Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18

bei uns veröffentlicht am10.07.2018

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.11.2017 (2 BV 14/17) wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung einer Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.

2

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. unterhält einen Krankenhausbetrieb in A-Stadt. Der Antragsgegner und Beteiligte zu 2. ist der bei der Beteiligten zu 1. für diesen Betrieb gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3. ist Arbeitnehmerin und Mitglied des Betriebsrates des Beteiligten zu 2. Im Nachfolgenden wird die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. als „Arbeitgeberin“, der Beteiligte zu 2. als „Betriebsrat“ und die Beteiligte zu 3. als „Arbeitnehmerin“ bezeichnet.

3

Die Arbeitnehmerin wurde 1975 geboren und ist seit 2006 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Seit Januar 2013 ist sie Oberärztin in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und ist als solche vollzeitig beschäftigt. Sie erzielte im Jahre 2016 ein Jahresbruttogehalt von 121.822,70 €, welches sich aus einem Grundgehalt in Höhe von 7.300,00 € brutto im Monat zuzüglich Zuschlägen für Sonntagsarbeit, Samstagsarbeit, Mehrarbeit, Schichtdienst, Bereitschaftsdienst und Nachtarbeit zusammensetzt. Durchschnittlich erzielte die Arbeitnehmerin während ihrer Tätigkeit bei der Beklagten im Jahr 2016 damit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 10.151,89 €. Die Arbeitnehmerin wurde im Mai 2014 zum Betriebsratsmitglied gewählt und im Mai 2018 wiedergewählt.

4

Nach den Arbeits- und Änderungsverträgen findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag Ärzte Helios in der jeweils gültigen Fassung nebst der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Mit in den Arbeitsvertrag einbezogen ist auch die Dienstanweisung Nummer 3/1996 in der zweiten Neufassung aus dem Jahre 2008, welche den Umgang mit Krankenakten aller Art unter Berücksichtigung digitalisierter Akten regelt (Blatt 56 ff der Akte).

5

Mit Schreiben vom 26.06.2016 (Blatt 9 – 11 der Akte) hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat – nach vorheriger Anhörung der Arbeitnehmerin – wegen dringenden Verdachtes einer schwerwiegenden Pflichtverletzung schriftlich zur außerordentlichen Kündigung der Arbeitnehmerin angehört und um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gebeten. Im Schreiben heißt es zur Begründung, soweit vorliegend von Interesse:

6

Am Mittwoch, den 14. Juni 2017 übergab Frau T. E. dem Geschäftsführer der HELIOS Kliniken A-Stadt, Herrn G., die bereits in der Anhörung von Frau Dr. E. an den Betriebsrat in Kopie mit Heftstreifen zusammengefügten Kopien. Frau T. E. gab kund, sie habe diese Unterlagen lose liegend an einem Tag vor etwa 1 1/2 Jahren in der zu ihrer Wohnung gehörigen „blauen Tonne“ gefunden.

7

Frau T. E. wohnt in der E-Straße.

8

Die von Frau E. vorgelegten Unterlagen enthalten Fotos von zwei Patienten, von fünf Patienten Sonographien teilweise mit Befunden vermerkt auf einem Formular „Sonografischer Lymphknotenbefund" der Klinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie“, von sechs Patienten die durchgeführten ärztlichen Maßnahmen und von neun Patienten die Termine für eine Patientenvorstellung. Das Formular „Sonografischer Lymphknotenbefund“ ist teilweise mit der Unterschrift von Frau Dr. E. versehen, die als Oberärztin in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist. Auch Frau Dr. E. wohnt in der E-Straße.

9

Die von Frau E. vorgelegten Unterlagen enthalten zudem Unterlagen, die eindeutig Frau Dr. E. zuzuordnen sind, ein Gesprächsprotokoll zu einem Gespräch zwischen Frau Dr. E. und Herrn Prof. Dr. Dr. B. und Urlaubsanträge von Frau Dr. E..

10

(…)

11

Frau Dr. E. (gab) an, die Unterlagen nicht in der Tonne abgelegt zu haben.

12

(…)

13

Aufgrund des dargestellten Sachverhalts bestehe der dringende Verdacht, dass Frau Dr. E. die Unterlagen in der „blauen Tonne“ abgelegt hat. Aus der Tatsache, dass die Dokumente an einem Tag in der Tonne gefunden wurden, ergibt sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass Frau Dr. E. die Unterlagen dort in einem Schwung abgelegt hat. Es ist keine andere Person ersichtlich, die überhaupt vorher Zugang zu der Gesamtheit der Unterlagen gehabt hätte, um sie dann in dieser Zusammensetzung in der Tonne abzulegen.“

14

(Blatt 10 f der Akte).

15

Der Betriebsrat hatte die Zustimmung zur außerordentlichen verhaltensbedingten Verdachtskündigung verweigert (Blatt 12 der Akte). Zum Zeitpunkt des Antrages beim Betriebsrat lagen der Arbeitgeberin die Unterlagen, die Frau E. übergeben hatte, ausschließlich in Kopie vor.

16

Diese Unterlagen bestehen aus Ablichtungen der folgenden Schriftstücke:

