Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 01. Sept. 2016 - 8 Sa 129/16
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 17.12.2015 - 1 Ca 927/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten im Anwendungsbereich kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien über die normgerechte Eingruppierung des Klägers.
3Der am 6. Februar 1963 geborene Kläger ist seit dem 15. Oktober 2007 bei der Beklagten als Sozialarbeiter beschäftigt. Nach § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 6. November 2007 (Bl. 6/7 d. A.), auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR DW-EKD) in der jeweils gültigen Fassung. Das Arbeitsverhältnis wurde zwischenzeitlich entfristet. Die Parteien haben zudem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wiederholt einvernehmlich abgeändert. Zuletzt – zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Berufskammer – betrug diese 19,5 Wochenstunden. Der Kläger erhält seit der Einstellung – bei im Vertrag angesprochener Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 der Anlage 1 AVR – Vergütung nach eben dieser Entgeltgruppe.
4Die Haupttätigkeit des Klägers besteht in der Übernahme und Ausübung rechtlicher Betreuungen nach §§ 1896 ff BGB, wobei er vom Betreuungsgericht insoweit stets persönlich – als natürliche Person – zum Betreuer bestellt wird. Diese Tätigkeit übt der Kläger im Einvernehmen mit der Beklagten in Anbindung an den Betreuungsverein A e.V. aus, der insoweit über keine eigenen Beschäftigten verfügt. Die Anzahl der dem Kläger übertragenen Betreuungen ist schwankend, im September 2016 war er in zwanzig Fällen zum Betreuer bestellt. Für die Wahrnehmung der Betreuungsaufgaben einschließlich der damit zusammenhängenden Angelegenheiten der Verfahrenspflege (u. a. Akteneinsicht beim Betreuungsgericht, Berichtswesen, Terminplanung, Anhörungen) und der Verwaltungsarbeiten (Erfassung des jeweiligen Zeitaufwands, Fahrtenbuchführung) wendet der Kläger rund 80% seiner Gesamtarbeitszeit auf. Im Übrigen ist er mit sogenannten Querschnittsaufgaben befasst, die u. a. die telefonische oder persönliche Beratung ehrenamtlicher Betreuer und von Vollmachtsinhabern, die Mitarbeit in Arbeitskreisen und die Vortragstätigkeiten für den Betreuungsverein umfassen. Hinsichtlich der Einzelheiten insoweit wird auf die Darstellung des Klägers in der Klageschrift Bezug genommen.
5Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 (Bl. 8 d. A.) forderte der Kläger die Beklagte erstmals auf, ihn rückwirkend zum 1. Januar 2014 in die Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD einzugruppieren und entsprechend zu vergüten. Nach weiterer Korrespondenz und wiederholter Ablehnung des Höhergruppierungsbegehrens durch die Beklagte verfolgt der Kläger mit seiner am 16. Juli 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage das nunmehr Begehren auf dem Rechtsweg weiter.
6Zur Begründung hat der Kläger erstinstanzlich vorgetragen, dass er mit seiner Tätigkeit die Eingruppierungsvoraussetzungen der Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD insoweit erfülle, als er schwierige Aufgaben im Tätigkeitsbereich Betreuung verantwortlich wahrzunehmen habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten gebe es die klassische „Normaltätigkeit“ eines Sozialarbeiters nicht, sondern verschiedene Tätigkeiten und Verantwortungen. Im Rahmen seiner Betreuertätigkeit habe er regelmäßig abzuwägen, ob auch freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr und Krisenintervention in Frage kommen und eine geschlossene Unterbringung zur Eigensicherung des Betreuten zu veranlassen sei. Für solche – vom Betreuungsgericht zu genehmigenden – Maßnahmen trage er, über die Ausübung oder Nichtausübung der Initiative gemäß eigener Einschätzung, die Verantwortung. Im Übrigen verbleibe kein Anwendungsbereich für die Merkmale der Entgeltgruppe 10, wenn die Betreuertätigkeit eines Sozialarbeiters immer von der Entgeltgruppe 9 erfasst sei.
7Hinsichtlich der Erfüllung des Heraushebungsmerkmals „schwierige Aufgaben“ sei exemplarisch auf die Verlaufsbögen der Betreuten P und L (Bl. 25 ff d. A.) zu verweisen, auf die er insoweit ausdrücklich Bezug nehme.
8Der Kläger hat beantragt,
9festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2014 an nach der Entgeltgruppe 10 der Tarifverträge AVR-Diakonie zu vergüten.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass sie den Kläger zutreffend in die Entgeltgruppe 9 eingruppiert habe. Dort sei als Richtbeispiel die Tätigkeit des Sozialarbeiters aufgeführt. Als Betreuer übe der Kläger eben eine solche klassische Sozialarbeitertätigkeit aus, welche anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzte und die verantwortliche Wahrnehmung entsprechender Aufgaben im Sinne der Merkmale der Entgeltgruppe 9 AVR DW-EKD einschließe. Der Kläger habe demgegenüber nicht hinreichend dargelegt, dass er herausgehoben schwierige Aufgaben im Sinne der Entgeltgruppe 10 ausführe. Die Tätigkeit eines Betreuers gehöre vielmehr zum normalen Tätigkeitsbild des Sozialarbeiters.
13Mit Urteil vom 17. Dezember 2015 – 1 Ca 927/15 – hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Siegen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich die gesamte Tätigkeit im Aufgabenfeld des Betreuers als einheitlicher Arbeitsvorgang darstelle, der in sich nicht weiter aufgespalten werden könne. Dieser stelle hier die ganz überwiegend ausgeübte Tätigkeit des Klägers dar. Der insoweit darlegungspflichtige Kläger habe nicht hinreichend herauszustellen vermocht, dass sich seine Tätigkeit als Betreuer durch schwierige Aufgaben im Sinne der Entgeltgruppe 10 von den Merkmalen der innegehabten Entgeltgruppe 9 AVR DW-EKD heraushebe. Nach der Anlage 1 AVR Anmerkung 14 zu den Entgeltgruppen seien insoweit fachliche, organisatorische, rechtliche oder technische Besonderheiten erforderlich, die vertiefte Überlegungen und besondere Sorgfalt erforderten. Die Tätigkeit des Betreuers sei jedoch von typisch fürsorgerischen Aufgaben bestimmt und diene der Unterstützung bei der Lebensbewältigung innerhalb eines vom Gericht bestimmten Aufgabenkreises. Die Tätigkeit als Betreuer stelle sich danach als typische Normaltätigkeit im Aufgabenfeld eines Sozialpädagogen oder Sozialarbeiters dar.
14Es sei vorliegend nicht ersichtlich, dass besondere, eine Heraushebung nach der Anmerkung 14 begründende Umstände hinzuträten. Über die Anordnung der Betreuung selbst wie über deren Reichweite entscheide das Betreuungsgericht in eigener Verantwortung. Bei besonders weitreichenden Entscheidungen des Betreuers greife der Genehmigungsvorbehalt des Betreuungsgerichts. Relevante eigene Entscheidungen über freiheitsbeschränkende Maßnahmen habe der Kläger nicht zu treffen, insoweit greife der Richtervorbehalt. Eine Notwendigkeit vertiefter Kenntnisse sei nicht ersichtlich.
15Gegen dieses ihm am 7. Januar 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Februar 2016 Berufung eingelegt, die er – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. April 2016 – mit Schriftsatz vom 6. April 2016, der am 7. April 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, unter Bezugnahme auf sowie Vertiefung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens begründet. Aus dem Urteil sei zunächst nicht klar ersichtlich, welche Fassung der Anlage 1 AVR DW-EKD die Kammer der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegt habe. Stelle man auf den Eingruppierungskatalog in der am 1. Januar 2014 geltenden Fassung ab, so sei der Ansatz des Arbeitsgericht, zwischen einer einfachen Tätigkeit als Betreuer und einer insoweit schwierigen Tätigkeit zu differenzieren, nicht überzeugend. Denn nach dem Richtbeispiel der Entgeltgruppe 10 „Sozialarbeiter mit fachlich schwierigen Aufgaben“, auf welches das Höhergruppierungsbegehren gestützt werden könne, sei als Bezugsobjekt nicht die „einfache“ Betreuertätigkeit des Sozialarbeiters, sondern die Tätigkeit eines Sozialarbeiters als solche angesprochen. Aus eben dieser hebe sich die Tätigkeit eines Betreuers insoweit heraus, als diese weitergehende, durch das Studium nicht vermittelte Kenntnisse erfordere und von massiven Problemlagen wirtschaftlicher, gesundheitlicher oder sozialer Art geprägt sei, die es für und mit dem Betreuten zu bewältigen gelte. Die Tätigkeit des Betreuers sei durch schwierige Entscheidungssituationen gekennzeichnet. Dabei stünden sich Werte wie Autonomie und Fürsorge, Wille und Wohl, Freiheit und Schutz gegenüber, die es abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen gelte. Insoweit seien Anspruch und Verantwortung nicht durch gerichtliche Genehmigungsvorbehalte eingeschränkt, denn das Betreuungsgericht befinde letztlich nur über Maßnahmen, die der Betreuer initiiert und verantwortet habe. Die Betreuung sei folglich schon aus sich heraus keine „Normaltätigkeit“ des Sozialarbeiters.
16Diese sei – in Abhängigkeit von der gerichtlichen Bestimmung – umfassend bis allumfassend angelegt und nicht – wie z. B. die Bewährungshilfe oder die Tätigkeit im Rahmen von Beratungsangeboten – auf einzelne Themenfelder beschränkt. Zur sachgerechten Aufgabenerfüllung sei eine besondere Bandbreite an Wissen erforderlich. Hervorzuheben sei auch die wirtschaftliche Bedeutung für den Betreuten. Der Betreuer liefere quasi wie ein Generalunternehmer umfassende Lebenshilfe aus einer Hand, was – z. B. im Verhältnis zu Leistungsträgern – mit weitreichenden Koordinierungsaufgaben verbunden sei. Hinsichtlich der besonderen Anforderungen seiner konkreten Tätigkeit sei insoweit exemplarisch auf fünf Betreuungsfälle mit jeweils besonderer Problemlage zu verweisen, wobei wegen der Einzelheiten insoweit auf die nähere Darstellung des Klägers in der Berufungsbegründungsschrift Bezug genommen wird.
17Der Kläger beantragt,
18das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 17. Dezember 2015 – 1 Ca 927/15 – abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn ab dem 1. Januar 2014 nach der Entgeltgruppe 10 der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonisches Werkes Deutschland zu vergüten.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Tätigkeit des Betreuers sei – wie in obergerichtlicher Rechtsprechung wiederholt anerkannt – typische Normaltätigkeit eines Sozialarbeiters. Dem Ansatz des Klägers, die Tätigkeit des Sozialarbeiters als Betreuer sei per se von schwierigen Aufgaben gekennzeichnet, könne danach nicht gefolgt werden. Zur Übernahme einer Betreuung seien – was unstreitig ist – weitergehende besondere berufliche Qualifikationen nicht erforderlich. Betreuung sei aktive Hilfestellung bei der individuellen Lebensbewältigung und nicht dadurch gekennzeichnet, permanent schwerste Eingriffe in die Lebensführung der Betreuten zu verantworten.
22Selbige lägen, soweit sie zu treffen seien, vielmehr in der Verantwortung des Betreuungsgerichts. Die vom Kläger – bezogen auf sein konkretes Tätigkeitsfeld – in der Berufungsbegründung angesprochenen vermeintlich schwierigen Fälle seien willkürlich gegriffen und, was unstreitig ist, in drei Fällen bereits Mitte 2012 bis Anfang 2013 und in einem weiteren Fall im April 2016 wieder abgegeben worden. Das vom Kläger bemühte Richtbeispiel der Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD (Altfassung) sei danach ebenso wenig erfüllt, wie deren allgemeine Merkmale.
23Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird ergänzend auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer war, Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Das zulässige Rechtsmittel des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
26I.
27Die gem. § 64 Abs. 1 u. 2b ArbGG vorliegend statthafte Berufung ist zulässig. Der Kläger hat das Rechtsmittel insbesondere nach § 66 Abs. 1 S. 1 u. 2 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
28II.
29Die Berufung ist unbegründet.
30- 31
1. Der mit dem Rechtsmittel weiter verfolgte Feststellungsantrag (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist zulässig. Es handelt sich insoweit um einen auf Feststellung der Vergütungspflicht aus einer konkreten Entgeltgruppe gerichteten Eingruppierungsfeststellungsantrag, gegen den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, jedenfalls im Bereich des öffentliches Dienstes, keine durchgreifenden prozessrechtlichen Bedenken bestehen (BAG, Urteil vom 28.01.1998 – 4 AZR 473/96 – ZTR 1998, S. 329 ff m. w. N.; BAG, Urteil vom 07.07.2010 – 4 AZR 862/08 – juris). Gleiches gilt für entsprechende Feststellungsbegehren der Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen auf der Grundlage dort angewandter Arbeitsvertragsrichtlinien (BAG, Urteil vom 19.01.2004 – 4 AZR 10/03 – ZTR 2004, S. 643 ff).
- 33
2. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger nach der Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD zu vergüten. Dies hat das Arbeitsgericht im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zutreffend erkannt und ausgeführt, weshalb die Berufungskammer nach § 69 Abs. 2 ArbGG zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug nimmt, sich diesen anschließt und von der Darstellung ausführlicher eigener Erwägungen absieht, soweit dies lediglich zu Wiederholungen führen würde oder nicht ausdrücklich ergänzende bzw. modifizierende Ausführungen geboten sind. Die mit der Berufung vertieft oder ergänzend vorgebrachten Gesichtspunkte rechtfertigen eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.
- 35
a. Die Eingruppierung des Klägers richtet sich aufgrund der dynamischen Bezugnahme im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien nach den Bestimmungen der AVR DW-EKD unter Einbeziehung der dazu ergänzend beschlossenen Anlage 1 (Eingruppierungskatalog) in der jeweils geltenden Fassung. Danach bestimmt sich die Eingruppierung des Klägers nach folgenden Bestimmungen der AVR:
„§ 12 Eingruppierung
37(1) Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter ist nach den Merkmalen der übertragenen Tätigkeit in die Entgeltgruppen gemäß der Anlage 1 eingruppiert. Die Tätigkeiten müssen ausdrücklich übertragen sein (z. B. im Rahmen einer Aufgaben- oder Stellenbeschreibung). Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in die sie bzw. er eingruppiert ist. Die Dienstgeberin bzw. der Dienstgeber hat die Entgeltgruppe der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter schriftlich mitzuteilen.
38(2) Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters erfolgt in die Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale sie bzw. er erfüllt und die der Tätigkeit das Gepräge geben. Gepräge bedeutet, dass die entsprechende Tätigkeit unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitsauftrages ist.
39(3) Für die Eingruppierung ist nicht die berufliche Ausbildung, sondern allein die Tätigkeit der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters maßgebend. Entscheidend ist die für die Ausübung der beschriebenen Tätigkeit in der Regel erforderliche Qualifikation, nicht die formale Qualifikation der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters.
40(4) Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters richtet sich nach den Obersätzen der Entgeltgruppen, die für die Tätigkeitsbereiche in den Untersätzen näher beschrieben werden. Den Sätzen sind Richtbeispiele zugeordnet, die häufig anfallende Tätigkeiten dieser Eingruppierung benennen.
41(5) …“
42In der Anlage 1 (Eingruppierungskatalog) hieß es in der am 1. Januar 2014 bis zum 13. Dezember 2015 geltenden Fassung – soweit vorliegend zur Abgrenzung der Entgeltgruppen 9 und 10 AVR DW-EKD von Interesse – wie folgt:
43„Entgeltgruppe 9 (Anm. 6, 7, 8, 10, 11, 14, 15, 16)
44- A.45
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit
47- 48
1. verantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben (Anm. 8) in den Tätigkeitsbereichen
49- 50
a. Pflege/Betreuung/Erziehung
- 51
b. Beratung/Therapie/Seelsorge
- 50
- 52
2. …
Richtbeispiele:
54Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin,
55…
56- B. …
Entgeltgruppe 10 (Anm. 8, 10, 11, 14, 16)
58- A.59
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die vertiefte anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit schwierigen (Anm. 14) verantwortlich wahrzunehmenden (Anm. 8) Aufgaben in den Tätigkeitsbereichen
61- 62
a. Pflege/Betreuung/Erziehung,
- 63
b. Beratung/Therapie/Seelsorge
Richtbeispiele:
65Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin mit fachlich schwierigen Aufgaben,…
66- B. ...
