Bundesgerichtshof Urteil, 28. Aug. 2012 - 5 StR 295/12

bei uns veröffentlicht am28.08.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 295/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 28. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 30. November 2011 mit den Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zu den Anlasstaten ; insoweit wird seine Revision als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung , der gefährlichen Körperverletzung sowie der Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB. Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit langen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie mit schweren inhaltlichen und formalen Denkstörungen, Beeinträchtigung der Realitätswahrnehmung und hirnorganischen Leistungsminderungen. Bereits im Jahre 2003 diagnostizierte ein aus Anlass eines Ermittlungsverfahrens erstelltes foren- sisch-psychiatrisches Gutachten bei ihm eine „chronifiziert paranoide Psy- chose aus dem schizophrenen Formenkreis“.Seit jenem Jahr steht der An- geklagte aufgrund seiner Erkrankung unter Betreuung, die „zwischenzeitlich für alle Lebensbereiche bestimmt und zudem mit einem generellen Einwilli- gungsvorbehalt versehen“ ist (UA S. 4).
3
2. Im Zustand der krankheitsbedingten Schuldunfähigkeit beging der Angeklagte folgende Taten:
4
Am 26. Mai 2009 kam es an einem bekannten Randständigentreff in St. Ingbert zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen H. . Als der Zeuge die Auseinandersetzung mit schlichtenden Worten beenden wollte, nahm der Angeklagte zwei volle Bierflaschen und schlug damit in Richtung des Kopfes des Zeugen. Eine der Flaschen traf den Zeugen am Hinterkopf und zerbrach. Der Zeuge erlitt eine blutende Kopfverletzung (Tat 1). Die im Anschluss an diesen Vorfall erschienenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte mit beleidigenden Worten (Tat 2).
5
Am 7. Dezember 2009 geriet der Angeklagte an einem anderen Randständigentreff in St. Ingbert mit dem Zeugen W. in Streit. Der Angeklagte schubste den stark alkoholisierten W. zunächst gegen ein Geländer, so dass dieser zu Boden fiel. Danach trat er den am Boden Liegenden noch mindestens einmal in den Bauch und zweimal ins Gesicht. Der Geschädigte erlitt einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung (Tat 3).
6
3. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Be- troffenen darstellt und daher nur unter sorgfältiger Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Dies gilt auch für die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73). Deshalb ist es grundsätzlich erforderlich, dass in die Prüfung länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen ist (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107).
8
Das Landgericht stellt hier nur die Anlasstaten dar, verhält sich im Übrigen aber nicht zum delinquenten Vorleben des Angeklagten. Weder werden die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren näher benannt noch deren Ausgang mitgeteilt. Es wird lediglich ausgeführt, dass gegen den Angeklagten im Jahre 2004 ein Verfahren wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ohne aber auch hier die Umstände der Tat zu schildern. Ebenso wird nicht dargelegt, wie sich der Angeklagte, der bis zu seiner Aburteilung nicht nach § 126a StPO vorläufig untergebracht war, im Nachgang zu den Anlasstaten verhalten und ob er gegebenenfalls strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.
9
Im Hinblick darauf, dass der nicht vorbestrafte 53-jährige Angeklagte hier nur wegen zweier im Bereich der mittleren Kriminalität angesiedelter Taten in Erscheinung getreten ist, ist die Begründung der Strafkammer für die Prognoseentscheidung zu seiner Gefährlichkeit unzulänglich. Sie hätte die Zeiträume nicht unerörtert lassen dürfen, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10 Rn. 11, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dies liegt aber für den zweijährigen Zwischenraum zwischen Tatbegehung und der Hauptverhandlung nahe, dem für die Gefährlichkeitsprognose naturgemäß ein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107). Allein der zeitlich nicht näher eingegrenzte Hinweis, der Angeklagte sei Mitglied der Randständigenszene in St. Ingbert und es komme dort öfters zu polizeilichen Einsätzen unter anderem wegen Körperverletzungen, an denen der Angeklagte beteiligt war, belegt in diesem Zusammenhang nicht das Gegenteil. Es bleibt nämlich offen, ob der Angeklagte überhaupt von sich aus aggressiv geworden und gegebenenfalls in welchem Umfang dies geschehen ist.
10
3. Die von dem Rechtsfehler unberührt gebliebenen Feststellungen zu den Anlasstaten können aufrechterhalten bleiben. Dagegen bedarf die Frage seiner Gefährlichkeit nochmals umfassender Prüfung. Soweit der neue Tatrichter erneut die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird unter Würdigung des Verhaltens des Angeklagten in der seit Ende November 2011 vollzogenen vorläufigen Unterbringung zu prüfen sein, ob die Maßregel nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Raum Schneider Dölp König Bellay

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Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Strafprozeßordnung - StPO | § 126a Einstweilige Unterbringung


(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrisc

Strafgesetzbuch - StGB | § 67b Aussetzung zugleich mit der Anordnung


(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßrege

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.

