Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss, 18. Okt. 2016 - L 11 KR 3764/16 RG; L 11 KR 2974/16 ER-B

published on 18/10/2016 00:00
Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss, 18. Okt. 2016 - L 11 KR 3764/16 RG; L 11 KR 2974/16 ER-B
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Tenor

Die Anhörungsrüge und die weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 23.09.2016 werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Beschwerdeentscheidung des Senats in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Der Antragsteller hatte beim Sozialgericht Stuttgart (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem Ziel, die von der Antragsgegnerin eingeleitete Vollstreckung rückständiger Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung einzustellen. Das SG hatte den Antrag mit Beschluss vom 29.06.2016 abgelehnt. Die dagegen vom Antragsteller erhoben Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 23.09.2016 zurück. Der Beschluss wurde dem Antragsteller mittels Postzustellungsurkunde am 27.09.2016 zugestellt.
Am 11.10.2016 hat der Antragsteller gegen den Beschluss des Senats „die weitere sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den oben genannten Beschluss aufzuheben und die Zwangsvollstreckung einzustellen.“ Zur Begründung hat er ausgeführt, in dem Verfahren gebe es erhebliche Rechtsverletzungen gegen die Grundrechte und Menschenrechte. Es sei kein rechtliches Gehör gewährt worden. Eine weitere Begründung werde bis zum 10.11.2016 folgen.
II.
1.
Die Anhörungsrüge gemäß § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist unzulässig.
Der Antragsteller hat zwar nicht ausdrücklich Anhörungsrüge erhoben. Der Senat legt sein Begehren aber auch als Anhörungsrüge aus, weil er die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht. Das Gericht ist – als Folge des Dispositionsgrundsatzes – an das erkennbare Rechtschutzbegehren gebunden, nicht aber an die Fassung der Rechtsmittelanträge (vgl § 123 SGG). Mit der Einführung der Anhörungsrüge ab dem 01.01.2005 ist dieser Rechtsbehelf das Mittel der Wahl, um eine aus Sicht des Beteiligten gegebene Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen.
Grundsätzlich ist die Erhebung einer Anhörungsrüge auch gegen nicht beschwerdefähige (§ 177 SGG) Endentscheidungen des Landessozialgerichts im einstweiligen Rechtsschutz möglich. Denn nach § 178a Abs 1 Satz 1 SGG ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzusetzen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen (§ 178a Abs. 2 Satz 1 und 5 SGG).
Mit § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG wird dem Rügeführer eine Substantiierungs- und Darlegungslast auferlegt. Die Umstände, aus denen sich die entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergeben soll, müssen schlüssig aufgezeigt werden. Dazu ist insbesondere darzulegen, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen habe. Weiter ist darzulegen, weshalb ohne den Gehörsverstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann. Die Angabe der maßgeblichen Gründe ist schon nach dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift integraler Teil der Rüge selbst und deshalb mit ihr dem Fristablauf nach § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG unterworfen (BSG 18.05.2009, B 3 KR 1/09 C, juris).
Vorliegend hat der Antragsteller die gesetzliche Zwei-Wochen-Frist zwar eingehalten. Jedoch ist die erhobene Anhörungsrüge mangels hinreichender Substantiierung und Darlegung des Gehörverstoßes unzulässig.
Sinn und Zweck der Anhörungsrüge ist nach den vorstehenden Ausführungen auf die Wahrung des grundgesetzlichen Justizgewährungsanspruchs beschränkt. Die Anhörungsrüge stellt keinen ordentlichen Rechtsbehelf dar, der das Gericht zu einer nochmaligen rechtlichen Prüfung des Sachverhalts zwingt. Zwar sind bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten die Begründungsanforderungen nicht zu überspannen (LSG Sachsen-Anhalt 30.06.2014, L 4 AS 244/14 B RG, juris). Die Ausführungen des Antragstellers beinhalten jedoch auch bei Anwendung eines großzügigen Maßstabs keinen schlüssigen Vortrag einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Senat. Es werden lediglich pauschal „erhebliche Rechtsverletzungen gegen die Grundrechte und Menschenrechte“ gerügt und geltend gemacht, dass kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Ein solcher allgemein gehaltener Vortrag genügt auch bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten nicht der gebotenen Substantiierungspflicht.
2.
10 
Die weitere Beschwerde des Antragstellers ist ebenfalls unzulässig.
11 
Nach der Rspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen auch außerordentliche Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein (Plenumsbeschluss vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395). Da eine „weitere Beschwerde“ gegen Beschlüsse des LSG nicht im SGG geregelt ist, solche Beschlüsse im Gegenteil sogar in § 177 SGG als nicht mit der Beschwerde anfechtbar bezeichnet werden, kommt eine „weitere Beschwerde“ erst recht nicht in Betracht.
12 
Die weitere Beschwerde ist auch nicht als sog. Gegenvorstellung statthaft. Diese stellt eine Bitte oder Anregung an das Gericht dar, die von ihm getroffene Entscheidung auch dann noch zu ändern oder aufzuheben, wenn Rechtsmittel in der Sache nicht mehr gegeben sind. Nach der zum 1.1.2005 erfolgten Einführung der Anhörungsrüge (§ 178a) ist eine Gegenvorstellung nur noch statthaft gegen Entscheidungen, die nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind (BSG 21.8.2009, B 11 AL 12/09 C, juris; BayLSG 21.8.2015, L 11 AS 495/15 B; 24.3.2013, L 12 KA 76/12 B Er; LSG NRW 29.7.2015, L 7 AS 1245/15 B,; LSG Berlin-Brandenburg 6.12.2010, L 27 R 1086/10 B RG, alle in juris; LSG Niedersachsen-Bremen 14.2.2012, L 11 SF 4/12 B RG, Breith 2012, 785; ThürLSG 7.8.2012, L 10 AL 685/12 B, juris; aA ThüringLSG 14.7.2005, L 6 SB 12/05 R, juris mwN). Eine Gegenvorstellung gegen Entscheidungen, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergehen, scheidet deshalb aus. Beschlüsse über Anträge auf einstweilige Anordnung und Anordnung bzw Herstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage bzw der sofortigen Vollziehung eines Bescheides erwachsen ebenfalls in materielle Rechtskraft (Meßling in Hennig, SGG, § 86b Rn 99, 211 ff mwN).
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
14 
Dieser Beschluss ist gemäß §§ 177, 178a Abs. 4 Satz 3 SGG unanfechtbar.
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger
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published on 21/08/2015 00:00

Tenor I. Die Beschwerde/Anhörungsrüge/Gegenvorstellung des Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Vorsitzenden vom 21.07.2015 (Ablehnung des erneuten Antrages auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung) wird verworfen.
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Annotations

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.