17
- Briefumschlag, gerichtet an Frau I. A.-Z. (Blatt 17 d.A.);
18
- Entgeltbescheinigungen für Juni 2015, gerichtet an Frau I. A.-Z. (L.) (Blatt 18, 19 der Akte) mit dem Aussteller HELIOS Kliniken L.;
19
- Ausdruck des BKA bisherige Einsätze der IDKO des BKA (Blatt 20 d.A.);
20
- Ablichtung eines Tischkalenders mit dem Logo der Arbeitgeberin aus dem Jahre 2009 und der handschriftlichen Eintragungen der Arbeitnehmerin (Blatt 21 – 25 d.A.);
21
- Urlaubsantragsformular ohne Datum mit handschriftlicher Einfügung der Personalnummer und des Namens der Arbeitnehmerin (Blatt 26 d.A.);
22
- Urlaubsformular hinsichtlich eines Urlaubes vom 12.12. bis 20.12.2009 ohne Unterschrift des Arbeitgebers (Blatt 27 d.A.);
23
- Schreiben der Gemeinschaftspraxis für Pathologie Dr. med. R. & Kollegen, Fachärzte für Pathologie vom 07.10.2015 an Herrn Chefarzt Dipl.-Med. B. H., Facharzt für innere Medizin, M. Krankenhaus am C. S. betreffend eine Patientin H. B. (Telefax vom 12.10.2015) (Blatt 28, 29 d.A.;
24
- Vorblätter und Ausdrucke von Sonografibildern des „Klinikums A-Stadt“, überschrieben mit „Sonographischer Lymphknotenbefund“, zum Teil mit Patientennamen und zum Teil mit handschriftlichen Vermerken und Unterschriften, zum Teil mit Datum (21.07.2009), zum Teil nicht ausgefüllt (Blatt 30 – 39 der Akte);
25
- tabellarische, mit handschriftlichen Streichungen versehene Aufzeichnung unter Nennung von Namen etc. (Blatt 40 d.A.);
26
- handschriftliche Aufzeichnung eines Namens, einer Telefonnummer und eines Datums (Blatt 41 d.A.);
27
- Ausdruck eines „Gedächtnisprotokolls von Mittwoch, 01.07.2009, zirka 12:30 Uhr zwischen Professor B.“ und der Arbeitnehmerin (zwei Seiten auf einer DIN A 4 Seite);
28
- Terminsnotiz für ein Entwicklungsgespräch zwischen Prof. B. und der Arbeitnehmerin am 05.08.2009 (Bl. 43 d.A.);
29
- handschriftliche Aufzeichnung „OP“ möglich: Schienen ex Splint ex …(Blatt 44 d.A.);
30
- Ausdruck „Patientenvorstellung Workshop 3D-Dysgnatiechierurgie im Rahmen der Frühbesprechung“ (Blatt 45 d.A.);
31
- Lichtbilder von Patienten (Patienten-Nummer 15496, 11226) (Blatt 46, 47 d.A.);
32
- OP-Katalog MKG A-Stadt (Ausdruck) 01.01.2008 bis 31.12.2008 (Blatt 48 – 55 d.A.).
33

Mit dem am 27.06.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrte die Arbeitgeberin die Ersetzung zur Zustimmung zur fristlosen Kündigung der Arbeitnehmerin unter Aufrechterhaltung des Vorwurfes, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Arbeitnehmerin die als Anlage zur Antragsschrift beigefügten und in Rede stehenden Unterlagen in der Papierabfalltonne, welche zu ihrem Haus gehöre, abgelegt habe. Diese Papierabfalltonne ist eine Sammeltonne, in der die Bewohner des Hauses E-Straße 63 und E-Straße 65 den Abfall ablegen können. Die Papierabfalltonne ist – soweit keine Leerung ansteht und die Tonne am Straßenrand steht – im öffentlich zugänglichen Innenhof des Gebäudes abgestellt. Die von der Arbeitgeberin angeführte Zeugin hatte die Unterlagen an einem nicht näher spezifizierten Tag zirka 1 1/2 Jahre vor deren Überlassung an die Arbeitgeberin, also zum Jahresende 2015, aufgefunden. Nähere Angaben dazu, wo sich die Tonne zu diesem Zeitpunkt des Auffindens befand, fehlen.

34

Nach Einleitung des Verfahrens forderte die Arbeitgeberin bei der Zeugin die Originalunterlagen an, welche die Zeugin über ihren Rechtsanwalt am 18.07.2017 zur Verfügung stellte. Neben den bereits in Ablichtung vorgelegten Unterlagen befanden sich folgende Originalunterlagen in dem von der Zeugin übergebenen Konvolut:

35
- ein Briefumschlag, gerichtet an einen Herrn R. L. in K. und mit der Absenderadresse der Klägerin versehen, ohne Briefmarke und Poststempel;
36
- ein Werbeanschreiben vom 30. Dezember 2015, gerichtet an Frau I. A.-Z., E-Straße der TARGO-Bank (Blatt 125 d.A.);
37
- ein Schreiben der D.-W. AG, gerichtet an die Arbeitnehmerin vom 05.12.2008, betriff ihre Haftpflichtversicherung (Blatt 127 d.A.);
38
- eine Rechnung der A. T. GmbH S., gerichtet an F. E., E. (Blatt 126 d.A.);
39
- ein Rückantwortschreiben betreffend die Haftpflichtversicherung der Arbeitnehmerin (Blatt 128 d.A.);
40
- eine Steuerbescheinigung der S. Bank, gerichtet an die Arbeitnehmerin (Blatt 130 d.A.);
41
- ein Ausdruck Freistellungsauftrag für Kapitalerträge der D. AG (Blatt 131, 132 der Akte);
42
- ein Freistellungsauftrag für Kapitalerträge, gerichtet an die V. M. e.G., unterzeichnet von der Arbeitnehmerin (Blatt 133 der Akte), datierend auf den 30.06.2009.
43

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, es könne ausgeschlossen werden, dass eine andere Person als die Arbeitnehmerin die Unterlagen in der Papiertonne abgelegt habe. Aus der Tatsache, dass alle Dokumente an einem Tag in der Tonne gefunden wurden, ergebe sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitnehmerin die Unterlagen dort in einem Schwung abgelegt habe. Es sei keine andere Person erkennbar, die Zugang zu der Gesamtheit der Unterlagen gehabt habe. Daher könne auch eine fingierte Ablage zum Nachteil der Arbeitnehmerin ausgeschlossen werden. Die Aussagen der Arbeitnehmerin seien als Schutzbehauptung zu bewerten. Es bestünde eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitnehmerin eine schwerwiegende Straftat und eine grobe Pflichtverletzung begangen habe. Die Arbeitnehmerin habe das Vertrauensverhältnis missbraucht, die Außenwirkung der Arbeitgeberin schwer beschädigt und sich infolge des Datenschutzverstoßes einer schwerwiegenden Störung des Krankenhaus-Arzt-Patienten-Verhältnisses schuldig gemacht. Der Arbeitgeberin sei nicht zumutbar, die Arbeitnehmerin weiter zu beschäftigen. Nachdem die Originalunterlagen vorgelegt worden seien, zu den auch weitere persönliche Unterlagen der Arbeitnehmerin zählen würden, sei der Grad der Dringlichkeit nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien im Hinblick den auf objektiven Tatsachen beruhenden Grad der Wahrscheinlichkeit gegeben. Die Frist des

44

§ 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten, da die Arbeitgeberin erst mit Überlassung der Unterlagen am 14.06.2017 von diesem Umstand Kenntnis erlangt habe.

