Finanzgericht München Urteil, 03. Feb. 2016 - 2 K 1702/15

bei uns veröffentlicht am03.02.2016

Gericht

Finanzgericht München

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Streitig ist im Rahmen eines Berichtigungsverlangens des Klägers nach § 129 der Abgabenordnung (AO), ob der Gewinn aus selbständiger Arbeit um 5.747 € gemindert werden kann, weil eine für den Veranlagungssachbearbeiter erkennbare offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen ist.

Der Kläger erzielte im Streitjahr als Gynäkologe selbständige Einkünfte. Die Praxis befindet sich in BL. Der private Wohnsitz des Klägers ist in B. Für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie Familienheimfahrten verwendete er ein betriebliches Kfz.

Am 11. Februar 2014 übermittelte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Daten der Feststellungserklärung 2012 des Klägers elektronisch an den Beklagten (das Finanzamt -FA-). Als tatsächliche Kraftfahrzeugkosten und andere Fahrtkosten waren unter der Kennziffer 140: 6.950,07 € angegeben (vgl. Feststellungsakte, Trennblatt Gewinnermittlung 2012, Bl. 4, 5).

Mit Schreiben vom 6. Mai 2014 bat der Veranlagungssachbearbeiter des FA den Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Kraftfahrzeugkosten des Klägers zu erläutern, insbesondere um die ermäßigten Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung / Betrieb -hier: Familienheimfahrten-. Im Vorjahr seien hierfür 5.747 € angesetzt worden.

Am 6. Juni 2014 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Anlagenverzeichnis für das Jahr 2012 und wies darauf hin, dass er die übrigen Unterlagen und Informationen dem FA separat zukommen lasse. Am 13. Juni 2014 teilte er dem FA mit, dass bezüglich der Ansätze für die private Kfz-Nutzung, wie in den Vorjahren, ein Betrag von 5.047 € (wohl gemeint: 5.747 €) anzusetzen sei. Versehentlich seien bei der dem FA vorliegenden Aufstellung falsche Werte eingesetzt worden. Dazu legte er die Gewinnermittlung für 2011 bei (vgl. Feststellungsakte, Trennblatt: Gewinnermittlung 2012, Bl. 13 ff.).

Als tatsächliche Kraftfahrzeugkosten und andere Fahrtkosten erfasste der Veranlagungssachbearbeiter daraufhin unter der Kennziffer 140: 6.950,07 € und als Kraftfahrzeugkosten für Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte; Familienheimfahrten (pauschaliert oder tatsächlich) unter der Kennziffer 142: 5.747 € und setzte im Feststellungsbescheid 2012 vom 30. Juni 2014 die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 58.775,72 € fest.

Am 13. Februar 2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Feststellungsbescheid 2012 gemäß § 129 AO zu ändern. In der dem FA eingereichten Gewinnermittlung für das Jahr 2012 sei bereits ein Betrag von 4.300 € für Familienheimfahrten statt von 5.747 € ausgewiesen gewesen. Danach hätte unter Ansatz des Vorjahreswertes lediglich eine Gewinnkorrektur in Höhe von 1.447 € erfolgen dürfen. Der betriebliche Gewinn betrage demnach 54.475 €. Die im Feststellungsbescheid ausgewiesen Einkünfte seien dagegen mit 58.775 € festgestellt worden, so dass die Familienheimfahrten nochmals mit 5.747 € berücksichtigt worden seien.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2015 lehnte das FA die Änderung des Feststellungsbescheids 2012 ab, weil die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das FA weder erkennbar noch die Unrichtigkeit offenbar gewesen sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2015 als unbegründet zurück.

Mit Klage wendet sich der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt erneut vor, dass der Gewinn um 5.747 € auf 53.028,72 € zu mindern sei.

Mit Schriftsatz vom 11. August 2015 korrigierte der Prozessbevollmächtigte seinen Antrag und begehrt nun den Gewinn des Klägers auf 54.475 € festzustellen. Dem FA sei die Gewinnermittlung 2012, insbesondere der Kontennachweis zur EÜR 2012, übersandt worden. Der Sachbearbeiter hätte die bereits vorgenommene Kürzung um 5.747 € erkennen können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 16. Februar 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2015 das FA zu verpflichten, den Bescheid für 2012 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zu ändern und Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 54.475 € festzustellen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dem FA habe entgegen der Darstellung des Klägers weder die Gewinnermittlung 2012 noch der Kontennachweis zur EÜR 2012 vorgelegen. Der Veranlagungssachbearbeiter habe bei der Veranlagung die Kürzung der Kraftfahrzeugkosten bewusst vorgenommen. Es habe sich dabei weder um einen Rechenfehler noch um ein Versehen gehandelt. Eine Änderung nach § 129 AO sei daher ausgeschlossen.

