Bundesgerichtshof Urteil, 30. Aug. 2007 - 5 StR 193/07

bei uns veröffentlicht am30.08.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 193/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 30. August 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Z.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt K. ,
Rechtsanwalt S.
alsVertreterderNebenkläger
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. Januar 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der zur Tatzeit 20-jährige Angeklagte und seine Freunde, die Zeugen K. und Sch. , trafen sich am Abend des 7. Juni 2006 mit weiteren Bekannten und konsumierten alkoholische Getränke. Einige Zeit später bega- ben sie sich mit ihren Fahrrädern zum Bahnhofsvorplatz in Nauen, um dort „abzuhängen“. Wie gewöhnlich führte der Angeklagte in seiner Hosentasche ein aufklappbares Butterflymesser mit einer Klingenlänge von etwa 15 cm bei sich. Zur selben Zeit begab sich das spätere Opfer, H. , mit einigen Kollegen zum Bahnhof Nauen, um von dort aus nach Berlin zu fahren. H. und sein Kollege M. , die in Nauen eine Betriebsfeier hatten, waren in auch alkoholbedingt enthemmter Stimmung und sangen Fußballlieder anlässlich der seinerzeit stattfindenden Fußballweltmeisterschaft. Dies störte den Angeklagten, der sich mit seinen Freunden noch auf dem Bahnhofsvorplatz befand. Als Reaktion auf das Singen und Grölen warf entweder der Angeklagte oder einer seiner Freunde eine Flasche vom Bahnhofsvorplatz hoch auf die Gleise am Bahnsteig, wo inzwischen H. mit seinen Kollegen angekommen war. H. rief daraufhin: „Schwuchtel, geh doch zu Mami!“ in Richtung Bahnhofsvorplatz, wobei er den Angeklagten und seine Freunde nicht sehen konnte und deshalb auch nicht wusste, wer die Flasche geworfen hatte. Danach wurde mindestens noch eine weitere Flasche von unten nach oben geworfen, woraufhin H. und M. in Richtung Bahnhofsvorplatz riefen, man möge mit dem Werfen aufhören. Das beantworteten der Angeklagte, K. oder Sch. mit dem Ruf, dass man gleich hochkommen werde. H. erwiderte: „Dann mach doch!“. Alsdann beruhigte sich die Situation wieder; der Angeklagte und seine Freunde unterhielten sich weiter auf dem Bahnhofsvorplatz.
4
Gleichwohl entschloss sich der Angeklagte, der sich nachhaltig durch das „Fußballliedgegröle“ gestört gefühlt hatte, nach oben auf den Bahnsteig zu gehen und einen Streit anzufangen, wobei er sich bewusst war, ein Messer bei sich zu führen. Für ihn und seine Freunde war klar, dass es zu einer tätlichen und nicht nur verbalen Auseinandersetzung kommen würde. Oben angekommen, schob der Angeklagte sein Fahrrad in Richtung auf H. , der ganz hinten am Bahnsteig auf einer Wartebank saß. Er sprach H. an, der mit den Worten: „Verpiss Dich, ich hab’ gute Laune“ reagierte. Nunmehr stellte der Angeklagte sein Fahrrad an einem Pfeiler ab, holte sein Butterflymesser aus der Tasche und hielt es H. mit der scharfen Seite an den Hals. Hierdurch entstand eine Verletzung der oberen Hautschicht. H. sprang auf und wich zunächst zurück, während der Angeklagte mit dem Messer in der Hand auf ihn zuging. Sie schubsten sich gegenseitig , wobei H. versuchte, den Angeklagten mit Schlägen abzuwehren. Währenddessen rief er: „Stich doch!“ und Worte wie „Penner“ und „Wichser“. Insgesamt zeigte er sich von dem Messer des Angeklagten nicht sonderlich beeindruckt.
5
Spätestens zu Beginn des Gerangels entschloss sich der Angeklagte, das Messer aktiv gegen H. einzusetzen. Dabei war ihm der Tod H. s gleichgültig; vorrangig wollte er sich gegenüber seinen Kumpanen Sch. und K. keine Blöße geben. Er stach auf sein Opfer ein und traf es zunächst in die linke vordere Achselfalte. H. wehrte sich immer noch und rief: „Na komm doch“ oder ähnlich auffordernde Worte. Zwei weitere Stiche trafen ihn in die Flanke und die linke Brustseite, wobei die linke Brusthöhle eröffnet und das Herz verletzt wurde. H. lief noch einige Schritte und fiel dann zu Boden, während sich der Angeklagte mit seinem Fahrrad entfernte. H. verstarb noch auf dem Bahnsteig.