45

Erstinstanzlich hat die Arbeitgeberin beantragt, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

46

Die Arbeitnehmerin und der Betriebsrat haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

47

Die Arbeitnehmerin hat vorgetragen, sicher ausschließen zu können, die von der Antragstellerin als Anlage zu 3 zur Antragsschrift vorgelegten Unterlagen (Blatt 17 – 55 der Akte) in der Papiersammeltonne vor dem Haus E-Straße entsorgt zu haben. Sie hat die Ansicht vertreten, die Arbeitgeberin habe in keiner Weise offengelegt und transparent gemacht, unter welchen Umständen die Zeugin mehr als 1 ½ Jahre nach Auffinden der Unterlagen mit dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin in Verbindung getreten sei. Weiterhin hat sie vorgetragen, dass die Unterlagen aus dem Anlagenkonvolut nicht durchgehend einen Bezug zur Arbeitnehmerin hätten. Bezüglich der Unterlagen von Frau A.-Z. bestünde keinerlei Zusammenhang zu ihr, zur Arbeitgeberin oder zu sonst jemandem. Auch die Aufstellung der bisherigen Einsätze der IDKO des BKA sei vollständig ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Der Tischkalender von 2009 weise zwar ihre Handschrift auf. Sie könne, so hatte sie vorgetragen, allerdings sicher ausschließen, diesen Kalender jemals mit zu sich nach Hause genommen zu haben. Sie führe privat einen Taschenkalender und habe derartige Tischkalender nur an ihrem Arbeitsplatz im Hause der Arbeitgeberin geführt und dort auch entsorgt. Das gleiche gelte für die Urlaubsanträge, welche nur am Arbeitsplatz einen Sinn machen würden und von ihr auch dort eingereicht worden seien. Ebenfalls die von der Zeugin vorgelegten Unterlagen und den Arztbrief für eine Patientin H. B., die ihr unbekannt sei, stelle keinen Zusammenhang zum hier streitgegenständlichen Rechtsverhältnis dar. Ausweislich des Arztberichtes handele es sich um eine Erkrankung im Darmbereich. Zwar würden, so räumt die Arbeitnehmerin ein, die Sonografieablichtungen und deren Deckblätter zum Teil ihre Handschrift tragen. Sie habe diese Unterlagen aber nicht aus dem Haus der Arbeitgeberin entfernt, weder um diese für einen Fachkundenachweis der Ultraschalldiagnostik zu sammeln, da sie diese bereits seit Juni 2008 besitze, noch habe für sie die Möglichkeit bestanden, die Sonografieunterlagen und Bilder außerhalb ihres Arbeitsplatzes auszuwerten. Weitere Notizen aus dem Klinikalltag enthielten zwar ebenfalls die Handschrift der Arbeitnehmerin, seien aber nie zur Arbeitnehmerin nach Hause gelangt. Insbesondere der Ausdruck hinsichtlich eines Gedächtnisprotokolls zwischen der Arbeitnehmerin und ihrem Chefarzt vom 01.07.2009 sei von ihr weder ausgedruckt noch nach Hause mitgenommen worden. Dieses Protokoll sei bei der Arbeitgeberin zudem, wie die Arbeitnehmerin bereits im Jahr 2011 gerügt habe, wie weitere Gesprächsprotokolle im hausinternen Computernetzwerk zumindest für die Abteilungsmitarbeiter frei verfügbar gewesen. Die Patientenfotographien sowie OP-Kataloge habe die Arbeitnehmerin, so hat sie vorgetragen, der Arbeitgeberin für deren Auswertung erstellt und dort vorgelegt. Diese Unterlagen habe sie nicht mit nach Hause genommen. Die Unterlagen seien der Abteilungsspitze überlassen worden. Die Arbeitnehmerin mutmaßt, dass die Arbeitgeberin das Verfahren anstrenge, um sie aus dem Arbeitsverhältnis heraus zu drängen.

48

Der Betriebsrat rügt ebenfalls die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Er nimmt Bezug auf den Vortrag der Arbeitnehmerin und führt ergänzend aus, dass eine sachgerechte Auswertung und Bearbeitung der Sonografien nur in der Klinik möglich sei. Hierfür und für die Führung des Dienstkalenders habe während der Bereitschaftsdienste ausreichend Zeit bestanden. Zudem habe die Arbeitnehmerin die von ihr bearbeiteten Sonografiebilder nummeriert, während auf den aufgefundenen Unterlagen eine solche Nummer fehle. Es sei möglich, die Unterlagen aus der Akte jederzeit auch durch andere Berechtigte zu reproduzieren. Die Entsorgung geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen erfolge bei der Arbeitgeberin in Alutonnen, die sich in einem Containerraum befänden. Zuvor würden die zu entsorgenden Unterlagen in Kartons gesammelt und sodann täglich zur Aktenvernichtung in die Alutonne gebracht. Der Karton, in welchem auch entsprechende Fehlstücke entsorgt wurden, sei dabei für eine Vielzahl von Personen, u.a. auch für Patienten, zugänglich.

49

Mit Beschluss vom 16. November 2017 zum Aktenzeichen 2 BV 14/17 hat das Arbeitsgericht Schwerin den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses unter Ziffer II (Blatt 158 der Akte) verwiesen.

50

Die Arbeitgeberin hat gegen den der Antragstellerin am 21.12.2017 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichtes mit Schriftsatz vom 5. Januar 2018 durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt und die Beschwerde mit Schriftsatz vom 13. März 2018, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 15. März 2018, binnen der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet.

51

Die Beteiligte zu 1 und Arbeitgeberin trägt zur Begründung der Beschwerde vor:

