Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 26. Feb. 2015 - 5 Sa 72/14

bei uns veröffentlicht am26.02.2015

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 20.02.2014, 4 Ca 516/13, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die bisher gezahlte Ausbildungsvergütung angemessen im Sinne des § 17 BBiG war.

2

Der Kläger befand sich vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2013 bei der Beklagten in Ausbildung zum Gießereimechaniker, Fachrichtung Handformguss. Im schriftlichen Ausbildungsvertrag vereinbarten die Parteien eine Vergütung in Höhe von 465,00 Euro für das erste Lehrjahr, 500,00 Euro für das zweite Lehrjahr, 545,00 Euro für das dritte Lehrjahr und 585,00 Euro für das vierte Lehrjahr. Die Beklagte leistete während des Ausbildungsverhältnisses auch entsprechende Zahlungen an den Kläger.

3

Der Ausbildungsvertrag ist bei der IHK B-Stadt registriert.

4

Die Beklagte ist in einer strukturschwachen Gegend in Vorpommern gelegen. Die Beklagte stellt unter anderem Gussteile für Windräder her. Sie produziert insbesondere Rotornaben, Maschinenträger, Planetenträger und Stützdrehmomente. Hinzu kommen weitere kleinere Gussteile. Hauptabnehmer der Beklagten sind Unternehmen wie S., N. und e.. Bei der Beklagten waren in der Vergangenheit nach einer zwischenzeitlichen Insolvenz zunächst 60 Mitarbeiter beschäftigt. Dies stieg auf etwa 600 Mitarbeiter im Jahr 2007. In der Spitzenzeit waren inklusiv Leiharbeitnehmern 750 Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem Jahr 2009 hat die Beklagte ihr Personal wieder erheblich reduziert. Derzeit sind über 500 Mitarbeiter bei der Beklagten tätig. Neben Abteilungen für Modellbau, Formenbau, Schmelzer, Gießer, Auspacker und Qualitätsprüfung unterhält die Beklagte auch eine Abteilung Instandhaltung/Stahlbau mit 30 Arbeitnehmern. Die Beklagte beschäftigt auch Arbeitnehmer in einer Kantine sowie in der Verwaltung.

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Bei der Beklagten findet die Produktion nicht in Fließbandarbeit statt. Es gibt keine Fertigungsstraßen. Maschinen werden für die Produktion von Teilen nicht verwendet. Sofern bei der Beklagten Maschinen vorhanden sind, dienen diese vor allem dem Transport der schweren Gussstücke bzw. insgesamt der Erleichterung der händischen Tätigkeit. Die Tätigkeiten in den einzelnen Arbeitsschritten zur Herstellung eines Gussstückes werden manuell durch die Arbeitnehmer ausgeführt. Dabei hängt die Produktion vom Können und den Fertigkeiten der Arbeitnehmer ab. Abgesehen von vorgenannter Abteilungsbildung gibt es bei der Beklagten keine Arbeitsteilung. Die Arbeitnehmer führen nicht nur einzelne, engbegrenzte Arbeitsschritte wiederkehrend aus. Die Beklagte beschäftigt in der Produktion handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte.

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Die Wertschöpfung erfolgt in folgenden Arbeitsschritten:

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- Modellvorbereitung:

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Sichtprüfung, kleinere Ausbesserungsarbeiten, Aufbringen von Trennmitteln.
Diese Arbeiten können nur von Menschen erbracht werden.

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- Form- und Kernherstellung:

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Füllen der Formen und Kernkästen mit einem Formstoff aus einem Mischer.
Es folgt das manuelle Ausformen und Verdichten, das Einbringen von Kernentlüftungen, das Einsetzen und Ausrichten von Kokillen, das Speisern, Filtern und Keramikrohren, das Ausschalen der Kerne, das Abheben der Formkästen von den Modellen und das Schlichten der Formen und Kerne.

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- Formzusammenbau:

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Ausrichten und Einbau von Kernen, das Zusammensetzen der Formteilungen,
Aufbau von Druckkästen und Formentlüftungen, Einbau der Impfung, Verstampfen und Verklammern der Formteilungen sowie das Auflasten der Formen.

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- Schmelzen und Gießen:

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Changieren des Ofens, Abschlacken der Schmelze, Analysen- und Temperaturüberwachung sowie Abgießen der Form.

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- Auspacken:

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Transport zum Auspackplatz, Auspacken des Gussstückes aus der Form, Entfernen der Formstoffreste und Transport zur Sandaufbereitung.

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- Putzen:

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Entfernen von Gießresten

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- Prüfen:

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Messen, Beurteilen, Markieren und Protokollieren.

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Diese vorgenannten Arbeitsschritte sind immer gleich, und zwar unabhängig von der Größe und Art der zu gießenden Teile. Ergänzend wird auf die von der Beklagten zur Akte gereichte Fotostrecke mit der Darstellung von Arbeitnehmern bei der Ausführung der einzelnen Arbeitsschritte verwiesen (vgl. Blatt 71 bis 76 d. A.). Die Beklagte produziert in der Summe im Wege der Handformgießerei. Dies ist zu unterscheiden von der Maschinenformgießerei. Bei letzterer ist das Gießen automatisiert.

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Mit Schreiben vom 18.02.2013 machte der Kläger die Unangemessenheit der Ausbildungsvergütung geltend und meinte, dass vergleichbare Ausbildungsvergütungen im Durchschnitt höher lägen. Der Kläger behauptete in diesem Schreiben gewisse Beträge je Ausbildungsjahr als „ortsüblicher Lohn“. Die Quelle des als ortsüblich angesehenen Lohnes gab der Kläger in diesem Schreiben nicht an. Insgesamt forderte er einen Betrag in Höhe von 13.175,00 Euro nach. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 26.02.2013 ab.

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Mit seiner Klageschrift vom 19.04.2013, eingegangen beim Arbeitsgericht Neubrandenburg am 22.04.2013 begehrt der Kläger weiterhin die Zahlung von 13.175,00 Euro brutto als Nachzahlung für das gesamte Ausbildungsverhältnis.

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Das Arbeitsgericht Neubrandenburg wies die Klage mit Urteil vom 20.02.2014 ab. Dieses Urteil wurde der Klägerseite am 13. März 2014 zugestellt. Am 11. April 2014 erhob der Kläger hiergegen Berufung. Diese begründete er innerhalb der gerichtlich verlängerten Frist. Der Kläger verfolgt auch weiterhin sein erstinstanzliches Begehren.

