkrankung nicht mindestens sechs Monate andauerte. Eine Rente wegen Erwerbsminderung wird nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

40

Bei der Klägerin liegen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung, eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, ein Katalog- oder Seltenheitsfall vor, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Leistungsvermögen der Klägerin reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der Körperhaltungen und damit auch für Tätigkeiten wie z.B. ein Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris, Rn. 17 ff. m.w.N.)

41

Die Benennung einer konkreten Tätigkeit durch die Beklagte ist hier auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Wegefähigkeit im sozialmedizinischen Sinne erforderlich. Eine rentenrelevante Einschränkung der Fähigkeit, die Wegstrecken zur Arbeit zurücklegen zu können, liegt nicht vor, wenn der Versicherte viermal täglich knapp mehr als 500 m in 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Hinter diesen Anforderungen zurückbleibende Fähigkeiten der Klägerin sind im Ergebnis - trotz eingeschränkter Gehfähigkeit - nicht feststellbar. Der Sachverständige Dr. V. gibt bei der allgemeinkörperlichen Untersuchung an, dass die Klägerin einen Gehstock links benutzt, diesen jedoch bei Eintritt in den Untersuchungsraum nicht benötigt hat. Die Fußpulse sind beidseits gut tastbar gewesen. Kraft, Motorik, Muskeltonus und Trophik der unteren Extremitäten haben sich regelrecht gezeigt. Der Spontangang war mit einem diskretem Schongang, der Blind-, Seiltänzer-, Fersen- und Zehengang ungestört möglich. Im Befundbericht des die Klägerin behandelnden Orthopäde Dr. S. vom 1. März 2011 und im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 7. Dezember 2009 wird nach dem notwendig gewordenen Wechsel der Knieprothese ein röntgenologisch nachzuweisender regelrechter Sitz derselben bestätigt. Dr. G. teilte in seinem Befundbericht vom 7. März 2011 mit, dass die Klägerin mit dem Gelenkoberflächenersatz zurechtkommt und das Kniegelenk eine reizfreie Narbe, keinen Erguss und keine Übererwärmung bei stabiler Bandführung zeigt. Die von ihm benannten deutlichen Einschränkungen im täglichen Leben lassen keinen Schluss auf eine fehlende Wegefähigkeit zu. Dr. V.s Einschätzung, dass die Klägerin einen Weg von mehr als 500 m viermal täglich in jeweils unter 20 Minuten bewältigen kann, ist insofern nachvollziehbar. Zudem kann die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel benutzen.

42

Die Klägerin kann auch unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Grundsätzlich ist eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. Urteil des BSG vom 30. November 1983 - 5a RKn 28/82 -, in SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Das BSG hat in seiner ständigen Rechtsprechung zu der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage folgendes ausgeführt: Kann ein Versicherter vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten, wenn auch nur mit bestimmten Einschränkungen, ausüben, ist zumindest die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Als eine solche schwere Einschränkung ist beispielsweise - in Verbindung mit anderen Einschränkungen - die Erforderlichkeit, zwei zusätzliche Arbeitspausen von je 15 Minuten einzulegen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 136), angesehen worden. Zur Bestimmung des Begriffs der betriebsüblichen Arbeitsbedingungen kann die Rechtsprechung zu § 119 Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitsförderung - SGB III) bzw. zum früheren § 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) herangezogen werden (BSG in SozR 3-2200 § 1247 Nr.14). Danach müssen auch die Dauer, Lage und Verteilung der Pausen arbeitszeitüblichen Bedingungen entsprechen (vgl. BSG in SozR 4100 § 134 Nr.3; SozR 4100 § 103 Nrn. 17 und 23). Benötigt der Versicherte zusätzliche Arbeitspausen, die im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht vorgesehen sind, ist zu prüfen, ob Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen eingestellt werden (BSG in SozR 2200 § 1247 Nr. 43 und Urteil vom 22. April 1993 - 5 RJ 34/92 -). Nach § 4 Satz 1 ArbZG ist die Arbeit durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. Eine Unterteilung in kleinere Zeitabschnitte ist nach § 4 Satz 2 ArbZG ebenfalls möglich.

43

Soweit Dr. V. in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juli 2012 zusätzliche Pausen von bis zu dreimal zehn Minuten in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht für erforderlich hält, führt dies nicht dazu, dass die Klägerin nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes tätig sein kann. Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. März 1989 - 6 AZR 326/86 -, in EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung Nr. 11; vom 27. April 2000 - 6 AZR 861/98 -, in NZA 2001, 274). Für Büroarbeiten hat das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie deswegen die von den Arbeitgebern zugestandene persönliche Verteilzeit mit etwa 12 Prozent der tariflich festgesetzten Arbeitszeit angesetzt (vgl. Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, DRV 8 - 9 /93 S. 493, 527). Zusätzliche zehnminütige Ruhepausen sind im Rahmen der sogenannten persönlichen Verteilzeit realisierbar (vgl. auch Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 20. März 2007 - L 11 R 684/06 - sowie vom 26. Oktober 2010 - L 11 R 5203/09 -, jeweils zitiert nach juris; Urteile des Bayerischen LSG vom 25. Mai 2009 - L 18 R 535/04 - sowie vom 29. April 2009 - L 18 R 866/06 -, jeweils zitiert nach juris).

