Bundesgerichtshof Urteil, 24. Mai 2018 - 4 StR 642/17

bei uns veröffentlicht am24.05.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 642/17
vom
24. Mai 2018
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2018:240518U4STR642.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Erster Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 27. Juli 2017 wird verworfen. 2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 17. Januar 2018 dargelegten Gründen erfolglos. Ergänzend bemerkt der Senat das Folgende:
3
Soweit die Strafkammer in den Fällen II. 43 (Wurf einer gefüllten Likörflasche auf das Anwesen des Nebenklägers, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe befand) und II. 47 (Wurf eines vollen Glases mit Pesto aus dem Dachflächenfenster auf den menschenleeren Gehweg) einen natürlichen Körperverletzungsvorsatz mit der Begründung verneint hat, dass der Beschuldigten im Moment ihres Handelns aufgrund ihrer Erkrankung eine Risikoabwägung nicht möglich gewesen sei, begegnet dies zwar mit Rücksicht auf die Rechtsprechung , wonach krankheitsbedingte Vorstellungsausfälle die Annahme eines natürlichen Vorsatzes nicht ausschließen, wenn der Täter infolge seines Zustands Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273, 274; Beschluss vom 18. Juni 2014 – 5 StR 189/14; Beschluss vom 29. Mai 1991 – 3 StR 148/91, NStZ 1991, 528; Urteil vom 11. November 1952 – 1 StR 510/52, BGHSt 3, 287, 288 f.; st. Rspr.), rechtlichen Bedenken. Diese greifen aber im Ergebnis nicht durch, weil die Feststellungen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür ergeben, dass jeder geistig gesunde Mensch in der Situation der Beschuldigten zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hätte. Im Fall II. 43 vermochte die Strafkammer bereits nicht festzustellen, dass die Beschuldigte den Nebenkläger vor ihrem Wurf überhaupt gesehen hatte. Im Fall II. 47 hatte sie im Moment des Wurfes zwar keine Sicht auf den (tatsächlich menschenleeren ) Gehweg; die Annahme, dass kein voll Schuldfähiger in dieser Situation auf einen glücklichen Ausgang vertraut, sondern vielmehr jeder voll Schuldfähige eine Verletzung von Passanten für möglich gehalten und in Kauf genommen hätte, lässt sich darauf aber nicht stützen. Der insoweit „geständigen“ Einlassung der Beschuldigten ist die Strafkammer mit tragfähiger Begründung nicht gefolgt.

II.


4
Bei Erfolglosigkeit einer zuungunsten des Beschwerdegegners eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft haben die Nebenkläger die ihnen im Revisionsverfahren erwachsenen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2011 – 4 StR 331/11, Rn. 11, insoweit in NStZ-RR 2011, 156 nicht abgedruckt; Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 178/04, bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 473 Rn. 15).
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Paul

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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juni 2014 - 5 StR 189/14

bei uns veröffentlicht am 18.06.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 189/14 vom 18. Juni 2014 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juni 2014 beschlossen: Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8.

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Nov. 2011 - 4 StR 331/11

bei uns veröffentlicht am 24.11.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 331/11 vom 24. November 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2011, an der

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15

bei uns veröffentlicht am 30.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 1 8 1 / 1 5 vom 30. Juni 2015 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Juni 2015 gemäß § 349
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Bundesgerichtshof Urteil, 16. Jan. 2019 - 2 StR 312/18

bei uns veröffentlicht am 16.01.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 312/18 vom 16. Januar 2019 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u. a. ECLI:DE:BGH:2019:160119U2STR312.18.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Januar 2019,

