Bundesgerichtshof Urteil, 27. Nov. 2007 - VI ZR 56/07

bei uns veröffentlicht am27.11.2007
vorgehend
Landgericht Mannheim, 9 O 338/05, 31.08.2006
Oberlandesgericht Karlsruhe, 10 U 149/06, 19.01.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 56/07 Verkündet am:
27. November 2007
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Geschädigte kann zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert
um nicht mehr als 30% übersteigt, Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungsaufwand
(Wiederbeschaffungswert minus Restwert) auch bei vollständiger
und fachgerechter Reparatur im Regelfall nur verlangen, wenn er das
Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt (im Anschluss an das Urteil
vom 13. November 2007 - VI ZR 89/07 - z.V.b.).
BGH, Urteil vom 27. November 2007 - VI ZR 56/07 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 31. Oktober 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller,
den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und
Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Januar 2007 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger begehrt Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall am 30. März 2005 vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners.
2
Die Reparaturkosten für den Schaden am PKW des Klägers betragen nach dem im Auftrag des Klägers erstatteten Sachverständigengutachten bei vollständiger und fachgerechter Reparatur 8.292,92 € ohne Mehrwertsteuer. Den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs schätzte der Sachverständige auf 8.200 € und den Restwert auf 4.880 €. Der Kläger reparierte das Fahrzeug in Eigenregie. Die Durchführung der Reparatur ließ er sich durch den Sachverständigen bestätigen. Anfang Juni 2005 verkaufte der Kläger das Fahrzeug an das Ehepaar K., das sich bereits Mitte April nach einer Probefahrt zu dem Ankauf entschlossen hatte. Die Beklagte zahlte vorprozessual zur Abgeltung der klägerischen Ansprüche aus dem Unfall 5.000 €. Der Kläger verlangt auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens Ersatz weiterer Reparaturkosten.
3
Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch bis auf den Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls in Höhe von 249 € nebst Zinsen und der geltend gemachten Auslagenpauschale in Höhe von 6 € nebst Zinsen weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Landgerichts, dass der Geschädigte nicht Ersatz der den Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) übersteigenden Reparaturkosten verlangen könne, weil er das Fahrzeug bereits nach etwas mehr als zwei Monaten nach dem Unfall verkauft habe. Das für eine Abrechnung von Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert übersteigen, erforderliche fortbestehende Integritätsinteresse sei deshalb nicht nachgewiesen. Auch wenn im Streitfall der Wiederbeschaffungswert nach dem Gutachten des Kfz-Sachverständigen nur geringfügig unter den (Netto) Reparaturkosten liege, könne ein Geschädigter Ersatz der fiktiven Reparaturkosten nur dann beanspruchen, wenn er das Fahrzeug - ggf. auch in Eigenreparatur - vollständig und fachgerecht repariere und sein fortbestehendes Integritätsinteresse dadurch beweise, dass er das Fahrzeug nicht vor Ablauf von 6 Monaten nach dem Unfall verkaufe. Im vorliegen- den Fall könne offen bleiben, ob eine fachgerechte Reparatur durchgeführt worden sei, denn jedenfalls fehle die zweite Voraussetzung in Form des Nachweises des Integritätsinteresses. Auch wenn der Kläger anfangs beabsichtigt habe, das Fahrzeug nach dem Unfall noch für längere Zeit selbst zu nutzen, habe er doch mit dem Verkauf den Restwert realisiert, so dass dieser nicht mehr lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten darstelle. Das habe zur Folge, dass sich der Kläger den Restwert anrechnen lassen müsse. Zur Klärung der Rechtsfrage, ob die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 2006 (- VI ZR 192/05 - BGHZ 168, 43 ff.) für den Nachweis des Integritätsinteresses bei Reparaturkosten, die niedriger sind als der Wiederbeschaffungswert , zugrunde gelegte Sechs-Monats-Frist auch für die Fallgruppe "Reparaturaufwand höher als Wiederbeschaffungswert" zu gelten habe, werde die Revision zugelassen.

II.

