Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 132/19
vom
31. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:310719U2STR132.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Meyberg, Dr. Grube, Wenske, Richter am Amtsgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27. September 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt abgesehen worden ist, sowie
b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen, wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes „mittels Eindringens in den Körper“ in zehn Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie den Strafausspruch und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung bzw. des Vorbehalts einer solchen rügt.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. In der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2015 kam es zu zehn sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine im Januar 2008 geborene Nichte. Während er bei ihrer Familie zu Besuch war, begab er sich – von weiteren Familienangehörigen unbemerkt – in deren Kinderzimmer, legte sich unbekleidet zu ihr ins Bett, zog ihr die Hose aus, führte an einem Tag den Finger in die Vagina des Kindes und vollzog an jeweils mindestens drei anderen Tagen mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr oder den Analverkehr. An mindestens drei weiteren Tagen musste die Geschädigte auf Aufforderung des Angeklagten dessen Penis in den Mund nehmen, wobei sie vor ihm kniete und er ihren Kopf festhielt und zu sich heranzog. Nach den genannten sexuellen Handlungen verbot der Angeklagte seiner Nichte, mit ihrer Mutter darüber zu reden, da er ihr ansonsten „böse weh tue“.
4
2. Die 18-jährige G. -V. T. und ihre 16-jährige Schwester R. lebten zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in einer Wohnung in dem auch vom Angeklagten bewohnten Mehrfamilienhaus. Sie besuchten den Angeklagten regelmäßig in dessen Wohnung. Der Angeklagte hatte versucht, sich den Zeuginnen – wie auch deren 17-jähriger Schwester – körperlich zu nähern, was diese aber abgelehnt und dabei deutlich gemacht hatten, dass sie keinen Kontakt körperlicher oder sexueller Art mit ihm wünschten. Um diese ablehnende Haltung auszuschalten verabreichte der Angeklagte den Geschädigten im Zeitraum vom 7. September 2015 bis 6. Juni 2016 zum Bewusstseinsverlust führende Substanzen (KO-Tropfen), die er unbemerkt in Getränke gemischt hatte. Die hierdurch erreichte Sedierung nutzte er sodann an zwei Tagen aus, um Fotos von der nackten Brust und dem Genitalbereich der Geschädigten Gi. -V. T. zu fertigen und anschließend den Vaginalverkehr an dieser durchzuführen. Bei fünf weiteren Gelegenheiten fertigte der Angeklagte Fotos der schlafenden oder durch KO-Tropfen sedierten Geschädigten R. T. , die diese teils in bekleidetem Zustand, teils mit entblößter Brust zeigen.
5
3. In den frühen Morgenstunden des 5. August 2017 näherte sich der Angeklagte mit einem bis zur Nase hochgezogenen Halstuch, das ein weißes Totenkopfgebiss zeigte, der in der Nähe seiner Wohnung auf dem Heimweg befindlichen E. N. , umklammerte sie überraschend von hinten und hielt ihr eine Softairpistole an den Kopf. Auf ihre Frage, was er wolle, sagte er ihr, dass sie das schon wisse. Er stieß sie sodann um, so dass sie auf dem Rücken zu liegen kam, forderte sie auf, sich vor ihm hinzuknien und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, um zu verhindern, dass sie aufstand. Er packte den Kopf der Geschädigten, die durch den Schlag ins Gesicht unter anderem eine blutende Wunde im Mundbereich erlitten hatte, und schob ihr sein erigiertes Glied in den Mund, bis sie würgen musste. Als die Zeugin zu schreien begann, versetzte der Angeklagte ihr mit der Faust einen Schlag in den Bauch und drohte, ihr den Mund mit Klebeband zuzukleben. Im Folgenden kniete sich der Angeklagte auf die Beine der Geschädigten, entkleidete sie und legte ihr Handschellen an. Er packte sie an den Beinen, drehte sie auf den Rücken und drang mit seinem erigierten Glied vaginal und anal in sie ein.
6
Er äußerte daraufhin, dass er normalerweise die von ihm vergewaltigten Frauen filme, dies bei der Geschädigten aber nicht tue, da ihr Verhalten erbärmlich sei und es ihm keinen Spaß mache. Ihr Verhalten sei leichtsinnig gewesen , da sie nicht weggelaufen sei. Außerdem sei sie selber schuld, wenn sie „in einem solchen Outfit“ nachts alleine herumlaufe. Auch sei die Zeugin „nicht feucht genug“. Der Angeklagte leckte sodann ihre Brüste und drang mit seinen mit schwarzen Lederhandschuhen bekleideten Fingern vaginal in die Zeugin ein. Nachdem er sich beschwert hatte, dass er „noch immer nicht gekommen“ sei und die Zeugin ihn bat, sie in Ruhe zu lassen, drang der Angeklagte erneut mit seinem erigierten Glied vaginal und anal in die unter der Einwirkung der Schläge bereits widerstandslose Zeugin ein. Mit den Worten, sie würde ja morgen noch dort liegen, ließ der Angeklagte von der Zeugin ab, sammelte seine Gegenstände und verließ den Tatort.
