Landgericht Düsseldorf Urteil, 19. Nov. 2015 - 4c O 61/15
Tenor
I. Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
TATBESTAND
2Die Verfügungsklägerin ist eingetragene und alleinige Inhaberin des Europäischen Patents EP A (im Folgenden: Verfügungspatent), das unter Inanspruchnahme zweier britischer Prioritäten vom 10. Januar 2000 (GB B) und 12. April 2000 (GB C) am 8. Januar 2001 angemeldet und für das der Hinweis auf die Patenterteilung am 19. Oktober 2005 veröffentlicht wurde. Das Verfügungspatent betrifft eine Fulvestrantformulierung.
3Anspruch 1 des Verfügungspatents in seiner ursprünglich erteilten Fassung lautete:
4„Pharmazeutische Formulierung, umfassend Fulvestrant in einer Ricinoleat-Trägersubstanz, ein pharmazeutisch annehmbares nichtwässriges Esterlösungsmittel und einen pharmazeutisch annehmbaren Alkohol, wobei die Formulierung zur intramuskulären Verabreichung und Erzielung einer mindestens 2 Wochen anhaltenden, therapeutisch signifikanten Fulvestrantkonzentration im Blutplasma hergerichtet ist.“
5Die D, legte gegen die Erteilung des Verfügungspatentes Einspruch ein und beantragte, das Verfügungspatent in vollem Umfang zu widerrufen. Mit Entscheidung vom 27. November 2008 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Einsprechenden hob die Beschwerdekammer des europäischen Patentamtes die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Angelegenheit zur weiteren Verhandlung an die Einspruchsabteilung zurück. Zur Begründung führte die Beschwerdekammer (Anlage AR 4) an, dass verschiedene Dokumente, u.a. H et al., Tamoxifen-resistente Fibroblast-Wachstumsfaktor-transfizierte MCF-7-Zellen sind kreuzresistent in vivo gegen das Antiöstrogen ICI 182,780 und zwei Aromatase-Inhibitoren, Clinical Cancer Research, Bd. 4, Seiten 697-711, März 1989 (Anlage NiK10 zur Anlage HE 3, nachfolgend: D13 oder H) von der Einspruchsabteilung noch nicht gewürdigt worden seien, da diese erst im Beschwerdeverfahren eingeführt wurden. In ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 7. November 2014 führte die Einspruchsabteilung aus, dass die D13 der Neuheit des erteilten Patentes entgegen stehen könne. Am 30. Dezember 2014 nahm die Einsprechende den Einspruch zurück. Mit Schreiben vom 2. Januar 2015 und 22. Januar 2015 änderte die Verfügungsklägerin die Ansprüche. Mit Schreiben vom 26. Januar 2015 (Anlage HE 26/26a) wurden von dritter Seite Einwendungen gegen die Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes auch im Hinblick auf die geänderten Ansprüche geltend gemacht. Mit Entscheidung vom 11. Februar 2015 (Anlage HE 2/2a) wurde das Verfügungspatent im Umfang der zuletzt eingereichten Anträge eingeschränkt aufrechterhalten. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht durchgeführt.
6Anspruch 1 des Verfügungspatentes hat in der eingeschränkt aufrecht erhaltenen Fassung folgenden Wortlaut:
7„Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung zur Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes mittels intramuskulärer Verabreichung, wobei die Formulierung Fulvestrant in einer Ricinoleat-Trägersubstanz, ein pharmazeutisch annehmbares nichtwässriges Esterlösungsmittel und einen pharmazeutisch annehmbaren Alkohol umfasst, und wobei die Formulierung zur Erzielung einer mindestens 2 Wochen anhaltenden, therapeutisch signifikanten Fulvestrantkonzentration im Blutplasma hergerichtet ist.“
8Anspruch 4 hat folgenden Wortlaut:
9„Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung zur Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes mittels intramuskulärer Verabreichung, wobei die pharmazeutische Formulierung Fulvestrant, 30 Gew.-% oder weniger eines pharmazeutisch annehmbaren Alkohols, bezogen auf das Volumen der Formulierung, mindestens 1 Gew.-%, bezogen auf das Volumen der Formulierung, eines pharmazeutisch annehmbaren nichtwässrigen Esterlösungsmittels, das in einer Ricinoleat-Trägersubstanz mischbar ist, und eine ausreichende Menge einer Ricinoleat-Trägersubstanz enthält, um eine Formulierung mit mindestens 45 mgml-1 Fulvestrant herzustellen.“
10Die Verfügungsklägerin ist Teil der E-Gruppe, einem pharmazeutischen Unternehmen; die Verfügungsbeklagte ist ein Unternehmen, das generische Arzneimittel vertreibt.
11Die Verfügungsbeklagte sowie die F haben mit Datum vom 16. Juni 2015 und 23. Juni 2015 Nichtigkeitsklagen beim Bundepatentgericht eingelegt, über welche noch nicht entschieden wurde.
12Mit Schreiben vom 26. August 2015 teilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin mit, dass sie beabsichtige ein Arzneimittel mit der Bezeichnung „G“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) zu vertreiben. Im November 2015 solle die angegriffene Ausführungsform in der Lauer-Taxe angeboten werden. Mit Schreiben vom 2. September 2015 bat die Verfügungsklägerin um nähere Informationen zur quantitativen Zusammensetzung der angegriffenen Ausführungsform. Hierauf spezifizierte die Verfügungsbeklagte die Zusammensetzung mit Schreiben vom 3. September 2015. Daraufhin mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 16. September 2015 ab. Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung lehnte die Verfügungsbeklagte mit Hinweis auf einen mangelnden Rechtsbestand des Verfügungspatentes ab. Zwischen den Parteien unstreitig macht die angegriffene Ausführungsform von der in den Patentansprüchen 1 und 4 geschützten erfindungsgemäßen Lehre des Verfügungspatentes Gebrauch.
13Mit Schriftsatz vom 23. September 2015, eingegangen bei Gericht am 24. September 2015, beantragte die Verfügungsklägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
14Die Verfügungsklägerin vertritt die Ansicht, dass sowohl ein Verfügungsanspruch wie ein Verfügungsgrund vorliegen würden. Auch die vorzunehmende Interessenabwägung müsse zu ihren Gunsten erfolgen.
15Ein Verfügungsanspruch liege vor, da die angegriffene Ausführungsform unstreitig von der Lehre nach dem Verfügungspatent Gebrauch mache.
16Darüber hinaus sei der Rechtsbestand des Verfügungspatentes hinreichend gesichert. Das Verfügungspatent sei von der Einspruchsabteilung – nach Einschränkung – aufrechterhalten worden. Die Einwendungen der Verfügungsbeklagten gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatentes seien nicht erfolgversprechend. Das Verfügungspatent stelle eine besondere Verwendung unter Schutz, für welche es keine Hinweise im Stand der Technik gebe.
17Für den Erlass einer einstweiligen Regelung spreche zudem, dass neben der den Rechtsbestand bestätigenden Entscheidung auch ein Ausnahmefall im Sinne der „Harnkatheterset“-Rechtsprechung vorliege, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertige. Denn es handele sich vorliegend um den Markteintritt eines Generikums. Es komme zu einem irreversiblen Preisverfall, so dass auf Seiten der Verfügungsklägerin ein erheblicher Schadenseintritt zu befürchten sei.
18Die Verfügungsklägerin beantragt,
19- 20
I. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen,
Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung zu verwenden, wobei die Formulierung Fulvestrant in einer Ricinoleat-Trägersubstanz, ein pharmazeutisch annehmbares nichtwässriges Esterlösungsmittel und einen pharmazeutisch annehmbaren Alkohol umfasst, und wobei die Formulierung zur Erzielung einer mindestens 2 Wochen anhaltenden, therapeutisch signifikanten Fulvestrantkonzentration im Blutplasma hergerichtet ist, und diese pharmazeutische Formulierung sodann sinnfällig herzurichten, indem in der Gebrauchsinformation die Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes mittels intramuskulärer Verabreichung empfohlen wird,
22und/oder
23Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung zu verwenden, wobei die Formulierung Fulvestrant, 30 Gew.-% oder weniger eines pharmazeutisch annehmbaren Alkohols, bezogen auf das Volumen der Formulierung, mindestens 1 Gew.-%, bezogen auf das Volumen der Formulierung, eines pharmazeutisch annehmbaren nichtwässrigen Esterlösungsmittel, das in einer Ricinoleat-Trägersubstanz mischbar ist, und eine ausreichende Menge einer Ricinoleat-Trägersubstanz enthält, um eine Formulierung mit mindestens 45 mgml-1 Fulvestrant herzustellen, und diese pharmazeutische Formulierung sodann sinnfällig herzurichten, indem in der Gebrauchsinformation die Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes mittels intramuskulärer Verabreichung empfohlen wird,
24sowie derartig hergerichtete Arzneimittel in der Arzneimittel in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
25- 26
II. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahme ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu vollstrecken an ihrem gesetzlichen Vertretungsberechtigten, anzudrohen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
28den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
29Sie ist der Ansicht, dass ein Verfügungsgrund nicht vorliege. Eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung sei zwar vorhanden, indes sei die Entscheidung nicht in einem kontradiktorischen Verfahren erfolgt. Der Einspruch sei – unstreitig – zurückgenommen worden bevor die Verfügungsklägerin die ursprünglich auf eine pharmazeutische Zusammensetzung gerichteten Patentansprüche in Verwendungsansprüche geändert habe. Auch sei über die geänderte Anspruchsfassung nicht mündlich verhandelt worden. Entsprechend werde sich das Verfügungspatent im Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. Die von der Verfügungsbeklagten gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatentes vorgelegten Entgegenhaltungen würden den Gegenstand der Erfindung entweder neuheitsschädlich vorweg nehmen oder jedenfalls der erfinderischen Tätigkeit entgegen stehen. Zudem stehe der Neuheit der Erfindung nach dem Verfügungspatent der Einwand der offenkundigen Vorbenutzung entgegen. Frau H und ihrem Team sei die erfindungsgemäße Zusammensetzung ohne Geheimhaltung im Hinblick auf ihre Verwendung übergeben worden. Die Verfügungsklägerin weigere sich jedoch seit über einem Jahr, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Zugleich seien sämtliche Äußerungen von Frau H in dem parallelen US-Verfahren zu diesem Sachverhalt unter Verschluss genommen worden. Diese beharrliche Weigerung an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken, müsse im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten der Verfügungsbeklagten berücksichtigt werden.
30Die Verfügungsklägerin tritt dem Vorbringen entgegen.
31Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
32ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
33Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet.
34I.
35Die Verfügungsklägerin vermochte einen Verfügungsgrund nicht glaubhaft zu machen.
361.
37Die Erfindung betrifft die Verwendung von 7α-[9-(4, 4, 5, 5, 5-Pentafluorpentylsulfinyl)nonyl]estra-1, 3, 5(10)-trien-3, 17β-diol bei der Herstellung einer Formulierung zur Verabreichung mittels intramuskulärer Injektion, enthaltend die Verbindung 7α-[9-(4, 4, 5, 5, 5-Pentafluorpentylsulfinyl)nonyl]estra-1, 3, 5(10)-trien-3, 17β-diol gelöst in einer Ricinoleat-Trägersubstanz, die zusätzlich mindestens einen Alkohol und ein in der Ricinoleat-Trägersubstanz mischbares nichtwässriges Esterlösungsmittel umfasst, zur Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes.
38Das Verfügungspatent führt zum Hintergrund der Erfindung aus, dass die Östrogen-Deprivation bei der Behandlung vieler gut- und bösartiger Erkrankungen der Brust und des Reproduktionstraktes grundlegend ist. Bei prämenopausalen Frauen wird diese mittels operativer, strahlentherapeutischer oder medikamentöser Ausschaltung der Ovarialfunktion erzielt und bei postmenopausalen Frauen durch die Verwendung von Aromataseinhibitoren. Ein alternativer Ansatz ist die Antagonisierung von Östrogen mit Antiöstrogenen. Diese sind Arzneimittel, die kompetitiv an Östrogenrezeptoren (ER) binden, welche in den Kernen von östrogenempfindlichem Gewebe vorliegen. Herkömmliche nicht-steroidale Antiöstrogene wie Tamoxifen konkurrieren effektiv um die ER-Bindung, ihre Effektivität wird allerdings häufig durch deren partiellen Agonismus eingeschränkt, was zu einer unvollständigen Blockade der östrogenvermittelten Aktivität führt.