6
Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als Totschlag bewertet, eine Notwehrsituation ausgeschlossen und die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlags im Sinne von § 213 StGB verneint, weil der Angeklagte – eine Ehrverletzung durch die Worte des Opfers unterstellt – jedenfalls nicht spontan darauf reagiert habe. Vielmehr sei er bedächtig, zielgerichtet und „eiskalt“ vorgegangen. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat die Strafkammer verneint: Eine alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (nach Trinkmengenberechnung und Angaben eines rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommene Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: 0,89 Promille) des alkoholgewöhnten Angeklagten habe nicht vorgelegen. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Ange- klagte in geistiger Hinsicht von der Norm abweiche. Darüber hinaus seien entwicklungsbedingte Schwierigkeiten, den Anreizen zur Tat mit hinreichenden Hemmungsvorstellungen zu begegnen, bei dem Angeklagten nicht festgestellt worden.

II.


7
Die Einwände der Revision gegen den Schuldspruch, speziell die tatrichterliche Beweiswürdigung, insbesondere im Zusammenhang mit der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes, sind entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer beanstandet jedoch zutreffend die Ablehnung eines Beweisantrages als rechtsfehlerhaft. Mit dieser Verfahrensrüge hat die Revision den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
8
Die Verteidigung des Angeklagten hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig oder zumindest erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei. Zur Begründung bezog sie sich auf einen durch das beantragte Gutachten erwarteten Nachweis einer mindestens erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkohols und Erregung. Diesen Beweisantrag wies der Tatrichter im wesentlichen unter Hinweis auf die eigene Sachkunde mit der Begründung zurück, weder aus der Lebensgeschichte noch aus der Tat des Angeklagten ergäben sich Anknüpfungstatsachen , welche die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens erforderlich machten.
9
Bei – jedenfalls nicht von langer Hand geplanten – Tötungsdelikten erweist es sich, insbesondere im Bereich des Jugendstrafrechts, in der Mehrzahl der Fälle als sachgerecht, einen psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen. Daher ist insoweit eine fehlende oder nur knappe, allein auf gerichtliche Sachkunde gestützte Begründung für das Vorliegen uneinge- schränkter Schuldfähigkeit schon sachlich-rechtlich nicht unbedenklich (vgl. Senatsurteil vom heutigen Tage – 5 StR 197/07). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch Nichthinzuziehung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit liegt regelmäßig nicht fern (vgl. BGH NStZ 2006, 49; BGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 5 StR 329/06). Im vorliegenden Fall ergeben sich zudem aus den Urteilsausführungen fallbezogene Besonderheiten , die eine Begutachtung entgegen der Auffassung des Landgerichts nahe legten (vgl. BGH NStZ 2003, 363, 364). Das Landgericht hat seine eigene Sachkunde jedenfalls mangels hinreichender Beachtung dieser Besonderheiten auch weder in dem den Antrag zurückweisenden Beschluss noch in den Urteilsgründen ausreichend belegt.
10
Der Angeklagte hatte erhebliche Schulprobleme, wiederholte die sechste Klasse und verließ die Schule im Jahre 2002 nach der achten Klasse , die er ebenfalls zweimal durchlaufen musste. Nach dem sich anschließenden berufsvorbereitenden Jahr wurde ihm nicht die Eignung für eine Berufsausbildung , sondern nur die Eignung für eine Helfertätigkeit bescheinigt. Das ihm gleichwohl vermittelte Lehrverhältnis wurde von Seiten des Arbeitgebers noch in der Probezeit gekündigt. Der Angeklagte begann, vermehrt dem Alkohol zuzusprechen und nahm – allerdings in geringen Mengen – auch Cannabis zu sich. Als sich seine Freundin im Sommer 2004 von ihm trennte, steigerte er seinen Alkoholkonsum und ritzte sich möglicherweise an den Armen. Unter Alkoholeinfluss reagiert er besonders aggressiv und fühlt sich schon bei nichtigen Anlässen angegriffen. Im Urteil wird in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der Angeklagte nur über eine geringe Frustrationstoleranz verfügt.
11
All dies kann auch im Zusammenhang mit dem gruppendynamischen Hintergrund des Tatgeschehens die Annahme gedanklicher Beherrschung und willensmäßiger Steuerung der tatlenkenden gefühlsmäßigen Regungen des Angeklagten bei der offensichtlich völlig überzogenen mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerattacke in Frage stellen. Hinzu kommt, dass der Tat Handlungen und Wortwechsel vorausgegangen sind, die jedenfalls aus der Sicht eines leicht kränkbaren, zudem angetrunkenen und in diesem Zustand übermäßig reizbaren Heranwachsenden beleidigenden Charakter hatten. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte habe bedächtig, zielgerichtet und „eiskalt“ gehandelt, nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Tatsache, dass Zeugen sein äußeres Erscheinungsbild in dieser Weise bewertet haben, genügt jedenfalls nicht, die psychische Befindlichkeit des Angeklagten bei Ausführung der Tat ausreichend zu erfassen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 2004 – 5 StR 351/03). Auch die vom Landgericht für die Annahme unverminderter Schuldfähigkeit herangezogenen Tatsachen, nämlich dass der Angeklagte gewaltfrei erzogen worden sei und dass Gehirnverletzungen oder schwere Erkrankungen nicht vorgelegen hätten, sind nicht hinreichend aussagekräftig; jedenfalls sind sie nicht geeignet, eine relevante affektive Erregung des Angeklagten bei Begehung der auch für ihn außergewöhnlichen Tat auszuschließen.
