Bundessozialgericht Beschluss, 30. März 2017 - B 2 U 277/16 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:300317BB2U27716B0
bei uns veröffentlicht am30.03.2017

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt die weitere Zahlung von Verletztenrente.

2

Die Klägerin erlitt 2008 als Postzustellerin einen anerkannten Arbeitsunfall (Treppensturz), für den sie bis zum 17.1.2010 Verletztengeld von der Beklagten bezog. Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 10.2.2011 "für die vergangene Zeit dem Grunde nach" Verletztenrente bis zum 31.1.2011. Für die anschließende Zeit lehnte sie die Bewilligung einer Verletztenrente ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26.5.2014). Im anschließenden Klageverfahren hat das SG ein ärztliches Gutachten eingeholt, in dem degenerative Veränderungen im distalen Bereich der Kniescheibe diagnostiziert wurden, die als unfallbedingt anzusehen seien. Aufgrund der vorliegenden Retropatellararthrose sei von einer MdE von 20 vH auszugehen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.1.2016). Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Retropatellararthrose als Unfallfolge hinzugetreten, die zusätzlichen Beeinträchtigungen könnten die MdE aber nicht erhöhen. In dem Urteil hat das SG zudem ausgeführt: "Diese weitere Unfallfolge der Retropatellararthrose bei gleichzeitig eingeschränkter Verschieblichkeit der Patella hat das Gericht bei der Prüfung der hier zu entscheidenden Frage, welche MdE bei der Klägerin vorliegt, einzubeziehen. Denn bei der Prüfung der Höhe der MdE sind sämtliche Unfallfolgen einzubeziehen, unabhängig davon, ob sie formell anerkannt sind oder nicht und ob sie erst während des Rechtsstreits aufgetreten sind (vgl. dazu und zu der hier vorzunehmenden materiell-rechtlichen Prüfung im Unterschied zu einem gesonderten prozessualen Begehren auf Feststellung bzw. Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen während des laufenden Klageverfahrens ausführlich LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2011 - L 10 U 4346/08 -, juris Rn. 23 f.)."

3

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie im Wesentlichen vorgetragen hat, aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Folgeerkrankung (Retropatellararthrose) betrage die MdE 20 vH. Das LSG hat sodann am 15.6.2016 den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, dessen Ziffer 1 lautete: "1. Die Beklagte erkennt als weitere Folge des Unfalls vom 14.02.2008 eine leichte Retropatellararthrose am rechten Knie der Klägerin an." Nach Ziffer 2 dieses Vergleichsvorschlags sollte die Beklagte bis zum 31.3.2012 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 vH gewähren. Der Vergleich kam nicht zustande. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 20.10.2016 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, das Urteil des SG aufzuheben, die angefochtenen Bescheide der Beklagten abzuändern "und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund des Arbeitsunfalls vom 14. Februar 2008 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. über den 31. Januar 2011 hinaus zu gewähren." Das LSG hat durch Urteil vom selben Tag das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin bis zum 31.12.2011 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es am Ende seines Urteils ausgeführt: "Über weitere Schädigungsfolgen, etwa eine Retropatellararthrose, hatte der Senat nicht zu entscheiden; einen entsprechenden Antrag hat der Klägerin im Gerichtsverfahren nicht gestellt."

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß §§ 62, 123, 128 Abs 2 SGG iVm § 279 Abs 3 ZPO. Sie habe bereits in ihrer Berufungsschrift deutlich gemacht, dass es ihr darum gehe, die Retropatellararthrose als Unfallfolge anerkannt zu bekommen. Aufgrund des Ablaufs des Verfahrens hätte das LSG, wenn es zu der Auffassung gelangt sei, es bedürfe einer gesonderten Antragstellung betreffend die Retropatellararthrose, auf die Notwendigkeit einer solchen gesonderten Antragstellung hinweisen müssen. Soweit sich das LSG nunmehr in dem Urteil erstmals darauf gestützt habe, über weitere Unfallfolgen sei nicht zu entscheiden gewesen, weil die Klägerin keinen "entsprechenden Antrag" betreffend die Retropatellararthrose gestellt habe, sei sie von dieser Rechtsansicht überrascht worden. Das LSG hätte deshalb zuvor einen richterlichen Hinweis erteilen müssen. Hätte das LSG über die weitere Unfallfolge entschieden, so hätte es auch für nachfolgende Zeiträume eine MdE in Höhe von zumindest 20 vH anerkennen müssen.

5

II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Entscheidung des LSG beruht auf dem Verfahrensmangel der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs (§ 62 iVm § 123 SGG). Das LSG hat betreffend die Retropatellararthrose eine Überraschungsentscheidung getroffen. Das LSG hätte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2016 darauf hinweisen müssen, dass es nunmehr zu der rechtlichen Überzeugung gelangt ist, die Feststellung einer konkreten Unfallfolge bedürfe einer gesonderten Antragstellung. Hiermit musste die Klägerin aufgrund des bisherigen Gangs des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht rechnen. Der Rechtsstreit nahm damit eine überraschende Wendung, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Ablauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 8b mwN). Da die Klägerin zulässig und begründet einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet hat, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache durch Beschluss gemäß § 160a Abs 5 SGG an das LSG zurückzuverweisen.

6

Der umfassende Anspruch auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Übermaßverbot (Gebot der Rücksichtnahme) gegenüber Freiheitsrechten und das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl Beschluss des Senats vom 3.4.2014 - B 2 U 308/13 B - Juris RdNr 8; BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B - Juris; BSG Beschluss vom 2.4.2009 - B 2 U 281/08 B - Juris). Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in dessen Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; BVerfGE 96, 205, 216 f). Weder aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren noch aus dem auf rechtliches Gehör ergibt sich eine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage oder eine Pflicht des Gerichts zu einem Rechtsgespräch oder zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung (BVerfGE 66, 116, 174; BVerfGE 74, 1, 5; BVerfGE 86, 133, 145). Hat das Gericht sich jedoch hinsichtlich bestimmter Sach- oder Rechtsfragen geäußert, so kann es nicht ohne vorherige Information der Beteiligten über eine mögliche andere Auffassung seinerseits in dieser Frage auf eine abweichende Beurteilung seine Entscheidung gründen, weil dies gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt und eine Überraschungsentscheidung darstellt (so schon Beschluss des Senats vom 2.4.2009 - B 2 U 281/08 B - Juris).

7

So liegen die Verhältnisse hier. Bereits das SG hatte in seinem Urteil auf die Rechtsauffassung des LSG Baden-Württemberg hingewiesen, dass über Unfallfolgen unabhängig von einer gesonderten Antragstellung und unabhängig von dem Vorliegen von Verwaltungsentscheidungen über die konkrete Unfallfolge entschieden werden könne. Nach Einlegung der Berufung, in der sich die Klägerin wesentlich auf das Vorliegen einer Retropatellararthrose berufen hatte, hat das LSG in einem Vergleichsvorschlag seinerseits die Beklagte aufgefordert, eine Retropatellararthrose als Unfallfolge anzuerkennen. Aufgrund dieses Ablaufs musste auch ein fachkundiger Rechtsanwalt nicht mehr damit rechnen, dass der entscheidende Senat nunmehr von der aufgezeigten Rechtsprechungspraxis des LSG Baden-Württemberg abweichen und eine ausdrückliche Antragstellung betreffend die Unfallfolge Retropatellararthrose fordern werde. Das LSG hätte ohne Weiteres in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2016 auf seine Rechtsauffassung hinweisen können, sodass die Klägerin Gelegenheit gehabt hätte, die Feststellung der Retropatellararthrose als Unfallfolge zu beantragen.

8

Dahinstehen kann hier, inwiefern die Rechtsauffassung des LSG, es bedürfe eines gesonderten Antrags für die Feststellung jeder einzelnen Unfallfolge, die offenbar nicht der sonstigen Praxis des LSG Baden-Württemberg entspricht (vgl nur LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.2.2013 - L 10 U 176/11 - Juris), richtig war (vgl hierzu auch das Urteil des Senats vom 13.9.2005 - B 2 U 4/04 R - Juris). Maßgebend ist ausschließlich, dass das LSG diese Auffassung für die Klägerin überraschend erstmals in den Urteilsgründen vertrat, womit die Klägerin nicht rechnen konnte.

