Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 26. Juni 2017 - 8 B 64/16
Gericht
Gründe
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Der Kläger ist Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft nach Heinrich Sch. Er begehrt die Rücknahme des Bescheids vom 28. September 2010, in dem der Beklagte Ausgleichsleistungen zugunsten dieser Erbengemeinschaft festgesetzt hat, sowie dessen Verpflichtung, die gekürzte Bemessungsgrundlage für jedes Mitglied der Erbengemeinschaft gesondert festzustellen, soweit die Ausgleichsleistungen den Vermögenswert Zuckerfabrik Z. betreffen. Der Beklagte hat diesen Antrag abgelehnt, das Verwaltungsgericht die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 28. September 2010 sei rechtmäßig. Ihm liege die zutreffende Feststellung zugrunde, dass Geschädigter der Maßnahmen nach § 1 Abs. 8 Buchst. a Vermögensgesetz (VermG) nicht die Erbengemeinschaft nach Heinrich Sch., sondern der am 28. Dezember 1945 verstorbene Erblasser selbst gewesen sei.
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Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
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Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage:
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"Ist die Vertreibung des Geschädigten von Haus und Hof ein staatlicher Eingriff in das Eigentum des Vertriebenen, d.h. eine faktische Maßnahme im Sinne der Bodenreform oder nur eine Verwaltungsentscheidung, die nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte führt?".
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Die Beschwerde legt schon nicht dar, inwiefern die Frage für das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen sein soll und sich deshalb im Revisionsverfahren stellen würde. Sie geht von Annahmen aus, die dem Urteil der Vorinstanz nicht zugrunde liegen.
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Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts war im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 2003 - 8 C 28.02 - juris Rn. 32) die Erwägung, dass für die Bestimmung des Zeitpunkts der Enteignung auch im Falle des Restitutionsausschlusses für Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG faktische Kriterien heranzuziehen seien. Entscheidend sei, wann die Enteignung des jeweiligen Vermögenswertes in der Rechtswirklichkeit erstmals greifbar zum Ausdruck gekommen sei. Die endgültige Verdrängung des geschädigten Heinrich Sch., so das Verwaltungsgericht, sei mit der Bestellung des Max H. zum Treuhänder für das "Rittergut D. der Zuckerfabrik Z." durch Verfügung des Landratsamtes - Abt. Bodenreform - vom 22. September 1945 in der Rechtswirklichkeit erstmals greifbar zum Ausdruck gekommen. Mit der Einsetzung des Treuhänders sei für den Betroffenen der Verlust der Verfügungsgewalt über die Vermögenswerte einhergegangen. Zudem lasse das Schreiben des Heinrich Sch. vom 22. September 1945 an den Vorsitzenden der Kreisbodenkommission für die Durchführung der Bodenreform erkennen, dass er sich dem Zugriff auf seine Vermögenswerte ausgesetzt gesehen habe. Schließlich sei der Erblasser mit Verfügung der Gemeinde D. vom 3. Oktober 1945 aufgefordert worden, das Gebiet des Landkreises W. binnen 24 Stunden zu verlassen. Mit der Übersiedlung nach R. in Hessen sei der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten vollständig aus seiner Position als Eigentümer verdrängt worden und habe keine Möglichkeit mehr gehabt, über seine Vermögenswerte in Sachsen-Anhalt zu verfügen.
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Das Verwaltungsgericht hat danach die faktische Verdrängung des Erblassers aus seinem Eigentum maßgeblich schon aufgrund der Einsetzung des Treuhänders sowie der eigenen Einschätzung des Erblassers, aus seinem Eigentum verdrängt worden zu sein, bejaht. Die an den Erblasser ergangene Aufforderung vom 3. Oktober 1945, den Landkreis W. zu verlassen (sogenannte Kreisverweisung) in Verbindung mit seiner anschließenden Übersiedlung nach Hessen hat es lediglich als einen weiteren zusätzlichen Aspekt gewürdigt, aus dem sich die Endgültigkeit der - vorherigen - Verdrängung des Erblassers aus seiner Position als Eigentümer noch vor dessen Ableben ergebe. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Ausweisung aus dem Landkreis für sich genommen ein Eingriff in das Vermögen des Betroffenen gewesen sei, stellte sich für das Verwaltungsgericht daher nicht.
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Abgesehen davon bedarf die Frage nach der rechtlichen Einordnung der Kreisverweisung nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Bereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) bereits geklärt, dass die Kreisverweisung eine eigenständige behördliche Maßnahme darstellt, die grundsätzlich einer Rehabilitierung gemäß § 1a VwRehaG zugänglich ist (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 3 C 25.08 - Buchholz 428.6 § 1a VwRehaG Nr. 1 = juris Rn. 17 m.w.N.). Es handelt sich dabei um einen nichtvermögensrechtlichen Vorgang, der nicht vom Vermögensgesetz erfasst wird (BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 3 B 18.16 - juris Rn. 3). In diesem Kontext stehen auch die von der Beschwerde zitierten Ausführungen des Beklagten in einem Schreiben an die Enkelin des Erblassers vom 13. April 1999 (vgl. S. 5 f. der Beschwerdebegründung vom 2. November 2016). Darin führte der Beklagte in Bezug auf die als rechtsstaatswidrig erklärte Ausweisung aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Ausweisung des Erblassers und der Enteignung der Anteile der Zuckerfabrik nicht erkennbar sei, weil es sich bei der Ausweisung um eine Verwaltungsentscheidung gehandelt habe, die nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte geführt habe.
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Die übrigen Ausführungen der Beschwerde wenden sich nach Art einer Berufungsbegründung gegen die - vom Kläger beanstandete - Bewertung einzelner Dokumente durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall, ohne dass eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen oder weitere Zulassungsgründe dargetan würden. Das gilt sowohl für die Würdigung des Schreibens des Erblassers an den Vorsitzenden der Kreisbodenkommission für die Bodenreform vom 22. September 1945 als auch für die Bewertung der Aufnahme der Güter des Erblassers in die Listen der im Landkreis W. aufgeteilten Rittergüter.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Die Beschwerde muß das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, einzureichen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß. Der Beschluß soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluß das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(1) Für eine Verwaltungsentscheidung nach § 1 Abs. 1 oder eine Maßnahme nach § 1 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6, die nicht zu einer Beeinträchtigung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 genannten Rechtsgüter geführt hat, ist auf Antrag die Rechtsstaatswidrigkeit festzustellen, soweit die Verwaltungsentscheidung oder die Maßnahme mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und aus Gründen der politischen Verfolgung zu einer schweren Herabwürdigung des Betroffenen im persönlichen Lebensbereich geführt hat.
(2) Ist die Rechtsstaatswidrigkeit wegen einer Maßnahme, die mit dem Ziel der Zersetzung erfolgte, festgestellt worden, erhält der Betroffene auf Antrag eine einmalige Leistung in Höhe von 1 500 Euro. Der Anspruch auf die Leistung nach Satz 1 ist unpfändbar, nicht übertragbar und nicht vererbbar. Die Leistung nach Satz 1 bleibt bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, als Einkommen unberücksichtigt.
(3) § 1 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 gilt entsprechend.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
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vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
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die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.