Landgericht Münster Urteil, 09. Juni 2016 - 115 O 17/16
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines Sanierungsgeldes.
3Die Klägerin als kirchliche Zusatzversorgungskasse ist eine kirchliche Einrichtung, der durch Gesetz im Jahre 1964 die Rechte einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts verliehen wurden. Sie hat den Zweck, den Mitarbeitenden der an ihr beteiligten kirchlichen und diakonischen Arbeitgeber eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Die Rechtsbeziehungen werden durch die Satzung der Klägerin geregelt.
4Die Beklagte ist eine evangelische Krankenhaus gGmbH; sie ist Beteiligte der Klägerin. Gem. § 13 Abs. 1 der Satzung der Klägerin (KZVKS) ist das Beteiligungsverhältnis ein privatrechtliches Versicherungsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Klägerin. Die Beklagte hat mit der Beteiligungsvereinbarungen vom 30.11.1998, 23.12.1998 und 05.01.1999 das jeweils geltende Satzungsrecht der Klägerin als verbindlich anerkannt.
5Mit Tarifvertrag über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes - Altersvorsorge-TV-Kommunal - (ATV-K) vom 1. März 2002 vereinbarten die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände sowie die Gewerkschaften im Tarifvertrag die rückwirkende Umstellung des Zusatzversorgungssystems von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensystem mit Ablauf des 31.12.2000.
6Anlage 5 des ATV-K enthält den Tarifvertrag Altersvorsorgeplan 2001. Er bestimmt auszugsweise:
7„4.1 Jede Kasse regelt ihre Finanzierung selbst.
8Zusätzlicher Finanzbedarf über die tatsächliche Umlage des Jahres 2001 hinaus (Stichtag 1.11.2001) - mindestens jedoch als Umlagesatz von 4 v.H. - wird durch steuerfreie, pauschale Sanierungsgelder gedeckt. (...)
9In Ergänzung dazu bestimmt der ATV-K:
10§ 17 Sanierungsgelder
11(1) Zur Deckung des infolge der Schließung des Gesamtversorgungssystems und des Wechsels vom Gesamtversorgungssystem zum Punktemodell zusätzlichen Finanzierungsbedarfs, der über die am 01.11.2001 jeweils geltende Umlage hinausgeht, erhebt die Zusatzversorgungseinrichtung vom Arbeitgeber Sanierungsgelder. (...)
12(2) Sanierungsgelder kommen nicht in Betracht, wenn der am 1. November 2001 jeweils gültige Umlagesatz weniger als vier v.H. des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts betragen hat.“
13Im Zuge des Systemwechsels fasste die Klägerin alle zu Zeiten des Gesamtversorgungssystems entstandenen Anwartschaften und Leistungsansprüche in einem „Abrechnungsverband S“ zusammen und schloss diesen Verband. Diesem Verband fließen seit der Umstellung weder Umlagen noch Beiträge der Arbeitgeber zu. Die Rentenaufwendungen werden allein aus dem diesem Abrechnungsverband zugeordneten Vermögen und dessen Früchten erbracht. Zur Deckung von Fehlbeträgen im Abrechnungsverband S führte die Klägerin ein von den beteiligten Arbeitgebern zu zahlendes Sanierungsgeld ein. In der Satzung der Klägerin finden sich u.a. folgende Finanzierungsregelungen:
14§ 55 Getrennte Verwaltung
15(1) Innerhalb des Kassenvermögens werden drei getrennte Abrechnungsverbände geführt, und zwar
16a) für Anwartschaften und Ansprüche, die auf nach dem 31. Dezember 2001 entrichteten Pflichtbeiträgen beruhen (Abrechnungsverband P),
17b) für Anwartschaften und Ansprüche, die auf nach dem 31. Dezember 2001 entrichteten freiwilligen Beiträgen beruhen (Abrechnungsverband F) und
18c) für alle übrigen Anwartschaften und Ansprüche (Abrechnungsverband S)
19für die eigene versicherungstechnische Bilanzen erstellt werden. Diese sind vom Verantwortlichen Aktuar zu testieren.