9

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31.07.2008 wird zurückgewiesen.Die Klage wird abgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand  1 Zwischen den Betei

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Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31.07.2008 wird zurückgewiesen.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist vor allem streitig, ob dem Kläger höhere Verletztenrente zusteht.
Der Kläger erlitt im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit als Schreinermeister am 13.09.2004 einen Arbeitsunfall, als ihm beim Hantieren mit einer schweren Haustür diese mit der Kante auf die linke Hand fiel. Hierbei erlitt der Kläger eine Luxation der Carpometacarpalgelenke III bis V, die noch am Unfalltag in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) operativ behandelt wurde (Reposition und Kirschnerdrahtfixation). Im Rahmen der stationären Behandlung bis 12.11.2004 wurde am 29.09.2004 eine Vollhauttransplantation am linken Handrücken vom gleichseitigen Unterarm durchgeführt, am 14.10.2004 der Kirschnerdraht entfernt und sodann mit intensiver Ergotherapie und Physiotherapie begonnen. Nachdem die anschließend ambulant durchgeführte Physio- und Ergotherapie keine weitere Verbesserung der Beweglichkeit erbrachte, erfolgte vom 28.11. bis 17.12.2004 in der BG-Klinik ein Heilverfahren mit intensiver physio- und ergotherapeutischer Mobilisierungstherapie, die vom 09. bis 21.01.2005 wiederholt wurde. Im Entlassungsbericht vom 02.02.2005 ging Prof. Dr. Sch. von einem Verharrungszustand aus und sah den Kläger in seinem Beruf als Schreiner nicht arbeitsfähig; leichtere Tätigkeiten könne er durchführen.
Als Folge des Unfalls gab der Kläger seinen Betrieb auf. Seit 01.05.2005 bezieht er von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach zahlreichen berufsfördernden Maßnahmen übt der Kläger zwischenzeitlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus.
Zur Feststellung der Unfallfolgen erstattete Prof. Dr. Sch., BG-Klinik, das Erste Rentengutachten aufgrund Untersuchung des Klägers vom 08.03.2005. Als wesentliche Unfallfolgen beschrieb er eine deutlich schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Langfinger der linken Hand in Beugung und Streckung sowie eine deutliche Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er auf 25 vom Hundert (v.H.). Der Chirurg Dr. B., bei dem der Kläger sich am 26.04.2005 unter Vorlage dieses Gutachtens vorstellte, führte in seinem am Folgetag erstellten Nachschaubericht aus, diese Beurteilung nicht nachvollziehen zu können, da ein nahezu kompletter Funktionsausfall der linken Hand vorliege und der Kläger diese nicht einmal mehr als Beihand zum Halten von Gegenständen benutzen könne. Die MdE liege deshalb bei 50 v.H.
Zur Feststellung der neurologischen Unfallfolgen untersuchte der Neurologe und Psychiater Dr. M. den Kläger am 18.07.2005. In seinem Befundbericht beschrieb er im Handbereich eine Beeinträchtigung des Nervus medianus sowie des sensiblen Anteils des Nervus ulnaris links nach offener Carpometacarpalluxation der linken Mittelhand mit anschließendem CRPS. Er ging davon aus, dass es im Rahmen des CRPS zu der partiellen Schädigung des Nervus medianus und ulnaris im Handbereich gekommen ist. Der sodann von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt Dr. B. bewertete die Unfallfolgen unter Einbeziehung dieser neurologischen Schädigung mit einer MdE um 35 v.H.
Mit Bescheid vom 26.08.2005 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 11.04.2005 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 35 v.H. Unfallfolgen anerkannte sie im Bereich des linken Armes und der linken Hand wie folgt: „Bewegungseinschränkung im Schultergelenk, im Handgelenk und in allen Fingern; unvollständiger Faustschluss; verminderte Handspanne; herabgesetzte Gebrauchsfähigkeit; leichte Muskelminderung am Unterarm; Gefühlsminderung an den Fingern bis auf den Daumen; teilweise berührungsempfindliche Narbenbildung im Bereich des Handgelenks und am Unterarm; Minderung des Knochenkalksalzgehaltes im Bereich der Finger bis auf den Daumen sowie medizinisch erklärbare subjektive Beschwerden nach einem offenen Verrenkungsbruch der Mittelhand mit nachfolgendem Schulter-Hand-Syndrom mit regionaler Durchblutungs- und Stoffwechselstörung (CRPS-Syndrom) und teilweiser Beeinträchtigung des Nervus medianus ulnaris (Nerven, die den Unterarm bis zu den Fingern hin versorgen) im Handbereich sowie mit Versorgung eines Vollhauttransplantats aus dem Unterarmbereich“. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers, wonach die MdE mit 40 bis 50 v.H. zu bewerten sei, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.12.2005 zurückgewiesen.
Am 05.01.2006 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, die Unfallfolgen seien mindestens mit einer MdE um 40 v.H. zu bewerten, nachdem der Zustand seiner linken Hand schlechter sei als bei einer Amputation von drei Fingern.
Das SG hat die von der damaligen Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg auf den Rentenantrag des Klägers eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. K. und des Neurologen und Psychiaters Dr. M. zu dem Verfahren beigezogen und das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H., Chefarzt der Orthopädischen Abteilung in den Fachkliniken Hohenurach, eingeholt, der die Unfallfolgen unter Mitberücksichtigung des neurologischen Gutachtens des Prof. Dr. A., Chefarzt der dortigen Neurologischen Abteilung, mit einer MdE um 40 v.H. bewertet hat. Prof. Dr. A. hat aufgrund seiner am 28.09.2006 durchgeführten Untersuchung eine Teilläsion des Nervus ulnaris und weniger ausgeprägt auch des Nervus medianus links, vorwiegend die sensiblen Fasern betreffend, objektiviert, diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Unfallverletzung zurückgeführt und die MdE von neurologischer Seite mit 15 v.H. bewertet. Prof. Dr. Dr. H. hat im Bereich des linken Handgelenks eine teilfixierte ulnare Fehlstellung bei aktiv befriedigender und passiv guter Bewegungsfunktion mit Minderung der Muskulatur am Ober- und Unterarmbereich leichteren Ausmaßes als Ausdruck dafür, dass die linke Hand im täglichen Leben weniger stark eingesetzt werde, sowie reizfreie Narbenbildungen beschrieben. Im Bereich der Hand hat er eine deutliche Beeinträchtigung der aktiven Fingermotorik, einen erheblich beeinträchtigten Faustschluss sowie erheblich beeinträchtigte Spitzgriffe beschrieben, wobei der Spitzgriff, allerdings nur kraftgemindert, lediglich zwischen dem ersten und zweiten Finger möglich gewesen sei. Zusätzlich fand er hyperpathische Empfindungsstörungen. Unter rein orthopädischen Gesichtspunkten hat er die MdE mit 30 v.H. eingeschätzt und ausgeführt, die linke Hand sei funktionell besser als eine Beihand und die klinische Situation deutlich günstiger als im Falle einer Amputation bzw. eines Teilhandverlustes. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG das Gutachten des Prof. Dr. H., Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik E., aufgrund Untersuchung des Klägers vom 22.06.2007 eingeholt. Dieser hat sensible Störungen an den Fingern und der linken Hand links beschrieben, die auf eine Teilschädigung der Nervi ulnaris mehr als medianus links distal zurückzuführen seien, sowie ein Schmerzsyndrom der linken Hand mit neuropathischen Anteilen. Bis Ende des Jahres 2005 hat er die MdE von neurologischer Seite auf 25 v.H. geschätzt, weil zunächst auch Zeichen einer Schädigung motorischer Anteile der Nervi medianus und ulnaris bestanden hätten. Diese seien elektrophysiologisch darstellbar, wenn auch von den Einschränkungen der Finger- und Handbeweglichkeit durch die Unfallfolgen auf orthopädisch/unfallchirurgischem Fachgebiet kaum zu differenzieren. Ab 2006 hat er die MdE auf neurologischem Fachgebiet mit 15 v.H. eingeschätzt. Die Gesamt-MdE hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme - ohne zeitlich zu differenzieren - mit 40 v.H. bewertet.
Die Beklagte hat Stellungnahmen ihres Beratungsarztes Dr. B. vorgelegt und weiterhin die Bewertung der Unfallfolgen mit einer MdE um 35 v.H. für zutreffend erachtet.
10 
Mit Bescheid vom 29.08.2007 hat die Beklagte dem Kläger ab 01.09.2007 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 35 v.H. bewilligt. Dieser Entscheidung lag das Zweite Rentengutachten zugrunde, das Prof. Dr. G., Ärztlicher Direktor im Zentrum für Plastische Chirurgie des M. St., aufgrund Untersuchung des Klägers vom 03.07.2007 erstattet hat. Die Unfallfolgen (massiv schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der Finger der linken Hand, Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks, deutliche Gefühlsstörung im Bereich der Finger 3 bis 5 der linken Hand, erhebliche Kraftminderung der linken Hand, stattgehabtes CRPS nach offener Carpometacarpaler Luxation D III bis D V links) hat er mit einer MdE um 35 v.H. bewertet.
11 
Mit Urteil vom 31.07.2008 hat das SG die auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. vom 11.04. bis 31.12.2005 und nach einer MdE um 40 v.H. ab 01.06.2006 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Schätzungen der MdE der am Verfahren beteiligten Gutachter bzw. Sachverständigen mit 35 v.H. und 40 v.H. lägen innerhalb der durch die sozialmedizinischen Erfahrungswerte vorgegebenen Bandbreite und wichen nicht um mehr als 5 v.H. voneinander ab, weshalb es angesichts der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 07.12.1976 - 8 RU 14/76) mangels Rechtswidrigkeit der Schätzung der Beklagten gehindert sei, die Bewertung der MdE von Prof. Dr. Dr. H. mit 40 v.H. zu übernehmen. Soweit Prof. Dr. H. die MdE von neurologischer Seite bis Ende 2005 mit 20 v.H. bewertet habe, rechtfertige dies keine höhere Gesamt-MdE für diesen Zeitraum, da sich die von ihm beschriebenen motorischen Defizite mit den unfallchirurgischen Folgen breit überlappten.
12 
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 09.09.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.09.2008 Berufung eingelegt. Er meint, die MdE müsse jedenfalls wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen wesentlichen Verschlechterung der Unfallfolgen höher bewertet werden.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31.07.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2005 sowie des Bescheids vom 29.08.2007 zu verurteilen, die Rente als vorläufige Entschädigung in der Zeit vom 14.11. bis 31.12.2005 nach einer MdE um 50 v.H. und ab 01.01.2006 nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren und als weitere Unfallfolgen eine Einsteifung zwischen II. und III. Mittelhandknochen und der Handwurzel, fortschreitende Arthrose im Radio-Ulnargelenk anzuerkennen,
hilfsweise weitere Sachaufklärung entsprechend dem Schriftsatz vom 10.05.2011 vorzunehmen.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
18 
Auf das Vorbringen des Klägers, die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten seiner linken Hand hätten sich verschlimmert, und seinen Antrag gemäß § 109 SGG hat der Senat das handchirurgische Gutachten des Dr. R., Zentrum für Hand- und Fußchirurgie im Krankenhaus St. E., R., aufgrund Untersuchung des Klägers vom 23.02.2011 eingeholt. Dieser hat im Vergleich zu den Vorgutachten eine Verschlechterung der Handfunktion gesehen, da es zwischenzeitlich zu einer Einsteifung zwischen dem II. und III. Mittelhandknochen und der Handwurzel sowie einer Arthrose im Radio-Ulnargelenk gekommen sei und die Gesamt-MdE seit April 2005 durchgehend mit 40 v.H. bewertet.
19 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
21 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2005 sowie der Bescheid vom 29.08.2007 sind rechtlich nicht zu beanstanden und verletzen den Kläger mithin nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die vom 11.04.2005 bis 31.08.2007 als vorläufige Entschädigung und ab 01.09.2007 auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 35 v.H. gewährte Verletztenrente nach einer höheren MdE zu gewähren, somit weder vom 14.11. bis 31.12.2005 nach einer MdE um 50 v.H. noch anschließend nach einer MdE um 40 v.H.