44

Aus der Einschätzung von Dr. V., dass die Klägerin in einer genau sechsstündigen Arbeitsschicht außer einer halbstündigen oder zwei viertelstündigen Arbeitspausen zusätzliche Arbeitsunterbrechungen von bis zu zweimal zehn Minuten einhalten muss, ergeben sich für den Senat ebenfalls keine Konsequenzen hinsichtlich einer Einsetzbarkeit der Klägerin unter betriebsunüblichen Bedingungen. Zwar steht Arbeitnehmern nach § 4 Satz 1 ArbZG erst bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden eine Ruhepause zu. Hier kann die Klägerin mehr als sechs Stunden arbeiten und benötigt dabei keine über die ihr nach dem ArbZG zustehenden Pausen hinausgehenden sogenannten unüblichen Pausen. Vor dem Hintergrund, dass seit dem Inkrafttreten des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen Voraussetzung für den Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist, trägt das Risiko, noch sechs, aber nicht mehr acht Stunden täglich arbeiten zu können, der Versicherte. Insoweit ist der Versicherte, der mehr als sechs Stunden arbeiten kann, nicht besser zu stellen, als derjenige, der nur noch über ein genau sechsstündiges Leistungsvermögen verfügt.

45

Hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Anspruches auf Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ergeben sich keine von der Entscheidung des Sozialgerichts abweichenden Möglichkeiten. Sowohl die Tätigkeit der Küchenplanerin/ Möbelverkäuferin als auch die der Seniorenbetreuerin/ Hauswirtschaftshilfe lassen keine Eingruppierung in eine für die Klägerin günstigere Stufe des Mehrstufenschemas des BSG zu.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

47

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) über den 30. Juni 2010 hinaus.

2

Der am ... 1958 geborene Kläger hatte während der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Fenster-/Fassadenmonteur am 12. März 1998 eine Zerrung der linken Wade und eine Distorsion des linken Sprunggelenks erlitten. In der Folge war es zu einer Dreietagenthrombose des linken Beins gekommen. Am 9. Juni 1999 hatte er einen Muskelfaserriss im Bereich der rechten Wade erlitten, ebenfalls mit der Folge einer Dreietagenthrombose des rechten Beins sowie einer Lungenembolie. Seit dieser Zeit findet eine kontinuierliche Langzeitantikoagulation mit Falithrom statt. Wegen beider Unfälle erhält der Kläger von der Verwaltung-Berufsgenossenschaft (VBG) eine Rente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), seit dem 1. Februar 2004 nach einer MdE von 20 % (postthrombotisches Syndrom III. Grades) für die Folgen des Versicherungsfalls im Bereich des linken Beins und nach einer MdE von 10 % im Bereich des rechten Beins (leichtes postthrombotisches Syndrom).

3

Auf den ersten Rentenantrag vom 17. August 2004 hatte die Beklagte ein orthopädisches Gutachten von Dr. B. vom 18. November 2004 eingeholt. Dieser hatte ein postthrombotisches Syndrom beider Unterschenkel sowie eine Arthrose des Großzehengrundgelenks links mit Einschränkung der Dorsalflexion diagnostiziert. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen den beklagten Beschwerden und dem relativ dürftigen objektiven Befund. Die Angabe des Klägers, er könne wegen zunehmender Schmerzen nur 100 m gehen, könne ihm nicht abgenommen werden. Die Abrollbehinderung am linken Fuß wäre durch Einlagen korrigierbar. Körperlich leichtere Tätigkeiten in Wechselhaltung sowie die mithelfende Tätigkeit in der Imbissgaststätte der Ehefrau seien ganztägig möglich. Lediglich ständiges Gehen sowie schweres Heben, Tragen und Arbeiten im Hocken seien unzumutbar. Der Rentenantrag war abgelehnt worden. Im Rahmen des folgenden Klageverfahrens (S 13 R 237/05) hatte das Sozialgericht ein am 7. Mai 2007 eingegangenes internistisch-angiologisches Gutachten des Prof. Dr. P. eingeholt. Der Gutachter hatte diskrete Unterschenkelödeme nach Ablegen der Kompressionsstrümpfe beschrieben. Er hatte die Umfangsmaße der unteren Extremitäten (Oberschenkel 53/53 cm, Wadenmitte 41/40 cm, supramaleolär 26/25 cm) ermittelt und eine Duplex-Sonographie durchgeführt. Er hatte eine postthrombotische chronische Veneninsuffizienz beidseits mit Stauungsdermatose und Zustand nach Ulcus cruris postthromboticum, rechts Stadium III nach Widmer, links Stadium II, diagnostiziert. Ferner lägen eine Arthrose des Großzehengrundgelenks links und eine Bewegungseinschränkung beider oberen Sprunggelenke vor. Die Beweglichkeitseinschränkung der Sprung- und Zehengelenke vermindere die Wirksamkeit der Wadenmuskelpumpe erheblich. Der Kläger könne noch leichte Arbeiten wechselweise im Gehen, Stehen und/oder Sitzen mit weiteren Einschränkungen vier bis unter sechs Stunden täglich verrichten. Länger andauernde Arbeitsbelastungen seien aufgrund der schweren chronischen Veneninsuffizienz nicht mehr möglich. Daraufhin hatte die Beklagte im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vom 31. Juli 2007 dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2010 bewilligt.