39Das Verfügungspatent schildert weiter, dass es auf Grund des Potentials nicht-steroidaler Antiöstrogene, agonistische Eigenschaften aufzuweisen, Anlass zur Suche nach neuen Verbindungen gab, die mit hoher Affinität an ER binden, ohne dabei die normalen transkriptionellen Hormonantworten und Folgemanifestationen von Östrogenen herbeizuführen. Derartige Moleküle wären „reine“ Antiöstrogene, die sich deutlich von Tamixofen-ähnlichen Liganden unterscheiden und geeignet sind, die vollständige Ausschaltung der trophischen Wirkungen von Östrogenen auszulösen. Verbindungen dieser Art werden als Östrogenrezeptor-Downregulatoren (E.R.D.) bezeichnet. Steroidale Analoga von Östradiol mit einer Alkylsulfinylseitenkette in Position 7α lieferten die ersten Beispiele für Verbindungen ohne östrogene Aktivität. Eine von diesen, 7α-[9-(4, 4, 5, 5, 5-Pentafluorpentylsulfinyl)nonyl]estra-1, 3, 5(10)-trien-3, 17β-diol, wurde auf Grundlage ihrer antagonistischen Aktivität gegenüber reinen Östrogenen ausgewählt und zeigte eine signifikant erhöhte antiöstrogene Potenz verglichen mit anderen verfügbaren Antiöstrogenen. In vitro Erkenntnisse sowie frühe klinische Erfahrungen mit 7α-[9-(4, 4, 5, 5, 5-Pentafluorpentylsulfinyl)nonyl]-estra-1, 3, 5(10)-trien-3, 17β-diol haben das Interesse an der Entwicklung des Wirkstoffs zu einem Therapeutikum für östrogenabhängige Indikationen wie Brustkrebs und bestimmte gutartige Frauenkrankheiten gefördert.
407α-[9-(4, 4, 5, 5, 5-Pentafluorpentylsulfinyl)nonyl]estra-1, 3, 5(10)-trien-3, 17β-diol oder ICI 182,780 wurde der internationale Freiname Fulvestrant zugewiesen, der nachfolgend verwendet wird. Fulvestrant bindet mit einer Östradiol-ähnlichen Affinität an ER und blockiert in vitro vollständig die wachstumsstimulierende Wirkung von Östradiol auf humane Brustkrebszellen; in dieser Hinsicht ist es potenter und effektiver als Tamoxifen. Fulvestrant blockiert vollständig die uterotrope Wirkung von Östradiol in Ratten, Mäusen und Affen und blockiert außerdem die uterotrope Aktivität von Tamoxifen. Da Fulvestrant keinerlei östrogenähnliche stimulierende Aktivität aufweist, die für klinisch verfügbare Antiöstrogene wie Tamoxifen oder Toremifen charakteristisch ist, kann es eine verbesserte therapeutische Aktivität bieten, die durch eine schnellere, vollständige oder länger anhaltende Tumorrückbildung, eine weniger häufige bzw. langsamere Resistenzentwicklung gegenüber der Behandlung und eine Verringerung der Tumorinvasivität gekennzeichnet ist.
41Fulvestrant zeigt, neben anderen Verbindungen auf Steroidbasis, bestimmte physikalische Eigenschaften, die eine Formulierung dieser Verbindung erschweren. Fulvestrant ist ein selbst im Vergleich zu anderen steroidalen Verbindungen besonders lipophiles Molekül, und seine Löslichkeit in Wasser ist mit etwa 10 ngm-1 extrem niedrig. Derzeit gibt es, so das Verfügungspatent, etliche injizierbare steroidale Retard-Formulierungen, die auf den Markt gebracht wurden. Üblicherweise verwenden diese Formulierungen Öl als Lösungsmittel, wobei zusätzliche Hilfsstoffe vorliegen können. Das Verfügungspatent listet hier in Tabelle 1 kommerziell erhältliche injizierbare Retard-Formulierungen auf, auf welche Bezug genommen wird. Tabelle 2, auf welche auch Bezug genommen wird, stellt die Löslichkeit von Fulvestrant in verschiedenen Lösungsmitteln dar. So zeigte sich, dass Fulvestrant in Rizinusöl signifikant besser löslich ist als in irgendeinem der anderen getesteten Öle. Das Verfügungspatent schildert es indes als nachteilig, dass es selbst bei Verwendung des besten Lösungsmittels auf Ölbasis, Rizinusöl, unmöglich ist, Fulvestrant in einem Lösungsmittel auf Ölbasis allein so zu lösen, dass eine für die Dosierung eines Patienten mit einem kleinen Injektionsvolumen ausreichend hohe Konzentration und eine therapeutisch signifikante Freisetzungsrate erzielt wird. Zur Erzielung einer therapeutisch signifikanten Freisetzungsrate würde die benötigte Menge an Fulvestrant ein großes Volumen der Formulierung, mindestens 10 ml, erforderlich machen. Dies erfordert, dass der Arzt ein übermäßig großes Volumen der Formulierung injiziert, um eine für die Humantherapie ausreichend hohe Dosis zu verabreichen. Richtlinien empfehlen in einer einzigen Injektion nicht mehr als 5 ml Flüssigkeit intramuskulär zu injizieren. Die für eine Depot-Formulierung von Fulvestrant mit einer 1 Monat lang anhaltenden Wirkung erforderlichen pharmakologischen Wirkdosen betragen etwa 250 mg. Daher müsste Fulvestrant, wenn es ausschließlich in Rizinusöl gelöst ist, in mindestens 10 ml Rizinusöl verabreicht werden.
42Ausgehend davon ist die dem Verfügungspatent objektiv zugrunde liegende Aufgabe – die im Verfügungspatent selbst nicht formuliert wird - darin zu sehen, Fulvestrant in einer vorteilhaften Formulierung zu verwenden. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur richtet sich die Formulierung der Aufgabe allein nach dem tatsächlich, d.h. objektiv, Erfundenen. Die Aufgabe muss daher auf das Ergebnis der Erfindung abgestellt sein, weshalb Ausgangspunkt das gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich Geleistete ist. Ferner kann sie nur an solchen Problemen orientiert sein, die durch die Erfindung tatsächlich gelöst werden (vgl. BGH, GRUR 2010, 607 – Fettsäurezusammensetzung m.w.N.).
43Vorliegend ist demzufolge zu berücksichtigen, dass die patentgemäß beanspruchte Problemlösung auf die Verwendung von Fulvestrant in einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung von Brustkrebs oder Erkrankungen des Reproduktionstraktes gerichtet ist. Die Leistung des vorliegend Erfundenen besteht folglich darin, eine Formulierung gefunden zu haben, welche intramuskulär verabreicht werden kann und eine Depotwirkung erzielt.
44Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Patentanspruch 1 eine Verwendung mit folgenden Merkmalen vor:
45- 46
1. Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung,
- 47
2. zur Behandlung
2.1 einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes
492.2 mittels intramuskulärer Verabreichung,
50- 51
3. wobei die pharmazeutische Formulierung umfasst,
3.1 Fulvestrant,
533.2 einen pharmazeutisch annehmbaren Alkohol,
543.3 ein pharmazeutisch annehmbares nichtwässriges Esterlösungsmittel, und
553.4 eine Ricinoleat-Trägersubstanz
56- 57
4. wobei die Formulierung zur Erzielung einer mindestens 2 Wochen anhaltenden, therapeutisch signifikanten Fulvestrantkonzentration im Blutplasma hergerichtet ist.
Patentanspruch 4 lässt sich in die nachfolgenden Merkmale gliedern:
59- 60
1. Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung einer pharmazeutischen Formulierung,
- 61
2. zur Behandlung
2.1 einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust oder des Reproduktionstraktes
632.2 mittels intramuskulärer Verabreichung,
64- 65
3. wobei die pharmazeutische Formulierung enthält,
3.1 Fulvestrant,
673.2 30 Gew.-% oder weniger eines pharmazeutisch annehmbaren Alkohols, bezogen auf das Volumen der Formulierung,
683.3 mindestens 1 Gew.-%, bezogen auf das Volumen der Formulierung, eines pharmazeutisch annehmbaren nichtwässrigen Esterlösungsmittels, das in einer Ricinoleat-Trägersubstanz mischbar ist, und
693.4 eine ausreichende Menge einer Ricinoleat-Trägersubstanz enthält, um eine Formulierung mit mindestens 45 mgml -1 Fulvestrant herzustellen.
702.
71Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; bestätigt in: OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso: OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher).
72Danach ist in Patentverletzungsstreitigkeiten das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 145 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 118 f. – Harnkatheterset).
73Das alles bedeutet nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf aber nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt allerdings in der Regel, dass die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert ist (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset). Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatents können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen. Das Verletzungsgericht kann sich dabei nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungsschutzrecht gegebenenfalls keinen Bestand haben wird. Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset).
74Grundsätzlich kann von einem hinreichenden Rechtsbestand nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset; GRUR-RR 2011, 81 - Gleitsattelscheibenbremse II). Um ein Verfügungspatent für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es daher grundsätzlich einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen.
75Von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung kann nur in Sonderfällen abgesehen werden. Sie können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – vorliegen, wenn der Antragsgegner sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, oder wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungspatent allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich durch das Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder dergleichen widerspiegelt) oder wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z. B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset).
76Die Verfügungsklägerin macht vorliegend geltend, dass die Voraussetzungen der „Harnkathetherset“-Rechtsprechung überobligationsmäßig erfüllt seien, da sich die Verfügungsklägerin zum einen darauf berufen könne, dass es sich um den Eintritt eines Generikaunternehmens in den Markt handele sowie eine den Rechtsbestand des Verfügungspatentes bestätigende Entscheidung vorliege. Dies führt nach Ansicht der Kammer vorliegend nicht dazu, dass von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand ausgegangen werden kann.
77Zutreffend ist zwar, dass die Verfügungsklägerin mit dem bevorstehenden Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform als Generikum außergewöhnliche Umstände geltend machen kann. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls zu dem grundsätzlichen Erfordernis einer den Rechtsbestand bestätigenden Entscheidung beinhaltet indes nicht, dass es auf einen hinreichend gesicherten Rechtsbestand nicht ankäme. In diesem Ausnahmefall wird lediglich auf das Vorliegen einer den Rechtsbestand gesicherten Entscheidung verzichtet. Auch hier gilt aber, dass die Frage nach dem Bestand des Verfügungspatentes so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sein muss, dass eine fehlerhafte, in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Dies bedeutet, dass Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen können. Die Vernichtung des Verfügungspatentes darf als Folge der Einwendungen des Antragsgegner aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend oder hinreichend wahrscheinlich sein, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können. Die von der Verfügungsklägerin angeführten außergewöhnlichen Umstände bedingen mithin nicht zwangsläufig einen hinreichend gesicherten Rechtsbestand, der das Bestehen eines Verfügungsgrundes ohne nähere Überprüfung des Rechtsbestandes des Verfügungspatentes begründet.
78Soweit die Verfügungsklägerin weiterhin geltend macht, dass eine den Rechtsbestand des Verfügungspatentes bestätigende Entscheidung vorliege, da die Einspruchsabteilung des EPA mit der Zwischenentscheidung vom 11. Februar 2015 (Anlage HE 2/2a) das Verfügungspatent im Umfang der eingeschränkt geltend Ansprüche bestätigt habe, ist ihr zwar zuzustimmen, dass grundsätzlich das Erfordernis einer den Rechtsbestand bestätigenden Entscheidung im Sinne der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (vgl. OLG Düsseldorf 2 U 47/12, BeckRS 2013, 13744; OLG Düsseldorf 2 U 95/11, BeckRS 2012, 21294; OLG Düsseldorf 2 U 41/11, Urt. v. 10.11.2011; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II) erfüllt wird. Diese von der zuständigen Fachinstanz nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Verfügungspatentes ist grundsätzlich hinzunehmen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder der mit dem Rechtsbehelf gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommene Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt oder beschieden haben (vgl. Cepl/Voß/Voß, ZPO § 940 Rdnr. 117 m.w.N.). Es genügt demgegenüber nicht, dass das Verletzungsgericht seine eigene Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der ebenso vertretbaren Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt. Der Rechtsbestand gilt lediglich dann als nicht gesichert, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der zuständigen Fachinstanz für nicht vertretbar hält oder der unternommene Rechtsbehelf auf (neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird.
