Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2015 - 3 StR 516/14

bei uns veröffentlicht am09.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 5 1 6 / 1 4
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 10. Juni 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die sich gegen den Teilfreispruch richtende Revision des Nebenklägers erstrebt die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes und rügt die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


3
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten - neben dem abgeurteilten Betäubungsmitteldelikt - zur Last gelegt, den K. von hinten mit einem Messerstich in den Rücken heimtückisch getötet zu haben.
4
1. Der Angeklagte hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, dass ihn K. nach einem verbal geführten Streit in seiner Wohnung mit einem - dem Angeklagten gehörenden - Messer bedroht und zur Herausgabe von Marihuana aufgefordert habe. Er habe sich entschlossen, sich zu wehren. Im Verlauf des sich anschließenden Kampfgeschehens sei es ihm schließlich gelungen , K. das Messer aus der Hand zu reißen. Er habe das Messer mit seiner linken Hand genommen und es mit dem angewinkelten Arm in Richtung des ihm den Rücken zuwendenden K. gehalten. Dieser habe seinen Oberkörper unvermittelt nach hinten geschleudert und ihm mit dem Hinterkopf eine "Kopfnuss" verpasst. Diese Bewegung habe dazu geführt, dass das Messer in K. s Rücken eingedrungen sei. Seine Hand sei immer noch am Griff des Messers gewesen, als er - ein erfahrener Kampfsportler - "Sekundenbruchteile" später mit seinem rechten Fuß in K. s Kniekehle getreten habe, um ihn zu Boden zu bringen. Dieser habe das Gleichgewicht verloren und beide seien gemeinsam gegen die Haustür gestürzt. Er habe gespürt, dass das Messer dadurch noch tiefer in den Körper eingedrungen sei. Sie seien beide zu Boden gegangen. Er habe das Messer sofort herausgezogen, nachdem ihn K. dazu aufgefordert habe. Er habe sich verteidigen und den Kampf beenden , K. aber nicht töten wollen.
5
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass diese Angaben des Angeklagten zum Tathergang unrichtig sind und er den Tod des K. vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte in einer Notwehrsituation befunden habe. Die Strafkammer hat den Angeklagten deshalb unter Zugrundelegung des Zweifelsatzes insoweit freigesprochen.

II.


6
Vor diesem Hintergrund rügt der Nebenkläger zutreffend, dass das Landgericht einen Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rechtsfehlerhaft abgelehnt hat.
7
1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
8
Der Nebenkläger hat in der Hauptverhandlung den - näher begründeten - Antrag gestellt, "ein kriminaltechnisches Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion von Geschehensabläufen und Tatgeschehen einzuholen". Das Sachverständigengutachten werde ergeben, dass das vom Angeklagten "im Rahmen einer sog. geschlossenen Verteidigererklärung geschilderte Tatgeschehen , welches zum Tode des K. geführt haben soll, nicht in der geschilderten Art und Weise stattgefunden haben kann".
9
Das Landgericht hat den Antrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachten sei für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet; die objektiv feststehenden Parameter, wie etwa insbesondere Körpergröße und Körpergewicht des Angeklagten sowie des Opfers, Maße und Beschaffenheit des Tatmessers, die im Rahmen der Obduktion des Leichnams erhobenen Befunde zur Stichverletzung, zum Verlauf und zur Tiefe des Stichkanals sowie zur Beschaffenheit der Eintrittswunde, weiterhin die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der Wohnung des Angeklagten , insbesondere des Wohnungsflurs sowie einer Planskizze des Flurs, aus denen sich dessen Größe, die Lage der Türen und der vorgefundenen Blutspuren ergeben, stellten keine ausreichende Grundlage für eine Rekonstruktion des Tathergangs dar und ließen keinen "sicheren Rückschluss" zu.
10
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
11
a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben, insbesondere ergibt sich aus der Revisionsrechtfertigung die Angriffsrichtung der Rüge hinreichend deutlich und es ist ausreichend dargetan, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
12
Eine zulässige Verfahrensrüge setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer einen bestimmten Verfahrensmangel behauptet. Entscheidend ist dabei, dass der Begründung zweifelsfrei entnommen werden kann, welcher Verfahrensmangel gemeint ist. Kommen nach den durch den Beschwerdeführer vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht , muss er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Angriffsrichtung seiner Rüge deutlich machen und dartun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 308/14, juris; vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162 sowie Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94; KKGericke , StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 34 mwN).