4

Der Kläger beantragte am 26. Januar 2010 die Weiterbewilligung der Rente. Die Beklagte holte von der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. L. von ihrem Sozialmedizinischen Dienst (SMD) das Gutachten vom 13. Juli 2010 ein. Dort gab der Kläger an, schmerzbedingt komme es zu einer zunehmenden Versteifung in den Füßen ab ca. 100 m Gehstrecke. Nach einem Spaziergang um den Block (eine halbe Stunde) seien die Beine geschwollen und er müsse sich zwei Stunden ausruhen. Er könne nur noch kurze Strecken mit dem Auto fahren. Die Gutachterin beschrieb ein rechtshinkendes Gangbild ohne Abrollbewegungen. Die Beweglichkeit beider oberen Sprunggelenke für Heben/Senken (10°/0/10°) sei eingeschränkt. In den unteren Sprunggelenkgelenken seien nur Wackelbewegungen möglich. Es bestehe eine Umfangsdifferenz zugunsten rechts von 1 cm im Oberschenkelbereich und über der Patella. Es falle eine deutliche Fixierung auf das Beschwerdebild auf. Eine Fahrradergometrie habe der Kläger als nicht durchführbar angesehen. Im Gehtest habe er 80 m in 3:22 min bei Abbruch wegen angegebener Schmerzen in der rechten Kniekehle und im linken Sprunggelenk absolviert. Die Gutachterin diagnostizierte ein postthrombotisches Syndrom beidseits, Zustand nach Beckenvenenthrombose rechts 1998 und links mit Lungenembolie 1999 sowie eine Bewegungseinschränkung der Sprunggelenke beidseits. Gegen die Angabe, Tag und Nacht Kompressionsstrümpfe tragen zu müssen, spreche, dass beide Oberschenkel bis unterhalb der Kniegelenke gebräunt seien. Das geringe Umfangsdefizit zu Gunsten des rechten Beins spreche gegen die beim Gehen demonstrierte Schonhaltung. Das rechtsseitige Hinken sei mit der beidseits gleichen Einschränkung der Sprunggelenksbeweglichkeit nicht zu erklären. Der Kläger könne körperlich leichte sowie geistig durchschnittlich schwierige Tätigkeiten im selbst gewählten Positionswechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten in Wärme und Kälte, mit Verletzungsgefahr sowie häufiges Besteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten.

5

Die Beklagte bewilligte mit Bescheiden vom 26. August 2010 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2007 auf Dauer, lehnte aber eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Es liege keine volle Erwerbsminderung vor.

6

Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2011 als unbegründet zurück. Es bestehe ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte sowie geistig durchschnittlich schwierige Tätigkeiten im selbst gewählten Positionswechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Zu vermeiden seien Tätigkeiten in Wärme und Kälte, mit Verletzungsgefahr sowie häufiges Besteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten.

7

Dagegen hat der Kläger am 9. Februar 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Der Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert. Das Gutachten des Prof. Dr. P. vom 7. Mai 2007 müsse Berücksichtigung finden. Er hat ferner Einwände gegen das Gutachten des SMD erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. B. vom 25. August 2011 eingeholt. Dieser hat angegeben, die Beschwerdesymptomatik beider Beine sei seit Jahren unverändert, eine genaue körperliche Untersuchung sei nicht erfolgt. Zumindest mittelschwere Arbeiten mit weiteren Einschränkungen müssten sechs Stunden täglich möglich sein.

