Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 23. Mai 2017 - L 5 KR 6/15

ECLI:ECLI:DE:LSGSH:2017:0523.L5KR6.15.0A
23.05.2017

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. Oktober 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2012 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten für die durchgeführte Brustangleichungsoperation in Höhe von 2.772,66 EUR zu erstatten.

Die weitere Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenerstattung für eine Brustangleichungsoperation.

2

Die 1997 geborene Klägerin ist im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten krankenversichert. Am 20. September 2011 beantragte sie die Übernahme der Kosten für eine angleichende Mammareduktionsplastik unter Vorlage eines Berichtes des Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie Dr. P..., in dem eine angeborene Brustfehlbildung mit Anisomastie und tubulärer Form beschrieben wird. Die Klägerin habe seit der Pubertät eine immer weiter zunehmende Mamma-Asymmetrie zugunsten der rechten Seite entwickelt. Die rechte Brust wiege 850 g, die linke 80 g. Empfohlen wurde eine Brustkorrektur beidseits zur Formkorrektur und Symmetrieschaffung.

3

Die Beklagte holte zur Überprüfung der medizinischen Operationsindikation ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nord ein. Der Gutachter Dr. M... sah die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht als erfüllt an.

4

Mit Bescheid vom 2. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und das MDK-Gutachten ab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 17. Januar 2012 Widerspruch ein. Am 7. Juni 2012 reichte sie eine Rechnung der Dres. B... und P... über 3.640,00 EUR für eine am 2. April 2012 durchgeführte Angleichungsoperation zur Akte. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2012 zurück.

5

Daraufhin hat die Klägerin am 8. August 2012 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben, mit der sie die Erstattung von insgesamt 4.420,00 EUR geltend gemacht hat. Sie hat eine Quittung des behandelnden Anästhesisten Braun über 780,00 EUR zur Akte gereicht.

6

In einem persönlich gehaltenen Schreiben an das Sozialgericht hat die Klägerin ausgeführt:

7

„Als ich 12 war fingen meine Brüste an zu wachsen. Zuerst sah alles ganz normal aus doch nach einer Zeit hörte meine linke Brust auf zu wachsen und die rechte wurde immer größer. Ich fühlte mich immer unwohler in meiner Haut. Im Sportunterricht hatte ich deshalb viele Fehlstunden und mein sozialer Umgang wurde Tag für Tag weniger. Nach einer Zeit haben meine Mitschüler und andere Freunde gemerkt das meine Brüste unterschiedlich groß sind. Viele haben mit den Finger auf mich gezeigt, mich ausgelacht, haben mich immer öfters als hässlich, Krüppel, Mistgeburt und Fehler der Natur genannt sowie andere schlimme Beleidigung und das ging so lange bis sie auch später anfingen auf mich einzuprügeln. Die Mauer die ich schon lange um mich gebaut hatte wurde immer größer sodass keiner mehr an mich rankam. Der ganze Druck der auf mir saß wurde so belastbar das ich mit dem Ritzen anfing. Jede weitere Narbe wurde tiefer und größer. Als ich selbst dem Schmerz vom Ritzen nicht mehr gefühlt hatte begann ich Angst davor zu haben zu sterben doch am Ritzen hat es auch nichts geändert. Der Alkohol hat nicht lange auf sich warten lassen und ich verlor die Kontrolle immer weiter über mich. Statt 1, 2 Bierchen wurden 1 – 2 Wodka Flaschen draus, doch meiner Mutter hatte ich das nie erzählt. Ich habe mich immer wieder gefragt warum mit sowas passieren muss. Und die Schulbesuche wurden auch immer weniger. Mein Selbstvertrauen wurde immer weniger und öfters habe ich geweint, weil ich das Gefühl hatte ein nichts zu sein. Danach habe ich mein damaligen Ex-Freund kennengelernt. Er hat mich dazu gezwungen mich auszuziehen um Bilder von meinen Brüsten zu machen und sie dann rumzuzeigen. Ich habe mich immer öfters vor Menschen versteckt, aus Angst sie haben die Bilder gesehen oder sie würden es so sehen. Zu dieser Zeit habe ich oft dadrüber nach gedacht von einer Brücke zu springen oder einfach nur zu sterben. Das alles hat mich so gequält und krank gemacht das ich nicht mehr konnte und alles meiner Mutter anvertraut habe. In dieser Zeit habe ich mit meiner Mutter geleidet und viel geredet sie will ja nur das beste für mich. Wir haben dadrüber nachgedacht das ich eine OP bekomme, nach langem gewarte und kämpfen war die Hoffnung da sie zu bekommen um endlich vielleicht ein leichteres Leben zu führen. Als ich ein OP Termin bekam und die OP schließlich bevor stand war ich nervös und hatte natürlich auch Angst vor der OP. Aber auch froh das, dass wofür ich und meine Mutter die ganze Zeit gekämpft haben endlich war wurde. Nach meiner OP habe ich viel an mir gearbeitet um mein Leben in den grif zu kriegen. Habe langsam aber sicher versucht mein Selbstvertrauen wieder aufzubauen, rauszugehen ohne Angst zu haben sich zu zeigen. Meine Familie und mein jetziger Freund haben mich in dieser Zeit sehr unterstützt. Und durch all das wieder dass Gefühl zu haben stark zu sein. Und durch diese Unterstützung habe ich es geschafft die Alkoholsucht sowie das Ritzen zu besiegen. Die Narben werder zwar immer bleiben aber heute kann ich stolz auf mich sein das alles durchgestanden zu haben. Denn heute kann ich sagen das ich eine Zukunft habe, die ich damals nicht mal in mein Träumen hatte. Und ich bin dankbar dafür ein normales Leben führen kann.“