20§ 56 Versicherungstechnische Deckungsrückstellung
21(1) Für die Abrechnungsverbände nach § 55 Abs. 1 wird in der Bilanz jeweils eine eigene Deckungsrückstellung in Höhe des versicherungsmathematischen Barwerts aller am Bilanzstichtag dem Grunde und der Höhe nach bestehenden Anwartschaften und Ansprüche in die Bilanz eingestellt.
22§ 63 Sanierungsgeld
23(1) Die Kasse kann ein Sanierungsgeld zur Deckung eines Fehlbetrags im Abrechnungsverband S erheben.
24(2) Das von den Beteiligten zu entrichtende Sanierungsgeld beläuft sich je Kalenderjahr auf den vom Verwaltungsrat auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars festgesetzten Vomhundertsatz
25a) der Summe der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte der jeweiligen Pflichtversicherten des Abrechnungsverbandes S,
26(...)
27(5) Das Sanierungsgeld wird von der Kasse nach Abschluss der Jahresabrechnung für das vorangegangene Kalenderjahr erhoben. Es wird mit der Entscheidung der Kasse fällig und ist zum Ende des Monats an die Kasse zu zahlen, der dem Monat der Zustellung der Entscheidung folgt. (…)
28Eine vollständige Ausfinanzierung der Klägerin in Bezug auf die im Abrechnungsverband S zusammengefassten Ansprüche bestand schon zum Zeitpunkt der Systemumstellung zum Stichtag 31.12.2001 nicht. Es bestand jedoch die Erwartung, dass der bestehende Fehlbetrag noch durch Vermögenserträge auf der Zeitachse auszugleichen sein würde. In den folgenden Jahren weitete sich die Unterdeckung im Abrechnungsverband S aufgrund der ungünstigen Kapitalmarktentwicklung und aufgrund veränderter biometrischer Parameter aus. Der zuständige Verantwortliche Aktuar Dr. H empfahl daher die Erhebung eines Sanierungsgeldes. Der Verwaltungsrat der Klägerin beschloss sodann auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars am 25.06.2008 die Einführung eines Sanierungsgeldes in Höhe von 1% der Bemessungsgröße ab dem 01.01.2010 für den Abrechnungsverband S. Durch hier streitgegenständlichen Beschluss vom 30.11.2009 hob der Verwaltungsrat der Klägerin das Sanierungsgeld auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars auf 2% der Bemessungsgröße ab dem 01.01.2011 an.
29Durch Beschluss des Verwaltungsrats vom 15.09.2010 wurde der technische Geschäftsplan der Klägerin vom 27.07.2004 (Anl. LLR 2) mit Nachtrag vom 01.03.2006 (Anl. LLR 15) rückwirkend zum 01.09.2009 geändert (Anl. LLR 13).
30Mit Schreiben vom 25.10.2012 berechnete die Klägerin das für das Jahr 2011 auf die Beklagte entfallende Sanierungsgeld in Höhe von 98.513,50 € und erbat die Zahlung bis zum 30.11.2012. Da ein Zahlungseingang nicht zu verzeichnen war, stellte der Vorstand der Klägerin in seiner Sitzung am 02.06.2015 die Zahlungspflicht der Beklagten in Höhe von 98.513,50 € förmlich fest. Diese Entscheidung wurde der Beklagten mit Schreiben vom 15.10.2015 am 20.10.2015 zugestellt.
31Da Zahlungen seitens der Beklagten nicht erfolgten, leitete die Klägerin das gerichtliche Mahnverfahren ein, welches nach Widerspruch der Beklagten gegen den Mahnbescheid vom 23.12.2015 in das vorliegende Streitverfahren mündete.
