Bundesgerichtshof Urteil, 23. Sept. 2010 - IX ZR 243/09

bei uns veröffentlicht am23.09.2010
vorgehend
Amtsgericht Stendal, 3 C 1043/08, 17.06.2009
Landgericht Stendal, 22 S 77/09, 17.12.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 243/09
Verkündet am:
23. September 2010
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. September 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter
Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 2 des Landgerichts Stendal vom 17. Dezember 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte war Verwalter in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der A. K. . Mit Beschluss des Gesamtvollstreckungsgerichts vom 19. September 2006 wurde er aus seinem Amt entlassen und der Kläger zum neuen Verwalter bestellt. Der Beklagte übergab dem Kläger verschiedene Unterlagen. Der Aufforderung des Klägers, eine Schlussrechnung über seine Verwaltertätigkeit zu legen, kam er jedoch nicht nach.
2
auf Die Vorlage einer Schlussrechnung über seine Verwaltertätigkeit, bestehend aus einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, einer Schlussbilanz und einem Schlussbericht, gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision hat keinen Erfolg.
4
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Gesamtvollstreckungsordnung sehe keine Pflicht des abberufenen Verwalters zur Erteilung einer Teilschlussrechnung gegenüber Dritten vor. Eine solche Pflicht ergebe sich auch nicht aus einem Rückgriff auf die Regelungen der Konkurs- oder Insolvenzordnung. Es sei zwar anerkannt, dass der entlassene Verwalter nach § 86 KO und § 66 Abs. 1 InsO verpflichtet sei, eine Schlussrechnung zu legen. Diese Verpflichtung bestehe aber nur gegenüber der Gläubigerversammlung und dem Gericht, nicht gegenüber dem neuen Verwalter. Jener könne nur Aufsichtsmaßnahmen des Gerichts anregen. Deshalb könne auch für das Gesamtvollstreckungsverfahren weder im Wege der Gesetzesanwendung noch im Wege der Analogie ein Klagerecht des neuen Verwalters gefolgert werden. Es sei weder eine planwidrige Regelungslücke ersichtlich, noch bestehe ein Bedürfnis für ein Klagerecht des neuen Verwalters. Ein solches könne auch nicht aus § 259 BGB, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder aus § 666 BGB hergeleitet werden.
5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
6
a) Die Gesamtvollstreckungsordnung enthält keine Regelung, die einen abberufenen Verwalter verpflichten würde, über seine Tätigkeit dem nachfolgenden Verwalter Rechnung zu legen. Sie beschränkt sich darauf, am Ende des Gesamtvollstreckungsverfahrens nach der Verteilung die Anfertigung eines Abschlussberichts zu verlangen (§ 18 Abs. 4 GesO) und der Gläubigerver- sammlung und dem Gläubigerausschuss das Recht einzuräumen, in weiterem Umfang Berichterstattungen und Rechnungslegung zu fordern (§ 15 Abs. 5 Satz 2 und § 15 Abs. 6 Satz 2 GesO). Daraus lässt sich der geltend gemachte Anspruch, wie auch die Revision einräumt, nicht ableiten.
7
b) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich ein Anspruch des neuen Verwalters auf Rechnungslegung durch den abberufenen Verwalter auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von Normen der Konkurs- oder der Insolvenzordnung , denn es liegen weder die Voraussetzungen einer gesetzesimmanenten noch diejenigen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung vor (vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. S. 191 ff und S. 232 ff). Fraglich ist bereits, ob die Gesamtvollstreckungsordnung , soweit sie einen Anspruch des neuen Verwalters auf Rechnungslegung nicht regelt, überhaupt lückenhaft ist, sei es im Blick auf ihren eigenen Regelungsplan oder auf die Gesamtrechtsordnung, oder ob sie einen solchen Anspruch ausschließen wollte. Jedenfalls enthält weder die Konkurs- noch die Insolvenzordnung eine Regelung, die den Schluss rechtfertigte, der Gesetzgeber hätte im Falle einer gesetzlichen Regelung der Streitfrage in der Gesamtvollstreckungsordnung einen Anspruch des neuen Verwalters auf Rechnungslegung festgeschrieben, oder die es als unvereinbar mit allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen und übergeordneten Rechtsprinzipien erscheinen ließe, einen solchen Anspruch des neuen Verwalters zu verneinen (vgl. zu den Kriterien BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 - IX ZR 58/99, BGHZ 143, 332, 334 ff; vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 14 f und 19 f).
8
aa) Nach § 66 Abs. 1 InsO hat der Verwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Eine entsprechende Verpflichtung normierte § 86 Satz 1 KO. Die Pflicht gilt und galt anerkannter- maßen auch für den vorzeitig abberufenen Verwalter (zu § 66 InsO: BGH, Beschluss vom 14. April 2005 - IX ZB 76/04, ZIP 2005, 865, 866; vom 10. November 2005 - IX ZB 168/04, ZIP 2006, 93; Jaeger/Eckardt, InsO, § 66 Rn. 9; MünchKomm-InsO/Nowak, 2. Aufl. § 66 Rn. 3; FK-InsO/Kind, 5. Aufl. § 66 Rn. 2; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. § 66 Rn. 24 f; HK-InsO/Eickmann, 5. Aufl. § 66 Rn. 16; zu § 86 KO: Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. § 86 KO Anm. 1a; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. § 86 Rn. 2; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl. § 86 Rn. 1). Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann das Insolvenz - bzw. Konkursgericht gegen den Verwalter ein Zwangsgeld festsetzen (§ 58 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 84 Abs. 1 Satz 1 KO; BGH, Beschluss vom 14. April 2005 - IX ZB 76/04, aaO; Jaeger/Eckardt, aaO Rn. 21; Uhlenbruck, aaO Rn. 25; Eickmann, aaO; Weber, aaO). Die übrigen Beteiligten des Verfahrens, auch der neue Verwalter, können solche Aufsichtsmaßnahmen anregen. Einen eigenen einklagbaren Anspruch auf Rechnungslegung hat der neue Verwalter hingegen nicht.
9
bb) Für den Regelungsbereich der Konkursordnung ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision aus § 86 Satz 3 KO nichts anderes. Nach dieser Norm hatte auch der nachfolgende Verwalter das Recht, Einwendungen gegen die Rechnungslegung des abberufenen Verwalters zu erheben. Dies stand aber im Zusammenhang mit der Regelung in § 86 Satz 4 KO, wonach die Rechnung als anerkannt galt, soweit im Termin der Gläubigerversammlung keine Einwendungen erhoben wurden. Durch die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben, konnte der neue Verwalter somit eine Entlastung des bisherigen Verwalters verhindern und mögliche Schadensersatzansprüche erhalten. Ein einklagbarer Anspruch auf Rechnungslegung folgte daraus nicht. Hierfür bestand kein zwingendes Bedürfnis. Legte der alte Verwalter keine Rechnung, konnte er sich auch nicht entlasten.