Anmerkungen:
68…
69(8) Die verantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben der Entgeltgruppen 9 bis 11 setzten anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraus, die i. d. R. durch eine Fachhochschulausbildung oder durch einen Bachelorabschluss, aber auch anderweitig erworben werden können. Verantwortlich wahrgenommen bedeutet, dass Ziele und die dazu benötigten Lösungswege z. B. durch Konzeptentwicklung selbständig erarbeitet und entschieden werden.
70…
71(14) Schwierige Aufgaben weisen fachliche, organisatorische, rechtliche oder technische Besonderheiten auf, die vertiefte Überlegungen und besondere Sorgfalt erfordern.“
72Mit Wirkung zum 14. Dezember 2015 erfuhr der Eingruppierungskatalog – soweit vorliegend zur Abgrenzung der Entgeltgruppen 9 und 10 AVR DW-EKD von Interesse – unter unveränderter Beibehaltung der Anmerkungen 8 und 14 folgende Änderung:
73Entgeltgruppe 10 (Anm. 8, 10, 11, 14, 16, 17)
74- A.75
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die vertiefte anwendungsbezogene wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit schwierigen (Anm. 14) verantwortlich wahrzunehmenden (Anm. 8) Aufgaben in den Tätigkeitsbereichen
77- 78
a. Pflege/Betreuung/Erziehung/Integration;
- 79
b. Beratung/Therapie/Seelsorge
- 80
c. Bildung/Ausbildung (Anm. 17).
Richtbeispiele:
82Sozialpädagogin, Sozialarbeiterin, Heilpädagogin mit Aufgaben, die unter Beachtung des § 12 Absatz 3 eine der folgenden Weiterbildungen erfordern:
83Suchttherapie, Systemische Familientherapie, Referentin für Grundsatzfragen in einer Komplexeinrichtung. …
84- B. ...“
- 86
b. Danach hat der Kläger einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 AVR DW-EKD nach dem dort unter A. bestimmten Richtbeispiel des Sozialarbeiters mit Aufgaben in der Betreuung und Beratung. Die Voraussetzungen der begehrten Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD liegen hingegen nicht vor.
aa. Für die Frage der normgerechten Eingruppierung des Klägers ist, entgegen dem Ansatz des Arbeitsgerichts, vorliegend nicht vom Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen. Wie § 12 Abs. 2 AVR DW-EKD zeigt, hat sich der Richtliniengeber mit der zum 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Neufassung der Norm vom Begriff des Arbeitsvorgangs und der damit zur Bestimmung der Eingruppierung regelmäßig verbundenen Notwendigkeit der Zerlegung der Gesamttätigkeit in einzelne Arbeitsvorgänge nebst Bestimmung deren zeitlichen Anteils an der gesamten Tätigkeit verabschiedet. Abzustellen ist seither auf die Gesamttätigkeit und die Tätigkeitsmerkmale, die dieser Tätigkeit als deren Hauptbestandteile ihr Gepräge geben.
88Aufgaben des Klägers sind vorliegend die an den Betreuungsverein A e. V. angebundene Übernahme und Ausübung von Betreuungen nach §§ 1896 ff BGB, die Beratungstätigkeit im Themenfeld Betreuung und die Durchführung von Verwaltungsaufgaben im Kontext der eigenen Betreuertätigkeit, womit von einer einheitlichen Tätigkeit eines Sozialarbeiters im Aufgabenfeld Betreuung und nicht von einer gemischten Tätigkeit auszugehen ist. Im Ergebnis ergibt sich daraus keine Abweichung zu den Annahmen des Arbeitsgerichts, welches die Betreuertätigkeit des Klägers nach §§ 1896 ff BGB als einheitlichen, dem Zeitanteil nach einzig eingruppierungsrelevanten Arbeitsvorgang angesehen hat.
89bb. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind kirchliche Arbeitsbedingungen, obwohl es sich hierbei nicht um nach Maßgabe des Tarifvertragsgesetzes geschlossene Tarifverträge handelt, nach den für die Auslegung von Tarifverträgen entwickelten und ständig angewandten Grundsätzen auszulegen (BAG, Urteil vom 20.06.2012 – 4 AZR 438/10 – NZA-RR 2013, S. 200 ff m. w. N.). Danach ist – ohne allein am Wortlaut der Norm zu haften – ausgehend von diesem und anhand seiner unter Einbeziehung des systematischen Zusammenhangs der Sinn der Erklärung festzustellen, wobei der wirkliche Wille des Normgebers und der damit von ihm beabsichtigte Sinn und Zweck mit zu berücksichtigen ist, soweit dieser in den relevanten Bestimmungen seinen Niederschlag gefunden hat (BAG, Urteil vom 14.01.2004 – 10 AZR 188/03 – juris m. w. N.). In Zweifelsfällen können daneben Gesichtspunkte wie die praktische Anwendbarkeit und die Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden. Dabei ist die Auslegung zu wählen, die zu vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösungen führt (BAG, Urteil vom 31.07.2002 – 10 AZR 578 /01 – juris).
90Geht es im Kontext einer streitigen Eingruppierung in tatsächlicher Hinsicht um die Frage der Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltordnung oder deren Auslegung, so sind diese regelmäßig dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausübt, die einem der Eingruppierungsbestimmung vom Normgeber zugeordneten Regel- oder Richtbeispiel entspricht. Denn im Falle der Bildung von Regel- oder Richtbeispielen hat der Normgeber eine ihm im Rahmen seiner Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete typisierende Betrachtung vorgenommen, mit der etwa aus Gründen der Rechtsicherheit oder Klarheit eine verbindliche Zuordnung bestimmter Tätigkeiten zu einem bestimmten Vergütungsniveau verbindlich vorgegeben wird (BAG, Urteil vom 20.06.2012 aaO). Auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale muss und darf in einem solchen Fall nur zurückgegriffen werden, wenn die fragliche Tätigkeit von einem Beispiel nicht oder nicht voll erfasst wird oder das Tätigkeitsbeispiel seinerseits unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, es also nicht aus sich selbst heraus ausgelegt werden kann (BAG, Urteil vom 25.09.1991 – 4 AZR 87/91 – juris).
91cc. Das zur Entgeltgruppe 10 A. a./b. AVR DW-EKD in der seit dem 14. Dezember 2015 geltenden Fassung formulierte Richtbeispiel des Sozialarbeiters mit Aufgaben, die – unter Beachtung des § 12 Abs. 3 ARV DW-EKD – regelmäßig eine besondere Weiterbildung in den Bereichen der Suchttherapie oder der Systemischen Familientherapie erfordern, ist bereits offensichtlich nicht einschlägig und wird vom Kläger weder ausdrücklich noch stillschweigend für sich beansprucht.
92dd. Das Richtbeispiel zur Entgeltgruppe 10 A. a./b. (in der bis zum 13. Dezember 2015 geltenden Fassung der Anlage 1 AVR) des Sozialarbeiters mit fachlich schwierigen Aufgaben füllt die Tätigkeit des Klägers – wie vom Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet – nicht aus.
93(1) Der vom Normgeber im Richtbeispiel verwendete unbestimmte Rechtsbegriff der „fachlich schwierigen Aufgaben“ korrespondiert mit dem Untersatz der Entgeltgruppe 10 A., der ebenfalls ausdrücklich „schwierige Aufgaben“ anspricht, womit er – was § 12 Abs. 4 S. AVR DW-EKD bestimmt – das im Obersatz der Entgeltgruppe definierte, ebenfalls unbestimmte Merkmal der „vertieften anwendungsbezogenen wissenschaftlichen Kenntnisse“ näher beschreiben und ausfüllen soll. Der Begriff der „schwierigen Aufgaben“ des Untersatzes ist in Anmerkung 14 – und damit in der Eingruppierungsordnung selbst – definiert und somit nach dem Willen des Normgebers zu dessen Auslegung heranzuziehen. Danach kommt eine Subsumtion der klägerischen Tätigkeit unter das fragliche Richtbeispiel nur in Betracht, wenn sie fachliche Besonderheiten aufweist, die vertiefte Überlegungen und besondere Sorgfalt erfordern und diese Anforderungen nach § 12 Abs. 2 AVR DW-EKD für die Tätigkeit prägend sind.
94(2) Bei der Übernahme und Ausführung einer Betreuertätigkeit nach §§ 1896 BGB handelt es sich – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht bereits per se um eine „schwierige Aufgabe“ des Sozialarbeiters. Nach dem Berufsbild des Sozialarbeiters ist es Aufgabe dieser Berufsgruppe, Menschen verschiedener Altersstufen Hilfestellung zur besseren Lebensbewältigung zu leisten, wozu nicht nur die sozialtherapeutische Beratung und Begleitung, sondern auch die Unterstützung bei der Bewältigung wirtschaftlicher, materieller und sozialer Probleme gehört (BAG, Urteil vom 20.03.1996 – 4 AZR 967/94 – AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter m. w. N.). Ziel der sozialen Arbeit ist es dabei, Benachteiligungen im gesellschaftlichen und sozialen Leben auszugleichen, Belastungen zu mindern und bei der Zielgruppe die eigenen Kräfte zur Problembewältigung zu mobilisieren und zu fördern (BAG, aaO). Diese Aufgaben korrespondieren ohne weiteres mit den Pflichten eines Betreuers nach § 1901 Abs. 2 – 4 BGB, der nach § 1896 Abs. 3 BGB vom Betreuungsgericht zur Hilfeleistung und Unterstützung in bestimmten Aufgabenkreisen oder umfassend bestellt wird. Der Betreuer unterstützt die ihm zugewiesenen Personen danach – auch unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Änderungen des Betreuungs- rechts – weiterhin primär bei der Lebensbewältigung innerhalb eines vom Betreuungsgericht bestimmten Rahmens. Zur Übernahme von Betreuungen bedarf der Sozialarbeiter besonderer oder zusätzlicher Qualifikationen regelmäßig nicht. Der Sozialarbeiter ist aufgrund seiner Ausbildung vielmehr schon besonders als Betreuer qualifiziert. Denn das Betreuungsrecht lässt die Bestellung nicht entsprechend ausgebildeter ehrenamtlicher Betreuer nicht nur ausdrücklich zu, diese hat nach § 1897 Abs. 6 BGB sogar vorrangig zu erfolgen. Der Betreuer hat – nach dem Leitbild der §§ 1896, 1901 BGB – dem Betreuten unter Berücksichtigung seiner Wünsche und Möglichkeiten eine angemessene Lebensführung zu gewährleisten und insoweit bestehende Defizite auszugleichen. Das ein ggf. umfassend unterstützendes Tätigwerden des Betreuers in der Breite ggf. aller Bereiche der allgemeinen Lebensführung und Alltagsbewältigung mit entsprechenden Koordinierungsaufgaben („wie ein Generalunternehmer“) grundsätzlich aus sich heraus eine anspruchsvollere und schwierigere Aufgabe des Sozialarbeiters darstellt, als die vertiefte Arbeit an einem Themenkomplex (z. B. Bewährungshilfe) oder in der Fachberatung, stellt sich aus Sicht der Berufungskammer als unbelegte These dar. Dies gilt umso mehr deshalb, als die Kernaufgaben der Betreuung in der Bewältigung der alltäglichen Lebensführung besteht, wie sie jede natürliche Person – ohne Beeinträchtigung durch punktuelle oder übergreifende Defizite, vorübergehende Einschränkungen oder Krisensituationen – ohne besondere Ausbildung für sich selbst zu bewältigen hat. Die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 20.03.1996, aaO), dass die Übernahme von Betreuungen eine typisch fürsorgende Tätigkeit im Berufsbild des Sozialarbeiters ist, die insoweit in diesem Berufsbild eine typische Normaltätigkeit darstellt (BAG, Urteil vom 27.07.1994 – 4 AZR 593/93 – AP Nr. 5 zu § 12 AVR Caritasverband m. w. N.), hat daher auch nach Auffassung der Berufungskammer weiterhin uneingeschränkt ihre Berechtigung.
95Das der Normgeber es bei der im Jahr 2015 vorgenommenen Neufassung der Richtbeispiele zur Entgeltgruppe 10 AVR DW-EKD gerade unterlassen hat, die Betreuertätigkeit dem dortigen Katalog hinzuzufügen und die allgemein schwierige Aufgabe des Sozialarbeiters über das Regelerfordernis bestimmter Zusatzqualifikationen definiert hat, die eine Betreuertätigkeit regelmäßig gerade nicht verlangt, unterstützt das insoweit von der Berufungskammer gefundene Ergebnis.
96(3) Daneben ist nicht ersichtlich, dass der Kläger konkret mit Betreuungsaufgaben befasst ist, die sich – nicht aus der Sicht eines Betreuers unabhängig von seiner Qualifikation, sondern aus der Sicht des Sozialarbeiters mit vorauszusetzenden anwendungsbezogenen wissenschaftlichen Kenntnissen (vgl. Anmerkung 8 zur Anlage 1 AVR DW-EKD) – als schwierige Aufgaben darstellen, welche seiner Gesamttätigkeit das Gepräge geben. Dies hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger, wie bereits vom Arbeitsgericht zu Recht aufgegriffen, auch unter Berücksichtigung seines ergänzenden zweitinstanzlichen Vorbringens nicht darzustellen vermocht.
97Knüpft man insoweit erneut an die Anforderungen der Anlage 1, Anmerkung 14 AVR DW-EKD an, so wären dafür prägende fachliche Besonderheiten erforderlich, welche vertiefte Überlegungen und besondere Sorgfalt erfordern. Es muss sich um die Wahrnehmung von Aufgaben handeln, deren Anforderungen über das Maß der üblichen Anforderungen, welche das Berufsbild mit sich bringt, hinausgehen (LAG Hamm, Urteil vom 28.09.2010 – 19 Sa 664/10 – juris). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang allgemein auf Fälle von ihm zu bewältigender Krisenintervention bis hin zur Unterbringung abstellt, hat er zunächst nicht herausgearbeitet, warum sich solche Problemstellungen von der Normaltätigkeit des Sozialarbeiters abheben. Derartige Problemlagen können sich in der Jugendarbeit, in der Arbeit mit Nichtsesshaften, im Bereich der Erziehung und Heimerziehung oder in Rahmen der Sozialarbeit in Einrichtungen vielmehr in gleicher Weise stellen. In diesem Kontext ist ferner zu beachten, dass nach Anlage 1 Anmerkung 8 AVR DW-EKD gerade das Erkennen von Problemlösungsansätzen und das selbständige Erarbeiten von Lösungswegen nebst entsprechender Entscheidung das bereits im Untersatz der Entgeltgruppe 9 verlangte Merkmal der verantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ausfüllt. Als solcher vom Sozialarbeiter zu identifizierender Lösungsweg kann sich auch eine Unterbringungsentscheidung darstellen, die letztlich – wie vom Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet – über gesetzliche Genehmigungsvorbehalte in der Verantwortung des Betreuungsgerichts steht.
98Soweit der Kläger in erster und zweiter Instanz auf bestimmte, ihm zugewiesene Betreuungsfälle verweist, bleibt sein Vorbringen ohne ausreichende sachliche Substanz. Insoweit ist allein aus Zustandsbeschreibungen, Diagnosen und Tätigkeitsschilderungen nicht ersichtlich, warum bei der Bewältigung dieser Fälle durchgängig vertiefte Überlegungen erforderlich sind oder weshalb hier besondere Sorgfalt abgefragt wird. Zudem müsste sich die besondere Anforderung in Ansehung der gesamten Tätigkeit nach § 12 Abs. 2 AVR DW-EKD als prägend darstellend. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch können Umstände, die nur einmalig oder gelegentlich vorkommen oder die nur einen kleineren Bruchteil der Tätigkeit ausmachen, nicht prägender Natur sein. Ein Gepräge vermag nach § 12 Abs. 2 S. 2 AVR DW-EKD vielmehr nur zu vermitteln, was unverzichtbarer und damit integraler Bestandteil des Arbeitsauftrags ist.