22 
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2005, mit dem die Beklagte dem Kläger die Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. als vorläufige Entschädigung bewilligt hat, sowie der während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangene Bescheid vom 29.08.2007, mit dem sie die entsprechende Leistung ab 01.09.2007 auf unbestimmte Zeit gewährt hat. Der Bescheid vom 29.08.2007 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er die vorausgegangenen Bescheide dahingehend abgeändert hat, dass ab 01.09.2007 anstelle der Verletztenrente als vorläufige Entschädigung Verletztenrente auf unbestimmte Zeit gewährt worden ist.
23 
Kein zulässiger Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen das erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Begehren des Klägers, die Beklagte zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen zu verurteilen. Zwar muss der Senat bei der Prüfung der Frage, welche MdE beim Kläger vorliegt, sämtliche Unfallfolgen einbeziehen, unabhängig davon, ob sie formell anerkannt sind oder nicht und ob sie erst während des Rechtsstreits aufgetreten sind. Von dieser materiell-rechtlichen Prüfung ist indessen das gesonderte prozessuale Begehren auf Feststellung bzw. Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen zu unterscheiden. Gegenüber der bisherigen Leistungsklage, gerichtet auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Verletztenrente, handelt es sich bei der beantragten Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen um einen eigenständigen, zusätzlichen, mit der Verpflichtungsklage verfolgten prozessualen Anspruch und mithin um eine Klageänderung i.S. einer Klageerweiterung (BSG, Urteil vom 13.09.2005, B 2 U 4/04 R zum identischen Verhältnis von Leistungsbegehren und später erhobener Klage auf Feststellung von Unfallfolgen).
24 
Eine solche Klageänderung ist nur zulässig, wenn die Beklagte einwilligt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält (§ 99 Abs. 1 SGG). Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat sich auf die Klageänderung in der mündlichen Verhandlung gerade und ausdrücklich nicht eingelassen (vgl. § 99 Abs. 2 SGG), mithin ihre Einwilligung verweigert, und der Senat hält die Klageänderung schon deshalb nicht für sachdienlich, weil die erweiterte Klage nicht zulässig ist. Der Senat ist als Berufungsgericht für eine solche Klage erstinstanzlich nicht zuständig (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 20/01 R in SozR 3-1500 § 29 Nr. 1 auch zum Nachfolgenden). Das Landessozialgericht ist in Streitigkeiten zwischen Versicherten und Leistungsträgern gemäß § 29 Abs. 1 SGG nur zuständig für Entscheidungen im Berufungsverfahren (zur erstinstanzlichen Zuständigkeit in anderen Arten von Streitigkeit vgl. insbesondere § 29 Abs. 2 SGG). Die einzige Ausnahme hierzu enthält § 96 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG, die hier jedoch nicht vorliegt. Auch ist es den Beteiligten verwehrt, durch Vereinbarung eine erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG zu begründen. Dies gilt insbesondere für den Fall der hier vorliegenden gewillkürten Klageänderung (BSG, a.a.O.). Damit fehlt es an einer unverzichtbaren Prozessvoraussetzung, was die Annahme von Sachdienlichkeit ausschließt (BSG, Urteil vom 08.05.2007, B 2 U 14/06 R in SozR 4-2700 § 153 Nr. 2). Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen ist unzulässig. Sie ist abzuweisen.
25 
Rechtsgrundlage des - zulässigen - klägerischen Begehrens auf höhere Verletztenrente ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente geleistet, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
26 
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
27 
Wie bereits angedeutet und vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung vertreten, kann es sich bei der Bewertung der MdE grundsätzlich nur um eine Schätzung handeln, bei welcher der Grad der unfallbedingten MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise feststellbar ist. Denn anders als etwa bei dem ebenfalls zu den Grundlagen der Rentenberechnung gehörenden Jahresarbeitsverdienst lässt sich der Prozentsatz der unfallbedingten MdE in aller Regel nicht mathematisch exakt festlegen, sondern nur annähernd bestimmen. Wie ihrem Wesen nach jede Schätzung, ist mithin auch der Bewertung der MdE eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich. Hieraus hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass jede innerhalb der Toleranzspanne liegende Schätzung gleichermaßen rechtmäßig ist, soweit dabei bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Als äußerste Grenzen der Spanne hat schon das frühere Reichsversicherungsamt Abweichungen um fünf Prozentpunkte nach oben oder nach unten angesehen. Das BSG ist dem gefolgt und hat dabei auf gesetzliche Regelungen verwiesen, nach denen eine MdE von 10 v.H. die untere Grenze dessen ist, was medizinisch und wirtschaftlich messbar sei. Dies bedeutet, dass eine Schätzung der MdE durch den Versicherungsträger so lange als rechtmäßig anzusehen ist, als eine spätere Schätzung durch das Gericht bzw. den von ihm gehörten ärztlichen Sachverständigen nicht um mehr als fünf Prozentpunkte von der früheren abweicht. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass im Verwaltungsverfahren die Schätzungsgrundlagen richtig ermittelt worden sind, ferner alle für die Schätzung wesentlichen Umstände hinreichend gewürdigt sind, insbesondere die für die Schätzung relevanten Befunde vollständig und richtig erhoben sind und unverändert vorliegen, und die Schätzung selbst nicht auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (BSG, Urteile vom 17.12.1975, 2 RU 35/75 in SozR 2200 § 581 Nr. 5 und 07.12.1976, 8 RU 14/76 in SozR 2200 § 581 Nr. 9).
28 
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das SG zutreffend entschieden, dass aus Rechtsgründen keine gegenüber der Beklagten höhere MdE-Bewertung vorzunehmen ist. Dabei hat das SG zutreffend dargelegt, dass nach den allgemeinen Erfahrungssätzen keine höhere Gesamt-MdE anzunehmen ist. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
29 
Der Kläger kann sich auch nicht auf eine andere konkrete Beurteilung eines der Sachverständigen stützen. Soweit die Beklagte die Verletztenrente ab 01.01.2006 - sei es als vorläufige Leistung oder als Leistung auf unbestimmte Zeit - nach einer MdE um 35 v.H. bewilligt hat, anstatt nach der vom Kläger begehrten MdE um 40 v.H., weichen die Schätzungen der vom Sozialgericht beauftragten gerichtlichen Sachverständigen, auf die sich der Kläger beruft, nicht um mehr als fünf Prozentpunkte von den Schätzungen der Gutachter ab, auf die die Beklagte ihre jeweiligen Entscheidungen gestützt hat. Keiner der am Verfahren beteiligten gerichtlichen Sachverständigen hat die Unfallfolgen des Klägers mit einer höheren MdE als 40 v.H. eingeschätzt, auch nicht Dr. R. im Berufungsverfahren (hierzu sogleich). Dass eine um mehr als fünf Prozentpunkte abweichende Bemessung der Unfallfolgen angezeigt ist, hat auch der Kläger nicht geltend gemacht. Denn er hat sich ausdrücklich auf die Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. und Prof. Dr. H. berufen, die die Unfallfolgen übereinstimmend mit einer MdE um 40 v.H. bewertet haben, und dementsprechend sein Begehren für die Zeit ab 01.01.2006 auch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. beschränkt. Damit würde sich die Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer um mehr als fünf Prozentpunkte abweichenden Bemessung der MdE bereits aus Rechtsgründen verbieten. Offen lassen kann der Senat, ob die Unfallfolgen von unfallchirurgisch bzw. orthopädischer Seite die Bewertung mit einer MdE um 25 v.H. rechtfertigen - wie von Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. G. angenommen - oder um fünf Prozentpunkte höher, mithin mit 30 v.H. zu bewerten sind, wovon Prof. Dr. Dr. H. ausgeht. Denn diese Gutachter haben unter Berücksichtigung der von neurologischer Seite aufgetretenen Unfallfolgen, die ihrerseits die Bemessung mit einer MdE um 15 v.H. rechtfertigen, die orthopädisch bedingte MdE übereinstimmend - und nach Auffassung des Senats sachgerecht - um jeweils lediglich 10 Prozentpunkte erhöht, und damit schon von vornherein keinen Grund für eine Addition der Teil-MdE-Werte gesehen, durch die rein rechnerisch eine höhere MdE als 40 v.H. in Frage käme.
30 
Auch der im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG mit einer neuerlichen Begutachtung seiner Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der linken Hand beauftragte Sachverständige Dr. R. hat die Unfallfolgen - wenn auch unter Berücksichtigung einer von ihm gesehenen Verschlimmerung - durchgehend seit April 2005 ebenfalls mit einer MdE um 40 v.H. bewertet. Auch diese Schätzung der MdE unterfällt somit dem Bereich der dargelegten Schwankungsbreite.
31 
Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung kann sich der Senat nicht von einer relevanten Verschlimmerung der Unfallfolgen überzeugen. Zwar hat Dr. R. zum einen ausgeführt, gegenüber den Vorgutachten sei eine Arthrose im Radio-Ulnargelenk als Unfallfolge hinzugekommen. Eine derartige Arthrose hat aber bereits Prof. Dr. G. festgestellt (s. den Röntgenbefund auf Seite 2 des Gutachtens = Bl. 183 SG-Akte) und auch Prof. Dr. Dr. H. hat im Bereich der radialen Handwurzel und des Radiokarpalgelenkes degenerative Veränderungen beschrieben. Der Umstand, dass Prof. Dr. G. die Arthrose bei der Zusammenfassung der Unfallfolgen nicht aufführt, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass er sich bei dieser Zusammenfassung der Unfallfolgen - anders als bei der Beschreibung „Befund der Verletzungsfolgen“, wo die Arthrose aufgeführt ist - von den vorhandenen Funktionseinschränkungen leiten lässt, eine Arthrose indessen selbst keine Funktionseinschränkung ist, sondern u.U. zu Funktionseinschränkungen führt. Soweit Dr. R. zum anderen eine zwischenzeitlich eingetretene Einsteifung des II. und III. Mittelhandknochens mit der Handwurzel beschreibt, ist nicht erkennbar, inwieweit diese Einsteifung zu - gegenüber den auch ohne diese Diagnosestellung schon bestehenden Einschränkungen der Funktionsfähigkeit der Finger und der Hand - zusätzlichen wesentlichen funktionellen Defiziten geführt haben soll. Der Vergleich der von Prof. Dr. G. dokumentierten Bewegungsmaße der einzelnen Finger gegenüber den von Dr. R. gemessenen Funktionen zeigt zum Teil sogar bessere Maße. So hat der Abstand des für die Greiffunktion wichtigen Zeigefingers (II. Finger) zur queren Hohlhandfalte bei Prof. Dr. G. 3 cm betragen, bei Dr. R. dagegen nur 1 cm und die in Bezug auf die Fingerstreckung gemessenen Abstände sind bei Dr. R. bei den Fingern III und V besser und bei den Fingern II und IV unverändert gewesen. Auch in Bezug auf den für die Funktionsfähigkeit besonders wichtigen Daumen vermag der Senat der entsprechenden Dokumentation (vgl. Prof. Dr. G. Bl. 186 der SG-Akte einerseits und Bl. 85 der LSG-Akte andererseits) keine für die Greiffunktionen relevante Verschlechterung zu entnehmen. Die Unterschiede in der Beugung bewegen sich im Fünf-Grad-Bereich, und zwar zum Teil auch an der unverletzten Hand (s. Beugung im Grundgelenk bei Prof. Dr. G. 65°, bei Dr. R. 60°), was auf Messtoleranzen hindeutet. Schließlich bewertet Dr. R. die MdE mit 40 v.H. durchgehend seit April 2005. Dies spricht ebenfalls gegen eine erhebliche Verschlechterung der für die MdE-Bemessung relevanten funktionellen Einschränkungen. Wäre von einer Verschlechterung in diesem Sinne auszugehen, hätte Dr. R. eine gestaffelte MdE-Beurteilung vornehmen müssen, worum er in der entsprechenden Frage 4 des Gutachtensauftrages ausdrücklich gebeten war. Die Beurteilung von Dr. R. stimmt im Übrigen mit jener von Prof. Dr. Dr. H. überein, was ebenfalls gegen eine Verschlechterung der Funktionsfähigkeit spricht. All dies zeigt, dass die Funktionsstörungen der verletzten Hand mit einer Gesamt-MdE im Bereich von 35 bis 40 v.H. zu bewerten und damit von der dargestellten Schwankungsbreite umfasst sind. Keinesfalls ist jener Bereich der Verschlechterung erreicht, der im Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 SGB VII als wesentliche Änderung anzusehen ist.
