Finanzgericht München Urteil, 26. Feb. 2015 - 10 K 1397/12

bei uns veröffentlicht am26.02.2015

Gericht

Finanzgericht München

Gründe

Finanzgericht München

Az.: 10 K 1397/12

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

Stichwörter:

1. Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet.

2. Der Steuerpflichtige handelt auch dann regelmäßig grob fahrlässig, wenn er die dem elektronischen Elster-Formular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind.

In der Streitsache

[... Kl]

Kläger

gegen

Finanzamt [... E-Stadt]

Beklagter

wegen

Einkommensteuer 2005, 2006, 2007, 2008

hat der 10. Senat des Finanzgerichts München durch [...] ohne mündliche Verhandlung

am 26. Februar 2015

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden. [...]

Gründe:

Streitig ist, ob Steuerbescheide nachträglich zugunsten der Kläger geändert werden können.

I.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit aus seiner Beteiligung an einer Rechtsanwaltssozietät, an der neben ihm noch [...] weitere Gesellschafter beteiligt sind. Für diese Rechtsanwaltssozietät, die in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betrieben wird, werden beim Beklagten - dem Finanzamt (FA) - die Einkünfte gesondert und einheitlich festgestellt.

In den Streitjahren reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärungen jeweils fristgemäß beim FA ein, in den Jahren 2005 bis 2007 wurden die Erklärungen auf den amtlichen Steuererklärungsvordrucken abgegeben, im Jahr 2008 wurde die Erklärung elektronisch mit dem Programm der Finanzverwaltung „Elster“ erstellt.

Die Kläger wurden vom FA in den Streitjahren antragsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt (für 2005 mit Bescheid vom 19. Januar 2007, für 2006 mit Bescheid vom 24. Januar 2008, für 2007 mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 und für 2008 mit Bescheid vom 14. April 2010). Nachdem das FA gegenüber den Feststellungsbeteiligten die Gewinne aus der Rechtsanwaltssozietät gesondert und einheitlich festgestellt hatte und die entsprechenden Mitteilungen an die für den Kläger zuständigen Veranlagungsstellen übersandt hatte, änderte das FA aufgrund der in diesen Mitteilungen ausgewiesenen Einkünfte aus der Beteiligung an der Rechtsanwaltssozietät die Steuerbescheide der Streitjahre (für 2005 mit Bescheid vom 7. August 2007, für 2006 mit Bescheid vom 17. Juni 2008, für 2007 mit Bescheid vom 16. April 2009 und für 2008 mit Bescheid vom 4. Juni 2010). Gegen die Einkommensteuerbescheide wurden keine Einsprüche erhoben.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2011 beantragten die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Sie trugen vor, dass eine Änderung zu ihren Gunsten wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen zu erfolgen habe. Die bisher in den Einkommensteuererklärungen nicht geltend gemachten Beiträge zur berufsständischen Versorgungseinrichtungen, nämlich der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, seien als Sonderausgaben bei der Ermittlung des Einkommens abzuziehen (7.205,04 € für 2005, 7.205,04 € für 2006, 7.352,88 € für 2007 und 9.522,45 € für 2008). Mit Verwaltungsakt vom 10. Februar 2011 lehnte das FA die Änderung dieser Bescheide ab.

Den dagegen gerichteten Einspruch begründeten die Kläger damit, dass sie zwar die Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen nicht in den Einkommensteuererklärungen aufgeführt hätten. Diese Beträge seien jedoch in den Gewinnermittlungen der Rechts-anwaltssozietät ausgewiesen gewesen. Sie seien davon ausgegangen, dass aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes vom FA die in den Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung angegebenen Ausgaben in die Einkommensteuererklärungen übernommen werden würden. Aus diesem Irrtum könne kein grobes Verschulden abgeleitet werden, das eine Änderung der Steuerbescheide zu ihren Gunsten ausschließe. Mit Einspruchsentscheidung vom 20. März 2012 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die Klage. Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass ihnen zwar bekannt sei, dass bei einem unvollständigen Ausfüllen der Steuererklärungsvordrucke von einem groben Verschulden auszugehen sei. Die bisher von den Finanzgerichten entschiedenen Sachverhalte würden jedoch nicht unerheblich von dem hier streitigen Sachverhalt abweichend. Den Klägern sei bereits bei Abgabe der Steuererklärungen bekannt gewesen, dass Pflichtbeiträge von Selbstständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen steuerlich relevant seien. Den Klägern sei aber der Irrtum unterlaufen, dass sie die organisatorischen Zuständigkeiten innerhalb des FA verkannt hätten. Sie hätten nicht gedacht, dass die Angaben, die dem FA in den Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen übermittelt werden, von einem anderen Sachbearbeiter bearbeitet werden, als von dem Sachbearbeiter, der für die Erstellung der Einkommensteuerbescheide zuständig sei. Wenn von einem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung der Frage, ob ihm grobes Verschulden zur Last gelegt werden könne, schon keine umfassenden Kenntnisse der steuerrechtlichen Vorschriften erwartet werden dürften, so könnten von ihm noch viel weniger Kenntnisse der internen Abläufe in einem Finanzamt erwartet werden. Bereits seit Gründung der Rechtsanwaltssozietät [...] habe der Kläger seine Einkommensteuererklärungen meist viele Monate vor Fertigstellung der Geschäftsabschlüsse der Rechtsanwaltssozietät und der Fertigung der Feststellungserklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit abgegeben. In den Einkommensteuererklärungen sei von ihnen bezüglich aller über die Rechtsan-waltssozietät abgewickelter Vorgänge auf die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung verwiesen worden und darüber hinaus seien keine Angaben zu den über die Sozietät abgewickelten Vorgängen vorgenommen worden. Die Angaben zu den Beiträgen für die berufsständischen Versorgungseinrichtungen seien in jedem Jahr bei dem Gewinnverteilungsplan der Rechtsanwaltssozietät ausdrücklich aufgeführt gewesen. Da bis einschließlich des Jahres 2005 in den Einkommensteuererklärungsformularen nicht nach den Pflichtbeiträgen Selbstständiger zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtungen gefragt worden sei, sei der Kläger überzeugt gewesen, dass diese Pflichtbeiträge in den Feststellungserklärungen für die Gesellschaft anzugeben seien. Im Übrigen gelte für das FA der Grundsatz der Amtsermittlungspflicht. Dabei werde davon ausgegangen, dass von den Sachbearbeitern im FA ein allgemeines Wissen verlangt werden könne, für welche selbstständigen Berufe Versorgungswerke eingerichtet seien, die Pflichtbeiträge erheben würden. Auch sei die für ihn zuständige Sachbearbeiterin beim FA die zuständige Sachbearbeiterin für die beiden Mitgesellschafter an der Rechtsanwaltssozietät. Diese zuständige Sachbearbeiterin habe jeweils die Einkommensteuerbescheide für alle drei Gesellschafter relativ zeitnah erstellt, ohne dass ihr aufgefallen sei, dass für die beiden Mitgesellschafter Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgungseinrichtungen angegeben seien, die bei ihm jedoch nicht separat aufgeführt worden seien. Ein Umstand, der einer einschlägig bewanderten Sachbearbeiterin beim FA in 15 Jahren nicht aufgefallen sei, könne bei den Klägern als steuerrechtlich nicht bewanderten Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden darstellen. Auch habe dem FA immer bewusst sein müssen, dass die von den Klägern abgegebenen Einkommensteuererklärungen unvollständige Angaben enthalten würden. Es seien auch jährlich zwei Einkommensteuerbescheide an die Kläger versendet worden und erst in dem zweiten Bescheid seien die Angaben aus den Feststellungserklärungen für die Rechtsanwaltssozietät eingearbeitet worden.

Die Kläger beantragen,

den Ablehnungsbescheid vom 10. Februar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. März 2012 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 2005 vom 7. August 2007, für 2006 vom 17. Juni 2008, für 2007 vom 16. April 2009 und für 2008 vom 4. Juni 2010 dahingehend abzuändern, das Sonderausgaben in Höhe von 7.205,04 € für 2005, von 7.205,04 € für 2006, von 7.352,88 € für 2007 und von 9.522,45 € für 2008 zum Abzug zugelassen werden.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist das FA daraufhin, dass die Kläger selbst in ihrer Klagebegründung weiter ausführen würden, dass ihnen sogar bekannt war, dass Pflichtbeiträge von Selbstständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung als Aufwendungen relevant seien. Weiter sei ihnen auch bekannt gewesen, dass die Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen solche Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien. Im Übrigen könne dem FA nicht als Ermittlungsfehler zur Last gelegt werden, dass die Einkommensteuerveranlagungen der beiden Mitgesellschafter in der Rechtsanwaltskanzlei ebenfalls zeitnah erstellt worden seien und der zuständigen Bearbeiterin nicht aufgefallen sei, dass bei den Mitgesellschaftern diese Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in den Einkommensteuererklärungen geltend gemacht worden seien. Ein Sachbearbeiter im FA müsse aus anderen Einkommensteuerveranlagungen keine Rückschlüsse auf die Einkommensteuerveranlagung der Kläger ziehen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

Mit Zustimmung der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung).