99Betrachtet man nach diesem Maßstab die vom Kläger angeführten Problemfälle, so stell(t)en diese unter Berücksichtigung der Übernahme- und Abgabezeitpunkte stets nur einen kleinen Ausschnitt der klägerischen Gesamttätigkeit im Kontext Betreuung dar. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass hier – von einmaligen Maßnahmen wie z. B. der Heimunterbringung abgesehen – permanent Krisenmanagement mit besonderem fachlichem Anspruch zu leisten gewesen wäre bzw. zu leisten ist. Eine Prägung der klägerischen Tätigkeit durch schwierige Aufgaben ist danach auch für die Berufungskammer nicht feststellbar.
100(4) Stellt man schließlich, § 12 Abs. 4 S. 1 AVR DW-EKD folgend, auf die allgemeinen Anforderungen des Obersatzes der Entgeltgruppe 10 ab („vertiefte anwendungsbezogene Kenntnisse“), so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Merkmale der Entgeltgruppe 10 bauen auf denen der Entgeltgruppe 9 auf. Die in der Anlage 1, Anmerkung 8 AVR DW-EKD definierte Anforderung der „verantwortlich wahrzunehmenden Aufgabe“ wird bereits für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 vorausausgesetzt, was der dortige Untersatz zeigt. Das Heraushebungsmerkmal der „vertieften anwendungsbezogenen Kenntnisse“ korrespondiert nach dem Untersatz mit der dortigen weiteren Anforderung „schwierige Aufgaben“, die von der Berufungskammer bereits über die Heranziehung der Anmerkung 14 zur Ausfüllung des vom Kläger beanspruchten Richtbeispiels geprüft und verneint worden sind, was hier eine Wiederholung entbehrlich macht.
101III.
102Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
103Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich. Der Rechtsstreit wirft weder entscheidungserhebliche Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf noch weicht die Kammer vorliegend in entscheidungserheblicher Weise von obergerichtlicher Rechtsprechung ab.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 01. Sept. 2016 - 8 Sa 129/16
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 01. Sept. 2016 - 8 Sa 129/16
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Hamm Urteil, 01. Sept. 2016 - 8 Sa 129/16 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. August 2008 - 2 Sa 329/07 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin in die Entgeltgruppe III (Oberärztin/Oberarzt) des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (TV-Ärzte/VKA).
- 2
-
Die Klägerin ist Ärztin und war seit dem 1. September 1986 beim Land Mecklenburg-Vorpommern im Klinikum der Universität R beschäftigt.
- 3
-
Zum 1. Dezember 2004 übernahm die Beklagte, die Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) ist, die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universität R, in welcher auch die Klägerin tätig war. Die Beklagte gliederte die Klinik nach dem Betriebsübergang in ihre bisherige Frauenklinik ein.
- 4
-
Innerhalb der Frauenklinik bestehen ua. die Abteilungen „Poliklinik“ und „Ambulantes Operationszentrum“. Die Klägerin ist in der Poliklinik und dem Ambulanten Operationszentrum unter Führung des Titels „Oberärztin“ tätig. In der Poliklinik und dem Ambulanten Operationszentrum arbeiten regelmäßig insgesamt fünf bis sechs Ärzte.
- 5
-
In die Poliklinik überweisen niedergelassene Gynäkologen ihre Patientinnen, wenn sie sich selbst zu einer weiteren Behandlung nicht mehr in der Lage sehen und die Meinung eines Spezialisten benötigen. In einer Sprechstunde sowie einer Narkose-Sprechstunde werden die Patientinnen über den geplanten Eingriff aufgeklärt. Im Ambulanten Operationszentrum wird dann die Operation durchgeführt, wobei das Operationszentrum nicht ausschließlich von der Universitäts-Frauenklinik genutzt wird. Bei den Eingriffen handelt es sich um „kleinere“ Operationen, die einen stationären Aufenthalt der Patientinnen vermeiden sollen (zB Gebärmutterspiegelungen, Ausschabungen bei Blutungsstörungen, Fehlgeburten oder bei gestörter Schwangerschaftsanlage, Gewebeentnahmen ua.). Die „großen“ Operationen finden dagegen im „Zentral-OP“ statt.
-
Am 1. Oktober 2005 trat der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für den Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Kraft. Im ersten Halbjahr 2006 verhandelten die öffentlichen Arbeitgeber mit dem Marburger Bund über einen gesonderten Tarifvertrag für die Ärzte. Dabei wurden sowohl im Bereich der VKA als auch im Bereich der TdL bereits im Frühsommer 2006 weitgehende Einigungen erzielt, ohne dass es sogleich zur Unterzeichnung von Tarifverträgen kam. Für die Übergangszeit vereinbarte die Beklagte mit dem Marburger Bund, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, am 19. Juli 2006 einen Übergangstarifvertrag für das Klinikum Südstadt R (ÜbergangsTV). Die dort geregelten Tätigkeitsmerkmale für Ärzte entsprachen im Wesentlichen denjenigen im später unterzeichneten Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (TV-Ärzte/VKA). In § 5 ÜbergangsTV ist die Geltungsdauer wie folgt geregelt:
-
„§ 5 Geltungsdauer
(1)
Der Übergangstarifvertrag beginnt am 01.08.2006 und endet spätestens am 31.07.2007.
(2)
Beide Parteien erklären übereinstimmend, dass dieser Übergangstarifvertrag unmittelbar abgelöst wird, wenn ein Tarifvertrag zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände in Kraft tritt.“
- 7
-
Der TV-Ärzte/VKA, der am 17. August 2006 vereinbart wurde, regelt in § 40 Abs. 1 sein Inkrafttreten am 1. August 2006. Die Parteien haben übereinstimmend und ausdrücklich erklärt, dass der TV-Ärzte/VKA auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet.
- 8
-
Die Beklagte zahlte der Klägerin ab 1. Juli 2006 Vergütung nach Entgeltgruppe II Stufe 4 TV-Ärzte/VKA. Die Klägerin und der Chefarzt und Klinikdirektor Prof. Dr. G widersprachen der dieser Vergütung zugrunde liegenden Eingruppierung als Fachärztin mit Schreiben vom 30. August und 17. Oktober 2006 an die Verwaltungsdirektorin des Klinikums Südstadt R. Diese teilte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2006 mit, sie erfülle die tariflichen Oberarztmerkmale nicht, ihr stehe unabhängig davon jedoch die Dienstanrede „Oberärztin“ weiter zu, weil sie zweifellos als Funktionsoberärztin tätig sei.
- 9
-
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zunächst die Eingruppierung als Oberärztin nach § 3 Ziff. 1 Abs. 3 ÜbergangsTV für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 31. Dezember 2006 und für die Zeit ab 1. Januar 2007 als Oberärztin nach Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei als Oberärztin eingruppiert, weil ihr der Chefarzt Prof. Dr. G bereits Mitte Oktober 2004 die Leitung der Poliklinik und Ambulanz und nach der Fertigstellung des Ambulanten Operationszentrums dessen Leitung übertragen habe. An anderer Stelle trägt die Klägerin vor, sie sei „seit dem 1. Oktober 2002 als Oberärztin in ihrer auch jetzt für die Beklagte ausgeübten Funktion“ tätig. Die Poliklinik und das Ambulante Operationszentrum seien jeweils selbständige Teil- und Funktionsbereiche, weil sie räumlich und personell von den anderen Bereichen getrennt seien. Im Ambulanten Operationszentrum seien ein Anästhesist, zwei Anästhesieschwestern, zwei OP-Schwestern, zwei Gynäkologen und eine Sekretärin tätig. Die Klägerin treffe „selbständig und für die anderen (Fach-)Ärzte bis zu einer anderslautenden Entscheidung des Chefarztes (…) verbindlich die medizinischen Entscheidungen“ und sei Ansprechpartnerin für alle Fragen. Allein ihr obliege die Verantwortung für die Planung und Durchführung der Patientenbehandlung, für die Aus- und Fortbildung einschließlich der Ausbildung der Facharztkandidaten sowie für die ärztliche Tätigkeit der in diesem Bereich eingesetzten Ärzte. Die der Klägerin unterstellten Ärzte würden ihr die „Problempatienten“ vorstellen. Sie treffe auch die Entscheidungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem pflegerischen Personal. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass keine ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung stattgefunden habe. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit langjährig auf Anweisung des Chefarztes und in voller Kenntnis und Billigung der Verwaltungsdirektorin ausgeführt. Die Beklagte habe an der tatsächlichen Verantwortung der Klägerin nichts geändert und müsse sich die Aufgabenübertragung durch den Chefarzt unter dem Gesichtspunkt der Duldungsvollmacht zurechnen lassen.
-
Die Klägerin hat in den Vorinstanzen beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin rückwirkend seit dem 1. August 2006 in die Entgeltgruppe „Oberarzt ab dem 4. Jahr“ des Übergangstarifvertrages für das Klinikum Südstadt R vom 19. Juli 2006 und ab dem 1. Januar 2007 in die Entgeltgruppe III Stufe 2 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und des Marburger Bundes (TV-Ärzte/VKA) einzustufen,
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin rückwirkend ab dem 1. August 2006 in die Entgeltgruppe III Stufe 2 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und des Marburger Bundes (TV-Ärzte/VKA) einzustufen.
- 11
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es sei zwar zutreffend, dass es sich bei der Poliklinik/Gynäkologische Ambulanz um einen selbständigen Teilbereich der Universitäts-Frauenklinik handele. Die Klägerin trage aber dort nicht die medizinische Verantwortung. Ihr seien keine Ärzte unterstellt und sie sei gegenüber ihren Kollegen nicht fachlich weisungsbefugt. Der Klägerin obliege auch nicht die Koordination des in der Poliklinik eingesetzten ärztlichen und sonstigen Personals. Sie sei den anderen Fachärzten, die in der „gynäkologischen Poliklinik/Ambulanz“ Tätigkeiten verrichten, nicht vorgesetzt. Schließlich argumentiert die Beklagte, weder die Beklagte noch der frühere Arbeitgeber hätten der Klägerin ausdrücklich die medizinische Verantwortung übertragen. Vielmehr habe die Beklagte am 12. Juli 2006 die Entscheidung getroffen, dem Oberarzt Dr. B die medizinische Verantwortung für die Poliklinik zu übertragen. Ohnehin sei eine Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Chefarzt nicht ausreichend, wenn nicht dieser seinerseits ausdrücklich durch den Arbeitgeber zur Übertragung ermächtigt worden sei.
-
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag der Klägerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten nach Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin hat sich in der Revision nach einem rechtlichen Hinweis des Senats auf den Hilfsantrag beschränkt, mit der Maßgabe, dass sich die Feststellung der Vergütungspflicht der Beklagten nach Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA ab dem 1. August 2006 auf die Stufe 1 und ab dem 1. Oktober 2007 auf die Stufe 2 beziehe, und beantragt sinngemäß, die Revision im Übrigen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
- 13
-
Die zulässige Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gewählten Begründung konnte die Berufung der Beklagten nicht zurückgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat das Tarifmerkmal der medizinischen Verantwortung, das sowohl in dem ÜbergangsTV als auch im TV-Ärzte/VKA als Voraussetzung für die Erfüllung des von der Klägerin für zutreffend gehaltenen Tätigkeitsmerkmals ist, rechtsfehlerhaft ausgelegt. Der Senat kann jedoch nicht selbst in der Sache entscheiden, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist.
- 14
-
I. Die Klage ist in der Form des zuletzt gestellten Antrages zulässig.
- 15
-
1. Der in der Revisionsverhandlung gestellte Antrag der Klägerin stellt mit der Klarstellung der Klägerin eine allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage dar. Gegen deren Zulässigkeit bestehen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken, weil die Klägerin die zukünftigen Vergütungsdifferenzen nicht beziffern kann und daher an einer Geltendmachung im Wege der Leistungsklage gehindert ist (20. Juni 1984 - 4 AZR 208/82 - Rn. 9, AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 2; 28. September 2005 - 10 AZR 34/05 - zu I der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Systemgastronomie Nr. 2).
- 16
-
2. Der Antrag ist auch hinsichtlich der begehrten Feststellung der Stufenzuordnung der Entgelttabelle des TV-Ärzte/VKA zulässig.
- 17
-
a) Grundsätzlich sind die Einstufung in die Entgeltgruppe einer Vergütungsordnung und die Stufenzuordnung innerhalb der Entgeltgruppe zwei verschiedene Streitgegenstände (vgl. dazu allg. BAG 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 - Rn. 15, BAGE 124, 240, 243 ff.). Wird nicht nur die Eingruppierung, sondern auch die Stufenzuordnung innerhalb einer Vergütungsgruppe zum Gegenstand des Eingruppierungsfeststellungsantrages gemacht, bedarf es auch hierfür eines besonderen Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO.
- 18
-
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Das Vorliegen des Feststellungsinteresses ist als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., zB BAG 30. Mai 2001 - 4 AZR 387/00 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 98, 42).
- 19
-
b) Dieses besondere Feststellungsinteresse liegt bei der Klägerin vor. Zwischen den Parteien ist nicht nur die zutreffende Entgeltgruppe, sondern auch die Stufenzuordnung bei einer eventuellen Eingruppierung als Oberärztin nach Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA streitig. Die Klägerin behauptet, sie sei seit dem 1. Oktober 2002 als Oberärztin tätig gewesen. An anderer Stelle legt die Klägerin dar, der damalige kommissarische Chefarzt Prof. Dr. G habe ihr „Mitte Oktober 2004“ die medizinische Verantwortung übertragen. Die Beklagte bestreitet, dass überhaupt eine Übertragung der medizinischen Verantwortung stattgefunden hat. In dem Bestreiten der Übertragung „an sich“ ist als Weniger auch der Zeitpunkt einer angeblichen Übertragung enthalten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn mehrere Übertragungszeitpunkte denkbar sind. Selbst im Falle einer rechtskräftigen Feststellung der Eingruppierung als Oberärztin bliebe zwischen den Parteien der Beginn der oberärztlichen Tätigkeit streitig.
- 20
-
3. Es bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit auch keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt, dass der Antrag in der Revisionsverhandlung geändert wurde.
- 21
-
Der Senat hat insofern in der Revisionsverhandlung darauf hingewiesen, dass nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 ÜbergangsTV iVm. § 40 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA für den gesamten Streitzeitraum der TV-Ärzte/VKA gilt. Bei einem Erfolg der Revision hinsichtlich des Hauptantrages wäre ohnehin der Hilfsantrag auch in der Revisionsinstanz zur Überprüfung angefallen. Gegenüber dem noch in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag ist die insoweit neue Zuordnung der begehrten Stufen 1 und 2 für die genannten Zeiträume eine Beschränkung des Klageanspruchs und damit eine Teil-Klagerücknahme, der die Beklagte zumindest konkludent zugestimmt hat.
- 22
-
II. Ob die Klage auch begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Die vom Landesarbeitsgericht gewählte Begründung trägt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten jedenfalls nicht. Das Landesarbeitsgericht hat das Tätigkeitsmerkmal der medizinischen Verantwortung rechtsfehlerhaft ausgelegt. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist.
- 23
-
1. Dabei ist es im Ergebnis für die Entscheidung des Senats ohne Bedeutung, dass das Landesarbeitsgericht bei seinem Urteil für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 31. Dezember 2006 rechtsfehlerhafterweise von der Anwendung des ÜbergangsTV ausgegangen ist, den die Klägerin in ihrem Hauptklageantrag zunächst zugrunde gelegt hatte. Dieser enthielt in seinem § 3 Eingruppierungsnormen für Ärzte, die dem später unterzeichneten TV-Ärzte/VKA im hier Wesentlichen entsprachen. Der ÜbergangsTV sollte nach seinem § 5 Abs. 2 unmittelbar abgelöst werden, wenn ein Tarifvertrag zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände in Kraft tritt. Dies war nach § 40 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA am 1. August 2006 der Fall. Die Parteien haben die alleinige Anwendbarkeit des TV-Ärzte/VKA in der Revisionsverhandlung noch einmal ausdrücklich klargestellt.