Auf die gerichtliche Anforderung vom 17. September 2015, den Kontennachweis zur EÜR 2012 vorzulegen, wird Bezug genommen.

II.

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet (vgl. BFH-Urteil 13. Dezember 1983 VIII R 67/81, BStBl II 1984, 511).

1. Entgegen der Auffassung des Klägers scheidet § 129 AO als Rechtsgrundlage für die begehrte Korrektur aus.

a) Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.

Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO– jenseits seines Wortlautsnach ständiger Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn die Finanzbehörde offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. Unrichtigkeiten auf der Seite des Steuerpflichtigen sind offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben.

Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ermöglicht § 129 AO dem Grunde nach die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten, die der Finanzbehörde beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen. Die Vorschrift gilt dagegen nicht für Versehen des Steuerpflichtigen oder eines anderen Beteiligten, es sei denn, ein solches Versehen wird von der Finanzbehörde als eigenes in den Verwaltungsakt übernommen. Bereits die von der Rechtsprechung anerkannte Berücksichtigung derartiger „Übernahmefehler“ geht über den Wortlaut der Norm hinaus; eine noch weiter gehende Berichtigung „vermeintlicher“ mechanischer Fehler, welche als solche gar nicht von § 129 AO erfasst sind, sondern lediglich aus Empfängersicht als offenbare Unrichtigkeiten erscheinen mögen, ist weder vom Wortlaut noch vom Zweck der Regelung des § 129 AO gedeckt (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BStBl II 2015, 1040, m.w.N.).

b) Im Streitfall sind die Unrichtigkeiten auf der Seite des Klägers für den Veranlagungsbeamten nicht offenbar gewesen, da sie sich nicht ohne weiteres aus der Feststellungserklärung 2012, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben haben, insbesondere lag dem Veranlagungsbeamten bei der Veranlagung 2012 weder die Gewinnermittlung 2012 noch der Kontennachweis zur EÜR 2012 vor. Darauf hat das FA bereits mehrfach hingewiesen (Schreiben vom 17. März 2015, Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2015, Schriftsätze vom 1. September 2015 und vom 19. Oktober 2015). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dem FA mit Schreiben vom 13. Juni 2014 die Gewinnermittlung sowie den Kontennachweis zur EÜR 2011 vorgelegt. Daraus ist jedenfalls nicht erkennbar gewesen, dass der Prozessbevollmächtigte die Familienheimfahrten bereits mit (zunächst 4.300 € und nach Korrektur um) 5.747 € bei der Ermittlung der betrieblichen Kraftfahrzeugkosten berücksichtigt hat (vgl. die im Klageverfahren vorgelegten Kontennachweise zur EÜR 2012, FG-Akte, Bl. 27 f.).

§ 129 AO ist im Übrigen nach den oben genannten Grundsätzen dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Dies ist hier der Fall. Der Veranlagungssachbearbeiter hat sich nicht fehlerfrei bei seiner von ihm angestellten Berechnung (vgl. Feststellungsakte, Trennblatt Gewinnermittlung 2012, Bl. 6, 15) überlegt oder zumindest nicht weiter aufgeklärt, wieso die Kfz-Kosten von 6.950,07 € nach Abzug von 5.747 € nur noch 1.203,07 € betragen und ob das richtig sein könne.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die zutreffende weitere Begründung in der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2015 verwiesen, vgl. § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung -FGO-.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch für den Fall der Übertragung auf die Einzelrichterin verzichtet.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 90


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Ger

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 105


(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrun

Abgabenordnung - AO 1977 | § 129 Offenbare Unrichtigkeiten beim Erlass eines Verwaltungsakts


Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem sch

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Bundesfinanzhof Urteil, 16. Sept. 2015 - IX R 37/14

bei uns veröffentlicht am 16.09.2015

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 4. Juni 2014  1 K 1333/12 sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28. März 2012 aufgehoben.

