Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Apr. 2008 - L 1 B 89/08 SK
Gericht
Tenor
Der Beschwerdeführer ist mit insgesamt 788,10 EUR zu vergüten.
Gründe
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Der Beschwerdeführer beanstandet die Festsetzung seiner Vergütung für die Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger. Der Beschwerdeführer wurde in den Verfahren A., F., A., D., Y. und de B. mit der Erstellung neurologisch-psychiatrischer Gutachten beauftragt. Seine Kostenrechnung vom 18. März 2007 über 1.023,00 EUR sowie 100,00 EUR für die detaillierte Rechnungslegung akzeptierte die Kostenbeamtin des Sozialgerichts nicht, weil die Gutachten unverwertbar seien (Schreiben vom 7. Mai 2007). Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin richterliche Festsetzung, die durch Beschluss vom 9. Januar 2008 erfolgte und die Vergütung auf insgesamt 183,10 EUR festsetzte. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer am 12. März 2008 Beschwerde, die er nicht weiter begründete.
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Auf den Inhalt der beigezogenen Streitakten sowie auf die Akte S 11 AR 35/07 SK - L 1 B 89/08 SK und den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.
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Die Beschwerde ist nach § 4 Abs. 3 bis 5 JVEG zulässig. Sie ist teilweise begründet.
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Unstreitig stehen dem Beschwerdeführer für die Streitverfahren A. und F. 31,10 EUR und 52,00 EUR als Vergütung zu. Im Übrigen ist entscheidend, ob die Gutachten unverwertbar sind und ob der Sachverständige die Unverwertbarkeit schuldhaft verursacht hat (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht v. 6. Oktober 2006 - 15 WF 244/06; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., § 8 JVEG Rz. 8 m.z.N.). Unverwertbarkeit liegt vor, wenn das Gutachten für die Beantwortung der Beweisfragen in keiner Weise eine Grundlage bilden kann oder wenn die Schlussfolgerungen des Sachverständigen auch von einem bemühten Auftraggeber nicht zu verstehen sind. Die Unverständlichkeit kann sich aus Stil und Sprache der Darstellung, aber auch aus dem Fehlen wesentlicher Gutachtenteile ergeben. Was zu den wesentlichen Gutachtenteilen gehört, hängt vom Einzelfall und von der Aufgabenstellung ab. Wesentliche Gutachtenteile können bei sozialmedizinischen Fragestellungen u. a. sein: Die Auseinandersetzung mit der Aktenlage, die Anamnese, die Biographie, die Beschwerdeschilderungen, die Darstellung der Befunderhebung auf klinischem oder labortechnischem Gebiet, die Diagnose, die Prognose, ggf. Therapieempfehlungen, die Erörterung von Kausalzusammenhängen, die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur und Vorgutachten, die Beantwortung sozialmedizinischer Fragen. Je nach Aufgabenstellung können Teile dieser Aufzählung entfallen oder sind umfangreicher als andere zu bearbeiten. Keinesfalls führen sprachliche Unklarheiten, methodische Unsicherheiten oder ausräumbare Mängel zur Unverwertbarkeit, sonst wäre § 411 Abs. 3 ZPO überflüssig.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die vom Beschwerdeführer erstatteten Gutachten wie folgt zu beurteilen, wobei hiermit ausdrücklich keine Bewertung der inhaltlichen Qualität erfolgt:
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1. Streitverfahren A.:
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Der Beschwerdeführer sollte in diesem Verfahren Stellung dazu nehmen, ob sich die bereits anerkannten Behinderungen der Klägerin seit Februar 2005 verschlechtert hätten. In seinen Ausführungen ist zunächst die Aktenlage wiedergegeben. Es folgen eine eigene und eine biografische Anamnese sowie ein körperlicher, ein neurologischer und ein seelischer Untersuchungsbefund, wobei eine Dolmetscherin übersetzt hat. Die Diagnose lautete: „Depression im Klimakterium und beginnendes Postklimakterium.“ Zum GdB ist angegeben, dass dieser zwischen 40 und 50 v. H. liege.