-
2. Danach richtet sich die Vergütung der Klägerin im Streitzeitraum nach der für sie zutreffenden Eingruppierung und Einstufung in die Entgelttabelle des TV-Ärzte/VKA. Die insoweit maßgeblichen Tarifnormen des TV-Ärzte/VKA lauten:
-
„§ 16 Eingruppierung
Ärztinnen und Ärzte sind wie folgt eingruppiert:
a)
Entgeltgruppe I:
Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit
b)
Entgeltgruppe II:
Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit
Protokollerklärung zu Buchst. b:
Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund abgeschlossener Facharztweiterbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.
c)
Entgeltgruppe III:
Oberärztin/Oberarzt
Protokollerklärung zu Buchst. c:
Oberärztin/Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
d)
Entgeltgruppe IV:
Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die ständige Vertretung der leitenden Ärztin/des leitenden Arztes (Chefärztin/Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
Protokollerklärung zu Buchst. d:
Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist nur diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der die leitende Ärztin/den leitenden Arzt in der Gesamtheit ihrer/seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik in der Regel nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden.“
- 25
-
3. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Klägerin eine medizinische Verantwortung iSv. § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA übertragen worden sei. Mit dieser Begründung durfte die Berufung der Beklagten jedoch nicht zurückgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat das Tätigkeitsmerkmal der medizinischen Verantwortung rechtsfehlerhaft ausgelegt. Es hat nicht vorausgesetzt, dass der Oberärztin ein Aufsichts- und - eingeschränktes - Weisungsrecht gegenüber mindestens einer Fachärztin zugewiesen sein muss. Aus seinen Feststellungen lässt sich für das Revisionsgericht auch nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen, ob der Klägerin im tariflichen Sinne die medizinische Verantwortung für den Teilbereich „Poliklinik und Ambulantes Operationszentrum“ übertragen worden ist.
- 26
-
a) Die Eingruppierung einer Ärztin als Oberärztin iSd. Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA (im Hinblick auf die klagende Partei wird im Folgenden ausschließlich die weibliche Form benutzt) setzt ua. voraus, dass der Ärztin die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung übertragen worden ist. Die Tarifvertragsparteien haben dabei von einer ausdrücklichen Bestimmung dessen, was unter medizinischer Verantwortung im tariflichen Sinne zu verstehen ist, abgesehen. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass das Tätigkeitsmerkmal nur dann erfüllt werden kann, wenn der Oberärztin ein Aufsichts- und - teilweise eingeschränktes - Weisungsrecht hinsichtlich des medizinischen Personals zugewiesen worden ist. Dabei genügt es nicht, dass in dem Teilbereich Ärztinnen der Entgeltgruppe I (Assistenzärztinnen und Ärztinnen in Weiterbildung) tätig sind. Ihr muss auch mindestens eine Fachärztin der Entgeltgruppe II unterstellt sein. Ferner ist idR erforderlich, dass die Verantwortung für den Bereich ungeteilt bei ihr liegt (so schon BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 568/08 -).
- 27
-
aa) Mit der Anforderung, dass sich die übertragene Verantwortung auf den medizinischen Bereich erstrecken muss, haben die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht, wenn der Ärztin lediglich die organisatorische oder verwaltungstechnische Verantwortung für den Teil-/Funktionsbereich obliegt (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Juni 2010 Teil IIa TV-Ärzte - Eingruppierung § 12 Rn. 57). Die Ärztin muss noch als solche tätig sein (Bruns/Biermann/Weis Anästhesiologie und Intensivmedizin Mai 2007 S. 1, 5), also mit dem Vorbeugen, dem Erkennen von Ursachen und Auswirkungen von Gesundheitsstörungen sowie ihrer Behandlung beschäftigt sein.
- 28
-
bb) Das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III stellt hinsichtlich der übertragenen Verantwortung maßgebend auf deren Reichweite ab. Diese muss sich in personeller Hinsicht auch auf Fachärztinnen und in organisatorischer Hinsicht als Alleinverantwortung auf den gesamten betreffenden Bereich der Klinik oder Abteilung beziehen. Das ergibt sich aus der systematischen Stellung dieser Entgeltgruppe innerhalb der durch die Vergütungsordnung gestalteten Hierarchie der Entgeltgruppen.
- 29
-
(1) Die Tätigkeit als Ärztin ist grundsätzlich mit einer spezifischen Verantwortung verbunden, die nicht auf andere Personen übertragen werden kann und darf. Nach § 11 Abs. 1, § 2 Abs. 3 der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte(MBO-Ä 1997 idF vom 24. November 2006) ist jede Ärztin im Rahmen der Berufsausübung verpflichtet, ihre Patienten gewissenhaft mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu versorgen sowie bei der Übernahme und Durchführung der Behandlung die gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst gewissenhaft auszuführen (Kapitel C Nr. 2 der Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung). Aus der Freiheit ärztlichen Handelns und der damit verbundenen selbständigen Verantwortung einer jeden Ärztin ergibt sich auch eine Begrenzung der Weisungsbefugnis, die sich selbst für eine Chefärztin in einer Klinik darauf beschränkt, den ihr unterstellten Ärztinnen bestimmte Tätigkeiten und Einzelaufgaben zur selbständigen Erledigung verbindlich zu übertragen (MüArbR/Richardi 3. Aufl. Bd. 2 § 339 Rn. 20).
- 30
-
(2) Aus der Struktur der Regelung in § 16 TV-Ärzte/VKA folgt, dass die den Oberärztinnen im Tarifsinne obliegende „medizinische“ Verantwortung über die allgemeine „ärztliche“ Verantwortung einer Assistenzärztin und einer Fachärztin deutlich hinausgeht. Dabei wird an die tatsächliche krankenhausinterne Organisations- und Verantwortungsstruktur angeknüpft. Kliniken sind arbeitsteilig organisiert und weisen zahlreiche spezialisierte und fragmentierte Diagnose-, Behandlungs- und Pflegeabläufe mit einer abgestuften Verantwortungsstruktur der handelnden Personen auf (vgl. Genzel/Degener-Hencke in Laufs/Kern Handbuch des Arztrechts 4. Aufl. S. 1067; Deutsch NJW 2000, 1745, 1746). Dem entspricht die tarifliche Einordnung der medizinischen Verantwortung von Oberärztinnen, die in § 16 TV-Ärzte/VKA innerhalb der Struktur der Entgeltgruppen nach „unten“ und nach „oben“ in ein von den Tarifvertragsparteien als angemessen angesehenes Verhältnis gesetzt wird.
- 31
-
(a) Aus der Unterordnung unter die leitende Ärztin und ihre ständige Vertreterin, die in die Entgeltgruppe IV eingruppiert ist, ergibt sich, dass die von einer Oberärztin wahrzunehmende Verantwortung keine Allein- oder Letztverantwortung sein kann. Auch hier entspricht die tarifliche Regelung der krankenhausinternen Organisations- und Verantwortungsstruktur. Die medizinische Letztverantwortung liegt idR bei der leitenden Ärztin (Chefärztin) und ihrer ständigen Vertreterin, deren Weisungen die Oberärztin bei ihrer Tätigkeit regelmäßig unterliegt (Wahlers PersV 2008, 204, 206; Bruns ArztRecht 2007, 60, 65 f.). Wie sich aus der Systematik von § 16 TV-Ärzte/VKA ergibt, kann dieser Umstand einer Eingruppierung als Oberärztin nicht entgegenstehen. Oberärztinnen haben insofern eine demgegenüber beschränkte ärztliche Führungsverantwortung und weitgehend selbständige Handlungsverantwortung (Genzel/Degener-Hencke in Laufs/Kern § 86 Rn. 31).
- 32
-
(b) Auf der anderen Seite muss sich die Reichweite der Verantwortung aus derjenigen, die den Ärztinnen der unteren Entgeltgruppen I und II TV-Ärzte/VKA übertragen worden ist, deutlich herausheben. Der Oberärztin muss neben dem nichtärztlichen auch ärztliches Personal unterstellt sein. Nicht ausreichend ist dabei die Führungs- und Weisungsbefugnis gegenüber Assistenzärztinnen und Ärztinnen in der Weiterbildung. Die einer Oberärztin übertragene Verantwortung muss sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen II und III auch von der einer Fachärztin qualitativ unterscheiden. Bezugspunkt dieser gesteigerten Verantwortung ist die mit der Übertragung verbundene organisatorische Kompetenz, die sich in einer gesteigerten Aufsichts- und Weisungsbefugnis niederschlägt. Eine in die Entgeltgruppe II eingruppierte Fachärztin übt ihre Aufsichts- und Weisungsbefugnis gegenüber den in ihrem Bereich tätigen Assistenzärztinnen und Ärztinnen in der Weiterbildung aus. Eine Steigerung des quantitativen und qualitativen Maßes dieser Verantwortung ist nur dann gegeben, wenn sich die Verantwortung der Oberärztin nicht nur auf die Assistenzärztinnen, sondern auch auf mindestens eine Fachärztin bezieht (Wahlers PersV 2008, 204, 206). Diese tarifliche Wertigkeit der Stellung und Tätigkeit einer Oberärztin findet in dem nicht unerheblichen Vergütungsabstand der Entgeltgruppe III zu der Entgeltgruppe II TV-Ärzte/VKA ihren Ausdruck. Die Tarifvertragsparteien haben für den ersten Tarifzeitraum mit der monatlichen Differenz von 1.146,00 Euro im Tarifgebiet Ost und 1.200,00 Euro im Tarifgebiet West deutlich gemacht, dass es sich bei dem für die Eingruppierung zentralen Merkmal der übertragenen medizinischen Verantwortung um eine gewichtige Höherbewertung der Verantwortung der Oberärztin nach Entgeltgruppe III gegenüber der Verantwortung der Fachärztin nach Entgeltgruppe II handelt.
- 33
-
(3) Die Verantwortung für den jeweiligen Teil-/Funktionsbereich muss darüber hinaus aber auch ungeteilt bestehen. Sie betrifft nicht lediglich einzelne zu erfüllende Aufgaben oder Aufgabenbereiche. Vielmehr geht es um eine auf einen arbeitsteilig organisierten Bereich bezogene Leitungs- und Verantwortungsstruktur. Die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich im Tarifsinne kann daher nicht bei mehreren Ärztinnen liegen, ohne dass es hier auf eine Unterscheidung von Teil- oder Funktionsbereichen der Klinik oder der Abteilung ankommt. Das ergibt sich aus dem von den Tarifvertragsparteien gewählten bestimmten Artikel „die“, mit dem eine einheitliche Verantwortung bezeichnet ist, die innerhalb des zugewiesenen Bereichs einheitlich und allein wahrzunehmen ist. Eine geteilte medizinische Verantwortung innerhalb der organisatorischen Einheit ist regelmäßig nicht ausreichend für eine Eingruppierung nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA. Etwas anderes mag in Betracht kommen, wenn es um eine echte Arbeitsplatzteilung (Jobsharing) geht. Eine solche liegt jedoch nicht vor, wenn in einer organisatorischen Einheit mehrere Titularoberärztinnen tätig sind, die nur teil- oder zeitweise, etwa bei den Hintergrunddiensten, jeweils allein verantwortlich sind.
- 34
-
Aus der Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien zur Entgeltgruppe IV, wonach dieses Tätigkeitsmerkmal einer ständigen Vertreterin der Chefärztin innerhalb einer Klinik nur von einer Ärztin erfüllt werden kann, ist nicht zu folgern, eine entsprechende Bestimmung für die Oberärztin nach der Entgeltgruppe III habe in Bezug auf den Teilbereich einer Klinik oder Abteilung damit ausgeschlossen werden sollen. In der Protokollerklärung zur Entgeltgruppe IV wird der dort verwendete Begriff der ständigen Vertretung erläutert und sodann aus dieser Erläuterung gefolgert, dass nur jeweils eine Ärztin für eine Klinik ständige Vertreterin sein könne. Das schließt nicht aus, dass eine sinngemäß ähnliche Folgerung für die Oberärztinnen nach Entgeltgruppe III für den Teilbereich einer Klinik oder Abteilung im Wege der Tarifauslegung aus dem Wortlaut der dort von den Tarifvertragsparteien bestimmten Entgeltgruppenbezeichnung entnommen wird. Die sich aus der konkreten Formulierung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe IV ergebende Unklarheit, der die Tarifvertragsparteien mit der Protokollerklärung abhelfen wollten, ist in der Entgeltgruppenbezeichnung III nach dem oben Dargelegten nicht gegeben.
- 35
-
b) Für die Annahme der Erfüllung des Tatbestandsmerkmales der „medizinischen Verantwortung“ hat das Landesarbeitsgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Zwar hat es den Begriff der medizinischen Verantwortung zutreffend als Leitungsverantwortung ausgelegt und weiter vorausgesetzt, dass die Ärztin für den ihr unterstellten Bereich auch gegenüber anderen Ärzten eine Vorgesetztenfunktion ausübt. Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht jedoch nicht verlangt, dass der Ärztin mindestens eine Fachärztin unterstellt sein muss. Das Landesarbeitsgericht führt im Rahmen der Subsumtion zwar aus, „die Fachärzte würden etwa ein Drittel der Fälle“ der Klägerin vorstellen, während die Ausbildungsassistenten ihr jeden Fall vorstellen würden. Hieraus wird jedoch nicht hinreichend klar, ob der Klägerin ein Aufsichts- und - teilweise eingeschränktes - Weisungsrecht gegenüber einer Fachärztin zusteht. Auch liegt in der Bitte um fachliche Ratschläge durch andere Ärzte nicht die Ausübung eines Aufsichts- und - eingeschränkten - Weisungsrechts. Aus der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, im Bereich Poliklinik und Ambulanter OP seien regelmäßig „5 bis 6 Ärzte“ tätig, lässt sich ein Aufsichts- und Weisungsrecht gegenüber zumindest einer Fachärztin ebenfalls nicht entnehmen. Ferner ergibt sich dies auch nicht aus den von der Klägerin vorgelegten und vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Organigrammen der Klinik der Beklagten. Die Klägerin hat vorgetragen, „Problempatienten“ würden von ihr oder den ihr „unterstellten Ärzten betreut“. Ihr obliege „für die anderen (Fach-)Ärzte“ die medizinische Verantwortung. Dies ist hinsichtlich der Unterstellung einer Fachärztin jedoch nicht ausreichend substantiiert. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin „anderen Fachärzten, die auch zeitweilig in der ‚gynäkologischen Poliklinik/Ambulanz’ Tätigkeiten verrichten“, vorgesetzt sei. Die Klägerin hätte daher Zahl und Funktion der ihr unterstellten Ärztinnen und Ärzte im Einzelnen darstellen müssen, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die Erfüllung der Anforderungen des tariflichen Tätigkeitsmerkmales überprüfen zu können (BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 568/08 - Rn. 55).
- 36
-
c) Der Senat ist an einer eigenen Sachentscheidung jedoch gehindert. Das Landesarbeitsgericht hätte der Klägerin insoweit vor einer Abweisung aus diesem Grunde einen rechtlichen Hinweis zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „medizinischen Verantwortung“ erteilen müssen. Dies gebietet der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, insbesondere im Hinblick auf neue tarifliche Tätigkeitsmerkmale, die gemessen an der komplexen Wirklichkeit einen außerordentlich hohen Abstraktionsgrad aufweisen und dementsprechend einer intensiven Auslegung unterzogen werden müssen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass weder der Klägerin noch dem Landesarbeitsgericht die Senatsentscheidungen vom 9. Dezember 2009 zur Auslegung der Anforderungen an die Erfüllung der Tätigkeitsmerkmale bekannt waren und demgemäß nicht feststand, dass der Ausgang des Rechtsstreits auch vom Aufsichts- und (eingeschränkten) Weisungsrecht gegenüber mindestens einer Fachärztin abhängt.
- 37
-
4. Die Klage ist auch nicht aus anderen Gründen reif zur endgültigen Entscheidung durch den Senat. Als eine solche käme allenfalls eine Abweisung wegen fehlender Erfüllung einer anderen Anforderung des Tätigkeitsmerkmales in Betracht. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht aber rechtsfehlerfrei festgestellt, dass sowohl ein selbständiger Teilbereich als auch eine ausdrückliche Übertragung der hier maßgebenden Tätigkeit durch den Arbeitgeber gegeben ist.
- 38
-
a) Die Klägerin ist in einem selbständigen Teilbereich der Klinik im tariflichen Sinne tätig.