7
4. Die sachverständig beratene Strafkammer ist von voller Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung ausgegangen. Der bei ihm vorliegende periculäre sexuelle Sadismus und die Störung der Sexualpräferenz in Form einer heterosexuellen Pädophilie nicht ausschließlichen Typs erreichte nicht die Schwere, dass ihnen Krankheitswert zukäme.

II.

8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung bzw. des Vorbehalts einer solchen beschränkt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305, 306); sie hat zur Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat aber auch zu Gunsten des Angeklagten – was der Senat gemäß § 301 StPO zu prüfen hat – einen Teilerfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Strafausspruchs.
9
1. Der Strafausspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Soweit in allen Fällen bei der Strafbemessung zu Gunsten des Angeklagten dessen „straffreies Vorleben“ berücksichtigt wurde, besorgt der Senat nicht, die Strafkammer könnte aus dem Blick verloren haben, dass der Angeklagte bei der zeitlich letzten Tat – worauf der Generalbundesanwalt hinweist – bereits 12 Verbrechen und fünf Vergehen begangen hatte. Erläuternd führt die Strafkammer nämlich aus, der Angeklagte sei bis zur Begehung der festgestellten Taten, mithin in den ersten 28 Lebensjahren, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Die weiteren Angriffe der Staatsanwaltschaft gegen die Strafzumessung verfangen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten Gründen nicht.
10
2. Demgegenüber kann die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung keinen Bestand haben.
11
a) Die Strafkammer hat die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Auch bestehe, so das Landgericht, derzeit ein erhebliches Rückfallrisiko. Es lasse sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen bzw. als im Sinne des § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB wahrscheinlich gegeben annehmen, dass der in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzte Hang zu erheblichen Straftaten beim Angeklagten vorliege. In weitgehender Übereinstimmung mit dem Sachverständigen seien zahlreiche der „von Habermeyer und Saß entwickelten Kriterien des Hangtä- ters“ nicht positiv festzustellen.Auch dem Umstand, dass der Angeklagte über längere Zeit strafrechtlich unauffällig geblieben sei, komme hohe Bedeutung zu.
12
b) Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
13
aa) Ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB liegt nach der ständigen Rechtsprechung bei einem eingeschliffenen inneren Zustand des Täters vor, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanrei- zen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 5 StR 476/18 Rn. 5; Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschlüsse vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15 mwN). Für die Annahme eines Hanges ist ein dauerhafter Entschluss, Straftaten zu begehen , nicht erforderlich, sondern eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung kann auch bei Gelegenheitstaten zu bejahen sein (vgl. Senat, Urteile vom 4. November 2009 – 2 StR 347/09 Rn. 8 mwN; vom 17. November 2010 – 2 StR 356/10 Rn. 5).
14
Der Hang ist als Rechtsbegriff einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). Das Tatgericht hat das Vorliegen oder die Wahrscheinlichkeit eines Hanges – nach sachverständiger Beratung – unter sorgfältiger Gesamtwürdi- gung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten in eigener Verantwortung wertend festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – 4 StR 511/18 Rn. 31); diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271, 272 mwN). Das Tatgericht hat sich eine eigene Überzeugung über den Zustand des Angeklagten zu bilden und sich insofern mit den Befunden des Sachverständigen auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 1991 – 4 StR 408/91, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17 mwN). Die für die Gesamtwürdigung maßgeblichen Umstände sind in den Urteilsgründen anzugeben, damit eine revisionsgerichtliche Nachprüfung möglich ist (Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 66 Rn. 71).
15
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
16
(1) Soweit die Urteilsgründe im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mitteilen, auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) sei die überwiegende Anzahl der für die Annahme eines Hangtäters sprechenden Kriterien nicht erfüllt und die vorliegenden Kriterien nicht von hoher Bedeutung, werden die erfüllten und die nicht erfüllten Kriterien lediglich schlagwortartig aufgezählt. So wird schon nicht ersichtlich , welchen Sinngehalt und welche Relevanz für das Verhalten des Angeklagten im vorliegenden konkreten Einzelfall die Strafkammer den aufgelisteten abstrakten Kriterien beimisst. Auch werden die Anknüpfungstatsachen, auf die sich der Sachverständige stützt, nicht mitgeteilt, so dass dem Senat die Nachprüfung verwehrt ist, ob die Strafkammer mit Recht vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der genannten Kriterien ausgegangen ist. Dies erhellt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Nach den Feststellungen zu den Tatgeschehen, namentlich zu den bei der Tat zum Nachteil der Zeugin N. getätigten Äußerungen des Angeklagten, die auf Herabwürdigung und Demütigung des Tatopfers gerichtet sind, hätte es jedenfalls näherer Erörterung bedurft, weshalb sich dessen ungeachtet „antisoziale Denkstille“ oder „ein sogenannter Reizhunger“ nicht feststellen lassen und inwieweit allein das unauffällige Berufsleben des Angeklagten mit der Annahme unvereinbar sein kann, diese Kriterien lägen vor.