8

Die Klägerin hat beantragt,

9

den Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die entstandenen Kosten für eine angleichende Mammareduktionsplastik in Höhe von insgesamt 4.420,00 EUR zu erstatten.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte des UKSH, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, des Brustzentrums Kiel-Mitte und der Praxisklinik C... eingeholt und darüber hinaus Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. A...

13

Mit Urteil vom 10. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine körperliche Fehlfunktion der Brust der Klägerin nicht vorliege. Zwar habe vor der Operation eine erhebliche Differenz der Brustdrüsengröße bestanden. Dies habe jedoch zu keinen weiteren Gesundheitsstörungen, insbesondere nicht auf orthopädischem Fachgebiet, geführt. Da somit die Erstattung der Kosten für einen operativen Eingriff in ein eigentlich gesundes Organ gewünscht werde, seien an die Notwendigkeit besonders strenge Anforderungen zu stellen. Denn die Krankenbehandlung habe grundsätzlich unmittelbar an dem erkrankten Organ anzusetzen. Die Durchführung einer Operation zu Behebung psychischer Störungen sei grundsätzlich vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen, aber auch im Hinblick auf die allgemeinen Operationsrisiken nicht gerechtfertigt. Gegebenenfalls sei in einem solchen Fall eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung indiziert. Bei der Klägerin liege auch keine Entstellung vor, die für sich gesehen ausnahmsweise eine Operationsindikation darstellen könnte. Um eine Entstellung annehmen zu können, genüge nicht jede körperlich Anormalität. Vielmehr müsse es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln. Eine Asymmetrie der Brüste könne nicht als entstellend angesehen werden, zumal sie im bekleideten Zustand kaschiert werden könne.

14

Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. Dezember 2014 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 15. Januar 2015 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung verweist die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, dass die ursprünglich vorhandene Asymmetrie der Brust erheblich entstellenden Charakter gehabt hätte. Der erhebliche Größenunterschied der Brüste sei auch unter Alltagskleidung erkennbar gewesen.

15

Die Klägerin beantragt,

16

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. Oktober 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die durchgeführte Brustangleichungsoperation in Höhe von 4.420,00 EUR zu erstatten.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Bei der Beurteilung, ob eine Entstellung vorliege, komme es auf den bekleideten Zustand an. Ein Kaschieren der Asymmetrie sei unter Alltagskleidung möglich gewesen.

20

Da die Klägerin vor der Operation keine psychiatrische Behandlung in Anspruch genommen habe, sei kein Befund auf diesem Fachgebiet dokumentiert worden, so dass heute nach über fünf Jahren keine sichere psychiatrische Diagnose gestellt werden könne. Es sei nicht sicher, dass die heutigen Angaben der Klägerin dem tatsächlichen damaligen psychiatrischen Zustand entsprechen würden, vollständig und nicht verzerrt seien. Die Klägerin sei damals in der Pubertät gewesen. Eine kritische, teilweise auch überkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper gehöre zu dieser Lebensphase dazu. Ebenso seien Hänseleien unter Jugendlichen in dieser Zeit nicht selten. Mit Abklingen der Pubertät sei eine Besserung der psychischen Situation möglich. Eine Psychotherapie bei der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt sei nicht von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg gewesen.