52

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes lägen die Voraussetzungen des § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vor, da ein geeigneter wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB gegeben sei, der die Arbeitgeberin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zur Kündigung berechtige. Nicht nur eine erwiesene erhebliche Vertragspflichtverletzung, sondern auch schon der dringende Verdacht einer solchen berechtige die Arbeitgeberin zur Kündigung. Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien könne, so trägt die Arbeitgeberin in der Beschwerde vor, dem Arbeitsgericht Schwerin im Ergebnis nicht gefolgt werden. Anders als dieses annähme, bestehe ein hinreichender dringender Verdacht eines erheblichen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens der Arbeitnehmerin. Die Arbeitgeberin trägt in der Beschwerde weiter vor, das Ablegen von ärztlichen Unterlagen in einer für die Öffentlichkeit zugänglichen Mülltonne erfülle den Tatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen iSv § 203 StGB und stelle einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht dar. Zudem sei ein Verstoß gegen § 9 der Berufsordnung für Ärzte gegeben. Anders als das Arbeitsgericht annähme, gebe es hinreichende Indizien für den dringenden Verdacht derart, dass die Arbeitnehmerin die in ihrem Besitz befindlichen Patientenakten/Daten zusammen mit anderen Privatunterlagen in der blauen Tonne entsorgt habe. Maßgeblich sei dabei, dass der Arbeitgeberin zunächst am 14.06.2017 die Unterlagen durch die Zeugin E. übergeben worden seien und diese Unterlagen neben den bezeichneten Patientenaktenunterlagen auch weitere Unterlagen mit Bezug zum Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien enthielten, wie etwa das Gesprächsprotokoll zu einem Gespräch zwischen der Arbeitnehmerin und ihrem Chefarzt sowie Urlaubsanträge. Diese Unterlagen seien beide der Arbeitgeberin zuzuordnen, stammten allerdings aus völlig unterschiedlichen Quellen. Aus diesem Umstand der Quellenverschiedenheit und aus dem Umstand des Auffindeortes in der Papiertonne ließe sich, so meint die Arbeitgeberin, nur schlussfolgern, dass die Arbeitnehmerin die Unterlagen in einem Zug entsorgt habe. Eine fingierte Ablage durch einen imaginären Dritten sei ausgeschlossen, da sich aus der Tatsache, dass die Patientenunterlagen zusammen mit persönlichen Unterlagen der Arbeitnehmerin zu einem identischen Zeitpunkt in der betreffenden blauen Tonne befunden hätten, nur geschlossen werden könne, dass die Arbeitnehmerin die Unterlagen dort entsorgt habe. Es ließe sich nicht erklären, wie eine unbeteiligte dritte Person zum einen in den Besitz sowohl der Patientenunterlagen als auch der persönlichen Unterlagen der Arbeitnehmerin gekommen sein solle, wobei diese dritte Person die Unterlagen dann so abgelegt haben müsste, dass die Zeugin E. sie aufgefunden habe. Eine derartige fingierte Ablage sei auch deswegen noch unwahrscheinlicher, weil die Zeugin E. bei der Überlassung der Originalunterlagen über ihren Anwalt zeitgleich auch weitere, allein die Arbeitnehmerin betreffende, sensible Unterlagen übergeben habe. Hierdurch sei nahezu ausgeschlossen, dass eine dritte Person auf diese Gesamtheit der Unterlagen Zugriff habe. Die Arbeitgeberin trägt weiter in der Beschwerde vor, dass gerade dieser Umstand der von der Zeugin E. zeitgleich aufgefundenen Unterlagen mit sensiblen Inhalten der Arbeitnehmerin dafür spreche, dass die Arbeitnehmerin die Unterlagen zeitgleich entsorgt habe. Die einzige, der Lebenserfahrung entsprechende Erklärung für den Fund der Patientenunterlagen und der privaten Unterlagen der Arbeitnehmerin in der blauen Tonne sei, so meint die Arbeitgeberin, dass die Arbeitnehmerin selbst ihren heimischen Schreibtisch aufgeräumt und die entsprechenden Unterlagen ab dem Jahre 2008 entsorgt habe. Dieser Umstand der ungesicherten Entsorgung und die damit einher gehende Gefahr, dass der Inhalt besagter Unterlagen Dritten oder gar der Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt, sei dazu geeignet, nicht nur die Außenwirkung der Arbeitgeberin schwer zu beschädigen, sondern auch die Intimsphäre der betroffenen Patienten und damit deren informationelle Selbstbestimmung.

53

Die Arbeitgeberin trägt weiter vor, dass ausschließlich die Arbeitnehmerin verdächtig sei, besagte medizinische Unterlagen in der Altpapiertonne entsorgt zu haben. Alle anderen Alternativen bis ins Fiktionäre hinein wären nicht erklärbar. Es sei visionär, dass die Zeugin E. ein Eigeninteresse bei der Vorlage der Unterlagen verfolgt habe. Die Arbeitgeberin trägt weiter vor, dass die Arbeitnehmerin offenkundig auch eigene höchstpersönliche Unterlagen achtlos entsorgt habe, was dafür spreche, welchen Stellenwert die Arbeitnehmerin grundsätzlich höchstpersönlichen Informationen und Daten und deren Umgang verleihe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Arbeitgeberin wird auf die Beschwerdebegründung vom 13. März 2018 (Blatt 209 bis 218 der Akte) sowie den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 29. Juni 2018 (Blatt 250 bis 253 der Akte) verwiesen.

54

Die Beteiligte zu 1 und Arbeitgeberin beantragt,

55

den Beschluss des Arbeitsgerichtes Schwerin vom 16.11.2017, Aktenzeichen 2 BV 14/17, abzuändern und die von dem Beteiligten zu 2 verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3 gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

56

Der Beteiligte zu 2, der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3, die Arbeitnehmerin beantragen,

57

die Beschwerde zurückzuweisen.

58

Sie verteidigen den Beschluss des Arbeitsgerichtes und meinen, der vorgetragene Sachverhalt reiche nicht für den Ausspruch einer Verdachtskündigung aus.

59

Die Arbeitnehmerin führt aus, dass die Arbeitgeberin zum vorgeblichen Vertrauensverlust nicht vorgetragen habe. Sie habe es weiterhin unterlassen, Alternativen, die geeignet wären, die Indizien zu entkräften oder vollständig auszuschließen, aufzuklären. Insbesondere sei die Arbeitgeberin nicht der Möglichkeit nachgegangen, dass die Zeugin besondere Eigeninteressen daran habe, ein Druckmittel gegen die Arbeitgeberin in der Hand zu haben. Die Zeugin sei mit Sicherheit auch Patientin bei der Arbeitgeberin gewesen und habe daher die Möglichkeit zum Zugang zu klinikinternen Unterlagen gehabt. Es wäre so dann, so meint die Arbeitnehmerin, möglich gewesen abzuwarten, bis die Arbeitnehmerin private Unterlagen in der Altpapiertonne entsorgt, um diese sodann zu entnehmen. Die Arbeitnehmerin versichert, keine Klinikunterlagen in der Altpapiertonne abgelegt zu haben. Sie trägt weiter vor, dass die seitens der Zeugin E. am 18.07.2017 nachgereichten Originalunterlagen jedenfalls nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung gewesen seien. Jedenfalls habe die Arbeitgeberin von sich aus nichts zur Untersetzung des Anfangsverdachtes unternommen, um jeglichen Zweifel an einem alternativen Geschehensablauf auszuschließen. Die Arbeitnehmerin trägt vor, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Zeugin oder Dritte Unterlagen, Fehldrucke etc. aus der Klinik an sich genommen hatte, ihr bekannt gewesen sei, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft eine Beschäftigte der Arbeitgeberin lebt und diese eine Gelegenheit gesucht habe, entsprechendes Material aus der Altpapiertonne an sich zu nehmen, um hierbei bei passender Gelegenheit die Arbeitgeberin zu konfrontieren, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Hierfür spreche auch der Umstand, dass im Rahmen der in Kopie der der Arbeitgeberin übergebenen Unterlagen Post an eine Frau I. A.Z. vorgelegt worden sei. Hierfür spreche auch der Umstand, dass Unterlagen an einen Facharzt für innere Medizin der M. Krankenhaus am C. S. GmbH betreffend eine Darmuntersuchung bei diesen Unterlagen zu finden gewesen seien.