17
(2) Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus besorgen, die Strafkammer könnte bei der Gesamtwürdigung maßgebliche Umstände für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten nicht bedacht und anderen Gesichtspunkten ein zu großes Gewicht beigemessen haben.
18
(a) Unerörtert bleiben die von der Strafkammer bei der Frage der Schuldfähigkeit – dem Sachverständigen folgend – festgestellten Umstände zur Persönlichkeit des Angeklagten. Danach weist der Angeklagte eine Paraphilie in Form eines sexuellen Sadismus und einer heterosexuellen Neigung vom nicht ausschließbaren Typ auf, die die Intensitätsstufe einer stabilen devianten Entwicklung erreicht hat und deren gemeinsamer und verbindender Aspekt die Erlangung und Ausübung von Kontrolle, Macht und Dominanz über eine weibliche Person ist. Dazu, welchen Einfluss dies auf die Annahme eines eingeschliffenen inneren Zustands im Sinne eines Hangs zur Begehung etwa von Sexualdelikten hat, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Eine Erörterung musste sich der Strafkammer aber umso mehr aufdrängen, als dem Angeklagten ausnahmslos Sexualstraftaten zu Last liegen, die Sexualstruktur des Angeklagten nach den Feststellungen inzwischen weitgehend durch die paraphile Neigung bestimmt ist und in den Fällen des § 66 Abs. 2 StGB, in denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, der Persönlichkeit des Täters bei der Prüfung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB besondere Bedeutung zukommen kann.
19
(b) Ebenso wenig wird erkennbar, ob die Strafkammer bei der Gesamtwürdigung die wesentlichen Umstände der jeweiligen Taten und des gesamten Tatgeschehens bedacht hat, deren ausdrückliche Erörterung im Rahmen der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzten Gesamtwürdigung jedoch geboten gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178). Der Angeklagte beging innerhalb eines Zeitraums von etwa zweieinhalb Jahren 18 mitunter gravierende Sexualstraftaten, deren Intensität sich nicht nur hinsichtlich der sexuellen Handlungen, sondern auch hinsichtlich der bei der Tatbegehung zum Einsatz gekommenen Mittel, entgegenstehenden Willen der Opfer zu überwinden, deutlich gesteigert hat. Gerade auch relativ zeitnah aufeinanderfolgende Taten können in ihrer Häufung Ausdruck eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters sein, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juli 2007 – 2 StR 209/07, NStZ 2008, 27, 28). Dies hat die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick genommen.
20
(c) Zu besorgen ist ferner, bei der Gesamtwürdigung könnte dem Fehlen von Vorstrafen ein zu großes Gewicht beigemessen worden sein. Zwar kann berücksichtigt werden, dass ein Angeklagter in der Lage war, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen (vgl. Senat, Urteil vom 17. November 2010 – 2 StR 356/10, NStZ-RR 2011, 77). Liegen aber – wie die Strafkammer rechts- fehlerfrei feststellt – die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, so kann nach gesetzlicher Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es versteht sich daher nicht von selbst, dass es maßgeblich gegen einen Hang sprechen kann, wenn der Täter nicht früher, nicht öfter oder nicht intensiver straffällig wurde (BGH, Urteil vom 14. August 2007 – 1 StR 201/07 Rn. 30). Ein Fall, in dem längere straffreie Zeiträume zwischen den Anlasstaten festzustellen sind, was grundsätzlich gegen einen Hang sprechen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16 Rn. 22), liegt ersichtlich nicht vor.
21
c) Die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die neue Jugendschutzkammer wird zweckmäßigerweise einen anderen Sachverständigen hinzuziehen.
22
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im unterbliebenen Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Der Senat kann jedenfalls nicht ausschließen, dass sich die unzureichende Befassung mit der Persönlichkeit des Angeklagten auch auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Dem neuen Tatrichter soll überdies Gelegenheit gegeben werden, umfassende eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen.
23
4. Ergänzend bemerkt der Senat, dass ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit in Ausübung des in § 66 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht kommt, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, so dass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen. Vielmehr bedarf es zumindest konkreter Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg (Senat, Urteil vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11 Rn. 12).