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Er meint, dass die von der Beklagten gezahlte Ausbildungsvergütung deutlich unter der angemessenen Ausbildungsvergütung im Sinne des § 17 BBiG liege. Nach der Rechtsprechung des BAG sei darauf abzustellen, dass die Ausbildungsvergütung dann nicht mehr angemessen sei, wenn sie nicht 80 Prozent der tarifvertraglichen Vergütung erreiche. Dies sei hier der Fall.

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Dabei meint der Kläger, dass auf den Entgelttarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern abzustellen sei. Dieser Tarifvertrag sieht unstreitig Ausbildungsvergütungen von 818,00 Euro für das erste Lehrjahr, 842,00 Euro und später angehoben 865,00 Euro für das zweite Lehrjahr vor, 890,00 Euro für das dritte Lehrjahr und 915,00 Euro für das vierte Lehrjahr vor. Aus den jeweiligen Differenzen der gezahlten Vergütung und der vorgenannten tarifvertraglichen Vergütung ergebe sich die Klageforderung. Auf das Ausbildungsverhältnis sei insbesondere auch der Tarifvertrag für die Metallindustrie anwendbar. Es sei nicht auf den Tarifvertrag für das metallverarbeitende Handwerk abzustellen. Denn der Kläger habe keinen Handwerksberuf, sondern einen Industrieberuf erlernt. Auch handele es sich bei der Beklagten um einen Industriebetrieb und nicht um einen Handwerksbetrieb. Die industrielle Produktion folge aus der Anzahl von angestellten Arbeitnehmern. Aus der Beschreibung der Stärken der Beklagten in deren Internetauftritt ergebe sich auch, dass die Beklagte der Industrie zuzurechnen sei. Dies folge auch aus dem Ausdruck im Handelsregister des Amtsgerichts Neubrandenburg zum Registerzeichen HRB 6360. Die Beklagte führe eine industrielle Serienproduktion durch. Handwerksbetriebe seien nicht so aufgestellt wie die Beklagte. Der Kläger behauptet weiter, dass die Beklagte nicht Eigentümerin der Produktionsmittel sei, sondern es sich nur um eine Betreibergesellschaft handele. Zur Begründung des Vorliegens eines Industriebetriebes verweist der Kläger auf die Mengen der im Jahr hergestellten Rotornarben, Maschinenträger, Planetenträger und Stützdrehmomente, wobei die von dem Kläger behaupteten Mengen (vgl. Blatt 131 d. A.) streitig sind. Aus den streitig behaupteten Mengen folge, dass eine industriell geprägte Produktionsweise vorliege. Durch das Vorliegen der unstreitig bestehenden Abteilungen ergebe sich auch eine weitestgehende Arbeitsteilung. Insbesondere seien Abteilungen für Instandhaltung, Stahlbau, Kantine und Verwaltung nicht typisch für einen Handwerksbetrieb.

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Soweit die Beklagte behauptet, die von ihr gezahlte Vergütung sei in Vorpommern üblich, werde dies vom Kläger bestritten. Soweit die Beklagte behauptet, die Lebenshaltungskosten insbesondere die Miete seien in C-Stadt weit unter dem Durchschnitt bestreitet dies der Kläger, da er hierzu keine eigene Kenntnis habe. Jedenfalls könnten Lebenshaltungskosten für die Angemessenheit der Vergütung nicht berücksichtigt werden. Soweit die Beklagte behauptet, die erhebliche Personalreduzierung sei auf Grund erheblicher finanzieller Schieflage vorgenommen worden, werde dies mit Nichtwissen bestritten. Die hier gezahlte Ausbildungsvergütung korreliere nicht mit der verwertbaren Arbeitsleistung des Auszubildenden. Soweit die Beklagte behaupte, ein ausgelernter Gießereimechaniker verdiene bei ihr zwischen 1.800,00 Euro brutto und 1.900,00 Euro brutto werde dies vom Kläger bestritten, da er hierzu keine Kenntnis habe. Soweit die Beklagte dem Kläger vorhält, er habe die Höhe der Vergütung bei Abschluss des Ausbildungsvertrages gekannt, meint der Kläger, dass er gezwungen gewesen sei, den Ausbildungsvertrag so abzuschließen, da es keine andere Möglichkeit für diesen Ausbildungsberuf gegeben habe. Soweit die Beklagte die Höhen von Ausbildungsvergütungen nach dem Tarifvertrag für das metallverarbeitende Handwerk darstellt, seien diese Beträge mangels Kenntnis des gewerkschaftlich vertretenden Klägers zu bestreiten.

28

Der Kläger beantragt:

29

Die Beklagte wird, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 20.02.2014, verurteilt, an den Kläger 13.175,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent seit Klagezustellung zu zahlen.

30

Die Beklagte beantragt:

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Die Berufung zurückzuweisen.

32

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.

