Landgericht Weiden Endurteil, 29. Apr. 2019 - 21 O 8/19 Ver

bei uns veröffentlicht am29.04.2019

Gericht

Landgericht Weiden

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 8.340,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin unterhielt am 3.1.2016 bei der Beklagten eine private Unfallversicherung auf der Grundlage der AUB 2008 und weiterer Besonderer Bedingungen (Anlage K 2) mit einer versicherten Grundsumme für Invaliditätsleistungen von 69.500,00 € und Progressionsvereinbarung.

Am 3.1.2016 rutschte die Klägerin bei Schnee aus, stürzte auf das linke Handgelenk und erlitt hierbei eine dislozierte Radiusfraktur links. Am selben Arm hatte sie bereits 1998 eine distale Radiustrümmerfraktur erlitten. Die bereits vor dem Sturz vom 3.1.2016 beeinträchtigte Beweglichkeit des Handgelenks hat sich durch den Unfall im Sinne einer nahezu vollständigen Bewegungseinschränkung des Handgelenks verschlechtert.

Die Beklagte trat nach Einhaltung der formellen Anspruchsvoraussetzungen seitens der Klägerin in die Leistungsprüfung ein. Sie zahlte mit Abrechnungsschreiben vom 5.7.2016 eine Invaliditätsleistung von 5.560,00 €, berechnet auf der Grundlage von 1/10 Armwert, an die Klägerin aus.

Mit Schreiben ihrer anwaltlichen Vertreter vom 13.07.2016 wandte sich die Klägerin gegen die Höhe der ausbezahlten Invaliditätsleistung, worauf die Beklagte bei Dr. ... ein ärztliches Kurzgutachten erholte. Auf dessen Basis verwies die Beklagte mit Schreiben vom 14.11.2017 auf eine bereits vorliegende Überzahlung. Sie ging nunmehr von einer Invalidität von 3/4 Handwert aus, von dem eine Vorschädigung von 2/4 Handwert in Abzug zu bringen sei. Die unfallbedingte Invalidität wurde unter weiterer Berücksichtigung der Auswirkung der Vorschädigung am Ausheilungsergebnis mit 20 % von 1/4 Handwert bemessen.

Die Klägerin trägt vor. dass ihre Beschwerden unter Berücksichtigung der Vorschädigung eine Invaliditätsleistung von 1/4 Armwert rechtfertige, somit 13.900,00 €, woraus sich unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung ein Anspruch von 8.340,00 € errechne.

Die Klägerin beantragt:

  • 1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.340,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2017 zu zahlen.

  • 2.Die Beklagte wird ferner verurteilt, der Klägerin außergerichtliche Anwaitsgebühren i.H.v. 808,13 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Die Beklagte hält an ihrer zuletzt erfolgten Berechnung fest und verweist darauf, dass auch nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 26.11.2018 kein weitergehender Anspruch der Klägerin bestehe.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. ... sowie die mündliche Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 1.4.2019. Insoweit wird auf das schriftliche Gutachten vom 26.11.2018 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1.4.2019 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Klägerin aufgrund des Unfalls vom 3.1.2016 über den bereits regulierten Betrag hinaus keine weiteren Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfallversicherungsvertrag zustehen. Damit scheiden auch Nebenansprüche aus.

1. Die Grundlage für die Berechnung der Invaliditätsleistung bilden nach Ziffer 2.1.2.2 AUB 2008 die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität.

1.1. Nach der vertragsgegenständlichen verbesserten Gliedertaxe (UN 4824, Anlage K 2) ist bei Verlust oder vollständig der Funktionsunfähigkeit der Hand oder des Armes unterhalb des Ellenbogengelenks jeweils ein Invaliditätsgrad von 70 % vereinbart. Bei Teilverlust oder teilweise Funktionsbeeinträchtigung gilt gemäß Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2008 der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.

Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgan oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad nach Ziffer 2.1.2.2.3 AUB 2008 um die Vorinvalidität gemindert, die wiederum nach Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2008 zu bemessen ist.

Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 45 % unterbleibt jedoch die Minderung, 3 AUB 2008 i.V.m. den Besonderen Bedingungen für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen - UN 4830.

1.2. Nach der Rechtsprechung des BGH sind die Ziffern 2.1.2.2.3 und 3 AUB 2008 kumulativ anzuwenden, wenn die Funktion eines Körperteils bereits vor dem Versicherungsfall beeinträchtigt war und diese Vorschädigung im Sinne einer Krankheit oder eines Gebrechens auch bei der durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsbeschädigung oder deren Folgen mitgewirkt hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 18. Januar 2017 - IV ZR 481/15 -, juris m. Anm. Gundlach, VersR 2017, 476). Bei der Berechnung der Invaliditätsentschädigung ist dabei zunächst der Grad der Vorinvalidität vor dem Unfall gemäß Ziffer 2.1.2.2.3 AUB 2008 festzustellen. Danach ist die Leistung zusätzlich um den ermittelten Mitwirkungsanteil nach Ziff. 3 AUB 2008 zu kürzen (Brockmüller, r+s 2018, 565, 568; Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Auflage 2014, Kap. J, Rn. 24 m.w.N.).

Der Unfallversicherer hat den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben. Wenn dieser Nachweis erbracht ist, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen (BGH, Urteil vom 23. November 2011 - IV ZR 70/11 -, juris). Formulieren die Klauseln, wie hier in Ziffer 3 AUB 2008, dass sich bei einer Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen die Leistung mindert, eine solche Kürzung indessen unterbleibt, wenn das Maß der Mitwirkung einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreitet, muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass das Maß der Mitwirkung nicht relevant ist (Langheid/Rixecker/Rixecker, 6. Aufl. 2019, VVG § 182 Rn. 7). Er macht in diesem Fall nämlich die Ausnahme des in Ziffer 3 Satz 1 AUB 2008 vereinbarten Grundsatzes geltend.

1.3. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 01. April 2015 - IV ZR 104/13 -, Rn. 13, juris).

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer kann die Höhe der Leistungen im Einzelnen Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2008 für die dort genannten Körperteile und Sinnesorgane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder diesem gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilgliedes steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab (BGH, Urteil vom 01. April 2015 - IV ZR 104/13 -, Rn. 14, juris).

Mithin ist die Invalidität für den gegenständlichen Unfall nicht nach dem Hand-, sondern dem Unterarmwert der Gliedertaxe zu bestimmen. Handgelenk und Hand sind keineswegs gleichbedeutend. Die Bedeutung des Handgelenks geht vielmehr von seinem Wortlaut und von seiner körperlichen Funktion über die Bedeutung der Hand hinaus. Es stellt das Bindeglied zwischen Hand und Unterarm dar. Maßgeblich muss danach letztlich sein, dass die ursprüngliche Unfallverletzung als Radialbruch im Unterarm und nicht in der Hand lokalisiert war. Auch ist nicht nur die Hand unfallbeeinträchtigt, sondern weist der Unterarm eine eigenständige Unfallbeeinträchtigung aufweist. Es ist zwar anerkannt, dass ausstrahlende Beeinträchtigungen, die von der Verletzung eines rumpfferneren auf ein rumpfnäheres Glied erfolgen, zumindest dann, wenn es sich um typische, nicht ungewöhnliche Beeinträchtigungen handelt, bereits mit dem Invaliditätswert des niederen Körpergliedes nach der Gliedertaxe mit abgegolten sind. So verhält es sich hier aber nicht. Denn, was die eingeschränkte Unterarmdrehung anbelangt, handelt es sich um keine typische Folge einer Handverletzung. Deshalb muss man sowohl vom Ort der Unfallverletzung her als auch wegen einer hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung auf den Wert des Unterarms abstellen (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. Oktober 2016 - 41 U 17/16 -, Rn. 50-52, juris; Naumann, VersR 2015, 1350, 1356).

1.4. In den AUB 2008 ist in Ziffer 7.4 eine Neubemessung des Grades der Invalidität längstens bis zu drei Jahre nach dem Unfall vertraglich vereinbart. Die Klägerin hat vor Ablauf der dreijährigen Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend gemacht. Damit ist nach der Rechtsprechung des BGH der Grad der Invalidität nach dem dauerhaften Zustand der Klägern drei Jahre nach dem Unfall zu bemessen (BGH, Urteil vom 18. November 2015 - IV ZR 124/15 -, BGHZ 208, 9-18 Rn. 14). Somit ist hier auf den 3.1.2019 abzustellen.

2. Gemessen an diesem Maßstab steht der Klägerin über die bereits geleistete Zahlung von 5.560,00 € kein weiterer Anspruch auf eine Invaliditätsleistung zu.

2.1. Der Sachverständige Dr. ... der die Klägerin am 12.11.2018 untersucht hat, hat in seinem Gutachten vom 26.11.2018 und erläuternd in der mündlichen Verhandlung vom 1.4.2019 ausgeführt, dass bei der Klägerin eine nahezu vollständige Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk sowie partiell bei Unterarmdrehung vorhanden sei. Die Armhebung, Außen- und Innenrotation im Schultergelenk sowie die Ellenbogenbeugung und -streckung sei dagegen kraftvoll durchführbar. Dieses Beschwerdebild stimme nahezu mit dem von Dr. ... im Oktober 2017 festgestellten Krankheitsbild überein, sodass es als dauerhaft zu bewerten sei und auch bei Abstellen auf den 3.1.2019 als Bemessungszeitpunkt die Grundlage für die Bemessung des unfallbedingten Grades der Invalidität bei der Klägerin bilde.

Der bei der Klägerin vorhandene Zustand werde in der medizinischen Literatur mit einem Invaliditätsgrad von 3/4 Handwert bewertet. Da sich an den Funktionsbeeinträchtigungen an sich keine Änderung ergebe, sei auch bei einer Bewertung anhand der Taxe „Arm unterhalb des Ellenbogengelenks“ von einem Grad der Invalidität von 3/4 dieses Wertes auszugehen, zumal in der vereinbarten Gliedertaxe beide Werte mit 70 % angesetzt seien.

Zur Beurteilung der Vorinvalidität des Handgelenks der Klägerin stehe im Wesentlichen nur eine Röntgenaufnahme vom 9.7.2013 zur Verfügung. Die Befundung dieses Röntgenbildes habe ergeben, dass bereits damals eine fortgeschrittene Arthrose des linken Handgelenks vorhanden war. Außerdem zeigte sich ein Zustand nach Entfernung mehrerer Handwurzelknochen (Kahnbein, Mondbein und Dreiecksbein), also einer sogenannten „proximal row carpectomie“. Aus dieser Befundung müsse gefolgert werden, dass bereits vor dem Unfall eine deutliche Bewegungseinschränkung des Handgelenks vorhanden war. Dies habe die Klägerin bei ihrer Befragung auch bestätigt. Es habe damit bereits im Jahr 2013 das Bild eines carpalen Kollapses bestanden, der in der Literatur mit 5/10 Handwert bewertet werde. Dementsprechend sei vorliegend von einer Vorinvalidität von 1/2 Handwert bzw. 1/2 des Wertes „Arm unterhalb des Ellenbogengelenks“ auszugehen.

Zur Mitwirkung vom Gebrechen oder einer Erkrankung führte der Sachverständige aus, dass eine Mitwirkung der vor dem Unfall bestehenden Arthrose beim Ausheilungsergebnis festzustellen sei. Betrachte man isoliert den Bruch vom 3.1.2016, so habe keine wesentliche Fehlstellung bestanden. Ein solcher Bruch heile in der Regel gut aus. Bei einem solchen Bruch sei maximal eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks im Bereich von einem Viertel der normalen Bewegungsmöglichkeit bei freier Unterarmdrehung zu erwarten. Ein solcher Zustand wird in der medizinischen Literatur mit einem Grad der Invalidität von 1/10 Handwert bewertet. Die bei der Klägerin bestehende Invalidität, insbesondere auch die Erhöhung der am Handgelenk bestehenden Invalidität von 1/2 auf 3/4 Handwert nach der medizinischen Literatur sei allein durch den Unfall nicht erklärbar. Es sei vielmehr so, dass die vorbestehende Arthrose hier zu einem großen Teil zu der letztendlichen Funktionseinschränkung beigetragen habe. Dies stehe außer Zweifel, streiten könne man sich lediglich über die Höhe dieser Beteiligung.

