Bundessozialgericht Beschluss, 28. Aug. 2018 - B 8 SO 13/18 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:280818BB8SO1318B0
bei uns veröffentlicht am28.08.2018

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der 1961 geborene Kläger, der nicht unter Betreuung steht, bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). In dem vor dem Sozialgericht (SG) Mainz geführten Klageverfahren hat er (zusammengefasst formuliert) die Anerkennung etwaiger Herstellungsansprüche aufgrund Untätigkeit bzw fehlerhafter Beratung und Nichthilfen, die Verurteilung zu Beratung und Besprechung seiner Ansprüche, die Anerkennung der Möglichkeit falscher Datenspeicherung, die Verurteilung zum Tätigwerden von Amts wegen auf seine Anträge hin sowie zum Unterbinden aller Nachteile, welche ihm durch falsche und einseitige Daten entstehen, die Verpflichtung nach Feststellung der Rechtswidrigkeit von Datenspeicherungen, die Erfassung des ihm entstandenen Schadens und einen sachgerechten Schadensausgleich sowie die Überprüfung von Befangenheitssorgen einer Mitarbeiterin und eines Bürgermeisters beantragt. Das SG hat die Klage als offensichtlich unzulässig abgewiesen, weil die vom Kläger gestellten Anträge zu unbestimmt oder subsidiär seien. Es könne daher offenbleiben, ob von einer Prozessunfähigkeit des Klägers auszugehen sei (Gerichtsbescheid vom 30.12.2016; den Antrag des Klägers auf Urteilsergänzung ablehnender weiterer Gerichtsbescheid vom 24.2.2017). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufungen des Klägers als unzulässig verworfen (Urteil vom 30.5.2017). Zwar sei der Kläger zumindest partiell prozessunfähig; es sei jedoch nicht im Ansatz die Möglichkeit ersichtlich, dass ein besonderer Vertreter die Zulässigkeit einer Klage erreichen könnte. Angesichts dessen sei die Bestellung eines besonderen Vertreters nicht erforderlich gewesen.

2

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil rügt der Kläger durch seinen vom Senat bestellten besonderen Vertreter als Verfahrensmangel, dass das LSG zu Unrecht die Bestellung eines besonderen Vertreters nicht vorgenommen habe. Sie könne trotz erwiesener (partieller) Prozessunfähigkeit nur bei zweifellos aussichtsloser und abwegiger Rechtsverfolgung unterbleiben. Der dabei anzulegende strenge Maßstab sei hier nicht erfüllt. Jedenfalls der erste Antrag, mit welchem er sinngemäß vorgetragen habe, dass verschiedene Anträge von ihm nicht bearbeitet worden seien, hätte unter Zugrundelegung des Grundsatzes der Meistbegünstigung als ein auf eine Beendigung der Untätigkeit der Behörde gerichtetes Prozesshandeln verstanden werden können. Diesem Begehren habe bei fehlerfreier Betrachtung ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden können. Wenn sich bei mehreren Streitgegenständen zumindest einer als nicht offensichtlich haltlos erweise, so sei für das gesamte Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen (unter Verweis auf BSGE 91, 146 ff).

3

II. Die durch den besonderen Vertreter des Klägers (Beschluss des Senats vom 18.10.2017) und Prozessbevollmächtigten eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits im Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Dieser war dadurch in der mündlichen Verhandlung beim LSG, auf die das Urteil ergangen ist, nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht. Das angefochtene Urteil ist deshalb gemäß § 160a Abs 5 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

4

Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).

5

Eine solche partielle Prozessunfähigkeit zur Führung sozialgerichtlicher Verfahren liegt beim Kläger vor. Diese Überzeugung hat der Senat sich bereits im vom Kläger geführten Verfahren B 8 SO 7/16 B auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. B. vom 22.5.2015 gebildet (vgl den Beschluss des Senats vom 21.9.2016). Der Kläger leidet danach unter einem sog Paranoischen Querulantenwahn (Prägnanztyp einer Psychose, die durch ein subjektiv empfundenes Trauma in Gang gesetzt wurde), der ihn dauerhaft und bereits seit vielen Jahren außerstande setzt, sein eigenes Denken infrage zu stellen bzw zu reflektieren. Dies gilt zur Überzeugung des Senats unverändert. Der Kläger ist - unter Berücksichtigung auch seiner in diesem Verfahren selbst verfassten Schriftsätze - weiterhin partiell prozessunfähig. Anhaltspunkte für eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation des Klägers sind (wovon im Übrigen auch das LSG ausgegangen ist) weder erkennbar noch vorgetragen.