5
Die Revision bleibt erfolglos. Die Auffassung des Berufungsgerichts zur grundsätzlichen Geltung der Sechs-Monatsfrist auch in Fällen der vorliegenden Art erweist sich als zutreffend.
6
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Geschädigte unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz des Reparaturaufwandes bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangen (Senatsurteile BGHZ 115, 363, 371; 162, 161, 166; 162, 170, 173 und vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - VersR 1999, 245, 246). Mit den schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 395, 397 f.) ist es grundsätzlich vereinbar , dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, Kosten der Instandsetzung zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen (Senatsurteil BGHZ 115, 364, 371). Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (vgl. Jordan, VersR 1978, 688, 691), zumeist unbekannt. Dass ihnen ein wirtschaftlicher Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus "erster Hand" regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - aaO).
7
2. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Für die Fälle, in denen der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt und der Geschädigte sein Fahrzeug zunächst weiter nutzt, später aber veräußert, hat der erkennende Senat entschieden , dass ein Anspruch auf Ersatz der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts besteht, wenn der Geschädigte das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168, 43, 47 f.). Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ist für Fallgestaltungen der vorliegenden Art grundsätzlich nicht anders zu beurteilen. Im Regelfall wird hierfür gleichfalls ein Zeitraum von sechs Monaten anzuneh- men sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
8
3. Entgegen der Auffassung der Revision setzt sich der Senat hiermit nicht in Widerspruch zum Urteil vom 5. Dezember 2006 - VI ZR 77/06 - (VersR 2007, 372 ff.). In jenem Fall kam es auf das Integritätsinteresse nicht an, weil der Geschädigte den Schaden, der den Wiederbeschaffungswert nicht überstiegen hat, tatsächlich hat reparieren lassen. Ihm waren die Kosten für die Wiederherstellung des Fahrzeugs in jedem Fall entstanden und sie waren vom Wert des Fahrzeugs auch gedeckt. Weder das Wirtschaftlichkeitsgebot noch das schadensrechtliche Bereicherungsverbot gebieten unter diesen Umständen den Abzug des Restwerts. Übersteigen hingegen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, kann dem Schädiger der Ersatz eigentlich unwirtschaftlicher Reparaturkosten nur im Hinblick auf das bei der Schadensbehebung im Vordergrund stehende Integritätsinteresse des Geschädigten zugemutet werden. Das Integritätsinteresse ist für den Anspruch auf Reparaturkostenersatz ebenso maßgebend wie bei der Abrechnung von Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, auf der Grundlage einer Schadensschätzung.
9
4. Im Streitfall ist revisionsrechtlich zwar davon auszugehen, dass der Kläger das Fahrzeug fachgerecht und vollständig repariert hat. Doch hat der Geschädigte das Fahrzeug innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall, nämlich am 1. Juni 2005 weiterverkauft, nachdem es durch die Käufer bereits Mitte April besichtigt und Probe gefahren worden ist. Mithin ist ein Integritätsinteresse des Geschädigten, das die Abrechnung der Reparaturkosten rechtfertigen würde, nicht nachgewiesen. Der Geschädigte hat lediglich Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges.
10
Die von der Revision dagegen vorgebrachten Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Totalreparation vermag der erkennende Senat schon deshalb nicht zu teilen, weil auch die Ersatzbeschaffung eine Form der Naturalrestitution darstellt. Hat der Geschädigte Reparaturkosten aufgewendet, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegen, hat er es selbst in der Hand, ob er dafür Ersatz bekommt oder, weil er eine günstige Verkaufsmöglichkeit wahrnehmen will, sich mit den Kosten für eine Ersatzbeschaffung begnügen muss. Inwieweit bei einem unfreiwilligen Verlust des Fahrzeugs eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre, ist nicht Gegenstand des Streitfalls. Jedoch könnte es sich hierbei um besondere Umstände handeln, unter denen eine Abweichung von den oben dargestellten Grundsätzen in Frage käme.
11
Da der Anspruch des Klägers nach der Berechnung der Kosten einer Ersatzbeschaffung für ein gleichwertiges Fahrzeug von der Beklagten bereits ausgeglichen worden ist, stehen ihm weitere Ansprüche ersichtlich nicht zu. Auf den Einwand der Beklagten, dass sie unter Umständen leistungsfrei wäre, weil der Schädiger den Schadensfall absichtlich herbeigeführt haben könnte, kommt es nicht an, da ein Rückforderungsanspruch von der Beklagten nicht geltend gemacht worden ist.

III.

12
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 31.08.2006 - 9 O 338/05 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 19.01.2007 - 10 U 149/06 -

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(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 77/06 Verkündet am:
5. Dezember 2006
H o l m e s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Lässt der Geschädigte das Fahrzeug reparieren, kann er grundsätzlich Ersatz
der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht
übersteigen.
BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006 - VI ZR 77/06 - LG Dresden
AG Dresden
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Dezember 2006 im schriftlichen
Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 30. Oktober 2006 durch die Vizepräsidentin
Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 7. März 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger begehrt Ersatz seines restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 16. Dezember 2003, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in vollem Umfang einzustehen hat.
2
Mit Gutachten vom 16. Dezember 2003 hat ein Kfz-Sachverständiger für das klägerische Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von 10.650 € und einen Restwert von 3.000 € angegeben. Für eine Reparatur prognostizierte er Kosten in Höhe von 8.879,15 € brutto mit einer verbleibenden Wertminderung von 500 €.
3
Der Kläger beauftragte am 18. Dezember 2003 eine Fachwerkstatt mit der Durchführung der Reparatur. Am 9. Januar 2004 holte er das fachgerecht instand gesetzte Fahrzeug ab. Am 12. Januar 2004 berechnete die Fachwerkstatt ihre Arbeiten mit 9.262,45 € brutto. Am 13. Januar 2004 veräußerte der Kläger das Fahrzeug an den Reparaturbetrieb und kaufte bei diesem einen anderen Wagen. Die Entscheidung für den Erwerb eines Neufahrzeugs hatte er während der Reparatur getroffen.
4
Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten sowie den merkantilen Minderwert. Die Beklagte hat lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 7.650 € ausgeglichen.
5
Das Amtsgericht hat die auf den Differenzbetrag in Höhe von 2.112,45 € gerichtete Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