II.

1. Die Klage ist unbegründet.

a) Das FA hat zu Recht eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2005 bis 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) zugunsten der Kläger abgelehnt, weil diesen grobes Verschulden vorzuwerfen ist.

b) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Im Streitfall ist zwischen den Beteiligten zu Recht allein das Vorliegen eines groben Verschuldens streitig.

c) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Letztere ist dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z. B. Bundesfinanzhof-BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545; vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545; vom 18. März 2014 X R 8/11, BFH/NV 2014, 1347). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, und in BFH/NV 2014, 1347).

d) Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige - auch wenn ihm steuerrechtliche Kenntnisse fehlen - dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (BFH-Urteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2009, 545, sowie in BFH/NV 2012, 545, speziell zur Angabe von Pflichtbeiträgen Selbstständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen). Nach der Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 20. März 2013 VI R 5/11, BFHE 240, 504, BFH/NV 2013, 1142 sowie VI R 9/12, BFHE 240, 507, BFH/NV 2013, 1143) handelt der Steuerpflichtige auch dann regelmäßig grob fahrlässig i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die dem elektronischen Elster-Formular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind (BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 III R 12/12, BFHE 241, 226, BFH/NV 2013, 1467 und in BFH/NV 2014, 1347).

e) Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall trifft die Kläger in den Jahren 2005 bis 2008 ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden ihrer Zahlungen an die Bayerische Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung.

a) Wie die Kläger selbst zutreffend einräumen, war in den amtlichen Vordrucken der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2006 und 2007 im Mantelbogen jeweils bei Zeile 62 die Frage gestellt, wie hoch die Beiträge zu landwirtschaftlichen Alterskassen sowie berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen, sind. Die Kläger haben im Mantelbogen aber nur in Zeile 61 bei der Frage, wie hoch die Beiträge zu gesetzlichen Rentenversicherungen und zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen laut Lohnsteuerbescheinigung sind, jeweils Angaben zu den Beiträgen gemacht, die von der Klägerin (Arbeitnehmeranteil) geleistet wurden. Ebenso haben die Kläger im Streitjahr 2008 in ihrer in Elster gefertigten Einkommensteuererklärung in Zeile 61 die Frage nur mit Angaben zu den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, die laut Lohnsteuerbescheinigung von der Klägerin geleistet wurden, beantwortet. Im Streitjahr 2008 hat aber das Erklärungsformular des Elsterprogramms in Zeile 62 ausdrücklich die Frage nach den als Sonderausgaben abziehbaren Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen gestellt. Diese Frage haben die Kläger unbeantwortet gelassen. Beantwortet ein Steuerpflichtiger aber eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf bestimmte Vorgänge bezogene Fragen nicht, kann er sich nach ständiger Rechtsprechung nicht auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum berufen und diese Grundsätze gelten auch wenn der Kläger sich statt des amtlichen Drucks des Elsterprogramms bedient (speziell auch BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1347, Rz. 26).

b) Im Streitfall war aber auch - entgegen den Ausführungen der Kläger - im Einkommensteuererklärungsformular 2005 getrennt für einzelne Fallgruppen nach den im Jahr 2005 geleisteten Altersvorsorgebeiträgen gefragt und dabei war auch eine Zeile (nämlich 65) mit den Beiträgen zu landwirtschaftlichen Alterskassen sowie zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen, aufgeführt. Der Unterschied in der Fragestellung im Vordruck des Jahres 2005 zu den Vordrucken der Folgejahre besteht allein darin, dass hier der Zusatz fehlt, dass es sich um Beiträge von Nichtarbeitnehmern handelt. Der Senat hält jedoch das Fehlen dieses Zusatzes nicht für entscheidend, denn solange dieser Zusatz fehlt, ist nach Auffassung des Senats klar, dass es sich hier um Beiträge aller Steuerpflichtigen als Arbeitnehmer und Nicht-Arbeitnehmer handeln muss. Demgemäß blieb auch im Streitfall im Jahr 2005 eine ausdrücklich gestellte Frage unbeantwortet. Nicht gefragt wurde im Jahr 2005 nur - insoweit liegt höchstrichterliche Rechtsprechung (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545, speziell Rz. 20 zum Veranlagungszeitraum 2005) vor - nach von Selbstständigen geleisteten Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Konstellation betrifft jedoch nicht den Streitfall.

c) Hat ein Steuerpflichtiger grob schuldhaft i. S. des § 173 Abs.1 Nr. 2 AO nach dem Maßstab gehandelt, dass er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nicht beantwortet hat, vermag auch eine etwaige Verletzung der Aufklärungs- oder Fürsorgepflicht durch das FA daran nichts zu ändern (BFH-Urteil vom 9. August 1991 III 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65).

d) Die Überlegungen des Klägers, dass er einem Irrtum über die internen Zuständigkeiten innerhalb des Finanzamts unterlegen sei und dies ein grobes Verschulden ausschließe, greifen nicht durch. Zwar ist die Überlegung des Klägers zutreffend, dass es dem Kläger nicht anzulasten ist, wenn die unvollständige Steuererklärung allein auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruht. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass grobes Verschulden i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dann nicht gegeben ist, wenn die Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht (BFH-Urteile vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379). Jedoch schon der weitere Grundsatz der BFH-Rechtsprechung, dass sich der Steuerpflichtige auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum allerdings dann nicht berufen kann, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (vgl. z. B. BFH-Urteils vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545), zeigt, dass diese Argumentation nicht zum Erfolg verhelfen kann. Dies gilt auch dann, wenn er eine derartige, im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums meint, die unterlassenen Angaben wirkten sich in seinem Fall nicht aus (vgl. BFH-Urteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545). Denn in allen diesen Fällen beruht die unvollständige Steuererklärung nämlich nicht mehr allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum.

e) Die Überlegungen des Klägers, dass die nicht nur für ihn, sondern auch für seine beiden Mitgesellschafter an der Sozietät zuständige Sachbearbeiterin keine Schlussfolgerungen aus den Angaben in den Einkommensteuererklärungen der Mitgesellschafter auf ihren Einkommensteuerfall gezogen habe und ihm deshalb kein grobes Verschulden zur Last gelegt werden könne, sind nicht durchschlagend. Denn grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; in BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379). Subjektiv entschuldbare Rechtsirrtümer, die zu einem nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geführt haben, schließen danach eine grobe Fahrlässigkeit aus. Da aber so gesehen die grobe Fahrlässigkeit grundsätzlich ein subjektiver Maßstab und kein objektiver ist, können sich die Kläger zu ihrer Exkulpation schon gar nicht auf das Verhalten der Sachbearbeiterin im FA in den Fällen der Mitgesellschafter an der Rechtsanwaltssozietät berufen. Im Übrigen muss sich der Kläger nach diesem subjektiven Maßstab auch vorhalten lassen, dass er als Rechtsanwalt über Grundlagenkenntnisse des Steuerrechts bereits seit seinen Examen verfügen muss und so die Fragen in den amtlichen Vordrucken der Einkommensteuererklärungen der Streitjahre nach den Vorsorgeaufwendungen verstehen muss.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Abgabenordnung - AO 1977 | § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel


(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,1.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,2.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 90


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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im  Streitjahr 2005 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In diesem Jahr war der Kläger als Diplomkaufmann im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nichtselbständig tätig. Die Klägerin ist Diplomingenieurin und erzielte 2005 mit dem Handel von … und als … gewerbliche Einkünfte.

2

In ihrer Einkommensteuer-Erklärung 2005, bei deren Anfertigung ein Steuerberater mitgewirkt hatte, machten die Kläger Angaben zu den Altersvorsorgeaufwendungen. In dem amtlichen Formular wurde nach Beiträgen zu den gesetzlichen Rentenversicherungen (Arbeitnehmeranteil) gefragt. Ferner waren Beiträge zu freiwilligen Versicherungen oder Höherversicherungen in den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Arbeitgeberanteil zu gesetzlichen Rentenversicherungen einzutragen.

3

Die Kläger gaben den vom Kläger geleisteten Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung mit 6.085 € und den hierzu geleisteten Arbeitgeberanteil mit 6.084 € an. Für die Klägerin wurden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erklärt.

4

Der Einkommensteuer-Bescheid für 2005 vom 4. Dezember 2006 erging erklärungsgemäß. In dem Bescheid wurden Altersvorsorgeaufwendungen in Höhe von 1.218 € berücksichtigt. Der Bescheid wurde von den Klägern nicht angefochten.