10
cc) Steht dem neuen Verwalter nach der Konkurs- und der Insolvenzordnung kein einklagbarer Anspruch auf Rechnungslegung gegen den abberufenen Verwalter zu, kann ein solcher auch nicht in den Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung übernommen werden. Allenfalls ist der abberufene Gesamtvollstreckungsverwalter wie ein abberufener Konkurs- oder Insolvenzverwalter den Gläubigern gegenüber zur Rechungslegung verpflichtet. Ob eine solche Pflicht des abberufenen Verwalters mit Aufsichtsmaßnahmen des Gesamtvollstreckungsgerichts durchsetzbar wäre, kann dahinstehen (die Gesamtvollstreckungsordnung sieht Zwangsmittel nicht vor; der Senat hat offen gelassen , ob die Regelungen der Insolvenz- und Konkursordnung insoweit entsprechend anwendbar sind, vgl. BGH, Urteil vom 27. April 1995 - IX ZR 102/04, ZIP 1995, 932, 934). Eine mangelhafte Pflichterfüllung des abberufenen Verwalters kann jedenfalls bei der Festsetzung seiner Vergütung berücksichtigt werden und zu einem Schadensersatzanspruch führen. Das Informationsinteresse der Gläubiger kann vom neuen Verwalter befriedigt werden.
11
c) Ein Anspruch des Klägers auf Rechnungslegung durch den Beklagten ergibt sich auch nicht aus Normen oder Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Gegen die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts wendet sich die Revision nicht. Sie sind auch aus der Sicht des Revisionsgerichts nicht zu beanstanden.
12
d) Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Geltungsbereich der Insolvenzordnung dem neuen Verwalter ein Anspruch gegen den vormaligen Verwalter auf Auskunft zustehen, wenn er auf bestimmte, das bisherige Verfahren betreffende Informationen angewiesen ist (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2003 - IX ZR 222/02, ZIP 2003, 326, 328). Ein solcher Anspruch ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden, auf Rechnungslegung gerichteten Klage. Der Kläger begehrt nicht die Erteilung einer konkreten, nur dem Beklagten als früherem Verwalter möglichen Auskunft, sondern eine umfassende und förmliche Zusammenstellung der Masse und der vom bisherigen Verwalter getätigten Einnahmen und Ausgaben und seiner sonstigen Maßnahmen. Dass eine solche Rechnungslegung besondere, aus den übergebenen Unterlagen nicht ersichtliche und nur dem Beklagten verfügbare Kenntnisse voraussetzte, wird vom Kläger nicht behauptet.
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp
Vorinstanzen:
AG Stendal, Entscheidung vom 17.06.2009 - 3 C 1043/08 -
LG Stendal, Entscheidung vom 17.12.2009 - 22 S 77/09 -

