Landgericht Kiel Beschluss, 19. Jan. 2010 - 41 StVK 104/09

ECLI: ECLI:DE:LGKIEL:2010:0119.41STVK104.09.0A
published on 19.01.2010 00:00
Landgericht Kiel Beschluss, 19. Jan. 2010 - 41 StVK 104/09
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Tenor

Die gemäß § 68 f Abs. 1 StGB eingetretene Führungsaufsicht bleibt aufrechterhalten (§ 68 f Abs. 2 StGB).

Gründe

1

Der Verurteilte hat vom 20. Mai bis zum 4. November 2009 den Rest einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat aus dem Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom (Az. ) verbüßt, nachdem zunächst ein Teil der Strafe vollstreckt, die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährung dann widerrufen worden war. Die Entlassung des Verurteilten aus der Haft am 4. November 2009, rund zwei Wochen vor dem auf den 17. November 2009 notierten Strafende, sowie der Erlass des dann noch verbliebenen Strafrestes erfolgte aus Anlass des Weihnachtsfestes 2009 aufgrund des Erlasses des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein vom 21. August 2009 (Az. II 304/4250 E –144 SH–).

2

Aufgrund der vollständigen Vollstreckung der Strafe ist gemäß § 68 f Abs. 1 StGB Führungsaufsicht eingetreten. Dem steht der gnadenweise Erlass eines Teils der Strafe nicht entgegen ( OLG Celle , StraFo 2008, 262; Schmitz , StV 2007, 608; Ullenbruch , in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl., § 16 Rn. 7; a.A. OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen, SchlHA 1982, 100; KG , JR 1979, 293; NStZ 2004, 228; StraFo 2008, 261; Fischer , StGB, 57. Aufl., § 68 f Rn. 6; Stree , in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 68 f Rn. 5). Denn im Sinne dieser Vorschrift ist eine Freiheitsstrafe dann als „vollständig vollstreckt“ anzusehen, wenn, wie hier, kein Strafrest verbleibt, welcher verbüßt oder ausgesetzt werden könnte.

3

Diese Auslegung ist nicht nur mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne Weiteres vereinbar, da der Begriff „vollständig“ im allgemeinen Sprachgebrauch in Sinne von „restlos“ verstanden werden kann ( OLG Celle , a.a.O., a.A. KG , StraFo 2008, 261; RuP 2009, 216). Sie erschließt sich darüber hinaus auch zwanglos im Zusammenhang mit der amtlichen Überschrift der Vorschrift. Dort wird ihr Anwendungsbereich mit „Nichtaussetzung des Strafrestes“ umschrieben. Diese Formulierung wird im Normtext nicht wiederholt. Es drängt sich daher auf, dass sie sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers mit dem Tatbestandsmerkmal „vollständig vollstreckt“ deckt. Auch die korrespondierende Formulierung „Aussetzung des Strafrestes“ in der amtlichen Überschrift von §§ 57, 57a StGB lässt eine gesetzgeberische Konzeption erkennen, wonach § 68 f StGB all jene Fälle erfassen soll, in denen keine Strafaussetzung nach §§ 57, 57a StGB erfolgt.

4

Schließlich entspricht diese Sichtweise dem Zweck der Vorschrift, auch bei solchen Verurteilten, bei denen mangels ausgesetzten Strafrests die §§ 57, 57a, 56 c und 56 d StGB unanwendbar sind, nach langer Verbüßungsdauer die Beiordnung eines Bewährungshelfers sowie die Auferlegung von Weisungen zu ermöglichen.

5

Dass die vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug eine vollständige Vollstreckung nicht grundsätzlich ausschließt, ist etwa bei einer Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes nach § 16 Abs. 3 StVollzG allgemein anerkannt (vgl. etwa KG , NStZ 2004, 228; OLG Schleswig a.a.O.). Deren Zweck ist mit dem einer Weihnachtsamnestie vergleichbar, so dass eine Gleichbehandlung dieser Fallgruppen geboten erscheint ( OLG Celle , a.a.O.). Eine Differenzierung kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass eine Amnestie, anders als eine Entscheidung nach § 16 Abs. 3 StVollzG, nicht auf dem Gesetz beruhe, sondern auf einem politischen Gnadenakt (so aberKG , NStZ 2004, 228). Denn das Begnadigungsrecht stellt keineswegs ein extralegales Instrument der Politik dar, sondern ist gesetzlich verankert – bundesrechtlich in § 452 StPO, auf Landesebene in Art. 32 der Schleswig-Holsteinischen Verfassung – und kann durchaus materiellen landesverfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen sein, insbesondere dem rechtsstaatlichen Mindeststandard des Willkürverbots (soHessStGH , NJW 1974, 791; BayVerfGH , NJW 1966, 443; offen RhPfVerfGH , Beschluss vom 9. Juni 1993, Az. VGH B 5/93 – Juris). Vor allem aber ist die Annahme keineswegs zwingend, dass es für die Vollständigkeit der Vollstreckung relevant sei, in welchem Maße die vollzugsbeendende Maßnahme rechtlich determiniert ist. Schließlich hängt auch eine mangelnde gerichtliche Überprüfbarkeit von Gnadenakten nicht mit der Frage der Vollständigkeit der Vollstreckung zusammen.

6

Es kann offen bleiben, ob § 68 f Abs. 1 StGB im Falle eines gnadenweisen Straferlasses voraussetzt, dass nicht nur die Freiheitsstrafe, sondern auch die tatsächliche Vollzugsdauer zwei Jahre überschreitet (vgl. dazu OLG Hamm , NStZRR 2009, 357). Denn der Verurteilte hat vor seiner Entlassung jedenfalls insgesamt über zwei Jahre der Gesamtfreiheitsstrafe im Strafvollzug verbüßt.

7

Aus der irreführenden Angabe „Ausgesetzter Strafest 13 Tage“ in der Entlassungsmitteilung vom 6. November 2009 ergibt sich kein verbleibender Strafrest. Denn nach Ziff. 5 Abs. 1 des Erlasses war der Strafrest mit der vorzeitigen Entlassung erlassen. Dementsprechend wurde in der Entlassungsmitteilung auch gemäß Ziff. 7 des Erlasses das Wort „erlassen“ und nicht die Alternative „ausgesetzt“ verwendet.

8

Der vollständigen Vollstreckung steht auch nicht entgegen, dass ein Gnadenerweis für den Verurteilten gemäß Ziff. 2 lit. c) des oben bezeichneten Erlasses deshalb ausgeschlossen war, weil nach § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB Führungsaufsicht vorgesehen war. Der gleichwohl erfolgte Straferlass ist nach § 112 LVwG mit seiner Bekanntgabe wirksam geworden. Er ist auch nicht nach § 113 LVwG nichtig, da kein besonders schwerwiegender Fehler vorliegt.


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(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und3

Annotations

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Der Gefangene soll am letzten Tag seiner Strafzeit möglichst frühzeitig, jedenfalls noch am Vormittag entlassen werden.

(2) Fällt das Strafende auf einen Sonnabend oder Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag, den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten oder in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 2. Januar, so kann der Gefangene an dem diesem Tag oder Zeitraum vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen.

(3) Der Entlassungszeitpunkt kann bis zu zwei Tagen vorverlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, daß der Gefangene zu seiner Eingliederung hierauf angewiesen ist.

In Sachen, in denen im ersten Rechtszug in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist, steht das Begnadigungsrecht dem Bund zu. In allen anderen Sachen steht es den Ländern zu.