13
An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge auch unter diesem Gesichtspunkt als zulässig. In der Revisionsrechtfertigung hat der Beschwerdeführer zunächst den Verfahrensgang dargelegt und dann vorgetragen, dass er im Hauptverhandlungstermin vom 10. Juni 2014 das beschriebene Beweisbegehren erhoben hat. Den Antrag und seine Begründung hat er vollständig mitgeteilt. Weiterhin ergibt sich aus der Revisionsrechtfertigung, dass das Landgericht diesen Antrag als Beweisantrag angesehen und gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt hat, da die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachtens für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet sei. Auch die Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO gebiete die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht. Den Ablehnungsbeschluss des Landgerichts und seine Begründung hat der Beschwerdeführer ebenfalls vollständig dargelegt. Er macht im Rahmen seiner rechtlichen Bewertung dieser Ablehnungsentscheidung auch geltend, dass das Landgericht diesen Antrag nicht wegen völliger Ungeeignetheit des bezeichneten Beweismittels hätte ablehnen dürfen. Der Umstand, dass er in diesem Zusammenhang auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Gerichts rügt und § 244 Abs. 2 StPO sowie § 244 Abs. 4 StPO anführt, steht der Zulässigkeit der Verfahrensbeanstandung nicht entgegen. Zum einen hat das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss den Antrag auch unter dem Aspekt der Aufklärungspflicht abgelehnt und kann der Antragsteller die Zurückweisung seines Beweisantrages sowohl als Verstoß gegen § 244 Abs. 3 bis 5 StPO als auch als Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO rügen (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 380 mwN). Zum anderen schadet es im Allgemeinen nicht, dass - bei sonst ordnungsgemäßer Darlegung und Erkennbarkeit der Angriffsrichtung - (auch) eine unzutreffende Rechtsnorm als verletzt angegeben wird (vgl. KK-Gericke aaO). Danach ist hier in Ansehung des gesamten Rügevorbringens nicht zweifelhaft, dass der Beschwerdeführer die Ablehnung seines Antrags durch das Landgericht jedenfalls auch wegen der Annahme völliger Ungeeignetheit des Beweismittels beanstandet.
14
b) Diese Rüge ist auch begründet. Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag ist ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO. Die Ablehnung dieses Beweisantrags durch das Landgericht ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
15
aa) Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 und 4 StPO erfordert inhaltlich die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht genügend ist allein die Benennung des Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm gerade nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine Beweisbehauptung in der gebotenen Konkretisierung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung des Antrags nach dessen Sinn und Zweck zu ermitteln. Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbehauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akteninhalts zu beurteilen. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere beim Antrag auf Sachverständigenbeweis; denn dort ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen (vgl. LR/Becker aaO, § 244 Rn. 96).
16
Daran gemessen stellt das Beweisbegehren des Beschwerdeführers einen Beweisantrag dar: Zwar erweckt die Antragsformel für sich genommen den Anschein, der Nebenkläger behaupte lediglich ein - von ihm noch dazu negativ formuliertes - Beweisziel. Aus der folgenden Begründung ergibt sich jedoch mit ausreichender Deutlichkeit, was er durch das Sachverständigengutachten tatsächlich zu belegen trachtet, nämlich dass nach wissenschaftlichen Erfahrungssätzen der auf der Grundlage der vorhandenen Beweise und Spuren festzustellende Tathergang nicht mit den Angaben des Angeklagten zum Ablauf der Tat zu vereinbaren ist. Hierzu ist zum einen die (schriftlich vorbereitete) "geschlossene Verteidigererklärung" mit der Einlassung des Angeklagten in die Antragsbegründung eingestellt, zum anderen werden aber auch beispielhaft die - den Akten entnehmbaren - Parameter (Rauminhalt, Quadratmeterzahl, Blutanhaftungen , Stichkanal etc.) aufgelistet, anhand derer nach kriminaltechnischem Erfahrungswissen der Beleg zu führen sei, dass die Beschaffenheit des Tatortes, das Spuren- und Verletzungsbild sowie die weiteren objektivierbaren Tatumstände die Tatschilderung des Angeklagten widerlegen; es werden damit umfangreich Anknüpfungstatsachen benannt, auf die das Gutachten aufbauen soll. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass es sich bei dem Beweisbegehren weder um einen bloßen Aufklärungsantrag handelt, der darauf gerichtet ist, durch Versuche oder Rekonstruktion der Tat hypothetisch mögliche andere Tatabläufe zu ermitteln (vgl. dazu LR/Becker aaO, § 244 Rn. 171 ff. mwN), noch dass der Nebenkläger die allein dem Gericht obliegende abschließende Würdigung des Beweisergebnisses durch die Bewertung des Sachverständigen ersetzt wissen will. Deshalb unterscheidet sich das Beweisthema im vorliegenden Fall entscheidend von dem eines Antrags, der begehrt, lediglich die Ergebnisse eines operativen Fallanalysegutachtens in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2006 - 3 StR 77/06, NStZ 2006, 712). Somit ist der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO eröffnet.