79Ob die Argumentation der Einspruchsabteilung nicht vertretbar ist, kann im Ergebnis offenblieben. Denn vorliegend ist in die Betrachtung mit einzubeziehen, dass die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der eingeschränkten Patentansprüche nicht mehr in einem mehrseitigen, dem für einen Einspruch typischen Verfahren erfolgte. Denn die einzige Einsprechende D. nahm den Einspruch am 30. Dezember 2014 zurück, mithin zu einem Zeitpunkt, als Gegenstand des Einspruchsverfahrens noch die ursprünglich erteilte und auf eine Formulierung gerichtete Anspruchsfassung war. Hinsichtlich dieser Fassung hat die Einspruchsabteilung mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 7. November 2014 (Anlage AR 4) die Ansicht vertreten, dass diese nicht neu sein dürfte. Nach der Rücknahme des Einspruchs am 30. Dezember 2014 reichte die Verfügungsklägerin mehrfach unterschiedliche Anspruchsfassungen ein, zuletzt unter dem 22. Januar 2015 eine Fassung, die auf eine Verwendung einer Formulierung gerichtet ist, und diese Anspruchsfassung hielt die Einspruchsabteilung für schutzfähig, wie sie in ihrer Entscheidung vom 11. Februar 2015 auch ausführte. Diese Anspruchsfassung war damit nicht Gegenstand eines „normalen“, unter Beteiligung eines Einsprechenden geführten Einspruchsverfahrens. Die Entscheidung wurde einzig auf Grundlage der bereits angeführten Einwendungen getroffen, die jedoch nicht den auf eine Verwendung gerichteten Anspruch betrafen. Es wird nicht verkannt, dass nach Einreichung der neuen Anträge von dritter Seite auch noch Einwendungen erhoben wurden (Anlage HE 26/26a). Die entsprechenden Einwendungen richteten sich auch gegen den Rechtsbestand der „neuen“ Anspruchsfassung. Geltend gemacht wurde hier indes nicht die fehlende Neuheit des Anspruchs vor dem Hintergrund der Offenbarung der D13, sondern die fehlende erfinderische Tätigkeit. Es ist daher fraglich, ob die Argumente, welche Gegenstand des vorliegenden Verfügungsverfahrens und auch der erhobenen Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht sind, von der Einspruchsabteilung in ihre Entscheidung mit einbezogen wurden. Der Entscheidung vom 11. Februar 2015 (Anlage HE 2/2a) kann dies nicht entnommen werden.
80Die vorliegende Fallkonstellation gebietet es daher, trotz des Vorliegens einer den Rechtsbestand des Verfügungspatentes bestätigenden Entscheidung den hinreichend gesicherten Rechtsbestand nicht erst dann zu verneinen, wenn die Argumentation der den Rechtsbestand bestätigenden Fachinstanz nicht vertretbar ist, sondern bereits dann, wenn die Vernichtung des Verfügungspatentes aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich erscheint. Denn die durch eine zuständige Fachinstanz getroffene Entscheidung kann nicht ohne weiteres hingenommen werden, wenn das Einspruchsverfahren im Ergebnis nicht mit Blick auf den geänderten Anspruch gerichtet war. Denn insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den den Rechtsbestand anzweifelnden Argumenten von dritter Seite, und von einer den Rechtsbestand bestätigenden Entscheidung in einem kontradiktorischen Verfahren kann nicht ausgegangen werden. Die genannte Fallkonstellation lässt vielmehr einen Vergleich mit dem Erteilungsverfahren zu, welches ohne Beteiligung Dritter mit Einwendungen geführt wird und hinsichtlich diesen setzt die Rechtsprechung voraus, dass – bei Vorliegen eines Ausnahmefalles – der Rechtsbestand eines Verfügungspatentes so hinreichend gesichert sein muss, dass (wie ausgeführt wurde) eine fehlerhafte, in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Dies bedeutet, dass Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen können.
81Legt man den vorstehend beschriebenen Maßstab zugrunde, bestehen gewichtige Zweifel an der Neuheit bzw. jedenfalls der erfinderischen Tätigkeit der Erfindung nach dem Verfügungspatent im Lichte der Offenbarung der D13 (H et al., Tamoxifen-resistente Fibroblast-Wachstumsfaktor-transfizierte MCF-7-Zellen sind kreuzresistent in vivo gegen das Antiöstrogen ICI 182,780 und zwei Aromatase-Inhibitoren, Clinical Cancer Research, Bd. 4, Seiten 697-711, März 1989, Anlage NiK10 zur Anlage HE 3).
82Für die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patentes durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, ist maßgeblich, welche technische Information dem Fachmann im Gesamtinhalt der Vorveröffentlichung unmittelbar und eindeutig offenbart wird. Dabei setzt die Neuheit einer medizinischen Indikation voraus, dass die Verwendung des Arzneimittels in der Art seiner Anwendung oder für sein medizinisches Einsatzgebiet noch nicht als wirksam oder zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben oder vorbenutzt ist (vgl. BGH, GRUR 2011, 999 Rdnr. 31, 33 – Memantin; BPatG Urt. v. 01.07.2014 – 3 Ni 14/13, BeckRS 2015, 09649; Schulte, PatG, 9. Aufl. § 3 Rdnr. 93 bis 96).
83Die D13, ein wissenschaftlicher Artikel, berichtet über eine Studie, die auf die Aufklärung eines möglichen Mechanismus von Tamoxifen-Resistenz abzielte. Es wird in der „Zusammenfassung“ beschrieben, dass nach einer erfolgreichen Behandlung von Patienten mit Tamoxifen diese bei responsiven Tumoren oftmals eine Tamoxifen-Resistenz zeigten, mit der Folge, dass nur 30 bis 50 % der Patienten positiv auf eine zweite Hormontherapie ansprechen. Dieses fehlende Ansprechen kann, so die Autoren, durch eine Aufklärung des Mechanismus von Tamoxifen-Resistenz erklärt werden, die die Östrogenrezeptor(ER)-Signalwege vollständig umgehen. Insoweit wird weiter beschrieben, dass zur Aufklärung des Mechanismus der Tamoxifen-Resistenz ovarektomierte tumortragende Mäuse, denen Fibroblast-Wachstumsfaktor (FGF)-transfizierte MCF-7-Brustkrebszellen injiziert worden waren, mit dem steroidalen Antiöstrogen ICI 182,780 (= Fulvestrant) oder einem von zwei Aromatase-Inhibitoren, 4-OHA oder Letrozol behandelt wurden. Diese Behandlungen zeigten keine Verlangsamung des Östrogen-unabhängigen Wachstums oder Verhinderung von Metastasierung von Tumoren, die von FGF-transfizierten MCF-7-Zellen in ovarektomierten nackten Mäusen produziert wurden. FGF-transfizierte Zellen zeigten ein vermindertes Ansprechen auf ICI 182,780 in vitro, was nach Ansicht von H et al. darauf hindeutet, dass autokrine Aktivität des transfizierten FGF möglicherweise Östrogen als mitogenen Stimulus für Tumorwachstum ersetzt. Die Autoren gelangten zu dem Schluss, dass das geänderte hormonale Ansprechen nicht auf Grund der Herunterregulierung von ER oder auf Grund von FGF-vermittelter Aktivierung von ER stattfindet. Die Östrogen-Unabhängigkeit durch FGF-Signalwege kann vielmehr unabhängig von ER-Signalwegen erreicht werden. Es wird hieraus geschlussfolgert, dass dann, wenn das der Fall ist, auf den Wirkmechanismus ausgerichtete Therapien ein therapeutisches Ansprechen erreichen oder ein Ansprechen auf ein zweites Antiöstrogen-Therapieverfahren ermöglichen.
84Die Entgegenhaltung D13 offenbart dem Fachmann die Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust. Dem Fachmann, bei welchem es sich um ein Team aus Fachleuten handelt, beinhaltend einen Pharmazeuten sowie einen medizinischen Chemiker, jeweils mit Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und dem Einsatz von pharmazeutischen Formulierungen, sowie einen Onkologen, ist bekannt, dass Tamoxifen wie auch Fulvestrant antiöstrogene Wirkung aufweisen und zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt werden können. Insbesondere ist ihm bekannt, dass Fulvestrant als Wirkstoff zur Therapie von Brustkrebs seit Anfang der 90er Jahre eingesetzt wird. Ein solcher Durchschnittsfachmann, mit dem beschriebenen Wissen, entnimmt der Offenbarung der D13 nicht lediglich eine Grundlagenuntersuchung zur Aufklärung eines Mechanismus der Tamoxifenresistenz. Denn die Aufklärung eines solchen Mechanismus dient auch der verbesserten Behandlung von Brustkrebspatienten, die nach einer ersten erfolgreichen Behandlung mit Tamoxifen eine Tamoxifen-Resistenz aufzeigen. Die Aufklärung des Mechanismus hat damit zwangsläufig auch eine Behandlung von Brustkrebs zum Inhalt.
85Hinzu kommt, dass bereits in der Zusammenfassung der Druckschrift ausdrücklich von einer Therapie für Östrogenrezeptor-positiven Brustkrebs die Rede ist, und auch davon, dass nur 30 bis 50 % der Patienten positiv auf zweite Hormontherapien mit Brustkrebs ansprechen. In der Einleitung ist dann weiter von einer Therapie von klinischem Brustkrebs die Rede (Seite 3 der Anlage HE 20). Auf Seite 4 wird ausdrücklich ausgeführt, dass „nur 30 bis 40 % solcher Patientinnen positiv auf eine nachfolgende Therapie mit Fulvestrant (= ICI 182,780) oder Aromatase-Inhibitoren ansprechen“. Den exemplarisch angeführten Textstellen kann mithin entnommen werden, dass die Behandlung von Brustkrebs Gegenstand der Studie ist. Um nämlich eine solche Behandlung zu ermöglichen oder zu verbessern, soll der Mechanismus einer Tamoxifen-Resistenz aufgeklärt werden. Überdies erfolgten die Untersuchungen mit der Fulvestrant-Formulierung an menschlichen Brustkrebszellen und ihre Wirkung auf das Tumorwachstum wurde untersucht. Hierfür spricht desweiteren, dass beispielsweise in der Fußnote 13 auf Literatur verwiesen wird, welche sich mit der Behandlung von Brustkrebs befasst. Die in der Fußnote 13 genannte Druckschrift entspricht derjenigen der Anlage HE 22, ein Aufsatz von Howell et al., in The Lancet, „Response to a specific antioestrogen (ICI 182780) in tamoxifen-resistent breast cancer“. Folglich wird in der Druckschrift D13 die therapeutische Anwendung einer pharmazeutischen Formulierung mit Fulvestrant zur Behandlung von Brustkrebs beschrieben.
86Die Druckschrift offenbart entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin auch die erfolgreiche Verwendung von Fulvestrant zur Behandlung einer gutartigen oder bösartigen Erkrankung der Brust. Vorangestellt werden kann, dass es sich - zwischen den Parteien unstreitig – bei einer der von H et al. verwendeten Formulierung von Fulvestrant, um eine solche handelt, welche den Merkmalen 3.1 bis 3.4 entspricht.