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 259 Umfang der Rechenschaftspflicht


(1) Wer verpflichtet ist, über eine mit Einnahmen oder Ausgaben verbundene Verwaltung Rechenschaft abzulegen, hat dem Berechtigten eine die geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitzuteilen und, soweit Belege

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 666 Auskunfts- und Rechenschaftspflicht


Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.

Insolvenzordnung - InsO | § 58 Aufsicht des Insolvenzgerichts


(1) Der Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung von ihm verlangen. (2) Erfüllt der Verwalter seine Pflichten n

Insolvenzordnung - InsO | § 66 Rechnungslegung


(1) Der Insolvenzverwalter hat bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. (2) Vor der Gläubigerversammlung prüft das Insolvenzgericht die Schlußrechnung des Verwalters. Es legt die Schlußrechnung mit den Belegen

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Jan. 2000 - IX ZR 58/99

bei uns veröffentlicht am 20.01.2000

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 58/99 Verkündet am: 20. Januar 2000 Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja GesO § 10
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 23. Sept. 2010 - IX ZR 243/09.

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - IX ZB 90/12

bei uns veröffentlicht am 06.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 90/12 vom 6. November 2014 in dem Insolvenzverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja InsO § 64 Abs. 1; BGB § 273 Abs. 1 Im Verfahren über die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalt

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(1) Der Insolvenzverwalter hat bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen.

(2) Vor der Gläubigerversammlung prüft das Insolvenzgericht die Schlußrechnung des Verwalters. Es legt die Schlußrechnung mit den Belegen, mit einem Vermerk über die Prüfung und, wenn ein Gläubigerausschuß bestellt ist, mit dessen Bemerkungen zur Einsicht der Beteiligten aus; es kann dem Gläubigerausschuß für dessen Stellungnahme eine Frist setzen. Der Zeitraum zwischen der Auslegung der Unterlagen und dem Termin der Gläubigerversammlung soll mindestens eine Woche betragen.

(3) Die Gläubigerversammlung kann dem Verwalter aufgeben, zu bestimmten Zeitpunkten während des Verfahrens Zwischenrechnung zu legen. Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend.

(4) Der Insolvenzplan kann eine abweichende Regelung treffen.