32 
Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 10.05.2011 lehnt der Senat ab. Abgesehen davon, dass nicht Prof. Dr. K. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt war (sodass seine Anhörung als Sachverständiger schon deshalb nicht in Betracht kommt), sind die Beweisanträge auch unter der Annahme abzulehnen, dass Dr. R. entsprechend angehört werden soll. Ob „aus seiner Sicht“ - so die erste vom Kläger aufgeworfene Frage im ersten Beweisantrag - die von ihm diagnostizierte „Arthrose im distalen Radio-Ulnargelenk als Unfallfolge nicht berücksichtigt wurde“, wobei Bezug ausschließlich die Beurteilung von Prof. Dr. G. ist, ist nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Denn ob Prof. Dr. G. die Arthrose als unfallbedingt angesehen hat, ist in erster Linie durch Lektüre seines Gutachtens und damit vom Senat zu klären. Dabei ist aus dem Gutachten des Prof. Dr. G. unzweifelhaft zu entnehmen und steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine Arthrose im Bereich des distalen Radio-Ulnargelenkes vorlag und von ihm als unfallbedingt angesehen worden ist (vgl. die entsprechende Beschreibung unter der Überschrift „Befund der Verletzungsfolgen“ = Bl. 183 SG-Akte). Im Übrigen lässt sich die Auffassung von Dr. R. hierzu und damit die Antwort auf die gestellte Frage zweifelsfrei aus seinem Gutachten entnehmen. Dr. R. ist in seinem Gutachten (vgl. Seite 19) - wenn auch zu Unrecht - davon ausgegangen, dass die fortschreitende Arthrose nicht berücksichtigt wurde. Die Anhörung des Sachverständigen zur zweiten Frage dieses Beweisantrages - ob eine MdE in Höhe von 35 v.H. im Falle der Einbeziehung der Arthrose im Jahre 2007 zutreffend war - entfällt mit Ablehnung der ersten Frage, weil sie in Abhängigkeit von der ersten Frage gestellt ist. Im Übrigen ist diese zweite Frage einem Beweis nicht zugänglich. Denn bei der Bemessung der MdE kommt es allein auf funktionelle Einschränkungen an und eine Arthrose als solche stellt - wie bereits erwähnt - keine funktionelle Einschränkung dar, sondern führt allenfalls zu Einschränkungen, wobei alle Funktionsdefizite von Prof. Dr. G. berücksichtigt worden sind (unabhängig davon, in welchem Umfang sie auf eine Arthrose zurückzuführen gewesen sind). Im Übrigen ist die (eigentlich sachdienliche) Frage nach der tatsächlichen unfallbedingten MdE im Jahre 2007 - und damit unter Einbeziehung der durch eine Arthrose hervorgerufenen Einschränkungen - von Dr. R. beantwortet (auch für das Jahr 2007 MdE um 40 v.H.).
33 
Soweit der Kläger (zweiter Beweisantrag, wieder in Bezug auf das Gutachten von Prof. Dr. G.) eine Äußerung des Sachverständigen zu einer höheren MdE als 40 v.H. begehrt (nämlich 45 v.H.) ist dies nicht entscheidungserheblich. Zum einen ist eine Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 v.H. nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Zum anderen bezieht sich auch dieser Beweisantrag auf die Annahme, eine Arthrose sei nach der Begutachtung durch Prof. Dr. G. hinzugetreten, was - wie ausgeführt - tatsächlich nicht der Fall ist. Zu nicht vorliegenden Sachverhalten hat der Senat aber keine Sachaufklärung durchzuführen. Schließlich hat Dr. R. in seinem Gutachten in Kenntnis der von Prof. Dr. G. und der Beklagten vertretenen Auffassung - MdE 35 v.H. - und unter der Annahme, die Unfallfolgen hätten sich verschlimmert lediglich eine MdE um 40 v.H. - also gerade nicht um 45 v.H. - angenommen. Damit ist die Frage - höhere MdE als 40 v.H. - vom Sachverständigen beantwortet. Soweit der Kläger eine Prüfung der Einschätzung von Prof. Dr. G. durch Dr. R. mit dem Maßstab „üblicher Einschätzung“ begehrt, fehlt es bereits an einem hinreichend konkreten Beweisthema. Denn der Maßstab „übliche Einschätzung“ ist angesichts der Komplexität der beim Kläger vorhandenen funktionellen Einschränkungen zu unbestimmt und lässt insbesondere die dargestellten Grundsätze der Schwankungsbreite, die gerade solche Fälle erfassen, außer Betracht.
34 
Was den Zeitraum vom 14.11. bis 31.12.2005 anbelangt, für den der Kläger die Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. begehrt, hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass die Unfallfolgen keine Gesamt-MdE um 50 v.H. rechtfertigen, insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass Prof. Dr. H. die Teil-MdE von neurologischer Seite bis zum 31.12.2005 mit 25 v.H. bewertet hat. Denn die von Prof. Dr. H. beschriebenen motorischen Defizite, die für den begrenzten Zeitraum bis Ende 2005 die höhere MdE rechtfertigen, decken sich - wie seinen Ausführungen zu entnehmen ist - weitestgehend mit jenen von unfallchirurgischer Seite, die bedingt durch die Schädigung der Muskulatur gleichermaßen eine Einschränkung der Beweglichkeit hervorrufen. Damit gehen von den seinerzeit noch vorhanden gewesenen neurologisch bedingten motorischen Defiziten jedoch keine relevanten zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigungen aus, die es rechtfertigen würden, die Gesamt-MdE zeitlich begrenzt bis Ende 2005 höher zu bewerten.
35 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
36 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
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Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
21 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2005 sowie der Bescheid vom 29.08.2007 sind rechtlich nicht zu beanstanden und verletzen den Kläger mithin nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die vom 11.04.2005 bis 31.08.2007 als vorläufige Entschädigung und ab 01.09.2007 auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 35 v.H. gewährte Verletztenrente nach einer höheren MdE zu gewähren, somit weder vom 14.11. bis 31.12.2005 nach einer MdE um 50 v.H. noch anschließend nach einer MdE um 40 v.H.
22 
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2005, mit dem die Beklagte dem Kläger die Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. als vorläufige Entschädigung bewilligt hat, sowie der während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangene Bescheid vom 29.08.2007, mit dem sie die entsprechende Leistung ab 01.09.2007 auf unbestimmte Zeit gewährt hat. Der Bescheid vom 29.08.2007 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er die vorausgegangenen Bescheide dahingehend abgeändert hat, dass ab 01.09.2007 anstelle der Verletztenrente als vorläufige Entschädigung Verletztenrente auf unbestimmte Zeit gewährt worden ist.
23 
Kein zulässiger Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen das erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Begehren des Klägers, die Beklagte zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen zu verurteilen. Zwar muss der Senat bei der Prüfung der Frage, welche MdE beim Kläger vorliegt, sämtliche Unfallfolgen einbeziehen, unabhängig davon, ob sie formell anerkannt sind oder nicht und ob sie erst während des Rechtsstreits aufgetreten sind. Von dieser materiell-rechtlichen Prüfung ist indessen das gesonderte prozessuale Begehren auf Feststellung bzw. Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen zu unterscheiden. Gegenüber der bisherigen Leistungsklage, gerichtet auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Verletztenrente, handelt es sich bei der beantragten Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen um einen eigenständigen, zusätzlichen, mit der Verpflichtungsklage verfolgten prozessualen Anspruch und mithin um eine Klageänderung i.S. einer Klageerweiterung (BSG, Urteil vom 13.09.2005, B 2 U 4/04 R zum identischen Verhältnis von Leistungsbegehren und später erhobener Klage auf Feststellung von Unfallfolgen).
24 
Eine solche Klageänderung ist nur zulässig, wenn die Beklagte einwilligt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält (§ 99 Abs. 1 SGG). Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat sich auf die Klageänderung in der mündlichen Verhandlung gerade und ausdrücklich nicht eingelassen (vgl. § 99 Abs. 2 SGG), mithin ihre Einwilligung verweigert, und der Senat hält die Klageänderung schon deshalb nicht für sachdienlich, weil die erweiterte Klage nicht zulässig ist. Der Senat ist als Berufungsgericht für eine solche Klage erstinstanzlich nicht zuständig (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 20/01 R in SozR 3-1500 § 29 Nr. 1 auch zum Nachfolgenden). Das Landessozialgericht ist in Streitigkeiten zwischen Versicherten und Leistungsträgern gemäß § 29 Abs. 1 SGG nur zuständig für Entscheidungen im Berufungsverfahren (zur erstinstanzlichen Zuständigkeit in anderen Arten von Streitigkeit vgl. insbesondere § 29 Abs. 2 SGG). Die einzige Ausnahme hierzu enthält § 96 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG, die hier jedoch nicht vorliegt. Auch ist es den Beteiligten verwehrt, durch Vereinbarung eine erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG zu begründen. Dies gilt insbesondere für den Fall der hier vorliegenden gewillkürten Klageänderung (BSG, a.a.O.). Damit fehlt es an einer unverzichtbaren Prozessvoraussetzung, was die Annahme von Sachdienlichkeit ausschließt (BSG, Urteil vom 08.05.2007, B 2 U 14/06 R in SozR 4-2700 § 153 Nr. 2). Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen ist unzulässig. Sie ist abzuweisen.
25 
Rechtsgrundlage des - zulässigen - klägerischen Begehrens auf höhere Verletztenrente ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente geleistet, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
26 
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
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Wie bereits angedeutet und vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung vertreten, kann es sich bei der Bewertung der MdE grundsätzlich nur um eine Schätzung handeln, bei welcher der Grad der unfallbedingten MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise feststellbar ist. Denn anders als etwa bei dem ebenfalls zu den Grundlagen der Rentenberechnung gehörenden Jahresarbeitsverdienst lässt sich der Prozentsatz der unfallbedingten MdE in aller Regel nicht mathematisch exakt festlegen, sondern nur annähernd bestimmen. Wie ihrem Wesen nach jede Schätzung, ist mithin auch der Bewertung der MdE eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich. Hieraus hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass jede innerhalb der Toleranzspanne liegende Schätzung gleichermaßen rechtmäßig ist, soweit dabei bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Als äußerste Grenzen der Spanne hat schon das frühere Reichsversicherungsamt Abweichungen um fünf Prozentpunkte nach oben oder nach unten angesehen. Das BSG ist dem gefolgt und hat dabei auf gesetzliche Regelungen verwiesen, nach denen eine MdE von 10 v.H. die untere Grenze dessen ist, was medizinisch und wirtschaftlich messbar sei. Dies bedeutet, dass eine Schätzung der MdE durch den Versicherungsträger so lange als rechtmäßig anzusehen ist, als eine spätere Schätzung durch das Gericht bzw. den von ihm gehörten ärztlichen Sachverständigen nicht um mehr als fünf Prozentpunkte von der früheren abweicht. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass im Verwaltungsverfahren die Schätzungsgrundlagen richtig ermittelt worden sind, ferner alle für die Schätzung wesentlichen Umstände hinreichend gewürdigt sind, insbesondere die für die Schätzung relevanten Befunde vollständig und richtig erhoben sind und unverändert vorliegen, und die Schätzung selbst nicht auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (BSG, Urteile vom 17.12.1975, 2 RU 35/75 in SozR 2200 § 581 Nr. 5 und 07.12.1976, 8 RU 14/76 in SozR 2200 § 581 Nr. 9).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das SG zutreffend entschieden, dass aus Rechtsgründen keine gegenüber der Beklagten höhere MdE-Bewertung vorzunehmen ist. Dabei hat das SG zutreffend dargelegt, dass nach den allgemeinen Erfahrungssätzen keine höhere Gesamt-MdE anzunehmen ist. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