- 39
-
aa) Die Auslegung des Begriffs ergibt unter besonderer Berücksichtigung des Wortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs nach den hierfür heranzuziehenden Kriterien (vgl. dazu nur BAG 26. Januar 2005 - 4 AZR 6/04 - mwN, BAGE 113, 291, 299), dass ein selbständiger Teilbereich einer Klinik oder Abteilung im tariflichen Sinne regelmäßig eine organisatorisch abgrenzbare Einheit innerhalb der übergeordneten Einrichtung einer Klinik oder Abteilung ist, der eine bestimmte Aufgabe mit eigener Zielsetzung sowie eigener medizinischer Verantwortungsstruktur zugewiesen ist und die über eine eigene räumliche, personelle und sachlich-technische Ausstattung verfügt (vgl. hierzu ausführlich BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 568/08 - Rn. 29).
- 40
-
bb) Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dieses Tarifmerkmal erfüllt ist. Der von ihm gebildete Oberbegriff entspricht weitestgehend den in der genannten Entscheidung des Senats vom 9. Dezember 2009 aufgestellten Voraussetzungen. Soweit das Landesarbeitsgericht die räumliche und sachlich-technische Ausstattung nicht ausdrücklich erwähnt hat, ist dies vorliegend unerheblich, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Teilbereich über ein Ambulantes Operationszentrum und damit sowohl über räumliche als auch sachlich-technische Ausstattung verfügt. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass die Poliklinik und das Ambulante Operationszentrum von der Aufgabe her zusammengehören, ist eine den Senat bindende Tatsachenfeststellung (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Feststellung ist in der Weise zu verstehen, dass die vorbereitende Sprechstunde in der Poliklinik, die dann durchzuführende Operation im Ambulanten Operationszentrum sowie die anschließende Nachsorge als einheitliche Aufgabe zu verstehen ist, die von der Klinik in einer einheitlichen Organisation zusammengefasst ist. Dabei ist nicht an die Räumlichkeit des Ambulanten Operationszentrums anzuknüpfen, sondern an die organisatorische Einheit der Poliklinik und der gynäkologischen Ambulanz. Die Beklagte hat sich gegen die diesbezügliche Bewertung des Landesarbeitsgerichts in der Revision auch nicht mehr gewehrt, sondern ist inzwischen selbst der Auffassung, die „Poliklinik/Gynäkologische Ambulanz“ erfülle die Voraussetzungen eines selbständigen Teilbereichs.
- 41
-
b) Das Landesarbeitsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass die für die tarifliche Eingruppierung maßgebenden Tätigkeiten der Klägerin ausdrücklich vom Arbeitgeber zugewiesen worden sind. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der „ausdrücklichen Übertragung“ der medizinischen Verantwortung rechtsfehlerfrei ausgelegt. Die möglicherweise tariflich bedeutsamen Zuweisungen von Funktionen und Tätigkeiten an die Klägerin muss sich die Beklagte zurechnen lassen.
- 42
-
aa) Die Zuweisung der für die tarifliche Eingruppierung maßgeblichen Tätigkeit der Klägerin ist durch die Beklagte erfolgt.
- 43
-
(1) Nach dem Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA muss die (ausdrückliche) Übertragung der medizinischen Verantwortung „durch den Arbeitgeber“ erfolgt sein. Diese Anforderung ist eine Klarstellung der Tarifvertragsparteien über die zivilrechtliche Zurechenbarkeit der entsprechenden Aufgabenzuweisung, die in der Vergangenheit wegen fehlender vergütungsrechtlicher Folgen häufig allein der Leiterin der Klinik im Rahmen ihrer Personalhoheit überlassen worden ist. Die Tarifvertragsparteien haben damit - jedenfalls für entsprechende Übertragungen einer medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung in der Vergangenheit - jedoch keine, von allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen abweichende besondere Anforderung an die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen aufgestellt.
-
(a) Die Tarifvertragsparteien haben durch die Anforderung, die Übertragung der medizinischen Verantwortung als Voraussetzung für die Eingruppierung als Oberärztin müsse durch den Arbeitgeber erfolgt sein, deutlich gemacht, dass diese Übertragung nicht im Wege einer bloßen Organisationsänderung oder gar einer isolierten Verleihung des Status einer Oberärztin durch die Klinikleitung ohne Übertragung einer dementsprechenden Aufgabe erfolgen konnte. Damit wollten sie erklärtermaßen darauf reagieren, dass in der Vergangenheit häufig innerhalb der Organisation des Klinikbereichs ohne Kenntnis oder Zustimmung des Klinikträgers der Titel einer Oberärztin verliehen worden ist, ohne dass dies irgendwelche vergütungsrechtlichen Folgen hatte. Nach der Rechtslage unter der Geltung des BAT war an die Übertragung des Titels oder Status einer Oberärztin keine Umgruppierung gebunden. Deshalb ist diese Praxis häufig von den Arbeitgebern auch geduldet worden. Allein an eine solche Verleihung des Status einer Oberärztin soll die nunmehr neu geregelte Vergütungspflicht jedoch nicht gebunden sein. Diese Absicht der Tarifvertragsparteien des TV-Ärzte/VKA erschließt sich hinreichend deutlich aus der Niederschriftserklärung zu § 6 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des Übergangsrechts vom 17. August 2006 (TVÜ-Ärzte/VKA):
-
„Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass Ärzte, die am 31. Juli 2006 die Bezeichnung ‚Oberärztin/Oberarzt’ führen, ohne die Voraussetzungen für eine Eingruppierung als Oberärztin/Oberarzt nach § 16 TV-Ärzte/VKA zu erfüllen, die Berechtigung zur Führung ihrer bisherigen Bezeichnung nicht verlieren. Eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe III ist hiermit nicht verbunden.“
- 45
-
(b) Damit richtet sich nach § 15 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte/VKA die Eingruppierung bei den Ärztinnen allein nach der auszuübenden Tätigkeit. Maßgebend ist daher grundsätzlich nicht die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit, sondern das, was nach dem Arbeitsvertrag die geschuldete Arbeit ist (BAG 12. März 2008 - 4 AZR 67/07 - ZTR 2008, 604). Die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit kann allerdings für die Auslegung des Arbeitsvertrages, insbesondere hinsichtlich der genauen Bestimmung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit vor allem dann von Bedeutung sein, wenn der schriftliche Arbeitsvertrag hierzu keine oder wenig Angaben enthält. Entscheidend ist letztlich jedoch die - wie auch immer bestimmte - vertraglich vereinbarte und geschuldete Tätigkeit. Auch in den vom Bundesarbeitsgericht bereits entschiedenen Fällen über die tarifliche Anforderung einer „ausdrücklichen“ Zuweisung oder Unterstellung einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern ist regelmäßig darauf abgestellt worden, dass der Arbeitsvertrag in diesen Fällen durch bloß organisatorische Maßnahmen oder verwaltungsinterne Anweisungen nicht geändert werden kann, sondern dafür eine darauf gerichtete Willenserklärung des Arbeitgebers erforderlich ist (vgl. zB für die Eingruppierung eines Oberarztes nach dem BAT 25. Oktober 1995 - 4 AZR 479/94 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 207; ebenso für einen Verwaltungsang estellten der VergGr. IIa BAT-O 12. März 2008 - 4 AZR 67/07 - ZTR 2008, 604).
- 46
-
(c) Maßgeblich ist der auf diese Weise ermittelte Inhalt des Arbeitsverhältnisses bei Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA bezogen auf die Tätigkeitsmerkmale des § 16 TV-Ärzte/VKA. Die zu diesem Zeitpunkt bestehenden vertraglichen Verpflichtungen konnten durch den TV-Ärzte/VKA inhaltlich nicht dadurch abgeändert werden, dass nach allgemeinen zivilrechtlichen Kriterien vereinbarte Arbeits- und Beschäftigungsverpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag gleichsam rückwirkend einer Art Formvorschrift unterzogen wurden und bei deren Nichtwahrung eine nachträgliche Unwirksamkeit als Rechtsfolge bestimmt wurde. Die Bedeutung des Erfordernisses der Übertragung „durch den Arbeitgeber“ nähert sich damit der deklaratorischen Funktion an, ähnlich wie dasjenige der ausdrücklichen Unterstellung einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern, wie die soeben zitierte Rechtsprechung belegt. Auch hier ist lediglich ein allgemeines Zurechnungsprinzip im Bereich des Rechts der Willenserklärungen noch einmal ausdrücklich betont worden.
- 47
-
(d) Daraus folgt, dass der Titel oder der Status einer Oberärztin, soweit er vor dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA verliehen worden ist, für sich genommen keine tarifliche Bedeutung hat. Eine Oberärztin kann sich daher auf den ihr verliehenen Status oder Titel im Eingruppierungsprozess nicht berufen. Ebenso ohne Bedeutung ist jedoch auch das Fehlen eines solchen Status oder Titels. Entscheidend ist allein die Übertragung der medizinischen Verantwortung für den tariflich näher bezeichneten Teil- oder Funktionsbereich.
- 48
-
(e) Ob eine vor dem Inkrafttreten der maßgebenden tariflichen Regelungen der Ärztin von der Klinikleitung übertragene medizinische Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik oder Abteilung dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses, insbesondere der Umfang der Arbeitsverpflichtung, die Grenzen des Direktionsrechts und die Notwendigkeit einer Vertragsänderung auf der einen Seite und die konkrete Organisation der Klinik durch den Arbeitgeber, insbesondere die Erkennbarkeit oder Bekanntmachung eventueller Beschränkungen der Personalhoheit der Klinikleitung auf der anderen Seite können nur anhand der konkreten Umstände beurteilt werden. Hierbei können folgende Faktoren von Bedeutung sein:
- 49
-
(aa) Wenn die vor dem Inkrafttreten der maßgebenden tariflichen Regelungen erfolgte - dauerhafte - Übertragung der medizinischen Verantwortung durch die Zuweisung einer neuen Tätigkeit nach damaliger Rechtslage nicht mit einer Änderung des Arbeitsvertrages verbunden war, weil sie sich im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers hielt, ist sie wirksam erfolgt. Die Klinikleitung muss allgemein als befugt angesehen werden, für den Arbeitgeber das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer, also auch der Ärztin, wirksam auszuüben. Nach den herkömmlichen Eingruppierungsregelungen sind solche Zuweisungen neuer Tätigkeiten nur innerhalb einer Vergütungsgruppe möglich, wie sie seinerzeit in der Anlage 1a zum BAT geregelt waren. Maßstab für die Reichweite des Direktionsrechts des Arbeitgebers, der in der Ausübung regelmäßig als durch die Klinikleitung wirksam vertreten angesehen werden muss, ist danach die vor dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA bestehende Tariflage. Nach dieser Rechtslage - und nicht nach der durch den TV-Ärzte/VKA geschaffenen - bemisst sich die Wirksamkeit der Verantwortungsübertragung durch die Klinikleitung. Die Ärztin, die aufgrund einer solchen Ausübung des Direktionsrechts am 1. August 2006 die medizinische Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik oder Abteilung ausübte, war hierzu arbeitsvertraglich verpflichtet. Damit handelte es sich um die von ihr auszuübende Tätigkeit, die für die Eingruppierung in die Entgeltgruppen nach dem TV-Ärzte/VKA maßgeblich ist. Dass sich aufgrund des neuen Vergütungssystems dadurch für sie möglicherweise eine höhere Vergütung ergab und das Direktionsrecht des Arbeitgebers durch die Schaffung der neuen Tätigkeitsmerkmale eventuell eingeschränkt wurde, weil die nunmehr zutreffende Entgeltgruppe des neuen Vergütungssystems enger gefasst war als diejenige der früheren Vergütungsordnung, ist eine bloße Folge des neuen Tarifvertrages und ändert nichts an der von der Klägerin arbeitsvertraglich auszuübenden und dementsprechend tariflich zu bewertenden Tätigkeit.
- 50
-
(bb) Falls die vor dem 1. August 2006 erfolgte Übertragung der medizinischen Verantwortung durch die Zuweisung einer neuen Tätigkeit nicht im Rahmen des Direktionsrechts nach den damaligen Kriterien möglich war, kann sie nur dann als zu diesem Zeitpunkt auszuübende Tätigkeit angesehen werden, wenn durch die Übertragung der Arbeitsvertrag entsprechend geändert worden ist.
- 51
-
Eine Zurechenbarkeit der entsprechenden Anordnung der Klinikleitung mit Wirkung für den Arbeitgeber wäre danach dann gegeben, wenn die Klinikleitung zu einer solchen Vertragsänderung ausdrücklich bevollmächtigt war. Behauptet der Arbeitnehmer im Eingruppierungsprozess eine solche Bevollmächtigung, ist er nach allgemeinen Grundsätzen hierfür darlegungs- und beweispflichtig.
- 52
-
Hatte die Klinikleitung keine entsprechende ausdrückliche Vollmacht, könnte die möglicherweise in der Zuweisung oder der Vereinbarung der neuen Tätigkeit liegende konkludente Vertragsänderung dem Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Duldungs- und vor allem der Anscheinsvollmacht, nach der dem Vertretenen die mangelnde Sorgfalt und Nachlässigkeit in seinen eigenen Angelegenheiten angelastet werden kann, gleichwohl zuzurechnen sein. Die Kliniken sind arbeitsvertragsrechtlich keine Freiräume. Wenn Arbeitgeber, die die Kliniken nach Gutdünken organisieren können (so BAG 25. Februar 1987 - 4 AZR 217/86 - AP BAT § 24 Nr. 14), bestimmte leitende Mitarbeiter aus der objektivierbaren und berechtigten Sicht der Arbeitnehmer mit der Vertretungsmacht des Arbeitgebers ausstatten, so müssen sie sich das vertragsrechtlich zurechnen lassen. So hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Unterrichtung der Arbeitnehmer über eine Bevollmächtigung nach § 174 Satz 2 BGB entschieden, dass hierfür ausreicht, dass ein (leitender) Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der zB das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist(22. Januar 1998 - 2 AZR 267/97 - AP BGB § 174 Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 13).
- 53
-
Dem entspricht es, dass eine Ärztin dann, wenn ihr von der Klinikleitung eine bestimmte Aufgabe übertragen wird, im Regelfall davon ausgehen darf und muss, dass die Klinikleitung hierzu vom Arbeitgeber befugt ist. Andernfalls würde ihr zugemutet, jeweils zu prüfen, ob es eine vom Arbeitgeber erlassene Zuständigkeitsvorschrift gibt und ob diese durch seinen Klinikleiter eingehalten worden ist. Die Ernennung zur Oberärztin allein war zwar vor der Geltung des TV-Ärzte/VKA tariflich ohne Bedeutung. Die Ärztin hätte dann jedoch jeweils prüfen und zutreffend beurteilen müssen, wie die ihr zugewiesene Tätigkeit nach den seinerzeitigen Kriterien der Anlage 1a zum BAT tariflich zu bewerten war, insbesondere ob es sich um eine Tätigkeit außerhalb der für sie maßgebenden vertraglichen Verpflichtung gehandelt hat, um zu entscheiden, ob sie zu dieser Tätigkeit möglicherweise nicht verpflichtet oder sogar nicht berechtigt war. War die auf diese Weise übertragene Tätigkeit tariflich höherwertig, kann der Arbeitgeber sich in der Regel jetzt nicht darauf berufen, dass die von ihm selbst geschaffene und jederzeit veränderbare Organisationsstruktur der Klinikleitung zwar umfassende Organisations- und weitgehende Personalbefugnisse zuweist, die arbeitsvertraglichen Folgen von deren Ausübung jedoch allein von der Verwaltung selbst gestaltet werden sollen. Der Senat hat am 28. Oktober 1970 darauf erkannt, überschreite der Leiter einer Beschäftigungsbehörde den durch Ministerialerlass gezogenen Rahmen seiner Zuständigkeit, indem er dem Arbeitnehmer einen tariflich höherwertigen Arbeitsplatz zuweise, so könne dem einzelnen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht zugemutet werden, bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Maßnahme klüger zu sein als der ihm vorgesetzte Leiter der Beschäftigungsbehörde; der Arbeitnehmer müsse sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Tätigkeit, die ihm - erforderlichenfalls mit seinem Einverständnis - vom Behördenleiter zugewiesen werde, die von ihm auszuübende Tätigkeit sei und tarifgerecht vergütet werden müsse (- 4 AZR 481/69 - BAGE 23, 15, 16). Dies gilt grundsätzlich auch für die Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung durch die Klinikleitung bzw. die Chefärztin.
