Landgericht Stendal Urteil, 24. Juli 2013 - 23 S 2/13

ECLI:ECLI:DE:LGSTEND:2013:0724.23S2.13.0A
bei uns veröffentlicht am24.07.2013

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.07.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Stendal (3 C 959/11) wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

und b e s c h l o s s e n :

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 1.200,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadenersatz wegen einer Pflichtverletzung aus einem Steuerberatervertrag in Anspruch.

2

Die Parteien sind über mehrere Jahre durch einen Steuerberatervertrag miteinander verbunden gewesen. Der Kläger hatte die Beklagte unter anderem beauftragt, seine Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2006 und 2007 zu erstellen.

3

Im Rahmen der für das Jahr 2006 zu fertigenden Einkommensteuererklärung machte der Kläger gegenüber dem Finanzamt Stendal Mehraufwendungen in Höhe von 3.140,00 EUR für eine doppelte Haushaltsführung steuermindernd geltend. Dem lag zugrunde, dass der Beklagte, welcher bis dahin in CC gearbeitet hatte und dementsprechend auch dort seinen ersten Wohnsitz unterhielt, eine Lebensgefährtin in DD kennenlernte. Aus diesem Grund mietete er in besagter Stadt dann eine Wohnung und meldete dort am 03.11.2006 seinen Hauptwohnsitz beim zuständigen Einwohnermeldeamt an. In CC war er weiterhin mit einem Zweitwohnsitz gemeldet.

4

Am 04.07.2008 erließ das Finanzamt Stendal einen Bescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf Basis der von der Beklagten gefertigten Einkommensteuererklärung. Gegen den Kläger wurde Einkommensteuer in Höhe von 3.447,00 EUR, Solidaritätszuschlag von 145,47 EUR und Kirchensteuer in Höhe von 238,05 EUR festgesetzt. Abzüglich bereits entrichteter Steuern verblieb eine noch zu zahlende Steuerschuld von 2.713,52 EUR. In diesem Bescheid erkannte das Finanzamt Stendal die angegebenen Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht an, da der Umzug nach DD nicht beruflich veranlasst gewesen sei. Diese Entscheidung des Finanzamts Stendal stand zum damaligen Zeitpunkt auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes.

5

Der Kläger beauftragte daraufhin die Beklagte, in seinem Namen Einspruch gegen den Steuerbescheid einzulegen. Nach Einlegung des Einspruchs teilte das Finanzamt Stendal gegenüber der Beklagten unter Bezugnahme auf die bereits angesprochene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes mit, dass es an seiner Auffassung festhalten werde. Auf diesen Hinweis nahm die Beklagte den Einspruch gegen den Steuerbescheid mit Schreiben vom 12.02.2009 zurück, ohne vorher mit dem Kläger Rücksprache zu halten. Hierdurch wurde der Steuerbescheid des Finanzamts Stendal vom 04.07.2008 bestandskräftig.

6

Am 05.03.2009 entschied der Bundesfinanzhof in Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung, dass eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung auch dann vorliegen kann, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Haupthausstand aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort verlegt und seine Wohnung am Beschäftigungsort als Zweithaushalt beibehält.

7

Eine Änderung des Steuerbescheides vom 04.07.2008 lehnte das Finanzamt Stendal auf den Antrag des Klägers jedoch ab, da insofern bereits Bestandskraft eingetreten sei. In der Steuererklärung für das Jahr 2007 erkannte das Finanzamt die Kosten des Klägers bezüglich der doppelten Haushaltsführung steuermindernd an.

8

Der Kläger hat behauptet, dass ihm durch die Rücknahme des Einspruchs ein Schaden in Höhe von 1.108,06 EUR entstanden sei. Um diesen Betrag hätte sich seine Steuerschuld vermindert, wenn die im Jahr 2006 angefallenen Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung anerkannt worden wären. Eine Anerkennung wäre entweder im Einspruchsverfahren vor dem Finanzamt Stendal oder im finanzgerichtlichen Verfahren erfolgt, wenn nicht die Beklagte wenige Wochen vor der Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofes vom 05.03.2009 den Bescheid vom 04.07.2008 durch die nicht abgesprochene Einspruchsrücknahme bestandskräftig hätte werden lassen. Dies ergebe sich auch daraus, dass das Finanzamt Stendal unter Zugrundelegung der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Kosten der doppelten Haushaltsführung des Klägers für das Jahr 2007 als berufsbedingte Aufwendungen anerkannt habe.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

10

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.108,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2010 zu zahlen.