33

Die Beklagte meint, dass die Rechtsprechung auf den Einzelfall und nicht auf starre Grenzen bei der Frage der Angemessenheit der Vergütung abstelle. Dazu behauptet sie, dass die von ihr gezahlte Ausbildungsvergütung in Vorpommern üblich sei. Die Beklagte verweist auf den unstreitigen Umstand, dass das was der Kläger verlangt, in Vorpommern nicht oder nur in ganz wenigen größeren, tarifgebundenen Betrieben gezahlt wird, die an einer Hand abzuzählen sind, wobei die Beklagte nicht tarifgebunden ist. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Lebenshaltungskosten insbesondere die Miete in C-Stadt weit unter dem Durchschnitt lägen. Auch sei die Personalreduzierung in den letzten Jahren auf Grund erheblich finanzieller Schieflage der Beklagten erfolgt. Die Ausbildungsvergütung solle auch eine Gegenleistung für die verwertbare Arbeitsleistung des Auszubildenden sein. Insoweit müsse sie dann auch mit dem Einkommen von fertigen Gießereimechanikern korrespondieren. Dazu behauptet die Beklagte, dass solche bei der Beklagten zwischen 1.800,00 Euro brutto und 1.900,00 Euro brutto erhielten. Die Vergütung müsse sich an der Leistung bei der Fertigstellung eines Gussstückes orientieren. In diesem Beruf müsse der Lehrling erst am Ende der Ausbildung alles können, während zu Beginn der Ausbildung allein produktionsvorbereitende Tätigkeiten erlernt werden. Insbesondere in der strukturschwachen Gegend Vorpommern stehe nicht die Vergütung im Vordergrund, sondern vielmehr überhaupt die Möglichkeit, eine Ausbildung machen zu können. Jedenfalls sei als Maßstab bei der Beklagten nicht auf die Tarifverträge der Metallindustrie abzustellen. Maßstab könnten allenfalls die Tarifverträge für das metallverarbeitende Handwerk sein, die für das erste Jahr 288,00 Euro, für das zweite Jahr 315,00 Euro, für das dritte Jahr 324,00 Euro und für das vierte Jahr 430,00 Euro an Ausbildungsvergütung vorsehen. Da die von der Beklagten gezahlte Vergütung darüber liege, sei diese nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei insbesondere nicht der Industrie zuzurechnen. Die Beklagte sei im Bereich des metallverarbeitenden Handwerks tätig. Auch handele es sich beim Beruf des Klägers um einen Handwerksberuf. Für das Vorliegen eines Handwerks sei wichtig, dass die Handwerklichkeit der Mitarbeiter entscheidend sei und Maschinen nur der Erleichterung der händischen Arbeit dienten. Dies sei hier der Fall. Die Beklagte verweist darauf, dass der Handformguss durch Handarbeit geprägt ist. Sie verweist auf die im unstreitigen Tatbestand festgehaltenen Umstände. Aus der Anzahl der Mitarbeiter könne nicht auf einen Industriebetrieb geschlossen werden. Denn ein Industriebetrieb hätte sogar weniger Mitarbeiter, da die Maschinen die Arbeit verrichten würden. Dann hätte die Beklagte geringere Personalkosten und mehr Gewinn. Dann könnten auch höhere Löhne gezahlt werden. Die Beklagte behauptet weiter, dass es bei ihr keine Großserienproduktion gäbe. Die vom Kläger vorgetragenen Jahresproduktionsmengen seien nicht richtig. Jedenfalls habe die Menge der hergestellten Güter nichts mit der Herstellungsweise zu tun. Die größere Anzahl von hergestellten Gütern ändere nichts an der Herstellung durch menschliche Handarbeit statt Herstellung durch Maschinen.

34

Die Beklagte beruft sich im Übrigen auf Verjährung.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verhandlungsprotokolle und das angegriffene erstinstanzliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

37

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat zu Recht entschieden, dass die Zahlungsklage unbegründet war.

I.

38

Dem Kläger steht kein weiterer Zahlungsanspruch zu. Insbesondere folgt dieser Zahlungsanspruch nicht aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Die dem Kläger gezahlte Ausbildungsvergütung ist nicht unangemessen.

39

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Ein konkreter Maßstab für die Angemessenheit der Vergütung wird durch diese Norm und insgesamt im BBiG allerdings nicht festgelegt. Bei fehlender Tarifbindung ist es deshalb allein Aufgabe der Vertragspartner, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben haben sie daher einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich demnach nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien dabei diesen Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles festzustellen. Maßgeblich ist dabei die Verkehrsanschauung. Die einschlägigen Tarifverträge sind zunächst der wichtigste Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung. Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deshalb nach der Rechtsprechung des BAG stets als angemessen. Nicht mehr angemessen ist eine Ausbildungsvergütung in der Regel dann, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütung um mehr als 20 Prozent unterschreitet. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass auch bei nichttarifgebundenen Parteien es grundsätzlich sachgerecht ist, vorrangig die Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Nur wenn tarifliche Regelungen fehlen, könne nach Ansicht des BAG auch branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbszweigs entsprechende Vergütung zu Grunde gelegt werden (vgl. hierzu insgesamt BAG, Urteil vom 26.03.2013, 3 AZR 89/11, Rz. 11, 12).

40

Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ist der eine höhere Zahlung begehrende Kläger (Auszubildende) für die Umstände darlegungs- und beweispflichtig, aus denen sich die Unangemessenheit der bisher gezahlten Vergütung ergibt.

41

Gemessen an vorgenannten Maßstäben ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, dass er unangemessen vergütet wurde. Auch ist nicht ersichtlich, dass – unabhängig von der Frage der richtigen Branche – überhaupt der Tarifvertrag für die Metallindustrie oder ein sonstiger Tarifvertrag als Vergleichsmaßstab herangezogen werden müsste.

42

Der Kläger legt seinen Berechnungen – unabhängig von der Frage der zutreffenden Branche – einen speziellen Tarifvertrag zu Grunde. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich jedoch nicht, weshalb überhaupt ein Tarifvertrag der richtige Vergleichsmaßstab zur Ermittlung der angemessenen Höhe sein sollte. Entgegen der vielleicht missverständlichen Formulierung des BAG im vorgenannten Urteil geht das Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall schon nicht davon aus, dass überhaupt ein Tarifvertrag als Vergleichsmaßstab heranzuziehen wäre. Die Beklagte ist unstreitig nicht tarifgebunden. Weiterhin hatte die Beklagte unstreitig vorgetragen, dass sie in einer sehr strukturschwachen Gegend gelegen ist. Es ist gerichtsbekannt und auch allgemein bekannt, dass dies im Verhältnis zum sonstigen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und auch zu Deutschland tatsächlich der Fall ist. Wenn die Beklagte sodann vorträgt, dass die Lebenshaltungskosten in dieser Gegend deutlich unterdurchschnittlich sind so ist es nicht ausreichend, wenn sich der dort wohnende Kläger auf ein bestreiten mit Nichtwissen beschränkt. Weiterhin hatte die Beklagte unstreitig vorgetragen, dass die vom Kläger verlangte Vergütung entweder gar nicht oder aber nur von einer an einer Hand abzuzählenden tarifgebundenen Unternehmen gezahlt wird. Angesichts dieser Gesamtsituation ist es für das Berufungsgericht höchst zweifelhaft, ob die Tarifverträge für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt der Maßstab für die angemessene Vergütung sein können. Wenn in dem - auch weiter gezogenen - örtlichen Umfeld der Beklagten niemand bzw. nur ganz wenige große tarifgebundene Unternehmen den unterstellt einschlägigen Tariflohn zahlen, so kann dieser kaum in der Praxis vorzufindende Tariflohn nicht Maßstab für die festzustellende Verkehrsanschauung und damit auch nicht Maßstab für die angemessene Vergütung der jeweiligen Branche in dem jeweiligen Wirtschaftsgebiet sein. Diese Frage braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden.

