Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 25. Juni 2015 - 1 BvR 37/15

ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20150625.1bvr003715
published on 25.06.2015 00:00
Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 25. Juni 2015 - 1 BvR 37/15
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Gericht

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Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 22 Abs. 2 des Mindestlohngesetzes (MiLoG), demzufolge Kinder und Jugendliche im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes gelten. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es, dies solle Anreize für Jugendliche verhindern, zugunsten einer mit dem Mindestlohn vergüteten Beschäftigung auf eine Berufsausbildung zu verzichten (BTDrucks 18/1558, S. 42 f.).

2

2. Der 17-jährige Beschwerdeführer, der im September 2015 eine Ausbildung beginnen wird, ist mit einem Stundenlohn von 7,12 € in der Systemgastronomie beschäftigt. Er rügt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes, weil Volljährige für dieselbe Tätigkeit den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Er werde aufgrund des Alters diskriminiert.

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3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität nicht genügt.

4

a) Dahinstehen kann, ob sich die Angaben des Beschwerdeführers so verstehen lassen, dass die von ihm genannte Stundenvergütung ein Bruttoentgelt ist und damit tatsächlich unter dem Mindestlohn liegt. Denn er hat jedenfalls nicht alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen, um eine insofern mögliche Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; stRspr). Es ist dem Beschwerdeführer zumutbar, vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar gegen das Gesetz zunächst Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte zu erlangen. Dies gilt auch dann, wenn eine vorherige fachgerichtliche Prüfung dazu führen würde, dass eine gesetzliche Regelung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht oder nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Prüfung vorgelegt wird, soweit sich Fragen nach der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz (vgl. BVerfGE 79, 1 <24>; 86, 382 <386 f.>; 113, 88 <103>; 123, 148 <172 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Januar 2015 - 1 BvR 931/12 -, www.bverfg.de, Rn. 23) oder aber mit anwendbarem Unionsrecht stellen (vgl. BVerfGE 129, 186 <202>; BVerfGK 15, 306 <314>).

5

b) Die Verweisung auf den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist auch nicht unzumutbar, weil dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 BVerfGG drohen würde. Ein solcher wurde nicht dargelegt; die allgemeine Belastung durch die Verfolgung eines Anspruchs vor den Fachgerichten rechtfertigen eine vorzeitige Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht nicht (vgl. BVerfGE 8, 222 <226>). Vielmehr stehen dem Vorteil einer vorherigen Befassung der Fachgerichte im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes durch Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsweg nur verhältnismäßig geringe Belastungen gegenüber.

6

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb
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published on 14.01.2015 00:00

Gründe A. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der Thüringer Landesgesetzgeber mi
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Annotations

(1) Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, dass sie

1.
ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
2.
ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3.
ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
4.
an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen.
Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt.

(2) Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes.

(3) Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sowie ehrenamtlich Tätigen.

(4) Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht. Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll.

(1) Kind im Sinne dieses Gesetzes ist, wer noch nicht 15 Jahre alt ist.

(2) Jugendlicher im Sinne dieses Gesetzes ist, wer 15, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.

(3) Auf Jugendliche, die der Vollzeitschulpflicht unterliegen, finden die für Kinder geltenden Vorschriften Anwendung.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.