6

Das LSG hätte daher (nach Aufhebung der Vertreterbestellung in der ersten Instanz erneut) einen besonderen Vertreter bestellen müssen. Steht die Prozessunfähigkeit für den Prozess fest, muss dieser grundsätzlich mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet und ein Betreuer nicht bestellt ist (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Hiervon kann zwar ausnahmsweise abgesehen werden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 ff); dies kann insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen sein, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht geäußert werden oder wenn das Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).

7

Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor. Bei der prozessualen Begründung eines offensichtlich haltlosen Klagebegehrens, wie sie das LSG mit der Annahme einer aus anderen Gründen als der Prozessunfähigkeit unzulässigen Klage seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist besondere Zurückhaltung geboten. Die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens und damit die Auslegung von Verfahrensvorschriften hat immer in einem angemessenen Verhältnis zu dem auf Sachverhaltsaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrensziel zu stehen. Dies gilt nicht nur für den Weg zu den Gerichten, der nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl BVerfGE 35, 263, 274; 40, 272, 274 f; 77, 275, 284), sondern in gleicher Weise innerhalb des Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerfGE 81, 123, 129). Der Einzelne darf nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein; vielmehr muss er vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen (stRspr; BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 12 mwN; grundlegend BVerfGE 1, 418, 429).

8

Diesen Maßstäben wird das Vorgehen des LSG bei der Anwendung und Auslegung des § 72 Abs 1 SGG nicht gerecht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 92 RdNr 12 mwN) ein besonderer Vertreter in der Lage gewesen wäre, im wohlverstandenen Interesse des Klägers (zB hinsichtlich der exemplarisch vom Prozessbevollmächtigten benannten Untätigkeitsbegehren) sachdienliche Klageanträge jedenfalls gegen einen der Beklagten mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren (BSG aaO).

9

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Zivilprozessordnung - ZPO | § 547 Absolute Revisionsgründe


Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,1.wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;2.wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Ges

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 104 Geschäftsunfähigkeit


Geschäftsunfähig ist:1.wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,2.wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüberge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 71


(1) Ein Beteiligter ist prozeßfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. (2) Minderjährige sind in eigener Sache prozeßfähig, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens a

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 72


(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Za

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Bundessozialgericht Beschluss, 21. Sept. 2016 - B 8 SO 7/16 B

bei uns veröffentlicht am 21.09.2016

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. November 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Geri

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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

(1) Ein Beteiligter ist prozeßfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann.

(2) Minderjährige sind in eigener Sache prozeßfähig, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind. Zur Zurücknahme eines Rechtsbehelfs bedürfen sie der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.

(3) Für rechtsfähige und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen sowie für Behörden handeln ihre gesetzlichen Vertreter und Vorstände.

(4) Für Entscheidungsgremien im Sinne von § 70 Nr. 4 handelt der Vorsitzende.

(5) In Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts wird das Land durch das Landesversorgungsamt oder nach Maßgabe des Landesrechts durch die Stelle vertreten, der dessen Aufgaben übertragen worden sind oder die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes oder des Rechts der Teilhabe behinderter Menschen zuständig ist.

(6) Die §§ 53 bis 56 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend.

Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. November 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der 1961 geborene Kläger, der nicht unter Betreuung steht, erhält Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). In dem vor dem Sozialgericht (SG) Mainz geführten Klageverfahren machte der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung durch seine auch zur besonderen Vertreterin bestellte Bevollmächtigte insgesamt 60 Anträge geltend, die er in dem seit dem Jahr 2005 geführten Verfahren formuliert hatte. Das SG hat die Klage unter inhaltlicher Bescheidung der Anträge im Einzelnen abgewiesen (Urteil vom 3.7.2015). Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz die Bestellung der besonderen Vertreterin "wegen offensichtlicher Unzulässigkeit bzw Unbegründetheit der Klage" aufgehoben (Beschluss vom 20.11.2015) und die Berufung wegen Prozessunfähigkeit des Klägers als unzulässig verworfen (Urteil vom 26.11.2015).