Zur Höhe des Mitwirkungsanteils führte der Sachverständige aus, dass er der Meinung sei, dass die vorbestehende Arthrose wegen der bereits vor dem Unfall erheblichen Beschwerden überwiegend zu dem gegebenen Zustand beigetragen habe. Er sei deshalb zu einem Wert von 60 % gelangt. Die hier zu begutachtende Situation sei relativ selten. Bei der Klägerin habe ein Zustand nach der bereits geschilderten Operation des Handgelenks und einer schweren Arthrose bestanden. Dazu sei dann der unfallbedingte Bruch des Handgelenks gekommen. Derartige Konstellationen würden in der Literatur nicht behandelt.

2.2. Die Kammer schließt sich den in vollem Umfang schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... an. Es bestehen keinerlei Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen, der als Oberarzt am Klinikum A. über eine breite klinische Erfahrung verfügt und auch bereits langjährig als Sachverständiger mit der Bewertung von Invaliditätsgraden befasst ist. Die Sachkunde des Sachverständigen zeigte sich für die Kammer nicht zuletzt dadurch, dass er in der mündlichen Verhandlung vom 1.4.2019 in der Lage war, die Ergebnisse seines schriftlichen Gutachtens eingehend zu erläutern und zu vertiefen.

2.3. Für die Urteilsfindung ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen zunächst, dass der unfallbedingte Grad der Invalidität der Klägerin am 3.1.2019 mit 3/4 des Wertes „Arm unterhalb des Ellenbogengelenks“ zu bemessen ist. Hiervon ist gemäß Ziffer 2.1.2.2.3 AUB 2008 im Hinblick auf die Vorinvalidität ein Abzug von 1/2 des vorgenannten Gliedertaxenwertes zu machen. Es ergibt sich damit zunächst ein Invaliditätsgrad von 17,5 % (1/4 × 70 %).

Weiter ist festzustellen, dass die vorbestehende schwere Handgelenksarthose bei der Klägerin und damit eine Krankheit oder Gebrechen im Sinn von Ziffer 3 AUB 2008 an den Folgen der durch den Unfall verursachten Gesundheitsbeschädigung mitgewirkt hat. Die Kammer hat bei ihrer Überzeugungsbildung insoweit den Maßstab des § 286 Abs. 1 ZPO zu Grunde gelegt, der einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 06. Mai 2015 - VIII ZR 161/14 -, juris Rn. 11). Zusammenfassend hat der Sachverständige zu diesem Punkt ausgeführt, dass es außer Zweifel stehe, dass die vorbestehende Arthrose zu einem großen Teil zu der letztendlichen Funktionseinschränkung im linken Arm der Klägerin beigetragen habe.

Demgegenüber konnte die Klägerin, wiederum gemessen am Maßstab des § 286 Abs. 1 ZPO, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass der Mitwirkungsanteil ihrer Vorerkrankung an den Folgen der unfallbedingten Gesundheitsschädigung weniger als 45 % beträgt. Dem steht die schlüssige Aussage des Sachverständigen entgegen, dass die vorbestehende Arthrose überwiegend zu dem nunmehr bei der Klägerin gegebenen Zustand beigetragen habe.

Gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... schätzt die Kammer den Mitwirkungsanteil der vorbestehenden Krankheit oder des Gebrechens der Klägerin am Ausheilungsergebnis gemäß § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO auf 60 %. Damit reduziert sich der von der Beklagten bei der Regulierung anzusetzende Invaliditätsgrad nach Ziffer 3 Satz 2 AUB 2008 auf 7 % (17,5 % × 40 %).

Da die Progressionsvereinbarung in diesem Bereich noch nicht greift, steht der Klägerin im Ergebnis eine Invaliditätsleistung von 4.865,00 € (69.500,00 € × 7 %) zu. Dieser Betrag ist von der Beklagten reguliert.

3. Mangels berechtigter Hauptforderung scheidet auch ein Anspruch der Klägerin auf Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

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Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg - 1. Zivilsenat - vom 24. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Streitwert: 292.741 €

Gründe

1

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

2

Insbesondere ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Minderung der Invaliditätsleistung wegen Vorinvalidität (hier nach Ziffer 2.1.2.2.3 AUB 2004) mit dem Abzug aufgrund mitwirkender Krankheiten oder Gebrechen (hier nach Ziffer 3 AUB 2004) kombiniert werden kann, durch das Senatsurteil vom 15. Dezember 1999 - IV ZR 264/98, VersR 2000, 444 ausreichend geklärt. Danach kann ein kumulativer Abzug möglich sein, weil auch die Leistung, die erst nach Abzug einer Vorinvalidität dem festgestellten Invaliditätsgrad entspricht, noch um den Anteil zu kürzen ist, der auf mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen entfällt (Senat aaO, unter 2 b aa, juris Rn. 12). Im Übrigen wird von einer näheren Begründung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

3

Der Senat hat auch die auf Artt. 3 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG gestützten Rügen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.

Mayen     

       

Felsch     

       

Harsdorf-Gebhardt

       

Lehmann     

       

Dr. Götz     

       

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 70/11 Verkündet am:
23. November 2011
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AUB 94 § 8; AUB 2008/2010 Nr. 3; ZPO § 286 Abs. 1 Satz 1
Der Unfallversicherer hat den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu
erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten
Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des Versicherungsnehmers
) zu mindestens 25% mitgewirkt haben.
BGH, Urteil vom 23. November 2011 - IV ZR 70/11 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 23. November 2011

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 16. März 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte von der Beklagten die Todesfallleistung aus einer Unfallzusatzversicherung, die ihr am 6. Februar 2004 verstorbener Ehemann in Verbindung mit einer Risikolebensversicherung abgeschlossen hatte.
2
Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen der Beklagten für die Unfallzusatzversicherung mit Leistung bei Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall zugrunde (BB-UZV). Diese bestimmen in § 4: "Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 Prozent mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung."
3
Am 26. Januar 2004 führte der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten aus. Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe während der Montage aus einem Schaltschrank ein Kabel heruntergezogen und sei damit an mindestens eine Phase gelangt, wodurch ein Kurzschluss ausgelöst worden sei. Der dabei erlittene Stromschlag sei Ursache für den Tod ihres Ehemannes gewesen, dessen Gesundheitszustand sich nach dem Stromunfall erheblich verschlechtert habe.
4
In einem für die Berufsgenossenschaft erstellten pathologischen Gutachten vom 21. Juni 2004 wurden aufgrund einer Obduktion vom 9. Februar 2004 eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße als Grundleiden und frische subendokardiale Myocardinfarkte der Hinterwand und der Seitenwand des linken Ventrikels beschrieben; als Todesursache wurde ein protrahiertes Herz-KreislaufVersagen bei Koronarinsuffizienz angegeben.
5
Die Beklagte lehnte Leistungen aus der Unfallzusatzversicherung ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei.
6
Das Landgericht hat nach Vernehmung verschiedener Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Todesfallleistung in Höhe von 231.183 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht nach ergänzender Beweisaufnahme die Verurteilung dahin geändert, dass es der Klägerin nur die Hälfte der Klageforderung zuerkannt hat. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren restlichen Zahlungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:


7
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8
I. Dieses hat es - ebenso wie das Landgericht - für erwiesen erachtet , dass der Tod des Ehemannes der Klägerin durch einen am 26. Januar 2004 erlittenen Stromunfall mitverursacht worden sei. Die Klägerin habe den Vollbeweis dafür erbracht, dass ihr Ehemann am 26. Januar 2004 einen Stromschlag erlitten habe, bei dem Strom durch seinen Körper und sein Herz geflossen sei und der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Rhythmusstörung des Herzens geführt habe. Dass diese Gesundheitsbeschädigung den Tod zumindest mitverursacht habe, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
9
Die von der Beklagten geschuldete Todesfallleistung vermindere sich allerdings nach § 4 BB-UZV auf die Hälfte, weil nach der Beweisaufnahme von einer 50%-igen Mitwirkung der Vorerkrankung - einer Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - am Tod des Versicherungs- nehmers auszugehen sei. Die Beweislast für die Mitwirkung anderer Ursachen treffe den Versicherer, wobei das Beweismaß nicht § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entnommen werden müsse , weil es ebenso um die Unfallfolgen, also die haftungsausfüllende Kausalität gehe wie bei der vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Tatsache, dass der Unfall mitursächlich gewesen sei. Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reiche deshalb eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, dass die Vorerkrankung in kausalem Zusammenhang mit der Unfallfolge stehe. Das sei hier anzunehmen.
10
Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. Ö. und Prof. Dr. E. begründeten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Mitwirkung der Vorerkrankung und führten zu einer 50%-igen Leistungskürzung , denn beide Ursachen seien für den Tod des Ehemannes der Klägerin gleichwertig und nicht hinwegzudenken. Dem stehe nicht entgegen , dass Prof. Dr. E. keine Verursachungsquoten habe angeben können. Wenn der Versicherungsnehmer nur im Zusammenwirken von Unfall und Vorerkrankung gestorben sei, aber nicht durch eine dieser Ursachen alleine gestorben wäre, und keine sonstigen Anhaltspunkte für eine andere Gewichtung vorlägen, könne nur eine hälftige Quotierung vorgenommen werden.
11
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Mitwirkung der Vorerkrankung halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
12
1. Zugunsten der Klägerin ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass ihr Ehemann am 26. Januar 2004 einen Stromschlag erlitt, der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Herzrhythmusstörung führte, die den Tod des Versicherungsnehmers zumindest mitverursachte.
13
2. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin - eine Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - habe zu 50% an seinem Tod mitgewirkt, beruht auf einem fehlerhaften Ausgangspunkt. Das Berufungsgericht hat das Beweismaß für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt.
14
a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen , dass die Beweislast für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei dem Unfallversicherer liegt (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2010 - 10 U 1014/09, juris Rn. 46 m.w.N., die Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Parallelverfahren wurde durch Senatsbeschluss vom 14. September 2010 - IV ZR 156/10 - zurückgewiesen; OLG Koblenz, r+s 2001, 348, 349; OLG Celle VersR 2010, 205, 207 m.w.N.; Leverenz in Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz 9. Aufl. § 182 Rn. 19 m.w.N.; Grimm, Unfallversicherung 4. Aufl. § 3 AUB 99 Rn. 7 m.w.N.; Schießl in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 4. Aufl. 22. Kap. Rn. 68; Rüffer in HK-VVG 2. Aufl. Ziff. 3 AUB 2008/2010 Rn. 6; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 9 m.w.N.; Kloth, Private Unfallversicherung Kap. J Rn. 11; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 182 Rn. 6; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 8 AUB 94 Rn. 6; ders. in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. Nr. 3 AUB 2008 Rn. 8; Hormuth in Terbille, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 2. Aufl. § 24 Rn. 187 m.w.N.; Wussow/Pürckhauer, AUB 6. Aufl. § 8 Rn. 12). Dies war bislang schon einhellige Auffassung und ist nunmehr in § 182 VVG gesetzlich normiert (Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Versicherungsvertragsreformgesetz, BT-Drucks. 16/3945 S. 108). Nicht nur nach der Intention des Reformgesetzgebers (aaO), sondern auch nach bislang unangefochtener Ansicht erstreckt sich die Beweislast des Versicherers auf den Nachweis, dass der Mitwirkungsanteil mindestens 25% entspricht (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2010 aaO; r+s 2001 aaO; Leverenz aaO; Grimm aaO; Jannsen aaO; Kloth aaO; Götz aaO; Hormuth aaO). Liegt der Mitwirkungsanteil darunter, so unterbleibt eine Minderung (Kloth aaO).
15
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S. von § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO für ausreichend, um einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% nachzuweisen. Vielmehr wird allgemein sowohl für die Prüfung, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren mitgewirkt haben, als auch für die Frage, ob der Mitwirkungsanteil mindestens 25% beträgt, das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angewandt (OLG Düsseldorf r+s 2002, 261, 262; OLG Koblenz r+s 2001 aaO; OLG Frankfurt VersR 1991, 762; Leverenz aaO; Grimm aaO; Jannsen aaO; Götz aaO; Wussow/Pürckhauer aaO; dies voraussetzend auch Rüffer aaO Rn. 5 und 6 m.w.N.). Bleibt unklar, ob der Anteil der Mitwirkung 25% oder mehr beträgt, so kommt eine Leistungskürzung nicht in Betracht (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2010 aaO; Leverenz aaO Rn. 19 m.w.N.; Grimm aaO; Rüffer aaO Rn. 6 m.w.N.; Jannsen aaO m.w.N.; Kloth aaO; Knappmann aaO m.w.N.). Erst wenn dieser Nachweis erbracht ist, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung , die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen (Leverenz aaO Rn. 20 m.w.N.). Demge- mäß wurde in den im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen (OLG Düsseldorf VersR 1997, 174, 175; VersR 1994, 1218 ff.; OLG Hamm VersR 1982, 946) zunächst festgestellt, dass der Mitwirkungsanteil der jeweiligen Vorerkrankung mehr als 25% betragen habe, und erst bei der Gewichtung im Verhältnis zu dem Unfall eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommen.
16
c) Der Senat teilt die herrschende Auffassung, dass der Versicherer für einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% den Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen hat. Bei der Prüfung, ob Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, geht es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Unfallfolgen und damit um die haftungsausfüllende Kausalität wie bei der vom Versicherungsnehmer nach dem Beweismaß des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisenden Tatsache, dass die unfallbedingte Gesundheitsschädigung für die Invalidität oder den Tod des Versicherten (mit-) ursächlich war (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00, VersR 2001, 1547 unter II 1 m.w.N.). Vielmehr betrifft die Mitursächlichkeit von Vorerkrankungen eine Leistungseinschränkung, für die grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast trägt. Für diesen Beweis genügt nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr muss ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit erreicht werden, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so auch Grimm aaO m.w.N.).
17
d) Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Anwendung des Beweismaßes gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis erbringen kann, dass die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zu mindestens 25% an seinem Tod mitgewirkt hat.
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 09.09.2008- 14 O 169/05 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 16.03.2011- 5 U 464/08-56- -