32Die Klägerin hält § 63 KZVKS für wirksam. Sie meint, sie habe das Sanierungsgeld zu Recht erhoben. Bedingt durch die Systemumstellung habe sich im Abrechnungsverband S eine Deckungslücke von 552.946.845,76 € (bilanziert) bzw. 622.446.486 € (angepasst) zum 31.12.2008 ergeben, die aus den in das neue Betriebsrentensystem zu überführenden Besitzständen resultiere. Diese Deckungslücke sei gemäß dem Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars durch die Erhöhung des Sanierungsgeldes von 1% auf 2% der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte zu schließen. Die Entscheidung des Verwaltungsrats vom 30.11.2009 über die Anhebung des Sanierungsgeldes sei ermessensfehlerfrei zustande gekommen. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Verantwortliche Aktuar bei seinen Berechnungen die sich aus den Richttafeln 2005 G ergebenden biometrischen Erkenntnisse berücksichtigt habe. Dies sei sachgerecht, um den prognostischen Finanzbedarf des Abrechnungsverbandes S ermitteln zu können. Im Übrigen seien die Richttafeln 2005 G - was unstreitig ist - rückwirkend zum 01.09.2009 als Rechnungsgrundlagen in den technischen Geschäftsplan der Klägerin aufgenommen worden. Auch die Einbeziehung der sich aus einer Neuberechnung der rentenfernen Startgutschriften ergebenden Erhöhung des Verpflichtungsumfangs im Abrechnungsverband S bei der Ermittlung des Finanzbedarfs sei sachgerecht. Vorstand und Verwaltungsrat seien schon aus Haftungsgründen gehalten, Risiken in dieser Größenordnung (100 bis 120 Mio. EUR) zu identifizieren, zu benennen, Vorschläge auszuarbeiten sowie Maßnahmen zu beraten und zu ergreifen, um diese nicht eintreten zu lassen. Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K liege nicht vor. Die in dieser Vorschrift enthaltene Begrenzung sei auf den vollständig kapitalgedeckten Abrechnungsverband S der Klägerin nicht anwendbar. Die Klägerin habe die an ihr beteiligten Arbeitgeber durch zahlreiche Rundschreiben umfassend über das zu erhebende Sanierungsgeld informiert.
33Die Klägerin beantragt,
34die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 98.513,50 € nebst Zinsen darauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2015 zu zahlen.
35Die Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Sie meint, die Erhebung des Sanierungsgeldes durch die Klägerin entbehre einer wirksamen Rechtsgrundlage. § 63 KZVKS sei intransparent, weil die Bestimmung keinerlei Berechnungsgrundlagen für das Sanierungsgeld enthalte. Zudem sei das Leistungsbestimmungsrecht durch den Verwaltungsrat der Klägerin ermessensfehlerhaft ausgeübt worden. Das Sanierungsgeld dürfe ausschließlich zur Deckung von Finanzierungslücken, die durch die Umstellung des Leistungsrechts bedingt seien, erhoben werden. Ein auf der Zeitachse gesunkenes Zinsniveau und eine erhöhte Lebenserwartung der Versicherten seien keine geeigneten Parameter zur Rechtfertigung einer Sanierungsgelderhebung. Die Berücksichtigung der Richttafeln 2005 G sowie einer ungewissen künftigen Belastung durch die Anpassung der rentenfernen Startgutschriften bei der Ermittlung der Deckungsrückstellung sei unzulässig. Zudem liege ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K vor, weil die Klägerin – was diese nicht bestreitet – ihren Finanzbedarf auf der Grundlage ihres Beitragssatzes von 4% ermittelt habe, wohingegen ihr Umlagesatz zum Stichtag 4,75% betragen habe. Die Verwaltungsratsbeschlüsse vom 25.06.2008 und 30.11.2009 seien hinsichtlich der Zeitpunkte, ab denen das Sanierungsgeld erhoben bzw. angehoben werden solle, missverständlich. Zudem habe die Klägerin keine Entscheidung zum konkreten Kapitalbedarf und zur Erhebungsdauer getroffen.
38Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
39Entscheidungsgründe
40Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
41I.
42Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung des begehrten Sanierungsgeldes gegen die Beklagte aus § 63 KZVK i.V.m. dem Verwaltungsratsbeschluss vom 30.11.2009. Die Festsetzung des Sanierungsgeldes durch den Verwaltungsrat der Klägerin ist unwirksam, weil sie einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB nicht standhält.
431.
44§ 63 KZVKS stellt eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Sanierungsgeldes durch die Klägerin dar. Die Regelung übernimmt von den Tarifvertragsparteien getroffene tarifrechtliche Grundentscheidungen und ist daher mit Blick auf den Schutz der Tarifautonomie der richterlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307ff BGB entzogen. Soweit sie einer Prüfung anhand des deutschen Verfassungsrechts und des europäischen Gemeinschaftsrechts unterliegt, verstößt sie hiergegen nicht. Die Kammer nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidung des BGH vom 20.07.2011 (IV ZR 76/09) und macht sich die dort dargestellten Gründe ausdrücklich zu Eigen. Dass diese Entscheidung zu der inhaltlich anderslautenden Regelung in § 65 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ergangen ist, steht deren Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Der BGH hat auch andere, inhaltlich mit § 63 Abs. 1 der Satzung der Klägerin vergleichbare Satzungsregelungen, die weder den Inhalt von § 17 ATV-K wiedergaben noch eine Regelung zur Höhe des Sanierungsgeldes enthielten, unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 20.07.2011 ausdrücklich für wirksam erklärt (Urteile vom 05.12.2012, IV ZR 111/10 und vom 09.12.2015, IV ZR 336/14).