5

Mit Schreiben vom 10. September 2008 beantragten die durch ihren Steuerberater vertretenen Kläger u.a., den Einkommensteuer-Bescheid 2005 nach § 173 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und die von der Klägerin als Selbständige geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens betreffend den Einkommensteuer-Bescheid 2007 sei festgestellt worden, dass die Klägerin in 2005 solche Beiträge entrichtet habe. Die Kläger treffe kein grobes Verschulden, da ihnen nicht bekannt gewesen sei, dass infolge der Neuregelung der steuerlichen Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) im Streitjahr Altersvorsorgeaufwendungen im größeren Umfang abziehbar seien als im Vorjahr. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 3. Februar 2006. Danach hat die Klägerin im Jahr 2005 als selbständig Tätige Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung von insgesamt 759,20 € geleistet. Die Bescheinigung enthält keine Ausführungen zur steuerlichen Abziehbarkeit der Zahlungen als Altersvorsorgeaufwendungen.

6

Diesen Änderungsantrag lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies es mit der Begründung zurück, die Kläger träfe an dem nachträglichen Bekanntwerden der von der Klägerin geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen ein grobes Verschulden. Sie müssten sich das Verschulden ihres Beraters zurechnen lassen. Dieser sei gehalten gewesen, seine Mandanten auf die gesetzlichen Neuregelungen im AltEinkG hinzuweisen. Auch hätten die Kläger ggf. ihren Steuerberater nach den Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelung in ihrem speziellen Fall befragen können.

7

Das Finanzgericht (FG) wies die u.a. für das Streitjahr 2005 erhobene Klage ab. Den Klägern hätte sich aufdrängen müssen, dass auch Pflichtbeiträge der Selbständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen steuerlich relevant seien. Zwar könne infolge der Fassung des Erklärungsformulars, das im Einzelnen Altersvorsorgebeiträge, nicht aber Pflichtbeiträge Selbständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung abfrage, der Eindruck entstehen, solche Beiträge seien steuerlich nicht relevant und daher nicht anzugeben. Aufgrund der insgesamt in der Steuererklärung geforderten Daten sei aber ohne Weiteres zu schließen, dass solche Pflichtbeiträge steuerbegünstigt seien oder zumindest sein könnten. Den Klägern sei die steuerliche Bedeutung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und allgemein zur Altersvorsorge bekannt gewesen.

8

Mit ihrer Revision machen die Kläger weiterhin geltend, der Einkommensteuer-Bescheid 2005 sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Die gegenteilige Auffassung des FG stehe im Widerspruch zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Juni 1984 VI R 181/80 (BFHE 141, 232, BStBl II 1984, 693) und vom 22. Mai 1992 VI R 17/91 (BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). Den Klägern könne nicht vorgeworfen werden, eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nicht beantwortet zu haben. Da nach den Pflichtbeiträgen selbständiger Personen zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht gefragt worden sei, sei für die Kläger nicht erkennbar gewesen, dass solche hätten angegeben werden können. Nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien solche Pflichtbeiträge nur in Ausnahmefällen zu leisten.

9

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das angefochtenen Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 3. November 2008 aufzuheben, soweit diese den Antrag auf Änderung des Einkommensteuer-Bescheids 2005 vom 4. Dezember 2006 betreffen, und das FA zu verpflichten, diesen Bescheid in der Weise zu ändern, dass zusätzliche Altersvorsorgebeiträge von 759,20 € berücksichtigt werden.

10

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11

Die Kläger seien im Streitfall steuerlich beraten gewesen. Es könne erwartet werden, dass der steuerliche Berater seine Mandanten auf infolge einer Gesetzesänderung gegebene Abweichungen hinsichtlich der steuerlichen Abziehbarkeit von Aufwendungen hinweise. Es sei nicht unüblich, dass auch Selbständige Beiträge zur Rentenversicherung leisten müssten. Dies hätte der Steuerberater ansprechen müssen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird --soweit es das Streitjahr 2005 betrifft-- aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht zur Beurteilung der Frage aus, ob das FA nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verpflichtet ist, den angestrebten Änderungsbescheid zu erlassen.

13

Steuerbescheide sind nach der vorstehend genannten Vorschrift zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden.

14

a) Nicht im Streit steht, dass die von der Klägerin im Streitjahr getragenen Aufwendungen für ihre Pflichtbeiträge als Selbstständige zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) dem FA bei Durchführung der ursprünglichen Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr nicht bekannt waren und daher Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben sind. Unstreitig ist auch, dass die Berücksichtigung dieser Aufwendungen eine Verminderung der Einkommensteuer-Schuld zur Folge hätte.

15

b) Allein streitig ist das Vorliegen von grobem Verschulden. Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Letztere ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379, und vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 369, BStBl II 2005, 75, jeweils m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

16

c) Ob ein Beteiligter in dem genannten Sinn grob fahrlässig gehandelt hat, ist im wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG können in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit richtig erkannt worden ist und ob die Würdigung der Verhältnisse hinsichtlich dieses individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (BFH-Urteil vom 26. August 1987 I R 144/86, BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109, und Senatsurteil vom 6. Oktober 2004 X R 14/02, BFH/NV 2005, 156; ebenfalls ständige Rechtsprechung).

17

d) Das FG hat angenommen, die Kläger hätten grob fahrlässig die von der Klägerin im Streitjahr als Selbstständige geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht angegeben. Zwar werde im Erklärungsformular für 2005 nicht nach solchen Beiträgen, sondern nur nach Pflichtbeiträgen von Arbeitnehmern und nach freiwillig geleisteten Beiträgen gefragt. In der Gesamtschau der anzugebenden Daten hätte sich den Klägern aber die steuerliche Relevanz der von der Klägerin geleisteten Pflichtbeiträge aufdrängen müssen.

18

aa) Diese Ausführungen des FG reichen zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus.

19

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dann nicht gegeben ist, wenn die Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht (Urteile vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80; in BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379). Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteile in BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379). Auch muss der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen (BFH-Urteil in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80).

20

Im Streitfall wurde im Steuererklärungsformular 2005 getrennt für einzelne Fallgruppen nach den im Jahr 2005 geleisteten Altersvorsorgebeiträgen gefragt. Nicht gefragt wurde jedoch nach von Selbstständigen geleisteten Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Demgemäß blieb im Streitfall nicht eine ausdrücklich gestellte Frage unbeantwortet. Das Unterlassen von Angaben zu einem im Erklärungsvordruck nicht vorgesehenen Punkt spricht jedenfalls im Ausgangspunkt gegen das Vorliegen von grobem Verschulden (BFH-Urteil in BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264 und Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 173 Rz 116). Erst recht gilt dies, wenn wie im Streitfall alle anderen Arten von Altersvorsorgebeiträgen im Einzelnen abgefragt werden, da hierdurch der Eindruck erweckt werden könnte, die im Formular nicht erwähnten anderen Altersvorsorgebeiträge seien steuerlich irrelevant. Es wurde zudem weder vom FG festgestellt noch vom FA behauptet, dass das Merkblatt zur Steuererklärung 2005 Hinweise auf die hier in Frage stehenden Pflichtbeiträge Selbständiger enthalten habe, die die Kläger nicht berücksichtigt hätten.

21

bb) Unerheblich ist, dass in dem Steuererklärungsformular für das Folgejahr 2006 ausdrücklich Angaben zu den Pflichtbeiträgen Selbständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung zu machen waren. Denn die Kläger hatten ihre Einkommensteuer-Erklärung bereits im Oktober 2006 abgegeben und den Einkommensteuer-Bescheid 2005 erhalten, so dass etwaige Erkenntnisse aufgrund des Erklärungsformulars für 2006 nicht mehr berücksichtigt werden konnten.

22

cc) Angesichts dieser Umstände hätte das FG im Einzelnen darlegen müssen, aufgrund welcher individuellen beruflichen oder sonstigen Kenntnisse oder Erfahrungen die Kläger ohne Weiteres in der Lage sein mussten, die steuerliche Relevanz der in Frage stehenden Pflichtbeiträge zu erkennen. Das FG durfte sich nicht mit dem Hinweis begnügen, den Klägern sei die Beitragszahlung bekannt gewesen. Auch lässt sich das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit nicht damit begründen, die Kläger hätten die steuerliche Regelung über die Altersvorsorge im Grundsätzlichen gekannt.

23

Sofern das FG im 2. Rechtsgang Tatsachen feststellen sollte, aus denen zu schließen ist, dass für die Kläger die steuerliche Relevanz der zu beurteilenden Beiträge erkennbar war, wäre ein etwaiger Irrtum, diese Beiträge seien im konkreten Fall steuerlich ohne Auswirkung, unbeachtlich. Beauftragt ein Steuerpflichtiger zur Erstellung einer Steuererklärung einen Steuerberater, dann handelt er regelmäßig grob fahrlässig, wenn er diesem Unterlagen vorenthält, die steuerlich relevant sein können (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 4. Dezember 1990 II 117/89, Entscheidungen der Finanzgerichte 1991, 444).

24

Klarstellend weist der erkennende Senat darauf hin, dass es nicht von entscheidender Bedeutung ist, dass die Klägerin ihren Ehemann nicht über die geleisteten Zahlungen informiert hat. Sofern sich für sie aufgedrängt haben sollte, dass die in Frage stehenden Beiträge abziehbar sein könnten, wäre das bei ihr vorliegende grobe Verschulden im Rahmen der Zusammenveranlagung auch ihrem Ehemann zuzurechnen (BFH-Urteil vom 24. Juli 1996 I R 62/95, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115).