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 8 1 / 1 5
vom
30. Juni 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Juni 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 25. Februar 2015 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den Taten Ziffer III. der Urteilsgründe aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Die Feststellungen des Landgerichts zu den Taten des Beschuldigten beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung muss aufgehoben werden, da das Landgericht die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei entschieden hat.
4
a) Nach den Darlegungen des Landgerichts war die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei den Taten III. 1. c) aa) und bb), III. 1 b) bb), III. 3. b) aa) der Urteilsgründe (Nr. 1 bis 4, 7 der Antragsschrift) aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie höchstwahrscheinlich ausgeschlossen, sicher aber erheblich beeinträchtigt, die Steuerungsfähigkeit hingegen vollständig erhalten geblieben.
5
Damit ist die gesetzliche Voraussetzung (vgl. § 63 StGB), dass der Beschuldigte diese fünf Taten im Zustand sicher festgestellter zumindest eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat, nicht belegt. Nimmt der Tatrichter eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss er darüber befinden, ob diese sodann zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 13. November 1990 - 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3; vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, juris Rn. 7). Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter zu prüfen, ob ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist ihm das Fehlen nicht vorwerfbar, so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar. Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm aber zum Vorwurf gemacht werden kann, lägen die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit nicht anwendbar (BGH, Beschluss vom 30. September 2014 - 3 StR 261/14, juris Rn. 3).
6
b) Gleiches gilt im Ergebnis für die übrigen drei Taten, bei denen das Landgericht neben der erheblichen Verminderung der Einsichtsfähigkeit auch eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten festgestellt hat. Die Anwendung des § 21 StGB kann nicht auf beide Alternativen - erheblich verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - zugleich gestützt werden. Wie dargelegt ist eine verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Im Gegensatz dazu führt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des § 21 StGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich deshalb Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6 mwN). Ein Fall, in dem das Revisionsgericht ausnahmsweise aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sicher entnehmen kann, dass das Landgericht von erhalten gebliebener Einsicht des Beschuldigten in das Tatunrecht ausgegangen ist, liegt nicht vor.
7
c) Über die psychische Befindlichkeit des Beschuldigten bei den Taten, deren Einfluss auf die Schuldfähigkeit und ggf. über die weiteren Voraussetzungen der Unterbringung nach § 63 StGB muss deshalb erneut befunden werden.
8
3. Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Bemerkungen :
9
a) Sollte die erneute Überprüfung ergeben, dass eine verminderte Schuldfähigkeit bei einzelnen oder allen Taten nicht allein auf einer Schizophrenie des Beschuldigten beruht, sondern auf dessen Alkoholabhängigkeit und Polytoxikomanie, so wäre auf die in solchen Fällen geltenden besonderen Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42) Bedacht zu nehmen. Den bisherigen Wertungen zur Schuldfähigkeit bei den Taten 5, 6 und 8 der Antragsschrift (UA S. 42 f.) lässt sich allerdings entnehmen , dass die Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit bereits allein auf die Psychose gestützt werden sollte und der Alkoholisierung lediglich noch eine verstärkende Wirkung zugemessen wurde.
10
b) Die Taten III. 1. b) bb) sowie III. 2. a) aa) der Urteilsgründe (Nr. 3, 4 und 5 der Antragsschrift) scheiden entgegen der Auffassung im angefochtenen Urteil nicht deshalb als Anlasstaten für eine Unterbringung aus, weil der Beschuldigte krankheitsbedingt den subjektiven Tatbestand nicht erfüllt hat. Es berührt den natürlichen Tatvorsatz nicht, wenn der Täter infolge seines Zustands Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - 3 StR 222/08, NStZ-RR 2008, 334; Beschluss vom 18. Juni 2014 - 5 StR 189/14, juris mwN). Diese Taten können deshalb grundsätzlich zum Anlass für eine neuerliche Unterbringung gemacht werden (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Becker Pfister Mayer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 189/14
vom
18. Juni 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juni 2014 beschlossen:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. August 2013 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es den natürlichen Tatvorsatz nicht berührt, wenn der Täter infolge seines Zustands Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1952 – 1 StR 510/52, BGHSt 3, 287; Beschluss vom 24. Juni 2008 – 3 StR 222/08, NStZ-RR 2008, 334; Schöck in LK, 12. Aufl., § 63 Rn. 43 ff.). Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 63 StGB reicht es zur Bejahung des voluntativen Vorsatzelements aus, dass es dem Beschuldigten – zurAbwehr vermeintlicher Feinde – darauf ankam, das Feuer zu legen, das leicht auf wesentliche Gebäudeteile hätte überspringen können.
Basdorf Sander Schneider König Bellay
11
Bleibt die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos, hat der Nebenkläger seine im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 149/04, bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 90).