452.
46Die Festsetzung des Sanierungsgeldes im Beschluss vom 30.11.2009 ist unverbindlich, weil sie nicht billigem Ermessen entspricht.
47§ 63 KZVKS bestimmt, dass der Verwaltungsrat auf Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars das von den Beteiligten zu zahlende Sanierungsgeld festsetzt. Der Klägerin steht damit ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB zu, das nach billigem Ermessen zu treffen ist (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2012, IV ZR 111/10). Die Billigkeit im Sinne des § 315 BGB bezeichnet die Grenzen des Ermessens, die eingehalten werden müssen, damit die getroffene Entscheidung verbindlich ist. Es sind die beiderseitigen Interessen objektiv gegeneinander abzuwägen. Die Ausübung des billigen Ermessens ist gerichtlich dahingehend nachprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind und ob nicht sachfremde oder willkürliche Motive für die Bestimmung maßgebend gewesen sind. Die Entscheidungskontrolle darf nicht auf eine Ergebniskontrolle verengt werden, vielmehr ist auch der subjektive Ermessensfehlgebrauch in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Ermessensfehlerlehre von Bedeutung. Neben sachfremden Motiven ist daher auch zu prüfen, ob der Verwaltungsrat deshalb nicht ermessensfehlerfrei entscheiden konnte, weil er von einem unzutreffenden Sachverhalt in Form eines weit überhöhten Finanzbedarfs ausgegangen ist (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm, Urteil vom 17.03.2010, 20 U 44/09).
48Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Verwaltungsrat mit seinem Beschluss vom 30.11.2009 die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens überschritten.
49a)
50Der Beschluss des Verwaltungsrates vom 30.11.2009 beruht auf einer unrichtig (satzungswidrig) ermittelten Deckungslücke, weil der Verantwortliche Aktuar seinen Berechnungen nicht dem technischen Geschäftsplan / der Satzung der Klägerin entsprechende Rechnungsgrundlagen zugrunde gelegt hat. Das hatte zur Folge, dass der Verwaltungsrat – ausgehend von einem überhöhten Finanzbedarf - das ihm zustehende Ermessen nicht wirksam ausgeübt hat und auch nicht wirksam ausüben konnte.
51aa)
52Der Verantwortliche Aktuar hat seinen Berechnungen nicht die dem technischen Geschäftsplan der Klägerin entsprechenden biometrischen Rechnungsgrundlagen (Sterbetafeln) zugrunde gelegt.
53Tarifvertraglich regelt Nr. 3 Abs. 1 S. 1 der Anlage 4 zum ATV-K die versicherungsmathematischen Grundsätze für die Bewertung der Verpflichtungen im Rahmen der versicherungstechnischen Bilanz. Danach dienen als biometrische Rechnungsgrundlagen die Richttafeln 1998 von Klaus Heubeck. In ihrem technischen Geschäftsplan für die Pflichtversicherung vom 27.07.2004, welcher dem Verantwortlichen Aktuar zum Zeitpunkt seiner Berechnungen vorlag, hat die Klägerin diese biometrische Rechnungsgrundlage übernommen (Anl. LLR 2, Ziff. 4.3 und Ziff. 7.1)
54Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin hat der Verantwortliche Aktuar jedoch die sich aus den Richttafeln 2005 G ergebenden neuen biometrischen Erkenntnisse „in den Blick genommen“ und diese als Stärkung im Rahmen der Deckungsrückstellung berücksichtigt. Dies ergibt sich aus der von der Klägerin vorgelegten Anl. LLR 10, aus der eine Brutto-Deckungsrückstellung vor Stärkung (RT 1998) von 3.597.877.563 € und eine modifizierten Brutto-Deckungsrückstellung (RT05G mod.) von 3.779.177.563 € hervorgehen. Die Stärkung der Deckungsrückstellung führte zu einer Anhebung des (bilanzierten) Fehlbetrags von 552.946.485,76 € auf 622.446.486 €.