Franke Krehl Meyberg Grube Wenske

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 66a Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn 1. jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,2. die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit diese

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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Erster Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 11. Juli 2017 wird verworfen.
Jedoch wird das vorgenannte Urteil im Schuldspruch klarstellend wie folgt neu gefasst: Der Angeklagte ist des sexuellen Übergriffs, exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und des tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften schuldig; im Übrigen ist er freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“, wegen exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und wegen tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der unter anderem wegen zweier Sexualstraftaten vorbestrafte, bis August 2012 in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindliche Angeklagte – 1994 wurde er wegen einer im Jahr 1993 begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und 2004 wegen einer im Jahr 2003 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt – war im Internet auf Videos aufmerksam geworden, in denen Männer in Zügen masturbierten und dabei mit ihren Mobiltelefonen sich selbst und weibliche Fahrgäste filmten. Er beschloss, solche Videos als Mittel zu seiner sexuellen Stimulation selbst anzufertigen. Zwischen Januar 2014 und November 2016 befuhr er nach dem Erwerb einer Tagesfahrkarte zumeist samstags mehrere Stunden lang mit Regionalzügen die Strecke zwischen H. und D. in beide Richtungen.
4
Am späten Abend des 30. April 2016 filmte er eine Frau, die auf einer Sitzbank des Zuges lag und schlief, wobei ihr Kopf auf einer Armlehne ruhte. Der Angeklagte stellte sich neben sie und manipulierte dabei an seinem entblößten erigierten Penis. Sodann strich er ihr mit seinem Penis durch die Haare. Als sich die Frau daraufhin im Schlaf durch die Haare fuhr, wobei es nicht zu einer Berührung des Geschlechtsteils des Angeklagten kam, entfernte er sich. Einige Minuten später kehrte er zurück und manipulierte erneut neben dem Kopf der schlafenden Frau an seinem entblößten erigierten Penis, ohne dass eine Berührung der Schlafenden stattfand. Weder sie selbst noch andere Fahrgäste nahmen die Handlungen des Angeklagten wahr.
5
In 43 weiteren Fällen im vorgenannten Tatzeitraum setzte sich der Angeklagte im Zug in die Nähe weiblicher Fahrgäste, jeweils nicht mehr als zwei Meter von ihnen entfernt. Er begann, die Frauen zu filmen, und masturbierte hierbei ; dies wurde jeweils von den betroffenen Frauen wahrgenommen, die sich hierdurch belästigt fühlten.
6
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 2. Dezember 2016 wurden auf zwei Computern insgesamt 15 kinderpornographische und 31 jugendpornographische Bilddateien sichergestellt, die der Angeklagte dort abgelegt hatte.
7
2. Das Landgericht hat für die Tat des „sexuellen Missbrauchs Wider- standsunfähiger“ eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahrenund drei Monaten, für die 43 Fälle exhibitionistischer Handlungen Einzelfreiheitsstrafen von jeweils neun Monaten und für den tateinheitlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt.
8
Sachverständig beraten hat es von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 StGB abgesehen. Die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und b), Nr. 2 und Nr. 3 StGB lägen ebenso vor wie ein Hang des Angeklagten, Straftaten zu begehen, jedoch sei dieser Hang des An- geklagten nicht mehr, wie von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzt, auf die Begehung erheblicher Straftaten gerichtet.
9
Zwar seien vom Angeklagten vergleichbare Straftaten wie die vorliegenden zu erwarten, einschließlich derjenigen des „sexuellen Missbrauchs“, die einen als mittelschwer zu beurteilenden Fall dieses Straftatbestandes darstelle; hierbei handele es sich jedoch nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Hingegen sei die Begehung schwerwiegender Taten durch ihn – etwa Vergewaltigungen – nicht mit einer bestimmten, auf konkreten Umständen beruhenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten; eine solche Tat habe er seit dem Jahr 2003 nicht mehr begangen.

II.


10
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
11
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt.
12
a) Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Revision auf das Unterlassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung (vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. August 2017 – 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310, 311; vom 29. November 2017 – 5 StR 446/17).
13
b) Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 1. Juli 2008 – 1 StR 183/08; vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 318 Rn. 26).
14
Etwas anderes gilt dann, wenn das Tatgericht die Höhe der Strafe von der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung abhängig gemacht und damit Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gesetzt hat (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2011, 172; vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Dies ist hier nicht der Fall.
15
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB mehr, weil die Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ – ebensowie zu erwartende vergleichbare Taten – keine erhebliche Straftat in diesem Sinne sei und schwerere Taten nicht zu erwarten seien, ist rechtsfehlerfrei begründet.