21

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ba... aus Hamburg vom 9. Mai 2017, das dieser in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2017 erläutert hat.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

23

Die insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist auch im Wesentlichen begründet.

24

Die von der Klägerin angefochtenen Bescheide der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie sind daher aufzuheben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführte brustangleichende Operation, der lediglich hinsichtlich der Höhe der Kostenerstattung nicht in vollem Umfang begründet ist.

25

Nach § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V sind Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich Versicherte deshalb die Leistung selbst beschaffen. Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungsgrundsatzes (§ 2 Abs. 2 SGB V) trägt § 13 Abs. 3 SGB V dem Umstand Rechnung, dass die gesetzlichen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen müssen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und infolgedessen für ein Versagen des Beschaffungssystems – sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels – einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht sind (vgl. Bundessozialgericht in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 m.w.N.). Die hier erbrachte streitige Behandlung konnte die Klägerin als Dienst- und Sachleistung in Anspruch nehmen. Sie war auch wegen einer Krankheit im Sinne des SGB V notwendig.

26

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R, m.w.N. in juris). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt sind oder dass sie an einer Abweichung vom Regelfall leiden, die entstellend wirkt (vgl. Bundessozialgericht ebenda). Die Klägerin war durch die Asymmetrie der Brüste in ihren Körperfunktionen (Psyche) mittelbar beeinträchtigt. Die Asymmetrie der Brüste wirkt auch entstellend.

27

Zu der Frage, ob eine psychiatrische Erkrankung einen operativen Eingriff an gesunden Brüsten auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen kann, hat das Bundessozialgericht in mehreren Entscheidungen grundsätzlich Stellung genommen. Das BSG verneint in seiner Rechtsprechung einen Anspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden. Damit wertet sie Operationen am krankenversicherungsrechtlich betrachtet gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, nicht als Behandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V und weist derartige Maßnahmen der Eigenverantwortung des Versicherten zu. Operationen am gesunden Körper bedürfen gerade wegen der mit ihnen verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines einzig einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll. Eine solche Rechtfertigung hat das BSG für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen verneint. Selbst wenn ein Versicherter hochgradig akute Suizidgefahr geltend macht, kann er regelmäßig lediglich eine spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie beanspruchen, nicht aber Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Die Rechtsprechung des BSG beruht in der Sache vor allem auf den Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose sowie darauf, dass Eingriffe in den gesunden Körper zur mittelbaren Beeinflussung eines psychischen Leidens mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken besonderer Rechtfertigung bedürfen (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R). In einem weiteren Urteil vom 8. März 2016 (B 1 KR 35/15 R) hat das Bundessozialgericht ausdrücklich an dieser Rechtsauffassung festgehalten. Das Bundessozialgericht hat allerdings auch ausgeführt, dass diese Grundsätze nur so lange gelten, wie medizinische Kenntnisse zumindest Zweifel an der Erfolgsaussicht von Operationen zur Überwindung einer psychischen Krankheit begründen (oben genanntes Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Februar 2008).

