Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 06. Apr. 2012 - 1 BvQ 12/12

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2012:qk20120406.1bvq001212
bei uns veröffentlicht am06.04.2012

Gründe

I.

1

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft eine für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Stadt Frankfurt am Main, mit der der Antragstellerin verboten wurde, am 6. April 2012, Karfreitag, 18:30 Uhr bis 21:30 Uhr eine Versammlung mit dem Veranstaltungsthema "Demonstration/Mahnwache gegen das Tanzverbot" auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main durchzuführen.

2

Ihre Verbotsverfügung begründete die Stadt Frankfurt am Main mit einem zu erwartenden Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Nr. 3 Hessisches Feiertagsgesetz als einfachgesetzliche Ausprägung des Sonn- und Feiertagsschutzes aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV, nachdem die Antragstellerin zu einem Tanzen gegen das Tanzverbot unter Abspielen und gemeinsamem Hören von Tanzmusik aufgerufen habe und in einem vorhergehenden Kooperationsgespräch am 3. April 2012 die Durchführung der Veranstaltung in Form einer stillen Mahnwache ohne Tanz und Musik abgelehnt habe.

3

Den hierauf beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Verbotsverfügung eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht im Ergebnis mit der Begründung ab, dass an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung keine Zweifel bestünden. Dieser Beschluss ist der Antragstellerin gemäß ihrem eigenen Sachvortrag am Donnerstag, den 5. April 2012 um 16:57 Uhr zugegangen.

4

2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Aufhebung der Verbotsverfügung und hilfsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Sie beruft sich insofern auf ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Zur Frage der Eilbedürftigkeit trägt sie, ohne dies näher zu begründen, vor, dass aufgrund des Zeitablaufes eine rechtskräftige Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg vor Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich sei, so dass die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG vorlägen.

II.

5

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war abzulehnen, da er bereits unzulässig ist.

6

Er wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht.

7

Von diesem Grundsatz ist insbesondere das sich aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unmittelbar ergebende Gebot der Rechtswegerschöpfung in Verfassungsbeschwerdeverfahren umfasst, er kommt jedoch in bestimmten Fallkonstellationen auch als allgemeiner Gesichtspunkt der Subsidiarität verfassungsrechtlicher Rechtsbehelfe zur Anwendung, wenn eine angemessene vorläufige Regelung in der Fachgerichtsbarkeit noch erreichbar erscheint (vgl. BVerfGE 86, 46 <49>).

8

Vorliegend stand der Antragstellerin vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch das Rechtsmittel der Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung. Von diesem Rechtsmittel hat sie keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie über dieses Rechtsmittel ordnungsgemäß belehrt wurde und nach dem Beschwerdevortrag keine Gründe dafür ersichtlich sind, weshalb ihr die Einlegung dieses Rechtsmittels nicht mehr möglich und zumutbar gewesen wäre.

9

Auch der Rechtsgedanke des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG rechtfertigt eine sofortige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht, da der Antragstellerin kein besonders schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift entsteht (vgl. BVerfGE 9, 120 <121>). Denn vorliegend geht es in der Sache um die schwierige, noch ungeklärte Rechtsfrage, inwieweit die Versammlungsfreiheit an einem Feiertag aufgrund dessen religiös geprägten Charakters eingeschränkt werden kann. Die Klärung dieser Frage wäre aber ohnehin nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglich, sondern müsste gegebenenfalls einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wendet sich die Antragstellerin im Ergebnis gegen die Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Parlamentsgesetzes. Insoweit aber sind die Anforderungen an den besonders schweren Nachteil für die Begründung vorläufigen Rechtsschutzes besonders hoch (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 2009 - 1 BvQ 34/09 -, juris, Rn. 7). Danach ist vorliegend von einem besonders schweren Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht auszugehen. Auch wenn ein triftiger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem beabsichtigen Versammlungszeitpunkt und dem Versammlungsthema besteht, kann der mit der Versammlung verfolgte Kommunikationszweck vorliegend grundsätzlich auch an einem anderen Tag erreicht werden.

10

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 90


(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwer

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 32


(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dring

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 140


Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

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Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 29. Jan. 2018 - 1 BvQ 70/17

bei uns veröffentlicht am 29.01.2018

Tenor Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Gründe 1

Referenzen

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.