87In den der D13 zugrundliegenden Untersuchungen wurde versucht zu ermitteln, ob das selektive Antiöstrogen Fulvestrant das östrogenunabhängige Wachstum von Tumoren der durch FGF-transfizierten MCF-7 Zellen in ovarrektomierten Tieren hemmt. Zu diesem Zweck wurde die erfindungsgemäße Fulvestrant-Formulierung in einer Dosis von 5 mg in 0,1 ml an Mäuse subkutan wöchentlich verabreicht. Es wurde die Erkenntnis gewonnen, dass die Behandlung der Brustkrebszelllinien mit der Fulvestrant-Formulierung das östrogenunabhängige Tumor-Wachstum oder die Bildung von Metastasen weder verlangsamt noch verhindert (Anlage HE 20, Seite 2 am Ende). Als Kontrolle der grundsätzlichen Wirksamkeit der neben Fulvestrant eingesetzten Verbindungen – Aromatase-Inhibitoren -, wurde ein Versuch durchgeführt, bei dem der Wirkstoff in der gleichen Dosierung und in gleicher Weise an gebärfähige weibliche Mäuse über einen Zeitraum von 2 Wochen verabreicht wurde (Anlage HE 20 Seite 17 2. Absatz). Dabei wurde herausgefunden, dass Fulvestrant sowie die weiteren Verbindungen Aktivität zeigten, obwohl diese bei den Untersuchungen betreffend der Aufklärung des Mechanismus der Tamoxifen-Resistenz keine Wirksamkeit gezeigt hatten. Bestimmt wurde die entsprechende Aktivität durch einen „Uterustest“, wie er auch im Verfügungspatent in Abs. [0009] beschrieben wird. Es handelt sich insoweit um einen in der Wissenschaft anerkannten Test zur Bestimmung der Aktivität chemischer Verbindungen (vgl. Anlage HE 23, Annex 3 zu Anlage AR 18, Anlage HE 19). Entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin bestehen keine Zweifel, dass im Rahmen der Aktivitätstests nicht Fulvestrant in der erfindungsgemäßen Formulierung sowie die Aromatase-Inhibitoren eingesetzt wurden. Auf Seite 7 der D13 werden unter „Wirkstoffe“ die in den Untersuchungen eingesetzten Wirkstoffe genannt. Hier wird geschildert, dass ICI 182,780 (= Fulvestrant) von I gespendet wurde. Es wird dann ausgeführt, dass für das in Fig. 1 abgebildete Experiment zunächst der pulverisierte Wirkstoff in 100 % Ethanol gelöst und in gewärmtes Erdnussöl gegeben wurde mit einer Endkonzentration von 50 mg/ml. Für die in Fig. 1 B und C abgebildeten Experimente wurde 50 mg/ml vorformulierter Wirkstoff in einem Träger aus 10 % Ethanol, 15 % Benzylbenzoat, 10 % Benzylakohol, eingestellt auf das Endvolumen mit Rizinusöl verwendet. Diese Formulierung wurde H von einem Mitarbeiter von Izur Verfügung gestellt und hierbei handelt es sich um eine erfindungsgemäße Formulierung. Weiter wird ausgeführt, dass 4-OHA von der University of Maryland und Letrozol, beide Aromataseinhibitoren, von J zur Verfügung gestellt wurde sowie Tamoxifen mit verzögerter Freisetzung als Pellets von Innovative Research of America erhalten wurde.
88Diese Wirkstoffe wurden im Rahmen der Untersuchungen zur Aufklärung der Tamoxifen-Resistenz eingesetzt. Denn es wurde im Rahmen dieser Experimente – wie ausgeführt - festgestellt, dass östrogen-unabhängiges Wachstum von Tumoren, die durch FGF-transfizierte MCF-7-Zellen produziert werden, durch die Behandlung mit reinem Antiöstrogen, mithin Fulvestrant, oder mit Aromatase-Inhibitoren nicht inhibiert werden (Anlage HE 20, Seite 14 unter „Ergebnisse“). So wird im Rahmen der Ergebnisse weiter ausgeführt, dass sowohl FGF-1- als auch FGF-4-transfizierte MVF-7-Zellen progressiv wachsende Tumore in ovarektomierten Nacktmäusen bilden, ebenso wie in ähnlichen mit Tamoxifen behandelten Mäusen. Obwohl erwartet werden konnte, dass ovarektomierte Mäuse wesentlich niedrigere Spiegel von östrogenischen Verbindungen als reproduktiv intakte Mäuse haben, werden manche Östrogene extraovariell synthetisiert. Die transfizierten Zellen besitzen, so die Annahme, immer noch ER, da diese auf Östrogen und Tamoxifen, was den Mäusen verabreicht wurde, ansprechen sowie auf diese in Gewebekulturen verwendeten Verbindungen. H et al. führen dann weiter aus, dass, um die Hypothese zu überprüfen, dass das Wachstum der FGF-transfizierten Zellen in ovarektomierten oder Tamoxifen-behandelten Nacktmäusen auf eine erhöhte Sensitivität gegenüber kleinen Mengen von Östrogen zurückzuführen ist, die immer noch in ovarektomierten Nacktmäusen vorhanden sind, die Fähigkeit von einem reinen Antiöstrogen (Fulvestrant), und zwei Aromatase-Inhibitoren untersucht wurde, das durch die FGF-transfizierte Zelllinien produzierte Östrogen-unabhängige Tumorwachstum zu inhibieren.
89Die entsprechenden Untersuchungen zeigten auf, dass Fulvestrant das Östrogen-unabhängige Wachstum der Zelllinien nicht inhibieren konnte. Gleiches ergab sich bei Untersuchungen mit den Aromatase-Inhibitoren. Um nunmehr im Sinne eines Kontrolltests nachzuweisen, dass die Unfähigkeit der Inhibierung nicht ihre Ursache in der Inaktivität der eingesetzten Verbindungen hatte, wurden, wie auf Seite 17 der Anlage HE 20 beschrieben wird, Fulvestrant und die beiden Aromataseinhibitoren reproduktiv intakten weiblichen Mäusen verabreicht und zeigten Wirkung. Hieraus zogen H et al. die Schlussfolgerung auf Seite 17 Abs. 2 am Ende:
90„Somit behielten diese Verbindungen ihre Aktivität bei, obwohl sie in unseren Experimenten keinen Effekt auf das Tumorwachstum hatten.“
91Auch ohne an dieser Stelle die konkreten eingesetzten Verbindungen zu nennen, wird aus den beiden dem Zitat vorstehenden Sätzen sowie dem Zusammenhang mit den Ausführungen unter der Überschrift „Ergebnisse“ und der Auflistung der Wirkstoffe unter „Wirkstoffe“ deutlich, dass Fulvestrant sowie die beiden Aromatase-Inhibitoren dem Kontrolltest unterzogen wurden und dort Wirksamkeit zeigten. Es sind keine Anhaltspunkte zu erkennen, dass nicht auch beide Fulvestrant-Formulierungen dem Kontrolltest unterzogen wurden. Denn ein Kontrolltest wäre ohne Sinngehalt, wenn nicht die eingesetzten Verbindungen diesem Kontrolltest unterzogen würden. Entsprechendes kann auch der Erklärung von H vom 1. Oktober 2014 (Anlage HE 24a) nicht entnommen werden. Diese schildert in Rdnr. 6 ihrer Erklärung, dass die Erdnussöl- und Rizinusöl-Formulierung als austauschbar behandelt wurden und keine Vergleiche zwischen den beiden Formulierungen angestellt wurden. Wenn jedoch beide Formulierungen als austauschbar behandelt wurden, lässt dies den Schluss zu, dass auch beide Formulierungen eingesetzt und dann auch dem Kontrolltest unterzogen wurden.
92Die Entgegenhaltung offenbart mithin eine erfolgreiche Behandlung von Brustkrebs mit Fulvestrant. Ein konkreter Wirkungsnachweis ist im Übrigen zum Nachweis einer medizinischen Indikation nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, dass der Stand der Technik dem Fachmann den Stoff und seine Anwendung in einem medizinischen Verfahren so deutlich und vollständig offenbart, dass er eine bestimmte Krankheit erfolgreich behandeln kann (vgl. BPatG, Urt. v. 01.07.2014, a.a.O.), was die D13 ohne weiteres aufzeigt.
93Soweit die Verfügungsklägerin gegen den Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung einwendet, dass die Untersuchungen nur an Mäusen erfolgt seien, eine Wirksamkeit am Menschen mithin nicht gezeigt wurde, bleibt dieser Einwand ohne Erfolg. Denn an die Offenbarung einer Entgegenhaltung sind die gleichen Maßstäbe wie an die Offenbarung einer Patentschrift anzulegen (vgl. BPatG, Urt.v.01.07.2014, a.a.O.). Die Wirksamkeit von Fulvestrant wird in der Verfügungspatentschrift auch lediglich anhand eines Tiermodells nachgewiesen, nämlich mittels des Uterustestes sowie in vivo Blutplasma-Untersuchungen an Kaninchen, welchen die erfindungsgemäße pharmazeutische Zusammensetzung mittels intramuskulärer Injektion verabreicht wurden. Im Übrigen ist die Behandlung mit der Lehre nach dem Verfügungspatent nicht auf den Menschen beschränkt.
94Der weitere Einwand der Verfügungsklägerin, die D13 offenbare nicht, in welcher Form der Wirkstoff Fulvestrant sich in der pharmazeutischen Zusammensetzung befunden habe, mithin als echte Lösung, Suspension oder Emulsion, ist ohne Relevanz, da das Verfügungspatent in seinen Patentansprüchen 1 und 4 hierzu auch keine Angaben macht.
95Die Neuheitsschädlichkeit der D13 wird – anders als die Verfügungsklägerin meint – auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die D13 keine intramuskuläre Injektion der erfindungsgemäßen Zusammensetzung offenbart. Denn eine Verabreichung einer pharmazeutischen Zusammensetzung von Fulvestrant mittels intramuskulärer Injektion ist dem Fachmann offenbart.
96Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zur Grunde gelegt wird. Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Schrift aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. BGH, BGHZ 179, 168 = BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin; BGH, Urt. v. 18.03.2014, X ZR 77/12). Zu dem danach Offenbarten gehört allerdings nicht nur dasjenige, was im Wortlaut der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt ist. Nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs ist vielmehr der Sinngehalt der Veröffentlichung maßgeblich, also diejenige technische Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH, a.a.O. – Olanzapin). Hierzu gehören auch Abwandlungen und Ergänzungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gleichsam mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGH, GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung). Die Berücksichtigung solcher Umstände zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern auf die Erfassung der technischen Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit. Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (BGH, a.a.O. – Olanzapin). In der Entscheidung „Proteintrennung“ hat der BGH weiter ausgeführt, dass dann, wenn sich für einen Fachmann aus der Beschreibung eines Verfahrens zur Herstellung eines zum therapeutischen Einsatz geeigneten Proteinkonzentrats ergibt, dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf, um die therapeutische Einsetzbarkeit herbeizuführen, eine Maßnahme, die im Prioritätszeitpunkt das in der Praxis allgemein übliche Mittel war, um dieses Ziel zu erreichen, vom Offenbarungsgehalt der Veröffentlichung umfasst ist.
97Von diesen Grundsätzen ausgehend erschließt sich dem Fachmann bei der Lektüre der D13 zunächst, dass die subkutane Injektion bei Mäusen aufgrund des geringen Umfangs des Muskelgewebes zwingend erfolgen musste, mithin eine intramuskuläre Injektion nicht in Betracht gezogen werden konnte. Damit erschloss sich dem Fachmann weiter, dass er bei einer Anwendung am Menschen oder in anderen Tiermodellen mit größeren Tieren wie Kaninchen auch eine andere Form der Applikation in Erwägung ziehen konnte. Eine intravenöse Verabreichung musste ausscheiden, da dem Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens bekannt war, dass ölige Lösungen wegen ihrer fehlenden Mischbarkeit mit dem Blutserum und der damit verbundenen Gefahr einer Lungenembolie intravenös nicht verabreicht werden können. Zum Prioritätszeitpunkt der Erfindung gehörte es zum allgemeinen Fachwissen, dass der intramuskuläre Verabreichungsweg bei menschlichen Patienten gegenüber dem subkutanen Verabreichungsweg hinsichtlich der Verabreichung von lipophilen Zusammensetzungen bevorzugt war, was dem Lehrbuchauszug von Sucker/Fuchs/Speiser, Pharmazeutische Technologie, 1978, Seite 612 (Anlage NiK 13) entnommen werden kann. Da die erfindungsgemäße Formulierung auf Grund ihres hohen Gehalts an Rizinusöl lipophil ist, hätte der Fachmann bei der Verabreichung am Menschen den intramuskulären Verabreichungsweg als bevorzugt in Betracht gezogen. Dies folgt auch aus der Tabelle 1 in Abs. [0013] der Beschreibung des Verfügungspatentes, wonach alle dort genannten, ölbasierten Steroidformulierungen, die alle vermarktet werden, intramuskulär verabreicht werden. Auch der Mitarbeiter der Verfügungsklägerin, Herr K, geht davon aus, dass ein Fulvestrant-Arzneimittel mit verzögerter Freisetzung zur intramuskulären Injektion zu formulieren war, und dass der erfahrene Formulierer angesichts dieses Ziels „gewusst hätte, dass die traditionellen Verabreichungsoptionen, die exploriert werden müssen, intramuskuläre (IM) Injektion einer wässrigen oder öligen Suspension mit verzögerter Freisetzung oder eine ölige Lösung (Depot) mit verzögerter Freisetzung waren“ (Anlage HE 25a, Ziff. 12). Hinzu kommt, dass Fulvestrant-Formulierungen über fast 10 Jahre vor dem Prioritätstag ausnahmslos intramuskulär verabreicht wurden, wie die von der Verfügungsbeklagten aufgezeigte Fachliteratur belegt. Insoweit kann auf die Anlagen HE 21 (D15), HE 22 (D18), HE 23 (D19), AR 23 (D21) und AR 19a verwiesen werden. Bei der intramuskulären Verabreichung von Fulvestrant als steroidhaltige ölige Verbindung handelt es sich mithin um die in der Praxis allgemein übliche Verabreichung, so dass der Fachmann diese mitliest.