12
Bei dieser Sachlage bedarf die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war – die Voraussetzungen des § 20 StGB liegen ersichtlich nicht vor – mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen erneuter Prüfung. Der Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe kann deshalb nicht bestehen bleiben. Da der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass nach Anhörung eines Sachverständigen auch die Verhängung einer Maßregel in Betracht kommen könnte, hebt er den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger

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2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt P.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 10. Januar 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
3
Am 17. Juni 2006 besuchte der Angeklagte mit dem Zeugen T. eine „Musikkneipe“ in Potsdam, wo sich zu dieser Zeit auch der später getötete F. aufhielt. Da dem Angeklagten die Musik nicht zusagte, teilte er dem Zeugen T. kurz vor 2.00 Uhr mit, dass er auf der Straße auf ihn warten würde. In dem Lokal kam es kurze Zeit später zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen jungen Leuten, die dazu führte, dass der Betreiber der Gaststätte einige Gäste des Hauses verwies. Zwei der am Handgemenge Beteiligten, das spätere Opfer und dessen Cousin K. , führte er in einen Nebenraum des Lokals und versuchte vergeblich, sie zu beruhigen. Beide rannten „brüllend“ nach draußen auf den Innenhof in Richtung auf das verschlossene Gittertor, das den Hof von der Straße trennte. F. gelang es, das Tor mit dem Fuß aufzustoßen, wobei das nach vorne schwingende Tor den dahinter stehenden Angeklagten möglicherweise an Kopf und Knie traf. Sodann ging F. auf den Zeugen E. los, der jedoch von anderen weggezogen und in Sicherheit gebracht wurde. Gleichwohl schlug F. immer noch wild um sich und suchte Streit. Inzwischen mischten sich auch unbeteiligte Passanten in die Schlägerei ein und versuchten, zu schlichten. F. und K. gebärdeten sich jedoch weiter gewalttätig und beleidigten und beschimpften ihre Kontrahenten möglicherweise auch mit ausländerfeindlichen Parolen.
4
Während K. sich nach einiger Zeit von den Streitenden zurückzog , blieb F. immer noch aufgebracht und um sich schlagend auf der Straße. Der Zeuge T. versuchte, ihn zu beruhigen, und redete begütigend auf ihn ein. Nunmehr ging der Angeklagte, der bis dahin an den Streitigkeiten nicht beteiligt war, auf F. zu und ohrfeigte ihn. F. schlug zurück. Der Zeuge T. schubste den Angeklagten ein Stück von F. weg, wobei er erneut auf F. einredete, der sich allmählich beruhigte und „zu sich zu kommen“ schien. Er schlug nicht mehr um sich und machte auch keine Anstalten, jemanden anzugreifen.
5
Spätestens jetzt holte der Angeklagte aus seiner Bauchtasche ein Schweizer Taschenmesser hervor, bewegte sich ein paar Schritte auf F. zu und stieß ihm das Messer mit einer kraftvollen ruckartigen Vor- wärtsbewegung in die „Herz/Lungengegend“. Der Stich drang in das Herz ein, wobei die Herzspitze 0,9 cm eingestochen wurde. Sodann zog der Angeklagte das Messer – ebenfalls mit großem Kraftaufwand – wieder aus dem Körper seines Opfers heraus; F. brach nach einigen Sekunden zusammen und starb noch am Tatort. Der Angeklagte starrte eine Weile auf das Messer, entfernte sich alsdann vom Tatort und warf das Messer später weg. Einen Tag danach stellte er sich der Polizei.
6
Das Landgericht hat die Tat als Totschlag bewertet und eine Notwehrsituation im Sinne von § 32 StGB verneint. Auf den zur Tatzeit Achtzehnjährigen hat es Jugendstrafrecht angewendet und wegen der Schwere der Schuld gemäß § 17 JGG eine Jugendstrafe verhängt, die auf sieben Jahre festgesetzt worden ist.