28

Im Falle der Klägerin hat der Senat (bei der gebotenen ex ante-Betrachtung) keine Zweifel an der Erfolgsaussicht der streitigen Operation zur Überwindung der psychiatrischen Erkrankung der Klägerin. Die Erkrankung hat sich im klaren kausalen Zusammenhang als Reaktion auf das unterschiedliche Wachstum der Brüste in der Pubertät bei der vorher psychiatrisch gesunden Klägerin herausgebildet. Bei der damals 15-jährigen Klägerin lag vor der streitigen Operation eine schwere psychiatrische Störung mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensgestaltung vor, die gekennzeichnet war durch Schwänzen des Schulunterrichts, Rückzug aus der Gemeinschaft, Selbstverletzung des Körpers und übermäßiges Trinken von Alkohol. Es zeichnete sich eine bedrohliche depressive Belastungsstörung ab, wobei binnen kurzem mit einer schweren Persönlichkeitsentgleisung hätte gerechnet werden müssen. Im Hinblick auf die glaubhaften Schilderungen der Klägerin konnte der medizinische Sachverständige Dr. Ba... aufgrund seiner Erfahrung als Arzt für Neurologie und Psychiatrie diese Diagnose nach persönlicher Befragung der Klägerin überzeugend stellen, obwohl ärztliche Befundunterlagen aus dem strittigen Zeitraum nicht vorhanden sind. Dass die Klägerin sich seinerzeit nicht in Behandlung begeben hat, gehörte zu ihrem Krankheitsbild. Hinsichtlich der Therapie der psychiatrischen Erkrankung war allein die Brustangleichungsoperation erfolgversprechend, da nur sie die Ursache der Erkrankung berücksichtigte. Hier hätte allenfalls begleitend bis zu einem Operationstermin eine überbrückende Psychotherapie hilfreich sein können. Vor diesem Hintergrund ist die durchgeführte Operation als „Ultima Ratio“ der Behandlungsmöglichkeiten anzusehen. Wegen der alleinigen Ursächlichkeit in der Asymmetrie der Brust bestand auch die sichere Annahme, dass die Therapie zum Erfolg führen wird. Jedenfalls gab es keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme einer negativen Prognose hinsichtlich dieser Therapie. Es bestand zum damaligen Zeitpunkt auch die Notwendigkeit, schnell zu handeln, da sich die Klägerin wegen der Pubertät in einer rasanten Umbruchphase befand und so ein Hinauszögern der Operation irreversible Schäden hätte verursachen können. Gerade in dieser Phase der Pubertät besteht bei Menschen eine hohe Vulnerabilität Diese Bewertung des medizinischen Sachverhalts des Senats gründet sich auf das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ba..., dass dieser in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert hat.

29

Unabhängig von den vorgenannten Gründen ist der Anspruch der Klägerin auch deshalb gegeben, weil die Asymmetrie ihrer Brüste entstellend wirkt.

30

Für die Annahme einer Entstellung genügt nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Betrachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Die Feststellung, dass im Einzelfall eine Versicherte wegen einer körperliche Anomalität an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage (vgl. Bundessozialgericht, oben genanntes Urteil vom 28. Februar 2008). Dabei stellt die Rechtsprechung zwar grundsätzlich zu Recht auf den bekleideten Körper ab (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006, L 5 KR 65/05; Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2017, L 6 KR 123/13, beide in juris – anderer Ansicht Knispel SGb 2016, 632). Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Senats jedoch nicht uneingeschränkt auf eine Jugendliche zu übertragen. Zur körperlichen und geistigen Entwicklung einer Jugendlichen, sowie zum Leben in der Gemeinschaft mit Gleichaltrigen gehört die Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht mit gemeinsamem Umziehen in den Umkleideräumen. Ebenso ist das Sexualleben betroffen. Denn in diesen wichtigen Lebensbereichen kann das körperliche Erscheinungsbild der asymmetrischen Brüste nicht durch Kleidung verborgen werden. Es wird dadurch allgemein bekannt und prägt sich in der Gemeinschaft ein.

31

Hier kommt auch der Rechtsgedanke, den das Bundessozialgericht zur Hilfsmittelversorgung bei Jugendlichen entwickelt hat (vgl. Urteil vom 16. April 1998, B 3 KR 9/97 R), zum Tragen, der auf die besonderen Grundbedürfnisse von Jugendlichen in der Entwicklungsphase abstellt und die Notwendigkeit der Integration im Kreise Gleichaltriger hervorhebt. Deshalb stellt der Senat bei Jugendlichen nicht ausschließlich auf den bekleideten Zustand ab. Im unbekleideten Zustand handelt es sich bei der Klägerin um eine objektiv erhebliche Auffälligkeit im oben genannten Sinne, die aufgrund der Reaktionen hierauf zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen wird. Diese Schwelle zum Rückzug aus der Gemeinschaft hatte die Klägerin durch ihr Verhalten bereits deutlich überschritten.

32

Der Anspruch der Klägerin ist jedoch nur in Höhe von 2.772,66 EUR begründet. Sie macht Kosten in Höhe von 4.420,00 EUR geltend und stützt sich auf die Rechnung der Praxisklinik C... vom 16. Mai 2012 und auf eine Quittung des Anästhesisten vom 2. April 2012. Eine Rechnung des Anästhesisten konnte die Klägerin auch auf ausdrückliche Nachfrage des Senats nicht vorlegen. Die Rechnung der Praxisklinik C... geht in einigen GOÄ-Ziffern über das 2,3-Fache hinaus, ohne hierfür eine Begründung zu nennen.