98Soweit die Verfügungsklägerin hiergegen einwendet, dass es sich bei der intramuskulären Injektion nicht um die einzige Möglichkeit der alternativen Verabreichung einer Fulvestrant-Formulierung handeln würde, so dass die Rechtsprechung zum Mitlesen vorliegend keine Anwendung finden könne, führen die in diesem Zusammenhang angeführten Argumente und Dokumente zu keinem anderen Ergebnis. Die EP 0 346 014 (Anlage NiK9 zur Anlage HE 3 bzw. Anlage AR 9) beschreibt zwar auf Seite 5 Zeilen 26 ff. sowohl die subkutane wie auch die intramuskuläre Verabreichung einer öligen Suspension eines Antiöstrogens. Im Rahmen der Beschreibung auf Seite 7 Zeilen 20 ff. wird indes die intramuskuläre Verabreichung als bevorzugt beschrieben. Auch der Verweis auf den Auszug aus Forth/Henschler/Rummel, Pharmakologie und Toxikologie, 5. Aufl. Seite 37 (Anlage HE 28), in welchem die subkutane Verabreichung als bevorzugt beschrieben wird, wenn eine Depotformulierung erreicht werden soll, vermag nicht zu einer anderen Sichtweise zu führen. Denn dieses Dokument befasst sich nicht mit der Verabreichung öliger steroidaler Verbindungen. Gleiches gilt für die Verweise auf die Annices 6 und 8 der Anlage AR 18. Der Annex 6, ein Auszug aus dem Lehrbuch von Voigt, Pharmazeutische Technologie, 7. Aufl. Seite 480 ff. befasst sich zwar auch mit der Injektion von öligen Zubereitungen. Hier wird jedoch auch geschildert (Seite 480 unten), dass die Applikation intramuskulär erfolgt und seltener subkutan. Auch im Annex 8, einem Auszug aus dem Lehrbuch von Pfeifer/Pflegel/Borchert, Biopharmazie, 3. Aufl. Seite 59 ff. wird die intramuskuläre Applikation mit mehr als 70 % angegeben. So mag die subkutane Applikation daher eine Alternative zur intramuskulären Verabreichung darstellen. Die von der Verfügungsbeklagten angeführte Literatur zur allgemeinen Applikation öliger Verbindungen sowie zur Verabreichung von Fulvestrant-Formulierungen macht jedoch deutlich, dass die intramuskuläre Injektion die präferierte Verabreichung war, mithin das allgemein übliche Mittel im Sinne der Rechtsprechung des BGH „Proteintrennung“.
99Selbst wenn man vorliegend ein „Mitlesen“ einer intramuskulären Verabreichung verneinen würde, bestünden erhebliche Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit der Erfindung nach dem Verfügungspatent. Denn bei einer Zusammenschau der Offenbarung der D13 und dem Fachwissens des Fachmannes im Hinblick auf eine intramuskuläre Verabreichung hätte eine solche jedenfalls nahegelegen.
100D13 offenbart auch das Merkmal 1.4 des Patentanspruches 1. Die in D13 offenbarte Fulvestrant-Formulierung ist hinsichtlich Wirkstoffkonzentration, der verwendeten Hilfsstoffe und hinsichtlich des genauen Verhältnisses dieser Hilfsstoffe exakt mit dem einzigen in der Beschreibung des Verfügungspatentes offenbarten Ausführungsbeispiel identisch (Anlage HE 1a, Abs. 0056 f.). Nach der Lehre des Verfügungspatentes ist also gerade diese Fulvestrant-Formulierung zur Erzielung der in Merkmal 1.4 verlangten anhaltenden Freisetzung des Wirkstoffs hergerichtet. Die Verfügungsklägerin hat in der Antragsschrift selbst vorgetragen, dass eine Formulierung mit der erfindungsgemäßen Zusammensetzung die Depoteigenschaft des Merkmals 1.4 besitzt. Dasselbe muss dann auch für die identische Zusammensetzung der D13 gelten.
101Soweit die Verfügungsklägerin weiter darauf verweist, dass Angaben zur Bioverträglichkeit und Toxizität in der D13 nicht gemacht würden, handelt es sich hierbei um in Routineexperimenten abzuklärende Fragestellungen, die keine erfinderische Tätigkeit beinhalten (zu Routineversuchen vgl. BGH, GRUR 1996, 372 – Thrombozyten-Zählung). Das Verfügungspatent selbst macht hierzu nur wenige Angaben und beschränkt sich im Wesentlichen auf den Test der erfindungsgemäßen Formulierung im Tiermodell.
102II.
103Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
104Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.
105Der Streitwert des Verfahrens wird auf 1.500.000,00 € festgesetzt.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Düsseldorf Urteil, 19. Nov. 2015 - 4c O 61/15
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Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Das europäische Patent 359 593 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 359 593 (Streitpatents), das am 8. Februar 1989 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 7. Juni 1988 in der Verfahrenssprache Französisch angemeldet worden ist und die chromatographische Trennung von Plasmaproteinen, insbesondere Faktor VIII, vonWillebrand -Faktor, Fibronectin und Fibrinogen betrifft. Patentanspruch 1, auf den sich elf weitere Patentansprüche zurückbeziehen, hat in einem vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2010 (Xa ZR 10/07, juris, nachfolgend: Berufungsurteil) folgende Fassung erhalten (Änderungen gegenüber der Fassung, die das Patent im Einspruchsverfahren erhalten hatte, sind hervorgehoben): "1. Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch , dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte umfasst: - Man verwendet als Ausgangsmaterial die Kryopräzipitatfraktion des Plasmas, die im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, vonWillebrand -Faktor und Faktor VIII besteht; - man unterzieht das wieder in wässrige Lösung gebrachte Kryopräzipitat einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischem Charakter, dessen Matrix ein Gel vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers ist, das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und vonWillebrand -Faktor zurückzuhalten; - man gewinnt die verschiedenen Proteine selektiv durch sukzessive Erhörung der Ionenstärke des Elutionspuffers - und eine erhaltene Faktor-VIII-Lösung wird gefriergetrocknet."
- 2
- Die Klägerinnen zu 1 und 2, die wegen Verletzung des Streitpatents rechtskräftig verurteilt worden sind, und der Kläger zu 3, der als Geschäftsfüh- rer der Klägerin zu 1 und als Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin des ersten Nichtigkeitsverfahrens gerichtlich in Anspruch genommen wird und erstinstanzlich verurteilt worden ist, haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in erster Linie in der geltenden Fassung und hilfsweise in elf geänderten Fassungen verteidigt.
- 3
- Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger, die weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents anstreben , ihr Begehren aber nur noch auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit stützen. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent hilfsweise mit ihren bereits in erster Instanz gestellten sowie sieben weiteren Hilfsanträgen.
Entscheidungsgründe:
- 4
- Die zulässige Berufung führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents.
- 5
- I. Zu Recht hat das Patentgericht die Klage als zulässig angesehen.
- 6
- 1. Das Patentgericht hat seine Entscheidung insoweit im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 7
- Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Kläger nicht verpflichtet gewesen, sich der Klage im ersten Nichtigkeitsverfahren als Streitgenossen oder Streithelfer anzuschließen. Die Zulässigkeit der Klage werde auch nicht durch die gesellschaftsrechtlichen Verbindungen der Kläger zur Klägerin des ersten Verfahrens in Frage gestellt. Eine bloße Konzernverbundenheit bewirke keine Rechtskrafterstreckung. Anhaltspunkte dafür, dass die jetzigen Kläger im Auftrag und im ausschließlichen Interesse der früheren Klägerin handelten, seien nicht ersichtlich.
- 8
- 2. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
- 9
- a) Wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat und auch die Beklagte nicht verkennt, erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils aus dem ersten Nichtigkeitsverfahren nicht auf die Kläger des vorliegenden Rechtsstreits. Diese sind mit der Klägerin des ersten Verfahrens weder identisch noch deren Rechtsnachfolger.
- 10
- b) Zutreffend ist das Patentgericht ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass jeder der an den beiden Nichtigkeitsverfahren beteiligten Kläger ein eigenes wirtschaftliches und rechtliches Interesse an der Nichtigerklärung des Streitpatents hat und deshalb nicht als Strohmann der früheren Klägerin angesehen werden kann.
- 11
- c) Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es dem Kläger zu 3 auch dann nicht an dem nach Erlöschen des Streitpatents erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich ein anderer Beklagter des Verletzungsrechtsstreits ihm gegenüber verpflichtet hat, ihn im Innenverhältnis von der Verantwortung für die Verletzung des Streitpatents freizustellen.
- 12
- Selbst wenn es eine solche Vereinbarung gibt, hat sie keine Auswirkung auf die Verantwortlichkeit des Klägers zu 3 im Verhältnis zur Beklagten. Die daraus resultierende Möglichkeit einer rechtlichen Inanspruchnahme des Klägers zu 3 für Verletzungshandlungen, an denen er mitgewirkt hat, begründet auch dann ein hinreichendes rechtliches Interesse an einer Nichtigkeitsklage, wenn der Kläger die wirtschaftlichen Folgen einer Verurteilung im Verletzungsrechtsstreit nicht zu tragen hat.
- 13
- d) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die im vorliegenden Rechtsstreit erhobene Klage nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen.
- 14
- Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen es als Rechtsmissbrauch angesehen werden kann, wenn mehrere Personen, die wegen Verletzung eines Patents gerichtlich in Anspruch genommen werden, das Schutzrecht mit getrennten und zeitlich gestaffelten Nichtigkeitsklagen angreifen. Der Umstand, dass einer der Betroffenen zunächst die Entscheidung über die von einem anderen erhobene Nichtigkeitsklage abwartet und erst nach rechtskräftiger (Teil-)Abweisung dieser Klage seinerseits die Nichtigerklärung des Patents beantragt, reicht jedenfalls nicht aus, um einen solchen Vorwurf zu begründen.
- 15
- aa) Der Beklagte eines Patentverletzungsrechtsstreits ist nicht gezwungen , das Patent, auf das die Verletzungsklage gestützt ist, mit einer Nichtigkeitsklage anzugreifen. Ihm steht es grundsätzlich frei, ob und zu welchem Zeitpunkt er eine solche Klage erhebt.
- 16
- Entschließt er sich erst relativ spät für eine Nichtigkeitsklage, so kann dies dazu führen, dass eine Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits gemäß § 148 ZPO nur noch unter engen Voraussetzungen angeordnet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2011 - X ZR 68/10, GRUR 2012, 93 Rn. 5 f. - Klimaschrank ; Beschluss vom 17. Juli 2012 - X ZR 77/11, GRUR 2012, 1072 Rn. 2 - Verdichtungsvorrichtung). Damit steigt das Risiko einer rechtskräftigen Verurteilung, die bei späterer Nichtigerklärung des Patents nur noch mit der Restitutionsklage entsprechend § 580 Nr. 6 ZPO anfechtbar ist.