(2) Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115a, 116 Abs. 3 und 4, §§ 117 bis 119a, 123, 125 und 126 entsprechend. Die §§ 121, 122 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen.

(3) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht anordnet. Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung nicht aufgehalten werden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend.

(4) Hat der Untergebrachte einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten im Sinne des § 1831 Absatz 5 und des § 1820 Absatz 2 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, so sind Entscheidungen nach Absatz 1 bis 3 auch diesem bekannt zu geben.

11
a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen , dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegenüber selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1993 - 5 StR 617/93). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festgestellten Anlasstat einzusetzen, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in einer Situation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen deren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen bisher nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück- schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmitgliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen unauffällig geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten paranoid halluzinatorischen Psychose, hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waffen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im Zeitraum zwischen der Anlasstat im Dezember 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewesen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht behandelt worden ist (vgl. UA S. 7).
5 StR 422/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 18. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, sowie im Maßregelausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Gegen den Schuldspruch ist rechtlich nichts zu erinnern. Entgegen den Einwendungen der Revision hat das sachverständig beratene Landgericht eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) zutreffend namentlich mit der Begründung ausgeschlossen, dass dieser in- nehalten konnte, nachdem er wieder in den Besitz des Personalausweises gelangt war.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Annahme des für § 63 StGB erforderlichen dauerhaften Defekts mit Krankheitswert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26 f.; Beschlüsse vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f., und vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612) ist allerdings nicht zu beanstanden. Dass bei dem Angeklagten nicht nur eine – für sich nicht ausreichende – dauerhafte Disposition besteht, in bestimmten , ihn belastenden Situationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Affektverarbeitung in den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu geraten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142, vom 24. September 1997 – 2 StR 443/97, BGHR StGB § 63 Zustand 27, und vom 1. September 1998 – 4 StR 367/98), wird von den Feststellungen getragen. Danach hat die diagnostizierte schwere Persönlichkeitsstörung des emotional-instabilen Typus (ICD 10: F 61.0) bei ihm bereits seit früher Kindheit zu beträchtlichen Einschränkungen der gesamten Lebensführung bis hin zur Verwahrlosung geführt.
5
b) Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die weiter vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat. Die außerordentlich beschwerende Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus setzt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades voraus, dass von dem Betroffenen in Zukunft rechtswidrige Taten von Erheblichkeit zu erwarten sind; die bloße Möglichkeit genügt dementsprechend nicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 1992 – 5 StR 333/92, NStZ 1992, 538, vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612, und vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN).
6
Vier – vergleichsweise nicht sehr schwer wiegende und dementsprechend durchgehend mit Geldstrafe geahndete – Körperverletzungsdelikte hat der Angeklagte im Zeitraum von 2004 bis 2008 begangen. Auch die Anlasstat liegt in diesem Zeitraum. Zuvor und danach musste er trotz seines Defekts nicht verurteilt werden. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten heranzuziehen ist (BGH NStZ 1999 aaO; LK/Schöch, 12. Aufl., § 63 Rn. 74).
7
Das Landgericht hat dies im Grundsatz auch nicht verkannt und stützend auf aggressives Verhalten des Angeklagten bei der psychiatrischen Exploration und im Vorfeld des zweiten Hauptverhandlungstags verwiesen. Indessen hat dieser seine Aggressionen im Zuge der Exploration zu beherrschen vermocht; am zweiten Hauptverhandlungstag konnte er Gleiches aufgrund vorsorglich vorgenommener Fesselung nicht unter Beweis stellen. Hinzu kommt, dass krankheitstypische Aggressionen, die Ausfluss solcher Belastungssituationen sind, nur eingeschränkt als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Betroffenen gelten können (vgl. zu Taten während einer strafrechtlichen Unterbringung LK/Schöch, aaO, § 63 Rn. 84 mwN).
8
3. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat die Strafkammer maßgebend mit der Gefährlichkeit des Angeklagten begründet. Sie kann aus den vorgenannten Gründen schon deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für die neu anzustellende Sozialprognose darauf hin, dass der Angeklagte bislang noch nicht zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Dass ihm nicht allein die Verurteilung zu Freiheitsstrafe in Verbindung mit entsprechenden Bewährungsweisungen und -auflagen hinreichende Warnung für künftige Legalbewährung sein kann, versteht sich daher nicht von selbst. Auch die wenig nachdrückliche Führung des Strafverfahrens in den Jahren 2009 und 2010 und die Straffreiheit des Angeklagten seit der verfahrensgegenständlichen Tat können hierbei nicht außer Betracht bleiben.
9
4. Sofern das neu entscheidende Tatgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird – bei gegebener Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung – im Rahmen einer etwaigen Aussetzungsentscheidung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB eingehender als bislang nach alternativen, den Angeklagten weniger beschwerenden Weisungsoder Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen sein.
Basdorf Raum Schaal König Bellay

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.