33

Gemäß § 5 Abs. 3 GOÄ kann der mehr als 2,3-fache Steigerungssatz nur verlangt werden, wenn besondere Schwierigkeiten der Behandlung dies rechtfertigen. Erforderlich ist dann eine verständliche und nachvollziehbare Begründung gemäß § 12 Abs. 3 GOÄ. Wenn es hieran fehlt, sind die entsprechenden Rechnungspositionen auf den 2,3-fachen Satz zu kürzen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 11. März 1998, 5 U 47/96). Eine Kürzung dieser GOÄ-Ziffern auf das 2,3-Fache ergibt einen Rechnungsbetrag von insgesamt 2.772,66 EUR. Nur in Höhe dieses Betrags hat die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Kostenerstattung, da Kosten für die Anästhesie ohne Vorlage einer Rechnung keine Berücksichtigung finden können.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

35

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 13 Kostenerstattung


(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht. (2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 2 Leistungen


(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. B

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 27 Krankenbehandlung


(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt 1. Ärztliche Behandlung einsc

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit


(1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten m

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 76 Freie Arztwahl


(1) Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, de

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 1 Solidarität und Eigenverantwortung


Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenver

Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ 1982 | § 5 Bemessung der Gebühren für Leistungen des Gebührenverzeichnisses


(1) Die Höhe der einzelnen Gebühr bemißt sich, soweit in den Absätzen 3 bis 5 nichts anderes bestimmt ist, nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes. Gebührensatz ist der Betrag, der sich ergibt, wenn die Punktzahl der einzelnen Lei

Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ 1982 | § 12 Fälligkeit und Abrechnung der Vergütung, Rechnung


(1) Die Vergütung wird fällig, wenn dem Zahlungspflichtigen eine dieser Verordnung entsprechende Rechnung erteilt worden ist. (2) Die Rechnung muß insbesondere enthalten: 1. das Datum der Erbringung der Leistung,2. bei Gebühren die Nummer und die

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Bundessozialgericht Urteil, 08. März 2016 - B 1 KR 35/15 R

bei uns veröffentlicht am 08.03.2016

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. September 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

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(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und unter Berücksichtigung von geschlechts-, alters- und behinderungsspezifischen Besonderheiten auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

(1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muß ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muß in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden.

(2) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.

(1) Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2, den nach § 72a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme der Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 1 und 2 Satz 1 richtet sich nach den hierüber abgeschlossenen Verträgen. Die Zahl der Eigeneinrichtungen darf auf Grund vertraglicher Vereinbarung vermehrt werden, wenn die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 Satz 1 erfüllt sind.

(1a) In den Fällen des § 75 Absatz 1a Satz 7 können Versicherte auch zugelassene Krankenhäuser in Anspruch nehmen, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen; dies gilt auch, wenn die Terminservicestelle Versicherte in den Fällen des § 75 Absatz 1a Satz 3 Nummer 3 in eine Notfallambulanz vermittelt. Die Inanspruchnahme umfasst auch weitere auf den Termin folgende notwendige Behandlungen, die dazu dienen, den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen.

(2) Wird ohne zwingenden Grund ein anderer als einer der nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen oder medizinische Versorgungszentren in Anspruch genommen, hat der Versicherte die Mehrkosten zu tragen.

(3) Die Versicherten sollen den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt innerhalb eines Kalendervierteljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln. Der Versicherte wählt einen Hausarzt. Der Arzt hat den Versicherten vorab über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung (§ 73) zu unterrichten; eine Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung hat er auf seinem Praxisschild anzugeben.

(3a) Die Partner der Verträge nach § 82 Abs. 1 haben geeignete Maßnahmen zu vereinbaren, die einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten entgegenwirken und den Informationsaustausch zwischen vor- und nachbehandelnden Ärzten gewährleisten.

(4) Die Übernahme der Behandlung verpflichtet die in Absatz 1 genannten Personen oder Einrichtungen dem Versicherten gegenüber zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts.

