Bundesgerichtshof Urteil, 25. Juli 2017 - 5 StR 176/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Von Rechts wegen -
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es die Einziehung eines Kraftfahrzeugs angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge zum Strafausspruch Erfolg.
- 2
- 1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
- 3
- Am ersten Hauptverhandlungstag fand in einer Verhandlungspause zwischen den Mitgliedern der Strafkammer, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und den beiden Verteidigern eine Erörterung statt, die eine Verständigungsmöglichkeit klären sollte. Dabei stellten die Verteidiger eine Geständnisbereitschaft des Angeklagten für den Fall in den Raum, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung erfolgen würde. Nachdem der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärt hatte, sich einem solchen Vorschlag nicht anschließen zu können und eine Verurteilung zu einer höheren Freiheitsstrafe anzustreben, hielt die Vorsitzende in ihrer proto- kollierten Dokumentation des Rechtsgesprächs fest, dass es „zu einer Verstän- digung zwischen Gericht und den Verfahrensbeteiligten danach nicht (wird) kommen können“.
- 4
- Nach diesem Hauptverhandlungstag kam es auf Anregung der Verteidiger zu einem weiteren Rechtsgespräch mit Verständigungsbezug, in dem der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, bei geständiger Einlassung des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für angemessen zu halten. Im Fortsetzungstermin unterrichtete die Vorsitzende über das Gespräch und hielt als dessen Ergebnis fest, dass es zu einer Verständigung nicht kommen werde. Am dritten Hauptverhandlungstag fand während einer Sitzungsunterbrechung auf Anregung der Verteidiger zwischen den Mitgliedern der Strafkammer, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern eine erneute Erörterung statt, in deren Rahmen die Vorsitzende äußerte, dass sich die Strafkammer bei einem Geständnis des Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen zwei Jahren und zwei Jahren vier Monaten und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung vorstellen könne. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erwiderte, dass er sich im Hinblick auf ein weiteres gegen den Angeklagten in Tschechien laufendes Ermittlungsverfahren einem solchen Vorschlag nicht anschließen könne.
- 5
- Die Vorsitzende ließ in der Hauptverhandlung ihre Gesprächsdokumentation protokollieren, die sie mit der Erwartung abschloss, dass „eine Verständigung zwischen Gericht und den Verfahrensbeteiligten demnach nicht zustande kommen“ werde. Am darauffolgenden Verhandlungstag teilte die Vorsitzende zu Protokoll mit, dass der Strafkammer keine neuen Tatsachen bekannt gewor- den seien und „die Kammerdaher bei ihrer Zusage nach dem letzten Rechtsgespräch bleibe“. Danach führte die Strafkammer auf Anregung der Verteidiger in einer Sitzungspause mit den Verfahrensbeteiligten ein weiteres Gespräch über die Möglichkeit einer Verständigung, in dem der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei seiner ablehnenden Haltung zu einer Bewährungsstrafe bei geständiger Einlassung blieb. Als Ergebnis auch dieses in der Hauptverhandlung mitgeteilten Gesprächs stellte die Vorsitzende erneut fest, dass es zu keiner Verständigung kommen werde. Anschließend legte der Angeklagte ein Geständnis in Form einer schriftlich vorbereiteten Verteidigererklärung ab, die er sich zu eigen machte. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragte mehrere Beweiserhebungen. Die Strafkammer lehnte diese Anträge am folgenden Hauptverhandlungstag ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus: „Um Anhaltspunkte für die Strafzumessung zu gewinnen, na- mentlich für eine Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe , deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sind die darin unter Beweis gestellten Tatsachen ungeeignet … In diesem Fall wäre das vom Angeklagten abgegebene Geständnis nicht verwertbar. Denn der Angeklagte hat sein Geständnis aufgrund der Zusicherung der Kammer, im Falle eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe zu verhängen, deren Voll- streckung zur Bewährung ausgesetzt würde, abgegeben.“
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- Nach Verkündung dieses Beschlusses wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragte, den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten zu verurteilen ; die Verteidiger beantragten, auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu erkennen und deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen. Das Landgericht verkündete sodann das Urteil.
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- 2. Mit ihrer Verfahrensrüge beanstandet die Staatsanwaltschaft im Ergebnis zu Recht, dass die Strafkammer bei der Bemessung der Strafe von einer tatsächlich nicht bestehenden Bindung an die von ihr angenommene Zusicherung einer bewährungsfähigen Strafe ausgegangen ist.