7
2. Die erhobenen Verfahrensrügen sind entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 11. Mai 2007 unbegründet. Dasselbe gilt für die sachlich-rechtlichen Einwände des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch. Jedoch kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
8
Es ist rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer keine hinreichenden Erwägungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten angestellt hat. Allein die Tatsache , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol stand, machte eine Erörterung seiner Steuerungsfähigkeit nicht entbehrlich. Hierzu hätte schon im Hinblick auf die ungewöhnliche Diskrepanz zwischen Tat und Täterpersönlichkeit Anlass bestanden. So hat der Angeklagte die Gesamtschule erfolgreich bis zur 10. Klasse durchlaufen und hatte die Zusage, an das Oberstufenzentrum zu wechseln. Von seinen Lehrern wird er als zuverlässig, verantwortungsbewusst, tolerant, kooperativ und hilfsbereit eingeschätzt; mit Konflikten sei er kompromissbereit und sachlich umgegangen und habe bei schwierigen Situationen innerhalb von Ausländergruppen oft vermittelt. Zudem war der Angeklagte familiär und so- zial gut eingebunden. Er konsumierte weder Alkohol noch Drogen und besuchte nur gelegentlich mit Freunden Diskotheken; im Übrigen verbrachte er seine Freizeit mit seiner Freundin oder trainierte in einem Fitnesszentrum. Dass dieser Angeklagte ruhig, zielbewusst, überlegt und ohne jede affektive Erregung (UA S. 23) einen Menschen getötet haben soll, ist nicht nur angesichts seiner Persönlichkeit, sondern auch vor dem Hintergrund der von Aggressivität und Gewalt geprägten Tatsituation schwer nachvollziehbar. Die Tatsache, dass Zeugen sein Verhalten in dieser Weise beschrieben haben, genügt jedenfalls nicht, die psychische Befindlichkeit des Beschwerdeführers bei Ausführung der Tat ausreichend zu erfassen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 2004 – 5 StR 351/03). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Jugendkammer bei der gebotenen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten – wenn auch nicht unbedingt erheblich im Sinne des § 21 StGB – eingeschränkt war. Hierüber wird der neue Tatrichter mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen neu zu befinden haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, ob das Opfer und sein Cousin ausländerfeindliche Schimpfworte – der Angeklagte ist afghanischer Abstammung – gerufen haben und der Angeklagte davon ausgegangen ist, dass F. es war, der ihm das Gittertor gegen den Kopf gestoßen hat.
9
Der Fall gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass in Kapitalstrafsachen, zumal im Bereich der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht, in der Mehrzahl der Fälle – wenn nicht ein länger geplantes, wenngleich verwerfliches, so doch rational nachvollziehbar motiviertes Verbrechen vorliegt – Anlass besteht , rechtzeitig im Vorfeld der Hauptverhandlung einen psychiatrischen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit zu betrauen (vgl. Basdorf/Mosbacher in Lammel u. a. [Hrsg.], Forensische Begutachtung von Persönlichkeitsstörungen 2007, S. 111, 125; Senatsurteil vom heutigen Tage – 5 StR 193/07; jeweils m.w.N.).
10
3. Auch sonst begegnet die Strafzumessung erheblichen Bedenken. Nach den Urteilsfeststellungen stellt die Jugendkammer im Hinblick auf die Höhe der Jugendstrafe wesentlich auch auf den „enormen" Erziehungsbedarf ab, der sich für die Jugendkammer maßgeblich aus der Tat selbst ergibt. Zwar hat sie einige Umstände wie Unbestraftheit, Teilgeständnis, Selbststellung und die erlittene Untersuchungshaft zugunsten des Angeklagten berücksichtigt ; die weiteren im Urteil ausführlich dargestellten, eher gewichtigeren Milderungsgründe, die sich aus der Persönlichkeit des Angeklagten und seinem nahezu mustergültigen Werdegang ergeben, bleiben bei der Strafzumessung unerörtert. Dass diese Umstände geeignet sein könnten, den Erziehungsbedarf erheblich zu reduzieren, hat die Jugendkammer nicht erkennbar bedacht.
11
Nicht unproblematisch im Blick auf das Verbot negativer Anlastung zulässigen Verteidigungsverhaltens (Tröndle/Fischer, StGB 46. Aufl. § 46 Rdn. 50, 53) ist zudem die Wendung des Landgerichts, der Angeklagte sei trotz seiner größtenteils geständigen Einlassung, der „tränenreichen“ Entschuldigung und des Bereuens der Tat nicht vollends gewillt, die Verantwortung für den Tod des F. auf sich zu nehmen, sondern versuche, die Tat zu beschönigen und für sich als unglückselige Verkettung der Umstände darzustellen (UA S. 25).
12
Da der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass nach Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen sogar die Verhängung einer Maßregel in Betracht kommen könnte, hebt er nicht nur den Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger
5 StR 329/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 29. November 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2006 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neuruppin vom 13. April 2006 gemäß § 349 Abs. 4
StPO im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung
und wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen
Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer zulässig erhobenen
Aufklärungsrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
I.
2 Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3 Der Angeklagte ist seit zehn Jahren mit der Zeugin He. verheiratet.