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Mit diesen Ausführungen auf 15 Seiten liegen alle wesentlichen Teile eines Gutachtens vor. Zwar ist der GdB-Vorschlag ungenau. Es ist aber ersichtlich, dass der Beschwerdeführer ihn nicht höher als bisher einschätzte. Insofern hätte das Problem der wesentlichen Verschlimmerung seit Februar 2005 durch eine richterliche Nachfrage geklärt werden können. Die Kriterien der Unverwertbarkeit sind nicht erfüllt.
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2. Streitverfahren de B.:
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In diesem Verfahren ging es darum, die Behinderungen des Klägers festzustellen. Nach einer kurzen Schilderung der Aktenlage befasst sich der Teil „Gutachten“ mit Schilderungen der vom Kläger angegebenen Beschwerden. Es schließt sich eine biografische Anamnese an; darauf folgen eine Allgemeinuntersuchung und eine neurologische Untersuchung mit Befundangaben. Der psychische Befund endet mit der Diagnose eines „vital-depressiven Syndroms (am ehesten F 32.9) mit Panikerkrankung“. Zum GdB wollte sich der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung äußern. Er machte insofern seine Beurteilung davon abhängig, dass ihm die Richterin nicht aktenkundige Auskünfte über eine konsequente Behandlung geben würde.
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Auch diese Darlegungen sind nicht völlig unverwertbar, sondern schildern die körperliche und psychische Verfassung des Klägers. Außerdem wird aufgezeigt, wie mithilfe des Gerichts in der mündlichen Verhandlung der GdB bestimmt werden könnte.
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3. Streitverfahren D.:
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Hier sollte die Verschlimmerung der bereits anerkannten Behinderungen seit Februar 2005 festgestellt werden. Hierzu liegen ein Hauptgutachten vom 17. Januar und eine ergänzende Stellungnahme vom 31. Januar 2007 vor. Das Hauptgutachten enthält die Wiedergabe des Akteninhalts, danach schließen sich eigene Erhebungen und Beschwerdeschilderungen des Klägers an. Hier findet sich die Angabe des Klägers, der GdB sei bisher auf 30 festgesetzt. Auf die biografische Anamnese folgen eine Allgemeinuntersuchung sowie eine neurologische Untersuchung mit den erhobenen Befunden. Es schließt sich der seelische Befund an. Als Diagnose ist eine „larvierte Depression (in etwa identisch mit ICD 32.0) mit morgendlichen Antriebsstörungen“ geschildert. Der Kläger lehne eine Behandlung ab.
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Auch wenn man in diesem Verfahren die Stellungnahmen vom 17. und 31. Januar 2007 zusammen betrachtet, bleiben doch die Beweisfragen unbeantwortet. Es finden sich auf insgesamt acht Seiten keine Feststellungen dazu, ob eine Verschlimmerung vorliegt und wieso. Insbesondere ist nicht ausgeführt, welcher Unterschied in den Befunden von Februar 2005 und denen vom Januar 2007 besteht und wie der jetzige GdB einzuschätzen ist. Das Gericht hat deshalb die ergänzende Stellungnahme vom 31. Januar 2007 (1,5 Textseiten) eingeholt. Aber auch sie führte nicht zu einer Beantwortung der Beweisfragen. Deshalb hat der Beschwerdeführer die Unverwertbarkeit zu vertreten. Es war ihm Gelegenheit gegeben, die Unklarheiten in der Stellungnahme vom 17. Januar nachträglich auszuräumen. Diese Leistung hat er nicht erbracht.