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Februar 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 37.940 € nebst Zinsen infolge des Unfalles vom 8. Oktober 2005 abgewiesen und die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger fordert - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 37.940 € aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen der Beklagten (AUB 2000) zugrunde liegen. Vereinbart ist unter anderem eine Invaliditätsgrundsumme von 150.000 € und für den Fall einer Invalidität durch Unfall eine nach deren Grad aus der Grundsumme errechnete Kapitalzahlung nebst Zuschlag ("Treuebonus") von 10%.

2

Unter "2.1 Invaliditätsleistung" heißt es in den Bedingungen unter anderem:

"2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung

2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität). Die Invalidität ist

- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und

- innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.

2.1.2 Art und Höhe der Leistung

2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die folgenden Invaliditätsgrade (Gliedertaxe):

Arm     

70%

Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks          

65%

Arm unterhalb des Ellenbogengelenks

60%

Hand   

55%

Daumen

20%

Zeigefinger

10%

anderer Finger

5%

…       

        

2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

2.1.2.2.3 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert. Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer 2.1.2.2.2 zu bemessen."

3

Am 8. Oktober 2005 schlug der Kläger bei einem Sturz mit der linken Schulter auf und zog sich dabei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Schulterprellung sowie eine Sprengung des linken Schultereckgelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Schulterblatt, mit positivem Klaviertastenphänomen (im Schweregrad Tossy II) zu. Innerhalb eines Jahres nach dem Sturz traten dauerhafte Beeinträchtigungen im Bereich der linken Schulter ein, deren Umfang zwischen den Parteien streitig ist. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 attestierte der den Kläger behandelnde Arzt als Dauerschaden eine "Gebrauchsminderung der li. Schulter".

4

Bereits am 24. August 1999 war der Kläger auf seinen linken Arm gestürzt. Die Beklagte hatte seinerzeit unter Heranziehung der Gliedertaxe eine Invaliditätsleistung auf der Grundlage einer Invalidität von 1/7 Armwert erbracht. Für die vorgenannten Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2005 lehnte sie Invaliditätsleistungen ab, weil eine dauerhafte Schädigung nicht objektivierbar sei.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, der Grad seiner Invalidität betrage mindestens 3/7 des Armwerts; er habe bei dem Unfall vom 8. Oktober 2005 auch eine Verletzung des linken Schlüsselbeins und insbesondere des Sternoklavikulargelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Brustbein, erlitten, die fehlverheilt sei und zur Funktionsbeeinträchtigung der Schulter beitrage. Die Beklagte schulde eine Invaliditätsleistung von 45.000 € (30% von 150.000 €) zuzüglich des Treuebonus von 10%, mithin 49.500 €.

6

Das Landgericht hat den Invaliditätsgrad des Klägers nach Einholung zweier medizinischer Gutachten mit 1/10 Armwert (das entspricht einer Gesamtinvalidität von 7%) bestimmt, dem Kläger danach 10.500 € (7% von 150.000 €) zuzüglich 10% Treuebonus, zusammen 11.550 €, zugesprochen und bezüglich des Unfalls vom 8. Oktober 2005 die weitergehende Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, der im Berufungsverfahren unter anderem geltend gemacht hatte, seine Schulterverletzung sei nicht nach der vereinbarten Gliedertaxe, sondern nach Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 zu beurteilen, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren weiter und fordert 37.940 € als Differenz zwischen seiner ursprünglichen Klagforderung und der vom Landgericht zugesprochenen Summe.

Entscheidungsgründe

7

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es die Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2005 betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat den Invaliditätsgrad mit Hilfe des Armwerts der Gliedertaxe bestimmt. Das Schultergelenk habe keinen funktionellen Selbstzweck, sondern diene anatomisch allein dem funktionsgerechten Einsatz des Armes. Beim Kläger bestehe die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit in einer funktionellen Beeinträchtigung des linken Armes, so dass für die Invaliditätsbestimmung zwingend die Gliedertaxe gelte. Ohne Bedeutung sei, dass die Beeinträchtigung auf einen Sehnenschaden im Schultereckgelenk zurückzuführen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei bei Gelenkversteifungen stets der Invaliditätsgrad für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit der entsprechenden Gliedmaße "im Gelenk" anzunehmen. Das sachverständig beratene Landgericht habe den Invaliditätsgrad unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzung des Schultereckgelenks zutreffend bestimmt. Der Sachverständige Prof. Dr. T.    habe überzeugend dargelegt, dass die Gebrauchsminderung des linken Arms mit insgesamt 5/20 Armwert zu bewerten sei, dabei sei einerseits die Verletzung des Schultereckgelenks zu berücksichtigen, die der Sachverständige mit 2/20 Armwert bewertet habe, andererseits die vom Sachverständigen mit 1/7 Armwert bewertete Vorinvalidität. Letztere müsse nach Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 in Abzug gebracht werden.

9

Den Nachweis dafür, dass bei dem Unfall vom 8. Oktober 2005 auch das linke Sternoklavikulargelenk verletzt worden sei, habe der Kläger bisher nicht erbracht. Eine weitere Sachaufklärung dazu erübrige sich, weil es für diese behauptete Verletzung an einer ärztlichen Feststellung binnen 15 Monaten nach dem Unfall fehle (Nr. 2.1.1.1 AUB 2000). Die vom Kläger vorgelegte fristgerechte Feststellung einer dauerhaften Gebrauchsminderung der linken Schulter besage nichts über eine Verletzung des Sternoklavikulargelenks. Eine solche Verletzung und ihre fehlerhafte Verheilung seien als invaliditätsbegründender Dauerschaden somit nicht fristgerecht ärztlich festgestellt.

10

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

11

1. Rechtsfehlerhaft ist bereits die Bestimmung des Invaliditätsgrades anhand der Gliedertaxe der Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000.

12

Deren Auslegung ergibt, dass die Verletzung des Schultereckgelenks vom Armwert nicht erfasst wird, so dass der Grad der Invalidität des Klägers nach Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 zu bestimmen ist.

13

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (Senatsurteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.).

14

b) Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt dem Leistungsversprechen aus Nr. 2.1 AUB 2000 und der in Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 getroffenen Regelung über die Gliedertaxe zunächst, dass der Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Wie sich die Höhe der Leistungen im Einzelnen bemisst, kann der Versicherungsnehmer Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 für die dort genannten Körperteile und Sinnesorgane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder diesem gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilgliedes steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab (vgl. zu diesem Verständnis der Gliedertaxe in den AUB 88: Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 - IV ZR 34/11, r+s 2012, 143 Rn. 10 m.w.N.).

15

Der Systematik der Gliedertaxe kann der Versicherungsnehmer ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fingers mit 5% beginnen und des (gesamten) Armes mit 70% enden. Hiermit trägt die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass Gliedverluste - entsprechendes gilt für völlige oder teilweise Gebrauchsunfähigkeit - mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das Körperglied verloren gegangen (oder die Gebrauchsbeeinträchtigungen auslösende Ursache zu lokalisieren) ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen (Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 11 m.w.N.).

16

Nimmt der Versicherungsnehmer - ausgehend von dieser Systematik - den Wortlaut der in Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 für Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes getroffenen Regelung in den Blick, weist ihn - anders als bei der in früheren Bedingungen gebräuchlichen Formulierung "Verlust oder Funktionsunfähigkeit … eines Armes im Schultergelenk" (vgl. zu § 7 I (2) a AUB 88: Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 12; zu § 7 I (2) a AUB 94: Senatsurteil vom 24. Mai 2006, IV ZR 203/03, r+s 2006, 387 Rn. 19 ff.) - nichts darauf hin, dass der gesamte Schultergürtel zum Arm zählen und eine dort eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedingungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten soll. Vielmehr wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer der von 5% bis 70% reichenden Staffelung entnehmen, dass zum Arm nur dessen in der Gliedertaxe im Einzelnen benannte Teile, nämlich die Finger, die Hand, der Arm unterhalb und bis oberhalb des Ellenbogens, schließlich der restliche Arm zählen sollen. Teile der Schulterpartie, mögen sie auch funktionell dazu bestimmt sein, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufzunehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten, wird er nicht als vom Bedingungswortlaut erfasst ansehen.

17

c) Auch aus dem systematischen Zusammenhang, in den die Taxenregelung über den Arm gestellt ist, ergeben sich keine anderslautenden Hinweise. Nichts deutet in den unter Nr. 2.1.2.2.1 und Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 getroffenen Regelungen zur Bestimmung des Invaliditätsgrades darauf hin, dass auch die Schädigung von nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperpartien nach der Gliedertaxe eingestuft werden soll, sofern sich diese Schädigung lediglich auf den Gebrauch der in der Gliedertaxe aufgeführten Gliedmaßen auswirkt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt vielmehr, dass die Gliedertaxe durchgängig auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abstellt (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 10 m.w.N.). Anders als die Beklagte meint, gilt das nicht nur für die Einordnung einer Schädigung in die von der Gliedertaxe angeführten Teilbereiche eines Armes oder Beines, sondern auch für die Abgrenzung zu nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperteilen.

18

d) Soweit sich das Berufungsgericht für seine anderslautende Auffassung auf die Senatsrechtsprechung zu früheren Fassungen der AUB stützt (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02, r+s 2003, 427 = VersR 2003, 1163 unter II 2 c (2) - "Hand im Handgelenk"; vom 24. Mai 2006 - IV ZR 203/03, r+s 2006, 387 Rn. 19 ff. und vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 12 - "Arm im Schultergelenk") und meint, der Senat habe dabei letztlich für die Anwendung der Gliedertaxe auf eine Funktionsunfähigkeit im jeweiligen Gelenk abgestellt, lässt sich dies auf den hier vereinbarten Bedingungswortlaut nicht übertragen, weil in Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 vom Schultergelenk im Zusammenhang mit dem Verlust oder einer Funktionsbeeinträchtigung des Armes nicht mehr die Rede ist und der Versicherungsnehmer mithin keinen Hinweis darauf erhält, dass das Schultergelenk oder gar der gesamte Schultergürtel der Gliedertaxe unterfallen soll.

