Landgericht Essen Urteil, 23. Apr. 2015 - 28 Ns 167/14
Tenor
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Essen-Steele im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Dem Angeklagten wird für die Dauer von drei Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin trägt der Angeklagte.
1
Gründe:
2I.
3Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen-Steele vom 28.8.2014 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten für die Dauer von drei Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeglicher Art zu führen.
4Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten. Der Angeklagte erstrebt einen Freispruch.
5Die Berufung hat keinen Erfolg. Lediglich die Freiheitsstrafe konnte in geringem Umfang gemildert werden.
6II.
7Die Kammer hat folgende Feststellungen getroffen:
8- 9
1.
Der Angeklagte wurde am … in X in Q geboren. Er besuchte die technische Schule und ist gelernter Automechaniker. Er ist verheiratet; aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. 2007 kam der Angeklagte mit seiner Familie nach Deutschland. Inzwischen lebt er von seiner Familie getrennt. Für seine heute 13 bzw. 19 Jahre alten Kinder zahlt er Unterhalt. Er arbeitet als selbständiger Fliesenleger und erzielt dadurch ein Nettoeinkommen von etwa 1.500 €.
11Der Angeklagte ist strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.
12- 13
2.
Am Morgen des … befuhr der Angeklagte gegen elf Uhr die I-Straße aus H kommend in Richtung Bundesautobahn … mit seinem Transporter I1, amtliches Kennzeichen …. Er näherte sich der nach allen Seiten gut einsehbaren, beampelten Kreuzung I-Straße/P-Straße, welche er geradeaus überqueren wollte. Für den Angeklagten galt eine Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h. Er fuhr mindestens 65 km/h.
15Gleichzeitig näherte sich der Zeuge X1 aus Sicht des Angeklagten von links kommend mit seinem PKW N, amtliches Kennzeichen …, von der Autobahnabfahrt der … aus Richtung C kommend der Kreuzung, welche er ebenfalls aus seiner Sicht geradeaus überqueren wollte. Beifahrer des Zeugen X1 war H1. Auch für den Zeugen X1 galt eine Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h. Der Zeuge X1 fuhr etwa 30 km/h.
16Der sich der Kreuzung nähernde Angeklagte nahm den ebenfalls auf die Kreuzung zu fahrenden N wahr. Er ging davon aus, dass dieser an der Kreuzung halten werde.
17Beide Fahrzeugführer überfuhren jedoch mit nur ganz geringem zeitlichem Abstand die jeweils für sie geltende Haltelinie an der Kreuzung. Welcher der beiden Fahrzeugführer dabei einen Rotlichtverstoß beging, lässt sich nicht klären. Die Kammer geht zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass der Zeuge X1 über rot fuhr. Dabei war angesichts der guten Einsehbarkeit der Kreuzung und der fehlenden Einstauchung des N mangels Abbremsens kurz vor dem Überfahren des Haltlinie erkennbar, dass der Zeuge X1 in die Kreuzung einfahren würde.
18Der Angeklagte nahm den N erst wieder wahr, als sich beide Wagen auf der Kreuzung befanden. Er bremste den Transporter ab, konnte aber eine Kollision der Fahrzeuge nicht mehr verhindern. Der Transporter traf mit großer Wucht auf die rechte Fahrzeugseite des N. Der Transporter wurde um 90° nach rechts verdreht und kam auf einer Mittelinsel zum Stehen. Der N wurde seitlich nach links ausgelenkt und kam auf einem Randstreifen zum Stehen.
19Wäre der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge X1 die Haltelinie überfuhr und zugleich er – der Angeklagte - spätestens hätte bremsen müssen, um die Kollision zu verhindern, nicht schneller als 50 km/h gefahren, wäre er 0,7 Sekunden später am Kollisionsort angekommen. Der N wäre in diesem Fall bereits sechs Meter weiter über die Kreuzung gefahren gewesen, so dass es zu keiner Berührung der Wagen gekommen wäre.
20H1 wurde durch den Unfall schwer verletzt. Er starb am 17.5.2012 an den Unfallfolgen.
21Der Zeuge X1 erlitt Verletzungen im Brust- und Nackenbereich. Er befand sich kurzzeitig im Krankenhaus und wurde sodann von seinem Hausarzt weiterbehandelt.
22III.
23Die Feststellungen beruhen auf den Angaben des Angeklagten und der Beweisaufnahme.
24Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten.