8

Ferner hat das Sozialgericht ein fachinternistisch-angiologisches Gutachten von Prof. Dr. B. vom 8. April 2013 erstatten lassen. Eine erste Untersuchung des Klägers am 13. März 2013 erfolgte durch den Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. B. Eine zweite Untersuchung am 8. April 2013 ist durch den bestellten Gutachter selbst erfolgt. Der Kläger habe eine Wegstrecke von 800 bis 1000 m sowie schmerzhafte Bewegungseinschränkungen beider Beine angegeben. Die apparative Befundung (EKG, Echokardiographie, Laborparameter, Röntgen-Thorax, Lungenfunktionstest, Spirometrie und Bodyplethysmographie) habe normale Blutgaswerte und eine Lungenfunktion mit mittelgradiger Obstruktion ergeben. Die Venenverschlussplethysmographie zeige insgesamt zu den Vorbefunden eine Besserung. Die venöse Kapazität sei lediglich noch links im Sinne eines postthrombotischen Syndroms vermindert, rechts liege sie im Normbereich (Venöse Kapazität: rechts 3,5 ml/100 ml Gewebe, links 1,7 ml/100 ml Gewebe; venöser Ausstrom: rechts 36,5 ml/100 ml Gewebe/min, links 44,5 ml/100 ml Gewebe/min). Auch die Duplexsonographie der Beinvenen beidseits zeige keine großen Insuffizienzen. Nach Abnahme der Kompressionsstrümpfe hätten sich keine Ödeme oder Hinweise für eine arterielle Makroangiopathie gefunden. Es bestehe eine leichte Beinumfangszunahme gegenüber 2008 ohne relevante Seitenumfangsdifferenz (Oberschenkel 64/63 cm, 54/54 cm, Unterschenkel 46/45 cm, 46/48 cm, 37/41 cm). Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:

9

Zustand nach beidseitiger Mehretagenthrombose und Lungenembolie beidseits 1998 und 1999 mit aktuell rekanalisierter Thrombose beidseits.

10

Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz mit Klappenveneninsuffizienzen der oberflächlichen und tiefen Venen des Unterschenkels beidseits.

11

postthrombotisches Syndrom mit eingeschränkter venöser Kapazität links.

12

mittelgradige Obstruktion der Lungenfunktion (bei fortgesetztem Nikotinabusus).

13

Verdacht auf arterielle Hypertonie (bisher ohne medikamentöse Behandlung).

14

Hyperlipoproteinämie.

15

Adipositas mit einem BMI von 34 (187 cm, 103 kg).

16

Die beklagten Beweglichkeitseinschränkungen und Schmerzen seien aus angiologischer Sicht nicht nachzuvollziehen, da eine venöse Abflussstörung apparativ nicht nachweisbar sei. Die MdE werde aus internistisch-angiologischer Sicht mit 20 % eingeschätzt (postthrombotisches Syndrom II. Grades beidseits). Eine Verschlechterung sei aus angiologischer Sicht nicht eingetreten. Der Kläger könne körperliche Arbeiten im wechselseitigen Gehen und Stehen, in geschlossenen Räumen oder unter Witterungsschutz, an laufenden Maschinen, unter erheblichem Zeitdruck oder mit festgelegtem Rhythmus uneingeschränkt ausüben. Ausgeschlossen seien lediglich schwere Beanspruchungen der Beine beidseits. Keine Einschränkungen seien hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten erkennbar. Die Leistungsfähigkeit könnte durch ein vermehrtes Pausieren im Arbeitsprozess erhalten bleiben. Bei einer sechsstündigen Arbeitszeit seien mehrmalige Pausen von fünf Minuten zur Erholung als angemessen anzusehen. Längere krankheitsbedingte Ausfallzeiten oder Arbeitsunterbrechungen seien nicht zu erwarten. Der Kläger könne viermal täglich 500 m mit zumutbaren Beschwerden und unter Einlegung von kurzen Pausen zu Fuß zurücklegen. Eine peripher arterielle Durchblutungsstörung oder ein reduzierter Muskelstatus lägen nicht vor. Auch die selbst angegebene Gehstrecke von 800 bis 1000 m scheine zumutbar zu sein. Der Kläger könne ein Kraftfahrzeug selbstständig führen, er sei zu Begutachtung mit dem Pkw selbstständig erschienen. Eine weitere Fachbegutachtung sei nicht erforderlich.

17

Der Kläger hat sowohl zur Untersuchung als auch zum Gutachten umfangreiche Einwände erhoben. Die Beklagte hat eine Stellungnahme des SMD vom 15. Juli 2013 vorgelegt.

18

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2013 abgewiesen. Der Kläger sei nicht voll erwerbsgemindert. Er könne mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Nach den vorliegenden Gutachten sei eine objektive Besserung der Befunde eingetreten. Das Gutachten des Prof. Dr. B. vom 8. April 2013 sei verwertbar, da er am 8. April 2013 eine persönliche Untersuchung des Klägers durchgeführt habe. Dessen Einschätzung stimme im Übrigen mit der des behandelnden Arztes Dr. B. überein.

19

Gegen das ihm am 14. Januar 2014 zugestellten Urteil der Kläger am 27. Januar 2014 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er hat abermals Einwendungen gegen das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten erhoben. Ferner hat er eine schleichende Verschlechterung der Symptomatik vorgetragen. Er hat Fotos über beide Beine, aufgenommen am 27. Juni 2013, vorgelegt. Im weiteren Verlaufe hat er geltend gemacht: Neu hinzugetreten sei ein Treppensturz im Juli 2013 mit Verletzung des linken Unterarms.

20

Der Kläger beantragt,

21

das Urteil des Sozialgerichts vom 8. November 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 26. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2011 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm ab 1. Juli 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Auch die im Berufungsverfahren eingeholten weiteren Befundberichte führten nicht zu einer abweichenden Einschätzung des Leistungsvermögens.