2

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel, das LSG habe zu Unrecht ein Prozessurteil erlassen; er sei prozessfähig. Die vom LSG zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung herangezogenen Gutachten seien nicht zum vorliegenden Verfahren erstattet. Das LSG habe aber - ausgehend von seiner Rechtsansicht - zu Unrecht die Bestellung eines besonderen Vertreters aufgehoben, weil in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege; er sei damit nicht wirksam vertreten gewesen.

3

II. Die durch die vom Senat bestellte besondere Vertreterin des Klägers (Beschluss vom 10.5.2016) und Prozessbevollmächtigte eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Da der gerügte Verfahrensmangel der fehlenden ordnungsgemäßen Vertretung wegen Prozessunfähigkeit vorliegt, konnte das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Dass die Beiordnung der besonderen Vertreterin vom Senat wieder aufgehoben worden ist (Beschluss vom 12.8.2016), steht dem nicht entgegen. Die Beiordnung wurde nur aufgehoben, weil die Prozessfähigkeit des Klägers mit der Beschwerdebegründung streitig wurde und der Kläger deshalb bis zur Entscheidung über seine Prozessfähigkeit als prozessfähig zu behandeln ist (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 71 RdNr 8 d mwN).

4

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht die Bestellung der besonderen Vertreterin für den bereits im Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger aufgehoben hat. Dieser war dadurch in der mündlichen Verhandlung beim LSG, auf die das Urteil ergangen ist, nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht.

5

Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).

6

Eine solche partielle Prozessunfähigkeit zur Führung sozialgerichtlicher Verfahren liegt vor. Dabei stützt sich der Senat in seiner Beurteilung insbesondere auf das Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. B. vom 22.5.2015 im Verfahren L 1 AL 122/11 beim LSG, das erstellt wurde, nachdem sich der Kläger geweigert hatte, sich einer Untersuchung zu seiner Prozessfähigkeit zu unterziehen. Dass das Gutachten in einem anderen Verfahren des Klägers eingeholt worden ist, hindert seine Verwertung im Wege des Urkundenbeweises im vorliegenden Verfahren nicht, weil sich die Beurteilung Prof. Dr. B. nicht auf ein bestimmtes Verfahren begrenzt. Danach besteht beim Kläger ein sog paranoischer Querulantenwahn (Prägnanztyp einer Psychose, die durch ein subjektiv empfundenes Trauma in Gang gesetzt wurde), der ihn bereits im Klage- und Berufungsverfahren, aber auch fortlaufend außerstande setzt, sein eigenes Denken in Frage zu stellen bzw zu reflektieren. Er ist deshalb nicht in der Lage, in gerichtlichen Verfahren Entscheidungen in freier Willensbestimmung zu treffen.

7

Die Ausführungen seiner Bevollmächtigten widersprechen dem nicht. Zwar teilt sie mit, der Kläger sei sich seiner Behinderung und der daraus resultierenden Schwierigkeiten, seine Rechtsangelegenheiten zielführend und effektiv zu betreiben, bewusst. Entscheidend ist aber nicht, ob der Kläger seine Behinderung erkennt und akzeptiert, sondern ob er in der Lage ist, diese aus eigener Kraft zu überwinden, um in einem gerichtlichen Verfahren seine Interessen zielgerichtet zu verfolgen. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedurfte es deshalb nicht.

8

Im Berufungsverfahren hätte die Bestellung des besonderen Vertreters nicht aufgehoben werden dürfen. Steht die Prozessunfähigkeit für den Prozess fest, muss dieser grundsätzlich mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet und ein Betreuer nicht bestellt ist (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f); dies kann insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen sein, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht geäußert werden oder wenn das Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).

9

Ein solches generell haltloses Begehren liegt aber nicht vor. Bei der prozessualen Begründung eines offensichtlich haltlosen Klagebegehrens, wie sie das LSG mit der Annahme einer aus anderen Gründen als der Prozessunfähigkeit unzulässigen Klage seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist besondere Zurückhaltung geboten (BSG aaO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 92 RdNr 12 mwN) ein besonderer Vertreter durchaus in der Lage gewesen wäre, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren (BSG aaO).

10

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.