Landgericht Wuppertal Urteil, 23. Okt. 2014 - 9 S 129/14

Gericht
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 16.05.2014 (Az. 13 C 212/14) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einem Schadensereignis vom 27.05.2013 in einer von der Beklagten betriebenen Waschstraße in A geltend. In der Waschstraße, in welcher die Fahrzeuge mithilfe einer Schlepprolle automatisch befördert werden, bremste eine Fahrerin ihr Fahrzeug ab, worauf es die Schlepprolle verlor. Das vom Kläger gesteuerte Fahrzeug der Zedentin, welches sich in der Waschstraße hinter dem vorgenannten Fahrzeug befand, wurde daraufhin auf dieses Fahrzeug aufgeschoben. Hierbei entstand ein Schaden i.H.v. 1.579,94 €, welcher mit der vorliegenden Klage geltend gemacht wird.
4Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte die ihr obliegenden Schutzpflichten verletzt habe. Dabei könne offen bleiben, ob nach dem Stand der Technik eine Notausschaltung für Fälle wie den vorliegenden hätte installiert werden können. Denn jedenfalls sei die Beklagte gehalten gewesen, den Waschvorgang in geeigneter Weise zu überwachen und gegebenenfalls manuell abzuschalten. Insoweit könne von der Beklagten verlangt werden, einen Mitarbeiter zu beauftragen, den Waschvorgang mittels der vorhandenen Videoüberwachungsanlage zu überwachen. Die Auferlegung einer solchen Verpflichtung sei der Beklagten zumutbar.
5Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Lichtschienen, die ein Auffahren auf ein stehengebliebenes Fahrzeug verhindern könnten, würden von der Industrie nicht angeboten und seien daher auch nicht üblich. Es sei auch nicht zumutbar, dass ein Mitarbeiter permanent den Waschvorgang mithilfe der Videoanlage überwache. Dann wäre angesichts der zusätzlichen Personalkosten keine Waschanlage mehr wirtschaftlich zu betreiben. Die vorhandene Videoanlage diene in erster Linie als Nachweis dafür, dass im Falle von Schadensersatzforderungen der Kunden ein Verschulden der Beklagten nicht gegeben sei. Weiter bezieht sich die Berufung auf Urteile in vergleichbaren Fällen, in denen die Haftung des Waschstraßenbetreibers abgewiesen worden sei.
6Von einer weiteren Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
7II.
8Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben.
9Der Schadensersatzanspruch der Zedentin ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB. Eine Pflichtverletzung der Beklagten ist aus einer Verkehrssicherungspflichtverletzung herzuleiten. Die Beklagte trifft als Waschstraßenbetreiberin die Obhutspflicht, die Fahrzeuge ihrer Kunden vor Schäden zu bewahren. Diese Pflicht hat sie verletzt.
10Zwar greift vorliegend nicht die Vermutung, dass auf eine Pflichtverletzung des Waschstraßenbetreibers geschlossen werden kann, wenn der Gläubiger dartut und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners herrühren kann (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2002, 1459; LG Wuppertal, 5 O 172/11, ZfSch 2013, 437). Denn hier liegt die Schadensverursachung in erster Linie bei der Fahrerin der vorausfahrenden PKW, welche ihr Fahrzeug abgebremst hat, also nicht allein bei der Beklagten.
11Dennoch kann positiv eine Verkehrssicherungspflichtverletzung festgestellt werden. Insofern begegnet bereits der Vortrag der Beklagten, wonach eine Notabschaltung für Vorfälle der streitgegenständlichen Art weder bei der Beklagten noch in anderen Waschanlagen existiere, erheblichen Bedenken. Denn er widerspricht den Feststellungen des Landgerichts Dortmund in einem vergleichbaren Fall. Die dortige Beweisaufnahme hatte ergeben, dass aufgrund des Einsatzes von Lichtschranken das Förderband normalerweise gestoppt werde, um zu verhindern, dass die Fahrzeuge aufeinander aufgeschoben werden (vgl. LG Dortmund, Schaden-Praxis 2011, 137). Mithin existieren offenbar entsprechende technische Kontrollmöglichkeiten. Auch das Amtsgericht Braunschweig hat sich ausführlich und überzeugend damit auseinandergesetzt, dass und warum ein Abschalten der Anlage technisch ohne weiteres möglich sein müsste (Urteil vom 04.02.2014, 116 C 2943/13, juris). Tatsächlich ist nicht erkennbar, warum es mithilfe einfacher Sensoren nicht möglich sein soll, festzustellen, ob sich ein Autoreifen noch in der Schlepprolle befindet oder eben nicht. Das von der Beklagten erstinstanzlich vorgelegte Gutachten des Herrn T vom 21.02.2014 (Bl. 22 ff) ist insofern wenig weiterführend, da es darin lapidar heißt: „Fest steht, dass die Steuerung der Anlage keine ausführbaren Impulse über die Fehlpositionierung der Pkw auf den Förderband erhält (Stand der Technik).“ Ausführungen dazu, dass und wieso eine solche Steuerung nicht möglich sein soll, enthält das Gutachten nicht.