25

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. H. hat im Befundbericht vom 13. Mai 2014 über eine letztmalige Behandlung des Klägers am 29. Juli 2013 bei seiner Urlaubsvertretung wegen einer Verletzung des linken Arms berichtet. Anamnestisch sei eine mögliche Gehstrecke von 500 m zu Fuß angegeben worden. Nach den ihm vorliegenden Befunden sei die Armwunde gut abgeheilt. Nach dem Befundbericht des Dr. B. vom 2. September 2014 komme der Kläger alle zwei Wochen wegen der Kontrolle der Quickwerte zur Sprechstunde. Eine körperliche Untersuchung habe nicht stattgefunden. 2011 sei im Rahmen einer gutachterlichen Auswertung ein Verschlechterungsnachweis erfolgt. Der Zustand im Bereich der Beine scheine seit Jahren stabil.

26

Der Senat hat ferner die Verwaltungsakten der VBG beigezogen. Auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers aus dem Jahr 2007 hatte diese das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. W. vom 19. Juni 2008 eingeholt. Die schmerzfreie Gehstrecke sei vom Kläger mit 200 bis 300 m angegeben worden. Dieser habe das Untersuchungszimmer im Rollstuhl aufgesucht, was nicht plausibel sei. Nach Abnahme der Kompressionsstrümpfe habe sich eine mäßige Unterschenkelschwellung gezeigt. Passiv bestünden nur endgradige Einschränkungen der oberen und unteren Sprung- sowie der Zehengelenke. Wegen der aktiv nur möglichen Wackelbewegungen sei ebenfalls ein Aggravationsverhalten zu vermuten. Als Unfallfolgen bestünden ein postthrombotisches Syndrom, Stadium III rechts und Stadium lI links, sowie eine Falithromeinnahme. Die Gesamt-MdE sei nach Rücksprache mit dem angiologischen Zusatzgutachter unverändert mit 20 % einzuschätzen (rechtes Bein 20 %, linkes Bein 10 %). Nach dem angiologischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. B. vom 3. April 2008 hatte der Kläger eine Gehstrecke von 500 m angegeben. Nach Abnehmen der Kompressionsstrümpfe beidseits seien keine Ödeme sichtbar gewesen. Die Beinumfange (Oberschenkel 57,5/57 cm, 50/50 cm, Unterschenkel 38/39 cm, 41/39,5 cm, 31/30,5 cm) wurden gemessen. Eine Venenverschlussplethysmographie wurde durchgeführt (venöse Kapazität: rechts 2,6 ml/100 ml Gewebe, links 3,2 ml/100 ml Gewebe; venöser Ausstrom: rechts 24,3 ml/100 ml Gewebe/min, links 35,5 ml/100 ml Gewebe/min). Der Befund dürfte mit einer rechtsseitig fortbestehenden vermehrten Thrombotisierung der tiefen Beinvenen und linksseitig einer verbesserten Rekanalisierung vereinbar sein.

27

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie der VBG haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

28

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 26. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Er hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2010 hinaus. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

29

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

30

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat auch, wer auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, unter den Voraussetzungen einer sog. Arbeitsmarktrente (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R).

1.

31

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in dem zu beurteilenden Zeitraum seit Juli 2010 bis heute weder teilweise noch voll erwerbsgemindert ist. Er war und ist noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte sowie geistig durchschnittlich schwierige Tätigkeiten im selbst gewählten Positionswechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, in geschlossenen Räumen oder unter Witterungsschutz, auch an laufenden Maschinen, unter erheblichem Zeitdruck oder mit festgelegtem Rhythmus zu verrichten. Zu vermeiden sind Tätigkeiten in Wärme und Kälte, mit Verletzungsgefahr, mit häufigem Besteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie mit schweren Beanspruchungen der Beine beidseits.

a.

32

Insoweit folgt der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachterin des SMD, der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. L. sowie dem vom Sozialgericht bestellten Gutachter Prof. Dr. B.

33

Danach liegen bei dem Kläger seit Juli 2010 folgende Gesundheitsstörungen vor, die sein Leistungsvermögen im Erwerbsleben beeinflussen:

34

Zustand nach beidseitiger Mehretagenthrombose und Lungenembolie beidseits 1998 und 1999 mit mittlerweile rekanalisierter Thrombose beidseits.

35

Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz mit Klappenveneninsuffizienzen der oberflächlichen und tiefen Venen des Unterschenkels beidseits.

36

postthrombotisches Syndrom mit eingeschränkter venöser Kapazität links, jeweils Stadium II nach Widmer.

37

mittelgradige Obstruktion der Lungenfunktion.

38

Verdacht auf arterielle Hypertonie.

39

Hyperlipoproteinämie.

40

Adipositas.

41

Beweglichkeitseinschränkung beider oberen und unteren Sprunggelenke bei Arthrose des Großzehengrundgelenks links.

b.