25Die Feststellung zu den fehlenden Vorbelastungen des Angeklagten beruht auf dem Bundeszentralregisterauszug vom 8.1.2015.
26Der Angeklagte hat sich zur Sache wie folgt eingelassen: Er sei auf die Kreuzung zugefahren. Insofern wolle er nicht in Abrede stellen, dass er 65 km/h gefahren sei. Aus einiger Entfernung habe er gesehen, dass die Ampel für ihn grünes Licht gezeigt habe. Er habe auch wahrgenommen, dass sich von links ein kleiner Wagen langsam auf die Kreuzung zu bewegte. Dann – kurz vor Erreichen der Kreuzung - habe er wieder auf die Ampel geblickt, welche noch immer grün gewesen sei. Er sei in den Kreuzungsbereich eingefahren. Plötzlich sei der Kleinwagen vor ihm gewesen. Er habe noch gebremst, aber den Unfall nicht mehr verhindern können. Er sei völlig schockiert gewesen.
27Die Kammer glaubt den Angaben des Angeklagten.
28Sie lassen sich mit den Angaben des Zeugen H2 – der in einem PKW hinter dem Angeklagten die I-Straße befuhr – in Einklang bringen. Der Zeuge H2 hat erklärt, er habe die I-Straße befahren. Der Angeklagte sei dann ein paar hundert Meter vor der Kreuzung von der L-Straße aus vor ihm auf die I-Straße eingebogen. Ihm sei aufgefallen, dass der Angeklagte dabei seine Geschwindigkeit nicht verringert habe. Für ihn – den Zeugen – sei die Situation aber nicht gefährlich gewesen und er habe sich auch nicht über den Angeklagten geärgert. Er könne aber nicht ausschließen, dass er die Fahrweise des Angeklagten seiner Beifahrerin – der Zeugin H3 – gegenüber kommentiert habe. Der Angeklagte sei dann vor ihm gefahren. Als der Angeklagte in die Kreuzung eingefahren sei, sei er etwa 150 – 200 m entfernt gewesen. Er habe von links „einen Schatten“ wahrgenommen. Dann habe es schon „geknallt“, wobei der Wagen den Angeklagten nach rechts ausgebrochen sei. Er – der Zeuge - könne nicht sagen, ob der Angeklagte bei rot oder grün in die Kreuzung eingefahren sei. Er wisse nur, dass die Ampel, als er selbst sie kurze Zeit später erreicht habe, grün gewesen sei.
29Die Feststellungen der Kammer ergeben sich darüber hinaus jedenfalls teilweise aus den Angaben der Zeugin H3 treffen. Soweit die Zeugin darüber hinaus bekundet hat, der Angeklagte sei über Rot gefahren, folgt die Kammer der Zeugin nicht.
30Die Zeugin H3, die Beifahrerin des Zeugen H2, hat bekundet, der Angeklagte sei zunächst mit geringem Abstand vor sie auf die I-Straße gezogen. Dann sei er vor ihnen gefahren. Sie habe sich die Nase geputzt, als ihr Mann – der Zeuge H2 – gesagt habe: „Was macht der denn da?“ Sie habe daraufhin hochgeblickt und gesehen, dass der Angeklagte versucht habe, die wenige Meter vor der Ampel nach rechts abgehende Abbiegerspur zu bekommen und deshalb abrupt nach rechts gelenkt habe.
31Die Ampel habe für den Angeklagte rot gezeigt, da sei sie sich ganz sicher; das wisse sie genau. Es leuchte ihr angesichts des Unfallhergangs auch ein. Wenn ihr vorgehalten werde, dass die Polizei in der Verkehrsunfallanzeige niedergelegt habe, dass sie keine Angaben zu der Ampelanzeige habe machen können, so sei das unzutreffend; derartiges habe sie nicht gesagt. Wenn ihr weiter vorgehalten werde, dass die Polizei in der von ihr unterschriebenen Zeugenvernehmung aufgeschrieben habe, dass ihrer Meinung nach der Transporter rot gehabt habe, sie sich aber nicht sicher sei, so könne sie dazu sagen, dass die Vernehmung schon drei Jahre zurückliege und man sich mit der Zeit ja Gedanken mache. Sie könne sich nicht erklären, warum beim Amtsgericht protokolliert worden sei, dass sie zu dem Ampellicht nichts sagen könne.