43

Denn selbst wenn man davon ausginge, dass der Entgelttarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern im Falle seiner Einschlägigkeit zwingend Maßstab der Angemessenheit sein soll, so handelt es sich bei diesem vom Kläger herangezogenen Tarifvertrag hier jedoch nicht um den fachlich einschlägigen Tarifvertrag. Der Tarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ist auf das Ausbildungsverhältnis in jedem Fall nicht als Maßstab anzuwenden, da die Beklagte nicht dem Industriebereich zuzurechnen ist. Bei der Beklagten handelt es sich vielmehr um einen Handwerksbetrieb im arbeitsrechtlichen Sinne. Schon aus dem Vortrag des Klägers und insgesamt aus dem unstreitigen Sachvortrag ergibt sich nicht das Vorliegen eines Industriebetriebes. Vielmehr ist die Beklagte offensichtlich dem Handwerksbereich zuzuordnen.

44

Die Frage, ob ein Betrieb ein Handwerksbetrieb oder ein Industriebetrieb ist, kann nach der Rechtsprechung des BAG nur nach dem Gesamtbild des Betriebes beantwortet werden. Dabei hat die Abgrenzung nicht in erster Linie nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien zu erfolgen, sondern vorrangig danach, ob die überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb eine handwerkliche oder nicht handwerkliche ist. Deshalb ist von einem Handwerksbetrieb nicht schon dann auszugehen, wenn der Gewerbebetrieb in die Handwerksrolle eingetragen ist. Es ist nicht auf formelle Umstände abzustellen, sondern darauf, ob der jeweilige Betrieb materiell die Anforderungen an den Handwerksbetrieb oder aber eines Industriebetriebes erfüllt. Dafür ist entscheidend, dass die Handwerklichkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die dabei eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung der händischen Arbeit, d. h. der Unterstützung der Handfertigung diene und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Das Bundesarbeitsgericht führt weiter aus, dass der Handwerksbetrieb sich gegenüber einem Industriebetrieb dadurch auszeichnet, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und die Arbeitsteilung nicht soweit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte – in der Regel immer wiederkehrende – und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die technische Entwicklung dazu geführt hat, dass auch Handwerksbetriebe, um wettbewerbsfähig bleiben zu können, in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind. Die Nutzung von technischen Hilfsmitteln spricht daher nicht zwingend für einen Industriebetrieb und gegen ein Handwerksbetrieb. Erst wenn die Technisierung zur Folge hat, dass wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich werden und keinen Raum mehr für das handwerkliche Können bleibt, spricht dies gegen eine handwerksmäßige Betriebsform und für einen Industriebetrieb. Steht allerdings das handwerkliche Element im Vordergrund, liegt auch dann ein Handwerksbetrieb vor, wenn es sich um einen umsatz- und personalstarken Betrieb handelt. Es handelt sich dann um einen sogenannten Betrieb des Großhandwerks. Auch eine auftragsbezogene Produktion von Waren für bestimmte Kunden spricht für einen Handwerksbetrieb (vgl. insgesamt zur Definition des Handwerksbetriebes/ Industriebetriebes BAG, Urteil vom 26.03.2013, 3 AZR 89/11).

45

Den vorgenannten Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zur Unterscheidung eines Handwerksbetriebes von einem Industriebetrieb schließt sich die Kammer an. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass relativ offensichtlich von einem Handwerksbetrieb bei der Beklagten auszugehen ist. Denn unstreitig erfolgt die Produktion der verschiedenen Gussteile jeweils durch händische Arbeit der Arbeitnehmer. Die Beklagte hat unstreitig dargestellt, dass sich diese händische Arbeit durch sämtliche Produktionsschritte eines Gussteiles zieht. Dies ist unstreitig und ergibt sich auch sehr plastisch aus den zur Akte gereichten Fotos für alle Arbeitsschritte. Soweit die Beklagte Maschinen oder sonstige technische Einrichtungen verwendet, handelt es sich allein um Maschinen, die der Arbeitserleichterung dienen und nicht dazu führen, dass das händische Gepräge der jeweiligen Arbeitsausführung der Arbeitnehmer verloren geht. So werden Maschinen insbesondere nur als Kran dafür benutzt, um die schweren Gussteile innerhalb des Betriebes zu bewegen. Soweit Schweißgeräte oder Klebepistolen verwendet werden, so werden auch diese vor allem händisch geführt. Die Beklagte hat weiterhin unstreitig vorgetragen, dass ihre Arbeitnehmer handwerklich ausgebildet sind und dementsprechend eingesetzt werden. Für die Handwerkseigenschaft des Betriebes der Beklagten spricht auch, dass sie im Bereich des Handformgusses und nicht des Industrieformgusses tätig ist. Bei der Beklagten werden keine Produktionsschritte automatisch durch Maschinen durchgeführt. Es kommt immer auf handwerkliche Fähigkeiten und handwerkliche Kenntnisse der Mitarbeiter an. Allein aus vorgenannten Gründen ist die Beklagte arbeitsrechtlich als Handwerksbetrieb und damit nicht als Industriebetrieb einzustufen.