19

2. Zu Unrecht hat es das Berufungsgericht für entbehrlich erachtet, weiteren Beweis darüber zu erheben, ob der Unfall des Klägers vom 8. Oktober 2005 zusätzlich zu einer - inzwischen fehlverheilten - Verletzung des linken Sternoklavikulargelenks geführt hat; anders, als das Berufungsgericht meint, wäre eine solche Verletzung von der binnen der 15-Monatsfrist der Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 getroffenen ärztlichen Invaliditätsfeststellung vom 13. Oktober 2006 erfasst.

20

a) Seine anderslautende Auffassung kann das Berufungsgericht nicht auf die Senatsentscheidung vom 7. März 2007 (IV ZR 137/06, VersR 2007, 1114 = r+s 2007, 255 Rn. 10 ff.) stützen.

21

Der Senat (aaO Rn. 10 ff.) hat dort ausgeführt, die 15-Monatsfrist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung diene dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führe selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden treffe. Allerdings seien an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie müsse sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern und brauche hinsichtlich der Feststellung der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens noch nicht einmal richtig zu sein. Es müssten sich aus ihr aber die ärztlicherseits für einen Dauerschaden angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben, denn die Invaliditätsbescheinigung solle dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich solle sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar seien und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen wolle. Deshalb könnten nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.

22

b) Das lässt sich auf den Streitfall nicht in der Weise übertragen, dass die behauptete Verletzung des Sternoklavikulargelenks nicht von der hier vorgelegten ärztlichen Invaliditätsfeststellung erfasst wäre. Die ärztliche Bescheinigung über eine durch den Unfall verursachte dauerhafte "Gebrauchsminderung der li. Schulter" gab dem beklagten Versicherer ausreichenden Anlass, zur Prüfung seiner Leistungspflicht alle Körperteile im Bereich der linken Schulter in den Blick zu nehmen, die Einfluss auf diese Gebrauchsminderung haben konnten. Das sind vor allem sämtliche zum linken Schultergürtel des Klägers gehörenden knöchernen Teile, mithin auch das Sternoklavikulargelenk, zumal bereits die festgestellte Verletzung des Schultereckgelenks durch mechanische Gewalt es nicht fernliegend erscheinen ließ, dass die Unfallkräfte auch das andere Ende des linken Schlüsselbeins in Mitleidenschaft gezogen haben konnten. Die vom Senat in seinem Urteil vom 7. März 2007 formulierten Maßstäbe sind nicht dahin zu verstehen, dass bereits im Rahmen der fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung eine möglichst präzise Diagnose des Umfangs und der Ursachen eines Dauerschadens gefordert wäre. Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es vielmehr, wenn diese Feststellung die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird.

23

Im Streitfall konnte der Versicherer der ärztlichen Feststellung entnehmen, dass der Unfall, bei dem der Kläger mit der Schulter aufgeprallt war, zu deren dauerhafter Gebrauchsminderung geführt hatte. Das schließt alle Verletzungen und Schäden ein, die infolge des Aufpralls mechanisch im Bereich der linken Schulter hervorgerufen worden waren. Nicht erfasst wären hingegen Unfallschäden, die zwar aufgrund desselben Unfalls, aber entweder - wie etwa psychisch bedingte Einschränkungen - mittels einer anderen Kausalkette entstünden oder sich an anderen Körperstellen, beispielsweise der Wirbelsäule oder der Hüfte, auswirkten.

24

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung des Invaliditätsgrades nach den vorgenannten Maßstäben zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis führt. Wird sein linker Schultergürtel nach Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 untersucht und dabei möglicherweise zusätzlich eine unfallbedingte Verletzung des Sternoklavikulargelenks festgestellt, deren Berücksichtigung das Berufungsgericht bisher abgelehnt hat, so ist nicht auszuschließen, dass die Einstufung des Dauerschadens höher ausfällt als bisher angenommen.

25

Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht einen Abzug wegen Vorinvalidität mit der bisher gegebenen Begründung nicht hätte vornehmen dürfen. Nach Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 wird der Invaliditätsgrad gemindert, wenn "betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt" waren. Die Vorschädigung des Klägers aus seinem früheren Unfall vom August 1999 betrifft nach der Behauptung der Beklagten den linken Arm mit 1/7 Armwert infolge einer Teildurchtrennung der Trizepssehne im Bereich des Oberarmes. Ordnet man nach richtiger Auslegung der Gliedertaxe die nach dem Unfall vom 8. Oktober 2005 erlittene Dauerschädigung nicht dem Arm, sondern dem linken Schultergürtel zu, bedarf es nach Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 besonderer Darlegungen, dass die Vorschädigung am Oberarm dem von der Invalidität "betroffenen Körperteil" im Sinne der Klausel zuzuordnen ist.

26

III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

27

Die Jahresfrist für den Eintritt der Invalidität nach Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 soll den Versicherer davor schützen, für dauerhafte Spätfolgen eines Unfalls eintreten zu müssen, die sich erst später als ein Jahr nach einem Unfall erstmals zeigen. Geschützt wird damit das Kalkulationsinteresse des Versicherers. Tritt ein Dauerschaden binnen der Jahresfrist ein, besagt diese Frist aber nicht, dass bei der nachfolgenden Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände herangezogen werden dürften, die innerhalb der Jahresfrist erkennbar geworden sind. Vielmehr kann der Versicherungsnehmer im Rechtsstreit um die Erstbemessung seiner Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen (Senatsbeschluss vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, r+s 2009, 293 = VersR 2009, 920 Rn. 19). Eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung medizinischer Umstände bei der Erstfestsetzung ist auch nicht der in Nr. 9.4 AUB 2000 gesetzten Dreijahresfrist für die Neubemessung der Invalidität zu entnehmen. Zwar wird daraus ersichtlich, dass sich nach einer Erstfestsetzung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses mangels Erstfestsetzung gar nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum.

Mayen                               Felsch                                   Harsdorf-Gebhardt

              Dr. Karczewski                    Dr. Schoppmeyer

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil des Landgerichts Stendal vom 22. Dezember 2015 mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und die Sache an das Landgericht Stendal zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.285 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Kapitalinvaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung.

2

Nach vorangegangenem Antrag des Klägers auf Abschluss einer Familienversicherung übersandte ihm die Beklagte im Jahr 2002 einen entsprechenden Versicherungsschein über eine Familienversicherung, die für ihn auch einen Unfallversicherungsschutz beinhaltete. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob der Sendung auch die damaligen AUB 2001 der Beklagten beigefügt waren.

3

Auf einen Änderungsantrag des Klägers vom 20. Januar 2005 (Bl. 85, 86 Bd. I d. A.) wurde ab Februar 2005 eine dynamische Unfallversicherung mit jährlichem Zuwachs von 5 % bei einer Invaliditätsgrundsumme von 40.000 € vereinbart, wobei auch insoweit umstritten ist, ob dem Kläger zusammen mit einem Ersatzversicherungsschein die AUB 2001 (Version 1/05) mit übersandt wurden.

4

Auf Grund eines weiteren formularmäßigen Änderungsantrages vom 11. März 2008 (Bl. 97, 98 Bd. I d. A.), in dem als Vertragsgrundlage auf die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (M. AUB 2008) verwiesen wird und in dem der Kläger auf Seite 2 schriftlich bestätigte, die Vertragsinformationen zur Unfallversicherung ausgehändigt erhalten zu haben (Bl. 98 Bd. II d. A.), fand eine Umstellung auf eine 500 %ige Progression für das Invaliditätskapital sowie eine sogenannte Komfortdeckung statt. Auch insoweit hat der Kläger in Abrede gestellt, die AUB 2008 erhalten zu haben.

5

Zum 1. August 2010 beantragte die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten die Mitversicherung für die am 12. April 2010 geborene gemeinsame Tochter A. .

6

Am 2. November 2012 erlitt der Kläger während seiner Arbeit einen Unfall, als er von der Ladefläche eines Lkw-Anhängers etwa 2 m in die Tiefe stürzte. Neben anderen Verletzungen trug er eine distale Radiustrümmerfraktur am linken Arm unter Beteiligung des Handgelenkes sowie eine Bandverletzung (zwischen Kahnbein und Mondbein der Handwurzel) davon. Auf Grund von Komplikationen im Heilungsverlauf wurde zunächst am 15. April 2013 das zuvor eingebrachte Osteosynthesematerial operativ am linken Handgelenk entfernt und im Rahmen einer weiteren Operation am 2. Juni 2013 eine Denervierung geschädigter Nerven sowie die Versteifung des linken Handgelenks vorgenommen.

7

Der als Sachverständiger von der Beklagten beauftragte Dr. D. stellte in seinem Gutachten vom 11. September 2014 (Bl. 16 - 27 Bd. I d. A.) als verbleibende Unfallfolgen fest:

8

1. Ein vollständiger Verlust der Beweglichkeit im linken Handgelenk infolge der erforderlich gewordenen Arthrodese-Operation,

9

2. belastungsabhängige Schmerzzustände im linken Handgelenk,

10

3. eine elektrisierende Berührungsempfindlichkeit über der linken Handwurzel,

11

4. eine Interaktivitätsosteoporose des linken Handgelenks und

12

5. drei reizlose oberflächliche Narben im Bereich des linken Handgelenks sowie

13

6. eine eingeschränkte Auswärtsbewegung im linken Unterarm

14

Diese Beeinträchtigungen schätzte Dr. D. als Invalidität mit 6/20 Handwert ein. Hierauf aufbauend bezifferte die Beklagte Invaliditätsansprüche des Klägers mit Schreiben vom 30. September 2014 (Bl. 29, 30 Bd. I d. A.) nach der Gliedertaxe und gelangte bei einem aufgerundeten Invaliditätsgrad von 17 % bezogen auf die Invaliditäts-Grundsumme von 44.500 € zu einem Betrag von insgesamt 7.565 €.

15

Der Kläger hat behauptet, keinerlei Fassungen der AUB von der Beklagten erhalten zu haben. Seiner Auffassung nach könnten deshalb die AUB der Beklagten - ganz gleich in welcher Version - nicht wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen worden sein. Im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung müsse man für eine Lückenschließung auf die Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft in der Fassung AUB 94/88 zurückgreifen, die - so die Behauptung des Klägers - zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2002 von Versicherern teilweise auch noch für Neuverträge verwandt worden seien. Nach dieser ursprünglichen Fassung der AUB, in der sich bei der Gliedertaxe noch die Formulierung "Hand im Handgelenk" finde, sei nach der sogenannten Gelenkrechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 9. Juni 2003, Az.: IV ZR 74/02, zitiert nach juris) die vollständige Versteifung eines Handgelenks dem Verlust der gesamten Hand gleichzusetzen. Ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 55 % laufe dies angesichts einer vereinbarten Progression von 500 % auf 130 % der Invaliditätssumme (44.500 €) und damit auf einen Anspruch in Höhe von 57.850 € hinaus.

16

Wegen der Vertragsänderung im März 2008 hat der Kläger weiterhin beanstandet, die Beklagte habe gegen ihre Beratungspflichten verstoßen, weil ihr Vertreter R. nicht über verbundene Nachteile der Änderung informiert und auch nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, ein Protokoll über das Beratungsgespräch erstellt habe.

17

Hilfsweise hat sich der Kläger darauf zurückgezogen, dass selbst dann, wenn eine zeitlich nachfolgende Versionen der AUB, die in der Gliedertaxe auf den Begriff "Hand" abstellt, Anwendung zu finden hätte, ein weiterer Invaliditätsanspruch in Höhe von 23.585 € noch offen sei. Denn für diesen Fall sei nach der Gliedertaxe nicht auf den Wert der Hand, sondern auf den für den Unterarm geltenden Wert (60 %) abzustellen, da der Sitz der unfallbedingten Schädigung im Unterarm liege. Einer Einschätzung von 3/7 des Unterarmwertes, wie dies zwischenzeitlich nach einer Einschätzung von Dr. D. im Raum gestanden habe, sei hingegen zu niedrig bemessen. Richtigerweise müsse eine Invalidität mit 5/7 des Unterarmwertes angesetzt werden.