17
bb) Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Landgericht hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste. Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht aber schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können. Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises - etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen - klären (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345 mwN).
18
Danach vermag die vom Landgericht gegebene Begründung die Ablehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen. Sie stützt sich maßgeblich darauf , die vorhandenen Anknüpfungstatsachen seien für eine genaue Tatrekonstruktion nicht ausreichend und es fehle an zwingend erforderlichen weiteren Anknüpfungstatsachen, die "einen sicheren Rückschluss dahin zulassen, ob der von dem Angeklagten geschilderte Tathergang … sich keineswegs so zugetragen haben kann". Damit werden zum einen schon die rechtlichen Maßstäbe für die Einstufung des Sachverständigenbeweises als völlig ungeeignetes Beweismittel verkannt. Zum anderen ist aber auch nicht belegt, dass ein Sachverständiger nicht in der Lage wäre, aus den zahlreich vorhandenen Beweisergebnissen und Spuren nicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zu deren Übereinstimmung mit der vom Angeklagten abgegebenen Tatschilderung zu machen. Eine Klärung dieser Fragen im Freibeweis durch Anhörung eines kompetenten Sachverständigen hat das Landgericht nicht vorgenommen.
19
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht nach Einholung des kriminaltechnischen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung des Tathergangs und der Einlassung des Angeklagten hierzu gekommen wäre. Die Voraussetzungen, unter denen in Fällen der fehlerhaft begründeten Ablehnung eines Beweisantrags ausnahmsweise ein Beruhen ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211, 212 f.), liegen nicht vor. Becker Hubert Mayer RiBGH Gericke befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Spaniol

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juli 2015 - 3 StR 516/14 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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Tenor Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 8. April 2016 wird als unbegründet verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Gründe   1 Das Landgericht Tübingen