25

dd) Das FG wird auch zu prüfen haben, ob den steuerlichen Berater der Kläger ein grobes Verschulden trifft. Der vom Steuerpflichtigen beauftragte steuerliche Berater muss sich ebenso wie der Steuerpflichtige um eine sachgerechte und gewissenhafte Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflicht bemühen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht wäre den Klägern wie eigenes Verschulden zuzurechnen (BFH-Urteil in BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109).

26

Das FG wird insbesondere zu prüfen haben, ob das nachträgliche Bekanntwerden der von der Klägerin geleisteten Rentenversicherungsbeiträge auf einer Verletzung der Pflicht des Steuerberaters beruht, die Kläger über die gesetzlichen Neuregelungen des AltEinkG zu informieren. Auch wird das FG untersuchen müssen, ob sich aufgrund der konkreten Einzelfallumstände dem steuerlichen Berater aufdrängen musste, die Klägerin könnte als Selbstständige gesetzlich rentenversicherungspflichtig gewesen sein und im Jahr 2005 entsprechende Aufwendungen getragen haben (zu den an einen Steuerberater zu stellenden Anforderungen vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 126 ff. i.V.m. Rz 112 f.).

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Diplom-Finanzwirt (FH) und Notar, die Klägerin ist Buchhalterin und Hausfrau.

2

Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 haben die Kläger mit Hilfe des elektronischen Steuerprogramms Elster/Formular 2006/2007 an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) übermittelt und eine komprimierte (verkürzte) Steuererklärung in Papierform unterschrieben nachgereicht. In dem elektronischen Erklärungsformular haben die Kläger in Zeile 62 des Mantelbogens, in der nach Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern gefragt ist, Zahlungen des Klägers an die Notarversorgungskasse nicht eingetragen. Im Veranlagungszeitraum 2005 hatten sie diesen Posten korrekt in der ebenfalls mit Hilfe des elektronischen Steuerprogramms Elster erstellten Erklärung geltend gemacht.

3

Das FA setzte die Einkommensteuer 2006 mit Bescheid vom 25. Juli 2008 erklärungsgemäß fest; Zahlungen an die Notarversorgungskasse wurden nicht berücksichtigt. Aus den Erläuterungen zum Bescheid ergibt sich, die Günstigerprüfung für die Veranlagung des Jahres 2006 habe ergeben, dass die Ermittlung der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage des Jahres 2004 zu einem günstigeren Ergebnis führe.

4

Mit Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 baten die Kläger mit Schreiben vom 21. Februar 2009, den Einkommensteuerbescheid 2006 zu ändern. Bei Erstellung der Steuererklärung für das Jahr 2007 hätten sie bemerkt, dass im Vorjahr die Zahlungen des Klägers an die Notarversorgungskasse in Höhe von 18.457 € irrtümlich nicht in Zeile 62 des Mantelbogens eingetragen worden seien. Das FA entsprach diesem Begehren nicht. Mit Schreiben vom 22. April 2009 beantragten die Kläger daraufhin die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Das FA lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, die Kläger treffe ein grobes Verschulden daran, dass die Zahlungen in der Einkommensteuererklärung 2006 nicht geltend gemacht worden seien.

5

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 685). Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Kläger treffe kein grobes Verschulden daran, dass die Zahlungen des Klägers an die Notarversorgungskasse erst nachträglich bekannt geworden seien. Sie hätten übersehen, die sich aus ihren handschriftlichen Notizen ergebenden Zahlungen in die elektronische Bildmaske des Elsterprogramms zu übernehmen. Die Einkommensteuererklärung sei ansonsten vollständig ausgefüllt worden und die Zahlungen an die Notarversorgungskasse seien in den Jahren vor 2006 und im Jahr 2007 stets geltend gemacht worden. Es sei daher von einem Übertragungs- bzw. Eingabefehler aus den handschriftlichen Notizen des Klägers überschrieben mit "Vorsorgeaufwendungen" in die Zeile 62 des Mantelbogens auszugehen.

6

Der Senat könne darin keine Pflichtverletzung erkennen, die in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise die gebotene Sorgfalt außer Acht lasse. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass solche Fehler --trotz großer Sorgfalt-- bei der Übertragung von Daten, insbesondere aber bei der Bearbeitung größerer Dokumente am PC immer wieder vorkämen, begünstigt durch die technischen Gegebenheiten und einer Vielzahl von Bildmasken und Fenstern, die stets nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtdokuments zeigten. Zu berücksichtigen sei auch, dass das ElsterFormular bzw. ElsterOnline den Finanzämtern die mechanische Erfassungsarbeit von Steuererklärungsdaten abnehme und auf den Steuerpflichtigen verlagere und deshalb ein Sorgfaltsverstoß des Steuerpflichtigen nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden müsse wie ein Übertragungs- oder Eingabefehler des Bearbeiters im FA. Ein solcher berechtige nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Berichtigung nach § 129 AO. Deshalb sei es sachgerecht, einen vergleichbaren Fehler des Steuerpflichtigen entsprechend zu qualifizieren, sodass er einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht entgegenstehe.

7

Zwar sei nach der Rechtsprechung des BFH bei der Prüfung des groben Verschuldens auch der Zeitraum bis zur Bestandskraft des Bescheids einzubeziehen. Ein grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO könne auch darin bestehen, dass der Steuerpflichtige es unterlasse, gegen einen Steuerbescheid Einspruch einzulegen, obwohl sich ihm innerhalb der Einspruchsfrist die Geltendmachung von bisher dem FA nicht bekannter Tatsachen hätte aufdrängen müssen. Die Kläger hätten nach ihren Angaben jedoch bei Erhalt des Einkommensteuerbescheids 2006 die festgesetzte Steuer mit der Probeberechnung des ElsterProgramms verglichen und konsequenterweise habe ihnen der Fehler nicht auffallen können. Der Senat könne offenlassen, ob dieser Datenabgleich ausreiche. Selbst wenn man angesichts der juristischen Fertigkeiten und steuerrechtlichen Kenntnisse des Klägers eine umfassende Prüfungspflicht annehme, hätte sich ihm nicht aufdrängen müssen, dass die Beiträge zur Notarversorgungskasse nicht geltend gemacht worden seien. Wegen des teilweise nur prozentualen Ansatzes der Beiträge sei auch für einen steuerlichen Fachmann nicht ohne weiteres zu erkennen, welche Beiträge in welcher Höhe aus der Erklärung der Berechnung zugrunde gelegt worden seien. Zudem hätten die Kläger, wäre ihnen aufgefallen, dass ein erheblicher Teil ihrer Vorsorgeaufwendungen und Versicherungsbeiträge fehlt, rechtliche Überlegungen dahingehend anstellen müssen, dass die abziehbaren Aufwendungen nach einer anderen Rechtslage zu berechnen seien. Bei der Höchstbetragsberechnung in der bis zum Jahr 2004 geltenden Rechtslage hätten sich die Zahlungen nicht ausgewirkt.

8

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von Bundesrecht. Das FG habe die aus dem Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit abzuleitenden Sorgfaltspflichten verkannt. Das Urteil weiche von der Rechtsprechung des BFH ab, nach der die Nichtbeantwortung einer ausdrücklich im Steuererklärungsformular gestellten, sich auf einen bestimmten Vorgang beziehenden Frage ein grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO darstelle. Im Streitfall hätten die Kläger die im Erklärungsformular in Zeile 62 ausdrücklich gestellte Frage nach den als Sonderausgaben abziehbaren Beiträgen zu berufständischen Versorgungseinrichtungen nicht beantwortet. Ohne Bedeutung sei, dass sie zur Übermittlung ihrer Steuererklärung das elektronische System Elster benutzt und die Daten in einen Computer statt handschriftlich in ein Formular eingegeben hätten. Der Steuerpflichtige müsse prüfen, ob die Angaben aus einer Kladde oder einem Entwurf der Steuererklärung in den für das FA bestimmten Erklärungsbogen vollständig und richtig übertragen worden seien (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1997 III B 99/95, BFH/NV 1997, 385). Diese Anforderungen müssten auch dann gelten, wenn Daten aus einem schriftlichen Entwurf in ein Computerprogramm übertragen würden. Es sei den Klägern als grobes Verschulden anzulasten, wenn sie den Abgleich ihrer handschriftlichen Notizen mit den für das FA zur elektronischen Übermittlung bestimmten Computerdaten unterlassen oder ihnen nicht auffällt, dass Daten nicht in das vorgesehene, ausdrücklich nachgefragte Eingabefeld eingegeben werden.

9

Auch bestehe die Möglichkeit, sich unter ElsterFormular den amtlichen Erklärungsvordruck am Bildschirm anzeigen zu lassen. Diese Möglichkeit bestehe auch noch nach der elektronischen Übermittlung der Daten an das FA und dem Ausdruck der komprimierten Erklärung. Die Steuerpflichtigen handelten grob schuldhaft, wenn sie sich allein auf die Druckvorschau verließen und die weitergehende Prüfmöglichkeit nicht nutzten.