18

Der Kläger hat beantragt,

19

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 57.850,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. November 2014 auf 23.585 € sowie auf weitere 34.265,50 € seit Rechtshängigkeit und daneben außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.242,84 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

20

Die Beklagte hat beantragt,

21

die Klage abzuweisen.

22

Die Beklagte hat behauptet, dem Kläger seien nach Maßgabe des sogenannten Policenmodells sowohl bei Vertragsschluss als auch bei der Vertragsänderung im Jahr 2005 ihre AUB 2001 in der jeweils gültigen Fassung zusammen mit einem entsprechenden Versicherungsschein übersandt worden. Zudem seien dem Kläger im Jahr 2008 anlässlich der Vertragsänderungen die AUB in der Fassung von 2008, und zwar bereits vor der Antragsstellung, überlassen worden.

23

Vor diesem Hintergrund sei für eine Anwendung der AUB 94/88 und die dortige Gliedertaxe mit der Anknüpfung "Hand im Handgelenk" kein Raum. Im Übrigen sei bei den zeitlich nachfolgenden Fassungen der Gliedertaxe richtigerweise auf den Hand- und nicht den Unterarmwert abzustellen. Folglich sei nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige Dr. D. die Beeinträchtigung nach dem Handwert vorgenommen habe. Der Kläger könne deshalb keine weiteren Leistungen mehr beanspruchen.

24

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Dezember 2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass für die Gliedertaxe nicht mehr auf die ursprüngliche Fassung der AUB mit der Formulierung "Hand im Handgelenk", sondern allein auf den Begriff "Hand" abzustellen sei. Denn spätestens im Jahr 2008, anlässlich der damaligen Vertragsänderung, habe der Kläger die AUB 2008 erhalten. Da er dies entsprechend schriftlich bestätigt habe, sei er wegen seiner anders lautenden Behauptung, die der Urkundenlage widerspräche, beweisfällig geblieben.

25

Soweit die Klägerseite einen Verstoß der Beklagten gegen die Informationspflichten aus § 7 VVG rügt, könne dies im Ergebnis offen bleiben. Denn selbst wenn man mit dem Kläger von der Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsanpassung ausginge, sei auf die AUB 99 mit der neueren Formulierung "Hand" abzustellen, da die entsprechenden Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft LV bei Vertragsschluss im Jahr 2002 bereits mehr als drei Jahre veröffentlicht gewesen seien. Bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen hätten die Parteien, wenn ihnen damals die Unwirksamkeit der Bedingungen bewusst gewesen wäre, die modernere Fassung der AUB gewählt, da diese, anders als die Vorgängervorschrift, nicht mehr die vom BGH als missverständlich gerügte Formulierung "Hand im Handgelenk" verwendete.

26

Richtigerweise sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den Unterarmwert, sondern allein auf den Wert der Hand nach der Gliedertaxe abzustellen. Selbst wenn die Ausgangsverletzung im Bereich des Unterarms gelegen habe, bestehe die hier maßgebliche Schädigung in einer Versteifung des Handgelenkes, welches zur Hand und nicht zum Unterarm zu zählen sei. Das Maß der Funktionsbeeinträchtigung mit 6/20 des Handwertes sei zudem angemessen und nicht zu beanstanden. Der Kläger habe die entsprechende Einschätzung des Dr. D. nicht substantiiert angegriffen. Letztlich hätten zwischen den Parteien nicht das Maß der Invaliditätsbeeinträchtigung, sondern allein rechtliche Aspekte einer Invaliditätsberechnung im Streit gestanden. Von der Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen zur Überprüfung des Invaliditätsgrades könne deshalb abgesehen werden.

27

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung und verfolgt sein erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiter fort.

28

So rügt er weiterhin, das Landgericht habe fehlerhaft den Handwert der Gliedertaxe zugrunde gelegt, da bei einer Handgelenksverletzung richtigerweise auf den Wert des Unterarms abgestellt werden müsse. In diesem Zusammenhang sei der bereits in erster Instanz geltend gemachte Unterarmwert von 4/7 um weitere 15 Prozentpunkte wegen der vorliegenden Versteifung des Handgelenks zu erhöhen, was auf eine Gesamtinvalidität von 55 % hinauslaufe und unter Berücksichtigung der bereits von Beklagtenseite geleisteten Zahlung (7.565 €), eine noch offene Forderung von 50.285 € bedeute.

29

Daneben wendet sich der Kläger zwar nicht mehr gegen eine vertragliche Einbeziehung der AUB 2008, hält aber am Vorwurf eines Beratungsverschuldens sowie seiner Auffassung fest, es müsse im Ergebnis auf die ursprüngliche Gliedertaxe mit der Formulierung "Hand im Handgelenk" und die hieran anknüpfende Gelenkrechtsprechung des BGH abgestellt werden.

30

Der Kläger beantragt,

31

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.285 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. November 2014 auf 23.585 € sowie auf 26.415 € seit Rechtshängigkeit als auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

32

Hilfsweise beantragt er,

33

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

34

Die Beklagte beantragt,

35

die Berufung zurückzuweisen.

36

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens.

II.

37

Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst formell zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache insoweit Erfolg, als auf den Hilfsantrag des Klägers die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nebst dem zugrunde liegenden Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen war.

38

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht nicht auf die Gliedertaxe in ihrer ursprünglichen Fassung mit der Formulierung "Hand im Handgelenk" abgestellt (1). Allerdings hat es im Folgenden für die betroffene Verletzung unzutreffend den Wert der Hand anstatt den Unterarmwert als maßgeblich erachtet (2). Weiterhin hat es die Einwände des Klägers gegen den von Dr. D. in seinem vorprozessualen Gutachten bestimmten Invaliditätsgrad verfahrensfehlerhaft als unsubstantiiert angesehen und unberücksichtigt gelassen (3).

1.

39

Anders als der Kläger meint, können auf den gegenständlichen Versicherungsfall nicht mehr die Gliedertaxe mit ihrer ursprünglichen Begrifflichkeit "Hand im Handgelenk" entsprechend den AUB 94/88 und die hieran anknüpfende Gelenkrechtsprechung des BGH Anwendung finden.

40

Der BGH hat in einem Urteil vom 9. Juli 2003, Az.: IV ZR 74/02, die Formulierung Hand im Handgelenk als missverständlich in den Fällen erachtet, in denen, etwa nach einer Versteifung des Handgelenks, die Funktionsfähigkeit eines Gelenks ganz aufgehoben war. Der BGH hat deshalb dem Versicherungsnehmer das für ihn günstigste Verständnis der Gliedertaxe zugutegehalten und trotz verbliebener Handfunktionen (Fingerbeweglichkeit) den vollen Invaliditätsgrad für die Hand zugesprochen. Um ein solches Ergebnis auszuschließen, sind in den der AUB 94/88 nachfolgenden Bedingungswerken - wie auch in denen der Beklagten - die Zusätze im Schultergelenk, im Handgelenk und im Fußgelenk gestrichen worden. Damit war der sogenannten Gelenkrechtsprechung des BGH nach den neueren Bedingungswerken der Boden entzogen.

41

a) Für die zumindest in erster Instanz vom Kläger präferierte Anwendung der AUB 94/88 im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung, ist bereits deshalb kein Raum mehr, weil die AUB 2008 - wogegen sich der Kläger mit der Berufung auch gar nicht mehr wendet - anlässlich der Vertragsänderung im März 2008 wirksam einbezogen worden sind.

42

Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass der Kläger im März 2008 in seinem Versicherungsantrag ausdrücklich schriftlich bestätigt hat, die AUB 2008 erhalten zu haben. Es mag dahinstehen, ob mit dieser schriftlichen Erklärung die Beweislast für eine fehlende Übergabe zulasten des Klägers umgekehrt worden ist oder ob man, ausgehend von der mit einer Quittung für gewöhnlich verbundenen Beweiskraft des § 416 ZPO, lediglich von einem ersten Anschein für die Übergabe auszugehen hat. Denn in jedem Fall hätte es dem Kläger oblegen, Umstände darzutun, die geeignet gewesen wären, eine entsprechende tatsächliche Vermutung für eine Übergabe der AUB 2008 zu entkräften. Dies ist nicht geschehen. Die schriftliche Übergabebestätigung unterliegt auch sonst keinen rechtlichen Bedenken. Hierbei handelt es sich zwar um eine vorgefertigte Erklärung, die ihrerseits als Allgemeine Geschäftsbedingung zu verstehen ist. Sie ist aber in dem Antragsformular drucktechnisch mittels besonderer Umrahmung und einer gesondert zu leistenden Unterschrift ausreichend vom übrigen Formulartext abgehoben, sodass von einer gesonderten Unterschrift im Sinne des § 309 Nr. 12 b) BGB auszugehen ist.

43

Doch selbst, wenn man von einer fehlerhaften Einbeziehung von Versicherungsbedingungen und der Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung mit dem Kläger ausginge, wäre für die Anwendung der AUB 94/88 kein Raum.

44

Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil kann an dieser Stelle verwiesen werden. Daneben verkennt der Kläger allerdings auch, dass sich eine an Treu und Glauben ausgerichtete vertragliche Lückenausfüllung nur schwerlich an dem erst Jahre später eingetretenen Versicherungsfall orientieren kann, um dem Versicherungsnehmer mit Blick hierauf, anhand einer für ihn günstigen AUB-Klausel, zu einer für ihn möglichst vorteilhaften Regulierung zu verhelfen. Ein derartiges Auslegungsverständnis widerspräche bereits dem Wesen des Versicherungsvertrages, das gerade auf eine Absicherung vor einem ungewissen Schadensereignis ausgerichtet ist und folglich erst später eingetretene Versicherungsfälle bei einer Lückenausfüllung unberücksichtigt lassen muss. Hinzu kommt, dass als maßgeblichen Zeitpunkt für eine ergänzende Vertragsauslegung nicht allein auf das Jahr 2002, sondern vielmehr auf das Jahr 2008 abgestellt werden müsste, da sich in diesem Jahre auf Grund der Vertragsänderung die Frage einer Einbeziehung von AUB erneut stellte. Im Jahre 2008 waren hingegen die ursprünglichen AUB mit der Formulierung Hand im Handgelenk, wie dies der Kläger noch für das Jahr 2002 behauptet hat, nicht mehr gebräuchlich, weshalb auch danach für eine Gliedertaxe mit der Begrifflichkeit Hand im Handgelenk jede nachvollziehbare Anknüpfung fehlt.

45

b) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auch auf ein Beratungsverschulden des Versicherungsvermittlers R. anlässlich der Vertragsänderung im März 2008, welches einer Einbeziehung der AUB 2008 entgegenstehen soll. Selbst bei Annahme - eines ohnehin nicht ersichtlichen - Beratungsverschuldens wegen des konkret vereinbarten bzw. geänderten Versicherungsumfanges musste sich eine Beratung jedenfalls nicht auf die Einbeziehung der dem Kläger ausgehändigten AUB 2008 beziehen. Hierfür war kein konkreter Beratungsbedarf ersichtlich. Ebenso geht der Einwand fehl, es sei kein Beratungsprotokoll erstellt worden, da eine Dokumentationspflicht während der Dauer eines laufenden Versicherungsverhältnisses nach § 6 Abs. 4 VVG nicht vorgesehen ist.

2.

46

Angesichts der hier betroffenen Unfallverletzung hat das Landgericht jedoch nach der Gliedertaxe fehlerhaft nicht auf den Wert des Unterarms, sondern auf den Wert für die Hand abgestellt.