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Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 4. Juni 2014  1 K 1333/12 sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28. März 2012 aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid des Beklagten vom 4. März 2011 wird mit der Maßgabe geändert, dass die nach § 129 der Abgabenordnung vorgenommene Berichtigung hinsichtlich der Einkünfte aus Stillhaltergeschäften unterbleibt.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im Streitjahr 2005 getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berechtigt war, den aufgrund der Einkommensteuererklärung des Klägers bestandskräftig ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 22. August 2007 nach § 129 der Abgabenordnung (AO) zu berichtigen.

2

Der Kläger erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte aus Stillhaltergeschäften, deren Höhe von dem mit der Abwicklung der Geschäfte beauftragten Bankinstitut ermittelt und deren Umfang in einer sechsseitigen Einzelumsatzaufstellung dargestellt wurde. Der Einzelumsatzaufstellung hat das Bankinstitut eine mit "Zusammenfassung nach § 22 EStG (Stillhaltergeschäfte)" überschriebene Übersicht vorangestellt, in der die Einnahmen den Werbungskosten gegenübergestellt sind und das steuerliche Ergebnis errechnet wurde.

3

Der mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beauftragte steuerliche Berater des Klägers ordnete die --nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden-- Einkünfte aus Stillhaltergeschäften in Höhe von 41.295 € den Einkünften aus "privaten Veräußerungsgeschäften" i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) zu. Er berücksichtigte diese --nach Saldierung mit weiteren Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von ./. 186 €, die ebenfalls nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterlagen-- in Höhe von 41.109 € unter Kennziffer 116 auf der Rückseite der "Anlage SO", welche an dieser Stelle im Feld "Private Veräußerungsgeschäfte - Andere Wirtschaftsgüter" Eintragungen für nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende "Gewinne/Verluste aus weiteren Veräußerungen von anderen Wirtschaftsgütern" des Steuerpflichtigen vorsieht. Dementsprechend nahm der steuerliche Berater auf der Vorderseite der "Anlage SO" im Feld "Leistungen", in dem Steuerpflichtige aufgefordert werden, "Einnahmen aus Stillhaltergeschäften im Optionshandel" einzutragen, keine Eintragungen vor.

4

Dem vom steuerlichen Berater des Klägers insoweit unter Kennziffer 116 angegebenen (saldierten) Betrag in Höhe von 41.109 € wurde maschinenschriftlich der Vermerk "s. Ergänzung zur Anlage SO" hinzugefügt. Die insoweit in Bezug genommene, vom steuerlichen Berater des Klägers erstellte und der Einkommensteuererklärung des Klägers beigefügte "Ergänzungsliste zur Anlage SO" ist mit "private Veräußerungsgeschäfte - Weitere Veräußerungen Andere Wirtschaftsgüter" überschrieben. In der Liste sind sechs Geschäfte benannt und hinsichtlich Zeitpunkt von Anschaffung und Veräußerung, Veräußerungspreis und Anschaffungskosten erläutert; zudem findet sich der Hinweis, ob Gewinne bzw. Verluste dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen oder nicht. Aus dem Saldo der ersten fünf privaten Veräußerungsgeschäfte (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG) errechnet sich ein Verlust in Höhe von./. 186 €. Das letzte Geschäft auf dieser Liste ist wie folgt bezeichnet:
"Anderes Wirtschaftsgut: Stillhaltergeschäft lt. Zusammenf. (..Bankinstitut..) 23.5.06,
Zeitpunkt der Anschaffung 01.01.2005
Zeitpunkt der Veräußerung 31.12.2005
Nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegend
[...]
Gewinn/Verlust 41.295 EUR".
Als Beleg zu diesem Geschäft hat der Kläger die sechsseitige Einzelumsatzaufstellung seines Bankinstituts einschließlich der vorangestellten "Zusammenfassung nach § 22 EStG (Stillhaltergeschäfte)" seiner Einkommensteuererklärung beigefügt.

5

Nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindenden Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hat der steuerliche Berater des Klägers eingehende rechtliche Überlegungen zur steuerrechtlichen Behandlung der Stillhaltergeschäfte, welche zum Zeitpunkt der Erstellung der Einkommensteuererklärung rechtlich umstritten und nicht höchstrichterlich geklärt war, angestellt; erst aufgrund dieser rechtlichen Wertung ist er zu einer Zuordnung der Stillhaltergeschäfte zu den "privaten Veräußerungsgeschäften" und mithin zu einer Berücksichtigung unter Kennziffer 116 der "Anlage SO" gelangt.