10

Das FG etabliere ein Sonderrecht für elektronische Steuererklärungen, indem es den Verschuldensmaßstab entgegen der ständigen Rechtsprechung des BFH abmildere. Bedenke man, dass die Finanzverwaltung zur schnelleren Bearbeitung der Steuererklärungen im Sinne der Serviceorientierung bemüht sei, die Steuerpflichtigen zur verstärkten Nutzung der elektronischen Steuererklärung zu bewegen, die elektronische Abgabe bei der Umsatzsteuervor- und der Lohnsteueranmeldung sowie ab dem Veranlagungszeitraum 2011 für Jahreserklärungen im betrieblichen Bereich verpflichtend sei, würde bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG eine nachträgliche Änderung der Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufgrund des geringeren Verschuldensmaßstabs zum Regelfall werden und das Verschuldenskorrektiv des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO entgegen der gesetzgeberischen Intention weitgehend leerlaufen. Das Einspruchsverfahren würde an Bedeutung verlieren, weil die Steuerpflichtigen auch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist noch in großem Umfang Änderungen zu ihren Gunsten erreichen könnten.

11

Grob schuldhaft hätten die Kläger auch deshalb gehandelt, weil sie den Steuerbescheid nicht daraufhin überprüft hätten, ob die Beiträge an das Versorgungswerk erfasst waren. Auch wenn das FA die Rechtslage 2004 der Besteuerung zugrunde gelegt habe, wären auch nach alter Rechtslage die Beiträge an das Versorgungswerk in der Summe der Altersvorsorgeaufwendungen im Bescheid aufgeführt worden. Diese hätten 18.457 € betragen; im Bescheid seien jedoch nur 16.294 € Versicherungsbeiträge ohne prozentuale Kürzung ausgewiesen worden. Auch sei den Klägern ein Abgleich mit dem Bescheid des Vorjahres möglich und zumutbar gewesen. Hier seien die Sonderausgaben nach der Rechtslage 2005 abgezogen worden.

12

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO knüpfe an Verschulden an und sei daher mit § 129 AO nicht vergleichbar.

13

Das FA beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14

Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

15

Mit dem FG vertreten sie die Auffassung, dass die Anforderungen an den Steuerpflichtigen, der das elektronische Programm Elster nutzt, niedriger sein müssten als beim Ausfüllen der Papierformulare. Zu bedenken sei auch, dass die Erklärungsvordrucke von Jahr zu Jahr geändert würden. Die Finanzbehörden müssten elektronisch ausgefüllte Vordrucke kritisch auf Fehler und Unstimmigkeiten untersuchen. Dem FA hätte der Fehler auffallen müssen. Die Beiträge zur Notarversorgungskasse seien in jedem Vorjahr angefallen. Wenn das FA die Daten nicht selbst erfassen müsse, müsse es umso kritischer die vom Steuerpflichtigen ausgefüllten Datensätze kontrollieren.

16

Bei der großen Zahl von fehlerhaften Steuererklärungen könne nicht jeder Übertragungsfehler eine grobe Fahrlässigkeit sein. Eine Milderung des Verschuldensmaßstabs in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO diene dem Rechtsfrieden und der Waffengleichheit zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen. Unterlaufe dem FA ein reiner Tippfehler, könne es den Bescheid jederzeit ändern; unterlaufe dem Steuerpflichtigen derselbe Fehler, müsse er dieselben Rechte haben. Im Streitfall handele es sich um einen Fall des sog. "umgekehrten § 129 AO".

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG war zu Unrecht der Ansicht, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr könne nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten der Kläger geändert werden, weil diesen kein grobes Verschulden vorzuwerfen sei.

18

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

19

1. Allein streitig ist das Vorliegen eines groben Verschuldens.

20

a) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Letztere ist dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545, und vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545).

21

Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (z.B. BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346, und in BFH/NV 2009, 545). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, und in BFH/NV 2009, 545).

22

Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige --auch wenn ihm steuerrechtliche Kenntnisse fehlen-- dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (z.B. BFH-Urteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2009, 545, sowie in BFH/NV 2012, 545, zur Angabe von Pflichtbeiträgen Selbständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen).

23

b) Nach der Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 20. März 2013 VI R 5/11, BFHE 240, 504, sowie VI R 9/12, BFHE 240, 507) handelt der Steuerpflichtige auch dann regelmäßig grob fahrlässig i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die dem elektronischen ElsterFormular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 III R 12/12, BFHE 241, 226, zum groben Verschulden eines Beraters in Zusammenhang mit der Erstellung einer elektronischen Steuererklärung).

24

2. Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die dazu getroffenen Feststellungen und daraus folgenden Würdigungen des FG können --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- von der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545, m.w.N.).

25

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann das Urteil des FG keinen Bestand haben.

26

Entgegen der Annahme des FG trifft den Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden seiner Zahlungen an die Notarversorgungskasse. Im Streitjahr 2006 hat das Erklärungsformular des Elsterprogramms in Zeile 62 ausdrücklich die Frage nach den als Sonderausgaben abziehbaren Beiträgen zu berufständischen Versorgungseinrichtungen gestellt. Diese Frage hat der Kläger unbeantwortet gelassen. Beantwortet ein Steuerpflichtiger aber eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf bestimmte Vorgänge bezogene Fragen nicht, kann er sich nach ständiger Rechtsprechung nicht auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum berufen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 441, m.w.N.).

27

Entgegen der Auffassung des FG lässt der Umstand, dass der Kläger seine Steuererklärung mit Hilfe des Elsterprogramms gefertigt hat und dieses keinen vollständigen Ausdruck des Steuererklärungsformulars liefert, sondern letztlich nur die Werte und Kennziffern aufführt, zu denen der Steuerpflichtige Eintragungen vorgenommen hat, das grobe Verschulden des Klägers nicht entfallen. Denn dies mag zwar einen Nachteil der elektronischen Steuererklärung darstellen, betrifft aber nicht den Grund für die Annahme der groben Fahrlässigkeit, nämlich die fehlende An- und Eingabe im ElsterFormular selbst (BFH-Urteil in BFHE 240, 504). Zudem besteht die Möglichkeit, sich den amtlichen Erklärungsvordruck auf dem Bildschirm anzeigen zu lassen.

28

Der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen ist nicht anders auszulegen als bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Es gibt hier kein Sonderrecht (BFH-Urteile in BFHE 240, 504; in BFHE 240, 507, und in BFHE 241, 226). Bei Anwendung des Verschuldensmaßstabs des FG wäre im Übrigen ein grobes Verschulden bei unterlassenen Eintragungen im Erklärungsvordruck des ElsterProgramms kaum denkbar; Änderungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wären --entgegen der gesetzgeberischen Intention-- die Regel.

29

Im Streitfall trifft den Kläger zudem ein grobes Verschulden bei der Prüfung der Steuererklärung. Der Vergleich der festgesetzten Steuer mit der Probeberechnung des ElsterProgramms ist nicht geeignet, unterlassene Eintragungen im Programm aufzudecken, da diese zwangsläufig in die Probeberechnung nicht eingehen können. Bei einer Prüfung des Steuerbescheids hätte dem Kläger angesichts der Höhe seiner Beiträge zum Versorgungswerk (diese haben 18.457 € betragen; im Bescheid sind jedoch nur insgesamt 16.294 € Versicherungsbeiträge aufgeführt) auffallen müssen, dass ein erheblicher Betrag nicht in die Steuerberechnung eingegangen ist. Das FA hat im Revisionsverfahren vorgetragen, die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen im Jahr 2005 seien nach der Rechtslage des Jahres 2005 berechnet worden. Trifft dies zu --entsprechende Feststellungen des FG fehlen-- ist das Verschulden des Klägers bei der Prüfung seines Steuerbescheids für 2006 offensichtlich. Jeder Steuerpflichtige würde sich die Frage stellen, weshalb sich 2005 die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage des Jahres 2005 berechnen, die Vorsorgeaufwendungen des Jahres 2006 jedoch --da für ihn vorteilhaft-- nach der Rechtslage im Jahr 2004. Doch selbst wenn die Sonderausgaben im Jahr 2005 nicht nach der Rechtslage des Jahres 2005 berechnet worden sind, hätte die Tatsache, dass für das Streitjahr 2006 die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage des Jahres 2004 wegen des günstigeren Ergebnisses berechnet worden sind, den Kläger wenigstens zu Nachfragen beim FA veranlassen müssen. Das Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes und die damit verbundene bessere Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen ab dem 1. Januar 2005 muss dem Kläger angesichts der umfassenden Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen sein.

30

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid noch geändert werden kann, um in der elektronischen Steuererklärung (ELSTER) nicht angegebene Unterhaltsleistungen nachträglich zu berücksichtigen.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) lebte im Streitjahr (2006) zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen, im Januar 2006 geborenen Kind. Der Kläger erstellte seit 1992 seine Steuererklärungen selbst. Im Streitjahr verwendete er dazu, wie schon im Vorjahr, das elektronische Steuererklärungsprogramm der Finanzverwaltung (ElsterFormular).