(1) Wer verpflichtet ist, über eine mit Einnahmen oder Ausgaben verbundene Verwaltung Rechenschaft abzulegen, hat dem Berechtigten eine die geordnete Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitzuteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, Belege vorzulegen.

(2) Besteht Grund zu der Annahme, dass die in der Rechnung enthaltenen Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden sind, so hat der Verpflichtete auf Verlangen zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen die Einnahmen so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei.

(3) In Angelegenheiten von geringer Bedeutung besteht eine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 58/99 Verkündet am:
20. Januar 2000
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
GesO § 10
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO können auch Rechtshandlungen von Gläubigern
angefochten werden.
BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 - IX ZR 58/99 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch
und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Januar 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der R. GmbH in Senftenberg (fortan: Schuldnerin). Ein Finanzamt des verklagten Landes erließ am 4. Februar 1997 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung , mit der es wegen Steuerschulden von insgesamt 333.317,43 DM unter anderem Guthaben der Schuldnerin bei der Sparkasse N. in Senftenberg pfändete und die Einziehung der gepfändeten Ansprüche anordnete. Die Sparkasse , der die Verfügung am Tage ihres Erlasses zugestellt wurde, überwies
an das Finanzamt am 10. Februar 1997 einen Betrag von 151.317,43 DM. Auf Antrag der Schuldnerin vom 26. Februar 1997 wurde am 25. April 1997 die Gesamtvollstreckung eröffnet.
Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Anfechtung Zahlung in Höhe des geflossenen Geldes. Der Kläger hält die Pfändungs- und Einziehungsverfügung für anfechtbar, weil die Schuldnerin im Februar 1997 die Zahlungen eingestellt habe und dies dem Finanzamt jedenfalls hätte bekannt sein müssen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.


Land- und Oberlandesgericht (das Berufungsurteil ist abgedruckt in NZI 1999, 229) haben die Klage für unbegründet gehalten, weil im Bereich der Gesamtvollstreckungsordnung nur Rechtshandlungen des Schuldners, d.h. nur
solche Handlungen anfechtbar seien, die zumindest auch auf einer Willensentscheidung des Schuldners beruhten. Das treffe für die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Beklagten nicht zu.

II.


Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 vor Nr. 1 und Nr. 4 GesVO und GesO hatten der Gesetzgeber der Gesamtvollstreckungsverordnung vom 6. Juni 1990 (GBl.-DDR I Nr. 32 S. 285) und derjenige der Gesamtvollstrekkungsordnung (Einigungsvertrag vom 31. August 1990 Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. II Nr. 1 i.V.m. Art. 1 des Gesetzes vom 23. September 1990, BGBl. II S. 885, 1153; Art. 5 des Hemmnisbeseitigungsgesetzes v. 22. März 1991, BGBl. I S. 766, 783; 1185) bei der Regelung des Anfechtungsrechts lediglich Rechtshandlungen des Schuldners im Blick. Bei einer bloßen Wortauslegung schiede im Streitfall eine Anfechtbarkeit aus, weil die Schuldnerin an der Pfändung des Guthabens, aus dem der Beklagte befriedigt wurde, in keiner Weise mitgewirkt hat. Ein Handeln der Schuldnerin durch Unterlassen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nichts darauf hindeutet, daß ein Rechtsbehelf gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts hätte Erfolg haben können (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, Urt. v. 27. November 1974 - VIII ZR 21/73, WM 1975, 6, 7).
2. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 GesO genügt jedoch nicht, um aus ihm den Willen des Gesetzgebers zu entnehmen, die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Gläubigers solle schlechthin ausgeschlossen sein. Vielmehr handelt es sich bei der Vernachlässigung von Gläubigerhandlungen um eine ungewollte Regelungslücke, die nach dem Vorbild von Konkurs- und Insolvenzordnung auszufüllen ist.