6

Nachdem der Kläger auf Anfrage des FA weitere Erläuterungen zu den in seiner Steuererklärung angegebenen Kapitaleinkünften nachgereicht hatte, hakte die Sachbearbeiterin des FA den unter Kennziffer 116 in der Steuererklärung eingetragenen Betrag in Höhe von 41.109 € ab und nahm im Feld "Private Veräußerungsgeschäfte - Andere Wirtschaftsgüter" auf der Rückseite der "Anlage SO" mit brauner Farbe folgende Eintragung vor: "≠ HEV ./. 187 lt. Ergänzungsliste". Durch das Belassen der Einkünfte aus dem Stillhaltergeschäft in dem unter Kennziffer 116 eingetragenen Gesamtbetrag wurden die insoweit erzielten Einkünfte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2, 4 EStG) im dort angesetzten Gesamtbetrag von 40.759 € berücksichtigt und kamen dadurch mit einem Verlustvortrag aus Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in gleicher Höhe zur Verrechnung. Im Falle einer Eintragung des Stillhaltergeschäftes im Feld "Leistungen" auf der Vorderseite der "Anlage SO", in dem "Einnahmen aus Stillhaltergeschäften im Optionshandel" unter der Kennziffer 164 und hierdurch angefallene Werbungskosten unter der Kennziffer 176 anzugeben sind, wäre es zu einer Berücksichtigung als sonstige Leistung (§ 22 Nr. 3 EStG) gekommen, ohne dass hierauf Verlustvorträge verrechnet worden wären. Der unter Maßgabe dieser Besteuerungsgrundlagen erlassene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 22. August 2007 wurde bestandskräftig.

7

Im Anschluss an eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung erließ das FA unter dem 4. März 2011 einen nach § 129 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem --neben nicht weiter streitigen Änderungen-- die Einkünfte aus den Stillhaltergeschäften nunmehr bei den Einkünften aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG in Höhe von 45.488 € berücksichtigt wurden. Gegen die geänderte Zuordnung der Stillhaltergeschäfte wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch; dieser blieb ohne Erfolg.

8

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es vertrat die Auffassung, dass der maßgebliche Einkommensteuerbescheid zu Recht nach § 129 AO geändert worden sei; denn die genannte Vorschrift sei auch dann anwendbar, wenn das FA --wie im Streitfall-- offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernehme. Zwar habe der steuerliche Berater bei der Zuordnung der Stillhaltergeschäfte zu den privaten Veräußerungsgeschäften zweifelsfrei rechtliche Überlegungen angestellt. Für einen objektiven Dritten habe sich diese Zuordnung indes --unter Berücksichtigung der weiteren Umstände der Erklärungsabgabe-- als mechanisches Versehen dargestellt, welches dem Kläger bei Erstellung seiner Einkommensteuererklärung unterlaufen sei. Diese lediglich als mechanisches Versehen erscheinende Zuordnung habe das FA bei Erlass des Einkommensteuerbescheides übernommen, ohne selbst rechtliche Überlegungen anzustellen.

9

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er vertritt die Auffassung, dass ihm bzw. seinem steuerlichen Berater bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr kein nach § 129 AO berichtigungsfähiger Schreibfehler, Rechenfehler und auch keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit unterlaufen sei; vielmehr liege der Fehler in einer unzutreffenden Einordnung des Stillhaltergeschäftes als "privates Veräußerungsgeschäft", welche aufgrund tiefgehender rechtlicher Überlegungen unzutreffend vorgenommen worden sei. Ein solcher Rechtsfehler des Steuerpflichtigen sei auch dann nicht nach § 129 AO zu berichtigen, wenn er vom FA übernommen worden sei. Entgegen der Auffassung des FG habe aber auch das FA rechtliche Überlegungen angestellt und nicht lediglich "mechanisch" gehandelt.

10

Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des FG vom 4. Juni 2014  1 K 1333/12 aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 4. März 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. März 2012 dahin zu ändern, dass die nach § 129 AO vorgenommene berichtigte Zuordnung der Einkünfte aus Stillhaltergeschäften zu den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 3 EStG unterbleibt.