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ auf Grundlage dieser Erklärung am 18. Mai 2007 einen Einkommensteuerbescheid, der bestandskräftig wurde.

4

Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 23. März 2008 die Änderung dieser Einkommensteuerfestsetzung für 2006 mit dem Ziel, Unterhaltsleistungen an seine Lebenspartnerin als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen (§ 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes). Er begründete dies zunächst damit, dass er diese Aufwendungen aus Unerfahrenheit nicht erklärt habe. Später trug er dazu vor, schlichtweg vergessen zu haben, die Aufwendungen zu erklären. Der Fehler sei ihm auch nach nochmaliger Durchsicht des Ausdrucks nicht aufgefallen. Denn beim ELSTER-Verfahren enthalte der abschließende Erklärungsausdruck nur die Felder, in denen auch Eintragungen vorgenommen worden seien. Letztlich habe die Unübersichtlichkeit des ElsterFormulars im Vergleich zur Steuererklärung in Papierform und die fehlende Routine im Umgang mit dem ElsterFormular die Entdeckung des Fehlers verhindert, der allenfalls auf leichter Fahrlässigkeit beruhe.

5

Das FA lehnte es ab, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern. Denn den Kläger treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Unterhaltsleistungen. Im ElsterFormular werde ebenso wie in der Anleitung zur Steuererklärung und im Erklärungsvordruck auf den Abzug von Unterhaltsleistungen hingewiesen und nach Angaben zur unterhaltenen Person gefragt.

6

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1043 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

7

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

8

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Juni 2010 sowie den ablehnenden Bescheid vom 27. Juni 2008 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2009 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 18. Mai 2007 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 7.130 € herabgesetzt wird.

9

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der hier streitige bestandskräftige Einkommensteuerbescheid wegen eines den Kläger treffenden groben Verschuldens nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern ist.

11

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (BFH-Urteile vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545; vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; jeweils m.w.N.).

12

a) Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die dazu getroffenen Feststellungen und daraus folgenden Würdigungen des FG können --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- von der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545, m.w.N.).

13

b) Die Würdigung des FG, angesichts der Ausgestaltung des ElsterFormulars für die Einkommensteuererklärung 2006 und der Anleitung dazu treffe den Kläger ein grobes Verschulden daran, dass die Unterhaltsleistungen erst nachträglich bekannt wurden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

14

aa) Das FG hat im Fall des Klägers den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit zutreffend ausgelegt und die daraus abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt. Von einem groben Verschulden ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Es entspricht allerdings ständiger Rechtsprechung des BFH, dass kein grobes Verschulden vorliegt, wenn die unvollständige Steuererklärung auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht. Aber auch der Steuerpflichtige, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, muss im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545, m.w.N.).

15

bb) Das FG hat nach Maßgabe dieser Grundsätze in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers angenommen. Es hat das grobe Verschulden insbesondere darin gesehen, dass der Kläger die mit "Unterhalt für bedürftige Personen" überschriebene Zeile 102 unbeantwortet ließ und er nicht nur die in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung aufgeführten zwei auf ihn zutreffenden Sachverhalte, sondern auch den dort angeführten Hinweis nicht beachtete, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter eines gemeinsamen Kindes bestehen kann. Dazu hat das FG auch die Einlassung des Klägers, er habe eine elektronische Steuererklärung abgegeben und deshalb deren schriftliche Anleitung nicht zur Verfügung gehabt, in seine Würdigung einbezogen und im Ergebnis als unbeachtlich beurteilt. Denn es hat festgestellt, dass diese Angaben auch in dem vom Kläger verwendeten elektronischen ElsterFormular der Finanzverwaltung enthalten waren. Auch für diese Hinweise gilt --nicht anders als für solche in Papierform--, dass es regelmäßig grob fahrlässig ist, diese unbeachtet zu lassen, sofern sie ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind. Davon war im Streitfall nach den Feststellungen des FG für das ElsterFormular 2006 auszugehen.

16

Der hier zu entscheidende Streitfall unterscheidet sich von dem heute durch den erkennenden Senat ebenfalls entschiedenen Fall zum ElsterFormular des Veranlagungszeitraums 2008 (Urteil vom 20. März 2013 VI R 9/12, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), indem aufscheinende Hilfstexte die Sachverhalte nur unvollständig erläuterten und den Steuerpflichtigen angesichts unübersichtlicher Vordruckgestaltungen gerade nicht dazu veranlassten, zur Verfügung gestellte weitere Anlagen zu verwenden. Das FG hat dagegen für die im Streitfall erforderlichen Eingaben in die Maske des Steuerformulars keine im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Besonderheiten in der Programmführung des ElsterFormulars festgestellt. Insoweit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall auch von dem des FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13. Dezember 2010  5 K 2099/09, EFG 2011, 685, Revisionsverfahren anhängig unter dem Az. X R 8/11); dort hatten die Anwendungsmodalitäten des Programms den Anwender veranlasst, in eine andere Eingabemaske zu wechseln, ohne nach der Eingabe dort zur ursprünglichen Maske zurückzukehren.

17

Der Kläger kann sich schließlich nicht darauf berufen, dass im Gegensatz zur Einkommensteuererklärung in Papierform das ElsterFormular keinen vollständigen Ausdruck der Steuererklärung liefert, sondern letztlich nur die Werte und Kennziffern aufführt, zu denen der Steuerpflichtige Eintragungen vorgenommen hat. Denn dies mag zwar einen Nachteil der elektronischen Steuererklärung darstellen, betrifft aber nicht den Grund für die Annahme der groben Fahrlässigkeit, nämlich die fehlende An- und Eingabe im ElsterFormular selbst.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Unterhaltsleistungen, die bei einer in elektronischer Form abgegebenen Einkommensteuererklärung (ELSTER) versehentlich nicht erklärt wurden, im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid noch zu berücksichtigen sind.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Lebensgefährtin A sind die Eltern ihres am 6. März 2007 geborenen Sohnes. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes unterbrach A zu dessen Betreuung ihre Berufstätigkeit. Der Kläger leistete an A von März bis November 2008 monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von jeweils 1.100 €. Der Kläger hatte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2008), die er nicht mit dem Papierformular, sondern mit dem elektronischen ElsterFormular 2008/2009 eingereicht hatte, keine Unterhaltsleistungen erklärt. Das dazu vom Kläger verwendete ElsterFormular enthielt in Zeile 102 die Angabe "Unterhalt für bedürftige Personen" und verwies ohne weitere Erläuterungen auf die Anlage Unterhalt. Der Hilfstext zur Anlage Unterhalt führte die gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen beispielhaft auf ("z.B. Eltern, Großeltern und Kinder"), nannte dort aber nicht die Mutter eines gemeinsamen Kindes als mögliche Unterhaltsberechtigte. Im ElsterFormular fand sich das erst am Ende der Anlage Unterhalt.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte den Kläger für das Streitjahr mit Einkommensteuerbescheid vom 28. September 2009 erklärungsgemäß.

4

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2010 beantragte der Kläger unter Beifügung einer Anlage Unterhalt die Berücksichtigung seiner Unterhaltsleistungen an seine Lebensgefährtin. Das FA wies den Antrag mit der Begründung zurück, den Kläger treffe i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der geleisteten Unterhaltszahlungen. Der Kläger habe trotz ausdrücklicher Frage nach Unterhalt für bedürftige Personen keine Angaben zu den von ihm geleisteten Unterhaltszahlungen gemacht und keine Anlage Unterhalt eingereicht.

5

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 488 veröffentlichten Gründen erfolgreich. Den Kläger treffe kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das ElsterFormular 2008/2009 zur Einkommensteuer für 2008 sei bezüglich Unterhaltsleistungen an die Kindesmutter als gesetzlich Unterhaltsberechtigte nicht so gestaltet, dass den Kläger der Vorwurf groben Verschuldens im Hinblick darauf treffe, die Unterhaltsleistungen nicht bereits in der elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung angegeben zu haben. Hinweise auf die Mutter eines gemeinsamen Kindes fänden sich dort nicht. Dem Kläger, dem seine Unterhaltsverpflichtung und die Möglichkeit der Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung nicht bekannt gewesen seien, habe sich angesichts dieser Erläuterung und der etwa gegenüber 2003 für den Steuerpflichtigen unübersichtlicheren Vordruckgestaltung nicht aufdrängen müssen, auch Unterhaltsleistungen an seine mit ihm nicht verwandte und nicht verheiratete Lebensgefährtin eintragen zu können und zu müssen.

6

Im Streitfall seien deshalb die Unterhaltsleistungen des Klägers nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen.

7

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

8

Es beantragt,
das Urteil des FG Hamburg vom 27. September 2011  1 K 43/11 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Finanzgericht (FG) hat zutreffend und frei von Verfahrensfehlern entschieden, dass der hier streitige Einkommensteuerbescheid auf Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern ist.