55Die Satzung der Klägerin erlaubt nicht, dass der Verantwortliche Aktuar ohne vorherige Änderung des technischen Geschäftsplans durch die Klägerin von diesem abweichende Richttafeln verwendet. Nach § 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 KZVKS, wonach der Verantwortliche Aktuar die Übereinstimmung der Deckungsrückstellung für die Pflichtversicherung und die freiwillige Versicherung mit dem technischen Geschäftsplan der Klägerin zu bestätigen hat, darf der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass die der Ermittlung der Deckungsrückstellungen zugrunde liegenden biometrischen Rechnungsgrundlagen dem technischen Geschäftsplan entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2015, IV ZR 336/14).
56Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die veränderten biometrischen Erkenntnisse im technischen Geschäftsplan vom 19.03.2010 (Anl. LLR 13), der durch Beschluss des Verwaltungsrates vom 15.09.2010 rückwirkend zum 01.09.2009 in Kraft getreten ist, berücksichtigt worden sind. Die der Festsetzung des Sanierungsgeldes zugrunde gelegte Deckungslücke entsprach nicht dem im Zeitpunkt der Berechnungen des Aktuars und der Beschlussfassung tatsächlich vorliegenden technischen Geschäftsplan. Erst 9 ½ Monate später erfolgte eine Anpassung der Rechnungsgrundlagen. Die rückwirkende Inkraftsetzung des geänderten technischen Geschäftsplans vermag den im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorliegenden Ermessensfehlgebrauch nicht zu beseitigen.
57Der von dem OLG Köln in seinen Urteilen vom 31.07.2014 (7 U 197/13 und 7 U 198/13) vertretenen Rechtsauffassung, auf die die Klägerin sich beruft, vermag die Kammer sich nicht anzuschließen. Der BGH hat diese Entscheidungen unter Bezugnahme auf seine o.g. Entscheidung vom 09.12.2015 aufgehoben (Urteile vom 23.03.2016, IV ZR 339/14 und IV ZR 344/14).
58bb)
59Bei der Bestimmung der Deckungsrückstellung für Anwartschaften ist der Verantwortliche Aktuar ebenfalls vom technischen Geschäftsplan der Klägerin abgewichen.
60Ausweislich des Versicherungsmathematischen Gutachtens über die Berechnung des Deckungskapitals zum 31.12.2008 (Anl. LLR 12, Seiten 4+5) hat der Aktuar bei seinen Berechnungen die beitragsfrei Versicherten ohne erfüllte Wartezeit anteilig mit 55% berücksichtigt. Der technische Geschäftsplan der Klägerin vom 27.07.2004 in der Fassung des Nachtrags vom 01.03.2006 (Anl. LLR 15) sieht vor, dass die Gewichtung der beitragsfrei Versicherten ohne Erfüllung der Wartezeit mit einem Faktor von 0,5 erfolgt.
61Zwar mag der technische Geschäftsplan – worauf sich die Klägerin beruft – auch vorsehen, dass dieser Ansatz im Rahmen des versicherungsmathematischen Gutachtens jährlich überprüft wird. Ohne vorherige Anpassung des technischen Geschäftsplans durfte der Verantwortliche Aktuar aber nicht eigenmächtig von dem Faktor 0,5 abweichen.
62cc)
63Bei der Ermittlung des für die Festsetzung des Sanierungsgeldes maßgeblichen Finanzbedarfs sind zudem - satzungswidrig - die möglichen Kosten für eine zukünftige Anhebung der rentenfernen Startgutschriften berücksichtigt worden.
64Nach den eigenen Angaben der Klägerin ließ der Vorstand bereits im Jahr 2008 die möglichen Auswirkungen der BGH-Rechtsprechung zu den Startgutschriften auf die Erhöhung der Deckungsrückstellung im Abrechnungsverband S unter Zugrundelegung einer Anhebung des Versorgungssatzes von 2,25% auf 2,5% berechnen und gelangte hierbei zu einem Betrag i.H.v. ca. 114,6 Mio. EUR. Der Verantwortliche Aktuar bestätigte dies, indem er nach Anstellung eigener Berechnungen von einem Betrag i.H.v. ca. 100 - 120 Mio. EUR ausging. Diese Erkenntnisse flossen in die Beschlussfassung des Verwaltungsrats mit ein, um das Anwachsen einer Deckungslücke, die nach Meinung des Vorstands in der Zukunft nur unter größeren Anstrengungen zu schließen war, zu vermeiden.