47

Im Ausgangspunkt ist indessen nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht die Versteifung des Handgelenks als maßgeblichen Invaliditätsschaden ansieht. Denn wenngleich diese Versteifung nicht unmittelbar durch den Unfall, sondern erst vermittelt durch entstandene Komplikationen im Heilungsverlauf und eine anschließende Operation hervorgerufen wurde, geht sie doch letztendlich kausal und zurechenbar auf den ursprünglichen Unfall zurück, weshalb - auch von den Parteien nicht infrage gestellt - der Zustand nach der Versteifungsoperation, wie vom Sachverständigen Dr. D. in seinem Gutachten beschrieben, bei der Invaliditätsbewertung Berücksichtigung zu finden hat.

48

Die Frage, ob der Unterarm oder, wie Beklagte und Landgericht meinen, der Wert der Hand der richtige Ausgangspunkt für eine Invaliditätsbemessung bedeutet, spiegelt letztlich den Meinungsstreit in der Unfallversicherung wider, ob für die Gliedertaxe auf den Sitz der (primären) Verletzung oder aber den Ort, an dem sich die Funktionsunfähigkeit bzw. Beeinträchtigung manifestiert, abzustellen ist. Hierzu hat sich der BGH anlässlich einer betroffenen Schulterverletzung in einem Urteil vom 1. April 2015, Az.: IV ZR 104/13, zitiert nach juris, richtungsweisend positioniert:

49

Dort hatte das Berufungsgericht die Schulterverletzung in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung nach dem Oberarmwert der Gliedertaxe bemessen und darauf abgestellt, dass das Schultergelenk in erster Linie der Beweglichkeit des Armes diene, wohingegen weitergehende Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des Schultergürtels nur untergeordneter Bedeutung seien. Dem ist der BGH nicht gefolgt. Ausgehend von der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers sei es, anders als bei den Vorgängerfassungen (Arm im Schultergelenk), bei der Begrifflichkeit Oberarm keineswegs eindeutig, dass damit auch Verletzungen im Schultergelenkbereich mit einbezogen sein sollen. Deshalb müsse die Invalidität in einem solchen Falle nicht nach der Gliedertaxe, sondern unabhängig hiervon nach den anderen Körperteilen bemessen werden.

50

Diese Ausführungen des BGH, die der Senat teilt, sind nicht nur auf Verletzungen des Schultergelenks zu beschränken, sondern auch auf andere Gelenkverletzungen anzuwenden. Mithin ist die Invalidität für den gegenständlichen Unfall nicht nach dem Hand-, sondern dem Unterarmwert der Gliedertaxe zu bestimmen.

51

Der Argumentation des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, das Handgelenk sei, wie sein Name quasi schon nahelege, zur Hand zu zählen, überzeugt den Senat hingegen nicht. Handgelenk und Hand sind keineswegs gleichbedeutend. Die Bedeutung des Handgelenks geht vielmehr von seinem Wortlaut und von seiner körperlichen Funktion über die Bedeutung der Hand hinaus. Es stellt das Bindeglied zwischen Hand und Oberarm dar. Maßgeblich muss danach letztlich sein, dass die ursprüngliche Unfallverletzung als Radialbruch im Unterarm und nicht in der Hand lokalisiert war. Die Versteifungsfolge geht damit auf eine Verletzung, die ihren Sitz im Unterarm hatte, zurück.

52

Daneben verkennt das Landgericht aber auch, dass nicht nur die Hand unfallbeeinträchtigt ist, sondern auch der Unterarm eine eigenständige Unfallbeeinträchtigung aufweist. Es ist zwar anerkannt, dass ausstrahlende Beeinträchtigungen, die von der Verletzung eines rumpfferneren auf ein rumpfnäheres Glied erfolgen, zumindest dann, wenn es sich um typische, nicht ungewöhnliche Beeinträchtigungen handelt, bereits mit dem Invaliditätswert des niederen Körpergliedes nach der Gliedertaxe mit abgegolten sind. So verhält es sich hier aber nicht. Denn, was die im Gutachten des Dr. D. beschriebene, eingeschränkte Auswärtsdrehung im linken Unterarm anbelangt, handelt es sich um keine typische Folge einer Handverletzung, sondern um das Resultat der hier vorliegenden Handgelenksversteifung. Deshalb muss man sowohl vom Ort der Unfallverletzung her als auch wegen einer hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung auf den Wert des Unterarms abstellen (vgl. etwa Naumann, VersR 2015, 1350, 1356). Für eine Bemessung außerhalb der Gliedertaxe ist hingegen kein Raum. Der BGH ist in der zitierten Entscheidung vom 1. April 2015 hierzu nur deshalb gelangt, weil sich über dem Oberarm kein rumpfnäheres Glied mehr befindet und folglich der Schultergürtel zu dem nicht von der Gliedertaxe erfassten Rumpf gehört. Dies ist bei der hier betroffenen Verletzung hingegen anders, weil die Gliedertaxe über dem Handgelenk mit dem Unterarm ein maßgebliches Glied für eine Invaliditätsbemessung bereithält.

3.

53

Das Landgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers in entscheidungserheblicher Weise verletzt, worin ein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegt, auf Grund dessen eine umfängliche bzw. aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat gleichermaßen zweckdienlich wie geboten, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.

54

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das erkennende Gericht namentlich dazu, entscheidungserheblichen Sachvortrag zur Kenntnis zu nehmen und diesen bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen (BVerfG, NJW 2000, 131; BGH, ZIP 2007, 1524; BGH, Urteil vom 22. Juni 2009, Az.: II ZR 143/08, zitiert nach juris, Rdnr. 2; OLG München, Urteil vom 18. Dezember 2008, Az.: 19 U 5582/07, zitiert nach juris, Rdnr. 11; OLG Rostock, Urteil vom 16. April 2008, Az.: 1 U 42/08, zitiert nach juris, Rdnr. 28, 29).

55

Gegen diese Grundsätze hat das Landgericht verstoßen, indem es verfahrensfehlerhaft das Vorbringen des Klägers dazu, dass der vorprozessual tätig gewordene Sachverständige Dr. D. den Invaliditätsgrad für die erlittenen Unfallbeeinträchtigungen zu niedrig bemessen habe, verfahrensfehlerhaft als unsubstantiiert erachtet und unberücksichtigt gelassen hat.

56

Selbst von der rechtlichen Warte des Landgerichts aus, musste der Frage, in welcher Höhe ein unfallbedingter Invaliditätsgrad zu bemessen ist, entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen. Es verhält sich auch keineswegs so, dass der Kläger in diesem Zusammenhang die Invaliditätsbemessung nach dem Wert der Hand allein unter rechtlichen Prämissen beanstandet hätte. Vielmehr hat er auch in tatsächlicher Hinsicht den festgestellten Invaliditätsgrad als zu niedrig behauptet. Ebenso wenig lässt sich argumentieren, die Behauptung eines höheren Invaliditätsgrades bzw. die Einwendungen gegen das Gutachten des Dr. D. , dem als bloßes Parteigutachten für das gegenständliche Verfahren keine Bindungswirkung zukommt, seien ohne die erforderliche Substanz geblieben. Denn dem Kläger als Versicherungsnehmer und vor allem als medizinischen Laien war eine nähere Substantiierung dazu, warum sich die Invaliditätseinschätzung des Dr. D. als zu niedrig bemessen darstellt, nicht abzuverlangen. Der Umstand, dass der Kläger den höheren, von ihm behaupteten Invaliditätsgrad in erster Instanz nicht unter Sachverständigenbeweis gestellt hat, wie dies nunmehr geschehen ist, steht der Annahme eines erheblichen Verfahrensfehlers ebenfalls nicht entgegen. Denn insoweit hätte das Landgericht vor einer abschließenden Entscheidung zunächst auf den offensichtlich vom Kläger übersehenen, fehlenden Beweisantritt hinweisen müssen, was gleichfalls verfahrensfehlerhaft verabsäumt wurde.

57

Angesichts des aus diesem Verfahrensdefizit in erster Instanz umfangreich resultierenden Aufklärungsbedarfs erachtet der Senat nach pflichtgemäßem Ermessen eine Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst Zurückverweisung der Sache an das Landgericht für die prozessual allein zweckgerechte und sachlich gebotene Maßnahme.

58

Die Frage einer Zurückverweisung ist im Termin vom 14. September 2016 vor dem Senat ausführlich erörtert worden, ohne dass gegen ein derartiges, allgemein für sachdienlich erachtetes Procedere Bedenken von Seiten einer Partei geäußert worden wären. Angesichts der gleichermaßen umfangreich wie aufwändig zu erwartenden Beweisaufnahme entspricht es dem vorrangigen Interesse der Parteien, vor dem Landgericht als primär zuständiger Tatsacheninstanz zweckdienlicherweise schon dort eine Klärung der nach wie vor grundlegend streitigen Umstände herbeiführen zu können, zumal angesichts der gegenwärtigen Belastungs- und Terminierungssituation des Senates bei eigener Beweisaufnahme nicht mit einer zeitlich früheren Entscheidung zu rechnen wäre.

59

Für das weitere Verfahren weist der Senat noch vorsorglich darauf hin, dass die vom Kläger in der Berufungsbegründung gebrachte Berechnungsmethode, mit der er nach den AUB 2008 zu einem Invaliditätsgrad von 55 % gelangen will, nur schwerlich haltbar sein dürfte. Denn ungeachtet eines konkreten Invaliditätsgrades für die Beeinträchtigung von Hand und Unterarm lässt der Kläger außer Acht, dass in der Unfallversicherung eine Addition der Gliederwerte und Beeinträchtigungen von rumpfferneren und rumpfnäheren Gliedern gerade nicht vorgesehen ist. Die Invaliditätsbeeinträchtigung des untergeordneten Gliedes (hier der Hand) bedeutet lediglich die Mindestschwelle für eine nach dem Unterarmwert zu bildenden Gesamtinvalidität.

III.

60

Über die Kosten der Berufung wird mit der Hauptsache in erster Instanz zu befinden sein.

61

Obgleich es an einem unmittelbar vollstreckbaren Inhalt fehlt, war das Urteil, mit Blick auf die sich insoweit aus den §§ 775 Nr. 1, 767 ZPO vollstreckungsrechtlich ergebenen Konsequenzen, gemäß § 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären (siehe dazu Heßler, in: Zöller, ZPO, 39. Aufl., § 538 Rdnr. 59).

62

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, weil die von den Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch - mit Blick auf das Urteil des BGH vom 1. April 2015, IV ZR 104/13, - die Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

63

Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist entsprechend dem in zweiter Instanz vom Kläger noch verfolgten Zahlungsantrag festgesetzt worden.

64

gez. Krause                gez. Grimm                gez. Scholz


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Januar 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten - soweit noch für das Revisionsverfahren von Belang - auf Rückzahlung geleisteter Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Zwischen den Parteien besteht gemäß Versicherungsschein vom 18. Dezember 2006 ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen "Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2003)" zugrunde. In deren Ziff. 2.1 ist unter Invaliditätsleistung unter anderem geregelt:

"2.1.1

Voraussetzungen für die Leistung:

                 

2.1.1.1  

Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).

Die Invalidität ist

- innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall eingetreten und

- innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von  Ihnen bei uns geltend gemacht worden."

2

Weiter heißt es in Ziff. 9 unter "Wann sind die Leistungen fällig?":

"9.1   

Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen:

                 

9.1.1 

Nachweis des Unfallhergangs und der Unfallfolgen,

                 

9.1.2  

beim Invaliditätsanspruch zusätzlich der Nachweis über den Abschluss des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung der Invalidität notwendig ist. …

9.4     

Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. …"

3

Der Vertrag sieht eine Unfallinvaliditätssumme von 105.000 € sowie zusätzlich "Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (225%)" (im Folgenden: Progressionsstaffel) vor. Diese bestimmen, dass (a) für 25 Prozentpunkte des unfallbedingten Invaliditätsgrads der Versicherer die Invaliditätsleistung aus der im Versicherungsschein festgelegten Invaliditätssumme festlegt und dass (b) jeder Prozentpunkt, der den unfallbedingten Invaliditätsgrad von 25%, nicht aber 50% übersteigt, vom Versicherer bei der Berechnung der Invaliditätssumme mit zwei multipliziert und der Invaliditätssumme gemäß a) hinzugerechnet wird. Beigefügt ist eine Tabelle mit nach vollen Prozentpunkten bemessenen Invaliditätsgraden.