32Dann sei der Unfall passiert. Sie sei ausgestiegen und zu dem zerstörten Kleinwagen gegangen. Die Verletzten hätten nicht aus dem Wagen befreit werden können; es sei ein furchtbarer Anblick gewesen. Der Angeklagte habe ebenfalls an dem Kleinwagen gestanden. Sie sei „so wütend“ auf den Angeklagten gewesen. Wenn dieser nämlich an der Einmündung der L-Straße in die I-Straße gewartet hätte und sie hätte passieren lassen, wäre der Unfall nicht passiert. Im Übrigen läge ein Verschulden des Angeklagten ja auch deshalb auf der Hand, weil der andere Wagen so kaputt gewesen sei. Sie hätte deshalb zu dem Angeklagten gesagt: „Was hast Du da angerichtet?“ Dieser habe geantwortet: „Ja, ich bin schuld.“ Weiteres sei zu der Verschuldensfrage nicht besprochen worden.
33Die Kammer kann auch nach der Aussage der Zeugin H3 keine tragfähigen Feststellungen zum Ampellicht treffen. Zwar hat die Zeugin mehrfach und mit Nachdruck erklärt, sicher zu sein, dass die Ampel für den Angeklagten rot gezeigt habe. Die Kammer bezweifelt auch nicht, dass die Zeugin der Überzeugung ist, die Wahrheit zu sagen. Allerdings konnte sie die abweichenden bzw. zumindest deutlich zurückhaltenderen Angaben in der Vergangenheit nicht plausibel erklären. Insbesondere spricht die Erklärung, sich in der vergangenen Zeit Gedanken über den Unfallhergang gemacht zu haben, nicht für die Glaubhaftigkeit der Angaben. Vielmehr steht zu befürchten, dass die Zeugin versucht, sich den Unfallhergang zu erklären und ihre Erinnerung sich diesen Versuchen anpasst. Dafür spricht auch die Bemerkung der Zeugin, es leuchte ihr ein, dass die Ampel rot war.
34Hinzu kommt, dass die Zeugin offenbar von Anfang an und ganz unabhängig von der Frage der Ampelschaltung - nämlich schon wegen der Art des Einbiegens auf die I-Straße und der großen Schäden an dem N - überzeugt war, in dem Angeklagten den alleinigen Unfallverursacher ausgemacht zu haben.
35Schließlich sind die Angaben der Zeugin auch im Übrigen wenig belastbar. Unzutreffend ist nämlich insbesondere die Darstellung, der Angeklagte habe schon vor der Kreuzung den Wagen abrupt nach rechts gelenkt, um noch die Rechtsabbiegerspur zu erreichen. Diese Darstellung wiederspricht nicht nur den Angaben des Angeklagten und denjenigen des Zeugen H2 sondern auch den Ausführungen des Sachverständigen T, Diplomingenieur für Fahrzeugtechnik. Dieser hat dazu überzeugend erklärt, der Transporter sei inmitten der Kreuzung durch den Zusammenstoß der Fahrzeuge nach rechts herumgerissen worden. Dieses Geschehen interpretiert die Zeugin offenbar als Versuch, den Wagen noch vor der Kreuzung auf die Rechtsabbiegerspur zu lenken.
36Soweit die Zeugin bekundet hat, der Angeklagte habe zugegeben, den Unfall verschuldet zu haben, schenkt die Kammer der Zeugin zwar Glauben. Sie folgert daraus aber nicht, dass der Angeklagte die Ampel bei rot überfahren hätte. Die Angabe des Angeklagten kann nämlich zwanglos mit dem emotionalen Ausnahmezustand des Angeklagten angesichts des schweren Unfalls und dem Wissen erklärt werden, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hatte.
37Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Bekundungen der den Unfall aufnehmende Zeugin K. Die Zeugin hat erklärt, sie habe in der Unfallanzeige aufgenommen, dass der Angeklagte am Unfallort angegeben habe, vermutlich Rot gehabt zu haben, dies allerdings nicht mit Sicherheit sagen zu können. Dies wisse sie noch. An die Bekundungen des Angeklagten selbst habe sie allerdings keinerlei Erinnerungen mehr.
38Auf diese Angaben kann die Kammer ebenfalls keine Feststellungen zu einem Rotlichtverstoß des Angeklagten stützen. Sie geht zwar davon aus, dass der Angeklagte die fragliche Äußerung getätigt hat. Dabei ist aber zum einen nicht zu verkennen, dass der Angeklagte seine Angabe sofort als bloße Vermutung bezeichnet hat. Warum er zu der fraglichen Vermutung gelangt ist, ist nicht festzustellen. Es liegt nicht fern, dass es eine bloße Schlussfolgerung des schockierten Angeklagten angesichts des Zusammenstoßes mit dem Querverkehr handelte.