29 
Der Kläger kann sich auch nicht auf eine andere konkrete Beurteilung eines der Sachverständigen stützen. Soweit die Beklagte die Verletztenrente ab 01.01.2006 - sei es als vorläufige Leistung oder als Leistung auf unbestimmte Zeit - nach einer MdE um 35 v.H. bewilligt hat, anstatt nach der vom Kläger begehrten MdE um 40 v.H., weichen die Schätzungen der vom Sozialgericht beauftragten gerichtlichen Sachverständigen, auf die sich der Kläger beruft, nicht um mehr als fünf Prozentpunkte von den Schätzungen der Gutachter ab, auf die die Beklagte ihre jeweiligen Entscheidungen gestützt hat. Keiner der am Verfahren beteiligten gerichtlichen Sachverständigen hat die Unfallfolgen des Klägers mit einer höheren MdE als 40 v.H. eingeschätzt, auch nicht Dr. R. im Berufungsverfahren (hierzu sogleich). Dass eine um mehr als fünf Prozentpunkte abweichende Bemessung der Unfallfolgen angezeigt ist, hat auch der Kläger nicht geltend gemacht. Denn er hat sich ausdrücklich auf die Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. und Prof. Dr. H. berufen, die die Unfallfolgen übereinstimmend mit einer MdE um 40 v.H. bewertet haben, und dementsprechend sein Begehren für die Zeit ab 01.01.2006 auch auf die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. beschränkt. Damit würde sich die Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer um mehr als fünf Prozentpunkte abweichenden Bemessung der MdE bereits aus Rechtsgründen verbieten. Offen lassen kann der Senat, ob die Unfallfolgen von unfallchirurgisch bzw. orthopädischer Seite die Bewertung mit einer MdE um 25 v.H. rechtfertigen - wie von Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. G. angenommen - oder um fünf Prozentpunkte höher, mithin mit 30 v.H. zu bewerten sind, wovon Prof. Dr. Dr. H. ausgeht. Denn diese Gutachter haben unter Berücksichtigung der von neurologischer Seite aufgetretenen Unfallfolgen, die ihrerseits die Bemessung mit einer MdE um 15 v.H. rechtfertigen, die orthopädisch bedingte MdE übereinstimmend - und nach Auffassung des Senats sachgerecht - um jeweils lediglich 10 Prozentpunkte erhöht, und damit schon von vornherein keinen Grund für eine Addition der Teil-MdE-Werte gesehen, durch die rein rechnerisch eine höhere MdE als 40 v.H. in Frage käme.
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Auch der im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG mit einer neuerlichen Begutachtung seiner Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der linken Hand beauftragte Sachverständige Dr. R. hat die Unfallfolgen - wenn auch unter Berücksichtigung einer von ihm gesehenen Verschlimmerung - durchgehend seit April 2005 ebenfalls mit einer MdE um 40 v.H. bewertet. Auch diese Schätzung der MdE unterfällt somit dem Bereich der dargelegten Schwankungsbreite.
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Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung kann sich der Senat nicht von einer relevanten Verschlimmerung der Unfallfolgen überzeugen. Zwar hat Dr. R. zum einen ausgeführt, gegenüber den Vorgutachten sei eine Arthrose im Radio-Ulnargelenk als Unfallfolge hinzugekommen. Eine derartige Arthrose hat aber bereits Prof. Dr. G. festgestellt (s. den Röntgenbefund auf Seite 2 des Gutachtens = Bl. 183 SG-Akte) und auch Prof. Dr. Dr. H. hat im Bereich der radialen Handwurzel und des Radiokarpalgelenkes degenerative Veränderungen beschrieben. Der Umstand, dass Prof. Dr. G. die Arthrose bei der Zusammenfassung der Unfallfolgen nicht aufführt, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass er sich bei dieser Zusammenfassung der Unfallfolgen - anders als bei der Beschreibung „Befund der Verletzungsfolgen“, wo die Arthrose aufgeführt ist - von den vorhandenen Funktionseinschränkungen leiten lässt, eine Arthrose indessen selbst keine Funktionseinschränkung ist, sondern u.U. zu Funktionseinschränkungen führt. Soweit Dr. R. zum anderen eine zwischenzeitlich eingetretene Einsteifung des II. und III. Mittelhandknochens mit der Handwurzel beschreibt, ist nicht erkennbar, inwieweit diese Einsteifung zu - gegenüber den auch ohne diese Diagnosestellung schon bestehenden Einschränkungen der Funktionsfähigkeit der Finger und der Hand - zusätzlichen wesentlichen funktionellen Defiziten geführt haben soll. Der Vergleich der von Prof. Dr. G. dokumentierten Bewegungsmaße der einzelnen Finger gegenüber den von Dr. R. gemessenen Funktionen zeigt zum Teil sogar bessere Maße. So hat der Abstand des für die Greiffunktion wichtigen Zeigefingers (II. Finger) zur queren Hohlhandfalte bei Prof. Dr. G. 3 cm betragen, bei Dr. R. dagegen nur 1 cm und die in Bezug auf die Fingerstreckung gemessenen Abstände sind bei Dr. R. bei den Fingern III und V besser und bei den Fingern II und IV unverändert gewesen. Auch in Bezug auf den für die Funktionsfähigkeit besonders wichtigen Daumen vermag der Senat der entsprechenden Dokumentation (vgl. Prof. Dr. G. Bl. 186 der SG-Akte einerseits und Bl. 85 der LSG-Akte andererseits) keine für die Greiffunktionen relevante Verschlechterung zu entnehmen. Die Unterschiede in der Beugung bewegen sich im Fünf-Grad-Bereich, und zwar zum Teil auch an der unverletzten Hand (s. Beugung im Grundgelenk bei Prof. Dr. G. 65°, bei Dr. R. 60°), was auf Messtoleranzen hindeutet. Schließlich bewertet Dr. R. die MdE mit 40 v.H. durchgehend seit April 2005. Dies spricht ebenfalls gegen eine erhebliche Verschlechterung der für die MdE-Bemessung relevanten funktionellen Einschränkungen. Wäre von einer Verschlechterung in diesem Sinne auszugehen, hätte Dr. R. eine gestaffelte MdE-Beurteilung vornehmen müssen, worum er in der entsprechenden Frage 4 des Gutachtensauftrages ausdrücklich gebeten war. Die Beurteilung von Dr. R. stimmt im Übrigen mit jener von Prof. Dr. Dr. H. überein, was ebenfalls gegen eine Verschlechterung der Funktionsfähigkeit spricht. All dies zeigt, dass die Funktionsstörungen der verletzten Hand mit einer Gesamt-MdE im Bereich von 35 bis 40 v.H. zu bewerten und damit von der dargestellten Schwankungsbreite umfasst sind. Keinesfalls ist jener Bereich der Verschlechterung erreicht, der im Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 SGB VII als wesentliche Änderung anzusehen ist.
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Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 10.05.2011 lehnt der Senat ab. Abgesehen davon, dass nicht Prof. Dr. K. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt war (sodass seine Anhörung als Sachverständiger schon deshalb nicht in Betracht kommt), sind die Beweisanträge auch unter der Annahme abzulehnen, dass Dr. R. entsprechend angehört werden soll. Ob „aus seiner Sicht“ - so die erste vom Kläger aufgeworfene Frage im ersten Beweisantrag - die von ihm diagnostizierte „Arthrose im distalen Radio-Ulnargelenk als Unfallfolge nicht berücksichtigt wurde“, wobei Bezug ausschließlich die Beurteilung von Prof. Dr. G. ist, ist nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Denn ob Prof. Dr. G. die Arthrose als unfallbedingt angesehen hat, ist in erster Linie durch Lektüre seines Gutachtens und damit vom Senat zu klären. Dabei ist aus dem Gutachten des Prof. Dr. G. unzweifelhaft zu entnehmen und steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine Arthrose im Bereich des distalen Radio-Ulnargelenkes vorlag und von ihm als unfallbedingt angesehen worden ist (vgl. die entsprechende Beschreibung unter der Überschrift „Befund der Verletzungsfolgen“ = Bl. 183 SG-Akte). Im Übrigen lässt sich die Auffassung von Dr. R. hierzu und damit die Antwort auf die gestellte Frage zweifelsfrei aus seinem Gutachten entnehmen. Dr. R. ist in seinem Gutachten (vgl. Seite 19) - wenn auch zu Unrecht - davon ausgegangen, dass die fortschreitende Arthrose nicht berücksichtigt wurde. Die Anhörung des Sachverständigen zur zweiten Frage dieses Beweisantrages - ob eine MdE in Höhe von 35 v.H. im Falle der Einbeziehung der Arthrose im Jahre 2007 zutreffend war - entfällt mit Ablehnung der ersten Frage, weil sie in Abhängigkeit von der ersten Frage gestellt ist. Im Übrigen ist diese zweite Frage einem Beweis nicht zugänglich. Denn bei der Bemessung der MdE kommt es allein auf funktionelle Einschränkungen an und eine Arthrose als solche stellt - wie bereits erwähnt - keine funktionelle Einschränkung dar, sondern führt allenfalls zu Einschränkungen, wobei alle Funktionsdefizite von Prof. Dr. G. berücksichtigt worden sind (unabhängig davon, in welchem Umfang sie auf eine Arthrose zurückzuführen gewesen sind). Im Übrigen ist die (eigentlich sachdienliche) Frage nach der tatsächlichen unfallbedingten MdE im Jahre 2007 - und damit unter Einbeziehung der durch eine Arthrose hervorgerufenen Einschränkungen - von Dr. R. beantwortet (auch für das Jahr 2007 MdE um 40 v.H.).
33 
Soweit der Kläger (zweiter Beweisantrag, wieder in Bezug auf das Gutachten von Prof. Dr. G.) eine Äußerung des Sachverständigen zu einer höheren MdE als 40 v.H. begehrt (nämlich 45 v.H.) ist dies nicht entscheidungserheblich. Zum einen ist eine Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 v.H. nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Zum anderen bezieht sich auch dieser Beweisantrag auf die Annahme, eine Arthrose sei nach der Begutachtung durch Prof. Dr. G. hinzugetreten, was - wie ausgeführt - tatsächlich nicht der Fall ist. Zu nicht vorliegenden Sachverhalten hat der Senat aber keine Sachaufklärung durchzuführen. Schließlich hat Dr. R. in seinem Gutachten in Kenntnis der von Prof. Dr. G. und der Beklagten vertretenen Auffassung - MdE 35 v.H. - und unter der Annahme, die Unfallfolgen hätten sich verschlimmert lediglich eine MdE um 40 v.H. - also gerade nicht um 45 v.H. - angenommen. Damit ist die Frage - höhere MdE als 40 v.H. - vom Sachverständigen beantwortet. Soweit der Kläger eine Prüfung der Einschätzung von Prof. Dr. G. durch Dr. R. mit dem Maßstab „üblicher Einschätzung“ begehrt, fehlt es bereits an einem hinreichend konkreten Beweisthema. Denn der Maßstab „übliche Einschätzung“ ist angesichts der Komplexität der beim Kläger vorhandenen funktionellen Einschränkungen zu unbestimmt und lässt insbesondere die dargestellten Grundsätze der Schwankungsbreite, die gerade solche Fälle erfassen, außer Betracht.
34 
Was den Zeitraum vom 14.11. bis 31.12.2005 anbelangt, für den der Kläger die Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. begehrt, hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass die Unfallfolgen keine Gesamt-MdE um 50 v.H. rechtfertigen, insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass Prof. Dr. H. die Teil-MdE von neurologischer Seite bis zum 31.12.2005 mit 25 v.H. bewertet hat. Denn die von Prof. Dr. H. beschriebenen motorischen Defizite, die für den begrenzten Zeitraum bis Ende 2005 die höhere MdE rechtfertigen, decken sich - wie seinen Ausführungen zu entnehmen ist - weitestgehend mit jenen von unfallchirurgischer Seite, die bedingt durch die Schädigung der Muskulatur gleichermaßen eine Einschränkung der Beweglichkeit hervorrufen. Damit gehen von den seinerzeit noch vorhanden gewesenen neurologisch bedingten motorischen Defiziten jedoch keine relevanten zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigungen aus, die es rechtfertigen würden, die Gesamt-MdE zeitlich begrenzt bis Ende 2005 höher zu bewerten.
35 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
36 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Erscheint eine Partei in der Güteverhandlung nicht oder ist die Güteverhandlung erfolglos, soll sich die mündliche Verhandlung (früher erster Termin oder Haupttermin) unmittelbar anschließen. Andernfalls ist unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.

