Bundesgerichtshof Urteil, 15. Apr. 2008 - 5 StR 44/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
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- Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die nach der Revisionshauptverhandlung nurmehr mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
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- 1. Der – nach dem Genuss von höchstens 1,3 Litern Bier leicht angetrunkene – Angeklagte begab sich am frühen Abend des Tattages zu einer Verabredung mit dem Nebenkläger, mit dem er Streit um eine von ihm zutreffend für unberechtigt gehaltene Geldforderung des Nebenklägers über 500 Euro – im Zusammenhang mit dem Verhältnis beider Männer zu einer Prostituierten sechs Jahre zuvor – hatte. Während der unbewaffnete Nebenkläger sechs Begleiter zu dem Treffen mitbrachte, hatte der Angeklagte nur zwei Männer als Beistand; er hatte indes ein Springmesser eingesteckt und hielt in seinem Fahrzeug einen Baseballschläger und – verborgen – ein weiteres Springmesser griffbereit. Nach einem getrennt von den jeweiligen Be- gleitern geführten verbalen Streit zwischen den Kontrahenten begab sich der Angeklagte zu seinem Fahrzeug, der Nebenkläger folgte ihm, bemerkte den im Auto des Angeklagten liegenden Baseballschläger, wollte ihn ergreifen, wurde daran jedoch von einem auf dem Beifahrersitz sitzenden Begleiter des Angeklagten gehindert, der seinerseits den Schlagstock ergriff. In dieser Situation rief der Nebenkläger – einer Mahnung des Angeklagten zuwiderhandelnd – seine Begleiter herbei. Als diese sich daraufhin näherten, zog der Angeklagte das Springmesser aus der Tasche und stach damit dem ihm in diesem Moment den Rücken zuwendenden Nebenkläger unvermittelt zweimal in den Rücken und sodann, als dieser sich umwandte, mit erheblicher Gewalt zweimal tief in die Brust, schließlich, als der schwer verletzte, am Herzbeutel getroffene Nebenkläger sich zu seinen sich nähernden Begleitern zu schleppen anschickte, nochmals von hinten in die Schulter. Der Angeklagte , der bei den Bruststichen den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf genommen hatte, fuhr alsbald mit seinem Fahrzeug davon. Seine Begleiter überredeten ihn erfolgreich, sich der Polizei zu stellen. Der lebensgefährlich verletzte Nebenkläger wurde von seinen Begleitern ins Krankenhaus gefahren und durch eine Notoperation gerettet.
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- 1. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Zu Wahrunterstellungen im Zusammenhang mit dem Eindruck eines Polizeibeamten bei der freiwilligen Selbststellung hat sich das Schwurgericht im Urteil nicht in Widerspruch gesetzt. Die in dieser späteren Situation bemerkte enttäuschte Erwartung des Angeklagten, der Nebenkläger werde nicht schwer verletzt sein, stellt bei seinem beobachteten und durch die tatsächlich erlittenen Verletzungen objektivierten Tatverhalten die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes und – angesichts des von Zeugen beobachteten, selbstverständlich auch vom Angeklagten bemerkten Erscheinungsbildes des mit bluttriefender Oberbekleidung fortwankenden Opfers – die Annahme mangelnden Rücktritts vom beendeten Versuch nicht in Frage.
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- 2. Aus diesen Gründen versagen zugleich die sachlichrechtlichen Einwände der Revision gegen den Tötungsvorsatz und die Versagung eines strafbefreienden Rücktritts. Auch sonst bleibt die Sachrüge ohne Erfolg.
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- a) Rechtswidrigkeit und Schuld stehen außer Frage. Auch die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB durch das Schwurgericht ohne Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe ist sachlichrechtlich nicht zu beanstanden.
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- Zutreffend hat das Schwurgericht weder aus der leichten Alkoholisierung des Angeklagten noch aus seiner affektiven Erregung Anhaltspunkte für eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten abgeleitet, der sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger durch seine Bewaffnung vorbereitet, sich geordnet vom Ort des Geschehens zurückgezogen und ferner eine detailreiche Erinnerung an das Tatgeschehen hatte. Unter diesen Voraussetzungen liegt ersichtlich kein Fall vor, in dem sich aus ungewöhnlichen Diskrepanzen zwischen Tatbild und Täterpersönlichkeit schon sachlichrechtlich entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben hätten, die dem Schwurgericht eine eigene Beurteilung der Schuldfähigkeit ohne sachverständige Hilfe nicht erlaubt hätten, wie es bei der Fallgestaltung gegeben war, die dem Senatsurteil vom 30. August 2007 – 5 StR 197/07 (BGHR StGB § 21 Sachverständiger 13) zugrunde lag, in dem der Generalbundesanwalt Anlass zu einem Terminsantrag gefunden hat.
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- Einen auf eine relevante Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zielenden Beweisantrag hat der Angeklagte – anders als im Fall des weiteren vom Generalbundesanwalt herangezogenen Senatsurteils vom 30. August 2007 – 5 StR 193/07 (BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 13) – ebenso wenig zum Gegenstand seiner Revision gemacht wie eine dahingehende Aufklärungsrüge (vgl. hierzu den Senatsbeschluss vom 29. November 2006 – 5 StR 329/06, NStZ-RR 2007, 83). Indes hätte auch insoweit gegolten, dass das Tatgericht in Kapitalstrafsachen nicht stets – so absehbar auch nicht unbedingt im vorliegenden Fall – aus Gründen der Aufklärungspflicht zur Hinzuziehung eines Schuldfähigkeitsgutachters verpflichtet ist (vgl. den zur Veröffentlichung in BGHR bestimmten Beschluss des 1. Strafsenats vom 5. März 2008 – 1 StR 648/07).
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- Dies ändert freilich nichts daran, dass namentlich in Schwurgerichtssachen , beispielsweise aber auch bei Brandstiftungsdelikten, in der Mehrzahl der Fälle besonders gelagerte Tatbilder und Persönlichkeitskonflikte zu beurteilen sind, die den Tatgerichten – und bereits der Staatsanwaltschaft – schon frühzeitig im Verfahren begründeten Anlass geben, einen psychiatrischen Sachverständigen zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten heranzuziehen; nicht selten gebietet dies die Aufklärungspflicht. Auch jenseits davon wird mit der frühzeitigen Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit in Fällen dieser Art der zeitgerechten Sacherledigung optimal Rechnung getragen. Es wird so nämlich vermieden, dass sich das Tatgericht erst in der Hauptverhandlung – mehr oder weniger deutlich vorhersehbar – mit gewichtigen seelischen Konfliktsituationen des Angeklagten bei Begehung der Tat konfrontiert sieht, ohne dass es sich noch selbst zutrauen dürfte, deren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit beurteilen zu können.
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- b) Die Strafrahmenbestimmung, insbesondere die Versagung des § 213 StGB, ist nicht zu beanstanden. Dem nicht unbeträchtlichen Mitverschulden des Nebenklägers an der Eskalation des Streits durch sein verwerf- liches Vorverhalten ist in der auch sonst nicht zu beanstandenden Strafzumessung hinreichend Rechnung getragen worden.
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
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eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.