- 54
-
(cc) Von besonderer Bedeutung kann in diesem Zusammenhang ferner sein, wie der Arbeitgeber nach dem 1. August 2006 auf die Organisations- und Verantwortungsstruktur reagiert hat, die zu diesem Zeitpunkt bestand. Selbst wenn nach den oben dargestellten Grundsätzen die Übertragung einer medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen wäre, könnte er sich hierauf nicht berufen, wenn er die bisherige Zuordnung von Aufgaben trotz einer durch die Überleitung in das neue Tarifsystem veranlassten Überprüfung unbeanstandet lässt. Das gilt auch, wenn er die Tätigkeit als solche weiter ausüben lässt, weil er der Auffassung ist, sie erfülle nicht das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA.
- 55
-
(2) Die Voraussetzung der Übertragung „durch den Arbeitgeber“ ist vorliegend erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat den Obersatz rechtsfehlerfrei gebildet und für eine Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Arbeitgeber die Übertragung durch einen nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht bevollmächtigten Vertreter ausreichen lassen, wobei unterstellt werden kann, dass für die Veränderung des Verantwortungsbereichs der Klägerin eine Änderung des Arbeitsvertrages notwendig war. Das Landesarbeitsgericht hat durch eine Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass der damalige kommissarische Leiter Prof. Dr. G der Klägerin die Leitung übertragen hat. Verfahrensrügen hat die Beklagte nicht erhoben. Als Umstand, der für eine Duldungsvollmacht spricht, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend die Billigung der Strukturentscheidung des Chefarztes durch die Beklagte gesehen. Weiter bewertet das Landesarbeitsgericht die Schreiben der Klinik vom 12. Juli 2006 und vom 28. August 2006 zu Recht nicht als Entzug der medizinischen Verantwortung. In dem Schreiben vom 12. Juli 2006 teilte die Beklagte dem Chefarzt Prof. Dr. G mit, sie gehe von einer Übertragung der medizinischen Verantwortung für die Poliklinik an Dr. B aus. Das Schreiben der Beklagten vom 28. August 2006 bringt zum Ausdruck, dass die Beklagte die Voraussetzungen für eine Eingruppierung als Oberärztin nicht als erfüllt ansieht. Beide Schreiben spiegeln den Streit über die Eingruppierung der Klägerin wider. Die Beklagte hat hingegen den Verantwortungsbereich der Klägerin nicht verändert und dies - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - vom Chefarzt auch nicht gefordert. Sollte die Beklagte die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit im Ergebnis tariflich falsch bewertet haben, führt dies nicht dazu, dass die Klägerin diese Tätigkeit tatsächlich gegen den Willen der Beklagten ausübt. Die Beklagte hat die konkrete Aufgabenzuordnung an die Klägerin auch nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA bis zum heutigen Zeitpunkt nicht beanstandet.
- 56
-
bb) Die Übertragung der medizinischen Verantwortung ist auch „ausdrücklich“ iSv. § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA erfolgt.
- 57
-
(1) Entgegen der Auffassung der Revision bezieht sich die tarifliche Anforderung der „Ausdrücklichkeit“ nicht auf die einer Übertragungserklärung des Chefarztes als Vertreter der Beklagten zugrunde liegende Bevollmächtigung. Nach dem Tarifwortlaut hat lediglich die Übertragung der medizinischen Verantwortung auf die Ärztin ausdrücklich zu erfolgen; Formanforderungen an eine etwaige, hierzu erteilte Vollmacht des Arbeitgebers werden dadurch nicht begründet. Der Wortlaut des § 16 TV-Ärzte/VKA verlangt nicht, dass der Arbeitgeber den Erklärenden „ausdrücklich bevollmächtigt hat“. Eine „doppelte Ausdrücklichkeit“ sieht die Bestimmung nicht vor. Nach Sinn und Zweck ist die „ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung“ nicht mit der Vollmacht des Erklärenden gleichzusetzen. Die Übertragung der medizinischen Verantwortung durch Ausübung des Direktionsrechts oder durch Änderung des Arbeitsvertrages ist vielmehr von der Befugnis des Vertreters, entsprechende Erklärungen abzugeben, zu unterscheiden (sog. Abstraktionsprinzip, vgl. Palandt/Ellenberger 69. Aufl. Einf. vor § 164 BGB Rn. 2 mwN). Zumindest für die einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages ist zur wirksamen Vertretung gemäß § 164 Abs. 1 BGB erforderlich, dass der Erklärende innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handelt. Der Erklärende handelt mit Vertretungsmacht, wenn der Vertretene ihn wirksam bevollmächtigt hat. Die Bevollmächtigung ist strikt von der Erklärung des Vertreters zu trennen. So ist zB die Erteilung der Vollmacht gemäß § 167 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht formbedürftig, selbst wenn die Erklärung des Vertreters einer Form bedarf. Die Erklärung des Vertreters und die Vollmachtserteilung sind verschiedene Erklärungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen können.
-
(2) Einer weiteren Abgrenzung der ausdrücklichen Übertragung einer medizinischen Verantwortung von einer nicht ausdrücklichen Übertragung einer medizinischen Verantwortung bedarf es vorliegend nicht, auch wenn ohnehin eine derartige Tätigkeits- und Verantwortungszuweisung in konkludenter Form oder gar eigenmächtig durch die Ärztin selbst nur schwer vorstellbar ist. Der Klägerin ist ihre Leitungsposition durch eine dem Arbeitgeber zuzurechnende ausdrückliche Erklärung des Klinikleiters zugewiesen worden. Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme festgestellt, dass Prof. Dr. G der Klägerin die Leitung der Poliklinik und des Ambulanten Operationszentrums im Jahr 2004 übertragen hat. Insoweit hat Prof. Dr. G ausgesagt, er habe der Klägerin „erklärt, dass sie die Leitung der Poliklinik übernehmen solle“.
-
Bepler
Treber
Creutzfeldt
Hardebusch
Werner Vorderwülbecke
(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.
(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.
(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.
Tenor
-
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. April 2010 - 3 Sa 203/09 - aufgehoben.
-
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 18. März 2009 - 11 Ca 1415/08 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils zur Klarstellung wie folgt neu formuliert wird:
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. Januar 2008 nach der Entgeltgruppe 8 der Anlage 1 zu den Arbeitsvertragsrichtlinien der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg-Vorpommern zu vergüten.
-
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers.
- 2
-
Der Kläger ist staatlich anerkannter Krankenpfleger. Er ist seit 2001 als Pflegefachkraft in einem psychiatrischen Pflegeheim der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft vertraglicher Vereinbarung die von der Arbeitsrechtlichen Kommission des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs e. V. mit Wirkung zum 1. Januar 2008 neu gefassten Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs e. V. (AVR DWM) Anwendung. Die Beklagte hat den Kläger ab Januar 2008 der Entgeltgruppe 7 der Anlage 1 zu den AVR DWM zugeordnet.
-
Das psychiatrische Pflegeheim der Beklagten verfügt über 61 Plätze. 48 Plätze stehen für eine offene und 13 Plätze für eine geschlossene Heimunterbringung zur Verfügung. Die Beklagte hat die Konzeption des Pflegeheims in einem „Leitbild für das psychiatrische Pflegeheim“ zusammengefasst und ua. ausgeführt:
-
„...
2.
Art der Einrichtung und Zielgruppe
...
Sowohl die Leistungen der Pflege im Sinne des SGB XI, die eindeutig im Vordergrund stehen, als auch die Leistungen der Eingliederungshilfe werden mit dem Ziel erbracht, eine ganzheitliche individuelle Pflege und Betreuung der Bewohner entsprechend dem personenzentrierten Ansatz zu gewährleisten und einen hohen Grad an Autonomie jedes einzelnen Bewohners zu erreichen.
Mit dem Sozialministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern und dem Landkreis L ist abgestimmt, daß sich das Leistungsangebot insbesondere auf die Versorgung der folgenden Personenkreise erstreckt:
Personenkreis/Versorgungsbedarf
Einzugsbereich
1.
Chronisch psychisch kranke Erwachsene mit einer Pflegestufe, die in anderen psychiatrischen Einrichtungen aufgrund ihres Pflegebedarfs nicht (mehr) angemessen versorgt werden können
vorrangig Landkreis L
2.
Pflegebedürftige Menschen mit einer Pflegestufe nach SGB XI, die aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigung in (Alten-)Pflegeheimen nicht (mehr) angemessen versorgt werden können
vorrangig Landkreis L
3.
Erwachsene mit einem erhöhten Pflege- und Betreuungsbedarf infolge einer Chorea-Erkrankung
landesweites Spezialangebot
4.
Nach § 1906 BGB geschlossen unterzubringende pflegebedürftige Erwachsene
vorrangig Landkreis L
Personenkreis 1 (Chronisch psychisch kranke Menschen mit einem erhöhten Pflegebedarf)
Im Landkreis L besteht bislang keine speziell auf chronisch psychisch kranke Menschen ausgerichtete Pflegeeinrichtung, die einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen hat. Insofern ist das Psychiatrische Pflegeheim N ein Element der gemeindepsychiatrischen Versorgung, das Menschen des Kreises offensteht, die aufgrund ihres Pflegebedarfs in den anderen psychiatrischen Einrichtungen der Region nicht (mehr) angemessen betreut werden können.
Personenkreis 2 (Pflegebedürftige Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung)
Pflegebedürftige Menschen mit einer Pflegestufe nach SGB XI, die gleichzeitig eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung haben, können häufig in (Alten-)Pflegeheimen nicht (mehr) angemessen betreut werden. Die psychiatrische Erkrankung macht eine intensive Pflege und Betreuung erforderlich, die nur durch ein zusätzlich im psychiatrischen Bereich ausgebildetes Fachpersonal gewährleistet werden kann.
Personenkreis 3 (Menschen mit Chorea-Huntington)
Chorea Huntington (Veitstanz) zählt mit einer Prävalenz von fast 10:100000 zu den häufigsten neurologischen Erbkrankheiten. Die Krankheit tritt meist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auf. Im Krankheitsverlauf kommt es nicht nur zu neurologischen Veränderungen, sondern auch zu schweren psychischen Symptomen wie Unruhe, Ängste, Schlafstörungen, Depressionen, Suizidalität, Affektlabilität, Aggressivität und zu schizophrenieähnlichen Wahnvorstellungen. Da die Versorgung von Chorea-Patienten besonders hohe Anforderungen an die Pflege stellt und zugleich Kompetenz im Umgang mit psychiatrischen Erkrankungen erfordert, sind (Alten-)Pflegeheime in der Regel mit dieser Aufgabe überfordert. In unserer Einrichtung können 3 Bewohner mit Chorea Huntington gepflegt und betreut werden.
...
8.
Leistungen der Eingliederungshilfe (Leistungsbereich § 39 BSHG) in Ergänzung der Leistungen nach SGB XI
Neben den in aller Regel deutlich überwiegenden pflegerischen Hilfen benötigen die Bewohner des Psychiatrischen Pflegeheims auch Hilfen zur Erhaltung und Weiterentwicklung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die geeignet sind, dem Menschen mit Behinderung die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Obwohl Leistungen der Pflege bei diesem Personenkreis im Vordergrund stehen, sind zusätzlich zum Bedarf an den genannten Pflegeleistungen die im Folgenden näher beschriebenen Hilfen erforderlich. Ein Teil dieser Hilfen ist der aktivierenden Pflege nach SGB XI zuzuordnen, jedoch läßt er sich nicht ganz von den Leistungen der Eingliederungshilfe trennen.
Psychiatrische Hilfen
Um die Beeinträchtigung des Einzelnen durch die psychische Behinderung zu bewältigen bzw. zu vermindern, sind individuelle Hilfen in unterschiedlicher Intensität erforderlich:
-
Beobachtung, Information und Beratung bezüglich der Erkrankung, des Krankheitsverlaufes sowie über Kompensationsmöglichkeiten
-
Unterstützung bei der Erarbeitung von Krankheitseinsicht
-
Unterstützung bei der Bewältigung der Krankheitsfolgen, zur Erarbeitung und Einübung von alternativen bzw. krankheitsangepassten Verhaltensweisen
-
Unterstützung und Motivation zur Erschließung von Hilfsmöglichkeiten bzw. zur Inanspruchnahme von Therapiemöglichkeiten
-
entlastende und/oder konfrontierende Gespräche
-
Hilfestellung bei der Sinnorientierung und bei der Entwicklung von Lebensperspektiven, wenn die Sinngebung des eigenen Lebens nicht zur Bewältigung der Schwierigkeiten ausreicht
-
Rückfallprophylaxe: Erkennen von Signalen und Situationen, die zu einer erneuten Dekompensation führen können, Schulung der Wahrnehmung von Frühwarnsymptomen, Kompetenzerweiterung zur Verhinderung eines Rückfalles
-
Krisenintervention: akute Soforthilfen zur Überwindung von Krisen, zur Wiedererlangung des psychischen und sozialen Gleichgewichtes und zur Verhinderung einer ungünstigen Weiterentwicklung bzw. Verfestigung des Problems (z. B. plötzliche Angst- und Erregungszustände), Erarbeiten von Krisenbewältigungsstrategien
Hilfen zur Förderung und Gestaltung sozialer Beziehungen
Um die Aufnahme und Gestaltung persönlicher Beziehungen zu unterstützen, wird ein sozialer Raum bereitgestellt, in dem sich der Bewohner selbständig orientieren und erproben kann. Konflikte in der Gruppe werden zum Gegenstand bewusster Auseinandersetzung und Inhalt therapeutischer Arbeit gemacht. Um die Kompetenzen zum Leben in der sozialen Gemeinschaft innerhalb der Wohngruppe sowie in Bezug auf Freundschaften und Partnerschaften zu fördern, werden folgende Hilfen geleistet:
...
Hilfen und Anleitung im täglichen Leben
Aus eigenen Erfahrungen in der täglichen Arbeit ist zu beobachten, dass es seelisch kranken Menschen häufig schwer fällt, die sie betreffenden Angelegenheiten zu überschauen. Deshalb unterstützen wir unsere Bewohner bei der Bewältigung und Gestaltung des Alltags mit dem Ziel, ihre Selbständigkeit und Selbstbestimmung zu fördern. Im Einzelnen gehören hierzu die folgenden Angebote:
...
Soziale Betreuung/Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Aufgrund der psychischen Erkrankung bereitet es vielen Bewohnern Schwierigkeiten, sich sinnvoll die Zeit einzuteilen und eigene Ziele zu entwickeln und zu verfolgen. Um dem Bewohner eine befriedigende Freizeitgestaltung sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, werden folgende Hilfen geleistet:
...
Ergo- und Bewegungstherapie
Die Hilfen zur Eingliederung, die durch die multiprofessionellen Teams auf den Wohngruppen geleistet werden, werden ergänzt durch therapeutische Maßnahmen im Rahmen der Ergo- und Bewegungstherapie.
...
9. Therapeutische Leistungen (Leistungsbereich SGB V)
Die ärztliche Versorgung ist durch die niedergelassene Ärzteschaft und durch ergänzende Vereinbarungen mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises L sichergestellt. Die Einrichtung sorgt dafür, dass Bewohner Leistungen von niedergelassenen Ärzten sowie therapeutische Leistungen, die ärztlich verordnet wurden, in Anspruch nehmen. Dazu zählen unter anderem:
-
Diagnostik und medizinische Versorgung bei kurrenten und chronischen Erkrankungen
-
Psychosoziale Beratung
-
Psychotherapie
-
Logopädie
-
Musiktherapie
-
Physiotherapie“
- 4
-
Der Kläger ist ausschließlich im Bereich der offenen Heimunterbringung in den Wohngruppen A und B tätig, in denen 13 Bewohner mit der Pflegestufe 1, fünf Bewohner mit der Pflegestufe 2 sowie ein Bewohner mit der Pflegestufe 3 betreut werden. Die Heimbewohner haben Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis (9 Bewohner) und hirnorganischen Störungen (primär Korsakow-Syndrom; 10 Bewohner).