4

Der Beklagte erlitt am 28. April 2007 einen Unfall, als er bei Reparaturarbeiten am Dach eines Gebäudes abstürzte, und stellte bei der Klägerin einen Leistungsantrag. Diese leistete ausweislich ihres Schreibens vom 14. Januar 2010 Vorschusszahlungen in Höhe von 86.719,50 € an den Beklagten, die sie auf der Basis 1/10 Beinwert links, 1/3 Handwert rechts sowie 2/7 Armwert links und damit nach einem Gesamtinvaliditätsgrad von 52,53% (nach Progression: 82,59%) berechnete. Zugleich wies sie darauf hin, den gezahlten Betrag zurückzufordern, wenn die abschließende Untersuchung ergeben sollte, dass der Vorschuss zu hoch bemessen war. Nach weiteren ärztlichen Untersuchungen, zuletzt am 14. Juni 2010, setzte die Klägerin den unfallbedingten Invaliditätsgrad mit Schreiben vom 22. Juli 2010 auf 43,5% (nach Progression: 62,0%) fest unter Berücksichtigung von 3/10 Armwert links und 3/10 Handwert rechts. Ferner forderte sie den überzahlten Vorschuss in Höhe von 21.619,50 € vom Beklagten zurück.

5

Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad des Beklagten zum 28. April 2010 eingeholt. Mit Urteil vom 28. Mai 2014 hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 18.469,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2012 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt er weiter eine Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.

7

I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfS 2015, 456 (m. Anm. Rixecker) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, zwar handele es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um eine Neubemessung, sondern um die abschließende Erstbemessung der Invalidität. Dies führe aber nicht dazu, dass hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beklagten auf einen anderen Zeitpunkt als den durch den gerichtlichen Sachverständigen begutachteten (28. April 2010) abzustellen sei. Auch wenn für die gerichtliche Überprüfung der Erstfeststellung der Invalidität die in Ziff. 9.4 AUB 2003 hinsichtlich der Neubemessung festgelegte Dreijahresfrist für die ärztliche Bemessung der Invalidität nicht gelte, sei in einem Rechtsstreit der Ablauf dieser Dreijahresfrist der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung des Ausmaßes einer etwaigen Invalidität, wenn der Versicherer in der Dreijahresfrist wiederholt Vorschusszahlungen erbracht und sich vor Fristablauf nicht zur endgültigen Erstbemessung in der Lage gesehen habe. Die Regelung in Ziff. 9.4 AUB 2003 diene dem Interesse des Versicherungsnehmers an einem alsbaldigen Erhalt einer Invaliditätsleistung. Zugleich solle verhindert werden, dass die ab-schließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werde. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszwecks sei es nicht sachgerecht, wenn nach Ablauf der Dreijahresfrist eintretende Änderungen für die Invaliditätsprognose Berücksichtigung finden könnten, falls überhaupt keine Erstfestsetzung innerhalb von drei Jahren erfolgt sei. Dagegen sei es nicht interessengerecht, auf den letztlich nicht vorherbestimmbaren und weit nach Ablauf der drei Jahre liegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Gleichfalls sei nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 (18 Monate) maßgeblich. Der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung setze keinen bestimmten Umfang oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraus. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Beklagten zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten das Landgericht und der Sachverständige zutreffend berücksichtigt.

8

Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für den Umstand, dass der Sachverständige den Beklagten vor der Abfassung des Gutachtens nicht persönlich untersucht habe. Schließlich sei auch die Berechnung des Invaliditätsgrads nach den Progressionsbedingungen zutreffend erfolgt. Insbesondere sei aus den Formulierungen in der Progressionsstaffel für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar erkennbar, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% lägen, mit dem Faktor zwei multipliziert werden sollten.

9

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

10

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden (grundlegend Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 - IV ZR 271/06, VersR 2008, 527 Rn. 10 f.; ferner Senatsurteile vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24; Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 - IV ZR 256/10, juris und vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den vereinbarten AUB 2003 zunächst entnehmen, dass der Versicherer gemäß Ziff. 9.1 verpflichtet ist, bei einem geltend gemachten Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten zu erklären, ob und in welchem Umfang er den Anspruch anerkennt. Die Fristen beginnen mit dem Eingang der in Ziff. 9.1 genannten Unterlagen. Aus Ziff. 9.4 wird er sodann entnehmen, dass beide Vertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Eine derartige Neubemessung der Invalidität kommt mithin erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 aaO).

11

In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nimmt das Berufungsgericht auf dieser Grundlage - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - an, dass es sich bei dem Schreiben der Klägerin vom 22. Juli 2010 um die abschließende Erstbemessung der Invalidität und nicht um eine Neubemessung handelt. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Schreiben vom 14. Januar 2010 und 22. Juli 2010 unterliegt als tatrichterliche Würdigung nur einer eingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

12

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts findet indessen die für die Neubemessung der Invalidität geltende Dreijahresfrist auf deren Erstbemessung keine Anwendung (unten a). Es kommt - wie das Berufungsgericht zutreffend sieht - für die Erstbemessung auch nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder weitere in der Rechtsprechung und Literatur erwogene Anknüpfungspunkte an (unten b). Maßgeblich ist für die Erstbemessung vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist - hier 18 Monate - abzustellen (unten c).

13

a) Zwar wird aus Ziff. 9.4 AUB 2003 ersichtlich, dass sich nach einer Erstbemessung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses - wie hier - mangels Erstfestsetzung nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum (Senatsurteil vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; Senatsbeschluss vom 21. März 2012 - IV ZR 256/10, juris). Wäre der Versicherer bei jeder medizinischen Unwägbarkeit berechtigt, drei Jahre schon mit der Erstbemessung zuzuwarten, liefe das dem System der AUB mit der Unterscheidung zwischen Erst- und Neubemessung zuwider (so zu Recht OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.). Bei identischen Fristen für Erst- und Neufestsetzung wäre die Differenzierung zwischen beiden unverständlich und das Neufestsetzungsverfahren weitgehend obsolet.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es auf die Dreijahressfrist an, wenn - wie hier nicht - innerhalb dieses Zeitraums eine Partei die vorbehaltene Neubemessung verlangt (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24). Entsprechendes gilt, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf der dreijährigen Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen (Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 c; kritisch Jacob, VersR 2014, 291, 292; ders. AUB Unfallversicherung 2010 Ziff. 2.1 Rn. 70). Auch ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

15

b) Entscheidender Zeitpunkt für die Erstbemessung - insoweit ist dem Berufungsgericht beizupflichten - ist auch nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574).

16

Tritt ein Dauerschaden im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 binnen 18 Monaten oder einer anderen vereinbarten Frist (gemäß Ziff. 2.1.1.1 der Musterbedingungen AUB 2008/2010 innerhalb eines Jahres) ein, besagt diese Frist zwar nicht, dass bei der nachfolgenden Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände herangezogen werden dürfen, die innerhalb der Invaliditätseintrittsfrist erkennbar geworden sind. Vielmehr können die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität des Versicherungsnehmers im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung offenbar gewordenen Umstände heranziehen (vgl. Senatsurteile vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19).

17

Hieraus folgt aber nicht, dass maßgebender Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität und der nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 anzustellenden Prognose erst der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574). Ansonsten wäre die Erstbemessung der Invalidität auf einen zeitlich von vornherein nicht feststehenden und nicht bestimmbaren Zeitpunkt hinaus geschoben und hinge etwa vom Regulierungsverhalten des Versicherers, der Prozessführung der Parteien sowie gerichtsinternen Abläufen ab. Auf derartige Zufälligkeiten, die in jedem Fall unterschiedlich sein können, kann es für den maßgeblichen Zeitpunkt der Erstfeststellung der Invalidität nicht ankommen (vgl. OLG Hamm ZfS 2015, 453, 454; Rixecker, ZfS 2015, 458, 459; Jacob, r+s 2015, 330, 331 f.; ders. jurisPR-VersR 4/2015 Anm. 5; ders. VersR 2014, 291, 293; Kloth, jurisPR-VersR 7/2014 Anm. 3; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; anders Dörrenbächer, VersR 2015, 619, 620).

18

Aus demselben Grund kann - von Ausnahmefällen abgesehen (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b) - auch nicht der Zeitpunkt der vom Versicherer veranlassten ärztlichen Invaliditätsfeststellung maßgeblich sein (so aber OLG Hamm ZfS 2015, 453; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. G Rn. 145, 149; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; ähnlich OLG München VersR 2015, 482, 483, das den Zeitpunkt der Erstbemessung durch den Versicherer für maßgeblich hält). Ob und wann diese ärztliche Invaliditätsfeststellung erfolgt, hängt vom Zeitpunkt der Meldung des Unfallereignisses durch den Versicherungsnehmer, der Beauftragung eines ärztlichen Gutachters durch den Versicherer und der dann erfolgten ärztlichen Feststellung ab. Diese zeitlichen Zufälligkeiten können nicht maßgebend für die Frage des Bestehens bedingungsgemäßer Invalidität sein. Soweit schließlich teilweise vertreten wird, es sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der weitergehende Abschluss des Heilverfahrens erstmals eine zuverlässige Invaliditätsfeststellung zulasse (Jacob, VersR 2014, 291, 294; ders. Unfallversicherung AUB 2010 Ziff. 2.1 Rn. 64, 66), wird der Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität mit demjenigen der ärztlichen Feststellung sowie der Fälligkeit der Invaliditätsleistung nach Abschluss der erforderlichen Ermittlungen vermischt.

19

c) Entscheidend kommt es für die Erstbemessung der Invalidität bezüglich Grund und Höhe vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist an, hier gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b; OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; ders. VersR 2009, 976, 978; Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Ziff. 2 AUB Rn. 10; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 9 Rn. 16; Rixecker in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 188 Rn. 2; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.; dies. r+s 2009, 441, 451; Brockmöller, r+s 2012, 313, 315; anders Völker/Wolf, VersR 2015, 1358, 1360).

20

Den Ziff. 2.1.1.1 und 9.1, 9.4 AUB 2003 mit den dort genannten Fristen für den Eintritt der Invalidität sowie deren Neubemessung liegt der auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Zweck zugrunde, die abschließende Bemessung der Invalidität nicht auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. Die Regelung wird den Interessen beider Parteien gerecht, indem zum einen sich nach dem Unfall ergebende Veränderungen des Gesundheitszustandes berücksichtigt werden können, zum anderen die abschließende Festsetzung der Invalidität innerhalb überschaubarer Zeit auf der Grundlage eines feststehenden Bemessungszeitpunkts vorzunehmen ist.

21

Dem steht nicht entgegen, dass nach der neueren Senatsrechtsprechung die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen können. Dies bedeutet lediglich, dass auf der Grundlage des Erkenntnisstandes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung rückschauend eine Betrachtung vorzunehmen ist, ob sich bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist (hier 18 Monate) bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnen, nicht dagegen, ob spätere, unvorhersehbare gesundheitliche Entwicklungen die Prognoseentscheidung im nachhinein verändern (vgl. Rixecker, ZfS 2015, 458, 459 f.; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 325).

22

III. Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist auch entscheidungserheblich, da die bisherigen Feststellungen der Invalidität des Beklagten auf der Grundlage des dem Sachverständigen vorgegebenen Stichtags, dem 28. April 2010 (drei Jahre nach dem Unfallzeitpunkt), beruhen. Bei der neuen Begutachtung wird dem Sachverständigen demgegenüber vorzugeben sein, dass es darauf ankommt, ob rückschauend auf den 28. Oktober 2008, d.h. 18 Monate nach dem Unfall, von einer Invalidität im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 auszugehen und mit welchem Grad diese gegebenenfalls zu bemessen war.

23

Der Sachverständige wird im Rahmen seiner erneuten Begutachtung ferner zu beurteilen haben, ob eine persönliche Untersuchung des Beklagten erforderlich ist oder ob die vorliegenden Untersuchungsergebnisse Dritter eine ausreichende Beurteilungsgrundlage bilden. Hierfür ist insbesondere maßgeblich, ob dem Sachverständigen durch eine eigene Untersuchung eine retrospektive Beurteilung der Invalidität des Beklagten zum Stichtag 28. Oktober 2008 besser möglich ist als durch eine bloße Begutachtung von Fremdbefunden. Bei diesen ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass der Beklagte die Untersuchungsergebnisse der Privatgutachter der Klägerin bestritten hat.