Aus der Ehe sind drei Töchter im Alter von zehn, fünf und vier Jahren
und vier Jahren hervorgegangen. Die Zeugin war dem Angeklagten seit vielen
Jahren untreu, was auch im Verwandten- und Freundeskreis weitgehend
bekannt war. Der Angeklagte fand sich mit dem kränkenden Verhalten seiner
Ehefrau jedoch ab, da er ein Auseinanderbrechen der Ehe vermeiden wollte,
zumal er sehr an seinen Kindern hing.
4 Im Sommer 2005 ging B. He. erneut eine außereheliche Beziehung
ein, wobei sie sich ernsthaft in Hr. , das spätere Tatopfer,
verliebte. Sie plante, sich von dem Angeklagten scheiden zu lassen, die beiden
kleineren Kinder zu sich zu nehmen und mit ihrem Geliebten in eine gemeinsame
Wohnung zu ziehen.
5 Als der Angeklagte von den Absichten seiner Ehefrau erfuhr, versuchte
er alles, um die Trennung zu verhindern. Es gelang ihm jedoch nicht, die
Zeugin umzustimmen. Sie traf sich weiterhin abends regelmäßig mit Hr. ,
wobei der Angeklagte ihr eifersüchtig folgte, nachdem die Kinder eingeschlafen
waren. Der Angeklagte setzte sich mit der mit den Familienverhältnissen
vertrauten Sozialarbeiterin des Jugendamtes in Verbindung und bat um Rat
und Hilfe. Auf deren Intervention sagte die Zeugin He. zunächst zu, die
Ehe fortsetzen zu wollen, was sich jedoch in der Folgezeit als Lippenbekenntnis
erwies. Sie traf sich weiter mit ihrem Liebhaber und beide machten
auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl mehr aus ihrem Verhältnis.
6 Bei einem Fest am 3. Oktober 2005 musste der Angeklagte mitansehen
, wie seine Ehefrau und Hr. auf der Tanzfläche ungeniert Zärtlichkeiten
in Form von innigen Küssen und Umarmungen austauschten. Er versuchte
seine Frau von Hr. wegzuzerren. Diese wehrte sich und erklärte ihm,
dass sie sich nun scheiden lassen werde, um Hr. zu heiraten, die Kinder
werde sie auch behalten. Daraufhin schlug der Angeklagte Hr. mit
der Faust so kräftig ins Gesicht, dass dieser einen Nasenbeinbruch erlitt.
7 In den Tagen danach setzte der Angeklagte die Überwachung seiner
Ehefrau fort und musste feststellen, dass sie sich weiter regelmäßig mit Hr.
traf. In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 2005 kam es zu einem Gespräch
zwischen ihm und Hr. , bei dem dieser ihm mitteilte, er werde mit
der Zeugin und den Kindern zusammenziehen. Der Angeklagte könne aber
jederzeit Kontakt zu seinen Kindern haben.
8 In den frühen Morgenstunden des 11. Oktober 2005 nahm der Angeklagte
heimlich die zu Hr. s Wohnung gehörenden Schlüssel vom Schlüsselbund
seiner Frau ab und versah sich mit einem großen Messer. Zunächst
fuhr er zu seiner Arbeitstätte und führte dort noch ausstehende Restarbeiten
aus. Sodann begab er sich zur Wohnung seines Rivalen und öffnete die
Wohnungstür mit dem entwendeten Schlüssel. In der Wohnung fand er
Hr. – wie erwartet – noch schlafend im Bett vor. Er stieß seinem Opfer
das Messer in Tötungsabsicht mit Wucht insgesamt dreimal in Brust und
Bauch. Die massiven Verletzungen führten innerhalb weniger Minuten zum
Tod des Opfers durch Verbluten. Nach der Tat verließ der Angeklagte zunächst
die Wohnung und schloss hinter sich ab. Einige Stunden später kehrte
er zurück, wickelte die Leiche in Betttücher ein und steckte sie in einen
Müllsack. Er beabsichtigte, die Leiche mit einer Sackkarre abzutransportieren
und verschwinden zu lassen. Zum Abtransport kam es jedoch nicht mehr; die
Tat wurde am folgenden Tag entdeckt.
9 Das Landgericht hat die Tötung des Hr. als Heimtückemord bewertet.
Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat es sowohl für die Körperverletzung
als auch für den Totschlag ohne sachverständige Hilfe verneint. Anhaltspunkte
dafür, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung oder wegen einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit vermindert oder gar aufgehoben sein könnte, seien nicht
einmal im Ansatz ersichtlich, so dass auch kein Anlass bestanden habe, den
Angeklagten einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung zu unterziehen.
II.
10 Die Einwände der Revision gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung
sind offensichtlich unbegründet. Die sich aus dem Gutachten des Landeskriminalamts
Brandenburg von Oktober 2006 ergebenden neuen Erkenntnisse
können im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden. Die Bewertung
der Tötung des Hr. als Heimtückemord hält ebenfalls rechtlicher
Prüfung stand.