39Der Zeuge X1 hat sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berufen.
40Soweit die Kammer Feststellungen zu den Verletzungen des Zeugen getroffen hat, beruhen diese auf der auszugsweisen Verlesung der Angaben des Zeugen anlässlich seiner Vernehmung am 29.11.2012 vor dem Amtsgericht F nach ordnungsgemäßer Belehrung. Der Zeuge hat damals bekundet, im Brustbereich und im Nacken verletzt worden zu sein. Er habe noch immer Schwierigkeiten mit dem Nacken. Er sei drei Tage im Krankenhaus gewesen. Er sei geröntgt worden. Danach sei er von seinem Hausarzt behandelt worden.
41Auf die weiteren Angaben des Sachverständigen T kann die Kammer ebenfalls keine Feststellungen zum Ampellicht stützen. Er hat insofern überzeugend dargelegt, aus technischer Sicht nicht klären zu können, welcher der beiden Fahrzeugführer einen Rotlichtverstoß beging.
42Die Feststellungen der Kammer zu den gefahrenen Geschwindigkeiten der beiden Wagen beruhen auf den Angaben des Sachverständigen. Dieser hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass nach dem Ergebnis eines von ihm durchgeführten Crashversuchs mit bauähnlichen Fahrzeugen der N im Zeitpunkt der Kollision etwa 30 km/h gefahren sei. Angesichts der nach der Kreuzung befindlichen Kurve habe der N auch nicht schneller fahren können. Aus dem Crashversuch ergebe sich hinsichtlich der Geschwindigkeit des I1, dass dieser im Zeitpunkt der Kollision mindestens 65 km/h gefahren sei.
43Die Feststellungen zur Vermeidbarkeit der Kollision bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit beruhen ebenfalls auf den Angaben des Sachverständigen. Dieser hat erklärt, dass der Angeklagte in dem Zeitpunkt, in welchem der Zeuge X1 die Haltelinie überfuhr, noch gut 40 Meter von dem Kollisionsort entfernt gewesen sei. Dies sei der letzte Moment gewesen, in dem der Angeklagte noch hätte anhalten können. Dass der N nicht an der Kreuzung anhalten würde, sei im Übrigen schon angesichts der mangels Bremsens fehlenden Einstauchung vor dem Überfahren der Haltelinie erkennbar gewesen. Bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit hätte der Angeklagte den Kollisionsort 0,7 Sekunden später erreicht; in diesem Falle wäre der N bereits sechs Meter weiter gefahren gewesen. Es wäre dann nicht zu einem Zusammenstoß gekommen.
44Soweit die Kammer festgestellt hat, dass H1 an den Unfallfolgen verstorben ist, beruht dies auf den nachvollziehbaren und überzeugenden Angaben des Sachverständigen G. Dieser hat erklärt, den Verstorbenen obduziert zu haben. Die Leiche habe ein Polytrauma - also Vielfachverletzungen - auf der rechten Körperseite aufgewiesen. So seien unter anderem ein ausgedehntes Schädelhirntrauma, zahlreiche Rippenbrüche, ein Bauchtrauma, eine zertrümmerte Beckenschaufel, ein gebrochener Schambeinast und ein gebrochener Oberschenkelhals festzustellen gewesen. Diese Verletzungen seien sehr gut mit einem Verkehrsunfall als Beifahrer bei Anstoß von der rechten Seite zu erklären. Letztlich habe dann ein Multiorganversagen zum Tod geführt. Trotz des fortgeschrittenen Alters des Verstorbenen von 83 Jahren seien keine Erkrankungen festzustellen gewesen; der Verstorbene sei in gutem gesundheitlichem Zustand gewesen. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass anderweitige Ursachen zum Tod geführt hätten. Vielmehr sei ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Versterben festzustellen.
45IV.
46Der Angeklagte hat sich danach wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht, §§ 222, 223, 52 StGB.