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- Außerhalb einer Verständigung gemäß § 257c StPO besteht keine Bindung des Tatgerichts an den von ihm für den Fall des Zustandekommens einer Absprache in Aussicht gestellten Strafrahmen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 1 StR 302/11, Rn. 45; Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 205/10; Urteil vom 30. Juni 2011 – 3 StR 39/11, NJW 2011, 3463, 3464); erst recht ist es nicht verpflichtet, die dort angesprochene Strafuntergrenze zu verhängen. Ein Fall des § 257c StPO liegt hier mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft indes nicht vor, wie auch das Landgericht nicht verkannt hat. Nachdem die Staatsanwaltschaft in den verständigungsbezogenen Vorgesprächen jeweils angekündigt hatte, ihre gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO erforderliche Zustimmung nicht zu erteilen, hat die Vorsitzende in den von ihr zu Protokoll gegebenen Vermerken zu Recht stets betont, dass eine Verständigung deshalb nicht zustande komme. Auch der am vierten Hauptverhandlungstag protokollierte Hinweis, dass die Strafkammer bei ihrer „Zusage“ nach dem letzten Rechtsgespräch bleibe, lässt sich trotz seiner missverständlichen Formulierung auf den in jenem Gespräch von ihr vorgeschlagenen Strafrahmen beziehen und belegt noch keine von ihr schon zu diesem Zeitpunkt als bindend verstandene Erklärung. Denn im unmittelbaren Fortgang der Verhandlung hat sie eine weitere verständigungsbezogene Erörterung durchgeführt, als deren Ergebnis die Vorsitzende erneut feststellte, dass es zu keiner Verständigung komme.
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- Aufgrund der Formulierung in dem Beweisbeschluss, wonach die Strafkammer dem Angeklagten eine zur Bewährung auszusetzende Strafe „zugesi- chert“ habe, ist jedoch zu besorgen, dass sie gleichwohl schon vor den Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten und der nachfolgenden Urteilsberatung von der verbindlichen Zusage einer solchen Strafe ausgegangen ist. Für eine von ihr angenommene Selbstbindung spricht auch, dass sie für die knapp 13 Kilogramm Marihuana betreffende Einfuhrfahrt tatsächlich eine solche Strafe verhängt hat. Dies hat hier zu einer Verletzung von § 46 StGB geführt.
- 10
- 3. Auf dem Rechtsfehler beruht nur der Strafausspruch. Der Schuldspruch und die Einziehungsentscheidung sind von ihm nicht betroffen. Insbesondere war das Geständnis des Angeklagten verwertbar. Denn dieses hat er in einem Zeitpunkt abgelegt, in dem nur der in dem Verständigungsgespräch vom Landgericht vorgeschlagene Strafrahmen im Raum stand. Dies hat aber wegen der fehlenden Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der dem Geständnis unmittelbar vorausgegangen ausdrücklichen Feststellung der Vorsitzenden , dass eine Verständigung nicht zustande gekommen sei, für den Angeklagten keinen rechtlich geschützten Vertrauenstatbestand begründen können.
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- 4. Die von der Staatsanwaltschaft weiter erhobenen und auf eine fehlerhafte Strafzumessung abzielenden Verfahrensrügen sind unzulässig, da sie nicht den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen entsprechen. Auch die Sachrüge, die einen den Schuldspruch betreffenden Rechtsfehler nicht aufzeigt, hat keinen über die Aufhebung des Strafausspruchs hinausgehenden Erfolg. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) sind nicht ersichtlich.
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- 5. Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Ergänzend ist zu den Strafzumessungsgründen des angefochtenen Urteils zu bemerken:
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- a) Zu Recht hat die Beschwerdeführerin bemängelt, dass die von der Strafkammer im Rahmen der Strafrahmenwahl als besonders strafmildernd eingestellte Erwägung, die Drogenfahrt hätte aufgrund polizeilicher Überwachung schon in Tschechien gestoppt und damit verhindert werden können, weder von den Feststellungen noch von der Beweiswürdigung getragen wird.
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- b) Da der Angeklagte auf frischer Tat betroffen in einer unmittelbar anschließenden Beschuldigtenvernehmung ganz überwiegend seine Tatbeteiligung und weitere Einfuhrfahrten gestanden hat, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar , weshalb ihm im Rahmen der konkreten Strafzumessung auch noch zugutegehalten worden ist, ohne sein in der Hauptverhandlung abgegebenes Formal-Geständnis (vgl. UA S. 5) hätte die Strafkammer umfangreiche Ermittlungen zu den Tathintergründen in der Tschechischen Republik anstellen müssen.
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- c) Schließlich hat die Strafkammer bei der Strafzumessung nicht erkennbar in den Blick genommen, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Kurierfahrt um den Teil einer Tatserie handelte und der Angeklagte erst am Vortag eine weitere Einfuhrfahrt vorgenommen hatte. Weil die Schuld des Täters in Bezug auf Einzeltaten durch eine Mehrheit von Taten erhöht werden kann, kann dieser – hier naheliegende – Umstand schon bei der Bemessung der Einzel- strafe und bei der Erwägung mit in Betracht gezogen werden, ob ein minder schwerer Fall bejaht werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2013 – 4 StR 467/12 mwN).
Annotations
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.
(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.