60

Der Betriebsrat und Beteiligte zu 2 führt aus, dass insbesondere der Umstand, dass die Unterlagen 1 ½ Jahre nach deren vermeintlichen Auffinden eingereicht worden seien, als wesentliches Indiz dafür anzusehen sei, dass die Zeugin Eigeninteressen verfolge. Die Sonografieunterlagen seien von der Arbeitnehmerin zudem durchnummeriert worden, was bei den nunmehr von der Arbeitgeberin vorgelegten Unterlagen nicht der Fall gewesen sei.

61

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten zu 2. und 3 wird auf deren Schriftsätze vom 27.03.2018 (Blatt 229 bis 233 der Akte) sowie vom 13.04.2018 (Blatt 234 bis 236 der Akte) verwiesen.

62

Ergänzend wird auf das erstinstanzliche Vorbringen der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften, insbesondere auch zur Anhörung vor der Beschwerdekammer verwiesen und Bezug genommen.

II.

1.

63

Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1 ist gemäß § 87 Abs. 1 und 2

64

ArbGG statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2.

65

Die Beschwerde ist aber unbegründet.

66

Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag der Beteiligten zu 1 abgewiesen. Der Antrag ist zwar zulässig (A). Er ist jedoch unbegründet (B).

A.

67

Der Antrag der Beteiligten zu 1 und Arbeitgeberin ist zulässig. Die Beteiligte zu 1 ist Arbeitgeberin der Beteiligten zu 3 und begehrt die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. Dieser Antrag ist nach § 103 BetrVG als im Gesetz zugelassener Antrag zulässig.

B.

68

Der Antrag der Beteiligten zu 1 und Arbeitgeberin ist jedoch unbegründet.

69

Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3 und Arbeitnehmerin nicht ersetzt. Insbesondere nach ausführlicher Anhörung der Parteien vor der Beschwerdekammer ist diese der Auffassung, dass der Betriebsrat und Beteiligte zu 2 die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Arbeitnehmerin zurecht verweigert hat, da hierfür kein wichtiger Grund iSd § 626 Abs. 1 BGB besteht.

70

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates der Zustimmung des Betriebsrates. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann nach § 103 Abs. 2 BetrVG das Arbeitsgericht die Zustimmung auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gem. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist. Gegenüber der Beteiligten zu 3 und Arbeitnehmerin kam nur die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung in Betracht, da sie als Betriebsratsmitglied besonderen Kündigungsschutz gem. § 15 KSchG genießt.

71

a. Dabei ist zu beachten, dass sich der wichtige Grund, der dem Arbeitgeber iSv

72

§ 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, aus dem Arbeitsverhältnis ergeben muss. Deshalb ist bei der Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes stets danach zu unterscheiden, ob die Verpflichtung aus dem Amts- oder aus dem Arbeitsverhältnis verletzt wurde oder ob beide Bereiche betroffen sind. Liegt eine rein arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, kann gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist. Wird einem Betriebsratsmitglied dagegen lediglich die Verletzung einer Amtspflicht vorgeworfen, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich. Sofern eine Handlung gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd § 626 Abs. 1 BGB zwar vorliegen, mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabes das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist (BAG, Beschluss vom 23.10.2008, 2 ABR 59/07, Rn. 19).

73

b. Vorliegend verdächtigt die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin Patientenunterlagen unter Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht und Datenschutzvorgaben in einer öffentlichen Papiertonne entsorgt zu haben. Hierbei handelt es sich um die Verletzung arbeitsvertraglicher (Neben) Pflichten, so dass die beabsichtigte außerordentliche Kündigung anhand der Maßstäbe des § 626 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist.

2.

74

Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd § 626 Abs. 1 BGB kommt es darauf an, ob Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Es müssen objektiv vorliegende Tatsachen gegeben sein, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen und das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes zu belasten. Es kommt nicht auf das Motiv des Kündigenden oder seinen Kenntnisstand an. Vielmehr müssen Umstände gegeben sein, die nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als nicht zumutbar erscheinen lassen.

75

a. Eine verhaltensbedingte, außerordentliche Kündigung setzt ein vertragswidriges Verhalten des Gekündigten voraus. Die Vertragspflichtverletzung muss rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein, wobei Fahrlässigkeit ausreicht. Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich wegen eines gleichartigen oder vergleichbaren Verhaltens abgemahnt haben. Dieses ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar war und bei der eine Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen ist oder wenn eine Vertragspflichtverletzung hartnäckig und uneinsichtig begangen wird, und mit einer vertrags- und gesetzmäßigen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zu rechnen ist. Dies gilt sowohl für Vertragspflichtverletzungen im Leistungsbereich als auch im Vertrauensbereich. Dabei ist anerkannt, dass strafbare Handlungen zu Lasten des Arbeitgebers ebenso wie grobe Vertrauensverstöße an sich geeignet sind, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

76

In diesem Sinne ist – hierin ist dem Arbeitsgericht zuzustimmen – der Umstand, dass ein Arbeitnehmer vertrauliche Patientenunterlagen in einer öffentlich zugänglichen Papiertonne entsorgt, grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer entsprechend – etwa mittels einer Betriebsvereinbarung – im Hinblick auf die Vertraulichkeit der Unterlagen und deren Umgang unterwiesen wurde. Maßgeblich ist in diesem Sinne vordringlich die Erschütterung des Vertrauens des Arbeitgebers in die Integrität des Arbeitnehmers und dessen ordnungsgemäßen Umgang mit vertraulichen Informationen. In diesem Sinne ist allerdings – anders als die Arbeitgeberin – die Beschwerdekammer nicht der Ansicht, dass aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmerin vertrauliche Informationen aus den an sie gerichteten Schreiben in der zu ihrer Wohnung gehörenden gemeinschaftlichen Papiersammeltonne entsorgte kein Umstand, der geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers die Integrität des Arbeitnehmers zu erschüttern. Papiersammeltonnen dienen der Sammlung und der Entsorgung von Altpapier aus dem privaten Umfeld. Wie die von der Arbeitgeberin vorgelegten Unterlagen belegen, mögen hierzu auch Werbeanschreiben, Anschreiben von Versicherungen mit Rückantworten etc. zählen. Eine allgemeine oder besondere Pflicht, derartige Unterlagen vor Entsorgung unkenntlich zu machen, besteht nicht. Insbesondere, da das Durchsuchen von Altpapier durch Dritte wohl nicht als Regel, sondern eher als seltene Ausnahme anzusehen ist.

