Bundesgerichtshof Urteil, 22. Juli 2015 - IV ZR 9/13


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Streitwert wird auf 11.054,26 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträgeeiner Lebensversicherung.
- 2
- Diese wurde aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. April 1997 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit Schreiben vom 10. Juli 1996 mit dem Versicherungsschein die Versiche- rungsbedingungen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
- 3
- D. VN zahlte bereits ab 1. Oktober 1996 und in der Folge die Prämien , insgesamt 10.935 €. Mit Schreiben vom 26. April 2000 erklärte er die Kündigung des Versicherungsvertrages. Der Versicherer akzeptierte diese und zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom Januar 2011 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., § 8 VVG und den Widerruf nach § 355 BGB.
- 4
- Mit der Klage verlangt d. VN insbesondere Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge zuzüglich 7% Anlagezinsen nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
- 5
- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
- 6
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 7
- Die Revision hat keinen Erfolg.
- 8
- I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsfrist sei als Folge der Übersendung des Versicherungsscheins nebst allen Unterlagen in Gang gesetzt worden. Die erteilte Widerspruchsbelehrung sei drucktechnisch deutlich hervorgehoben und umfasse Beginn und Dauer der Widerspruchsfrist sowie die Form des Widerspruchs. Innerhalb der 14-tägigen Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. habe d. VN den Widerspruch nicht erklärt. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.
- 9
- II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
- 11
- 1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versicherungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und entgegen der Ansicht der Revision auch eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung in drucktechnisch deutlicher Form. Die Revision beanstandet ohne Erfolg, dass der Adressat des Widerspruchs nicht klar erkennbar sei. Dieser steht mit vollständiger Anschrift deutlich sichtbar im Kopf des Policenbegleitschreibens. Die Benennung der Bezirksdirektion als Teil der Beklagten verwirrt nicht. D. VN weiß, dass Vertragspartner der Versicherer ist.
- 12
- 2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG WM 2015, 514 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit , den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist blieb bei Vertragsschluss 1996 ungenutzt. D. VN zahlte über dreieinhalb Jahre die Versicherungsprämien. Erst Ende April 2000 erfolgte die Kündigung, wobei bis zur Erklärung des Widerspruchs nochmals fast 11 Jahre vergingen. Dieses Verhalten des bereits 1996 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet, was für d. VN auch erkennbar war.
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Gießen, Entscheidung vom 12.06.2012- 3 O 394/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 14.12.2012- 7 U 182/12 -

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