11 Der Beschwerdeführer rügt jedoch zu Recht, die Strafkammer habe
ihre Aufklärungspflicht verletzt, weil sie zur Frage der Schuldfähigkeit des
Angeklagten keinen psychiatrischen Sachverständigen gehört habe. Hierzu
hätten die im Urteil beschriebene Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten,
seine Persönlichkeitsentwicklung mit Blick auf den schwelenden und sodann
offen ausbrechenden Beziehungskonflikt sowie die Entwicklung der Beziehung
des Revisionsführers zu seiner Ehefrau und zu dem späteren Tatopfer
gedrängt.
12 Auf die im Urteil dargestellte, entsprechend der Entwicklung des konflikthaften
Geschehens zunehmende Destabilisierung der Persönlichkeit des
Angeklagten, die seine psychiatrische Begutachtung nahe legten, hat der
Verteidiger in seiner Revisionsbegründung zutreffend hingewiesen.
13 So wird der Angeklagte zunächst als verschlossener Mensch geschildert
, der auch Personen in seinem engsten Umkreis nicht an seinem Gefühlsleben
teilhaben lässt. Er wird als besonnener, gut organisierter Handwerker
beschrieben, der im Interesse der Familie und insbesondere seiner
Kinder das ihn kränkende Treiben seiner Frau jahrelang geduldet hat. Dies
änderte sich merklich, als die Zeugin ihn unter Mitnahme der Kinder verlassen
wollte. Der Revisionsführer unternahm nun erhebliche Anstrengungen,
eine Trennung von seiner Ehefrau und damit das Auseinanderbrechen der
Familie zu verhindern. Ihn plagte „eine brennende Sorge“ im Hinblick auf das
Scheidungsbegehren und den hiermit verbundenen drohenden Verlust seiner
Kinder. Die Situation belastete ihn derart, dass er nunmehr entgegen seinen
bisherigen Gepflogenheiten mit anderen Menschen und sogar mit seinem
Arbeitgeber über seine Sorgen sprach und weinend um Rat fragte. Er folgte
seiner Frau Abend für Abend und musste zusehen, wie sie sich mit ihrem
Geliebten traf. Die „zunehmende Ratlosigkeit und Verzweiflung“ des Angeklagten
in Reaktion auf dieses Geschehen und seine daraus „entstehende
unreflektierte Aggressionsbereitschaft“ entluden sich erstmalig in der Körperverletzung
zum Nachteil des Hr. am 3. Oktober 2005. In diesem Zusammenhang
stellt das Landgericht weiter fest, dass sich die Eifersucht des Angeklagten
jetzt „in blanke Wut“ steigerte. Am Vorabend der Tötung musste er
sich zudem bei einem von ihm gesuchten Gespräch mit dem Liebhaber seiner
Frau anhören, dass seine – des Angeklagten – Ehe kaputt sei, dass er
aber nach einer Trennung seine Kinder, die die Zeugin in die neue Verbindung
mitnehmen werde, jederzeit sehen könne, was der Angeklagte als „bittere
Enttäuschung der mit dieser Aussprache verbundenen erheblichen Erwartungen“
empfand. Zugleich führte diese Unterredung dem Angeklagten
deutlich vor Augen, dass er sich keine Hoffnungen auf eine günstige Wendung
mehr machen konnte.
14 Angesichts dieser vom Landgericht festgestellten konflikthaften Entwicklung
mit den entsprechenden psychischen Auswirkungen auf den Angeklagten
ist der Befund, es fehle schon im Ansatz an jedem Anhaltspunkt dafür
, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt
gewesen sei, für sich nicht tragfähig. Jedenfalls ohne weitere Erkenntnisse
oder tiefergehende Erörterungen hätte das Schwurgericht sachverständiger
Beratung zur Frage der Schuldfähigkeit unbedingt bedurft. Dies gilt auch unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte bei der Tötung des
Hr. durchaus planvoll gehandelt hat, denn auch zielstrebiges und folgerichtiges
Verhalten steht der Annahme einer erheblichen Verminderung des
Hemmungsvermögens nicht unbedingt entgegen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB
53. Aufl. § 20 Rdn. 25 m.w.N.).
15 Da nach der gegebenen Sachlage eine Schuldunfähigkeit im Sinne
des § 20 StGB auszuschließen ist, nötigt der aufgezeigte Rechtsfehler nur
zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
Basdorf Gerhardt Raum
Brause Schaal
5 StR 351/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 31. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2004

beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu einer lebens- langen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision der Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zur Frage der Schuldfähigkeit der zur Tatzeit 21 Jahre alten Angeklagten , die nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ihren zweijährigen Sohn A unversorgt und unbeaufsichtigt in der Wohnung zurückließ, während sie sich selbst bei Bekannten aufhielt , und dadurch innerhalb von drei Tagen den Tod des Kindes durch Verdursten herbeiführte, hat die sachverständig beratene Strafkammer folgendes ausgeführt: Zur Tatzeit habe die Angeklagte unter einer “unreifen Persönlichkeitsstörung“ gelitten, die durch die Unfähigkeit, das eigene Leben zu planen, durch einen verzerrten Realitätsbezug, ein “schwarzweißes Weltbild“ sowie einen ausgeprägten Selbstbezug gekennzeichnet gewesen sei. Die Störung habe aber nicht den Schweregrad erreicht, der für die Eingangsvoraussetzungen der §§ 20, 21 StGB erforderlich sei. Letzteres gelte auch, wenn man mit dem psychiatrischen Sachverständigen davon ausgehe, daß bei der Angeklagten zwischen Anfang und Mitte Oktober 2001 und dem Verlassen der Wohnung im November 2001 eine leichte depressive Episode vorgelegen habe. Von einer mittelgradigen oder schwerwiegenden Depression könne auch nicht im Blick auf die vor der Tat von der Angeklagten ab Oktober 2001 herbeigeführte Vermüllung ihrer Wohnung ausgegangen werden, weil diese nicht auf ihre depressive Verstimmung, sondern vor allem auf die für Ende November 2001 anberaumte Zwangsräumung zurückzuführen gewesen sei; der Zustand der Wohnung sei der Angeklagten deshalb gleichgültig gewesen. Außerdem habe die Bewährungshelferin bei einem Besuch der Angeklagten am 9. Oktober 2001 in der Behörde keine “Depressivität“ bemerkt. Der Schweregrad einer Depression könne aber nicht ausgeprägt sein, wenn es dem Betroffenen noch gelinge, diese nach außen zu verbergen.
Selbst wenn man der depressiven Episode der Angeklagten eine Relevanz für den ersten Akt der Tatausführung, das Verlassen der Wohnung, und für einen gewissen Zeitraum danach, etwa bis zum Kontakt der Angeklagten zu ihren Bekannten zuschreiben wolle, sei spätestens mit dem ersten Treffen der Angeklagten mit ihren Freunden ihre depressive Episode – welchen Schweregrad diese auch gehabt haben möge – beendet gewesen. Dies ergebe sich aus den Aussagen von drei Bekannten der Angeklagten, die in der fraglichen Zeit mit ihr umgegangen seien und sie in ihrer “(positiven) Gestimmtheit“ so erlebt hätten wie früher. Diese Bewertung werde auch nicht durch den Betäubungsmittelmißbrauch der Angeklagten nach Verlassen der Wohnung in Frage gestellt. In dieser Zeit habe die Angeklagte täglich Haschisch und gelegentlich auch Kokain konsumiert. Mit Haschisch habe die Angeklagte nach ihren eigenen Angaben ihr schlechtes Gewissen beruhigen und die Angst vor der Situation in ihrer Wohnung verdrängen wollen. Insofern fehle es schon an einer Kausalität zwischen dem Mißbrauch der Droge und der Tatbegehung.
2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Bedenklich ist bereits, den Schweregrad einer Depression in die Beurteilung von ungeschulten medizinischen Laien zu stellen und maßgeblich auch auf dieser Grundlage das Vorliegen einer für die Anwendung von § 21 StGB beachtlichen mittelgradigen oder schwerwiegenden Depression abzulehnen. Die Bekannten der Angeklagten, die zu den möglichen Tatzeitpunkten mit ihr umgegangen sind, haben sie zumeist unter dem Einfluß von Cannabis erlebt, das sie zur Beruhigung genommen hatte. Auch war die Angeklagte gerade bestrebt, ihrer Bedrückung durch ein vermeintlich abwechslungsreiches und ungebundenes Leben zu entgehen, so daß sie – dies liegt jedenfalls nahe – ihre möglicherweise erheblich depressive Grundstimmung vor sich selbst und anderen verborgen hat. Darüber hinaus ist in der psychiatrischen Fachwissenschaft seit langem anerkannt, daß es nicht selten Depressionen gibt, die selbst Ärzte nicht erkennen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Depression hinter körperlichen und/oder psychopathologischen Phänomenen wie z.B. Gewichtsabnahme, Schlafstörungen, Verhaltensauffälligkeiten , Aggressionszuständen, Alkoholismus oder Drogenmißbrauch verbirgt (vgl. Kielholz, Die larvierte Depression, 1981, S. 9 und 39; Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 247).