(5) Die Versicherten der knappschaftlichen Krankenversicherung können unter den Knappschaftsärzten und den in Absatz 1 genannten Personen und Einrichtungen frei wählen. Die Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. September 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten des Verfahrens sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

2

Die 1984 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an dem Camurati-Engelmann-Syndrom (CES), einer autosomal-dominant vererbten Erkrankung, die durch Ossifikationsstörungen geprägt ist. Das CES wirkte sich bei der Klägerin auch in einer deutlichen Verzögerung der Pubertät aus, weshalb die Ärzte die Klägerin ab dem 20. Lebensjahr mit einem Hormonersatzpräparat behandelten. Gleichwohl kam es zu keiner Brustentwicklung (präpubertäre Brust, Tanner-Stadium B2); lediglich die Mamillen entsprechen denen einer erwachsenen Frau. Die Beklagte lehnte nach gutachtlichen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), die nur eine kosmetische Indikation sahen, die Versorgung der Klägerin mit einer beidseitigen MAP ab (Bescheid vom 24.9.2012, Widerspruchsbescheid vom 24.1.2013). Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einer MAP zu versorgen. Eine vollständig fehlende Brustanlage stelle eine behandlungsbedürftige Krankheit dar, weil das geschlechtstypische Erscheinungsbild der Frau schwer beeinträchtigt sei. Auch gebiete der allgemeine Gleichheitssatz, dass Frauen, bei denen es krankheitsbedingt zu keiner Brustentwicklung komme, nicht anders behandelt werden dürften als Frauen, die eine Brustrekonstruktion nach krebsbedingter Brustamputation (Mastektomie) erhielten. Die Kosten letzterer übernähmen aber die KKn, obwohl die Brustrekonstruktion nicht der Behandlung des Brustkrebses diene. Auch verwiesen die KKn die davon betroffenen Frauen nicht auf eine Psychotherapie anstelle der Brustrekonstruktion (Urteil vom 9.9.2015).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Mit der begehrten MAP würden weder - insoweit nicht vorhandene - körperliche Krankheitsbeschwerden des CES gelindert noch fehlende Körperfunktionen wiederhergestellt oder substituiert. Auch liege keine Entstellung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor. Schließlich handele es sich bei einer Brustrekonstruktion nach vorausgegangener karzinombedingter Mastektomie um einen wesentlich anderen Sachverhalt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum MAP-Anspruch von Mann-zu-Frau-Transsexuellen sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht entsprechend anwendbar.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. September 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, eine beidseitige MAP als Naturalleistung zu gewähren. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen dahingehenden Anspruch.

8

1. Entgegen der Auffassung des SG stellt eine fehlende Brustanlage nicht schon für sich genommen eine behandlungsbedürftige Krankheit dar. Die fehlende Brustanlage ist zwar eine Krankheit (dazu a), eine MAP ist aber keine geeignete Therapie dieser Krankheit (dazu b). Eine behandlungsbedürftige Entstellung liegt nicht vor (dazu c). Die Brustoperation ist auch zur Behandlung einer - vom SG nicht festgestellten - psychischen Erkrankung nicht notwendig (dazu d). Die Klägerin kann schließlich nach dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) iVm § 27 Abs 1 S 1 SGB V keinen Anspruch deswegen für sich herleiten, weil Versicherte nach krankheitsbedingter, namentlich krebsbedingter Mastektomie einen Anspruch auf Brustrekonstruktion haben(dazu e). Die Voraussetzungen, nach denen Mann-zu-Frau-Transsexuelle Anspruch auf Versorgung mit einer MAP haben, sind hier ohnehin nicht erfüllt (dazu f).

9

a) Die Klägerin kann nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 24 RdNr 9; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64, jeweils mwN).

10

Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, RdNr 16; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f). Die Klägerin ist in der Körperfunktion, Stillen zu können, dadurch beeinträchtigt, dass sie über keine Brust mit Drüsengewebe verfügt (vgl BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5).

11

b) Die begehrte Operation dient jedoch nicht dazu, die Funktionsbeeinträchtigung des Stillens zu behandeln. Weder soll die MAP durch fehlendes Drüsengewebe verursachte physiologische Funktionsausfälle beheben noch ist sie dazu objektiv geeignet. Vielmehr soll die MAP lediglich das Erscheinungsbild der Klägerin verändern.

12

c) Das Erscheinungsbild der Klägerin ist nicht behandlungsbedürftig. Die bei der Klägerin vorhandene anatomische Abweichung wirkt nicht entstellend.

13

aa) Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, sodass deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (vgl BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f).