42

Auf das Gutachten des Prof. Dr. P. vom 7. Mai 2007 kann die Beurteilung des Leistungsvermögens ab Juli 2010 nicht gestützt werden. Denn zur Überzeugung des Senats hat sich der Gesundheitszustand des Klägers im Bereich der unteren Extremitäten nicht verschlechtert, sondern seit 2007 sogar leicht verbessert.

43

Während Prof. Dr. P. noch ein postthrombotischen Syndrom rechts Stadium III und links Stadium II diagnostiziert hatte, hat der vom Sozialgericht bestellte Gutachter Prof. Dr. B. nur noch einen Zustand Stadium II beidseits feststellen können. Dieser hat nach Durchführung der apparativen Diagnostik eine weitgehende Rekanalisierung des postthrombotischen Syndrom beidseits beschrieben. Nach der Venenverschlussplethysmographie ist lediglich noch die venöse Kapazität links vermindert, rechts liegt sie sogar im Normbereich. Auch die Duplexsonographie der Beinvenen beidseits hat keine großen Insuffizienzen mehr gezeigt. Insoweit ist eine deutliche Verbesserung der Durchblutungszustände im Bereich der unteren Extremitäten eingetreten.

44

Die Entwicklung einer seit 2007 leichten, aber kontinuierlichen Verbesserung des Gesundheitszustands wird bestätigt durch einen Vergleich der beiden Gutachten von Prof. Dr. B. vom 3. April 2008 für die VBG und vom 8. April 2013 für das Sozialgericht. Schon die Angaben des Klägers zum Gehvermögen weisen auf eine Verbesserung hin (500 m bzw. 800 bis 1000 m). Vor allem aber die Ergebnisse der Venenverschlussplethysmographien zeigen, dass sich die Funktion der tiefen Beinvenen im Sinn einer Kanalisation seit 2008 weiter verbessert hat (2008: venöse Kapazität: rechts 2,6 ml/100 ml Gewebe, links 3,2 ml/100 ml Gewebe; venöser Ausstrom: rechts 24,3 ml/100 ml Gewebe/min, links 35,5 ml/100 ml Gewebe/min; 2013: venöse Kapazität: rechts 3,5 ml/100 ml Gewebe, links 1,7 ml/100 ml Gewebe; venöser Ausstrom: rechts 36,5 ml/100 ml Gewebe/min, links 44,5 ml/100 ml Gewebe/min). Dem entsprechend hatte der Gutachter im Jahr 2008 noch ein postthrombotisches Syndrom, Stadium III. Grades rechts und Stadium lI. Grades links und im Jahr 2013 ein postthrombotisches Syndrom II. Grades beidseits diagnostiziert. Der Verschlimmerungsantrag aus dem Jahr 2008 war ohne Erfolg geblieben. Zu einer höheren Unfallrente ist es in der Folge nach Angaben des Klägers auch nicht gekommen. Nach seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung habe die VBG seinen Verschlimmerungsantrag gar nicht beschieden. Wäre der Kläger der festen subjektiven Überzeugung, dass sein Gesundheitszustand sich wesentlich verschlechtert habe, hätte er zur Überzeugung des Senats bei der VBG längst auf den Erlass eines Bescheids gedrängt.

45

Die gegenüber 2007 eingetretene Verbesserung zeigt sich auch an den Beobachtungen der Gutachter anlässlich der Untersuchung des Klägers. Im Gegensatz zur Befunderhebung von Prof. Dr. P. sind anlässlich der Untersuchungen durch Dipl.-Med. L. im Jahr 2010 sowie Prof. Dr. B. in den Jahren 2008 und 2013 keine Zeichen von Unterschenkelödemen nach Ablegen der Kompressionsstrümpfe sichtbar gewesen.

46

Aus diesem Grund misst der Senat auch der Überlegung von Prof. Dr. P., die eingeschränkte Beweglichkeit der Sprunggelenke sei von maßgeblicher Bedeutung für den gestörten Venenrückfluss, keine Bedeutung für das sozialmedizinische Leistungsvermögen zu. Denn insoweit haben die jüngeren Untersuchungsbefunde bestätigt, dass eine Beeinflussung im Sinn einer Verschlechterung des Venenleidens nicht eingetreten ist.

c.

47

Die vielfachen Einwände des Klägers gegen die Umstände der Begutachtung bei Prof. Dr. B. sowie das Gutachten selbst sind nicht geeignet, den Senat von der Unrichtigkeit der Einschätzungen des Sachverständigen zu überzeugen.

48

Soweit der Kläger meint, das festgestellte Leistungsbild bewege sich im "äußersten Grenzbereich seiner Möglichkeiten auf Dauer", bestätigt dies im Kern die gutachterliche Einschätzung. Denn dessen Aufgabe ist es, das - ohne unzumutbare Beschwerden und Schmerzen - mögliche Leistungsvermögen zu ermitteln.