Die Ausführungen des Landgerichts lassen darüber hinaus die gebotene Gesamtschau vermissen, in welche die Täterpersönlichkeit und deren Entwicklung, die Vorgeschichte, der unmittelbare Anlaß, die Ausführung der Tat sowie das Verhalten nach der Tat einzubeziehen sind (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29). Hierzu bestand im vorliegenden Fall schon deshalb Anlaß, weil dem Urteil zu entnehmen ist, daß die noch junge Angeklagte eine sehr belastete Kindheit durchlebt hat und daß auch ihr späterer Lebensweg äußerst problematisch verlaufen ist (frühe Schwangerschaft und Freigabe des Kindes zur Adoption, Prostitution und Betäubungsmittelmißbrauch , gestörte Beziehung zu dem Vater des Tatopfers, schwierige soziale Verhältnisse, Überforderung und Einsamkeit).
Für die Prüfung und Bewertung des Schweregrades der vom Sachverständigen festgestellten depressiven Störung hätte insbesondere die unmittelbare Vorgeschichte, nämlich die Entwicklung der depressiven Störung bzw. die möglichen Anzeichen für deren progredienten Verlauf, vertieft einbezogen werden müssen. Hierzu hat die Strafkammer ausführlich dargelegt, daß es der Angeklagten ab März 2001 immer schwerer gelang, alltägliche Anforderungen zu bewältigen, sie keiner sinnvollen Beschäftigung mehr nachging, sie sich die meiste Zeit in schlechter Stimmung in ihrer Wohnung aufhielt, häufig an Erkältungskrankheiten litt und Termine bei ihrer Bewährungshelferin nicht mehr einhielt. Seit Juni 2001 nahm die Angeklagte auch die Termine bei dem Sozialamt nicht mehr wahr, so daß die Mietzahlungen für ihre Wohnung eingestellt wurden. Stattdessen arbeitete sie gelegentlich wieder als Prostituierte. Im Juli 2001 lebte die Beziehung der Angeklagten zu dem Vater von A wieder auf, und sie machten Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Nach einer Woche trennte sich der Kindsvater jedoch wieder von der Angeklagten, was sie sehr enttäuschte. Im September 2001 erhielt die Angeklagte die Mitteilung, daß sie wegen der Mietschulden ihre Wohnung bis zum 30. November 2001 räumen müsse. In der Folgezeit hielt sie sich überwiegend zu Hause auf und war sehr niedergeschlagen. Sie vernachlässigte ihre Wohnung, die zunehmend vermüllte. In jedem Zimmer stapelte sich Unrat. Die Angeklagte wechselte ihrem Sohn zwar noch die Windeln , entsorgte sie jedoch nicht mehr, sondern warf die gebrauchten in eine Küchenecke. Schließlich war sie auch frustriert darüber, daß ihre Mutter, von der sie sich nicht geliebt fühlte, mehr Interesse an A zeigte als an ihr.
Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar begründet, warum sie aus dieser auf eine nicht unerhebliche Depression hindeutenden kontinuierlichen Abnahme von sozial gebotenen Verhaltensweisen und persönlichem Wohlbefinden ausgerechnet das für den Schweregrad einer depressiven Störung besonders bedeutsame Kriterium, nämlich die Vermüllung der Wohnung, herausnimmt und dieses Phänomen nicht auf die psychische Verfassung der Angeklagten, sondern ausschließlich darauf zurückführt , daß die Wohnung Ende November hätte geräumt werden müssen. Das hierfür angeführte Argument, daß sie in dieser Zeit immerhin noch die Windeln des Kindes gewechselt habe, ist nicht aussagekräftig. Es besagt allenfalls, daß noch Reste von Verantwortungsgefühl für den Sohn erhalten geblieben waren. Die weitere Begründung, die Bewährungshelferin habe am 9. Oktober 2001 keine „Depressivität“ bei der Angeklagten festgestellt, ist aus den oben bereits dargelegten Gründen nicht genügend tragfähig.
Schließlich hätte die depressive Verstimmung der Angeklagten auch vor dem Hintergrund der vom Sachverständigen ebenfalls diagnostizierten “unreifen Persönlichkeitsstörung“ beurteilt und erwogen werden müssen, ob möglicherweise das Zusammenwirken beider Faktoren dazu geführt hat, daß zur Tatzeit die Schuldfähigkeit der Angeklagten erheblich im Sinne von § 21 StGB beeinträchtigt war, dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.
3. Der Senat hebt das Urteil lediglich im Strafausspruch auf. Die Voraussetzungen des § 20 StGB liegen offensichtlich nicht vor. Sollte der neue Tatrichter auf der Grundlage eines weiteren Sachverständigengutachtens zu einer anderen Bewertung der Schuldfähigkeit der Angeklagten gelangen, vermag dies das Mordmerkmal der Grausamkeit hier nicht in Zweifel zu ziehen. Unabhängig von der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen von § 21 StGB wird die besondere psychische Befindlichkeit der Angeklagten bei der nach § 13 Abs. 2 StGB gebotenen Ermessensentscheidung zu beachten sein (BGHR StGB § 13 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 2).
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.