- 5
-
Der Kläger hat nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung vom 7. Mai 2008 mit seiner Klage die Auffassung vertreten, er erfülle mit seiner Tätigkeit die Anforderungen des Richtbeispiels der Entgeltgruppe 8 AVR DWM „Gesundheitspfleger in der Psychiatrie“. Das psychatrische Pflegeheim der Beklagten sei eine Einrichtung der „Psychatrie“ iSd. AVR DWM. Sowohl die Aufnahme in den Psychiatrieplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern als auch dessen Konzeption sprächen für eine Einrichtung der Psychiatrie. Der Einsatz in dieser Einrichtung stelle an die Pflegefachkräfte neben der pflegerischen Tätigkeit weitere, darüberhinausgehende Anforderungen. Es seien vor allem pflegerische Leistungen (Grund- und Behandlungspflege) gegenüber verwirrten, desorientierten und psychisch kranken Menschen zu erbringen. Neben der pflegerischen Kompetenz würde ein besonderes Verständnis von und im Umgang mit psychischen Erkrankungen verlangt. Es würden vertiefte und erweiterte Kenntnisse über psychiatrische Krankheiten sowie über deren angemessenen Umgang und ihre therapeutischen Möglichkeiten für die Tätigkeit benötigt. Die Hauptlast der psychiatrischen Pflege liege bei den Pflegefachkräften. Zu ihren Aufgaben gehöre die Umsetzung der Pflegeplanung. Den therapeutischen Kräften sei es nur zu einem geringen Anteil des Tages möglich, sich um die Patienten therapeutisch zu kümmern. Die Rund-um-die-Uhr-Versorgung und Betreuung erfolge durch die Pflegefachkräfte.
-
Der Kläger hat sinngemäß beantragt
-
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn ab dem 1. Januar 2008 nach der Entgeltgruppe 8 der Anlage 1 zu den Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs e. V. zu vergüten.
- 7
-
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei in der Entgeltgruppe 7 AVR DWM zutreffend eingruppiert. Er erfülle das Richtbeispiel der Entgeltgruppe 8 AVR DWM „Gesundheitspfleger in der Psychiatrie“ nicht. Der Begriff der „Psychiatrie“ betreffe nur das medizinische Fachgebiet in einem psychiatrischen Krankenhaus. In den Wohngruppen A und B des Pflegeheims seien heterogene Betreuungsteams im Einsatz, die psychologischen bzw. psychiatrischen Aufgaben würden von geschultem Fachpersonal wahrgenommen. Der Kläger erbringe ausschließlich pflegerische Tätigkeiten. Dies entspreche sowohl seiner Tätigkeits- als auch der konkreten Arbeitsplatzbeschreibung. Seine Beschäftigung sei nicht mit einer klassischen Tätigkeit „in der Psychiatrie“ zu vergleichen.
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision des Klägers ist begründet. Die nach der Klarstellung des Antrages in der Revisionsverhandlung als allgemeine Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage (zu den dabei anzuwendenden Maßstäben nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats vgl. nur BAG 6. Juni 2007 - 4 AZR 505/06 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 308)ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Eingruppierungsregelungen der AVR DWM unzutreffend ausgelegt und angewandt. Der Kläger ist in der Entgeltgruppe 8 AVR DWM eingruppiert. Die Beklagte hat ihm das sich daraus ergebende Entgelt zu zahlen.
- 10
-
I. Die Eingruppierung des Klägers richtet sich kraft vertraglicher Vereinbarung der Parteien nach der Anlage 1 zu den AVR DWM.
-
Danach gelten für die Eingruppierung des Klägers folgende Regelungen:
-
„§ 12 Eingruppierung
(1) Der Mitarbeiter ist nach den Merkmalen der übertragenen Tätigkeiten in die Entgeltgruppen gemäß der Anlage 1 eingruppiert. Die Tätigkeiten müssen ausdrücklich übertragen sein (z. B. im Rahmen von Aufgaben- oder Stellenbeschreibungen). Der Mitarbeiter erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in die er eingruppiert ist. …
(2) Die Eingruppierung des Mitarbeiters erfolgt in die Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale er erfüllt und die der Tätigkeit das Gepräge geben. Gepräge bedeutet, dass die entsprechende Tätigkeit unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitsauftrages ist.
(3) Für die Eingruppierung ist nicht die berufliche Ausbildung, sondern allein die Tätigkeit des Mitarbeiters maßgebend. Entscheidend ist die für die Ausübung der beschriebenen Tätigkeit in der Regel die erforderliche Qualifikation, nicht die formale Qualifikation des Mitarbeiters.
(4) Die Eingruppierung des Mitarbeiters richtet sich nach den Obersätzen der Entgeltgruppe, die für die Tätigkeitsbereiche in den Untersätzen näher beschrieben werden. Den Sätzen sind Richtbeispiele zugeordnet, die häufig anfallende Tätigkeiten in dieser Eingruppierung benennen.“
-
In dem Eingruppierungskatalog der Anlage 1 zu den AVR DWM heißt es ua.:
-
„Entgeltgruppe 7 (Anm. 5, 6, 11, 15)
A.
Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiter
1.
mit eigenständiger Wahrnehmung von Aufgaben
(Anm. 6) in den Tätigkeitsbereichen
a. Pflege/Betreuung/Erziehung,
...
2.
...
Richtbeispiele:
Alten-, Gesundheits- und Krankenpfleger,
...
Entgeltgruppe 8 (Anm. 6, 7, 10, 11, 14)
A.
Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die vertieftes oder erweitertes Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiter mit
1.
eigenständiger Wahrnehmung (Anm. 6) von schwierigen (Anm. 14) Aufgaben in den Tätigkeitsbereichen
a. Pflege/Betreuung/Erziehung,
...
2.
...
Richtbeispiele:
Gesundheitspfleger im OP-Dienst, in der Intensivpflege oder Psychiatrie,
Erzieher mit speziellen Aufgaben und entsprechenden Kenntnissen,
...
B.
Mitarbeiter der Entgeltgruppe 7
1.
mit eigenständiger Wahrnehmung von Aufgaben (Anm. 6) und Leitungsaufgaben (Anm. 11) in den Tätigkeitsbereichen
a. Pflege/Betreuung/Erziehung,
...
2.
...
Richtbeispiele:
Stationsleiter,
Wohnbereichsleiter,
...“
-
Die entsprechenden Anmerkungen lauten ua.:
-
„(6) Die eigenständig wahrgenommenen Aufgaben der Entgeltgruppe 7 und 8 setzen Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraus, die i.d.R. durch eine dreijährige Fachschulausbildung, aber auch anderweitig erworben werden können. Eigenständig wahrgenommen bedeutet, dass für die Erledigung der übertragenen Aufgaben Entscheidungen über Mittel und Wege zur Erreichung von Arbeitsergebnissen selbst getroffen werden. Die Aufgaben, die im Klientenbezug weitergehende emotionale und soziale Kompetenz erfordern, beinhalten Tätigkeiten, die in verschiedenen Arbeitssituationen in unterschiedlichem Maße anfallen und wechselnde Anforderungen stellen.
(7) Die verantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben der Entgeltgruppe 8 setzen vertieftes oder erweitertes Fachwissen und entsprechende Fähigkeiten voraus, die i.d.R. durch eine dreijährige Fachschulausbildung oder eine mindestens zweieinhalbjährige Berufsausbildung mit Weiterqualifikationen aber auch anderweitig erworben werden können. Verantwortlich wahrgenommen bedeutet, dass Ziele und die dazu benötigten Lösungswege selbstständig erarbeitet werden.
(11) Leitungsaufgaben werden Mitarbeitern neben ihrer Tätigkeit ausdrücklich übertragen und umfassen nicht alle der in der Anmerkung 10 beschriebenen Aspekte der Leitung.
(14) Schwierige Aufgaben weisen fachliche, organisatorische, rechtliche oder technische Besonderheiten auf, die vertiefte Überlegung und besondere Sorgfalt erfordern.“
- 14
-
II. Hiernach hat der Kläger einen Entgeltanspruch nach der Entgeltgruppe 8 AVR DWM. Seine Tätigkeit entspricht den Anforderungen des dort aufgeführten Richtbeispiels eines „Gesundheitspflegers in der Psychiatrie“.
- 15
-
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zwar nicht um Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes, weil sie nicht nach dessen Maßgabe zustande gekommen sind (st. Rspr., BAG 19. Februar 2003 - 4 AZR 11/02 - BAGE 105, 148; 20. März 2002 - 4 AZR 101/01 - BAGE 101, 9 ; 15. November 2001 - 6 AZR 88/01 - EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 48). Gleichwohl erfolgt aber die Auslegung der Arbeitsvertragsrichtlinien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den gleichen Grundsätzen, wie sie für die Tarifauslegung maßgeblich sind (BAG 14. Januar 2004 - 10 AZR 188/03 - mwN, AP AVR Caritasverband Anlage 1 Nr. 3; 18. Mai 2000 - 6 AZR 53/99 - ZTR 2001, 172). Danach ist vom Wortlaut der AVR auszugehen und anhand dessen der Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den Vorschriften der AVR ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist auch auf den systematischen Zusammenhang.
- 16
-
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Tarifverträgen sind die Erfordernisse eines Tätigkeitsmerkmales einer Entgeltgruppe regelmäßig dann als erfüllt anzusehen sind, wenn der Arbeitnehmer eine dem in der Vergütungsgruppe genannten Regel- oder Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit ausübt (BAG 28. Januar 2009 - 4 ABR 92/07 - Rn. 27, BAGE 129, 238; 18. April 2007 - 4 AZR 696/05 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Telekom Nr. 8). Das beruht darauf, dass die Tarifvertragsparteien selbst im Rahmen ihrer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewisse häufig vorkommende und typische Aufgaben einer bestimmten Vergütungsgruppe fest zuordnen können. Dies entspricht den bei der Tarifauslegung besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, denen Tarifvertragsparteien bei der Abfassung von Tarifnormen im Allgemeinen gerecht werden wollen (BAG 19. August 2004 - 8 AZR 375/03 - EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 7). Auf die allgemeinen Merkmale muss nur dann zurückgegriffen werden, wenn die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit von einem Tätigkeitsbeispiel nicht oder nicht voll erfasst wird ( BAG 25. September 1991 - 4 AZR 87/91 - mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 7 = EzA TVG § 4 Großhandel Nr. 2). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Richtbeispiel in mehreren Vergütungsgruppen genannt ist oder wenn es selbst einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, der nicht aus sich selbst heraus ausgelegt werden kann. Dann sind die Merkmale der allgemeinen Anforderungen heranzuziehen (BAG 23. September 2009 - 4 AZR 333/08 - Rn. 20 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 95). Soweit es nach der Tarifsystematik ausreicht, dass ein Regel- oder Richtbeispiel erfüllt ist, ist ein Rückgriff auf die Obersätze aber nicht nur überflüssig, sondern verbietet sich. Ansonsten würde die von dem Normgeber bewusst vorgenommene pauschalierende Bewertung, die er mit einem Richtbeispiel umgesetzt hat, nicht als solche akzeptiert, sondern in ihrer Plausibilität einer erneuten gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Diese für tarifliche Vergütungsordnungen entwickelte Auslegungsregel gilt entsprechend auch für die hier streitigen Tätigkeitsmerkmale der AVR DWM (ebenso die Rechtsprechung des Kirchengerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland - KGH EKD - zB 26. April 2010 - I-0124/R51-09 - Rn. 22, zum - hier streitigen - Richtbeispiel „Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie“ der Entgeltgruppe 8 AVR Diakonie).
- 17
-
3. Das in der Entgeltgruppe 8 AVR DWM aufgeführte Richtbeispiel eines „Gesundheitspflegers in der Psychiatrie“ wird vom Kläger durch seine Tätigkeit im psychiatrischen Pflegeheim der Beklagten erfüllt. Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Systematik der Regelungen ergibt sich, dass ein Gesundheitspfleger immer dann in der Entgeltgruppe 8 AVR DWM eingruppiert ist, wenn er „in der Psychiatrie“ tätig ist.
- 18
-
a) Der Begriff des Gesundheitspflegers und seine Tätigkeit werden von der Entgeltordnung der AVR DWM vorausgesetzt. Der Begriff entspricht der gesetzlichen Definition im Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege vom 16. Juli 2003 (BGBl. I S. 1442). Die Tätigkeit als Alten-, Gesundheits- und Krankenpfleger und -pflegerinnen wird im Grundsatz nach Entgeltgruppe 7 AVR DWM vergütet.
- 19
-
b) Soweit ein Gesundheitspfleger „in der Psychiatrie“ beschäftigt ist, erfüllt er das Richtbeispiel der Entgeltgruppe 8 AVR DWM. Die entsprechenden Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe 8 AVR DWM gehen sowohl in den abstrakten Obersätzen als auch in den zusätzlichen Merkmalen in den Richtbeispielen von erhöhten Anforderungen aus, die für die jeweiligen Tätigkeiten verlangt werden. Im Vergleich zu den Richtbeispielen eines Alten-, Gesundheits- oder Krankenpflegers der Entgeltgruppe 7 AVR DWM muss nach den Richtbeispielen der Entgeltgruppe 8 AVR DWM ein Gesundheitspfleger „im OP-Dienst, in der Intensivpflege oder Psychiatrie“ tätig sein. Die Anknüpfung an die Einrichtung, in der der Gesundheitspfleger tätig ist, erfolgt aufgrund einer typisierenden Bewertung des Normgebers, wonach Gesundheitspflege in solch speziellen Einrichtungen regelmäßig mit erhöhten Anforderungen verbunden ist. Damit knüpft die Entgeltordnung und das Richtbeispiel zur Entgeltgruppe 8 AVR DWM an ein bestimmtes, institutionelles Merkmal an. Die Einrichtung, in der der Gesundheitspfleger tätig wird, muss „der Psychiatrie“ zuzuordnen sein.
- 20
-
c) Diese Auslegung wird durch systematische Überlegungen gestützt. Die Entgeltordnung stellt darauf ab, dass dann, wenn bestimmte Tätigkeiten in bestimmten Einrichtungen oder unter bestimmten Umständen ausgeübt werden, bereits die allgemeinen Anforderungen des jeweiligen Obersatzes einer höheren Entgeltgruppe erfüllt sind. Hinsichtlich der Gesundheitspfleger der Entgeltgruppe 7 AVR DWM ist eine solche pauschalierende Bewertung für diejenigen getroffen worden, die in der Psychiatrie, im OP-Dienst oder in der Intensivpflege tätig sind. Die dabei regelmäßig auftretenden besonderen Belastungen oder Anforderungen sind vom Normgeber der AVR DWM so typisierend bewertet worden, dass sie stets eine Eingruppierung in die höhere Entgeltgruppe 8 rechtfertigen.
- 21
-
Die Verknüpfung von bestimmten Tätigkeiten mit dem Ort oder der Art der Einrichtung, in der sie ausgeübt werden, sieht die Entgeltordnung der AVR DWM in einigen Entgeltgruppen vor. So sind in der Entgeltgruppe 2 die Reinigungskräfte „in Wohn-, Betreuungs- und Behandlungsräumen“ als Richtbeispiele genannt. Entgeltgruppe 3 zählt hierzu die „Mitarbeiter im Empfang, in der Registratur und in der Telefonzentrale“. Entgeltgruppe 4 nennt „Mitarbeiter in der Buchhaltung, Patientenverwaltung oder dem Einkauf“. Auch bei höherwertigen Tätigkeiten werden bestimmte Institutionen genannt, etwa bei der Entgeltgruppe 9: „Leiter einer kleineren Schule für Alten-, Kranken- oder Entbindungspflege“.