(2) Im Haupttermin soll der streitigen Verhandlung die Beweisaufnahme unmittelbar folgen.

(3) Im Anschluss an die Beweisaufnahme hat das Gericht erneut den Sach- und Streitstand und, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. November 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 23.2.2003. Im Wesentlichen steht zwischen den Beteiligten das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung als Folge dieses Arbeitsunfalls im Streit. Das SG hat auf die Klage gegen die eine Rentengewährung ablehnenden Bescheide der Beklagten nach Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens von Amts wegen sowie der Einholung eines orthopädischen Gutachtens nach § 109 SGG und eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG auf neurologischem Fachgebiet durch Urteil vom 28.10.2010 die Beklagte unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung von Funktionseinschränkungen im Bereich des linken Schultergelenks nach erlittener Schlüsselbeinfraktur sowie einer somatoformen Schmerzstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.2.2003 eine Verletztenrente nach einer MdE iHv 20 vH zu bewilligen. Die Diagnose der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung folge für das Gericht aus den nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. G., den das SG von Amts wegen zuvor gehört habe. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das LSG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. L. vom 27.12.2011, demzufolge eine willkürliche Aggravation bzw Simulation nicht bestätigt werden könne. Über die bereits getätigten Diagnosen der Vorgutachter hinaus seien die Kriterien einer posttraumatischen Dystonie und teilweise auch die Kriterien einer Kausalgie erfüllt. Diese Diagnosen seien von den Vorgutachtern nicht diskutiert bzw die Beschwerden in den subjektiven oder vorgetäuschten Beschwerderahmen eingeordnet worden. Neben der aktenkundigen MdE von 10 vH auf chirurgischem Gebiet betrage die MdE auf neurologischem Gebiet 40 vH und die Gesamt-MdE 40 vH. Der Sachverständige verblieb auch in einer vom LSG veranlassten Stellungnahme bei seiner Auffassung. Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.7.2012 beantragt, Herrn Prof. Dr. G. von der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. in einem weiteren fachärztlichen Gutachten Stellung nehmen zu lassen, welcher der beiden Auffassungen aus welchen Gründen zu folgen sei. In dessen Bericht vom 22.1.2009 sei die Diagnose der posttraumatischen Dystonie nur deshalb gestellt worden, weil der Kläger angegeben habe, dass er sofort nach dem Unfall eine schmerzhafte Kopfzwangshaltung mit Neigung nach links gehabt habe, was nach Aktenlage nicht der Fall gewesen sei. Der Kläger hat darauf verwiesen, dass Prof. Dr. L. detailliert und nachvollziehbar unter Beachtung sämtlicher Vorbefunde seit dem Jahr 2003 eine sich entwickelnde posttraumatische Dystonie beschrieben habe.