11

Die Beklagte hat beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie hat bestritten, dass der Kläger im Jahr 2006 zwei Haushalte geführt habe. Weiterhin sei die Schadensberechnung des Klägers nicht nachvollziehbar. Letztlich hat sie die Ansicht vertreten, dass die Rücknahme des Einspruchs keine Pflichtverletzung sei, da sie auf den Fortbestand der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes habe vertrauen können.

14

Mit dem am 17.07.2012 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht Stendal der Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag stattgegeben.

15

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass in der nicht abgesprochenen Einspruchsrücknahme eine Pflichtverletzung der Beklagten zu sehen sei. Insofern hätte die Beklagte, wenn sie ihre Pflicht, sich laufend über aktuelle steuerrechtliche Rechtsfragen auf dem Laufenden zu halten, nachgekommen wäre, genug Anhaltspunkte gehabt, um eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes vorauszusehen. Insofern sei die Einspruchsrücknahme nicht nachvollziehbar, zumal das Einspruchsverfahren vor den Finanzgerichten kostenfrei sei. Dass die Beklagte von der anstehenden Änderung der Rechtsprechung hätte Kenntnis nehmen müssen, ergebe sich aus der Veröffentlichung von Karl-Heinz Günther in EStB 2008, S. 27-30.

16

Gegen diese Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingereichten und begründeten Berufung unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Ergänzend ist sie der Ansicht, die Berufung des Amtsgerichts auf die Veröffentlichung in EStB 2008 stelle einen Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz dar, da sich keine der beiden Parteien im erstinstanzlichen Verfahren auf diese Veröffentlichung berufen habe.

17

Die Beklagte beantragt,

18

das am 17.07.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Stendal, Az.: 3 C 959/11 (4.0), abzuändern und die Klage abzuweisen.

19

Der Kläger beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Er vertieft ebenfalls sein erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend behauptet der Kläger, eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sei bereits durch dessen Jahresberichte 2007 und 2008 vorherzusehen gewesen, da der Bundesfinanzhof dort die hier relevanten Verfahren als Revisionsverfahren von besonderem Interesse gekennzeichnet hatte.

22

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 17.04.2013 durch schriftliche Vernehmung der Zeugin EE zu der Behauptung des Klägers, bereits aus dem Jahresbericht für das Jahr 2008 des Bundesfinanzhofes habe sich ergeben, dass der Bundesfinanzhof über Fälle der doppelten Haushaltsführung im Wegverlegungsfällen entscheiden werde, wobei der Jahresbericht bereits im Januar 2009 vorgestellt und im Internet veröffentlicht gewesen sei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Zeugenaussage (Bl. 22-30 Bd. II d. A.) Bezug genommen.

II.

23

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ist auch in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden.

24

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat der Klage vielmehr zu Recht im Umfang von 1.108,06 EUR stattgegeben. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in dieser Höhe aus §§ 675 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB wegen einer Pflichtverletzung aus dem Steuerberatungsvertrag zu.

25

Die Pflichtverletzung folgt daraus, dass die Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Steuerbescheid des Finanzamtes Stendal am 12.02.2009 ohne Rücksprache mit dem Kläger zurückgenommen hat, obwohl ihr eine mögliche Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes hätte bekannt sein müssen.

26

Grundsätzlich, insoweit ist der Beklagten zuzustimmen, kann ein Steuerberater damit rechnen, dass eine lange bestehende Rechtsprechung sich nicht ändert, sondern vielmehr konstant fortgeführt wird. Dies liegt jedoch dann anders, wenn ihm Umstände bekannt sind oder bekannt sein müssen, die auf eine Änderung in der Rechtsprechung hindeuten oder eine solche zumindest als möglich erscheinen lassen.