6
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Schadensersatzanspruch des Klägers auf die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beschränkt, weil er den beschädigten Pkw nach der Reparatur nicht weiter genutzt hat. Wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Bereicherungsverbots könne der Geschädigte zum Ausgleich seines Fahrzeugschadens die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts nur verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lasse und weiterhin benutze. In diesem Fall stelle nämlich der Restwert lediglich einen hypothetischen Rechnungspos- ten dar, den der Geschädigte nicht realisiere und der sich daher in der Schadensbilanz nicht niederschlagen dürfe.
7
Im vorliegenden Fall könne der Kläger jedoch seinen Zahlungsanspruch nicht mit einem bestehenden Integritätsinteresse begründen. Insoweit sei zwischen den Parteien streitig, ob es für das Integritätsinteresse allein auf den Willen des Geschädigten bei Erteilung des Reparaturauftrags oder auch auf sein späteres Verhalten ankomme. Nach der Rechtsprechung komme es nicht auf den Nutzungswillen des Geschädigten bei Erteilung des Reparaturauftrags, sondern auf die tatsächliche Nutzung nach der durchgeführten Reparatur an. Da der Kläger das Fahrzeug nach der Reparatur nicht mehr genutzt habe, habe er sein Integritätsinteresse nicht ausreichend dargetan.

II.

8
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
9
1. Das Berufungsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 395, 397 ff.; 162, 161, 164 f.; 163, 180, 184 jeweils m. w. N.) dem Unfallgeschädigten für die Berechnung eines Kfz-Schadens im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung stehen: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines "gleichwertigen" Ersatzfahrzeugs. Verfehlt ist jedoch seine Auffassung, der Kläger könne nicht Ersatz der Reparaturkosten verlangen , weil er das Fahrzeug nach der Reparatur nicht weiter benutzt und deshalb kein Integritätsinteresse zum Ausdruck gebracht habe. Darauf kommt es bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht an. Nach der Rechtsprechung des Se- nats kann der Geschädigte, der das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, grundsätzlich Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Das Vorliegen eines Integritätsinteresses kann insoweit nur dann eine Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, ob der Geschädigte unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots sein Fahrzeug überhaupt reparieren darf, wenn nämlich die Reparaturkosten diesen Wert übersteigen (sog. 30 % Grenze, vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 371 f.; 154, 395, 399 f.; 162, 161, 163 ff.; 162, 170, 172 ff.). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall.
10
2. Verfehlt ist auch der Abzug des Restwerts, mit dem das Berufungsgericht den Anspruch des Geschädigten auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzen will. Das könnte nur dann richtig sein, wenn der Geschädigte anstelle der Reparatur eine Ersatzbeschaffung gewählt hätte und den Schaden auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten abrechnen würde (vgl. Senatsurteil BGHZ 162, 170, 174). Vorliegend hat der Kläger jedoch das Fahrzeug tatsächlich reparieren lassen und kann deshalb Ersatz der hierdurch konkret entstandenen Reparaturkosten verlangen, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Hat sich also der Geschädigte für eine Reparatur entschieden und diese tatsächlich durchführen lassen, spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob und wann er danach ein anderes Fahrzeug erwirbt. Ein solcher Vorgang stellt sich aus rechtlicher Sicht nicht als "Ersatzbeschaffung" anstelle einer Reparatur dar, die ja im Streitfall bereits tatsächlich erfolgt war. Soweit das Berufungsgericht aus früheren Senatsurteilen etwas anderes ableiten will, übersieht es, dass es sich dabei um Fälle der fiktiven Schadensabrechnung gehandelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 395 ff.; 162, 161, 162 ff.; 162, 170 ff.; vom 23. Mai 2006 - VI ZR 192/05 - VersR 2006, 989 f.).

III.

11
Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um den Parteien Gelegenheit zu geben, ergänzend zur Schadenshöhe vorzutragen. Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 19.08.2004 - 102 C 4312/04 -
LG Dresden, Entscheidung vom 07.03.2006 - 13 S 532/04 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)