Bundesgerichtshof Urteil, 22. Sept. 2003 - II ZR 172/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin will auf dem Weg der Unterlassungsklage - gestützt auf das von ihr beanspruchte Eigentum an vier Segmenten für den Turm einer Windkraftanlage - die Verbauung dieser Turmsegmente durch die Beklagte zu 1 verhindern.
Die Beklagte zu 1, deren Komplementärin die Beklagte zu 2 ist, schloß am 11. August 1998 mit der sich inzwischen in Insolvenz befindenden S. GmbH (im folgenden: S.) eine als Kaufvertrag überschriebene Vereinbarung über die Lieferung, Montage, Inbetriebnahme und Abnahme von drei Windkraftanlagen zum Preis von insgesamt 4.366.240,00 DM. Mit Faxschreiben vom 15. Oktober 1998 bestellte die S. daraufhin bei der Klägerin zwei Stahlrohrtürme zur Befestigung des Windrades zum Preis von jeweils 225.000,00 DM zzgl. MwSt. Die Klägerin fertigte am 14. Januar 1999 eine Bestätigung dieser Bestellung unter Bezugnahme auf die "beiliegenden Verkaufs- und Lieferbedingungen", wobei aber der Zugang dieses Schreibens bei der S. bestritten ist. Noch vor jedweder Auslieferung hatte die Beklagte zu 1 bereits am 30. Dezember 1998 die mit der S. vereinbarte Vertragssumme von 4.366.240,00 DM an diese bezahlt.
Nachdem die S. die Klägerin in der Folge auch noch mit dem Transport der Stahlrohrtürme sowie zweier Fundamenttöpfe beauftragt hatte, wurden die Stahlrohrtürme am 6. April 1999 zur Baustelle J. in B. geliefert. Auf den Rechnungsbetrag für die Stahlrohrtürme in Höhe von 522.000,00 DM inkl. MwSt. bezahlte die S. lediglich einen Betrag von 234.900,00 DM. Der Restbetrag blieb ebenso offen wie die Frachtkosten der Klägerin in Höhe von insgesamt 48.546,00 DM.
Die Klägerin trägt vor, sie sei aufgrund von § 7 ihrer Allgemeinen Verkaufs - und Lieferbedingungen, auf welche sie bereits mit Abgabe eines Angebots vom 11. März 1998 an die S. und ebenso bei der Auftragsbestätigung am 14. Januar 1999 hingewiesen habe und welche den Schreiben jeweils auch beigefügt gewesen seien, Eigentümerin der gelieferten Turmsegmente geblieben, weil ein verlängerter Eigentumsvorbehalt vereinbart gewesen sei.
Sie ist weiterhin der Ansicht, die Beklagten hätten das Eigentum an den Turmsegmenten auch nicht gutgläubig erworben, weil ihnen infolge grober Fahrlässigkeit der im Bereich des Anlagen-, Stahl- und Silobaus handelsübliche Eigentumsvorbehalt unbekannt geblieben sei.
Die Beklagten sind demgegenüber der Ansicht, die Beklagte zu 1 habe mit der Auslieferung in J. in Vollziehung des Vertrages mit der S. von dieser das Eigentum an den vier Turmsegmenten erworben, weil die Übergabe durch die Klägerin als Geheißperson der S. erfolgt sei. Zumindest aber habe die Beklagte zu 1 das Eigentum im guten Glauben an die Verfügungsbefugnis der S. gemäß §§ 929 Abs. 1, 932 BGB, § 366 Abs. 1 HGB erworben.
Das Landgericht hat dem Begehren der Klägerin, die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, die am Standort 3 des Windparks J. gelagerten vier Segmente eines der gelieferten Türme zu verbauen, stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen , weil die Klägerin im Wege eines Streckengeschäfts das Eigentum zumindest an die Beklagte zu 1 verloren habe.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Beklagte zu 1 habe zumindest gutgläubig das Eigentum an den Turmsegmenten erworben, so daß im Ergebnis dahinstehen könne, ob die S. im Wege des Durchgangserwerbs Eigentum erworben habe. Dementsprechend hat es offen gelassen, ob es beim An- und Verkauf von Windkraftanlagen einem Handelsbrauch entspricht, daß der Lieferant bis zur vollständigen Bezahlung Eigentümer bleibt, also ein verlängerter Eigentumsvorbehalt gilt. Da diese Frage sowohl für einen Eigentumserwerb durch die S. als auch hinsichtlich eines gutgläubigen Erwerbs durch die Beklagte zu 1 (vgl. Sen.Urt. v. 9. November 1998 - II ZR 144/97, ZIP 1998, 2155, 2156 f.) entscheidungserheblich ist, hält das Berufungsurteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
I. Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, daß die Vereinbarung zwischen der Klägerin und der S. auf eine Übergabe und Eigentumsverschaffung zielte (vgl. hierzu Sen.Urt. aaO), ohne daß es einer Abnahme bedurfte.
1. Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich hinsichtlich der beiden Rohrtürme nicht um einen Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen gemäß § 651 Abs. 1 BGB a.F., so daß vor einer Abnahme des Werkes eine Übereignung erfolgen konnte. Die Bestellung vom 15. Oktober 1998 betraf zwei Stahlrohrtürme, Typ S 46 (72,5 m), wobei eine Montageverpflichtung der Klägerin ausdrücklich ausgeschlossen war (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22. Juli 1998 - VIII ZR 220/97, ZIP 1998, 1722, 1723); es handelte sich entweder um einen Sachkauf oder um einen Werklieferungsvertrag über vertretbare Sachen (§ 651 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. § 91 BGB), auf den die Vorschriften des Kaufrechts Anwendung finden (§ 651 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. BGB a.F.). Wie sich bereits aus der Typbezeichnung in der Bestellung und dem Bestätigungsschrei-
ben der Klägerin ergibt, stammten die Turmsegmente entweder aus einer Serienproduktion der Klägerin oder waren aufgrund der Bestellung nach Katalog gefertigt worden, so daß nicht die entgeltliche Schöpfung eines Werkes gerade für den Besteller, sondern die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz im Vordergrund stand (vgl. BGHZ 48, 118, 121; BGH, Urt. v. 24. November 1976 - VIII ZR 137/75, NJW 1977, 379; Urt. v. 12. März 1986 - VIII ZR 332/84, NJW 1986, 1927; Urt. v. 22. Juli 1998 - VIII ZR 220/97, ZIP 1998, 1722, 1723). Selbst wenn, wie die Revision behauptet, der Bestellung Abweichungen im Detail zugrunde lagen - wofür sich aber aus der Auftragsbestätigung der Klägerin nichts ergibt - folgt daraus nicht, daß die Turmsegmente für die Klägerin anderweit nur schwer oder gar nicht abzusetzen gewesen wären.
2. Das Berufungsgericht geht weiterhin davon aus, daß die Klägerin den Nachweis für die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts durch Einbeziehung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht erbringen konnte. Diese - vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbare - tatrichterliche Wertung läßt durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen. Mit den dagegen gerichteten Angriffen versucht die Revision in unzulässiger Weise, die vom Oberlandesgericht vorgenommene Beweiswürdigung durch ihre eigene Wertung zu ersetzen. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß die S. das Angebot der Klägerin vom 11. März 1998 erhalten hätte, folgte aus diesem Umstand nicht zwingend , daß dem Angebot auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beigefügt waren.
II. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts konnte es bei dieser Sachlage allerdings nicht offen bleiben, ob im Handel mit Windkraftanlagen eine Branchenüblichkeit im Sinne eines Handelsbrauchs (§ 346 HGB) dahingehend
besteht, daß auch ohne ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Vertragsparteien nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert wird (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 9. Aufl. § 2 Rdn. 90).
1. Gerade wenn es - wie das Berufungsgericht in noch hinnehmbarer tatrichterlicher Würdigung angenommen hat - an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt, ist der zwischen der Klägerin und der S. geschlossene Vertrag unter Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche (§ 346 HGB) auszulegen. Wird im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Windkraftbranche ein verlängerter Eigentumsvorbehalt auch ohne entsprechende Vereinbarung anerkannt, gälte ein solcher Handelsbrauch auch ohne Bezugnahme hierauf oder Beifügung einer entsprechenden Klausel für die Geschäftsbeziehungen der Klägerin und der S. (vgl. BGH, Urt. v. 24. November 1976 - VIII ZR 21/75, NJW 1977, 385, 386; Ulmer/ Brandner/Hensen aaO). In diesem Fall schiede ein Eigentumserwerb der S. an den Turmsegmenten durch deren Anlieferung an der Baustelle aus. Die auch zugunsten des mittelbaren Besitzers einer beweglichen Sache geltende Vermutung des § 1006 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB, daß dieser mit der Erlangung des mittelbaren Besitzes Eigentümer geworden ist (BGHZ 64, 395, 396), wäre hierdurch widerlegt.