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Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Industriebetriebes ergeben sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass sein Ausbildungsvertrag bei der IHK angemeldet ist und im Handelsregister gewisse Eintragungen für die Beklagte vorgenommen sind, handelt es sich hierbei um einerseits formelle Kriterien und weiterhin um Kriterien außerhalb des Arbeitsrechts. Zudem ist offensichtlich, dass gewisse Eintragungen oder Anmeldungen bei gewissen Stellen kein Einfluss darauf haben können, welches Gepräge die Produktionsart bei der Beklagten hat. Irrrelevant für die Unterscheidung zwischen Handwerksbetrieb und Industriebetrieb ist auch der Umstand, dass der Kläger eine gewisse Anzahl vorhandener Arbeitnehmer benennt und eine gewisse Anzahl hergestellter Produkte behauptet, um sodann ohne weitere Begründung daraus den Schluss zu ziehen, dass somit ein Industriebetrieb vorliege. Auch hier ist nicht erkennbar, welchen Einfluss eine gewisse Anzahl hergestellter Produkte bzw. eine gewisse Anzahl vorhandener Arbeitnehmer darauf haben sollte, in welcher Weise die Produkte hergestellt werden. Bereits das BAG hatte ausdrücklich entschieden, dass die Anzahl der Arbeitnehmer oder der Umfang des Produkteoutputs kein wesentliches Kriterium ist. Bereits der Begriff Handwerk deutet an, dass ein Werk durch die Hand produziert werden muss. Dieser Umstand ändert sich jedoch nicht dadurch, dass ein zunächst kleines Handwerksunternehmen erfolgreich am Markt auftritt, immer weitere Aufträge generiert und deshalb weitere Arbeitnehmer einstellen muss, was sodann auch dazu führt, dass mehr Produkte je Zeiteinheit fertig gestellt werden. Bei diesem Beispiel hat sich an dem vormals kleinen Handwerksbetrieb nichts verändert, außer das er größer ist, weil er erfolgreich am Markt auftritt. Allein dieser Unterschied kann jedoch nicht dazu führen, dass ohne Änderung der Produktionsweise bzw. des Produktes plötzlich ab einer gewissen Grenze aus einem Handwerksbetrieb ein Industriebetrieb wird. Gleiches muss auch für den Umstand gelten, der insbesondere hier bei der Beklagten von Bedeutung ist, dass sich eine gewisse höhere Anzahl von Arbeitnehmern auch dadurch ergeben kann, dass in händischer Weise Produkte hergestellt werden, die einerseits sehr groß und schwer sind und zum weiteren verschiedene deutlich trennbare, aber immer noch händische Arbeitsschritte erfordern. Insofern ist es auch hier unproblematisch, dass bei der Beklagten verschiedene Abteilungen bestehen. Beispielsweise muss beim Schmelzen und Gießen ganz spezielle Schutzausrüstung von den Arbeitnehmern getragen werden. Andererseits ist bei der Materialstoffprüfung kaum eine Schutzausrüstung erforderlich. Auch müssen hierzu verschiedene Räumlichkeiten aufgesucht werden. Allein dadurch, dass sich ein Arbeitnehmer nur mit dem Schmelzen und ein anderer Arbeitnehmer nur mit dem Gießen und andere Arbeitnehmer nur mit anderen Fertigungsschritten beschäftigen, ist nicht davon auszugehen, dass eine industrielle Arbeitsteilung vorliegt, wonach Arbeitnehmer nur für eng begrenzte Bereiche eingesetzt werden. Es wäre schlicht ökonomisch nicht sinnvoll, wenn sich jeder Arbeitnehmer vom Beginn bis zum Ende des Produktionsprozesses allein um ein Produkt kümmern würde. Dieser Arbeitnehmer müsste sich für gewisse Produktionsschritte ständig umziehen und er müsste ständig in anderen Bereichen der Halle tätig werden. Auch könnte sich auf diese Weise keine handwerkliche Spezialisierung auf einen Teilbereich ergeben.

47

Soweit der Kläger auch darauf verweist, dass die Beklagte kein Handwerksbetrieb, sondern ein Industriebetrieb sei, weil sie auch eine Kantine betreibt sowie eine Verwaltungsabteilung hat, so ist diese Argumentation – gelinde gesagt – sehr ungewöhnlich und nicht im Mindesten hilfreich. Es ist nicht ersichtlich, warum das zusätzliche Betreiben einer Kantine zum einen irgendeinen Einfluss auf die Art der Produktion haben sollte oder insgesamt dem Betrieb der Beklagten ein anderes Gepräge geben sollte. Auch ist nicht erkennbar, weshalb nur Industriebetriebe und nicht Handwerksbetriebe eine Kantine betreiben können. Gleiches gilt auch für das Vorhalten einer Verwaltungsabteilung, wobei sich die Klägerseite fragen lassen muss, welcher Handwerker ohne Verwaltungstätigkeit innerhalb seines Betriebes länger als äußerst kurzfristig am Markt bestehen kann.

48

Im Ergebnis ergibt sich, dass der Kläger schlicht pauschal Umstände benennt, um sodann ohne Begründung zu behaupten, dass deshalb ein Industriebetrieb vorliege, wobei es sich bei den gewählten Umständen jeweils um Umstände handelt, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG schon nicht geeignet sind, einen Industriebetrieb zu begründen.

49

Es existieren somit keine hinreichenden Anhaltspunkte, weshalb der Entgelttarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern anwendbar sein sollte. Daraus folgt, dass nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte eine nicht angemessene Ausbildungsvergütung gezahlt hätte. Dementsprechend ist die Klage zu Recht abgewiesen worden. Mithin war auch die Berufung zurückzuweisen.

II.

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

51

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Berufsbildungsgesetz - BBiG 2005 | § 17 Vergütungsanspruch und Mindestvergütung


(1) Ausbildende haben Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Die Vergütung steigt mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich, an. (2) Die Angemessenheit der Vergütung ist ausgeschlossen, wenn sie folgende monatlich

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 26. März 2013 - 3 AZR 89/11

bei uns veröffentlicht am 26.03.2013

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 30. November 2010 - 6 Sa 66/10 - wird zurückgewiesen.

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(1) Ausbildende haben Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Die Vergütung steigt mit fortschreitender Berufsausbildung, mindestens jährlich, an.

(2) Die Angemessenheit der Vergütung ist ausgeschlossen, wenn sie folgende monatliche Mindestvergütung unterschreitet:

