Landgericht München I Beschluss, 30. Okt. 2018 - 6 S 8944/18
Gericht
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.05.2018, Az. 133 C 21869/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dieser Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.885,30 € festgesetzt.
Gründe
1. Im Ansatz noch zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen vom 25.11.2015, Abl. 2015, L 326/1 erst ab 01.07.2018 anzuwenden ist (vgl. hierzu auch Münchener Kommentar zum BGB, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, 7. Auflage 2017, Abschnitt 8, Titel 9. Die neue Pauschalreise-Richtlinie Rz 54). Das hat die Kammer im Hinweisbeschluss bereits berücksichtigt. Vor diesem Zeitpunkt ist nationales Recht anzuwenden. Dennoch ist bei der Beurteilung, ob § 651 j BGB (a.F.) als ergänzungsbedürftige Regelung anzusehen und die sog. „Tschernobyl“-Entscheidung des BGH anzuwenden ist, zu berücksichtigen, dass sowohl die nachfolgende obergerichtliche Rechtsprechung als auch die weitere Entwicklung der gesetzlichen Vorschriften diese Entscheidung nicht übernommen haben. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine - von der Literatur hart kritisierte - Einzelfallentscheidung des BGH, bei der von der vom Gesetz vorgezeichneten Lösung zu Lasten des Reisenden abgewichen wird, um eine differenziertere Verteilung von Umweltrisiken zu ermöglichen (vgl. hierzu Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 651 j Rz. 31). Dieses Urteil darf jedoch nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass bei einer Kündigung wegen höherer Gewalt grundsätzlich die Hälfte der Kosten vom Reisenden zu tragen sind (vgl. Münchener Kommentar, a.a.O.). Demgemäß verliert der Reiseveranstalter - wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat - bei wirksamer Kündigung wegen höherer Gewalt gemäß §§ 651 j I, 651 e III 1 BGB den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, der bereits bezahlte Reisepreis ist zurückzuerstatten.
2. Zu Unrecht greift die Beklagte die Bewertung des Amtsgerichts an, dass hier eine Kündigung wegen höherer Gewalt möglich gewesen sei. Die Beklagte setzt dabei lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle der Bewertung des Amtsgerichts. Damit kann sie nicht gehört werden, vielmehr hält die Kammer die Beurteilung des Amtsgerichts auf der infolge umfassender Beweiserhebung gewonnenen Tatsachengrundlage für zutreffend.
a) Die Beklagte bagatellisierte zunächst im Rechtsstreit den damaligen Ausbruch, indem sie ihn als „nur sehr klein“ (Schriftsatz vom 15.01.2016, Seite 2 = Bl. 23 d.A.) bezeichnete. In vollkommener Umkehrung ihrer Argumentation versucht sie nun aus dem Umstand, dass es - wie auch der Sachverständige ... ausführte - bereits 29.10.2014, und somit ca. 5 Wochen vor Buchung der Reise, einen größeren Ausbruch gegeben hat, abzuleiten, dass solche großen Vulkanausbrüche den Kennntnishorizont jedes Reisenden bildeten, so dass eine Kündigung wegen höherer Gewalt nicht mehr möglich gewesen sei. Schon diese völlige Umkehrung der eigenen Argumentation zeigt, dass es der Beklagten nicht darauf ankommt, sich mit den tatsächlichen Umständen, die zur Kündigung durch den Kläger führten, angemessen auseinander zu setzen, sondern sie lediglich eigene Rückzahlungsansprüche um jeden Preis verhindern will. Dagegen behauptet nicht einmal die Beklagte, dass sie den maßgeblichen Kenntnishorizont des Klägers vor der Buchung durch entsprechende Warnhinweise auf auch schwere mögliche Beeinträchtigungen durch örtlich aktive Vulkane zu prägen versuchte. Solches wäre der Beklagten allerdings, wenn sie Rücktritte des Reisenden wie hier vermeiden will, ohne weiteres zuzumuten (Münchener Kommentar zum BGB/Tonner, Rn. 11 zu § 651 j BGB).
b) Der Sachverständige führt als mögliche Folgen des hier aufgetretenen Vulkanausbruchs vom 13.03.2015 samt Auswurf von Vulkanasche unter anderem Folgendes aus (Bl. 77/78 d.A.):
-
1.Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse (bis hin zu totaler Dunkelheit auch tagsüber
-
2.schwierige Straßenverhältnisse durch Asche auf Asphalt
-
3.Gesundheitsprobleme durch das Einatmen feiner vulkanischer Asche sowie vulkanischer Gase.
Bei der Bewertung dieser möglichen Folgen ist in den Blick zu nehmen, dass eines der Hotels, das im Rahmen der gebuchten Reise aufgesucht werden sollte, nur ca. 6 km von dem ausgebrochenen Vulkan Turialba entfernt war und zudem der sogar ca. 80 km entfernte Flughafen von den örtlichen Behörden noch zeitweise komplett gesperrt wurde. Der Sachverständige ... bezeichnete es als durchaus mögliche Folge dieses Ausbruchs, dass es in den Folgetagen zu weiteren Ausbrüchen mit erheblichen Folgewirkungen kommen würde (Gutachten, Seite 2), auch wenn eine sichere Vorhersage weiterer Ausbrüche nach aktuellem wissenschaftlichen Forschungsstand auch heute noch nicht möglich ist, es also zu solchen Folgeausbrüchen kommen kann, aber nicht muss. Schon deswegen war eine Kündigung, gestützt auf § 651 j BGB a.F., durch den Kläger möglich.
c) Demgegenüber prägte der frühere Ausbruch des Turialba vom 29.10.2014 das Erwartungsbild des typischen Reisenden nicht. Der Sachverständige führte insoweit aus, dass es in Costa Rica mehrere aktive Vulkane gibt, bei denen es immer wieder auch zu kleineren Ausbrüchen kommt. Das ist also der prägende Erkenntnishorizont jedes Reisenden im Rahmen der ihm zuzumutenden üblichen Informationseinholung. Den hier relevanten Ausbruch ordnete der Sachverständige jedoch als größeren Ausbruch ein. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die ausgeworfene Asche hielt er bei dem nur ca. 6 km entfernten Hotel, das der Kläger im Verlauf der Reise aufsuchen sollte, für möglich, wenn nicht die Asche vorher z.B. durch Regen ausgewaschen wird.
3. Ein Wechsel in das Urteilsverfahren um die von der Beklagten gewünschte Revisionszulassung zu ermöglichen, ist nicht geboten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der sog. „Tschernobyl“-Entscheidung erging zum alten Reiserecht. Bei auslaufendem alten Recht kommt eine Revisionszulassung schon deswegen regelmäßig nicht mehr in Betracht, weil es nicht mehr für eine unbekannte Anzahl von noch zu entscheidenden - vielen - Fällen relevant ist (BGH, Beschluss vom 27.03.2003 - V ZR 291/02). Dies gilt im Reiserecht mit den dortigen kurzen Fristen zur Durchsetzung von
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Annotations
(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, bei der Verurteilung der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, entscheidend; Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bleiben unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden.
(2) Bei Ansprüchen aus Wechseln im Sinne des Wechselgesetzes sind Zinsen, Kosten und Provision, die außer der Wechselsumme gefordert werden, als Nebenforderungen anzusehen.