a) Gesetzesmaterialien fehlen. Die Ä ußerungen der an der Fassung der Gesamtvollstreckungsverordnung von 1990 maßgeblich beteiligten Ministerialbeamten geben zu der Frage nichts her (vgl. Lübchen/Landfermann ZIP 1990, 829, 834 f; Landfermann in Festschrift für Franz Merz 1992 S. 367, 378, 382). Die Verordnung der ehemaligen DDR über die Gesamtvollstreckung vom 18. Dezember 1975 (GBl.-DDR I 1976 Nr. 1 S. 5), die durch die Verordnung vom 6. Juni 1990 geändert und fortentwickelt wurde, enthielt keinerlei Anfechtungsvorschriften.

b) Bei der Auslegung der Gesamtvollstreckungsordnung ist deren besonderer Charakter zu berücksichtigen. Sie vereint als "Mittelweg" zwischen der zur Zeit ihrer Schaffung seit langem als reformbedürftig erkannten Konkursordnung und der damals noch nicht ausdiskutierten Insolvenzrechtsreform drei unterschiedliche Normenbereiche. Neben Vorschriften, die auf die Gesamtvollstreckungsverordnung der ehemaligen DDR von 1975 zurückgehen, enthält sie aus der Konkursordnung übernommene Regelungen und ferner Bestimmungen , die auf Vorstellungen der Insolvenzrechtsreform beruhen. Der Text der Gesamtvollstreckungsordnung ist bewußt knapp gefaßt und weist eine Vielzahl von Lücken auf. Diese sind häufig durch einen Rückgriff auf Vorschriften der Konkursordnung oder - soweit diese als reformbedürftig erkannt
wurden - durch die Heranziehung der Insolvenzrechtsreform, gegebenenfalls auch von Rechtsprinzipien, die Konkursordnung und Insolvenzordnung gemeinsam zugrunde liegen, systemgerecht zu schließen (vgl. BGHZ 131, 189, 199; 135, 30, 34 f; 139, 319, 322 f).