77

b. Hierauf kommt es entscheidungserheblich jedoch nicht an, da nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. hierzu etwa BAG, Urteil vom 10. Juni 2010, 2 AZR 541/09, Rn. 16) auch in diesem Bereich keine absoluten Kündigungsgründe bestehen. Stets ist daher konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.

78

c. Für eine Verdachtskündigung gelten dabei folgende weitere Grundsätze:

79

aa. Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung des Arbeitnehmers, sondern auch der schwerwiegende Verdacht, der Arbeitnehmer habe eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 26. März 1992, 2 AZR 519/91 Rn. 32).

80

bb. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn im Zeitpunkt der Kündigung starke Verdachtsmomente vorliegen, die sich auf objektive Tatsachen gründen, wenn diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAG, Urteil vom 18. November 1999, 2 AZR 743/98 Rn. 14). Dabei sind an die Darlegung und die Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass „ein Unschuldiger“ betroffen ist (BAG, Urteil vom 29. Juli 2007, 2 AZR 724/06 Rn. 30). Der Verdacht muss dringend sein, d.h. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung (Tat) gerade dieses Arbeitnehmers bestehen.

81

3. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze stellt sich auch für die Beschwerdekammer die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Beteiligten zu 3 und Arbeitnehmerin als nicht gerechtfertigt dar. Ein dringender Verdacht, dass die Arbeitnehmerin die in Rede stehenden Unterlagen in der zu ihrer Wohnanschrift gehörenden blauen Papiersammeltonne abgelegt hat, ist – hierin ist dem Arbeitsgericht zuzustimmen – von der Arbeitgeberin nicht hinreichend dargelegt worden. Die seitens der Arbeitgeberin vorgetragenen Indizien genügen aus Sicht der Beschwerdekammer, selbst wenn man unterstellte, dass die Zeugin Patientenunterlagen in der Papierabfallsammeltonne „gemeinsam“ mit Unterlagen, welche die Arbeitnehmerin betreffen, aufgefunden hat, nicht, um annehmen zu können, dass eine große, überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung der Arbeitnehmerin besteht.

82

Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Erhellung des Sachverhaltes unternehmen. Nach der Anhörung verbleibende Zweifel sind vom Arbeitgeber im Rahmen seiner Aufklärungspflicht ggf. unter Befragung der Personen, die an dem als Anlass der Kündigung genommenen Vorgang beteiligt waren oder Kenntnis über diesen haben, soweit wie möglich zu verifizieren.

83

Insofern stützt sich – hierin ist der Arbeitgeberin noch beizupflichten – die Verdachtskündigung als solche auf Indizien, nämlich dem Umstand, dass auf Basis der Angaben der Zeugin diese Patientenunterlagen, die der Arbeitnehmerin und Arbeitgeberin zugeordnet werden können, zusammen mit Unterlagen, die das Arbeitsverhältnis betreffen und Unterlagen, die die Arbeitnehmerin betreffen, in der Papiertonne der Arbeitnehmerin aufgefunden hat.

84

Selbst wenn man insoweit unterstellte, dass die von der Zeugin der Arbeitgeberin vorgelegten Unterlagen (Blatt 17 – 55 der Akte bzw. Blatt 124 bis 133 der Akte) in der Papiertonne an einem Tag aufgefunden hätte, stellte dies zwar ein die Arbeitnehmerin belastendes Indiz dann dar, wenn die Unterlagen – was ebenfalls unterstellt werden müsste – tatsächlich „in einem Schwung“, also auch in räumlicher Nähe, aufgefunden wurden. Dies allein genügt aus Sicht der Beschwerdekammer aber nicht, um einen dringenden, nur knapp hinter dem Grad der Gewissheit zurückbleibenden Verdacht anzunehmen, dass gerade die Klägerin diese Patientenunterlagen in der Papiertonne ablegte.

85

Es bestehen insoweit aus Sicht der Beschwerdekammer erhebliche, die Arbeitnehmerin entlastende Umstände, die die Arbeitgeberin – trotz des Bestreitens der Arbeitnehmerin - nicht hinreichend gewürdigt, untersucht und in die Erwägungen einbezogen hat.

86

a. So stellt sich der Umstand, dass sich bei diesen vorgeblich im Zusammenhang aufgefundenen Unterlagen auch Unterlagen einer Frau I. A.-Z. befinden, obschon mit dieser keinerlei direkte Verbindung besteht und Frau A.-Z. Mitarbeiterin in einer allenfalls dem Konzern der Arbeitgeberin zuzuordnenden Unternehmen ist, als entlastendes Indiz dar. Selbst wenn man also unterstellt, dass sich unmittelbar bei den Patientenunterlagen auch persönliche Unterlagen der Arbeitnehmerin befunden hatten, lässt sich das Vorhandensein von Unterlagen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Rechtsverhältnis stehen, nicht hiermit erklären. Dabei geht die Beschwerdekammer davon aus, dass die Ausführungen der Arbeitnehmerin, die Zeugin habe sämtliche vorgelegte Unterlagen „in einem Schwung“ aufgefunden, zutrifft. Wenn dies der Fall ist, lässt sich das Vorhandensein von Unterlagen Dritter in diesem „Schwung“ nicht erklären und stellt daher ein entlastendes Indiz dar.

87

b. Auch der Umstand, dass die tabellarische Aufstellung der Einsätze des IDKO des BKA bei Schadenslagen sich bei diesen Unterlagen befunden hat, lässt sich nicht erklären. Auch dieser Umstand stellt ein gewichtiges Indiz dar, welches die Arbeitnehmerin entlastet. Gleiches gilt für den Arztbrief der Gemeinschaftspraxis für Pathologie an den Chefarzt der M. Krankenhaus am C. S. GmbH (Blatt 28, 29 der Akte), der offensichtlich nicht das Fachgebiet der Arbeitnehmerin betrifft. All diese Unterlagen, die Dritte betreffen und die entsprechend der Behauptung der Arbeitgeberin in „einem Zuge“ von der Zeugin aufgefunden wurden, stehen in keinem Zusammenhang mit dem hier gegen die Arbeitnehmerin angeführten Verdacht. Ihr Vorhandensein im Konvolut der aufgefundenen Unterlagen entlastet die Arbeitnehmerin.