14

Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (vgl BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 14; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6). Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen (vgl BSG SozR 3-3870 § 48 Nr 2 S 5 f). Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung zB das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f) oder eine Wangenatrophie (vgl LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 2.5.2002 - L 5 KR 93/01 - KRS 02.021) oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert (vgl BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1). Dagegen hat der erkennende Senat bei der Fehlanlage eines Hodens eines männlichen Versicherten eine Entstellung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen (vgl BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5) und eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust revisionsrechtlich abgelehnt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6). Die Feststellung, dass im Einzelfall ein Versicherter wegen einer körperlichen Anormalität an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage (vgl BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6; BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1).

15

bb) Nach diesen Maßstäben ergibt sich bei der Klägerin keine Behandlungsbedürftigkeit wegen Entstellung. Allerdings hat das SG ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsauffassung, das vollständige Fehlen der weiblichen Brust sei in jedem Fall eine behandlungsbedürftige Krankheit (ähnlich, aber ebenfalls unzutreffend LSG Hamburg Urteil vom 2.5.2012 - L 1 KR 38/10 - Juris RdNr 23: bei Brustasymmetrie aufgrund eines Poland-Syndroms liege immer eine durch Brustaufbau zu behandelnde Krankheit vor), keine ausdrückliche Feststellung dazu getroffen, dass die Klägerin entstellt ist. Dem Gesamtzusammenhang der den Senat bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angreifbaren Feststellungen (§ 161 Abs 4, § 163 SGG) des SG ist jedoch zu entnehmen, dass bei der Klägerin eine als Entstellung zu bewertende körperliche Auffälligkeit in Alltagssituationen für außenstehende Dritte nicht zu erkennen ist und damit die Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht wird. Das entspricht auch der zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senats.

16

d) Eine mögliche - vom SG im Sinne eines psychischen Leidens nicht festgestellte - psychische Belastung der Klägerin aufgrund ihres Erscheinungsbildes rechtfertigt ebenfalls keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats können psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau nicht begründen (vgl BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 18; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 7 ff). Hieran hält der Senat fest. Nichts anderes ergibt sich, wenn die fehlende Brustanlage zwar - wie hier - auch den Ausfall einer körperlichen Funktion mit sich bringt, durch den Eingriff aber nicht die Funktion wiederhergestellt, sondern nur das äußere, nicht entstellte Erscheinungsbild korrigiert werden soll.

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e) Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich nichts Abweichendes aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) im Hinblick auf Patientinnen, die sich - insbesondere im Rahmen einer Therapie von Brustkrebs - aus kurativen Gründen einer Mastektomie unterziehen und Anspruch auf eine Brustrekonstruktion mittels MAP haben.

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Der Gleichheitssatz ist nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 133, 1 RdNr 44 mwN). So verhält es sich hier nicht. Der Anspruch einer Versicherten auf MAP-Versorgung nach Mastektomie etwa aufgrund eines Mammakarzinoms ist darin begründet, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung durch ärztliches Handeln vorrangig darauf gerichtet ist, Erkrankte unter Wahrung ihrer körperlichen Integrität zu heilen. Wird zur Behandlung in den Körper eingegriffen, ist dieser möglichst - als Teil der einheitlichen ärztlichen Heilbehandlung - wiederherzustellen, sei es mit körpereigenem oder mit körperfremdem Material. Diese Fälle unterscheiden sich grundlegend von Eingriffen in einen nicht behandlungsbedürftigen natürlichen Körperzustand, um das nicht entstellte äußere Erscheinungsbild zu ändern.

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f) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Anspruch auf MAP-Versorgung bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus ist durch die Besonderheiten dieser gesetzlich besonders geregelten Krankheit geprägt und grundsätzlich nicht auf andere Sachverhalte wie den hier vorliegenden oder auch vergleichbare Fälle mit psychischer Erkrankung übertragbar (vgl nur BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 10 ff; offengelassen für die Intersexualität BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 24 RdNr 13).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Höhe der einzelnen Gebühr bemißt sich, soweit in den Absätzen 3 bis 5 nichts anderes bestimmt ist, nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes. Gebührensatz ist der Betrag, der sich ergibt, wenn die Punktzahl der einzelnen Leistung des Gebührenverzeichnisses mit dem Punktwert vervielfacht wird. Der Punktwert beträgt 5,82873 Cent. Bei der Bemessung von Gebühren sind sich ergebende Bruchteile eines Pfennigs unter 0,5 abzurunden und Bruchteile von 0,5 und mehr aufzurunden.