c) § 10 GesO regelt das gesamte Anfechtungsrecht in einer einzigen Vorschrift. Diese ist auf die Formulierung der Haupttatbestände der Anfechtung beschränkt und notwendig in vielen Punkten ergänzungsbedürftig. Den weitaus größten Teil anfechtbarer Rechtshandlungen machen Handlungen des Schuldners aus. Nach §§ 31, 32 KO, §§ 133, 134 InsO sind allein Schuldnerhandlungen anfechtbar. Für die Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GesO gilt nichts anderes. Die Frage der Anfechtung bloßer Gläubigerhandlungen stellt sich nur im Rahmen der besonderen Konkurs(Insolvenz)anfechtung gemäß § 30 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2 KO, §§ 130, 131 InsO sowie gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO. Auch hier stehen freilich Rechtshandlungen des Schuldners im Vordergrund. Dies spricht dafür, daß sich § 10 Abs. 1 GesO nur deshalb allein mit Rechtshandlungen des Schuldners befaßt, weil die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen , bei denen jede Mitwirkung des Schuldners fehlt, im Vergleich mit der Anfechtbarkeit von Schuldnerhandlungen in ihrer Bedeutung zurücktritt, daß damit aber Rechtshandlungen von Gläubigern und Dritten (vgl. Jaeger /Henckel, KO 9. Aufl. § 29 Rdn. 176 f) nicht von der Anfechtbarkeit ausgenommen werden sollten.
aa) Diese Annahme wird dadurch bestätigt, daß sowohl nach der Konkurs - als auch nach der Insolvenzordnung in der Krise vorgenommene Gläubigerhandlungen anfechtbar sind, mögen die Anfechtungsvoraussetzungen nach beiden Gesetzen auch nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Der diesen
Normen zugrundeliegende Schutzzweck der Gläubigergleichbehandlung - des Kernstücks jedes Insolvenzverfahrens (vgl. BGHZ 118, 151, 160) - gebietet hier eine Anfechtbarkeit ohne Rücksicht darauf, ob der Schuldner die Rechtshandlung vorgenommen oder an ihr durch positives Tun oder Unterlassen mitgewirkt hat oder ob sie allein von Gläubigern vorgenommen wurde. Darauf hat der Bundesgerichtshof in seiner neueren, den Wortlaut des § 30 Nr. 2 KO berichtigenden Rechtsprechung zum Merkmal der Begünstigungsabsicht bereits hingewiesen (BGHZ 128, 196, 200; vgl. auch BGHZ 136, 309, 312).
bb) § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO beruht auf dem gleichen Schutzzweck. Darin , daß die Gesamtvollstreckungsordnung das Gebot der Gläubigergleichbehandlung in der Krise durch § 7 Abs. 3 und § 2 Abs. 4 im Vergleich zu Konkursund Insolvenzordnung verstärkt hat, liegt kein hinreichender Grund, Gläubigerhandlungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz der Anfechtung ganz zu entziehen.
Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 InsO verlieren vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen zugunsten einzelner Gläubiger mit der Verfahrenseröffnung ihre Wirksamkeit. Damit werden - ähnlich wie mit der zeitlich allerdings beschränkten Vorschrift des § 88 InsO - lediglich solche Vollstreckungshandlungen erfaßt, die vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung nicht vollständig durchgeführt wurden, insbesondere nicht zur Befriedigung des Gläubigers geführt haben (vgl. BGHZ 128, 365, 368; 130, 347, 351 f; 140, 253, 257; BGH, Urt. v. 15. Juli 1999 - IX ZR 239/98, ZInsO 1999, 528, z.V.b. in BGHZ). Daß der Gläubiger, der sich durch einen schnellen Zugriff auf das Schuldnervermögen in der Krise über eine Sicherung hinaus sogar Befriedigung verschafft, nicht nur der Rechtsfolge des
§ 7 Abs. 3 Satz 1 GesO, sondern ohne weiteres auch der Anfechtbarkeit seiner Rechtshandlung entgehen sollte, erscheint durch nichts gerechtfertigt.
§ 2 Abs. 4 GesO zufolge sind nach Eingang des Antrags auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Aufrechnungen und Verrechnungen eines Gläubigers mit eigenen Ansprüchen gegen Forderungen des Schuldners, die nach Eingang des Eröffnungsantrags vorgenommen werden, grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 4 GesO i.V.m. § 394 BGB unwirksam (BGHZ 130, 76, 80 ff; 137, 267, 287; BGH, Urt. v. 21. März 1996 - IX ZR 195/95, WM 1996, 834, 835; v. 18. April 1996 - IX ZR 206/95, WM 1996, 1063, 1064; v. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95, WM 1996, 2250, 2251; v. 25. Februar 1999 - IX ZR 353/98, WM 1999, 781, 782). Für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die vor Eingang eines Antrags auf Verfahrenseröffnung beendet sind, gilt § 2 Abs. 4 GesO nicht; auf vor diesem Zeitpunkt vorgenommene Aufrechnungen und Verrechnungen findet die erwähnte Rechtsprechung keine Anwendung (vgl. BGHZ 130, 76, 86; BGH, Urt. v. 14. Januar 1999 - IX ZR 208/97, ZIP 1999, 289, 290, insoweit in BGHZ 140, 270, 271 nicht abgedruckt). Wollte man diese Rechtshandlungen von der Anfechtbarkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO ausnehmen, entstünde eine Schutzlücke, die mit den allgemein anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen , die den vergleichbaren Vorschriften von Konkurs- und Insolvenzordnung zugrunde liegen, nicht zu vereinbaren wäre und auf andere Weise - etwa durch Maßnahmen nach § 2 Abs. 3 GesO - nicht hinlänglich geschlossen werden könnte.