- 17
- Auf die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage hat ein solches Vorgehen aber keinen Einfluss. Für die Einreichung einer solchen Klage ist in §§ 81 ff. PatG keine Frist vorgesehen. Eine Fristsetzung durch den Patentinhaber sieht das Gesetz ebenfalls nicht vor. Angesichts dessen würde es der gesetzlichen Konzeption zuwiderlaufen, eine Nichtigkeitsklage schon deshalb als missbräuchlich anzusehen, weil der Nichtigkeitskläger auf eine gegen ihn erhobene Verletzungsklage nicht zeitnah reagiert hat.
- 18
- bb) Für den Fall, dass mehrere Personen gemeinsam wegen Verletzung des Patents in Anspruch genommen werden, kann grundsätzlich nichts anderes gelten.
- 19
- Auch für diese Konstellation sieht das Gesetz keine Möglichkeit vor, anderen Personen eine Frist zu setzen, innerhalb der eine Nichtigkeitsklage spätestens zu erheben ist. Angesichts dessen darf der Umstand, dass einer der Beklagten des Verletzungsrechtsstreits die Nichtigerklärung des Patents beantragt , ebenfalls nicht ohne weiteres dazu führen, dass die übrigen Beklagten ihre Klagemöglichkeit verlieren, wenn sie sich diesem Schritt nicht zeitnah anschließen.
- 20
- Der Umstand, dass der Verletzungsrechtsstreit gegen mehrere Beklagte gemeinsam geführt wird, kann grundsätzlich nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen. Gemäß § 61 ZPO gereicht die Handlung eines Streitgenossen den anderen weder zum Vorteil oder zum Nachteil. Auch aus diesem Grund darf die Entscheidung eines Beklagten, das Patent mit einer Nichtigkeitsklage anzugreifen, grundsätzlich nicht dazu führen, dass die in § 81 PatG eröffnete Klagemöglichkeit für die anderen Streitgenossen beschränkt wird.
- 21
- cc) Dass der Patentinhaber damit einem hohen Kostenrisiko ausgesetzt sein kann, weil er damit rechnen muss, nach einem für ihn erfolgreichen Ausgang des ersten Nichtigkeitsverfahrens erneut mit einer Nichtigkeitsklage überzogen zu werden, vermag für sich gesehen ebenfalls nicht zur Bejahung eines Rechtsmissbrauchs führen.
- 22
- Das in Rede stehende Kostenrisiko ist der gesetzlichen Regelung in §§ 81 ff. PatG immanent. Während der Laufzeit des Patents ist grundsätzlich jedermann befugt, eine Nichtigkeitsklage zu erheben. Der Umstand, dass eine erfolgreiche Nichtigkeitsklage zugunsten der Allgemeinheit wirkt, eine Abweisung der Klage aber nur gegenüber dem jeweiligen Kläger Rechtskraftwirkung entfaltet, ist eine Folge dieser gesetzlichen Regelung und deshalb vom Patentinhaber , dem mit der Erteilung des Schutzrechts rechtliche Befugnisse gegenüber der Allgemeinheit eingeräumt wurden, grundsätzlich hinzunehmen.
- 23
- dd) Ob im Einzelfall ein Rechtsmissbrauch anzunehmen sein kann, wenn mehrere potentielle Nichtigkeitskläger ihre Angriffe gegen das Patent so koordinieren , dass die rechtliche Auseinandersetzung möglichst in die Länge gezogen und der Patentinhaber mit unzumutbaren finanziellen Risiken belastet wird, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
- 24
- Im Streitfall sind die finanziellen Risiken, die der Beklagten aus dem zweiten Nichtigkeitsverfahren drohen, schon deshalb zumutbar, weil jedenfalls dem Kläger zu 3 nicht zuzumuten war, sich dem ersten Nichtigkeitsverfahren anzuschließen. Die Verletzungsklage gegen ihn ist mehr als vier Jahre nach der ersten Verletzungsklage erhoben worden. Zu diesem Zeitpunkt war das erste Nichtigkeitsverfahren bereits in der Berufungsinstanz anhängig. In dieser Situation konnte ihm nicht angesonnen werden, einem Verfahren beizutreten, auf das er nur noch in relativ geringem Maße Einfluss nehmen konnte.
- 25
- Die Mehrkosten, die daraus entstehen, dass die zweite Nichtigkeitsklage auch von den Klägerinnen zu 1 und 2 erhoben wurde, sind im Vergleich zu den Gesamtkosten des Verfahrens nicht so hoch, dass deren Beteiligung am neuen Rechtsstreit als rechtsmissbräuchlich angesehen werden könnte, zumal ein Beitritt zum ersten Verfahren ebenfalls zu Mehrkosten geführt hätte.
- 26
- II. Das Streitpatent betrifft die chromatographische Trennung von vier Proteinen, nämlich Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor (vWF), Fibronectin und Fibrinogen, aus menschlichem oder tierischem Blutplasma.
- 27
- 1. Die genannten Proteine sind von Bedeutung für die Blutgerinnung. Bei Hämophilie A steht der Faktor VIII nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Zur Behandlung der Krankheit muss dieses Protein verabreicht werden. Hierzu muss es in hoch gereinigter Form vorliegen, d.h. frei von vielen anderen Blutbestandteilen sein, die unerwünschte Nebenwirkungen auslösen würden. Die Anwesenheit des von-Willebrand-Faktors ist demgegenüber vorteilhaft. Er bildet mit dem Faktor VIII ein schützendes Aggregat (Assoziat), das verhindert, dass der Faktor VIII im Organismus schnell abgebaut und damit unwirksam wird.
- 28
- 2. Im Stand der Technik waren verschiedene Verfahren zur Herstellung von Faktor-VIII-Konzentraten bekannt. Als am weitesten verbreitet wird in der Streitpatentschrift die Ausfällung bei niedriger Temperatur genannt, die mit der Zugabe von Fällungsmitteln kombiniert werden kann. Die Reinheit solcher Konzentrate liegt nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift oft in der Größenordnung von 1 IE/mg (d.h. auf ein Milligramm aller im Konzentrat enthaltenen Proteine entfällt diejenige Menge des gewünschten Proteins, die in einem Milliliter normalen Blutplasmas enthalten ist) und überschreitet im Allgemeinen nicht die Grenze von 10 bis 20 IE/mg. Als weitere Möglichkeiten werden sterische Ausschlusschromatographie und molekulare Filtration genannt, die mit niedriger Ausbeute ein Produkt lieferten, dessen spezifische Aktivität 30 IE/mg nicht überschreite und das einen Zusatz von Albumin als Stabilisator erfordere, wodurch die spezifische Aktivität auf ungefähr 3 bis 5 IE/mg abgesenkt werde. Bei einem neueren Verfahren werde der Faktor VIII mit Hilfe von auf einem chromatographischen Träger immobilisierten Antikörpern gereinigt. Diese Technik sei leistungsfähig, erfordere aber den Gebrauch von drastischen Lösungen. Deshalb sei eine Ultrafiltration erforderlich, die der biologischen Aktivität des Faktors VIII schade. Außerdem sei die Zugabe eines Stabilisators erforderlich , wodurch die spezifische Aktivität des Faktors VIII von 1000 bis 3000 IE/mg auf 3 bis 5 IE/mg verringert werde. Ferner werde auch die Ionenaustauschchromatographie eingesetzt. Diese Techniken eigneten sich wegen der Kompliziertheit der Arbeitsvorgänge und der niedrigen Ausbeuten jedoch nur für die Anwendung im Labormaßstab.
- 29
- Erwähnt wird ferner das Verfahren nach der unter der Nummer 343 275 nachveröffentlichten europäischen Patentanmeldung (K6a), bei dem das durch Fällung bei niedriger Temperatur erhaltene Ausgangsmaterial mit Heparin und Aluminiumhydroxid behandelt und einer Gelpermeationschromatographie auf einem Ionenaustauscherharz des hydrophilen Typs wie Typ Fraktogel-DEAE unterzogen werde. Dieses Verfahren ist nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift durch eine spezielle Vorstufe gekennzeichnet, die insbesondere auf die Ethanolbehandlung verzichtet.
- 30
- Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Methode zur Gewinnung von Konzentraten der eingangs genannten Proteine zu entwickeln, die im industriellen Maßstab anwendbar ist und hochreine, insbesondere von Antikörpern tierischen Ursprungs freie Produkte mit hoher Aktivität liefert.
- 31
- 3. Zur Lösung dieses Problems wird in Patentanspruch 1 des Streitpatents in der geltenden Fassung ein Verfahren vorgeschlagen, dessen Merkmale der Bundesgerichtshof bereits im ersten Nichtigkeitsverfahren wie folgt gegliedert hat: 1. Das Verfahren dient
a) der Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und
b) zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch.
a) bei niedriger Temperatur gefällt worden ist (Kryopräzipitat),
b) im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-WillebrandFaktor und Faktor VIII besteht
c) und wieder in wässrige Lösung gebracht worden ist.
3. Das Ausgangsmaterial wird einer einzigen (unique) Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischen Charakter unterzogen ,
a) dessen Matrix ein Gel von der Art eines makroretikulären Vinylpolymers ist,
b) das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-WillebrandFaktor zurückzuhalten.
4. Die verschiedenen Proteine werden selektiv gewonnen, indem die Ionenstärke des Elutionspuffers sukzessiv erhöht wird.
5. Eine erhaltene Faktor-VIII-Lösung wird gefriergetrocknet.
- 32
- III. Das Patentgericht hat zur Begründetheit der Klage im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
- 33
- Die Anmeldung des Streitpatents und die Inanspruchnahme der Priorität einer früheren französischen Anmeldung seien wirksam. Die Beklagte habe mit den von ihr vorgelegten Dokumenten (HL12 bis HL15) belegt, dass sie mit der Anmelderin beider Verfahren identisch sei.
- 34
- Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei neu. Der Vortrag der Kläger gebe keinen Anlass, von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im ersten Nichtigkeitsverfahren abzurücken, nach dessen Auffassung das Merkmal 5 in der nach dem Prioritätstag veröffentlichten europäischen Patentanmeldung K6a nicht eindeutig und unmittelbar offenbart sei. Den Klägern sei zwar einzuräumen , dass sich der Fachmann an den Anforderungen des Deutschen Arzneibuchs orientiere. Dieses ermögliche aber ein Abweichen von den darin aufgezeigten Herstellungswegen.
- 35
- Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Das darin geschützte Verfahren sei dem Fachmann, einem promovierten Chemiker oder Biochemiker mit mehrjähriger beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Isolierung von Plasmaproteinen, auch nicht durch die erstmals im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren eingereichten Entgegenhaltungen K20 (Hynes et al., Blood 34 (1969), 601-609) und K32 (US-Patentschrift 4 508 709) nahegelegt gewesen.
- 36
- IV. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
- 37
- 1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung ist nicht neu.
- 38
- a) Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zu Grunde gelegt wird. Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Schrift aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 Rn. 25 - Olanzapin).
- 39
- Zu dem danach Offenbarten gehört allerdings nicht nur dasjenige, was im Wortlaut der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt wird. Nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs ist vielmehr der Sinngehalt der Veröffentlichung maßgeblich, also diejenige technische Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwis- sens entnimmt (BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 Rn. 26 - Olanzapin). Hierzu gehören auch Abwandlungen und Ergänzungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne Weiteres erschließen, so dass er sie gleichsam mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1995 - X ZB 15/93, BGHZ 128, 270, 276 f. = GRUR 1995, 330, 332 - Elektrische Steckverbindung). Die Berücksichtigung solcher Umstände zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern auf die Erfassung der technischen Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit. Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 Rn. 26 - Olanzapin).
- 40
- b) Wie der Bundesgerichtshof bereits im ersten Nichtigkeitsverfahren dargelegt hat, erschloss sich dem Fachmann bei der Lektüre von K6a, dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf, damit ein nach dem dort beschriebenen Verfahren hergestelltes Faktor-VIII-Konzentrat für den therapeutischen Einsatz geeignet ist (Berufungsurteil Rn. 62). Die hiergegen von der Beklagten erhobenen Einwände führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 41
- Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde in K6a nicht offengelassen, ob das nach dem dort offenbarten Verfahren hergestellte Faktor-VIII-Präparat zu therapeutischen Zwecken oder ausschließlich zur Verwendung im Labor eingesetzt werden soll. Im Zusammenhang mit der Darstellung bekannter Verfahren wird vielmehr auf Probleme hingewiesen, die bei der Verabreichung von auf diese Weise hergestellten Präparaten an Patienten auftreten können (K6a Sp. 1 Z. 19 bis 22). Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass das nach dem in K6a offenbarten Verfahren hergestellte Präparat jedenfalls auch für therapeu- tische Zwecke einsetzbar sein soll. Damit erschloss sich dem Fachmann zugleich , dass es weiterer Verfahrensschritte bedarf.