2

Mit gerichtlicher Verfügung vom 3.9.2012 hat das LSG die Beklagte wie folgt angeschrieben: "Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage wird mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt sind. Falls Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, wollen Sie dies bitte mitteilen." Mit Schreiben vom 18.9.2012 teilte die Beklagte dem LSG ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit. Diesen Schriftsatz hat das LSG dem Kläger mit Verfügung vom 24.9.2012 zugeleitet mit der Bitte um Mitteilung, ob ebenfalls Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Mit Schriftsatz vom 25.9.2012 hat der Kläger adressiert an das LSG Baden-Württemberg mitgeteilt: "Um beurteilen zu können, ob wir mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind, würden wir um eine kurze - selbstverständlich vorläufige - Einschätzung des Gerichts bitten, damit entschieden werden kann, ob weitere Beweisanträge zu stellen sind." Mit Verfügung vom 27.9.2012 hat das Gericht dem Kläger sodann eine Abschrift des an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks vom 3.9.2012 mit dem Inhalt zukommen lassen: "Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage wird mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt sind … ." Durch Schriftsatz vom 18.10.2012 hat der Kläger sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

3

Am 4.7.2013 hat der Kläger das Gericht um Sachstandsmitteilung gebeten. Mit Schreiben des Gerichts vom 23.7.2013 hat das LSG mitgeteilt, dass seit Dezember 2012 ein Berichterstatterwechsel stattgefunden habe. Der Senat sei bemüht, die entstandenen Rückstände zügig aufzuarbeiten.