27

Vorliegend hätte die Beklagte Kenntnisse von Umständen haben müssen, die eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zumindest als möglich erscheinen lassen. Sie hätte daher den Einspruch gegen den Steuerbescheid nicht zurücknehmen dürfen, der auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers eingelegt worden war.

1.

28

Soweit das Amtsgericht diese Kenntnis jedoch aus der Veröffentlichung in EStB 2008 herleitet, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.

29

Zunächst ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich bei der zitierten Zeitschrift nicht um eine Pflichtlektüre der Steuerberater handelt. Dem dementsprechenden Vortrag der Beklagten ist der Kläger nicht entgegen getreten. Allein aus diesem Grund ist die vom Amtsgericht zitierte Veröffentlichung nicht geeignet, eine Pflichtverletzung der Beklagten zu begründen.

30

Zum Anderen verstößt die Berufung auf EStB 2008 gegen den Beibringungsgrundsatz. Es wäre Aufgabe des Klägers im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität gewesen darzulegen, in welcher Zeitschrift welches Verfahren Erwähnung gefunden hat und warum die Beklagte hiervon Kenntnis hätte haben müssen, nachdem die Beklagte die Existenz solcher Veröffentlichungen bestritten hat. Dem ist er in der ersten Instanz nicht nachgekommen, sondern hat sich mit dem allgemeinen Verweis auf zahlreiche Fachzeitschriften begnügt. Das Amtsgericht war aufgrund des Beibringungsgrundsatzes aufgrund dieses unsubstantiierten Vortrages gehindert, aufgrund eigener Ermittlungen eine entsprechende Veröffentlichung im Urteil zu verwerten, um eine Pflichtverletzung der Beklagten festzustellen.

2.

31

Der Beklagten ist weiterhin darin zuzustimmen, dass eine entsprechende Kenntnis nicht aus der Beilage zum Bundessteuerblatt hergeleitet werden kann. Insoweit nimmt die Kammer auf die zutreffenden Ausführungen des Kammergerichts Berlin Bezug, denen sie nach eigener Prüfung beitritt (vgl. Kammergericht Berlin, Urt.v. 08.09.2006, 4 U 119/05, 2. Leitsatz, zitiert nach juris; Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Auflage, Rdn. 263, m.w.N.).

3.

32

Letztlich hätte die Beklagte jedoch aufgrund einer Veröffentlichung im Jahresbericht des Bundesfinanzhofes für das Jahr 2007 Kenntnis von einer möglichen Rechtsprechungsänderung haben können und müssen.

33

Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht es für die Kammer fest, dass die Beklagte bei richtiger Ausübung der ihr obliegenden Pflicht, sich über aktuelle Geschehnisse des Steuerrechts auf dem laufenden zu halten, von der anstehenden möglichen Änderung der Rechtsprechung Kenntnis hätte haben können, wenn sie den Jahresbericht des Bundesfinanzhofes für das Jahr 2007 zur Kenntnis genommen hätte, wozu sie berufsrechtlich verpflichtet war.

a.

34

Bei dem Jahresbericht handelt es sich um eine Pflichtlektüre für Steuerberater. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Veröffentlichung zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters gehört, ist zu berücksichtigen, dass der Steuerberater grundsätzlich für die Kenntnis des Steuerrechts und damit - in den Grundzügen - auch der veröffentlichten Rechtsprechung der Finanzgerichte einzustehen hat. Nach allgemeiner Meinung geht diese Verpflichtung jedoch nicht so weit, dass jede veröffentlichte erstinstanzliche Entscheidung, bzw. jedes Publikationsorgan sowie jedes beim BFH anhängiges Revisionsverfahren bekannt sein muss (Vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.04.2007, Az.: 8 U 49/06, Rdn. 31, zitiert nach Juris; Gräfe/Lenzen/Schmeer, a.a.O., Rdn. 234 ff.).