11

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (BFH-Urteile vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545; vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; jeweils m.w.N.).

12

a) Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die dazu getroffenen Feststellungen und darauf gründenden Würdigungen des FG können --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- von der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545, m.w.N.).

13

b) Die Würdigung des FG, den Kläger treffe angesichts der unübersichtlichen Ausgestaltung des ElsterFormulars des Veranlagungszeitraums 2008 kein grobes Verschulden daran, dass die Unterhaltsleistungen erst nachträglich bekannt wurden, ist danach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

14

aa) Das FG hat den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit zutreffend ausgelegt und die daraus abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt. Es hat grobes Verschulden angenommen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er etwa eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet. Zutreffend hat es diese Grundsätze auch auf eine im elektronischen Wege über das ElsterFormular abgegebene Steuererklärung angewandt und deshalb auch zu Recht Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit berücksichtigt, wie sie gleichermaßen auch für solche in Papierform gelten.

15

bb) Das FG hat seine Würdigung, dass den Kläger kein grobes Verschulden im Hinblick auf das nachträgliche Bekanntwerden der Unterhaltsleistungen trifft, darauf gestützt, dass der Hauptvordruck des ElsterFormulars keine Erläuterungen enthält und die Anlage Unterhalt, auf die stattdessen hingewiesen wird, zwar im Hilfstext die Unterhaltsberechtigung zwischen Großeltern, Eltern und Kindern als Beispiel nennt, aber gerade nicht auf die einer Kindesmutter hinweist. Wenn das FG angesichts dessen zu der Würdigung gelangte, dass sich dem Kläger aufgrund der unübersichtlichen Vordruckgestaltung nicht hätte aufdrängen müssen, dass auch Unterhaltsleistungen an seine mit ihm nicht verwandte und nicht verheiratete Lebensgefährtin hätten eingetragen werden müssen, ist dies revisionsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die daran anknüpfende Würdigung, dass dem Kläger deshalb kein grobes Verschulden vorgeworfen werden kann.

16

Das FG hat im Rahmen der ihm obliegenden Gesamtwürdigung auch alle erheblichen Umstände einbezogen. So hat es entgegen der Auffassung des FA insbesondere nicht unberücksichtigt gelassen, dass die Anlage Unterhalt selbst am Ende die Kindesmutter als Unterhaltsberechtigte nennt. Zu Recht hat es in diesem Zusammenhang aber auch berücksichtigt, dass der Erläuterungstext der Anlage gerade zu dieser Unterhaltsberechtigung nichts enthält und es der Kläger deshalb nicht grob fahrlässig unterlassen hat, ohne Anhaltspunkte sich der Anlage selbst zuzuwenden. Insoweit hat das FG schließlich auch zutreffend bedacht, dass am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder im ElsterFormular deutlich schwieriger zu erlangen ist, als in einer Steuererklärung in Papierform.

17

c) Das FA kann sich auch nicht mit Erfolg auf Verfahrensmängel berufen. Das FG hat weder seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt noch hat es gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.

18

aa) Soweit das FA eine den Anforderungen des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht genügende Sachverhaltsaufklärung rügt, fehlt es schon an dem Vortrag, dass die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift in der Vorinstanz gerügt wurde oder dass diese Rüge nicht möglich war (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 67, m.w.N.). Denn die Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 FGO zählt zu den verzichtbaren Mängeln (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 33; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 101; jeweils m.w.N.). Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht mit der Begründung gerügt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, ist auch vorzutragen, dass dieser Mangel in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt worden ist (vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 70). Der Schriftsatz des FA enthält dazu jedoch keine Ausführungen; und auch aus dem Sitzungsprotokoll des FG ergibt sich nicht, dass das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem FG Beweisanträge zu Protokoll erklärt und die unterlassene Beweisaufnahme gerügt hat. Wenn das FA weiter einwendet, im Erörterungstermin auf die gleichlautenden Anleitungen zu den Steuererklärungen in Papierform einerseits und im ElsterFormular andererseits hingewiesen zu haben, ist nicht ersichtlich, inwieweit daraus ein Verstoß gegen die Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, folgten sollte. Denn das FG hat diese Feststellungen getroffen und in den Entscheidungsgründen gewürdigt.

19

bb) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das FG muss danach neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch den gesamten Akteninhalt und das Ergebnis von Beweiserhebungen jeglicher Art berücksichtigen (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 96 Rz 11, m.w.N.). Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn das FG den festgestellten Sachverhalt unter Einbeziehung des ihm vorliegenden Akteninhalts nicht entsprechend den Vorstellungen eines der Beteiligten gewürdigt hat. Daran gemessen hat das FG nicht gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen. Denn das FG hat die diversen vom FA angeführten Anleitungstexte durchaus zur Kenntnis genommen. Es hat auch die offenkundig unterschiedlichen Darstellungen und Übersichtlichkeiten der elektronischen Steuererklärung einerseits und des Papiervordrucks andererseits umfassend gewürdigt. Wenn das FG daraus nicht die vom FA für zutreffend erachteten Folgerungen und Würdigungen gezogen hat, begründet dies allerdings keinen Verfahrensfehler.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater einer Tochter, die im Streitjahr 2007 in seiner Wohnung lebte und für die ihm Kindergeld zustand. Mit der Mutter des Kindes war er nicht verheiratet; im Streitjahr lebte er nicht mehr in Haushaltsgemeinschaft mit ihr.

2

Der Kläger beauftragte seinen Steuerberater mit der Erstellung der Steuererklärung für das Streitjahr. Dieser fertigte die Erklärung anhand der Angaben des Klägers an und legte die mit Hilfe des Programms "Elster" der Finanzverwaltung erstellte, komprimierte Einkommensteuererklärung dem Kläger zur Prüfung, Unterzeichnung und Weiterleitung an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) vor. Die komprimierte Steuererklärung enthielt dabei keine Rubriken --und damit auch keine Eintragungen-- zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, wie sie in dem amtlichen Vordruck ("Anlage Kind") vorgesehen sind.

3

Am 19. Februar 2009 ging die komprimierte, von dem Kläger unterzeichnete Steuererklärung postalisch beim FA ein.

4

Der daraufhin erlassene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 9. März 2009, in dem kein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende berücksichtigt worden ist, wurde bestandskräftig.

5

Mit Schreiben vom 3. August 2009 beantragte der Kläger die Änderung dieses Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) und begehrte die Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende für das Streitjahr. Bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung des Jahres 2008 sei dem steuerlichen Berater aufgefallen, dass die "Anlage Kind" für das Streitjahr unvollständig ausgefüllt worden sei. Es hätten in den Zeilen 35 ff. der "Anlage Kind" Angaben zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemacht werden müssen, weil er seit Dezember 2006 von der Mutter seines Kindes getrennt lebe und deshalb alleinerziehend sei. Er, der Kläger, habe aus der ihm übersandten komprimierten Steuererklärung nicht erkennen können, dass diese steuerrelevanten Angaben fehlten. Ihm sei außerdem gar nicht bekannt gewesen, dass die Tatsache der Alleinerziehung zu einer zusätzlichen steuerlichen Entlastung führen könne.

6

Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. September 2009 ab.

7

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1677 veröffentlichten Urteil statt. Nach Auffassung des FG könne der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden. Den Kläger treffe insbesondere kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache der räumlichen Trennung des Klägers von der Mutter seines Kindes, so dass eine Änderung des streitgegenständlichen Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ausgeschlossen sei.

8

Dem Kläger sei ein eigenes grobes Verschulden nicht vorzuwerfen. Die Angaben zu dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, die auf der Seite 2 der "Anlage Kind" in den Zeilen 35 ff. vorgesehen seien, seien in der komprimierten Steuererklärung nicht enthalten gewesen, die dem Kläger von seinem steuerlichen Berater zur Prüfung, Unterzeichnung und Weiterleitung überlassen worden sei. Es sei dem Kläger damit nicht möglich gewesen, insoweit auf ausdrücklich gestellte Fragen zu antworten oder insoweit vorbereitete Angaben zu überprüfen. Ein Anlass für den Kläger, auf die steuerliche Bedeutsamkeit dieser Fragestellung aufmerksam zu werden, habe deshalb nicht vorgelegen. Dem Kläger könne überdies nicht vorgeworfen werden, dass er dem Umstand, dass er im Streitjahr alleinerziehend gewesen sei, nicht von sich aus seinem steuerlichen Berater mitgeteilt habe, da hierzu --mangels entsprechender Fragestellung-- für einen steuerlichen Laien kein Anlass bestanden habe.

9

Dem Kläger sei auch nicht ein grobes Verschulden seines steuerlichen Beraters zuzurechnen. Der Steuerberater sei nicht verpflichtet gewesen, "ins Blaue" nach einer Änderung der Familienverhältnisse zu fragen, da hierzu keinerlei Anlass bestanden habe. Anders als in dem der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Dezember 2009 VI R 58/07 (BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531) zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem es um das nachträgliche Bekanntwerden von als außergewöhnliche Belastungen zu qualifizierenden Krankheitskosten gegangen sei, bestehe keine Verpflichtung des Steuerberaters, sich jährlich nach dem Stand der ehelichen oder nichtehelichen Beziehung des Mandanten zu erkundigen, wenn insoweit keine Anhaltspunkte für eine steuerrelevante Veränderung vorlägen.