88

c. Als weiteres entlastendes Indiz stellt sich weiterhin dar, dass sich auch bei den nachgereichten, nur der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Originalunterlagen (Ablichtungen Blatt 125 der Akte) Schreiben, welche an Frau A.-Z. gerichtet sind, finden. Auch hier besteht kein Zusammenhang zum hier gegenständlichen Arbeitsverhältnis.

89

d. Aus Sicht der Beschwerdekammer ist als ebenfalls entlastendes Indiz der Umstand anzusehen, dass die Zeugin unstreitig 1 ½ Jahr zuwartete, bis sie die Unterlagen bei der Arbeitgeberin einreichte. Dieses Zuwarten scheint objektiv nicht gerechtfertigt und hätte – was teilweise bei der Arbeitgeberin wohl auch geschehen ist – zumindest zu objektiven weiteren Ermittlungen im Hinblick auf Umstände, welche die Arbeitnehmerin entlasten - führen müssen. Zu einem Motiv, weshalb die Zeugin derart lange wartete, trug die Arbeitgeberin trotz des entsprechenden Einwandes der Arbeitnehmerin und des Betriebsrates und trotz deren Mutmaßungen nicht vor. In diesem Zusammenhang erscheint auch der Umstand, dass die zunächst von der Arbeitgeberin zugrunde gelegten Unterlagen und den schließlich von der Zeugin eingereichten Originalunterlagen differieren als ein die Arbeitnehmerin entlastendes Indiz. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Arbeitgeberin auf die Vertraulichkeit der persönlich die Arbeitnehmerin betreffenden Unterlagen, wie Freistellungsaufträge etc., stützt, die den ursprünglichen Unterlagen nicht beigefügt waren. Hierin ist aus Sicht der Beschwerdekammer keine objektive, auch entlastende Umstände zutage fördernde Behandlung der Angelegenheit durch die Arbeitgeberin zu sehen. Bereits der unstreitige, erhebliche Zeitraum zwischen der behaupteten Pflichtverletzung durch das Ablegen der Unterlagen und der Übergabe der Unterlagen an die Arbeitgeberin hätte die Arbeitgeberin veranlassen müssen, unverzüglich auch die die Arbeitnehmerin entlastenden Indizien kritisch, auch durch Nachfragen bei der Zeugin im Hinblick auf deren Motive zu überprüfen. Jedenfalls führt der zwischen der vorgeblichen „Tat“ und der Übergabe der Unterlagen an die Arbeitgeberin liegende Zeitraum von mehr als 18 Monaten dazu, dass etwaige, die Arbeitnehmerin entlastende Umstände allein schon aufgrund dieses Zeitablaufs nicht mehr ermittelt werden können. Dieses Risiko geht jedoch zu Lasten der Arbeitgeberin, die hinsichtlich der Dringlichkeit des Tatverdachtes die Darlegungslast trägt.

90

e. Als weiteres entlastendes Indiz ist der Umstand anzunehmen, dass die Arbeitgeberin – wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat – nicht hinreichend dargelegt hat, aufgrund welcher Tatsachen und Umstände mit einer nur geringfügig hinter dem Grad der Gewissheit zurückbleibenden großen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund der von der Arbeitgeberin getroffenen betriebsinternen Vorkehrungen niemand anderes als die Beteiligte zu 3, die Arbeitnehmerin, Zugriff auf die in Rede stehenden Unterlagen gehabt haben kann und woraus sich die Verwahrungssicherung von zu entsorgenden Unterlagen gegen fremden Zugriff ergeben haben sollte.

91

Sämtliche, in Ablichtung zur Akte gelangte Patientenunterlagen enthalten beispielsweise auf dem dafür vorgegebenen Feld keine „Patientenaufkleber“. Zum Teil sind die Unterlagen auch nicht ausgefüllt und auch nicht handschriftlich bezeichnet. Offenkundig handelt es sich zum Teil um Doppelexemplare oder Fehlausdrucke bzw. gegebenenfalls auch Entwürfe. Insoweit verwies der Betriebsrat bereits in der ersten Instanz aus Sicht der Beschwerdekammer zu Recht darauf, dass Unterlagen zum Teil zum Zwecke der Entsorgung in frei zugänglichen Kartons „zwischengelagert“ worden seien, weshalb von einer Beschränkung der Zugriffsmöglichkeit auf die Arbeitnehmerin selbst nicht ausgegangen werden kann.

92

Die Antragstellerin und Arbeitgeberin hat auch nicht dargelegt, dass die Patientenakten der namentlich oder mit Patientennummer versehenen Patienten in Folge der der Arbeitnehmerin vorgehaltenen Handlung nunmehr bei der Arbeitgeberin unvollständig gewesen seien, dass es sich also bei den in der Papiertonne vorgefundenen Unterlagen um „Originale“ der Patientenakten handelte, die nunmehr bei der Beklagten nicht mehr vorhanden sind. Die Arbeitgeberin hat aus Sicht der Beschwerdekammer insoweit nicht ansatzweise vorgetragen, dass lediglich und ausschließlich die Arbeitnehmerin Zugriff in der Form auf die Patientenakten hatte, dass also ausschließlich sie etwa Ultraschallbilder, aber auch Gesprächsvermerke etc. hätte ausdrucken konnte. Die Beschwerdekammer ist daher nicht in der Lage, anzunehmen, dass die Arbeitnehmerin mit einer nur geringfügig hinter dem Grad der Gewissheit zurückbleibenden großen Wahrscheinlichkeit die Patientenunterlagen in der Papiertonne „entsorgt“ hat.

93

f. Als weiteres entlastendes Indiz ist ebenfalls der Umstand zu würdigen, dass offenbar bei der Arbeitgeberin Gesprächsprotokolle zu internen Mitarbeiterbesprechungen, wie die Arbeitnehmerin unwidersprochen dargelegt hat, zum Teil zumindest betriebsintern für einen größeren Mitarbeiterkreis zur Verfügung standen. Der Umstand, dass sich bei den aufgefundenen Unterlagen auch ein Gesprächs- und Gedächtnisprotokoll als Ausdruck befand, mag als Indiz dafür zu werten sein, dass offenkundig Einfluss auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Beteiligten zu 1 und 3 genommen werden sollte. Anhaltspunkte für eine „Täterschaft“ der Arbeitnehmerin lassen sich hieraus jedoch nicht gewinnen.