35

Unter Beachtung dieser Grundsätze geht die Kammer davon aus, dass es sich bei dem Jahresbericht des Bundesfinanzhofes um eine Pflichtlektüre für Steuerberater handelt. In ihm werden die bedeutendsten eingehenden Revisionsverfahren eines Jahres von besonderem Interesse und anstehende Entscheidungen des Bundesfinanzhofes kurz und bündig zusammengefasst. Aufgrund der besonderen Aktualität dieses Berichtes ist es einem Steuerberater zuzumuten, dass er den wesentlichen Inhalt alsbald nach Veröffentlichung zur Kenntnis nimmt, um gerade eine entsprechende Änderung der Rechtsprechung abschätzen zu können. Anders als bei der Beilage zum Bundessteuerblatt ist im Jahresbericht des Bundesfinanzhofes nicht jedes anhängige Revisionsverfahren aufgeführt, sondern nur jene, die vom Bundesfinanzhof selbst für besonders bedeutsam erachtet werden.

36

Eine Pflicht zur Kenntnisnahme des Jahresberichtes würde die Steuerberater auch nicht über das zumutbare Maß hinaus belasten. Der Jahresbericht ist zunächst einmal frei im Internet einsehbar, so dass für dessen Bezug seitens der Berufsträger keine weiteren Kosten entstehen.

37

Weiterhin ist er übersichtlich gestaltet, so dass es dem Steuerberater in einem zumutbaren Zeitaufwand möglich ist, von Sachverhalten Kenntnis zu nehmen, die vom obersten deutschen Steuergericht für besonders bedeutsam gehalten werden.

38

Im Jahresbericht wird nämlich zunächst unter einem Punkt über ergangene Urteile des BFH berichtet. Diese sind nach den einzelnen Steuerarten und Einkunftsarten untergliedert. Im Anschluss daran berichtet der BFH über eingegangene Revisionsverfahren von besonderem Interesse in dem jeweiligen Jahr, wobei sich hier erneut eine entsprechende Unterscheidung nach Steuer- und Einkunftsart findet.

39

Auch vom Umfang her sind diese Berichte kurz und bündig gehalten. In dem hier einschlägigen Jahresbericht 2007 beispielsweise sind die interessanten neuen Revisionsverfahren von S. 29 - S. 35 aufgeführt. Dies sind mithin nur 6 Seiten, die ein Steuerberater einmal zu Beginn des Jahres zur Kenntnis nehmen muss, um zu sehen, welche Rechtsprechungsänderungen sich in näherer Zukunft ergeben können.

b.

40

Aufgrund der eingeholten Aussage der Zeugin EE steht für das erkennende Gericht fest, dass bereits im Jahresbericht 2007 unter Punkt D. I. 2. unter dem Schlagwort „Doppelte Haushaltsführung in Wegverlegungsfällen“ über ein anhängiges Revisionsverfahren im sechsten Senat berichtet wurde. Dort teilte der Bundesfinanzhof mit, dass der sechste Senat darüber entscheiden müsse, ob eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung auch dann vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger auf der Grundlage einer gefestigten Partnerschaft einen neuen Lebensmittelpunkt außerhalb des Beschäftigungsortes begründet und den bisherigen Wohnsitz am Beschäftigungsort beibehält.

41

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass dieser Bericht im „Fließtext“ versteckt war. Aus der Anlage zu 1 zur Aussage der Zeugin EE (Bl. 23 Bd. II d. A.) ergibt sich eine strukturierte Gliederung des Jahresberichtes nach Steuerart und Einkunftsart, die bereits oben beschrieben wurde. Unter dem Titel „Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit“ waren lediglich vier Verfahren vermerkt, deren relevante Schlagwörter auch noch fett gedruckt waren. Es wäre der Beklagten also unter zumutbarem Aufwand möglich gewesen, von dem anhängigen Revisionsverfahren Kenntnis zu nehmen. Diese Kenntnis hätte sie dann bereits im Jahr 2008 und damit vor Rücknahme des Einspruchs am 12.02.2009 besessen, so dass es dahinstehen kann, wann der Jahresbericht für das Jahr 2008 veröffentlicht worden ist.

c.