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4. Streitverfahren Y.:
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Hier ging es um die Feststellung der Behinderungen seit Juni 2004. Der Beschwerdeführer gibt in seinen Darlegungen von 6,5 Seiten an, dass er die Akten gelesen habe. Die Zusammenfassung des Akteninhalts ist jedoch nicht wiedergegeben. Die Stellungnahme beginnt mit der Schilderung der Beschwerden der Klägerin. Es folgen eine eigen- und eine biografische Anamnese. Danach schließen sich die Allgemeinbefunde und die Befunde einer neurologischen Untersuchung an. Der seelische Befund endet mit einer Diagnose. Sie lautet: „reaktive behandelbare Depression“. Obwohl nicht danach gefragt, wird hier von einer Verschlechterung der Befunde gegenüber Juli 2004 berichtet, diese sei aber nicht messbar. Der GdB bleibe deswegen bei 30. Die Frage nach der erheblichen Beeinträchtigung im Straßenverkehr ist nicht beantwortet. Wenn auch in diesem Verfahren eine Beweisfrage nicht beantwortet worden ist, sind doch Befunde geschildert, die auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auch zu einem Ergebnis über die Gehfähigkeit der Klägerin hätten führen können. Das Gutachten ist nicht völlig unverwertbar.
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Nach alledem ist der Beschwerdeführer auch für die Gutachten A., de B. und Y. zu entschädigen. Die Höhe der verlangten Entschädigung ist im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Nur für das Gutachten A. ist ein Abzug von 10,00 EUR für die verauslagte Taxifahrt der Klägerin zu machen. Fahrkosten einer Klägerin muss diese direkt beim Gericht geltend machen. Das JVEG sieht die beantragte Auslagenerstattung auch unter dem Gesichtspunkt der besonderen Aufwendungen im Sinne des § 12 ZVEG nicht vor. Das gilt auch für die Kosten der detaillierten Rechnung. Auch insofern enthält das JVEG keine Entschädigungs- oder Ersatzvorschriften.
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Somit ist der Beschwerdeführer wie folgt zu vergüten: F. (31,10 EUR), A. (52,00 EUR), A. (255,00 EUR), de B. (250,00 EUR), Y. (200,00 EUR) - insgesamt also 788,10 EUR.
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Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; Kosten sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8).
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(1) Die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses erfolgt durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Eine Festsetzung der Vergütung ist in der Regel insbesondere dann als angemessen anzusehen, wenn ein Wegfall oder eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs nach § 8a Absatz 1 oder 2 Satz 1 in Betracht kommt. Zuständig ist
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das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist, bei dem er als ehrenamtlicher Richter mitgewirkt hat oder bei dem der Ausschuss im Sinne des § 1 Abs. 4 gebildet ist; - 2.
das Gericht, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht, wenn die Heranziehung durch die Staatsanwaltschaft oder in deren Auftrag oder mit deren vorheriger Billigung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde erfolgt ist, nach Erhebung der öffentlichen Klage jedoch das für die Durchführung des Verfahrens zuständige Gericht; - 3.
das Landgericht, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht, die für das Ermittlungsverfahren zuständig wäre, wenn die Heranziehung in den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 durch die Finanzbehörde oder in deren Auftrag oder mit deren vorheriger Billigung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde erfolgt ist, nach Erhebung der öffentlichen Klage jedoch das für die Durchführung des Verfahrens zuständige Gericht; - 4.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Gerichtsvollzieher seinen Amtssitz hat, wenn die Heranziehung durch den Gerichtsvollzieher erfolgt ist, abweichend davon im Verfahren der Zwangsvollstreckung das Vollstreckungsgericht.
(2) Ist die Heranziehung durch die Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren erfolgt, werden die zu gewährende Vergütung oder Entschädigung und der Vorschuss durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt, wenn der Berechtigte gerichtliche Entscheidung gegen die Festsetzung durch die Verwaltungsbehörde beantragt. Für das Verfahren gilt § 62 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 1 können der Berechtige und die Staatskasse Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt.
(4) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(5) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 4 Satz 1 und 4 gilt entsprechend.
(6) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(7) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(8) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
(9) Die Beschlüsse nach den Absätzen 1, 2, 4 und 5 wirken nicht zu Lasten des Kostenschuldners.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.