2. Rechtsfehlerhaft ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts, Feststellungen zum Bestehen des genannten Handelsbrauchs seien deswegen entbehrlich, weil die Beklagte zu 1 das Eigentum an den von der Klägerin angelieferten Bauteilen nach § 932 BGB, § 366 HGB jedenfalls gutgläubig erworben habe.
Der Erwerber einer Sache handelt auch dann grob fahrlässig, wenn er nach den Umständen - insbesondere bei Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs - mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt des Vorlieferanten rechnen muß und weiß, daß die für die Verfügungsbefugnis im Rahmen eines solchen verlängerten Eigentumsvorbehalts konstitutive Vorausabtretung ins Leere geht, weil er selbst seine Leistung an seinen abtretungspflichtigen Vertragspartner im voraus bereits erbracht hat. Da sowohl die S. als auch die Beklagte zu 1 derselben Branche wie die Klägerin angehören, hätten sie mit einem derartigen kraft Handelsbrauchs bestehenden verlängerten Eigentumsvorbehalt rechnen müssen, so daß bei Fehlen gegenteiliger Abreden zwischen den Beteiligten ein gutgläubiger Erwerb der Beklagten zu 1 ausscheiden würde.
III. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem damit nicht nur die Möglichkeit gegeben wird, die von der Revision erhobenen weiteren Rügen - vor allem zur Frage eines Übereignungswillens der Klägerin - zu
prüfen, sondern auch die gegebenenfalls erforderlichen weiteren Feststellungen zu treffen.
Vorsitzender Richter am BGH Dr. Röhricht kann urlaubsbedingt nicht unterschreiben Goette Goette Kraemer Graf Strohn
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Die Billigung eines auf Probe oder auf Besichtigung gekauften Gegenstandes kann nur innerhalb der vereinbarten Frist und in Ermangelung einer solchen nur bis zum Ablauf einer dem Käufer von dem Verkäufer bestimmten angemessenen Frist erklärt werden. War die Sache dem Käufer zum Zwecke der Probe oder der Besichtigung übergeben, so gilt sein Schweigen als Billigung.
Unter Kaufleuten ist in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.
Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll. Ist der Erwerber im Besitz der Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des Eigentums.
(1) Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. In dem Falle des § 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
(1) Veräußert oder verpfändet ein Kaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes eine ihm nicht gehörige bewegliche Sache, so finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute Glaube des Erwerbers die Befugnis des Veräußerers oder Verpfänders, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen, betrifft.
(2) Ist die Sache mit dem Rechte eines Dritten belastet, so finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute Glaube die Befugnis des Veräußerers oder Verpfänders, ohne Vorbehalt des Rechtes über die Sache zu verfügen, betrifft.
(3) Das gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs, des Frachtführers oder Verfrachters, des Spediteurs und des Lagerhalters steht hinsichtlich des Schutzes des guten Glaubens einem gemäß Absatz 1 durch Vertrag erworbenen Pfandrecht gleich. Satz 1 gilt jedoch nicht für das gesetzliche Pfandrecht an Gut, das nicht Gegenstand des Vertrages ist, aus dem die durch das Pfandrecht zu sichernde Forderung herrührt.
Vertretbare Sachen im Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen.
Unter Kaufleuten ist in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.
(1) Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. In dem Falle des § 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
(1) Veräußert oder verpfändet ein Kaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes eine ihm nicht gehörige bewegliche Sache, so finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute Glaube des Erwerbers die Befugnis des Veräußerers oder Verpfänders, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen, betrifft.
(2) Ist die Sache mit dem Rechte eines Dritten belastet, so finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auch dann Anwendung, wenn der gute Glaube die Befugnis des Veräußerers oder Verpfänders, ohne Vorbehalt des Rechtes über die Sache zu verfügen, betrifft.
(3) Das gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs, des Frachtführers oder Verfrachters, des Spediteurs und des Lagerhalters steht hinsichtlich des Schutzes des guten Glaubens einem gemäß Absatz 1 durch Vertrag erworbenen Pfandrecht gleich. Satz 1 gilt jedoch nicht für das gesetzliche Pfandrecht an Gut, das nicht Gegenstand des Vertrages ist, aus dem die durch das Pfandrecht zu sichernde Forderung herrührt.