49

Zu Recht hat das Sozialgericht das Gutachten für verwertbar gehalten, da der Gutachter Prof. Dr. B. selbst den Kläger gesehen und exploriert hat. Unschädlich ist, dass er Zusatzuntersuchungen und die apparative Diagnostik durch Mitarbeiter durchführen hat lassen. Entscheidend ist, dass der Gutachter die Ermittlungsergebnisse würdigt, die erhobenen Daten und Befunde nachvollzieht und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt. Nicht notwendig ist eine zwingend selbst durchzuführende körperliche Untersuchung (BSG, Beschluss vom 17. November 2006, B 6 U 58/05 B). Der Senat hat daher wie das Sozialgericht keine Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens nach den genannten Grundsätzen.

50

Die Behauptung von Luftproblemen/Brustschmerzen bereits ab einer Gehstrecke von 100 m ist nicht plausibel. Zwar hat der Gutachter eine mittelgradige obstruktive Einschränkung der Lungenfunktion aufgrund langjährigen Nikotinabusus festgestellt. Zeichen einer Herzkreislaufinsuffizienz hat er aber im Rahmen der Begutachtung nicht erkennen können. Der Kläger ist auch wegen Atemwegserkrankungen nicht in ärztlicher Behandlung.

51

Die von dem Gutachter Prof. Dr. B. gemessenen Beinumfänge widersprechen auch nicht seiner Feststellung, dass nur eine leichte Beinumfangszunahme gegenüber 2008 ohne relevante Seitenumfangsdifferenz vorliege. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger insgesamt seit 2008 erheblich an Gewicht zugelegt hat (Gutachten vom 19. Juni 2008: 94 kg, Gutachten vom 8. April 2013: 103 kg). Allein dieser Umstand erklärt die insgesamt höheren, aber doch gleichmäßigen Umfangsmaße im Bereich der Beine.

52

Die Behauptung einer unvollständigen apparativen Diagnostik mittels Duplexsonographie, nämlich lediglich im Bereich der Oberschenkel, ist unrichtig. Das Gutachten von Prof. Dr. B. dokumentiert den Status der Venen des oberen und des unteren Beinbereichs.

53

Unerheblich für den Senat ist, ob der Gutachter zu Unrecht davon ausgegangen sein sollte, der Kläger sei selbstständig mit dem Auto zur Untersuchung gefahren. Denn dies änderte nichts an der Einschätzung der ihm aus medizinischen Gründen zuzumutenden Gehstrecke. Außerdem hat der Kläger selbst mehrfach eingeräumt, kurze Strecken selbst mit dem PKW zurückzulegen.

d.

54

Darüber hinaus erweisen sich die Darstellungen des Klägers über die eingeschränkte körperliche Funktionsfähigkeit teilweise nicht als glaubhaft. Soweit er mehrfach behauptet hat, seit Jahren Tag und Nacht Kompressionsstrümpfe tragen zu müssen, widerspricht dies den Beobachtungen von Dipl.-Med. L. anlässlich ihrer Begutachtung am 2. Juli 2010. Denn sie hat eine Bräunung beider Oberschenkel bis unterhalb der Kniegelenke beschrieben. Dies wäre - selbst in den Sommermonaten - nicht zu erwarten, wenn ganztägig Kompressionsstrümpfe getragen würden. Mehrfach haben Gutachter Hinweise auf eine übertriebene Darstellung der Beschwerdebilder im Sinne einer Aggravation gefunden. Schon der orthopädische Gutachter Dr. B. hatte im Gutachten vom 8. November 2004 auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geklagten Beschwerden und den relativ dürftigen objektiven Befunden hingewiesen. Auch hatte Prof. Dr. W. mitgeteilt, dass es für das Aufsuchen des Untersuchungszimmers mittels Rollstuhl keine plausiblen Gründe gegeben habe. Das gleiche gilt für seinen Hinweis auf die Diskrepanz zwischen den passiv nur endgradigen, aktiv aber massiven Einschränkungen der Beweglichkeit der Sprunggelenke beidseits. Dipl.-Med. L. wies im Rahmen ihrer Untersuchung ebenfalls auf eine deutliche Beschwerdefixierung hin. Für den Abbruch des absolvierten Gehtests nach 80 m und 3:22 min wegen subjektiver Schmerzzustände fand sich kein objektiver Befund.

e.

55

Der Gesundheitszustand des Klägers hat sich auch nach der letzten Begutachtung durch Prof. Dr. B. im Jahr 2013 nicht wesentlich und dauerhaft verschlechtert. Der Senat hatte daher keinen Anlass, eine weitere Beweiserhebung durchzuführen. Hinzugetreten ist lediglich eine Armverletzung nach einem Sturz Mitte 2013, die nach Mitteilung des behandelnden Internisten Dr. H. im Befundbericht vom 13. Mai 2014 gut abgeheilt ist. Auch Dr. B., bei dem der Kläger alle zwei Wochen wegen der Quick-Werte vorstellig ist, hat im Befundbericht vom 2. September 2014 keine Verschlechterung des Gesundheitszustands feststellen können. Vielmehr hat er einen seit Jahren stabilen Zustand im Bereich der Beine beschrieben. Der Kläger selbst hat nach dem Jahr 2008 bei der VBG keinen Verschlimmerungsantrag mehr gestellt. Dies weist darauf hin, dass es auch nach seiner Einschätzung nicht zu einer Verschlechterung gekommen ist.