- 22
-
Dieser Anbindung von Tätigkeiten an eine Institution, in der sie ausgeübt werden, steht die daneben in anderen Richtbeispielen der Entgeltordnung der AVR DWM enthaltene Qualifizierung einer höherwertigen Tätigkeit durch inhaltliche, qualitativ zu bewertende Anforderungen gegenüber. So ist zu derselben Entgeltgruppe 8 ua. das Richtbeispiel „Erzieher mit speziellen Aufgaben und entsprechenden Kenntnissen“ geregelt (ebenso Heilerziehungspfleger; vgl. auch etwa zu Entgeltgruppe 5: einerseits Altenpfleger- und Heilerziehungshelfer mit speziellen Aufgaben, andererseits Unterstützungskraft in Kindertagesstätten). Die Charakterisierung einer Aufgabe als speziell, die unmittelbar im Richtbeispiel genannt ist, bedarf daher immer einer qualitativen, im Regelfall vergleichenden Wertung im Einzelfall der jeweiligen Tätigkeit, bei der auf die Anforderungen der Obersätze zurückgegriffen werden kann und muss. Diese qualitative Bewertung der Richtbeispiele ist bei den an die Tätigkeit in einer bestimmten Institution angebundenen Richtbeispielen durch den Normgeber der AVR DWM bereits abschließend vorgenommen worden. Hieran sind die Gerichte für Arbeitssachen gebunden. Sie dürfen daher bei einer solchen Tätigkeit keine Überprüfung dahingehend vornehmen, ob der bei der pauschalierenden Bewertung des Normgebers generell vermutete Grund für die Höherbewertung im Einzelfall auch nach Maßgabe der Obersätze tatsächlich vorliegt.
- 23
-
d) Soweit die Rechtsprechung des KGH EKD hiervon abweicht, folgt ihr der Senat nicht.
- 24
-
aa) Der KGH EKD hält das Richtbeispiel „Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie“ für mehrdeutig und meint, es sei so zu verstehen, dass von ihm nur die Mitarbeiter erfasst würden, die in psychiatrischen Einrichtungen eine die Gesamttätigkeit prägende Pflegetätigkeit ausübten, die auf die besonderen Bedürfnisse der Patienten in der Psychiatrie ausgerichtet seien (KGH EKD 26. April 2010 - I-0124/R60-09 -).
- 25
-
bb) Nach Auffassung des erkennenden Senats kann der in § 12 Abs. 2 AVR DWM formulierte Begriff des „Gepräges“ für die Auslegung dieser Tätigkeitsmerkmale und Richtbeispiele nicht herangezogen werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist das „Gepräge“ erst heranzuziehen, wenn mehrere Tätigkeitsmerkmale erfüllt sind und festzustellen ist, welches der - erfüllten - Tätigkeitsmerkmale bzw. der zugrundeliegenden Teiltätigkeiten der gesamten Tätigkeit (dem „Arbeitsauftrag“, § 12 Abs. 2 Satz 2 AVR DWM) das Gepräge gibt.
- 26
-
Zudem trägt eine Anwendung des Geprägebegriffs bereits bei der Auslegung von Richtbeispielen und Tätigkeitsmerkmalen im Allgemeinen dem Charakter von Richtbeispielen nicht hinreichend Rechnung. Bei dieser methodischen Vorgehensweise käme es zu einer qualitativ-wertenden Einbeziehung der in den Obersätzen formulierten Anforderungen bei der Auslegung der Richtbeispiele. Danach wäre das Richtbeispiel eines Gesundheitspflegers in der Psychiatrie wie folgt zu lesen: „Gesundheitspfleger in der Psychiatrie, wenn und soweit pflegerische Tätigkeiten anfallen, die auf die besonderen Bedürfnisse der Patienten in der Psychiatrie ausgerichtet sind“ (vgl. dazu KGH EKD 26. April 2010 - I-0124/R60-09 -). Ein solches Richtbeispiel hat der Normgeber aber nicht formuliert. Auch würde dabei eine qualitative Betrachtung erforderlich werden, die in der nach dem Wortlaut rein örtlichen und einrichtungsbezogenen Bestimmung nicht enthalten ist.
- 27
-
e) Die Voraussetzungen des Richtbeispiels der Entgeltgruppe 8 AVR DWM „Gesundheitspfleger in der Psychiatrie“ sind gegeben.
- 28
-
aa) Der Kläger ist Gesundheitspfleger iSd. Regelung. Mit der Reform des Krankenpflegerechts durch das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege vom 16. Juli 2003, in Kraft ab 1. Januar 2004 (aktuelle Fassung vom 1. April 2012) ist die Berufsbezeichnung der bisherigen „Krankenpfleger“ in „Gesundheits- und Krankenpfleger“ geändert worden (§ 23 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Krankenpflegegesetz). Der Kläger ist staatlich anerkannter Krankenpfleger und erfüllt daher - auch nach Auffassung der Parteien - unter der Arbeitsvertragsbezeichnung „Pflegefachkraft“ die entsprechende Anforderung des hier fraglichen Tätigkeitsmerkmales.
- 29
-
bb) Der Kläger übt seine Gesundheitspflegertätigkeit auch „in der Psychiatrie“ aus. Unter dem vom Normgeber der AVR DWM im Richtbeispiel gewählten Begriff der „Psychiatrie“ fallen nicht nur die psychiatrischen Kliniken im engeren Sinne, sondern auch psychiatrische Einrichtungen anderer Art, in denen die spezifischen Aufgaben einer psychiatrischen Klinik ohne deren strikten institutionellen Rahmen - ganz oder teilweise - erfüllt werden. Dies ist bei dem psychiatrischen Pflegeheim der Beklagten der Fall.
- 30
-
(1) Der Begriff „Psychiatrie“ wird im Allgemeinen in zweifacher Hinsicht gebraucht. Er bedeutet zum einen ein „Fachgebiet der Medizin, das sich mit der Erkennung u. Behandlung psych. Krankheiten befasst“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. S. 1177; ebenso Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Bd. 7). Zum anderen bezeichnet er umgangssprachlich eine „psychiatr. Klinik“ (Wahrig aaO) bzw. „(Jargon) psychiatrische Abteilung, Klinik“ (Duden aaO). Der im Richtbeispiel gewählte Begriff orientiert sich erkennbar an der zweitgenannten Bedeutung und erfasst daher den Gesundheitspfleger in einer „psychiatrischen Einrichtung“ („Klinik, Abteilung“).
- 31
-
(2) „Die Psychiatrie“ im Sinne der Regelung ist danach nicht auf die „klassische“ psychiatrische Klinik begrenzt. Nach Sinn und Zweck der Norm werden auch die Einrichtungen erfasst, die gemeinsam das Netz der psychiatrischen Versorgung des Landes Mecklenburg-Vorpommern bilden.
- 32
-
(3) Der Begriff der „Psychiatrie“ ist nicht notwendig identisch mit dem Begriff der „psychiatrischen Klinik“. Eine solche Begrenzung wäre unmittelbar nur aus dem Tatbestandsmerkmal „psychiatrische Klinik“ oder aus einer vergleichbar eindeutigen Bezugnahme, etwa auf entsprechende Begriffe im Krankenversicherungsrecht (zB § 118 SGB V), zu folgern. Der Systematik ist lediglich zu entnehmen, dass mit dem Begriff der „Psychiatrie“ die Institution gekennzeichnet werden soll, in der die Pflegetätigkeit erbracht wird, nicht dagegen die jeweils konkrete Subsumtion einer speziellen, von einem einzelnen Gesundheitspfleger in einer Einrichtung ausgeübten Pflegetätigkeit.
- 33
-
(4) Für eine Erstreckung des Begriffs der Psychiatrie auf psychiatrische Pflegeheime, wie das der Beklagten, sprechen weiter die folgenden Gesichtspunkte:
- 34
-
Die „Psychiatrie“ ist kein Begriff, der quasi wissenschaftlich definiert ist. Er ist eher der Umgangssprache zuzuordnen (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 263. Aufl. S. 1721). Wenn die Zugehörigkeit einer Institution zur „Psychiatrie“ als Merkmal genannt wird, besteht sprachlich keine Möglichkeit, diese Zugehörigkeit schon vom Wortlaut her präzise abzugrenzen. Es geht vielmehr um eine allgemeine Zuordnung zu Einrichtungen, in denen psychiatrisch erkrankte Patienten behandelt und ggf. gepflegt werden.
-
Dem entspricht, dass die „psychiatrische Versorgung“ im Allgemeinen und speziell im Land Mecklenburg-Vorpommern nicht auf psychiatrische Kliniken begrenzt ist. Die allgemeine gesundheitspolitisch-administrative Festlegung der Landesregierung in diesem Bereich wird als „Psychiatrieplan“ bezeichnet (vgl. das Geleitwort der Ministerin zum „Plan zur Weiterentwicklung eines integrativen Hilfesystems für psychisch kranke Menschen in Mecklenburg-Vorpommern“ von August 2011). Dazu heißt es in § 6 Abs. 3 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke vom 13. April 2000 (PsychKG M-V):
-
„Für den Versorgungsbereich eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer psychiatrischen Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses werden Beauftragte (Psychiatriekoordinatoren) bestellt, die in Zusammenarbeit mit den in Absatz 2 aufgeführten Stellen (ua. „den psychiatrischen Krankenhäusern und sonstigen psychiatrischen Einrichtungen …“) die Betreuung der psychisch Kranken im Versorgungsbereich des Krankenhauses koordinieren. … Die Versorgungsbereiche werden durch den Sozialminister … im Rahmen eines Psychiatrieplans festgelegt.“
- 36
-
Daraus ergibt sich, dass der Begriff der Psychiatrie sowohl nach der Terminologie des (Landes-)Gesetzgebers als auch nach der der Exekutive deutlich weiter reicht als dies eine Wertung als bloßes Synonym für „psychiatrische Klinik“ fassen würde.
- 37
-
(5) Das psychiatrische Pflegeheim der Beklagten wird von dem Psychiatrieplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern 1994 erfasst. Das ergibt sich sowohl aus dem Psychiatrieplan 1994 selbst, als auch aus der von der Beklagten selbst erstellten Konzeption für das psychiatrische Pflegeheim. Die Konzeption weist neben den offenen Bereichen, in denen der Kläger tätig ist, auch eine geschlossene Abteilung auf. Die Unterbringung, bspw. nach § 1906 BGB oder nach § 9 ff. PsychKG M-V erfolgt in der Regel in psychiatrischen Kliniken, die von dem tariflichen Begriff der „Psychiatrie“ ohne Weiteres erfasst werden. Eine Unterbringung kann aber auch in dem psychiatrischen Pflegeheim der Beklagten (dort: Personenkreis 4) erfolgen. Dem entspricht, dass die Beklagte selbst stets darauf verwiesen hat, der Kläger habe mit dem Bereich der geschlossenen Unterbringung in ihrer Einrichtung nichts zu tun. Wenn die Frage der Zugehörigkeit zu „der Psychiatrie“ aber keine Frage der konkreten Tätigkeit des Klägers ist, sondern einer Eigenschaft der Institution, in der er tätig ist, käme eine Differenzierung nach den konkreten Tätigkeiten nur in Betracht, wenn das psychiatrische Pflegeheim nach dem geschlossenen und dem offenen Teil als zwei getrennte Institutionen zu werten wäre. Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte. Gerade der integrative Charakter der verschiedenen Teile der psychiatrischen Einrichtungen wird häufig als Merkmal einer modernen Versorgung im Bereich „der Psychiatrie“ verstanden.
- 38
-
Auch die konkreten Erscheinungsformen psychiatrischer Krankheiten in den verschiedenen Abteilungen im Heim der Beklagten legen eine Gesamtbetrachtung nahe. Nach der Konzeption der Beklagten gibt es zwischen den Diagnosen für den offenen und für den geschlossenen Bereich keine Differenzierungen. Lediglich hinsichtlich der gerichtlich überprüften Notwendigkeit einer Unterbringung ist bei deren Vorliegen die Aufnahme in die geschlossene Abteilung vorgesehen. Das PsychKG M-V sieht dafür in § 11 eine gegenwärtige erhebliche Gefahr einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit vor, die nicht anders abgewendet werden kann. Diese muss auf der psychischen Erkrankung beruhen. Die Unterbringung ist daher nicht Patienten mit bestimmten, besonders schweren psychischen Erkrankungen vorbehalten, sondern orientiert sich an einer aktuellen Selbst- oder Fremdgefährdung, bei welchem Krankheitsbild auch immer. Dementsprechend finden sich auch in den offenen Wohnbereichen in den Wohngruppen A und B Patienten mit Diagnosen schwerer psychischer Erkrankungen, wie schizophrene und affektive Psychosen und hirnorganischen Psychosyndromen (vgl. Konzeption S. 5). Die Psychose ist, auch wenn sie in unterschiedlichen Verlaufsformen auftritt, eine der schwersten psychischen Erkrankungen. Es handelt sich um eine komplexe psychische Störung mit gestörtem Selbst- und Realitätsbezug, die durch Denk-, Wahrnehmungs- und motorische Störungen, abnorme Erlebnisse und Erfahrungen eines gesteigerten subjektiven Bedeutungsbewusstseins gekennzeichnet ist (Pschyrembel Psychiatrie - Klinische Psychologie - Psychotherapie S. 649). Symptome einer schizophrenen Psychose sind schwere Wahnvorstellungen und Halluzinationen (vgl. dazu detailliert Möller/Laux/Kapfhammer Psychiatrie und Psychotherapie 2. Aufl. S. 1066 ff.). Häufigste Todesursache ist der Suizid. Affektive Psychosen äußern sich zumeist in einem Wechsel zwischen schweren Depressionen mit Antriebsarmut bis zur völligen Lähmung jeder Aktivität und Wahngedanken einerseits sowie manischen Zuständen, in denen sich Hyperaktivität und völlige Überschätzung der eigenen Möglichkeiten sich bis zu wahnhaften Größenvorstellungen steigern (Springer Lexikon Medizin S. 1779 f.). Zu den Hauptsymptomen der hirnorganischen Psychosyndrome zählen die Demenz, das Delirium, die Amnesie und der Aufmerksamkeitsverlust (Springer Lexikon Medizin S. 1776 ff.). Ferner trifft man oft auf Sprachstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Aggression, Bewusstseinstrübung, Veränderungen der Psychomotorik und unwillkürliche Bewegungen. Zu den hirnorganischen Psychosyndromen zählt auch Chorea Huntington. Die im Heim der Beklagten aufgenommenen Chorea Huntington-Patienten sind in offenen Wohngruppen untergebracht, in denen auch der Kläger tätig ist. Nach dem Konzeptionspapier der Beklagten (S. 4) kommt es bei diesen Patienten nicht nur zu neurologischen Veränderungen, sondern auch zu schweren psychischen Symptomen wie Unruhe, Ängste, Schlafstörungen, Depressionen, Suizidalität, Affektlabilität, Aggressivität und zu schizophrenieähnlichen Wahnvorstellungen. Hinsichtlich dieser Patientengruppe stellt die Aufnahme in das psychiatrische Pflegeheim der Beklagten ein „landesweites Spezialangebot“ (Konzeption S. 4) dar.
- 39
-
Die moderne Psychiatrie ist - wie auch die Konzeption der Beklagten und der Psychiatrieplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern - ganzheitlich ausgerichtet und hat einen deutlich integrativen Charakter. Die frühere strenge Abtrennung bei der Behandlung psychisch Kranker in geschlossenen Abteilungen ist - insbesondere in der langfristigen Folge des grundlegenden Berichts zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Enquéte-Kommission Psychiatrie, BT-Drucks. 7/4200 vom 25. November 1975) - bewusst zugunsten eines flexibleren Systems der psychiatrischen Versorgung aufgegeben worden (Asanger/Wenninger Handwörterbuch Psychologie 1999 S. 574 ff. Stichwort: Psychiatrie; detailliert Schott/Tölle Geschichte der Psychiatrie, passim, insbes. S. 311 ff.). Die Einweisungen und die Anordnung der Unterbringung sind deutlich seltener geworden, weil derartige Erkrankungen differenzierter diagnostiziert und behandelt werden. Dementsprechend ist das Behandlungs- und Pflegeangebot differenzierter geworden.
- 40
-
Ist daher der Begriff „der Psychiatrie“ deutlich weiter gefächert als früher und erstreckt er sich insbesondere weit über geschlossene psychiatrische Kliniken oder Abteilungen hinaus, ist davon auszugehen, dass die frühere Unterscheidung aufgehoben worden ist und sich in dem weiten Begriff der „Psychiatrie“ niederschlägt und deshalb durch eine einheitliche Eingruppierung der Pflegekräfte nachvollzogen worden ist.
-
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als Unterlegene zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
-
Eylert
Winter
Creutzfeldt
Dierßen
Fritz
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.