16
a) Mit ihrem Einwand, das Landgericht habe die Anlasstat zu Unrecht nicht als erheblich in diesem Sinne eingestuft und ihr deshalb rechtsfehlerhaft einen Symptomcharakter für die Gefährlichkeitsprognose abgesprochen, dringt die Beschwerdeführerin nicht durch.
17
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17). Kriterien hierfür ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) bis c) StGB fallen und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/ Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB („namentlich“),wobei aber auch damit keine abschließende Festlegung verbunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
18
Zur Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwar- tenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kann daher kein genereller Maßstab angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103); erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwin- digkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 – 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Erheblichkeit 2; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240). Zudem ist im Bereich der mittleren Kriminalitätdem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der Entscheidung der Frage, ob er einen Hang zu erheblichen Taten bejahen kann, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; seine Entscheidung kann vom Revisionsgericht nur dann beanstandet werden, wenn der Tatrichter nicht alle für die Gesamtwürdigung bedeutsamen Umstände gewürdigt hat oder das Ergebnis seiner Würdigung den Rahmen des noch Vertretbaren sprengt (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, aaO; vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588; vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, wistra 1988, 22, 23; vom 20. Mai 1980 – 4 StR 187/80, JZ 1980, 532).
19
bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält die Annahme des Landgerichts , die vorliegende Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ stelle – ebenso wie die zu erwartenden vergleichbaren Taten – keine erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB dar, revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
20
Soweit das Landgericht zur Begründung zunächst darauf verwiesen hat, die Anlasstat und die zu erwartenden vergleichbaren Taten seien deshalb nicht erheblich, weil hierdurch dem Opfer keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden zugefügt würden, steht dieser Gesichtspunkt – für sich betrachtet – der Annahme erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB allerdings nicht entgegen. Denn das Gesetz hat, wie bereits ausgeführt, mit den Worten, dass unter erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB „namentlich“ solche zu verstehen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“, keine abschließende Festlegung vorgenommen, wann eine Straftat in diesem Sinne erheblich ist, sondern erfordert stets eine Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38 f.).
21
Die Strafkammer hat jedoch eine solche Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Sie hat bei der Beurteilung der vom Angeklagten zu erwartenden Taten nicht etwa einseitig nur auf mögliche Tatfolgen – ausgehend von der geringen Folge bei der vorliegenden Anlasstat – abgestellt. Vielmehr hat sie auch das konkrete Erscheinungsbild der Tat und ihre Begehungsweise in den Blick genommen. So hat sie darauf verwiesen, dass diese Tat nur wenige Sekunden andauerte. Darüber hinaus hat sie berücksichtigt , dass die Handlung zwar in Gesichtsnähe erfolgte, der Angeklagte jedoch lediglich die Haare der Geschädigten berührte, wodurch es – ohne jede Gewaltanwendung – nur zu einem geringen körperlichen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten kam.
22
Angesichts dieser Umstände ist das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB von einer sexuellen Handlung ausgegangen, die sich in ihrem Schweregrad nur unwesentlich von den dem Angeklagten im Übrigen angelasteten exhibitionistischen Handlungen – die die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht erreichen (vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 55; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 66 Rn. 57) – unterscheidet. Dem steht auch nicht entgegen, dass es für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt hat, da diese Strafhöhe ersichtlich nicht auf die Tatschwere oder die Tatfolgen, sondern auf die Vorstrafen des Angeklagten zurückzuführen ist; für die Beurteilung der objektiven Erheblichkeit der Anlasstat kommt der strafrechtlichen Vorbelastung jedoch nur eingeschränkte Aussagekraft zu.
23
Das Landgericht hat schließlich bei seiner Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat auch keinen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen und sich insbesondere mit den Vorverurteilungen des Angeklagten auseinandergesetzt. Insgesamt hält sich seine Beurteilung der Erheblichkeit dieser Tat innerhalb des dem Tatgericht insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es begegnet daher keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Anlasstat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB angesehen hat.
24
b) Mit ihren weiteren Einwänden gegen die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls keinen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf.
25
aa) Soweit die Staatsanwaltschaft hier zunächst beanstandet, das Landgericht habe bei der Würdigung des Angeklagten und seiner Taten das Fortbestehen seiner Persönlichkeitsstörung sowie seine Lernunwilligkeit und Therapieresistenz nicht ausreichend berücksichtigt, dringt sie hiermit nicht durch. Denn das Landgericht hat sich im angefochtenen Urteil mit diesen Umständen ausführlich auseinandergesetzt. So hat es seine Annahme, dass mit weiteren Straftaten des Angeklagten – die allerdings im Schweregrad den festgestellten Taten entsprächen – zu rechnen sei, gerade auf die Persönlichkeitsstörung und Lernunwilligkeit des Angeklagten zurückgeführt. Die von der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin abweichende Bewertung der Schwere der zu er- wartenden Straftaten durch das Landgericht ist jedoch, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, vertretbar und damit revisionsrechtlich nicht angreifbar.