(2) Innerhalb des Gebührenrahmens sind die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Schwierigkeit der einzelnen Leistung kann auch durch die Schwierigkeit des Krankheitsfalles begründet sein; dies gilt nicht für die in Absatz 3 genannten Leistungen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben. In der Regel darf eine Gebühr nur zwischen dem Einfachen und dem 2,3fachen des Gebührensatzes bemessen werden; ein Überschreiten des 2,3fachen des Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien dies rechtfertigen.

(3) Gebühren für die in den Abschnitten A, E und O des Gebührenverzeichnisses genannten Leistungen bemessen sich nach dem Einfachen bis Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes. Absatz 2 Satz 4 gilt mit der Maßgabe, daß an die Stelle des 2,3fachen des Gebührensatzes das 1,8fache des Gebührensatzes tritt.

(4) Gebühren für die Leistung nach Nummer 437 des Gebührenverzeichnisses sowie für die in Abschnitt M des Gebührenverzeichnisses genannten Leistungen bemessen sich nach dem Einfachen bis 1,3fachen des Gebührensatzes. Absatz 2 Satz 4 gilt mit der Maßgabe, daß an die Stelle des 2,3fachen des Gebührensatzes das 1,15fache des Gebührensatzes tritt.

(5) Bei wahlärztlichen Leistungen, die weder von dem Wahlarzt noch von dessen vor Abschluß des Wahlarztvertrages dem Patienten benannten ständigen ärztlichen Vertreter persönlich erbracht werden, tritt an die Stelle des Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 das 2,3fache des Gebührensatzes und an die Stelle des Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes nach § 5 Abs. 3 Satz 1 das 1,8fache des Gebührensatzes.

(1) Die Vergütung wird fällig, wenn dem Zahlungspflichtigen eine dieser Verordnung entsprechende Rechnung erteilt worden ist.

(2) Die Rechnung muß insbesondere enthalten:

1.
das Datum der Erbringung der Leistung,
2.
bei Gebühren die Nummer und die Bezeichnung der einzelnen berechneten Leistung einschließlich einer in der Leistungsbeschreibung gegebenenfalls genannten Mindestdauer sowie den jeweiligen Betrag und den Steigerungssatz,
3.
bei Gebühren für stationäre, teilstationäre sowie vor- und nachstationäre privatärztliche Leistungen zusätzlich den Minderungsbetrag nach § 6a,
4.
bei Entschädigungen nach den §§ 7 bis 9 den Betrag, die Art der Entschädigung und die Berechnung,
5.
bei Ersatz von Auslagen nach § 10 den Betrag und die Art der Auslage; übersteigt der Betrag der einzelnen Auslage 50,- Deutsche Mark, ist der Beleg oder ein sonstiger Nachweis beizufügen.

(3) Überschreitet eine berechnete Gebühr nach Absatz 2 Nr. 2 das 2,3fache des Gebührensatzes, ist dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen; das gleiche gilt bei den in § 5 Abs. 3 genannten Leistungen, wenn das 1,8fache des Gebührensatzes überschritten wird, sowie bei den in § 5 Abs. 4 genannten Leistungen, wenn das 1,15fache des Gebührensatzes überschritten wird. Auf Verlangen ist die Begründung näher zu erläutern. Soweit im Falle einer abweichenden Vereinbarung nach § 2 auch ohne die getroffene Vereinbarung ein Überschreiten der in Satz 1 genannten Steigerungssätze gerechtfertigt gewesen wäre, ist das Überschreiten auf Verlangen des Zahlungspflichtigen zu begründen; die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend. Die Bezeichnung der Leistung nach Absatz 2 Nr. 2 kann entfallen, wenn der Rechnung eine Zusammenstellung beigefügt wird, der die Bezeichnung für die abgerechnete Leistungsnummer entnommen werden kann. Leistungen, die auf Verlangen erbracht worden sind (§ 1 Abs. 2 Satz 2), sind als solche zu bezeichnen.

(4) Wird eine Leistung nach § 6 Abs. 2 berechnet, ist die entsprechend bewertete Leistung für den Zahlungspflichtigen verständlich zu beschreiben und mit dem Hinweis "entsprechend" sowie der Nummer und der Bezeichnung der als gleichwertig erachteten Leistung zu versehen.

(5) Durch Vereinbarung mit den in § 11 Abs. 1 genannten Leistungs- und Kostenträgern kann eine von den Vorschriften der Absätze 1 bis 4 abweichende Regelung getroffen werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.