24

Schließlich wird das Berufungsgericht bei der nach dem Ergebnis der sachverständigen Beurteilung erneut vorzunehmenden Berechnung des Invaliditätsgrades nach der Progressionsstaffel zu beachten haben, dass auch deren Auslegung nach den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu erfolgen hat. Hierbei wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dieser entnehmen können, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% liegen, mit dem Faktor 2 multipliziert werden sollen. Dabei wird er mangels anderweitiger ausdrücklicher Klarstellung durch die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass entsprechend allgemeinen mathematischen Grundsätzen eine Auf- oder Abrundung bis zum nächsten vollen Invaliditätspunkt zu erfolgen hat.

Mayen                               Felsch                               Harsdorf-Gebhardt

               Dr. Karczewski                    Dr. Bußmann

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin führt den vorliegenden Rechtsstreit als alleinige Erbin ihres nach Klageerhebung verstorbenen Vaters fort. Die Beklagte ist Eigentümerin und Vermieterin der vom Vater der Klägerin zuletzt bewohnten Wohnung in B.   .

2

Am 28. November 2008 wurde der Vater der Klägerin mit einer akuten Legionellen-Pneumonie stationär in ein Krankenhaus aufgenommen. Das zuständige Bezirksamt untersuchte daraufhin am 8. Dezember 2008 das Trinkwasser in der Wohnung und im Keller des Mietshauses; dabei wurde eine teilweise stark erhöhte Legionellen-Konzentration festgestellt.

3

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagte habe ihre Pflicht zur regelmäßigen Kontrolle des Trinkwassers schuldhaft verletzt. Auf dieses Versäumnis sei die Erkrankung ihres Vaters zurückzuführen. Die auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld, insgesamt 23.415,84 € nebst Zinsen, gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

6

Die Klage sei unbegründet, weil es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der (unterstellten) Pflichtverletzung der Beklagten und dem eingetretenen Schaden fehle. Denn es sei nicht mit einer Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebiete, festzustellen, dass Ursache der Erkrankung des Vaters der Klägerin die Kontamination des Trinkwassers in der von der Beklagten vermieteten Wohnung sei. Zwar lege das Gutachten der gerichtlich beauftragten Sachverständigen einen solchen Ursachenzusammenhang nahe. Es sei aber nicht auszuschließen, dass sich der Vater der Klägerin die Infektion außerhalb der Wohnung zugezogen habe. Insbesondere habe die Klägerin selbst darauf hingewiesen, dass ihr Vater bis zu seiner Erkrankung aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen habe. Er sei aktives Mitglied eines Sportvereins gewesen und habe noch am 6. November 2008 am Gründungsjubiläum der Deutsch-Französischen Gesellschaft teilgenommen. Eine Infektion durch Aerosol außerhalb der Wohnung sei deshalb durchaus möglich. Die Rechtsauffassung der Klägerin könnte allenfalls dann Geltung beanspruchen, wenn sich der Vater nahezu ausschließlich in der Wohnung aufgehalten hätte. Der Einwand der Klägerin, dass es nirgendwo anders eine Legionellenepidemie gegeben habe, sei ohne Bedeutung; ansonsten müsste sich die Klägerin gleichermaßen entgegenhalten lassen, dass es auch im Wohnhaus der Beklagten eine solche Epidemie nicht gegeben habe.

II.

7

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht als Erbin ihres Vaters nicht verneint werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine Verursachung der Legionellenerkrankung des Vaters durch kontaminiertes Trinkwasser in der von der Beklagten vermieteten Wohnung lasse sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung sowie darauf, dass das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen zu hohen Maßstab an die erforderliche richterliche Gewissheit angelegt hat.

8

1. Zutreffend sind die Vorinstanzen allerdings davon ausgegangen, dass der Klägerin grundsätzlich vertragliche und deliktische Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zustehen können, wenn die Erkrankung des Vaters durch eine Pflichtverletzung der Beklagten bei der Trinkwasserversorgung des Wohnhauses verursacht worden ist. Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrag der Klägerin entsprach die - überdimensionierte und teilweise keine zur Verhinderung eines Legionellenwachstums erforderliche Temperatur erreichende - Warmwasseraufbereitungsanlage in dem Wohnhaus den Erfordernissen der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) nicht und war seit acht Jahren nicht mehr gewartet worden. Eine - von den Vorinstanzen unterstellte - Pflichtverletzung der Beklagten, die unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Vermieters auch für die Zeit vor dem am 1. November 2011 erfolgten Inkrafttreten der in § 14 Abs. 3 TrinkwV gesetzlich normierten Pflicht des Vermieters zur Untersuchung des Trinkwassers auf Legionellen in Betracht kommt (vgl. hierzu etwa LG Saarbrücken, Urteil vom 11. Dezember 2009 - 10 S 26/08, juris Rn. 24 ff.), ist daher auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legen.

9

2. Zu Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.

10

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht allerdings noch zutreffend davon ausgegangen, dass es bezüglich der Infektion des Vaters durch kontaminiertes Wasser in der Mietwohnung des Vollbeweises (§ 286 ZPO) bedarf. Denn insoweit geht es um die haftungsbegründende Kausalität, für die - anders als für die haftungsausfüllende Kausalität - die Beweiserleichterung des § 287 ZPO nicht gilt (BGH, Urteile vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, NJW 2004, 777 unter II 2 b; vom 24. Februar 2005 - VII ZR 141/03, BGHZ 162, 259, 263 f.; Beschluss vom 14. Januar 2014 - VI ZR 340/13, VersR 2014, 632 Rn. 5; BVerfGE 50, 32, 36; jeweils mwN).

11

b) Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden ist. Revisionsrechtlich ist indessen zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ferner das Beweismaß. Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an die Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz keine von allen Zweifeln freie Überzeugung voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellten und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935 unter II 3 a; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, NJW 2013, 790 Rn. 16 f.; jeweils mwN).

12

c) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Seine Beurteilung beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Zudem hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt; seine Ausführungen lassen besorgen, dass es entgegen den oben genannten Maßstäben den Beweis nur aufgrund fernliegender, theoretischer Zweifel als nicht erbracht angesehen hat. Im Streitfall liegt indes eine Häufung von aussagekräftigen Indizien vor, die den Schluss auf eine Ansteckung des Vaters der Klägerin durch das kontaminierte Wasser in seiner Mietwohnung nahelegen.

13

Das Berufungsgericht ist zwar - an sich zutreffend - davon ausgegangen, dass eine Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Einhalt gebietet, ausreicht. Es hat sich dann aber bei der Beweiswürdigung nicht an diesen Maßstab gehalten. Denn seinen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, welche vernünftigen Zweifel dagegen sprechen, dass sich der Vater der Klägerin die Legionelleninfektion durch kontaminiertes Trinkwasser in der Mietwohnung zugezogen hat. Der einzige Gesichtspunkt, der das Berufungsgericht zu Zweifeln veranlasst hat, ist der Umstand, dass sich der Vater der Klägerin bis zu seiner Erkrankung nicht "nahezu ausschließlich" in seiner Wohnung aufgehalten, sondern ein "aktives Leben" geführt habe, indem er am 6. November 2008 an der Gründungsfeier der Deutsch-Französischen Gesellschaft teilgenommen habe und in einem Sportverein beim Koronarsport aktiv gewesen sei, so dass nicht auszuschließen sei, dass er sich die Infektion anderweit zugezogen haben könnte.

14

Dabei hat das Berufungsgericht weder der kurzen Inkubationszeit noch weiteren aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ersichtlichen und für die Beweiswürdigung wichtigen Umständen genügende Beachtung geschenkt. So ergibt sich aus dem Gutachten der Sachverständigen Professor Dr. G.      , dass es sich bei der Legionellose (Legionärskrankheit), die durch den auch in der Wasserversorgung des Mietshauses der Beklagten - einschließlich der vom Vater der Klägerin angemieteten Wohnung - festgestellten Erreger legionella pneumophila verursacht wird, um eine schwere Lungenentzündung handelt, die dadurch übertragen wird, dass Erreger durch Aufnahme kontaminierten aerolisierten Wassers in die Lunge gelangen, also insbesondere beim Duschen (nämlich durch Einatmen von Erregern, die sich in aerolisiertem Wasser befinden). Die Inkubationszeit beträgt nach dem Gutachten zwei bis zehn Tage, so dass sich der jedenfalls am 21. November 2008 laut Gutachten schon erkrankte Vater der Klägerin höchstwahrscheinlich in der Zeit zwischen dem 11. und dem 19. November 2008 angesteckt haben muss.

15

Schon die Erwägung des Berufungsgerichts, der Vater der Klägerin könne in dieser kurzen Zeit aerolisiertes Wasser an einem anderen Ort als seiner Wohnung aufgenommen haben, erscheint eher fernliegend. Soweit das Berufungsgericht, das auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen hat, ebenso wie das Amtsgericht davon ausgegangen sein sollte, dass die Übertragung auch durch bloßes Händewaschen oder Aufenthalt in einem klimatisierten Raum erfolgen kann, findet das in dem eingeholten Gutachten keine ausreichende Stütze; zumindest hätte das Berufungsgericht in diesem Fall dem Beweisantrag der Klägerin, dass ein derartiger Infektionsweg nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ausgeschlossen sei, nachgehen müssen, etwa durch ergänzende Anhörung der Sachverständigen.

16

Hinzu kommt noch der Umstand, dass von weiteren Legionellenausbrüchen in B.    im November 2008 offenbar nichts bekannt geworden ist. Anders als das Berufungsgericht meint, ist dieser Umstand für die Beweiswürdigung sehr wohl von Bedeutung. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass zu diesem Zeitpunkt in B.    bei einer Vielzahl öffentlich zugänglicher Orte, an denen sich der Vater der Klägerin in der Inkubationszeit - theoretisch - aufgehalten haben könnte (Hotelzimmer, Duschraum im Sportverein etc.) das Trinkwasser ebenso mit Legionellen kontaminiert gewesen war wie sie - in erheblichem Umfang - in der Wasserversorgungsanlage des Mietshauses der Beklagten festgestellt wurden.

17

Schließlich weist die Revision zu Recht darauf hin, dass hier ein spezieller Erregertyp (Serotyp) aufgetreten ist, der sowohl beim Vater der Beklagten anlässlich dessen stationärer Aufnahme in das Krankenhaus als auch in der Wasserversorgungsanlage seiner Wohnung festgestellt wurde. Dies legt - ebenso wie der vorstehend genannte Gesichtspunkt der Legionellenkontamination der Wasserversorgungsanlage des Mietshauses der Beklagten - nahe, dass der Vater der Klägerin sich die Legionelleninfektion in seiner Wohnung zugezogen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts spricht für die Gründungsfeier der Deutsch-Französischen Gesellschaft, wie die Revision zutreffend geltend macht, als Infektionsort schon aus zeitlichen Gründen wenig, weil diese Veranstaltung bereits am 6. November 2008 und damit höchstwahrscheinlich außerhalb der oben genannten Inkubationszeit stattgefunden hatte.

19

3. Das Berufungsurteil beruht auf den dargelegten Rechtsfehlern (§ 545 Abs. 1 ZPO). Bei der - hier vorliegenden - Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen genügt bereits die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht ohne den Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Senatsurteil vom 24. September 2014 - VIII ZR 394/12, BGHZ 202, 258 Rn. 66 mwN). Im Streitfall ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die übergangenen beziehungsweise nicht ausreichend beachteten Gesichtspunkte in seine Würdigung mit einbezogen hätte.

III.

20

Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO); dabei macht der Senat von der Möglichkeit der Verweisung an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts Gebrauch (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Dr. Milger                     Dr. Achilles                                  Dr. Bünger

                   Kosziol                          Dr. Schoppmeyer

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.