4

Durch Urteil vom 19.11.2013, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das LSG das Urteil des SG vom 28.10.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Weder ließe sich die von Dr. G. diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung, die mit einer funktionellen torticollis spasmodicus einhergehen solle, noch die von Prof. Dr. L. diagnostizierte posttraumatische cervikale Dystonie bzw das posttraumatische Kausalgie-Dystonie-Syndrom zur Überzeugung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als durch das Unfallereignis vom 23.2.2003 wesentlich verursacht zuordnen.

5

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil macht der Kläger geltend, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG verletzt. Durch die im November 2013 getroffene Entscheidung habe das LSG dem vorliegenden Verfahren eine unvorhersehbare überraschende Wende gegeben. Bei einer von der ersten Instanz im Wesentlichen abweichenden Entscheidung, nach Einholung eines die Auffassung der ersten Instanz bestätigenden und im Sinne des Klägers sogar darüber hinausgehenden Gutachtens hätte das Gericht ihm Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt geben müssen, wenn es vom Urteil erster Instanz abweichen wollte. Die Übersendung der Abschrift des an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks mit dem Inhalt, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt seien, habe im Kontext einer Anfrage des Gerichts, ob einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt werde, nur so verstanden werden können, dass keine weiteren Ermittlungen im Sinne der Beklagten beabsichtigt seien und das Gericht somit keine weiteren Beweisanträge für erforderlich halte. Für den Fall, dass er auf seine an das LSG gerichtete Anfrage eine vorläufige Einschätzung des Gerichts erhalten hätte, dass eine posttraumatische Dystonie anhand der bisher vorliegenden Unterlagen fraglich sei, hätte er vorgetragen, dass die Auswertung sämtlicher vorhandener Röntgenbilder der HWS ab 15.12.2003 und der MRT-Aufnahmen der HWS ab 16.4.2005 den Schiefhals erkennen ließen. Er hätte ebenso vorgetragen, dass der Schulterhochstand bereits im Jahre 2006 im K.-Hospital in S. diagnostiziert worden sei. Er hätte weiter vorgetragen und Beweis dafür angetreten, dass der diagnostizierte Schulterhochstand durch die Folgen der in Fehlstellung verheilten Schlüsselbeinfraktur mitsamt erheblichen Schmerzen und dadurch bedingter Fehlhaltung verursacht war. Durch ein ergänzendes Gutachten wäre nachzuweisen gewesen, dass der Auffassung des Prof. Dr. L. entweder zu folgen oder aber diese zumindest Anlass für weitere Sachaufklärung gewesen sei, zumal ihm teilweise demonstratives Verhalten sowie Aggravation unterstellt worden sei. Er hätte Beweis dafür angetreten, dass er seit Jahren mit starken Schmerzmitteln seiner vollschichtigen Arbeit nachgehe und sogar das Implantieren von Schmerzpumpen auf sich genommen habe, wobei ihm demonstratives und übertreibendes Verhalten im Bezug auf körperliche Beschwerden fernliege. Daher beruhe das Urteil des LSG darauf, dass ihm nicht Gelegenheit gegeben worden sei, weiteren Beweis anzubieten und auf weitere Sachaufklärung zu drängen.

6

II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG vom 19.11.2013 ist unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen. Dieser vom Kläger auch schlüssig gerügte Verfahrensmangel führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

7

Das angefochtene Urteil kann auf dem vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Verfahrensmangel, der Verletzung rechtlichen Gehörs, beruhen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) sowie seines aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (vgl Art 20 Abs 3 GG) sowie Art 6 Abs 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleiteten Anspruchs auf ein faires Verfahren ergangen ist.

8

Der umfassende Anspruch auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Übermaßverbot (Gebot der Rücksichtnahme) gegenüber Freiheitsrechten und das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B - Juris; BSG Beschluss vom 2.4.2009 - B 2 U 281/08 B - Juris). Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in dessen Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; BVerfGE 96, 205, 216 f). Weder aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren noch aus dem auf rechtliches Gehör ergibt sich eine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage oder eine Pflicht des Gerichts zu einem Rechtsgespräch oder zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung (BVerfGE 66, 116, 174; BVerfGE 74, 1, 5; BVerfGE 86, 133, 145). Hat das Gericht sich jedoch hinsichtlich bestimmter Sach- oder Rechtsfragen geäußert, so kann es nicht ohne vorherige Information der Beteiligten über eine mögliche andere Auffassung seinerseits in dieser Frage auf eine abweichende Beurteilung seine Entscheidung gründen, weil dies gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt und eine Überraschungsentscheidung darstellt.

9

Vorliegend hat das LSG zunächst eine Anfrage an die Beteiligten gerichtet, ob diese mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden seien. Auf die Bitte des Klägers im Schriftsatz vom 25.9.2012, deshalb eine kurze vorläufige Einschätzung des Gerichts abzugeben, damit entschieden werden könne, ob weitere Beweisanträge zu stellen sind, hat das LSG sodann dem Kläger eine Abschrift eines an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks zukommen lassen, dass weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt seien. Da das erstinstanzliche Urteil des SG zugunsten des Klägers ausgefallen war und auch das Ergebnis der Beweisaufnahme durch das LSG zu einem für den Kläger positiven Sachverständigengutachten geführt hatte, musste dieser bei Erhalt dieses, an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks davon ausgehen, dass das LSG seine Entscheidung auf keine abweichende Beurteilung dieser Fragen gegenüber dem SG gründen werde. Für den Kläger musste sich die Prozesssituation so darstellen, dass die Beklagte gerade deswegen weitere Sachverhaltsaufklärung beantragt hatte, weil sie nach der objektiven Sachlage befürchten musste, dass der Rechtsstreit zu ihren Ungunsten entschieden werde. Zwar ist eine Überraschungsentscheidung zu verneinen, wenn nur ein Mitglied des Spruchkörpers sich dahingehend äußert, dass die spätere Sachentscheidung zugunsten des Klägers ausfallen werde, da es sich dann nur um eine Einzelmeinung handelt, die für die nachfolgende Entscheidung des gesamten Spruchkörpers nicht bindend sein kann (s BSG Beschluss vom 21.6.2000 - B 5 RJ 24/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 30, abgedruckt unter SozR 3-1500 § 112 Nr 2). Jedoch war Anlass für die Übersendung des Vermerks die an das LSG und damit den gesamten Spruchkörper als zur Entscheidung befugten Institution gerichtete Anfrage des Klägers, weshalb die Übersendung des an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks als Antwort des gesamten Senats erscheinen musste. Vom Empfängerhorizont des Klägers her betrachtet musste sich damit aufgrund der Auskunft des LSG der Eindruck aufdrängen, dass das LSG beabsichtigte, nach dem Ergebnis des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Prof. Dr. L. keine gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil abweichende Entscheidung zu fällen. Auf diesem durch das Verhalten des Gerichts erzeugten Eindruck kann das Urteil des LSG auch beruhen. Denn es ist denkbar und wird vom Kläger auch schlüssig dargelegt, dass dieser bei Hinweis auf eine mögliche andere Rechtsauffassung des LSG weitere Beweisanträge gestellt hätte, denen zu folgen das LSG sich hätte gedrängt sehen müssen und diese weiteren Beweiserhebungen zu einer für den Kläger positiven Entscheidung hätten führen können. Dies gilt umso mehr, als das LSG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat und die erforderliche Zustimmung gemäß § 124 Abs 2 SGG seitens des Klägers in Kenntnis einer möglichen abweichenden Beurteilung durch das LSG wohl nicht erteilt worden wäre.

10

Der Senat hat von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

11

Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.