42

Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte von dem Revisionsverfahren im Jahr 2008 hätte Kenntnis haben müssen, stellt es sich als erhebliche Pflichtverletzung dar, wenn sie dann am 12.02.2009 ohne Absprache mit dem Kläger den Einspruch gegen den Steuerbescheid zurücknimmt, da insofern eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ernstlich in Betracht kam.

43

Zwar kann der Steuerberater grundsätzlich auf den Fortbestand einer gefestigten Rechtsprechung vertrauen, vorliegend hätte die Beklagte jedoch durch die Veröffentlichung des Verfahrens mit dem Az.: VI R 23/07 im Jahresbericht 2007 Kenntnis darüber haben müssen, dass eine Änderung der Rechtsprechung ernstlich möglich ist. Dies folgt daraus, dass der Bundesfinanzhof selbst diesem Verfahren besondere Bedeutung beigemessen hat, da er es von den vielen anhängigen Verfahren als eines der wenigen dafür ausgewählt hat, in seinem Jahresbericht veröffentlicht zu werden. Unerheblich ist ferner, dass das Verfahren nicht in Rubrik E. veröffentlicht war, da die Beklagte verpflichtet war, von beiden Rubriken Kenntnis zu nehmen.

44

Dabei kann sie sich auch nicht darauf berufen, durch Rücknahme des Einspruchs Nachteile für den Kläger vermieden zu haben. Das Einspruchsverfahren vor dem Finanzamt ist kostenfrei, insofern waren für den Kläger keine Nachteile mit der Zurückweisung des Einspruchs verbunden. Andere Nachteile, die der Kläger durch die Verfolgung eines unbegründeten Einspruchs gehabt hätte, sind für die Kammer nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden. Da insofern keine negative Kostenfolge zu befürchten war, war die Beklagte verpflichtet, den Einspruch zumindest nicht ohne Rücksprache mit dem Mandanten (auf dessen ausdrücklichen Wunsch er erst eingelegt wurde) zurückzunehmen, um eine Bestandskraft des Bescheides zu verhindern. Hätte die Beklagte den Einspruch nicht zurückgenommen, so wäre die Bestandskraft des Steuerbescheides zunächst nicht eingetreten, so dass die vorgenommene Rechtsprechungsänderung sich dann auch zugunsten des Klägers ausgewirkt hätte.

4.

45

Soweit die Beklagte die Tatsache bestritten hat, dass der Kläger tatsächlich eine zweite Wohnung begründet hätte, so hat das Amtsgericht diesen Vortrag zu recht als unsubstantiiert zurückgewiesen. Das Finanzamt hat im Veranlagungsjahr 2009 die Aufwendungen des Klägers berücksichtigt. Insofern fehlt es an jeglichem konkreten Vortrag der Beklagten, warum dies im Jahr 2008 anders hätte sein sollen.

5.

46

Soweit die Beklagte letztlich noch die Schadensberechnung des Klägers bestritten hatte, so ist ihr Vortrag aus den zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung unerheblich, da ein Bestreiten mit Nichtwissen ihrerseits nicht zulässig ist, da sie über sämtliche Steuerunterlagen des Klägers verfügte und daher in der Lage gewesen wäre, der vom Kläger vorgelegten Vergleichsberechnung des Finanzamtes substantiiert entgegenzutreten.

III.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

IV.

48

Die Revision zum Bundesgerichtshof war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Soweit es für die Kammer ersichtlich ist, ist es bisher weder in der Rechtsprechung, noch in der einschlägigen Literatur entschieden worden, ob der Jahresbericht des Bundesfinanzhofes eine Pflichtlektüre für Steuerberater darstellt. Zur Klärung dieser Rechtsfrage, die für eine Mehrzahl von Sachverhalten bedeutsam ist, bedarf es der Entscheidung des Revisionsgerichtes.


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Landgericht Stendal Urteil, 24. Juli 2013 - 23 S 2/13 zitiert 5 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 675 Entgeltliche Geschäftsbesorgung


(1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichte

Referenzen

(1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, auch die Vorschriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet.

(3) Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, die Anmeldung oder Registrierung des anderen Teils zur Teilnahme an Gewinnspielen zu bewirken, die von einem Dritten durchgeführt werden, bedarf der Textform.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.