26
bb) Auch soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, die Strafkammer habe bei der Beurteilung der Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten zu Unrecht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass die Begehung der letzten schweren Tat durch ihn mehr als dreizehn Jahre zurückliege, ohne hiervon die Zeiten seiner Strafhaft und Unterbringung im Maßregelvollzug abzuziehen, zeigt sie einen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils damit nicht auf. Denn das Landgericht hat bei der Berücksichtigung des Zeitablaufs seit der im Jahr 2003 begangenen Tat ersichtlich sowohl die Strafhaft als auch die anschließende Unterbringung des Angeklagten im Blick gehabt; dies zeigt sich insbesondere in der Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte sei während der langjährig absolvierten Therapie in der LWL-Klinik, in der sich auch weibliche Patienten befanden , nicht durch Straftaten zu deren Nachteil auffällig geworden.
27
3. Zutreffend hat das Landgericht die Tat zu II 2 a der Urteilsgründe rechtlich nicht nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 StGB aF gewürdigt, sondern nach der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in deren seit dem 10. November 2016 geltender Fassung als milderem Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. Soweit es diese Tat gleichwohl im Schuldspruch als „sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger“ bezeichnet hat, erweist sichdies allerdings als unzutreffend, da es sich bei der verwirklichten Straftat nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF um einen „sexuellen Übergriff“ handelt (vgl. BGH, Be- schluss vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33, 34). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend klargestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Paul

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5
a) Das Merkmal des Hangs verlangt – was das Landgericht im Ausgangspunkt nicht verkennt – nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschlüsse vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; vom 24. Mai 2017 – 1StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15 mwN). Sein Vorliegen hat das Tatgericht unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Symptom- und Anlasstaten maßgebenden Umstände festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume grundsätzlich gegen einen Hang sprechen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, aaO).

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR382/13
vom
6. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. März 2013, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen griff der Angeklagte, der als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt W. einsaß, zusammen mit dem Mitangeklagten S. einen Mitgefangenen an. Er stieß ihm ein Messer in den Rücken und verletzte ihn bei dem Versuch, nochmals zuzustechen, am Arm. Anschließend trat er zusammen mit dem Mitangeklagten mehrfach auf den am Boden liegenden Geschädigten ein.
3
Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und die im vorliegenden Fall fortgeltenden erhöhten Anforderungen an die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) gesehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, juris). Hingegen hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Sein Vorliegen hat der Tatrichter - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, juris; Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5).
4
Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Es teilt im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mit, der Angeklagte entspreche auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) bei einer Gesamtschau "keiner ganz typisch psychiatrisch zu identifizierenden Fallkonstellation eines Hangtäters", er erfülle einen Großteil ("zehn von elf", keine Psychopathie; UA S. 76), aber nicht alle Merkmale, die aus psychiatrischer Sicht für einen Hangtäter typisch seien (UA S. 72). Zwar befasst sich das Landgericht im Folgenden mit einzelnen der in dem besagten Katalog genannten Kriterien und gleicht sie mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Straftaten ab; indes bleibt offen, worin genau sich die Persönlichkeit des Angeklagten aufgrund der fehlenden Psychopathie von derjenigen eines "typischen Hangtäters" unterscheidet und warum trotz dieser Unterschiede ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu bejahen ist.
5
Dieser Mangel wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass sich das Landgericht zur Begründung des Hanges auf die vom Sachverständigen referierten Ergebnisse der Anwendung mehrerer statistischer Prognoseinstrumente auf den Angeklagten stützt, ohne dabei allerdings in den Blick zu nehmen, dass diese Prognoseinstrumente maßgeblich nicht der Beurteilung des Hangs des Täters zur Begehung von Straftaten, sondern der Einschätzung seiner künftigen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit dienen sollen (zur Differenzierung zwischen diesen beiden Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Insoweit braucht sich der Senat auch hier nicht näher mit der Frage zu befassen, ob es grundsätzlich zulässig ist, aus einer Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zur Begehung von Straftaten rückzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07, StV 2008, 301, 302; vgl. demgegenüber etwa BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 132: naheliegend, dass die Feststellung der Gefährlichkeitsprognose im Regelfall auf das Vorliegen eines Hangs hindeutet; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, juris Rn. 8: Bejahung der Gefährlichkeitsprognose unvereinbar mit dem Schluss, bei dem Täter liege kein "Hang" zur Begehung von Straftaten vor). Denn selbst wenn dieser Schluss regelmäßig gerechtfertigt sein sollte, so bedarf das Ergebnis statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters gerade dann, wenn es auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden Angeklagten und seinen früheren Taten. Dies bleibt aus den schon aufgezeigten Gründen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft, denn gerade wenn es sich bei dem Angeklagten um einen untypischen Fall handelt, bedarf die Aussagekraft rein statistischer Prognoseinstrumente schon für sich besonders gründlicher Prüfung, insbesondere aber der kritischen Gegenüberstellung mit der konkreten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Taten. Daran mangelt es; denn auch nach der Darstellung der einzelnen Prognoseinstrumente bleibt für das Landgericht das Fazit, dass der Angeklagte kein ganz typischer Hangtäter sei (UA S. 76). Eine Erläuterung der Unterschiede zum "typischen Hangtäter" und deren Unerheblichkeit für das Vor- liegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbleibt auch hier.