- 42
- Aus den von der Beklagten zitierten Darlegungen in K6a zu dem dort geschilderten Ausführungsbeispiel 4, wonach die gesammelten Fraktionen mit einem aus Natriumcitrat, Glycin, Lysin und Calciumchlorid bestehenden Puffer verdünnt, auf einen pH-Wert von 6,9 bis 7,1 eingestellt, filtriert und abschließend einer Sterilfiltration unterzogen werden (K6a Sp. 4 Z. 43 bis 52), ergibt sich nichts Abweichendes. Dem in diesem Zusammenhang verwendeten Ausdruck "abschließend" ist zwar zu entnehmen, dass das in K6a beschriebene Konzentrat nach den genannten Schritten in seiner stofflichen Zusammensetzung nicht mehr verändert wird. Daraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, zwischen der Fertigstellung des Konzentrats und dessen Verabreichung an den Patienten dürfe kein weiterer Verfahrensschritt liegen, der die inhaltliche Zusammensetzung des Konzentrats unberührt lässt, aber dessen therapeutische Anwendung ermöglicht.
- 43
- c) Der Bundesgerichtshof hat den Verfahrensschritt der Gefriertrocknung im ersten Nichtigkeitsverfahren nicht als in K6a unmittelbar und eindeutig offenbart angesehen, weil es aus technischer Sicht mehrere Möglichkeiten gab, um das Präparat für therapeutische Zwecke einsatzfähig zu machen (Berufungsurteil Rn. 62). Er hat hierzu insbesondere auf die in K6a mehrfach zitierte europäische Anmeldung 238 701 (K10 Sp. 2 Z. 27 bis 39) Bezug genommen, in der ausgeführt wird, das flüssige Präparat könne nach Absolvierung weiterer Zwischenschritte in üblicher Weise in Ampullen gefüllt und therapeutisch eingesetzt werden (Berufungsurteil Rn. 61).
- 44
- Diese Beurteilung wird durch die Ausführungen der Kläger zur rechtlichen Bedeutung des Arzneimittelbuchs nicht in Frage gestellt.
- 45
- Nach dem Vorbringen der Kläger führt der Umstand, dass im deutschen und im österreichischen Arzneimittelbuch Faktor-VIII-Präparate nur in gefriergetrockneter Form aufgeführt sind, zwar dazu, dass ein Arzneimittel in anderer Form nur dann zulassungsfähig ist, wenn der Nachweis geführt wird, dass die abweichende Herstellungsmethode zu den gleichen Ergebnissen führt. Für die Frage, welcher Offenbarungsgehalt der Veröffentlichung K6a aus Sicht des Fachmanns zukommt, wäre dies indes nur dann von Bedeutung, wenn im Stand der Technik keine Verfahren als geeignete Alternative in Betracht gekommen wären, der Fachmann, dem die Notwendigkeit eines weiteren Verfahrensschritts bekannt war, diesen also zwangsläufig mit der Maßnahme des Gefriertrocknens gleichgesetzt hätte. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn in anderen Veröffentlichungen Alternativmaßnahmen aufgezeigt werden, deren Zulassungsfähigkeit jedenfalls nicht ohne weiteres verneint werden kann.
- 46
- d) Die der Entscheidung im ersten Nichtigkeitsverfahren zugrunde liegende Einschätzung, dass K10 eine solche Veröffentlichung darstellt, beruht jedoch auf der Prämisse, die Abfüllung als Flüssigkeit in Ampullen stelle eine Alternative zu der im Arzneimittelbuch als einzige Maßnahme aufgeführten Gefriertrocknung dar.
- 47
- Diese Prämisse erweist sich auf der Grundlage des Parteivortrags im vorliegenden Rechtsstreit als unzutreffend.
- 48
- aa) Nach dem Vortrag der Kläger wird ein Faktor-VIII-Präparat bei dem im Stand der Technik üblichen Verfahren erst gefriergetrocknet, nachdem es bereits in Ampullen abgefüllt worden ist. Die Beklagte hat dies nicht in Zweifel gezogen. Sie hat lediglich geltend gemacht, eine solche Vorgehensweise sei weder in K6a noch in K10 offenbart. Daraus ergibt sich nicht, dass es am Prioritätstag gängige Verfahren gab, bei denen das Konzentrat schon vor dem Abfüllen in Ampullen gefriergetrocknet wurde. Sonstige Umstände, die für das Be- stehen einer solchen Alternative sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
- 49
- bb) Bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Umstandes ist die Gefriertrocknung durch K6a offenbart.
- 50
- (1) Wenn sich das in K10 beschriebene Abfüllen in Ampullen und eine Gefriertrocknung nicht gegenseitig ausschließen und eine Gefriertrocknung im Prioritätszeitpunkt das in der Praxis allgemein übliche Mittel war, um die nicht nur kurzfristige therapeutische Einsetzbarkeit zu gewährleisten, gehört dieser Schritt zu den Maßnahmen, deren Notwendigkeit sich dem Fachmann bei der Lektüre von K6a ohne Weiteres erschloss.
- 51
- (2) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in diesem Zusammenhang irrelevant, dass nach den Erkenntnissen am Prioritätstag ein zeitnaher therapeutischer Einsatz auch ohne Gefriertrocknung möglich war.
- 52
- K6a hebt als Vorteil des dort offenbarten Verfahrens hervor, es ermögliche die Herstellung eines hochreinen Antihämophiliefaktors in hohen Ausbeuten und mit einer bisher nicht erreichten spezifischen Aktivität (K6a Sp. 2 Z. 12 bis 16). Daraus geht hervor, dass das mit dem offenbarten Verfahren hergestellte Präparat nicht nur für besondere Anwendungsfälle, sondern auch für einen therapeutischen Einsatz in größerem Umfang geeignet sein soll. Dies setzt voraus, dass das Präparat über einen Zeitraum hinweg lagerfähig gehalten werden kann, der für therapeutische Zwecke allgemein als erforderlich angesehen wird. Zur Gewährleistung dieses Einsatzzwecks wurde am Prioritätstag nach dem insoweit von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Vortrag der Kläger bei als Arzneimittel zugelassenen Präparaten ausschließlich auf Gefriertrocknung zurückgegriffen.
- 53
- Soweit die Beklagte andere Maßnahmen aufgezeigt hat, sind diese bei am Markt verfügbaren Präparaten nicht zur Anwendung gekommen. Dies gilt auch für das flüssige Präparat Octaliquid, das die Klägerin zu 1 nach ihrem nicht in Zweifel gezogenen Vortrag erst in den 1990er Jahren zu entwickeln versuchte und das sich als nicht marktfähig erwiesen hat. Ob Octaliquid in den 1990er Jahren zum Markt zugelassen wurde, ist unerheblich, weil diese Zulassung jedenfalls nach dem Prioritätstag erfolgt wäre.
- 54
- Soweit die Beklagte darüber hinaus das Vorbringen der Kläger pauschal bestreitet, ist ihr Vortrag nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des Klägervortrags zu begründen. Die Kläger haben im Einzelnen dargelegt, welche Präparate am Prioritätstag zur allgemeinen therapeutischen Anwendung zur Verfügung standen. Angesichts dessen lag es an der Beklagten, Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, dass aus Sicht des Fachmanns andere Verfahren für die praktische Anwendung in Betracht kamen. Die von ihr aufgezeigten Alternativen werden dieser Anforderung nicht gerecht. Dass es darüber hinaus andere verfügbare Präparate am Markt gegeben hat, ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich.
- 55
- (3) Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass am Prioritätstag andere Verfahren - insbesondere ein dauerhaftes Einfrieren ohne Trocknung - bekannt waren, die theoretisch ebenfalls hätten genutzt werden können.
- 56
- Wie bereits dargelegt war K6a zu entnehmen, dass das dort offenbarte Präparat auch in größerem Maßstab therapeutisch einsetzbar sein soll. Wenn sich daraus für den Fachmann ohne weiteres ergab, dass es weiterer Verfahrensschritte bedurfte und dass diese Schritte - unabhängig von Vorhandensein und Anzahl möglicher Zwischenschritte - in der Praxis stets auch das Gefriertrocknen umfassten, gehörte diese Erkenntnis ebenfalls zu dem Informationsgehalt , der sich dem Fachmann aus dem Sinngehalt von K6a erschloss.
- 57
- (4) Die weiteren von der Beklagten angeführten Veröffentlichungen führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 58
- Den Ausführungen in K10, das flüssige Präparat könne in üblicher Weise in Ampullen gefüllt und therapeutisch eingesetzt werden, ist nicht zu entnehmen , dass ein Gefriertrocknen auch für den therapeutischen Einsatz in größerem Umfang entbehrlich ist. Dem Hinweis auf übliche Verfahrensweisen ist vielmehr zu entnehmen, dass die für den jeweiligen Einsatzzweck gebräuchlichen Maßnahmen ergriffen werden sollen. Zu diesen gehörte für den Fachmann am Prioritätstag das Gefriertrocknen, sofern das Präparat für den nicht nur zeitnahen therapeutischen Einsatz verwendet werden soll.
- 59
- Aus Veröffentlichungen, in denen der Schritt des Gefriertrocknens nur als fakultativ erwähnt wird, ergibt sich nichts Abweichendes. Diesen Ausführungen kann nur entnommen werden, dass das Gefriertrocknen nicht für jeden Einsatzzweck erforderlich ist. In keiner dieser Entgegenhaltungen finden sich aber Hinweise darauf, dass das Gefriertrocknen auch für den therapeutischen Einsatz als am Markt verfügbares Arzneimittel entbehrlich sein könnte.
- 60
- cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergab sich für den Fachmann aus K6a nicht deshalb ein anderes Verständnis, weil ein Gefriertrocknen nach dem Kenntnisstand am Prioritätstag zwingend die Zugabe von Albumin oder einem vergleichbaren Protein als Stabilisator erfordert hätte.
- 61
- Den Ausführungen in K6a ist nicht zu entnehmen, dass dem dort offenbarten Konzentrat vor seiner therapeutischen Anwendung weitere Stoffe zugesetzt werden müssen. In K6a wird detailliert beschrieben, welche Stoffe den eingesetzten Lösungen und Puffern im Einzelnen zuzusetzen sind und welchen Verarbeitungsschritten das Ausgangsmaterial zur Gewinnung des angestrebten Konzentrats zu unterziehen ist. Zudem wird der in Ausführungsbeispiel 4 geschilderte Verfahrensschritt der Sterilfiltration (K6a Sp. 4 Z. 43 bis 52) wie be- reits erwähnt ausdrücklich als abschließend bezeichnet. Hieraus ergab sich aus fachmännischer Sicht die Schlussfolgerung, dass das in K6a beschriebene Konzentrat in seiner stofflichen Zusammensetzung auch dann nicht abzuändern ist, wenn es zum Zwecke des therapeutischen Einsatzes gefriergetrocknet wird.
- 62
- Der Umstand, dass bei dem in der deutschen Offenlegungsschrift 34 32 083 (K15) offenbarten Verfahren vor dem Gefriertrocknen Albumin zugesetzt wird, führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Für den Fachmann ergab sich weder aus K15 noch aus sonstigen Entgegenhaltungen , dass die Zugabe von Albumin oder vergleichbaren Proteinen vor dem Gefriertrocknen schlechthin unerlässlich war. So wird in der Veröffentlichung von Hynes et al. (Citrate Stabilization of Chromatographically Purified Factor VIII, Blood 34 (1969), 601 bis 609, K20) mit Citrat eine Stofffamilie als geeigneter Stabilisator benannt (K20 S. 607 unten), die auch in K6a eingesetzt wird. Der Fachmann hatte angesichts dessen keinen Anlass zu der Annahme, das in K6a offenbarte Konzentrat sei ohne Zugabe von Albumin für einen therapeutischen Einsatz in Form eines gefriergetrockneten Präparats nicht geeignet.