1.
im ersten Jahr einer Berufsausbildung
a)
515 Euro, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2020 begonnen wird,
b)
550 Euro, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2021 begonnen wird,
c)
585 Euro, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 begonnen wird, und
d)
620 Euro, wenn die Berufsausbildung im Zeitraum vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2023 begonnen wird,
2.
im zweiten Jahr einer Berufsausbildung den Betrag nach Nummer 1 für das jeweilige Jahr, in dem die Berufsausbildung begonnen worden ist, zuzüglich 18 Prozent,
3.
im dritten Jahr einer Berufsausbildung den Betrag nach Nummer 1 für das jeweilige Jahr, in dem die Berufsausbildung begonnen worden ist, zuzüglich 35 Prozent und
4.
im vierten Jahr einer Berufsausbildung den Betrag nach Nummer 1 für das jeweilige Jahr, in dem die Berufsausbildung begonnen worden ist, zuzüglich 40 Prozent.
Die Höhe der Mindestvergütung nach Satz 1 Nummer 1 wird zum 1. Januar eines jeden Jahres, erstmals zum 1. Januar 2024, fortgeschrieben. Die Fortschreibung entspricht dem rechnerischen Mittel der nach § 88 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g erhobenen Ausbildungsvergütungen im Vergleich der beiden dem Jahr der Bekanntgabe vorausgegangenen Kalenderjahre. Dabei ist der sich ergebende Betrag bis unter 0,50 Euro abzurunden sowie von 0,50 Euro an aufzurunden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt jeweils spätestens bis zum 1. November eines jeden Kalenderjahres die Höhe der Mindestvergütung nach Satz 1 Nummer 1 bis 4, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend ist, im Bundesgesetzblatt bekannt. Die nach den Sätzen 2 bis 5 fortgeschriebene Höhe der Mindestvergütung für das erste Jahr einer Berufsausbildung gilt für Berufsausbildungen, die im Jahr der Fortschreibung begonnen werden. Die Aufschläge nach Satz 1 Nummer 2 bis 4 für das zweite bis vierte Jahr einer Berufsausbildung sind auf der Grundlage dieses Betrages zu berechnen.

(3) Angemessen ist auch eine für den Ausbildenden nach § 3 Absatz 1 des Tarifvertragsgesetzes geltende tarifvertragliche Vergütungsregelung, durch die die in Absatz 2 genannte jeweilige Mindestvergütung unterschritten wird. Nach Ablauf eines Tarifvertrages nach Satz 1 gilt dessen Vergütungsregelung für bereits begründete Ausbildungsverhältnisse weiterhin als angemessen, bis sie durch einen neuen oder ablösenden Tarifvertrag ersetzt wird.

(4) Die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung ist auch dann, wenn sie die Mindestvergütung nach Absatz 2 nicht unterschreitet, in der Regel ausgeschlossen, wenn sie die Höhe der in einem Tarifvertrag geregelten Vergütung, in dessen Geltungsbereich das Ausbildungsverhältnis fällt, an den der Ausbildende aber nicht gebunden ist, um mehr als 20 Prozent unterschreitet.

(5) Bei einer Teilzeitberufsausbildung kann eine nach den Absätzen 2 bis 4 zu gewährende Vergütung unterschritten werden. Die Angemessenheit der Vergütung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die prozentuale Kürzung der Vergütung höher ist als die prozentuale Kürzung der täglichen oder der wöchentlichen Arbeitszeit. Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bis 4, auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2 bis 7, sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass für die nach § 7a Absatz 2 Satz 1 verlängerte Dauer der Teilzeitberufsausbildung kein weiterer Anstieg der Vergütung erfolgen muss.

(6) Sachleistungen können in Höhe der nach § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch festgesetzten Sachbezugswerte angerechnet werden, jedoch nicht über 75 Prozent der Bruttovergütung hinaus.

(7) Eine über die vereinbarte regelmäßige tägliche Ausbildungszeit hinausgehende Beschäftigung ist besonders zu vergüten oder durch die Gewährung entsprechender Freizeit auszugleichen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 30. November 2010 - 6 Sa 66/10 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die Zahlung einer höheren Ausbildungsvergütung verlangen kann.

2

Der Kläger wurde in der Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2009 im Betrieb der Beklagten in L zum Konstruktionsmechaniker, Fachrichtung Stahl- und Metallbau, ausgebildet. Die Beklagte stellt dort mit etwa 400 überwiegend in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmern Spezialtankfahrzeuge für die Chemie-, Lebensmittel- und Mineralölindustrie her. Darüber hinaus produziert sie dort Silo-, Tank- und Gaseisenbahnwaggons sowie Container aus Aluminium und Edelstahl. Die Fahrzeuge werden nahezu ausschließlich auftragsbezogen nach den Bedürfnissen der Kunden konstruiert und hergestellt. Die Beklagte verfügt daneben über eine Betriebsstätte an ihrem Hauptsitz in W, in der etwa 300 Arbeitnehmer überwiegend in der Verwaltung beschäftigt sind. Die Beklagte stellt jährlich ca. 1.200 Fahrzeuge her und erwirtschaftete im Jahr 2004 einen Umsatz iHv. etwa 115 Mio. Euro; im Jahr 2006 belief sich der Umsatz auf 160 Mio. Euro. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.

3

Dem Ausbildungsverhältnis der Parteien lag der Berufsausbildungsvertrag vom 10. Juni 2005 zugrunde, der ua. bestimmt, dass der Ausbildende dem Auszubildenden eine Vergütung zahlt, die monatlich 310,00 Euro brutto im ersten, 340,00 Euro brutto im zweiten, 390,00 Euro brutto im dritten und 400,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr beträgt.

4

Die zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt e.V. und der IG Metall-Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt abgeschlossenen Tarifverträge über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen der Metall- und Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt (im Folgenden: ETV-Metall) sahen im streitgegenständlichen Zeitraum eine monatliche Ausbildungsvergütung iHv. 647,00 Euro brutto im ersten, 725,00 Euro bzw. 755,00 Euro brutto im zweiten, 820,00 Euro bzw. 834,00 Euro brutto im dritten und 893,00 Euro bzw. 937,33 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr vor. Nach dem von den Landesinnungsverbänden und der CGM abgeschlossenen Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen für das Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk in den Ländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vom 6. Mai 2004 (im Folgenden: TV-Fahrzeugbauerhandwerk) betrug die monatliche Ausbildungsvergütung 250,00 Euro brutto im ersten, 276,00 Euro brutto im zweiten, 327,00 Euro brutto im dritten und 368,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei nicht angemessen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, da sie die tarifliche Ausbildungsvergütung nach dem ETV-Metall um mehr als 20 vH unterschreite. Die sich während der Dauer seiner Ausbildung ergebende Differenz zwischen der vereinbarten Ausbildungsvergütung und der tariflichen nach dem ETV-Metall belaufe sich auf insgesamt 15.859,36 Euro brutto. Der ETV-Metall sei der einschlägige Tarifvertrag für die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung. Der von der Beklagten unterhaltene Betrieb sei der Metallindustrie zuzurechnen und unterfalle deshalb dem fachlichen Geltungsbereich des ETV-Metall. Die Beklagte stelle ihre Produkte industriell unter Nutzung von Maschinen und mit klassischer Arbeitsteilung her und sei kein Unternehmen des Spezialfahrzeugbauhandwerks.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.859,36 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Juni 2009 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei angemessen iSd. § 17 Abs. 1 BBiG. Sie habe sich an dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk vom 6. Mai 2004 orientiert und die danach vorgesehene Ausbildungsvergütung leicht erhöht. Ihr Betrieb unterfalle dem fachlichen Geltungsbereich des TV-Fahrzeugbauerhandwerk, da es sich um einen Handwerksbetrieb und nicht um einen Industriebetrieb handele.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein weiterer Vergütungsanspruch nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG zu. Die dem Kläger von der Beklagten gewährte Ausbildungsvergütung ist nicht unangemessen.