6
Über den Maßregelausspruch ist deshalb nochmals zu verhandeln und zu entscheiden.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol
22
Bei dem „Hang“ handelt es sich um einen der gerichtlichen Würdigung unterliegenden Rechtsbegriff, in Bezug auf den die Beurteilung seines Vorliegens nicht einem Sachverständigen überantwortet werden darf. Die gerichtliche Würdigung ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten , der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (BGH, Urteil vom 5. April 2017 – 1 StR 621/16, juris Rn. 10, Rissing-van Saan/Peglau aaO § 66 Rn. 126 ff. mwN). Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume zwar im Grundsatz aber nicht zwingend gegen einen Hang sprechen (BGH aaO; Rissing-van Saan/Peglau aaO § 66 Rn. 131 mwN).

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 87/11
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. Oktober 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, Vergewaltigung und versuchter Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Nebenklägerin sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin beanstandet wird, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zur Begründung seines Beweisbegehrens hat sich der Verteidiger des Angeklagten in dem in der Hauptverhandlung am 25. August 2010 gestellten Beweisantrag auf die von der Zeugin F. übergebenen Krankenunterlagen und in dem Wiederholungsantrag vom 12. Oktober 2010 u.a. auf den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen der Nebenklägerin am 27. Januar und 9. Februar 2010 bezogen. Die Revision versäumt es, den Inhalt der Krankenunterlagen sowie der Protokolle der beiden polizeilichen Vernehmungen vollständig mitzuteilen.
3
2. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil die Urteilsgründe eine Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nicht erkennen lassen.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, dessen Entscheidung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich ist. Um eine Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe sowohl erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, als auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43; vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12; Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473; vgl. auch Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10 Rn 13 zu § 66 Abs. 2 StGB aF). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die Urteilsausführungen beschränken sich allein darauf, die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF festzustellen. Ihnen ist weder zu entnehmen, dass die Strafkammer ihr Ermessen überhaupt betä- tigt hat, noch legen sie die für eine möglicherweise getroffene Ermessensentscheidung maßgeblich gewesenen Erwägungen näher dar.
5
3. Für die neuerliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung weist der Senat auf Folgendes hin:
6
a) Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - 4 StR 474/09, NStZ-RR 2011, 143, 145). Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster", bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586), bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484; Urteile vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 5; vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09).
7
b) Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) als auch in § 67d Abs. 3 StGB aF. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prog- nose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 aaO; Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 7).
8
c) Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Anforderungen zu beachten haben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 - für die befristete weitere Anwendung dieser Norm aufgestellt hat (vgl. Rn. 172 der Entscheidung). Ernemann RiBGH Dr. Franke ist Mutzbauer erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender Quentin
31
Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 2019 – 5 StR 476/18; und vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteile vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16, StraFo 2017, 246; und vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271; Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273).

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR382/13
vom
6. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. März 2013, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen griff der Angeklagte, der als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt W. einsaß, zusammen mit dem Mitangeklagten S. einen Mitgefangenen an. Er stieß ihm ein Messer in den Rücken und verletzte ihn bei dem Versuch, nochmals zuzustechen, am Arm. Anschließend trat er zusammen mit dem Mitangeklagten mehrfach auf den am Boden liegenden Geschädigten ein.
3
Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und die im vorliegenden Fall fortgeltenden erhöhten Anforderungen an die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) gesehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, juris). Hingegen hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Sein Vorliegen hat der Tatrichter - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, juris; Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5).
4
Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Es teilt im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mit, der Angeklagte entspreche auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) bei einer Gesamtschau "keiner ganz typisch psychiatrisch zu identifizierenden Fallkonstellation eines Hangtäters", er erfülle einen Großteil ("zehn von elf", keine Psychopathie; UA S. 76), aber nicht alle Merkmale, die aus psychiatrischer Sicht für einen Hangtäter typisch seien (UA S. 72). Zwar befasst sich das Landgericht im Folgenden mit einzelnen der in dem besagten Katalog genannten Kriterien und gleicht sie mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Straftaten ab; indes bleibt offen, worin genau sich die Persönlichkeit des Angeklagten aufgrund der fehlenden Psychopathie von derjenigen eines "typischen Hangtäters" unterscheidet und warum trotz dieser Unterschiede ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu bejahen ist.
