Bundessozialgericht Urteil, 02. Feb. 2010 - B 8 SO 17/08 R
Gericht
Tatbestand
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Im Streit ist, ob der Beklagte Ansprüche des Klägers gegen das Finanzamt B auf Rückerstattung von Steuern auf sich überleiten durfte.
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Der Kläger und seine Ehefrau bezogen vom 15.6.2000 bis 31.12.2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Beide gaben bei Antragstellung an, dass Geldforderungen - ua gegen das Finanzamt B in Höhe von 1.236.707,50 DM - Gegenstand anhängiger Gerichtsverfahren seien. Die Aufwendungen des Sozialamts A für den Kläger und seine Ehefrau betrugen im Bezugszeitraum insgesamt 29.490,99 Euro. In Höhe diesen Betrags leitete das Sozialamt A Erstattungsforderungen auf sich über (schriftliche Anzeige vom 8.11.2004 gegenüber dem Finanzamt B und Bescheid vom 9.11.2004 gegenüber dem Kläger) . Das Finanzamt B zahlte daraufhin 29.485,92 Euro in zwei Teilbeträgen an das Sozialamt.
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Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 2.5.2005; Urteil des Sozialgerichts
Reutlingen vom 17.11.2005; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, § 90 BSHG als Rechtsgrundlage für die Überleitung diene der Durchsetzung des Nachranggrundsatzes des § 2 Abs 1 BSHG. Das Sozialamt habe Sozialhilfe zur Abwendung einer Notlage geleistet; der Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt B sei auch fällig gewesen. Der Überleitung stehe nicht entgegen, dass die Steuererstattungsansprüche (teilweise) auf Zeiträume zurückzuführen seien, in denen die Kläger noch nicht Sozialhilfeempfänger gewesen seien. Ausreichend sei, dass der Hilfeempfänger im Zeitpunkt der Hilfegewährung berechtigt sei, den Anspruch gegen den Dritten geltend zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers handele es sich bei Steuererstattungen nicht um (gegebenenfalls geschütztes) Vermögen, sondern um Einnahmen in Form einmaliger Einnahmen. Ermessensfehler seien nicht unterlaufen. Zwar enthalte der Ausgangsbescheid keine Ermessenserwägungen; diese seien jedoch im Widerspruchsbescheid in ausreichendem Maße nachgeholt worden.Baden-Württemberg vom 22.11.2007)
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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung materiellen Rechts (§ 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
, § 11 BSHG) . Zur Begründung führt er aus, das LSG habe seine Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen, dass die Steuererstattung als (Rück-)Zufluss eigenen Vermögens anzusehen sei, weil durch sie nur der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt worden sei. Außerdem sei die mündliche Verhandlung vor genügender Erörterung der Sach- und Rechtslage geschlossen worden. Der angefochtene Überleitungsbescheid vom 9.11.2004 habe nicht alle wesentlichen Tatsachen enthalten, auf die die Verwaltung ihre Entscheidung gestützt habe; insbesondere habe er keinerlei Hinweise auf seine (des Klägers) Interessen einerseits und die der Öffentlichkeit andererseits enthalten, die bei der Ermessensbetätigung zu berücksichtigen seien. Dieser Anhörungsmangel sei im Widerspruchsverfahren nicht geheilt worden. § 11 BSHG sei verletzt, weil der in der Steuerrückerstattung liegende Vermögenszufluss nur entweder - bei Bewertung als Einkommen gemäß §§ 76 ff BSHG - ab dem Monat des Zuflusses für einen gewissen Zeitraum - etwa bis zu einem Jahr - bzw bei Bewertung als Vermögen gemäß §§ 88 f BSHG unter Berücksichtigung der Schongrenzen ab dem Monat des Zuflusses hätte berücksichtigt werden dürfen, sodass die Steuererstattung nicht bzw nicht in voller Höhe hätte übergeleitet werden dürfen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil des SG abzuändern sowie den Bescheid vom 9.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 2.5.2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist iS der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) begründet. Das Verfahren leidet an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel; eine abschließende Entscheidung ist dem Senat verwehrt.
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Ob dem LSG die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler unterlaufen sind, kann dahinstehen. Jedenfalls hätte das LSG das Land Baden-Württemberg - möglicherweise auch die Ehefrau des Klägers - gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig zum Verfahren beiladen müssen. Der Verfahrensmangel der unterbliebenen notwendigen Beiladung ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl nur: BSGE 61, 197, 199 mwN = SozR 7323 § 9 Nr 1; BSGE 93, 283 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; Senatsurteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R) .
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Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung liegen vor. Nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung). Dritter iS dieser Regelung ist (jedenfalls) das Land Baden-Württemberg als Träger der Finanzverwaltung, weil der Beklagte durch die Überleitung der Steuererstattungsansprüche des Klägers (und seiner Ehefrau) unmittelbar in das Rechtsverhältnis des Klägers zur Finanzverwaltung eingegriffen hat; denn auf Grund der Überleitungsanzeige stand der Finanzverwaltung nunmehr ein neuer Gläubiger gegenüber, soweit der übergeleitete Anspruch bestand. Ob nach dieser Vorschrift auch die Ehefrau des Klägers dem Rechtsstreit beizuladen ist, hängt davon ab, ob sie hinsichtlich der Steuererstattungsansprüche zusammen mit dem Kläger Gesamtgläubigerin ist, weil dann auch ihr gegenüber eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überleitung nur einheitlich ergehen könnte.
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Von einer Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren gemäß § 168 Satz 2 SGG mit Zustimmung des Landes Baden-Württemberg hat der Senat abgesehen, weil die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Verfügung im bisherigen Verfahren ohne Berücksichtigung der Rechtsposition des Beizuladenden erfolgt ist.
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Rechtsgrundlage für die Überleitungsanzeige ist § 90 Abs 1 BSHG. Nach dessen Satz 1 kann der Träger der Sozialhilfe für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird, einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen einen anderen, der kein Leistungsträger iS von § 12 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - ist, durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht.
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Der Beklagte hat die Überleitung des Anspruchs am 8.11.2004 schriftlich angezeigt, ohne die von der Überleitung Betroffenen zuvor anzuhören. Nach erfolgter Beiladung wird das LSG zu beurteilen haben, ob der Anhörungsmangel später geheilt worden ist und ob der dem Kläger erteilte inhaltsgleiche Bescheid vom 9.11.2004 den Anforderungen der Zustellung der Überleitungsanzeige an den Drittbetroffenen genügt. Es wird ferner prüfen müssen, ob die Überleitungsanzeige hinreichend bestimmt gewesen ist (§ 33 Abs 1 SGB X), insbesondere ob aus ihr die übergeleiteten Ansprüche des Klägers gegen das Finanzamt hervorgehen, und ob der Beklagte das ihm durch § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG eingeräumte Ermessen ausgeübt hat.
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Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
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Annotations
Klageänderungen und Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig. Dies gilt nicht für die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 2 und, sofern der Beizuladende zustimmt, für Beiladungen nach § 75 Abs. 2.
Zuständig für die Sozialleistungen sind die in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden (Leistungsträger). Die Abgrenzung ihrer Zuständigkeit ergibt sich aus den besonderen Teilen dieses Gesetzbuchs.
(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 36a Abs. 2 des Ersten Buches findet insoweit keine Anwendung.
(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 36a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 des Ersten Buches muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.
(5) Bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Satz 1 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen; bei einem elektronischen Verwaltungsakt muss auch das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat nur die erlassende Behörde erkennen lassen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.