10

1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - wie schon die Vorgängernorm in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) - nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drucks. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 33 mwN, aaO).

11

a) Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 34, BAGE 125, 285; 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 11 f., AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11; 8. Mai 2003 - 6 AZR 191/02 - zu II 2 der Gründe, AP BBiG § 10 Nr. 14 = EzA BBiG § 10 Nr. 10). Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet(BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - aaO).

12

Auch bei nicht tarifgebundenen Parteien ist es sachgerecht, vorrangig Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen und nicht etwaige Empfehlungen der Kammern und Innungen. Diese sind nicht von Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ausgehandelt und bieten damit nicht die gleiche Gewähr für die angemessene Berücksichtigung der Interessen beider Seiten wie Tarifverträge (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 13, AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11). Nur wenn tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt werden. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen der Kammern oder Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 12, aaO).

13

Die einschlägige tarifliche Vergütung bestimmt sich nicht danach, für welchen Ausbildungsberuf die Ausbildung erfolgt. Entscheidend ist die fachliche Zuordnung des Ausbildungsbetriebs (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11).

14

b) Der Auszubildende trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Er genügt seiner Darlegungslast regelmäßig damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung - oder falls es eine solche nicht gibt - auf Empfehlungen von Kammern und Innungen stützt und darlegt, dass die ihm gezahlte Vergütung um mehr als 20 vH darunter liegt (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 35, BAGE 126, 12; 25. Juli 2002 - 6 AZR 311/00 - zu I 4 der Gründe, AP BBiG § 10 Nr. 11 = EzA BBiG § 10 Nr. 9).

15

2. Danach ist die von der Beklagten gezahlte Ausbildungsvergütung nicht unangemessen. Sie unterschreitet die in dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk bestimmte Ausbildungsvergütung nicht um mehr als 20 vH, sondern übersteigt diese. Für die Frage der Angemessenheit der vereinbarten Ausbildungsvergütung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - entgegen der Auffassung der Revision - auf den TV-Fahrzeugbauerhandwerk und nicht auf den ETV-Metall abzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausbildungsbetrieb weise handwerkliche Elemente auf. Der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte einen Industriebetrieb führe. Diese Würdigung weist keine revisiblen Rechtsfehler auf.

16

a) Die Frage, ob ein Betrieb ein Handwerksbetrieb oder ein Industriebetrieb ist, kann nur nach dem Gesamtbild des Betriebs beantwortet werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 a der Gründe). Die Abgrenzung hat nicht in erster Linie nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien zu erfolgen, sondern vorrangig danach, ob die überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb eine handwerkliche oder nicht handwerkliche ist (vgl. BAG 11. März 1981 - 4 AZR 1022/78 - BAGE 35, 133, 137). Deshalb ist von einem Handwerksbetrieb nicht schon dann auszugehen, wenn der Gewerbebetrieb in die Handwerksrolle eingetragen ist. Zwar stellt die Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, ein wesentliches Kriterium für die Handwerkseigenschaft dar. Der jeweilige Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 c der Gründe). Dafür ist entscheidend, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die dabei eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung der händischen Tätigkeit, dh. der Unterstützung der Handfertigung, dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte - in der Regel immer wiederkehrende - und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 g der Gründe). Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die technische Entwicklung dazu geführt hat, dass auch Handwerksbetriebe, um wettbewerbsfähig bleiben zu können, in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind (vgl. BVerwG 1. April 2004 - 6 B 5.04 - GewArch 2004, 488; Günther GewArch 2012, 16 mwN). Die Nutzung von technischen Hilfsmitteln spricht daher nicht zwingend für einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb. Erst wenn die Technisierung zur Folge hat, dass wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich werden und kein Raum mehr für das handwerkliche Können bleibt, spricht dies gegen eine handwerksmäßige Betriebsform und für einen Industriebetrieb (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 d der Gründe). Steht das handwerkliche Element im Vordergrund, liegt auch dann ein Handwerksbetrieb vor, wenn es sich um einen umsatz- und personalstarken Betrieb handelt (sog. Betrieb des „Großhandwerks“). Auch eine auftragsbezogene Produktion von Waren für bestimmte Kunden spricht für einen Handwerksbetrieb (BAG 11. März 1981 - 4 AZR 1022/78 - aaO; 2. November 1960 - 1 AZR 251/58 - AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 8).

17

Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen. Ihnen kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (BAG 13. April 2011 - 10 AZR 838/09 - Rn. 23, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 330).

18

b) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.