5
Dieser Mangel wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass sich das Landgericht zur Begründung des Hanges auf die vom Sachverständigen referierten Ergebnisse der Anwendung mehrerer statistischer Prognoseinstrumente auf den Angeklagten stützt, ohne dabei allerdings in den Blick zu nehmen, dass diese Prognoseinstrumente maßgeblich nicht der Beurteilung des Hangs des Täters zur Begehung von Straftaten, sondern der Einschätzung seiner künftigen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit dienen sollen (zur Differenzierung zwischen diesen beiden Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Insoweit braucht sich der Senat auch hier nicht näher mit der Frage zu befassen, ob es grundsätzlich zulässig ist, aus einer Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zur Begehung von Straftaten rückzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07, StV 2008, 301, 302; vgl. demgegenüber etwa BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 132: naheliegend, dass die Feststellung der Gefährlichkeitsprognose im Regelfall auf das Vorliegen eines Hangs hindeutet; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, juris Rn. 8: Bejahung der Gefährlichkeitsprognose unvereinbar mit dem Schluss, bei dem Täter liege kein "Hang" zur Begehung von Straftaten vor). Denn selbst wenn dieser Schluss regelmäßig gerechtfertigt sein sollte, so bedarf das Ergebnis statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters gerade dann, wenn es auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden Angeklagten und seinen früheren Taten. Dies bleibt aus den schon aufgezeigten Gründen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft, denn gerade wenn es sich bei dem Angeklagten um einen untypischen Fall handelt, bedarf die Aussagekraft rein statistischer Prognoseinstrumente schon für sich besonders gründlicher Prüfung, insbesondere aber der kritischen Gegenüberstellung mit der konkreten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Taten. Daran mangelt es; denn auch nach der Darstellung der einzelnen Prognoseinstrumente bleibt für das Landgericht das Fazit, dass der Angeklagte kein ganz typischer Hangtäter sei (UA S. 76). Eine Erläuterung der Unterschiede zum "typischen Hangtäter" und deren Unerheblichkeit für das Vor- liegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbleibt auch hier.
6
Über den Maßregelausspruch ist deshalb nochmals zu verhandeln und zu entscheiden.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

30
(1) Liegen die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, so kann nach gesetzlicher Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es versteht sich daher nicht von selbst, dass es maßgeblich gegen einen Hang sprechen kann, wenn der Täter nicht früher, nicht öfter oder nicht intensiver straffällig wurde. Außerdem übersieht der Hinweis auf die nicht zunehmende „Frequenz“ der Taten, dass es ab August/September 2004 in kurzem Abstand zu vier Taten kam.
22
Bei dem „Hang“ handelt es sich um einen der gerichtlichen Würdigung unterliegenden Rechtsbegriff, in Bezug auf den die Beurteilung seines Vorliegens nicht einem Sachverständigen überantwortet werden darf. Die gerichtliche Würdigung ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten , der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (BGH, Urteil vom 5. April 2017 – 1 StR 621/16, juris Rn. 10, Rissing-van Saan/Peglau aaO § 66 Rn. 126 ff. mwN). Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume zwar im Grundsatz aber nicht zwingend gegen einen Hang sprechen (BGH aaO; Rissing-van Saan/Peglau aaO § 66 Rn. 131 mwN).

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

12
Das Landgericht hat sich sowohl im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung erschöpfend mit der Frage auseinandergesetzt, ob andere geeignete Maßnahmen gegeben sind, um der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit zu begegnen oder diese zumindest erheblich abzuschwächen. Dies hat es mit tragfähiger Begründung verneint. Entgegen dem Revisionsvorbringen musste sich das Landgericht dabei nicht ausdrücklich mit dem Umstand befassen, dass der Angeklagte erstmals zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und bislang "praktisch nicht" therapiert wurde. Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 421/10, StV 2011, 276). Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen. Vielmehr bedarf es - worauf der Senat bereits in seinem Urteil vom 4. November 2009 hingewiesen hat (vgl. NStZ-RR 2010, 77, 78) - zumindest konkreter Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg (vgl. auch BGH, Urteile vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337, 338 und vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 sowie Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rn. 233). Solche sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Das Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug und zukünftig möglicherweise eintretende Haltungsänderungen werden demnach im Rahmen der obligatorischen Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteile vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, NStZ-RR 2004, 202, 203, und vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; Fischer StGB 59. Aufl. § 66 Rn. 36). Ernemann Appl Berger Eschelbach Ott