d) Ein Wille des Gesetzgebers der Gesamtvollstreckungsordnung, sich ohne zureichende Sachgründe derart von der Systemgerechtigkeit des überkommenen und künftigen Insolvenzanfechtungsrechts zu entfernen, hätte deutlicher zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das wäre etwa der Fall gewesen , wenn es im Text des § 10 GesO hieße, daß der Verwalter "nur" Rechtshandlungen des Schuldners anfechten kann. Allein aus dem Wortlaut von § 10 Abs. 1 vor Nr. 1 und Nr. 4 GesO und daraus, daß der Gesetzgeber ungeachtet mehrerer Ä nderungen des § 10 GesO und der langjährigen Diskussion einer Anfechtung von Gläubigerhandlungen nach dieser Vorschrift von einer Ä nderung des Wortlauts insoweit abgesehen hat, läßt sich ein solcher Wille nicht ableiten. Vielmehr ist der Wortlaut nach dem Sinn und Zweck der Norm im Wege richterlicher Rechtsfortbildung dahin zu ergänzen, daß unter den weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO auch Gläubigerhandlungen anfechtbar sind.
3. Dieses Verständnis von § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO wird im Anschluß an Fischer (Festschrift für Karlheinz Fuchs 1996 S. 57 ff = ZIP 1997, 717 ff) unterdessen auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur zunehmend vertreten (vgl. neben den Nachweisen in BGHZ 135, 30, 36 f OLG Dresden ZIP 1998, 1646, 1649 f; LG Halle ZIP 1997, 1849, 1850; LG Rostock ZIP 1999, 1852 f; Paulus ZIP 1997, 569, 575; Pape VIZ 1998, 297, 305; Haarmeyer /Wutzke/Förster, GesO 4. Aufl. § 10 Rdn. 16 ff; auch Striewe/Günther ZIP 1998, 1431, 1432, 1434).
4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts werden mit dieser Auslegung die Grenzen, die der richterlichen Rechtserkenntnis durch die Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gezogen sind (vgl.
BVerfGE 88, 145, 166 f), nicht überschritten. Anders als die Regelung des § 61 KO, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 65, 182 zugrunde lag (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGHZ 116, 319, 326), ist die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO keine nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließende Bestimmung, sondern steht der Rechtsfortbildung offen. Daran hat die Aufhebung der Gesamtvollstreckungsordnung durch Art. 2 Nr. 7 EG InsO nichts geändert. Soweit sie - wie hier nach Art. 103 EG InsO - weiter gültig bleibt, sind auf sie die anerkannten Methoden der Rechtsfindung auch fernerhin anzuwenden.

III.


Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die zwischen den Parteien streitigen Fragen zu prüfen, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Zahlungen eingestellt hatte und ob dem Beklagten die Zahlungsunfähigkeit bekannt war oder den Umständen nach bekannt sein mußte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 337/97, ZIP 1998, 2008, 2010 f; v. 14. Oktober 1999 - IX ZR 142/98, ZIP 1999, 1977, 1978). Paulusch Kreft Stodolkowitz Zugehör Ganter

(1) Der Insolvenzverwalter hat bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen.

(2) Vor der Gläubigerversammlung prüft das Insolvenzgericht die Schlußrechnung des Verwalters. Es legt die Schlußrechnung mit den Belegen, mit einem Vermerk über die Prüfung und, wenn ein Gläubigerausschuß bestellt ist, mit dessen Bemerkungen zur Einsicht der Beteiligten aus; es kann dem Gläubigerausschuß für dessen Stellungnahme eine Frist setzen. Der Zeitraum zwischen der Auslegung der Unterlagen und dem Termin der Gläubigerversammlung soll mindestens eine Woche betragen.

(3) Die Gläubigerversammlung kann dem Verwalter aufgeben, zu bestimmten Zeitpunkten während des Verfahrens Zwischenrechnung zu legen. Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend.

(4) Der Insolvenzplan kann eine abweichende Regelung treffen.

(1) Der Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung von ihm verlangen.

(2) Erfüllt der Verwalter seine Pflichten nicht, so kann das Gericht nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen ihn festsetzen. Das einzelne Zwangsgeld darf den Betrag von fünfundzwanzigtausend Euro nicht übersteigen. Gegen den Beschluß steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu.

(3) Absatz 2 gilt entsprechend für die Durchsetzung der Herausgabepflichten eines entlassenen Verwalters.