56

Im Ergebnis der Beurteilungen ergibt sich das eingangs geschilderte Leistungsbild. Mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich ist der Kläger aber weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1, Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

2.

57

Der Kläger ist auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil er trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könnte.

a.

58

Es liegt keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Das Restleistungsvermögen des Klägers reicht nämlich noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R).

b.

59

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R).

a.a.

60

Für die Durchführung einer leidensgerechten Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ist es nicht erforderlich, betriebsunübliche Pausen in Anspruch zu nehmen.

61

Soweit Prof. Dr. B. während einer sechsstündigen Arbeitszeit mehrmalige Pausen von fünf Minuten zur Erholung als angemessen angesehen hat, reichen der gesetzliche Arbeitspausenanspruch und die üblichen Verteilzeiten aus. Denn auch am Arbeitsplatz selbst können kurzzeitige Entspannungsphasen - etwa zur empfohlenen Aktivierung der Venentätigkeit - in Anspruch genommen werden

62

Nach § 4 Satz 1 Arbeitszeitgesetz besteht ein gesetzlicher Arbeitspausenanspruch von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden.

63

Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. März 1989, 6 AZR 326/86, in EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung Nr. 11; vom 27. April 2000, 6 AZR 861/98, in NZA 2001, 274). In der Personalbedarfsberechnung in Wirtschaft und Verwaltung werden persönliche Verteilzeiten veranschlagt. Es handelt sich um Zeitanteile, die nicht für den Arbeitsprozess selbst verwendet, aber dennoch als Arbeitszeit gerechnet werden (z.B. für persönliche Verrichtungen, Toilettengänge, Erholungs- und Entspannungszeiten außerhalb der Pausen, vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 7. Auflage, S. 678; LSG Sachsen-Anhalt, L 3 R 136/10, Urteil vom 27. Februar 2013, Sächsisches LSG, Urteil vom 8. Juli 2014, L 5 R 830/12; Bayerisches LSG, Urteil vom 25. Mai 2009).

64

Beispielsweise ist in § 10 des Lohnrahmentarifvertrags des Unternehmerverbands Metall Baden-Württemberg, Bereiche Feinwerktechnik und Metallbau und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg vom 16. Mai 2014 über die o.g. gesetzlichen Pausen hinaus eine Erholungszeit von mindestens fünf Minuten in der Stunde sowie ferner eine Zeit für persönliche Bedürfnisse von nicht weniger als drei Minuten in der Stunde vorgesehen.

65

Der Kläger könnte die vom Gutachter empfohlenen fünf Minuten Pause pro Stunde im Rahmen der gesetzlichen Pausenregelung und/oder der üblicherweise zustehenden persönlichen Erholungs- oder persönliche Verteilzeiten nehmen. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob das vorgeschlagene Pausenregime auch medizinisch erforderlich, oder ob es nur empfohlen ist.

b.b.

66

Schließlich ist der Kläger auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit ist zwar eingeschränkt; er kann aber viermal arbeitstäglich mindestens 500 Meter am Stück ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 min zurücklegen.

67

Seine widersprüchlichen Angaben zu einer Gehstrecke von z.T. längstens 100 m oder 200 bis 300 m erachtet der Senat als Schutzbehauptung. Schon die Angabe einer Gehstrecke von längstens 100 m gegenüber dem Gutachter Dr. B. im Jahr 2004 widerspricht seinen Schilderungen gegenüber Dr. B. im Rahmen eines Rentengutachtens im gleichen Jahr. Dort hatte er angegeben, insgesamt eine Stunde in beschränktem Maße mobil zu sein. Gegenüber der Gutachterin Dipl.-Med. L. gab er wiederum an, der Spaziergang "ums Haus" dauere eine halbe Stunde. Bei Prof. Dr. B. hat er eine Gehstrecke von 800 bis 1000 m geschildert. Außerdem hat der Kläger gegenüber dem behandelnden Internisten Dr. H. anamnestisch angegeben, er könne Gehstrecken von 500 m zurücklegen. Der Senat folgt daher der Einschätzung der Gutachter Dipl.-Med. L. und Prof. Dr. B., wonach der Kläger über 500 m täglich ohne unzumutbare Schmerzen und Beschwerden in jeweils weniger als 20 min zurücklegen kann.

68

Darüber hinaus wäre er in der Lage, bei Vorliegen einer eingeschränkten Gehfähigkeit den vorhandenen eigenen PKW zur Erreichung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Betriebs zu nutzen.

II.

69

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.