- 63
- 2. Hinsichtlich der mit den Hilfsanträgen verteidigten Fassungen des Streitpatents ergibt sich keine abweichende Beurteilung.
- 64
- a) Nach Hilfsantrag 1 soll Merkmalsgruppe 3 um ein zusätzliches Merkmal 3 c ergänzt werden, wonach das Harz Gruppen vom DEAE-Typ an dem Vinylpolymer aufweist.
- 65
- Dieses Merkmal ist, wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, in K6a ebenfalls offenbart. Das dort als Fractogel-DEAE bezeichnete Austauscherharz weist, wie der Bundesgerichtshof im ersten Nichtigkeitsverfahren näher dargelegt hat, alle Merkmale der Merkmalsgruppe 3 auf (Berufungsurteil Rn. 48 bis 51). Für das mit Hilfsantrag 1 zusätzlich vorgesehene Merkmal gilt nichts ande- res. Fractogel-DEAE besteht aus einem Vinylpolymer, auf dem funktionelle Gruppen aus dem Material DEAE (Diethylaminoethyl) aufgebracht sind.
- 66
- b) Nach Hilfsantrag 2 soll Merkmal 2 b dahin ergänzt werden, dass als Ursprungsmaterial ein nicht nach der Blutgruppe ausgewähltes Plasma verwendet wird.
- 67
- Dieses zusätzliche Teilmerkmal ist in K6a ebenfalls offenbart. Zwar wird es dort nicht ausdrücklich erwähnt. Aus dem in K6a enthaltenen Hinweis, es werde handelsübliches Kryopräzipitat eingesetzt, ergibt sich für den Fachmann jedoch unmittelbar und eindeutig, dass das dort offenbarte Verfahren jedenfalls auch mit Plasma ausgeführt werden kann, das nicht nach der Blutgruppe ausgewählt worden ist. Dabei kann offenbleiben, ob, wie die Klägerin unwidersprochen dargelegt hat, am Prioritätstag aus fachmännischer Sicht ausschließlich diese Art von Plasma als "handelsüblich" angesehen wurde. Selbst wenn beide Arten am Markt verfügbar waren, ergab sich aus dem in K6a enthaltenen Hinweis auf die Handelsüblichkeit, dass das dort offenbarte Verfahren insoweit keinen Beschränkungen unterliegt.
- 68
- c) Nach Hilfsantrag 3 sollen in Merkmal 1 a die Worte "oder tierischem" entfallen.
- 69
- Auch mit der daraus resultierenden Beschränkung auf Verfahren zur Bearbeitung menschlichen Plasmas ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch K6a vollständig offenbart. In K6a wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ob das eingesetzte Plasma menschlichen oder tierischen Ursprungs ist. Auch insoweit ist mit dem Hinweis, es könne handelsübliches Kryopräzipitat eingesetzt werden, jedoch eindeutig und unmittelbar offenbart, dass jedes am Markt gängige Produkt als Ausgangsmaterial herangezogen werden kann. Dazu gehörte am Prioritätstag auch menschliches Plasma.
- 70
- d) Nach den Hilfsanträgen 4 und 4a soll Merkmal 4 dahin ergänzt werden , dass die Ionenstärke ein erstes Mal erhöht wird, wodurch ein großer - nach Hilfsantrag 4a der größte - Teil des von-Willebrand-Faktors desorbiert wird, und dann ein zweites Mal erhöht wird.
- 71
- Diese Ergänzung führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das zusätzliche Merkmal in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Es ist jedenfalls durch K6a vorweggenommen.
- 72
- Bei einem der in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Ausführungsbeispiele wird die erste Erhöhung der Ionenstärke dadurch erreicht, dass die Konzentration von Natriumchlorid von 0,11 M auf 0,15 M erhöht wird. Dies führt dazu, dass der größte Teil des von-Willebrand-Faktors und des Fibronectins eluiert wird (Abs. 43); im nachfolgenden Schritt wird die Konzentration bis auf den Endwert von 0,25 M erhöht (Abs. 44). In einem anderen Beispiel, das die Gewinnung eines Konzentrats des von-Willebrand-Faktors betrifft, wird die Natriumchlorid-Konzentration ebenfalls von 0,11 M auf 0,15 M erhöht, um die den von-Willebrand-Faktor enthaltende Fraktion zu eluieren (Abs. 65).
- 73
- Diese Vorgehensweise ist auch in K6a offenbart. In dem dort geschilderten Ausführungsbeispiel beträgt die Natriumchlorid-Konzentration bei dem der Elution vorausgehenden Waschschritt 110 mM (Sp. 3 Z. 57), also 0,11 M. Danach werden zwei Elutionsschritte mit einer Konzentration von 160 mM und 250 mM durchgeführt (Sp. 4 Z. 20 und 27). Dies entspricht im Wesentlichen der Vorgehensweise nach dem Streitpatent.
- 74
- Dass in K6a nicht ausdrücklich erwähnt wird, welche Bestandteile beim ersten Elutionsschritt gewonnen werden, ist unerheblich. Nach den Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents führt die Erhöhung der Natriumchlorid -Konzentration von 0,11 M auf 0,15 M dazu, dass der größte Teil des von- Willebrand-Faktors ausgewaschen wird. Für die in K6a offenbarte Erhöhung von 0,11 M auf 0,16 M kann danach nichts anderes gelten.
- 75
- e) Nach den Hilfsanträgen 5 und 5a soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 4 zusätzlich dadurch ergänzt werden, dass bei der ersten Erhöhung der Ionenstärke das Fibronectin und ein großer bzw. der größte Teil des von-Willebrand-Faktors desorbiert wird.
- 76
- Dies führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 77
- Wie bereits im Zusammenhang mit Hilfsantrag 4 dargelegt wurde, führt die Erhöhung der Natriumchlorid-Konzentration von 0,11 M auf 0,15 M dazu, dass neben dem größten Teil des von-Willebrand-Faktors auch Fibronection eluiert wird. Entsprechendes muss dann für die in K6a offenbarte Erhöhung von 0,11 M auf 0,16 M gelten.
- 78
- f) Nach den Hilfsanträgen 6 und 6a soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 4 bzw. 4a dahin ergänzt werden, dass vor der ersten Erhöhung der Ionenstärke die Säule bei einer Ionenstärke gewaschen wird, bei der Fibrinogen ausgewaschen wird.
- 79
- Diese Änderung führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 80
- Bei einem der in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Ausführungsbeispiele wird die Säule vor dem ersten Elutionsschritt mit einer Lösung gewaschen, deren Natriumchlorid-Konzentration 0,1 M beträgt. Danach wird mit einem Puffer mit einer Natriumchlorid-Konzentration von 0,11 M äquilibriert (Abs. 39). Hierdurch wird im Wesentlichen Fibrinogen ausgewaschen (Abs. 42).
- 81
- Diese Vorgehensweise ist auch in K6a offenbart. Bei dem dort geschilderten Ausführungsbeispiel wird die Säule zunächst mit einer Lösung mit einer Natriumchlorid-Konzentration von 100 mM und anschließend mit einem Puffer mit einer Natriumchlorid-Konzentration von 110 mM gewaschen (K6a Sp. 3 Z. 52 bis 57). Dass dabei nicht offenbart wird, welche Bestandteile hierdurch ausgewaschen werden, ist aus den bereits im Zusammenhang mit Hilfsantrag 4 dargelegten Gründen unerheblich.
- 82
- g) Nach den Hilfsanträgen 7 und 7a sollen die in den Hilfsanträgen 5 und 6 bzw. 5a und 6a vorgesehenen Merkmale miteinander kombiniert werden.
- 83
- Dies führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil alle diese Merkmale in K6a auch in ihrer Kombination offenbart sind.
- 84
- h) Nach Hilfsantrag 8 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 7 in Merkmal 4 dahin ergänzt werden, dass das erhaltene Konzentrat von Faktor VIII eine spezifische Aktivität von mehr als 100 IE/mg aufweist.
- 85
- Dies vermag ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen.
- 86
- Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die in Rede stehende Eigenschaft des Faktor-VIII-Konzentrats durch Ausführung eines Verfahrens mit den in der geltenden Fassung von Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen erreicht. Ein solches Verfahren ist auch in K6a offenbart. Dass dort nicht mitgeteilt wird, welche spezifische Aktivität das gewonnene Faktor-VIII-Konzentrat aufweist, ist unerheblich.
- 87
- i) Nach den Hilfsanträgen 9 und 9a soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 4 bzw. 4a dahin ergänzt werden, dass mit der zweiten Erhöhung der Ionenstärke der Faktor VIII eluiert wird.
- 88
- Dies führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 89
- Wie bereits dargelegt wird die Natriumchlorid-Konzentration sowohl bei dem im Streitpatent geschilderten als auch bei dem in K6a offenbarten Ausführungsbeispiel im zweiten Schritt auf 0,25 M erhöht. Damit führt das Verfahren nach K6a ebenso wie dasjenige nach dem Streitpatent dazu, dass im zweiten Erhöhungsschritt Faktor VIII eluiert wird.
- 90
- j) Nach Hilfsantrag 10 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 7 dahin ergänzt werden, dass das erhaltene Konzentrat von Faktor VIII frei ist von menschlichen Blutgruppenantikörpern oder nur geringste Mengen davon enthält.
- 91
- Auch damit wird lediglich ein Ergebnis beansprucht, das durch ein Verfahren mit den Merkmalen der geltenden Fassung von Patentanspruch 1 erzielt wird und in K6a zwar nicht offenbart ist, wegen der Übereinstimmung der Verfahrensschritte aber dennoch eintritt.
- 92
- k) Nach Hilfsantrag 11 soll zwischen den Merkmalsgruppen 2 und 3 ein zusätzliches Merkmal eingefügt werden, wonach das Ausgangsmaterial einer Virusinaktivierungsbehandlung durch Solvens-Detergens in Gegenwart von Tween® TNBP unterzogen wird.
- 93
- Dieser Verfahrensschritt ist, wie die Beklagte nicht verkennt, in K6a ebenfalls offenbart (Sp. 2 Z. 44 bis 47).
- 94
- l) Nach Hilfsantrag 12 soll Merkmal 5 dahin ergänzt werden, dass das Gefriertrocknen ohne Zugabe eines Stabilisators mit Proteincharakter erfolgt.
- 95
- Auch mit dieser Ergänzung ist der Gegenstand des Streitpatents durch K6a offenbart.
- 96
- Wie bereits oben (1 d cc) ausgeführt wurde, finden sich in K6a keine Hinweise darauf, dass dem dort offenbarten Faktor-VIII-Konzentrat vor dem Gefriertrocknen Albumin oder sonstige Proteine als Stabilisator zugesetzt werden.
- 97
- Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte Hilfsantrag 12 prozessual zulässig ist und ob die mit ihm verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 dem in Art. 84 EPÜ niedergelegten Gebot der Klarheit entspricht.
- 98
- m) Nach Hilfsantrag 13 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 12 dahin geändert werden, dass die Worte "mit Proteincharakter" entfallen.
- 99
- Diese Änderung führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
- 100
- Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Gegenstand des Streitpatents durch diese Änderung im Vergleich zu der mit Hilfsantrag 12 verteidigten Fassung zusätzlich eingeschränkt wird. Selbst wenn es nach der mit Hilfsantrag 13 verteidigten Fassung ausgeschlossen wäre, der im Streitpatent offenbarten Faktor-VIII-Lösung vor dem Gefriertrocknen irgendeinen weiteren Stoff hinzuzufügen , wäre der Gegenstand des Streitpatents in K6a vollständig offenbart.
- 101
- Wie bereits oben ausgeführt wurde, ist den Ausführungen in K6a zu entnehmen , dass das dort offenbarte Faktor-VIII-Konzentrat ohne Änderung der stofflichen Zusammensetzung gefriergetrocknet werden kann. Damit ist die mit Hilfsantrag 13 verteidigte Lehre vollständig vorweggenommen.
- 102
- V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.03.2012 - 3 Ni 32/10 (EP) -
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
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Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.