94

Selbst wenn man aus Sicht der Beschwerdekammer unterstellte, dass die Zeugin zu einem Zeitpunkt Ende des Jahres 2015 die Unterlagen gesammelt in der Papiertonne des Mehrfamilienhauses aufgefunden hätte, gibt es erhebliche Indizien, die gegen einen unmittelbaren Zusammenhang der Unterlagen, wie von der Antragstellerin behauptet wird, und damit gegen eine Täterschaft der Arbeitnehmerin sprechen. Festzuhalten ist in diesem Sinne, dass die Arbeitgeberin sowohl zur Verwahrungssicherheit der Patientendaten einerseits, als auch zum Ausschluss der Ablegung oder vermeintlichen Ablegung der Patientenunterlagen in der öffentlichen Tonne durch Dritte nicht hinreichend die Arbeitnehmerin entlastende Ermittlungen durchgeführt hat.

95

Aus Sicht der Kammer erschöpft sich der Vortrag der Arbeitgeberin in der Darstellung einer Möglichkeit für die Klägerin, Patientenunterlagen gemeinsam mit eigenen Unterlagen in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Papiertonne entsorgen zu können und in der Mutmaßung, die Klägerin habe ihren häuslichen Schreibtisch aufgeräumt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass gerade und ausschließlich die Arbeitnehmerin die Unterlagen in die Papiertonne einlegte, sind nicht ersichtlich. Alleine die Möglichkeit, entsprechende Unterlagen zu Hause zu entsorgen, genügt für eine Täterschaft nicht, zumal auch weitere Mitarbeiter, die offenkundig Zugriff auf die Patientenakten haben oder auch sämtliche Anwesende, die auf die zur Zwischenlagerung bereit gestellten Kartons Zugriff haben, potentiell als „Täter“ in Betracht kämen.

96

Der Arbeitnehmerin ist es insbesondere nicht möglich, zu dem mehr als 1 ½ Jahre zurückliegenden Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Sie hat aber erhebliche Indizien vorgetragen, zu denen auch die Durchnummerierung der Sonografieunterlagen zählt, die ihre Täterschaft wenn nicht als unwahrscheinlich, dann doch zumindest als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen. Die von Antragstellerin und Arbeitgeberin vorgetragenen Indizien allein vermögen eine Verdachtskündigung damit aus Sicht der Beschwerdekammer nicht zu rechtfertigen.

97

4. Kann damit schon aus den angeführten Gründen nicht von einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin iSv § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen werden, kommt es nicht darauf an, ob die Arbeitgeberin in Bezug auf etwaig nachgeschobene Kündigungsgründe im Hinblick auf die nachgereichten Unterlagen erneut eine Zustimmung des Betriebsrates entsprechend § 103 Abs. 1 BetrVG einholen musste, oder ob es auch ausreichte, diesen nach § 102 BetrVG über den maßgeblichen Sachverhalt zu unterrichten.

98

Es kann in diesem Zusammenhang auch dahin stehen, ob es einer erneuten Anhörung der Arbeitnehmerin bedurfte.

99

Nach alledem ist in Gesamtabwägung durch die Beschwerdekammer festzuhalten, dass die Beteiligte zu 3 belastenden Indizien nicht ausreichen, um eine außerordentliche Verdachtskündigung zu rechtfertigen und die verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zu ersetzen.

100

Die Beschwerde ist mithin zurückzuweisen.

III.

101

Das Verfahren ergeht gerichtskostenfrei.

102

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung steht in Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte. Sie hat keine über den Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18

Referenzen - Gesetze

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18 zitiert 9 §§.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 102 Mitbestimmung bei Kündigungen


(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. (2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kün

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 15 Unzulässigkeit der Kündigung


(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Gr

Strafgesetzbuch - StGB | § 203 Verletzung von Privatgeheimnissen


(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilbe

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen


(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. (2) Verwe

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 23 Verletzung gesetzlicher Pflichten


(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 TaBV 1/18 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

bei uns veröffentlicht am 10.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

Referenzen

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

1.
Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2.
Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung,
3.
Rechtsanwalt, Kammerrechtsbeistand, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten,
3a.
Organ oder Mitglied eines Organs einer Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder einer Berufsausübungsgesellschaft von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten, einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechtsanwälten oder europäischen niedergelassenen Rechtsanwälten oder einer Berufsausübungsgesellschaft von Patentanwälten oder niedergelassenen europäischen Patentanwälten im Zusammenhang mit der Beratung und Vertretung der Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Berufsausübungsgesellschaft im Bereich der Wirtschaftsprüfung, Buchprüfung oder Hilfeleistung in Steuersachen oder ihrer rechtsanwaltlichen oder patentanwaltlichen Tätigkeit,
4.
Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
5.
Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
6.
staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder
7.
Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

1.
Amtsträger oder Europäischer Amtsträger,
2.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten,
3.
Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt,
4.
Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates,
5.
öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder
6.
Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist,
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt.

(2a) (weggefallen)

(3) Kein Offenbaren im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen Geheimnisse den bei ihnen berufsmäßig tätigen Gehilfen oder den bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen zugänglich machen. Die in den Absätzen 1 und 2 Genannten dürfen fremde Geheimnisse gegenüber sonstigen Personen offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist; das Gleiche gilt für sonstige mitwirkende Personen, wenn diese sich weiterer Personen bedienen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der in den Absätzen 1 und 2 Genannten mitwirken.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm bei der Ausübung oder bei Gelegenheit seiner Tätigkeit als mitwirkende Person oder als bei den in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen tätiger Datenschutzbeauftragter bekannt geworden ist. Ebenso wird bestraft, wer

1.
als in den Absätzen 1 und 2 genannte Person nicht dafür Sorge getragen hat, dass eine sonstige mitwirkende Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind,
2.
als im Absatz 3 genannte mitwirkende Person sich einer weiteren mitwirkenden Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, bedient und nicht dafür Sorge getragen hat, dass diese zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind, oder
3.
nach dem Tod der nach Satz 1 oder nach den Absätzen 1 oder 2 verpflichteten Person ein fremdes Geheimnis unbefugt offenbart, das er von dem Verstorbenen erfahren oder aus dessen Nachlass erlangt hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.

(6) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.