12Letztlich kann diese Frage jedoch offen gelassen werden, da dann, wenn eine solche – aus Sicht des Kunden scheinbar simple und daher zu erwartende – technische Kontrolle nicht möglich ist, die Überwachungspflichten des Waschstraßenbetreibers sich entsprechend erhöhen. Denn es bleibt bei der grundsätzlichen Verpflichtung des Waschstraßenbetreibers, die Fahrzeuge, welche er in seine Obhut nimmt, auch unbeschädigt wieder herauszugeben. Zwar ist eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht erreichbar. Es geht vielmehr um die Risikoverteilung zwischen dem Sicherungspflichtigen und der gefährdeten Person, also darum, welche Sicherheit diese Person in der jeweiligen Situation erwarten darf. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, NJW 2013, 48). In diesem Sinne darf der Benutzer einer Waschstraße jedoch erwarten, dass – entweder technisch oder auf sonstige Weise – verhindert wird, dass die hintereinander befindlichen Fahrzeuge aufeinander aufgeschoben werden, wenn einer der Fahrzeugführer sein Fahrzeug vorschriftswidrig abbremst. Denn ein solches Verhalten ist – was die zahlreichen hierzu veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und die entsprechenden (gerichtsbekannten) Hinweise in Waschstraßen zeigen – keineswegs ungewöhnlich. Aus diesem Grund erscheint es zumutbar, eine permanente manuelle Überwachung des Transportvorgangs vorzunehmen und den Transportvorgang nötigenfalls abzubrechen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – eine entsprechende Videoanlage bereits vorhanden ist und Unfälle der vorliegenden Art häufiger vorkommen, wie es der Zeuge F in seiner Vernehmung bestätigt hat (Bl. 48: „vielleicht ca. zweimal im Jahr, dann vielleicht zweimal in der Woche und dann wieder acht Monate gar nicht mehr“). Die von der Beklagten angeführte wirtschaftliche Belastung durch eine solche permanente Überwachung erscheint angesichts der beschriebenen Erwartungshaltung der Kunden ebenfalls zumutbar, zumal die Kosten an die Kunden weitergegeben werden können und kein Wettbewerbsnachteil entsteht, wenn alle Waschstraßenbertreiber so verfahren (müssen).
13Diese Auffassung steht auch im Einklang mit jedenfalls einem erheblichen Teil der neueren hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. AG Braunschweig, aaO; AG Bremen, Urteil vom 23 Januar 2014, 9 C 439/13, juris; AG Aachen, DAR 2002, 273). Soweit das LG Bochum (NJW-RR 2001, 1678) und im weiteren Instanzenzug dazu das OLG Hamm (aaO) darauf abgestellt haben, dass eine Überwachung mittels Videokamera unpraktikabel sei, so ist dies auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da hier – anders als in der den Entscheidungen des LG Bochum und des OLG Hamm zu Grunde liegenden Fallkonstellation – bereits eine Videokameraüberwachungsanlage vorhanden ist und nach Aussage des Zeugen F nicht nur ein einziger Schadensfall in 26 Jahren vorgefallen ist. Das Landgericht Bochum hat selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Installation einer derartigen Videoanlage in Zukunft von einem Betreiber verlangt werden könne, wenn Unfälle der vorliegenden Art gehäuft vorkämen (aaO), was hier der Fall ist.
14Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der geänderten umweltrechtlichen Vorgaben die Besitzer von PKW heute quasi gezwungen sind, diese zum Zwecke der Säuberung einem Waschstraßenbetreiber anzuvertrauen. Dies führt nach Auffassung der Kammer zu gesteigerten Obhutspflichten der Waschstraßenbetreiber, da es den Besitzern von PKW nahezu unmöglich ist, die beim Waschen von PKW entstehenden Gefahren durch eine eigenhändige Wäsche selbst zu bestimmen.
15Nach alledem erscheint es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Amtsgericht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung angenommen hat. Die Schadenshöhe steht außer Streit.
16III.
17Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
18Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
19Streitwert für die Berufungsinstanz: 1.579,94 €

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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.