10

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. In Bezug auf ein dem Steuerpflichtigen zuzurechnendes grobes Verschulden des Steuerberaters führt es aus, der Steuerberater habe bei dem Auftrag, die Steuererklärung zu fertigen, u.a. zu prüfen, welche Steuertatbestände verwirklicht worden seien und welche Begünstigungsvorschriften zu berücksichtigen seien. Es verweist auf das BFH-Urteil in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531, nach dem ein Steuerberater seinen Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen habe, umfassend zu beraten habe und nach dem er --im Rahmen dieser Verpflichtung-- den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln habe.

11

Diesen Maßstäben werde das FG mit seinem Urteil nicht gerecht, in dem es in den Entscheidungsgründen anführe, der Steuerberater sei nicht verpflichtet, "ins Blaue" nach einer Änderung der Familienverhältnisse zu fragen, da hierzu im Streitfall keinerlei Anlass bestanden habe. Das FG verlange damit seitens des steuerlichen Beraters lediglich eine anlassbezogene Rückfrage, und zwar nur dann, wenn Anhaltspunkte für eine steuerrelevante Veränderung vorlägen.

12

Jedoch sei die steuerliche Relevanz der persönlichen Verhältnisse in Anbetracht der verschiedenen kinderbedingten Vergünstigungen dem steuerlichen Laien nicht ohne weiteres bewusst und erfordere daher einen Informationsaustausch mit dem Steuerpflichtigen. Die im Streitfall mangelnde Kommunikation müsse sich der Kläger als Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen.

13

Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

15

Nach seiner Auffassung sei das Problem letztlich in der Verkürzung der Steuererklärung bei Ausdruck der "Elster-Übermittlungen" zu sehen. Wären hier ebenfalls die genannten Rubriken und damit Leerfelder für den Steuerpflichtigen erkennbar, so wären Informationsverluste wie im vorliegenden Fall vermeidbar. Die in dem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende sei für den Steuerpflichtigen bei der verkürzt ausgedruckten Steuererklärung gerade nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

16

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG war zu Unrecht der Ansicht, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr könne nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten des Klägers geändert werden, weil diesem kein grobes Verschulden vorzuwerfen sei.

17

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

18

1. Allein streitig ist das Vorliegen von grobem Verschulden.

19

a) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Letztere ist dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545, und vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545).

20

Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (z.B. Senatsurteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346, und in BFH/NV 2009, 545). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, und in BFH/NV 2009, 545).

21

Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige allerdings dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (z.B. Senatsurteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2009, 545). Dies gilt auch dann, wenn er eine derartige, im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (z.B. Senatsurteile in BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2009, 545).

22

Einem Steuerpflichtigen kann des Weiteren dann ein eigenes grobes Verschulden angelastet werden, wenn er die von seinem steuerlichen Berater angefertigte Steuererklärung nicht auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit durchgesehen hat und ihm ohne Weiteres hätte auffallen müssen, dass steuermindernde Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt worden sind (BFH-Urteil vom 28. August 1992 VI R 93/89, BFH/NV 1993, 147).

23

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z.B. BFH-Urteile vom 17. November 2005 III R 44/04, BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, und in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (vgl. § 150 Abs. 2 Satz 1 AO; vgl. BFH-Urteile vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203; in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, und in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt (BFH-Urteile in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, und in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531). Dabei sind an einen steuerlichen Berater, dessen sich der Steuerpflichtige zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, erhöhte Anforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu stellen (z.B. BFH-Urteile vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2; vom 26. August 1987 I R 144/86, BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109, und vom 13. Juni 1989 VIII R 174/85, BFHE 157, 196, BStBl II 1989, 789).

24

c) Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (z.B. Senatsurteile in BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2009, 545).

25

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann das Urteil des FG keinen Bestand haben.

26

a) Rechtsfehlerfrei hat das FG zwar zunächst ein eigenes grobes Verschulden des Klägers verneint. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass aus der komprimierten Steuererklärung für den Kläger nicht ersichtlich war, dass weitere Angaben zur Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende erforderlich waren und insoweit steuermindernde Tatsachen nicht berücksichtigt worden sind. Außerdem kann dem Kläger --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- nicht vorgeworfen werden, die Tatsache, dass er im Streitjahr nicht mehr in Haushaltsgemeinschaft mit der Mutter gelebt hat, nicht von sich aus dem Berater mitgeteilt zu haben, da hierzu für einen steuerlichen Laien mangels Kenntnis der steuerlichen Relevanz dieser Tatsache kein Anlass bestand.

27

b) Entgegen der Auffassung des FG trifft jedoch den steuerlichen Berater ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache, welches sich der Kläger zurechnen lassen muss.

28

aa) Indem er dem insoweit steuerlich unerfahrenen Kläger lediglich die komprimierte Einkommensteuererklärung zur Prüfung überließ, ohne den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln, handelte er grob fahrlässig. Denn damit nahm er dem Kläger die Möglichkeit zur Kenntnisnahme, dass --wie in den Zeilen 35 ff. der "Anlage Kind" aufgeführt-- ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährt werden kann und insoweit weitere Angaben zur vollständigen Beantwortung der in dem amtlichen Vordruck gestellten Fragen erforderlich sind. Durch sein Handeln übernahm der steuerliche Berater die Verantwortung, dass die in der von ihm erstellten komprimierten Steuererklärung aufgeführten Angaben des Steuerpflichtigen (auch) vollständig sind.

29

Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung, der er sich nicht dadurch entziehen kann, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt (BFH-Urteile in BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203; in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, und in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531). Diese Verantwortung des Steuerpflichtigen rechtfertigt die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters, welche letztlich sicherstellen soll, dass der Steuerpflichtige durch die Bevollmächtigung nicht besser gestellt wird als der nicht vertretene Steuerpflichtige. Hätte der Kläger seine Steuererklärung selbst erstellt, wäre ihm regelmäßig grobes Verschulden anzulasten, wenn er eine unvollständige Steuererklärung abgegeben und eine ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet hätte (s. oben unter II.1.a). Dann muss nach Auffassung des erkennenden Senats ein grobes Verschulden des vom Steuerpflichtigen beauftragten steuerlichen Beraters bejaht werden, wenn dieser --im Falle der Nichtermittlung des für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalts-- dem Steuerpflichtigen lediglich eine komprimierte Steuererklärung aushändigt und ihm damit die Möglichkeit nimmt, die darin enthaltenen Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen. Würde man ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters in diesen Fällen verneinen, käme es zu einer Besserstellung des vertretenen Steuerpflichtigen gegenüber dem nicht vertretenen, da dem Steuerpflichtigen selbst --insbesondere mangels Erkennbarkeit der Unvollständigkeit der in der komprimierten Steuererklärung enthaltenen Angaben-- ein grobes Verschulden nicht vorgeworfen werden kann (vgl. oben unter II.2.a).

30

bb) Dabei kann es --entgegen der Auffassung des Klägers-- nicht darauf ankommen, dass der Ausdruck der komprimierten Steuererklärung auf die Verwendung des Programms "Elster" zurückzuführen ist. Insoweit hat der steuerliche Berater selbst sicherzustellen, dass er dem Steuerpflichtigen, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen hat, die Möglichkeit belässt, die Angaben in der von ihm gefertigten Steuererklärung auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüfen zu können, wenn sich der Berater entscheidet, den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt nicht vor Erstellung der Steuererklärung --ggf. durch ausdrückliche Nachfrage beim Steuerpflichtigen-- vollständig zu ermitteln. Indem der steuerliche Berater dem Steuerpflichtigen lediglich eine komprimierte Steuererklärung aushändigt, übernimmt er die Verantwortung, dass die in dieser Steuererklärung aufgeführten Angaben des Steuerpflichtigen (auch) vollständig sind (s. oben unter II.2.b aa).

31

cc) Der Senat kann offenlassen, ob ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters auch aufgrund der fehlenden Nachfrage bei dem Kläger hinsichtlich des Umstands der Haushaltsgemeinschaft der Kindseltern angenommen werden müsste. Offen bleiben kann damit, ob ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters stets dann anzunehmen ist, wenn dieser im Rahmen seiner Verpflichtung, seinen Mandanten im Rahmen dessen Belehrungsbedürftigkeit umfassend zu beraten, den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt --auch ohne entsprechende Anhaltspunkte für eine steuerrelevante Veränderung-- selbst nicht vollständig ermittelt hat (so --im Hinblick auf als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähige Zahnbehandlungskosten-- wohl: BFH-Urteil in BFHE 227, 365, BStBl II 2010, 531; ebenso: von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 173 Rz 95.1.; kritisch: Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 84; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 173 Rz 126) oder ob insoweit auch Fälle der "lediglich" einfachen Fahrlässigkeit denkbar sind.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.