19

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausbildungsbetrieb weise - unstreitig - handwerkliche Elemente auf. Aus dem Vortrag des Klägers lasse sich nicht ableiten, dass eine industrielle Fertigung im Vordergrund stehe. Angesichts des detaillierten Sachvortrags der Beklagten zu den Fertigungsvorgängen hinsichtlich der von ihr überwiegend hergestellten Tank- und Silofahrzeuge für den Straßenverkehr hätte es dem Kläger oblegen, die von ihm behauptete Fließbandproduktion detailliert darzulegen. Sein Vortrag zur Vorratsmontage von Containern stehe dem Vorbringen der Beklagten, es würden keine Containerfahrzeuge ohne Kundenauftrag gefertigt, nicht entgegen. Der Umstand, dass die Beklagte, um bei einem eingehenden Auftrag kurzfristig reagieren zu können, bestimmte Teile bereits vorfertigen lasse, gebe der Herstellung der Spezialfahrzeuge noch kein industrielles Gepräge. Das folge auch nicht aus dem Einsatz von Schweißautomaten und -robotern. Auch insoweit habe der Kläger nicht substantiiert darzulegen vermocht, dass dadurch die von ihm eingeräumten handwerklichen Elemente nicht mehr die Produktion individuell ausgerüsteter Fahrzeuge nach Wunsch des einzelnen Kunden präge. Bei der Herstellung von mehr als 1.000 Fahrzeugen pro Jahr sei der Einsatz dieser Maschinen angesichts der Art des Produktes kein Indiz für eine industrielle Fertigung, zumal die Beklagte darauf hingewiesen habe, dass kein Fahrzeug ohne konkreten Kundenauftrag gefertigt werde. Auch die Unterhaltung einer eigenen Reparaturabteilung, in der die produzierten Fahrzeuge sowohl in Stand gesetzt als auch nach Kundenauftrag modernisiert und umgebaut werden, stehe der Annahme, der Betrieb werde durch eine industrielle Fahrzeugproduktion geprägt, entgegen. Schließlich fehle substantiierter Sachvortrag des Klägers zum Einsatz der gewerblichen Arbeitnehmer in Form einer arbeitsteiligen Arbeit. Der Kläger sei auch dem Vortrag der Beklagten, sie setze überwiegend ausgebildete Schlosser und Schweißer ein, nicht entgegen getreten. Es sei nicht ausreichend, wenn der Kläger die Voraussetzungen für die Zuordnung des Betriebs zum Fahrzeugbauerhandwerk bestreite; vielmehr habe er Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die von ihm behauptete Zuordnung zur Metallindustrie ergebe. Daran fehle es.

20

bb) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht ist von den zutreffenden Begriffen des Industrie- und Handwerksbetriebs ausgegangen. Es hat bei seiner Subsumtion den Sachvortrag der Parteien vollständig berücksichtigt und den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum eingehalten. Seine Würdigung, der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Beklagte einen Industriebetrieb führe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Revisible Rechtsfehler werden von der Revision nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.

21

(1) Der Kläger hat in der Revision nicht aufgezeigt, dass das Landesarbeitsgericht seinen Sachvortrag zum Einsatz von Maschinen und zur Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten nicht oder unzureichend berücksichtigt hat. Er hat nicht geltend gemacht, substantiierten Sachvortrag dazu gehalten zu haben, dass die Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten so weit fortgeschritten ist, dass die Arbeitskräfte regelmäßig nur bestimmte, immer wiederkehrende und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Er hat sich insoweit auf eine abteilungsbezogene Produktion und einen fehlenden abteilungsübergreifenden Personaleinsatz berufen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Arbeitsteilung so ausgeprägt ist, dass die abteilungsbezogen beschäftigten Mitarbeiter nur bestimmte, regelmäßig wiederkehrende und begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Auch unter Berücksichtigung der Auffassung des Klägers, die Konstruktion und Fertigung der Fahrzeuge nach einem individuell gestalteten Kundenauftrag sei nicht handwerksspezifisch, sondern werde auch in Unternehmen industrieller Prägung praktiziert, erscheint die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsfehlerhaft. Die auftragsbezogene Fertigung ist für sich allein kein für das Vorliegen eines Handwerksbetriebs ausschlaggebendes Kriterium. Vielmehr ist sie - wie vom Landesarbeitsgericht angenommen - ein in die Würdigung einzustellender Gesichtspunkt, der jedenfalls nicht charakteristisch für einen Industriebetrieb ist. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht erkannt, dass der beträchtliche Jahresumsatz und die Betriebsgröße sowie die Zahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer nicht maßgeblich für einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb sprechen.

22

(2) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsgericht aus dem Vortrag des Klägers, die Geschäftsführer der Beklagten hätten mangels handwerklicher Fähigkeiten weder die Möglichkeit noch seien sie in der Lage, im Betrieb persönlich mitzuarbeiten und diesen im handwerklich-fachlichen Bereich zu überwachen, keine abweichenden Schlüsse ziehen. Mit der Novellierung der Handwerksordnung durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2934) wurde das Betriebsinhaberprinzip durch das Betriebsleiterprinzip ersetzt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HandwO kann die fachliche Betriebsleitung nunmehr auf einen Angestellten übertragen werden, sofern dieser die Befähigungsvoraussetzungen erfüllt(vgl. zum Ganzen Günther GewArch 2012, 16, 18 f. mwN). Dass die Geschäftsführer der Beklagten ggf. mangels eigener handwerklicher Fähigkeiten nicht persönlich im Betrieb mitarbeiten und diesen nicht in fachlich-handwerklicher Sicht leiten sowie überwachen können, spricht daher nicht für das Vorliegen eines Industriebetriebs. Da die Beklagte in die Handwerksrolle eingetragen ist und eine Eintragung in die Handwerksrolle nur erfolgt, wenn der Betriebsleiter seine Befähigung durch die bestandene Meisterprüfung (vgl. § 7 Abs. 1a HandwO), durch bestandene, der Meisterprüfung gleichwertige Prüfungen (vgl. § 7 Abs. 2 und Abs. 9 HandwO)oder aufgrund von Ausübungsberechtigungen, Ausnahmebewilligungen und sonstigen Bescheinigungen nach Maßgabe des § 7 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 7 HandwO nachgewiesen hat, ist davon auszugehen, dass die Beklagte über einen Betriebsleiter mit der erforderlichen Befähigung verfügt. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht behauptet.

23

(3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte nicht nur in die Handwerksrolle eingetragen, sondern auch Mitglied der IHK ist. Gemäß § 2 Abs. 3 IHKG gehören juristische Personen, die in der Handwerksrolle eingetragen sind, mit ihrem nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil der IHK an. Aus der Zugehörigkeit zur IHK kann auch nicht geschlossen werden, dass in dem Betrieb der Beklagten die industrielle Fertigung überwiegt und das handwerkliche Element von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Beitragspflicht gegenüber der IHK besteht gemäß § 3 Abs. 4 IHKG nur, wenn der Gewerbebetrieb der in der Handwerksrolle eingetragenen juristischen Person nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und der Umsatz des nicht handwerklichen oder handwerksähnlichen Betriebsteils 130.000,00 Euro übersteigt. Angesichts eines von der Beklagten im Jahr 2006 erzielten Jahresumsatzes iHv. ca. 160 Mio. Euro ist die Überschreitung der Umsatzgrenze von 130.000,00 Euro, bezogen auf den nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil, ohne Aussagekraft.

24

3. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Gräfl    

        

    Schlewing    

        

    Spinner    

        

        

        

    Lohre    

        

    C. Reiter     

                 

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.