65Dieses Vorgehen steht nicht im Einklang mit der Satzung der Klägerin. Nach § 56 KZVKS ist die Deckungsrückstellung für den Abrechnungsverband S allein anhand des versicherungsmathematischen Barwerts aller am Bilanzstichtag bestehenden Anwartschaften und Ansprüche zu ermitteln. Dass hierbei erhöhte Verbindlichkeiten Berücksichtigung finden dürfen, die auf einer zum Bilanzstichtag noch nicht erfolgten (und zudem noch ungewissen) Anhebung des Versorgungssatzes beruhen, lässt sich der Satzung der Klägerin nicht entnehmen.
66b)
67Darüber hinaus ist der Sanierungsgeldhebesatz übersetzt, weil die Klägerin ihren zusätzlichen Finanzbedarf auf der Grundlage ihres derzeitigen Beitragssatzes von 4% des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts ermittelt hat. Dies verstößt gegen § 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K.
68§ 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K beschränkt das Sanierungsgeld auf denjenigen Finanzbedarf, der über die am 01.11.2001 jeweils geltende Umlage, bei der Klägerin 4,75% des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts, hinausgeht. Obwohl sich aus dem Wortlaut des § 63 KZVKS keine entsprechende Beschränkung ergibt, wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass die Festsetzung des Sanierungsgelds durch die Klägerin den zugrunde liegenden tarifvertraglichen Beschränkungen unterworfen sein soll (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2015, IV ZR 336/14).
69Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie ihren Finanzbedarf auf der Grundlage ihres derzeitigen Beitragssatzes von 4% des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts ermittelt hat. Sie meint, §§ 16, 17 ATV-K seien auf Kassen ausgerichtet, die die Umlagefinanzierung zumindest im Rahmen eines sog. Kombinationsmodells nach § 15 Abs. 1 S. 2 ATV-K weiterführen würden. Für die Klägerin, die im Abrechnungsverband S direkt in einem Schritt in die Kapitaldeckung gewechselt habe, mache die Begrenzung in § 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K keinen Sinn. Die Vorschrift müsse daher ohne diese tarifliche Begrenzung als Rechtsgrundlage für die Sanierungsgelderhebung der Klägerin herangezogen werden.
70Dem vermag die Kammer sich nicht anzuschließen. Die Rechtsauffassung der Klägerin ist mit der Rechtsprechung des BGH, der die Kammer folgt, nicht in Einklang zu bringen. In seiner o.g. Entscheidung vom 09.12.2015 hat der BGH einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 S. 1 ATV-K festgestellt. Nach den übereinstimmenden Angaben beider Parteivertreter in der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2016 lag dieser Entscheidung ein identischer Sachverhalt zugrunde. Die dortige Versorgungskasse hatte – genau wie die Klägerin – im Rahmen der Umstellung vom Gesamtversorgungssystem auf das Punktemodell einen geschlossenen Abrechnungsverband gebildet, in den keine Umlagen oder Beiträge flossen.
713.
72Eine gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB ist im vorliegenden Fall nicht möglich. § 315 Abs. 3 BGB ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei komplexen Versorgungssystemen mit kollektiver Wirkung zwar die Anpassungsentscheidung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, das Gericht jedoch nicht seine Entscheidung an die Stelle einer unwirksamen Anpassungsentscheidung setzen kann. Dies gilt auch hier. Die Zusatzversorgung der Klägerin stellt ein komplexes Versicherungssystem dar, das bezüglich seiner Finanzierung über die Belange der Beklagten hinausgeht und die Beteiligten in ihrer Gesamtheit betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2012, IV ZR 110/10).
73II.
74Mangels Begründetheit der Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die begehrten Zinsen.
75Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708, 709 ZPO.
76Der Streitwert wird auf 98.513,50 € festgesetzt.
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Annotations
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.