47Insbesondere besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten und dem Unfall. Denn der Unfall wäre bei Beachtung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht geschehen. Dabei ist allein von Bedeutung, wie nach dem Eintritt der kritischen Verkehrslage bei richtiger Fahrweise die Vorgänge abgelaufen wären (BGHSt 33, 61, Rdn. 12). Der rechtliche Ursachenzusammenhang ist zu bejahen, wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte, wäre der Fahrzeugführer bei Eintritt der „kritischen Verkehrssituation“ nicht mit einer höheren als der zugelassen Geschwindigkeit gefahren (ebenda, Rdn. 13). Darüber können Feststellungen nur getroffen werden, wenn das Verhalten der anderen Verkehrsbeteiligten, z.B. Art und Ausmaß ihrer Fortbewegung, in die Erwägungen einbezogen werden (ebenda, Rdn. 14). Damit wird nicht der Normzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung verlassen. Dieser besteht auch darin, anderen Verkehrsteilnehmern einen gefahrlosen Begegnungs- und Kreuzungsverkehr zu ermöglichen. Daraus folgt, dass der Kraftfahrer auch dann strafrechtlich verantwortlich ist, wenn allein durch die Beachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung im Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Situation der Unfall vermieden worden wäre (ebenda, Rdn. 15). Dass das Ausbleiben des Zusammenstoßes dabei etwa nur auf die Fortbewegung des anderen Verkehrsteilnehmers zurückzuführen ist, ist unerheblich.
48Das bei Zugrundelegung eines Rotlichtverstoßes des Zeugen X1 offensichtliche Mitverschulden des Zeugen beseitigt nicht den Ursachenzusammenhang (BGH VRS 54, 436, Rdn. 9).
49Der Unfall war auch nicht unvorhersehbar. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Mitverschulden geeignet ist, die Vorhersehbarkeit des Unfalls für den Täter auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen Verhalten besteht. Diese ist aber hier nicht der Fall. Ein Rotlichtverstoß eines anderen Verkehrsteilnehmers ist kein gänzlich vernunftwidriges Verhalten. Vielmehr kommen durch Rotlichtverstöße mit einiger Regelmäßigkeit im Straßenverkehr vor; sie beruhen häufig auf Unaufmerksamkeit oder auch auf Rücksichtslosigkeit, sind aber nicht gänzlich vernunftwidrig.
50V.
51Bei der Strafzumessung ist die Kammer von dem Strafrahmen des § 222 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht.
52Erheblich zu Gunsten des Angeklagten hat die Kammer seine geständige Einlassung berücksichtigt. Erheblich strafmildernd wirkte auch die Unvobestraftheit des Angeklagten. Für den Angeklagten wirkte sich auch der Umstand aus, dass die Tat bereits drei Jahre zurückliegt. Zugunsten des Angeklagten ist die Kammer außerdem davon ausgegangen, dass den Zeugen X1 ein erhebliches Mitverschulden trifft. Das Gericht geht darüber hinaus davon aus, dass auch der Angeklagte unter dem Geschehen leidet.
53Nach alledem hält die Kammer eine
54Freiheitsstrafe von sechs Monaten
55für tat- und schuldangemessen.
56Die Vollstreckung der Strafe war – dies ergibt sich schon aus dem Verschlechterungsverbot des § 331 StPO - gem. zur Bewährung auszusetzen.
57Das Fahrverbot von drei Monaten beruht auf § 44 StGB. Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass die Tat bereits drei Jahre zurückliegt. Gleichwohl erscheint es geboten, zur Warnung und Besinnung des Angeklagten ein solches anzuordnen. Denn wenngleich die Kammer davon ausgeht, dass der Angeklagte unter dem Geschehen leidet, ist doch nicht zu verkennen, dass er noch im letzten Wort ausgeführt hat, „alles richtig gemacht“ zu haben.
58VI.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Essen Urteil, 23. Apr. 2015 - 28 Ns 167/14
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Referenzen - Gesetze
(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Das Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat.
(2) Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.
(1) Wird jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt, so kann ihm das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu sechs Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Auch wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, kommt die Anordnung eines Fahrverbots namentlich in Betracht, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann. Ein Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn in den Fällen einer Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 3 oder § 316 die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 unterbleibt.
(2) Das Fahrverbot wird wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft. Für seine Dauer werden von einer deutschen Behörde ausgestellte nationale und internationale Führerscheine amtlich verwahrt. Dies gilt auch, wenn der Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden ist, sofern der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. In anderen ausländischen Führerscheinen wird das Fahrverbot vermerkt.
(3) Ist ein Führerschein amtlich zu verwahren oder das Fahrverbot in einem ausländischen Führerschein zu vermerken, so wird die Verbotsfrist erst von dem Tage an gerechnet, an dem dies geschieht. In die Verbotsfrist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
(4) Werden gegen den Täter mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.