11

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Im Streitfall sei zwar davon auszugehen, dass weder dem Kläger noch dem FA ein mechanischer Fehler unterlaufen sei. Vielmehr sei dem Kläger durch die Zuordnung der Stillhaltergeschäfte zu den "privaten Veräußerungsgeschäften" i.S. des § 23 EStG ein rechtlicher Fehler unterlaufen. Allerdings habe sich aus dem Akteninhalt bei objektiver Betrachtung ein mechanisches Versehen ergeben, welches in Wahrheit nicht vorgelegen habe. Das FG sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein "vermeintliches", nur aus Empfängersicht als solches erscheinendes Versehen nach § 129 AO berichtigungsfähig sei.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 22. August 2007 nach § 129 AO berichtigt werden konnte.

14

1. Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden.

15

a) Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.

16

b) Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO --jenseits seines Wortlauts-- nach ständiger Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Juni 2007 IX R 2/07, BFH/NV 2007, 2056; vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505, und vom 3. Juni 1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342, jeweils m.w.N.). Unrichtigkeiten auf der Seite des Steuerpflichtigen sind offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben (BFH-Urteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946).

17

c) Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ermöglicht § 129 AO dem Grunde nach die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten, die der Finanzbehörde beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen. Die Vorschrift gilt dagegen nicht für Versehen des Steuerpflichtigen oder eines anderen Beteiligten, es sei denn, ein solches Versehen wird von der Finanzbehörde als eigenes in den Verwaltungsakt übernommen (s. etwa Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 129 AO Rz 14 mit zahlreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Bereits die von der Rechtsprechung anerkannte Berücksichtigung derartiger "Übernahmefehler" geht über den Wortlaut der Norm hinaus; eine noch weiter gehende Berichtigung "vermeintlicher" mechanischer Fehler, welche als solche gar nicht von § 129 AO erfasst sind, sondern lediglich aus Empfängersicht als offenbare Unrichtigkeiten erscheinen mögen, ist weder vom Wortlaut noch vom Zweck der Regelung des § 129 AO gedeckt.

18

2. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es diesen Grundsätzen nicht entspricht.

19

a) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass dem Kläger kein Fehler i.S. des § 129 AO unterlaufen ist. Vielmehr hat das FG --für den Senat bindend-- festgestellt, dass der steuerliche Berater des Klägers im Rahmen der Zuordnung der Stillhaltergeschäfte zu den "privaten Veräußerungsgeschäften" i.S. des § 23 EStG umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt hat, als er die Zuordnungsfrage intern mit der Sachbearbeiterin, welche in der Steuerkanzlei für die Erstellung der Einkommensteuererklärung verantwortlich war, erörtert hat. Vor diesem Hintergrund fehlt es im Streitfall an offenbar fehlerhaften Angaben des Steuerpflichtigen, welche das FA als eigene (mechanische) Fehler hätte übernehmen können; denn Fehler bei der Auslegung oder (Nicht-)Anwendung einer Rechtsnorm schließen die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit und damit die Anwendung des § 129 AO aus.

20

b) Die Beteiligten des Revisionsverfahrens gehen im Übrigen davon aus, dass auch der Veranlagungssachbearbeiterin des FA bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung des Klägers gerade kein "mechanisches" Versehen unterlaufen ist. Dies entspricht auch der Aktenlage; denn den Prüfvermerken der Sachbearbeiterin ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass sie den unter Kennziffer 116 vom Kläger eingetragenen Betrag in Höhe von 41.109 € durch Saldierung der Gewinne und Verluste, welche der Kläger in der seiner Einkommensteuererklärung beigefügten "Ergänzungsliste zur Anlage SO" aufgeführt hat, nachvollzogen hat. Da eine solche Saldierung nur dann in Betracht kommt, wenn die saldierten Geschäftsvorfälle das gleiche steuerrechtliche Schicksal teilen, kann nicht ernsthaft die Möglichkeit in Abrede gestellt werden, dass die Sachbearbeiterin in diesem Zusammenhang einem sachverhalts- oder rechtsfolgenbezogenen Denkfehler unterlegen ist.

21

3. Die Sache ist spruchreif. Das angefochtene Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben.

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.

(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefasst war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln. Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Fall des § 104 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.