Referenzen

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR308/14
vom
9. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im
Ausland u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2014 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main vom 23. Januar 2014 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die Verfahrensrüge, erhoben im Zusammenhang mit der Verwertung der Aussagen
, die der Zeuge M. als Beschuldigter in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren
gemacht hat (Seiten 14 bis 631 der Revisionsbegründung von
Rechtsanwalt H. ), ist bereits deswegen unzulässig, weil deren Angriffsrichtung
nicht eindeutig bestimmt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2013
- 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221, 222). Sie ist vielmehr widersprüchlich.
Zum einen wird beanstandet, dass das Oberlandesgericht dem Zeugen
M. nach § 55 StPO das Recht zu einer umfassenden Verweigerung des
Zeugnisses zugebilligt hat. Zum anderen wird gerügt, das Oberlandesgericht habe
seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es nicht der Frage nachgegangen sei, warum
sich der Zeuge in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht auf eine Unverwertbarkeit
seiner Aussagen im Ermittlungsverfahren berufen habe. Zudem hätte es
überprüfen müssen, ob in bestimmten Ländern ein reales Risiko der Folter oder der
unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bei Vernehmungen von Zeugen
besteht. Außerdem hätte der Zeuge bei seiner Vernehmung als Beschuldigter "qualifiziert"
belehrt werden müssen. Zwischen der Rüge, ein Beweismittel sei rechtsfehlerhaft
nicht benutzt, und der, hinsichtlich desselben Beweismittels bestehe ein Verwertungsverbot
, besteht ein nicht auflösbarer Widerspruch.
Becker Pfister Hubert
Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 371/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 6. März 2006 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter L. mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 338 Nr. 3 i.V.m. § 24 Abs. 1 StPO).
3
1. Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
In die Hauptverhandlung wurden Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung eingeführt. Die Gespräche wurden weitgehend in dem Sinti-Dialekt "Sintitikes" geführt. Da der Angeklagte Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte, wurde auf den dritten Verhandlungstag eine Sprachsachverständige geladen. Zur Vorbereitung des Termins hatte der Vorsitzende der Sachverständigen vier aufgezeichnete Gespräche in digitalisierter Form und die jeweiligen Übertragungsprotokolle der Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt.
5
Mit der Beweiserhebung durch Abspielen einzelner Gespräche aus der Telefonüberwachung und ihre Übersetzung durch die Sachverständige wurde nach 11.50 Uhr begonnen. Dabei erfolgte auch die Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten , dass der Sachverständigen Aktenteile überlassen worden waren. Um 12.32 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und um 13.36 Uhr fortgesetzt.
6
Der Verteidiger lehnte anschließend namens des Angeklagten den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch begründete er damit, der Vorsitzende habe die Verteidigung nicht darüber informiert , dass er der Sachverständigen Aktenteile zur Vorbereitung des Termins zur Verfügung gestellt habe; er habe auf ausdrückliche Nachfrage des Verteidigers geäußert, die der Sachverständigen überlassenen Gespräche seien für den Tatnachweis nicht relevant, obwohl eins davon das "Kernstück" der Telefonüberwachung darstellen würde. Das Befangenheitsgesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen , da der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht und das Gesuch verspätet eingebracht worden sei.
7
Daraufhin brachte der Verteidiger ein zweites inhaltsgleiches Ablehnungsgesuch an und bezog sich zur Glaubhaftmachung auf die noch einzuholenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und des Sitzungsstaatsanwalts. Auch dieses zweite Gesuch wurde mit Gerichtsbeschluss unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen, weil es sich um die unzulässige Wiederholung eines bereits abgelehnten Gesuchs handele.
8
2. Die Revision greift ausschließlich den auf das erste Befangenheitsgesuch ergangenen Beschluss an; den zweiten Beschluss lässt sie unbeanstandet. Sie macht geltend, dass die Verwerfung des ersten Antrags rechtsfehlerhaft gewesen sei, weil eine Glaubhaftmachung über die anwaltliche Erklärung hinaus nicht erforderlich gewesen und er nicht verspätet eingebracht worden sei. Dass der zweite Antrag verworfen wurde, rügt der Beschwerdeführer hingegen nicht.
9
Dem Senat ist es demnach verwehrt, den zweiten Verwerfungsbeschluss zu prüfen. Kommen nach den vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, ist vom Beschwerdeführer darzutun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird, um somit die Angriffsrichtung der Rüge deutlich zu machen (BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94; Cirener/Sander JR 2006, 300). Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts.
10
3. Die Rüge ist unbegründet, da die nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung durch den Senat ergibt, dass beim Vorsitzenden die Besorgnis der Befangenheit nicht bestand.
11
a) Die Entscheidung der Strafkammer, das erste Ablehnungsgesuch als im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 1, 2 Alt. 2 StPO unzulässig zu verwerfen, war rechtsfehlerhaft. Der Antrag bedurfte nicht der weiteren Glaubhaftmachung (§ 26 Abs. 2 StPO), da der Verteidiger seine eigenen Wahrnehmungen mitteilte; dass er die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versicherte, war nicht erforderlich (BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11; a.A. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5). Auch war der Antrag nicht verspätet eingebracht (§ 25 StPO), weil die maßgeblichen Vorgänge, auf die er sich gründete, "unmittelbar" vor der Mittagspause - so die Revision - erfolgten und das Ablehnungsgesuch als erster protokollierter Vorgang danach gestellt wurde.
12
b) Bei zutreffender rechtlicher Beurteilung hätte daher der Vorsitzende nach § 27 Abs. 1 StPO an der Entscheidung über den ersten - zulässigen - Antrag nicht mitwirken dürfen. Hat das Gericht über ein Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden, so ist in dem Fall, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist, allein deswegen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestand. Denn im Fall eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist es dem Revisionsgericht verwehrt, nach Beschwerdegrundsätzen darüber zu entscheiden , ob das Ablehnungsgesuch begründet war (BVerfG NJW 2005, 3410, 3413 f.; StraFo 2006, 232, 236; BGHSt 50, 216, 219; BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 9 f.). Ein derartiger Fall liegt hier allerdings nicht vor.
13
c) Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; StraFo 2006, 232, 235 f.; BGHSt 50, 216, 218; BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 5 StR 249/06 - Umdr. S. 3). Willkür liegt vor, wenn der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten wertend beurteilt, sich gleichsam zum "Richter in eigener Sache" macht (BVerfG NJW 2005, 3410, 3412; StraFo 2006, 232, 235; Beschluss vom 2. August 2006 - 2 BvR 1518/06 - Umdr. S. 5; BGHSt aaO 219; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 4; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06 - Umdr. S. 7 f.), oder ein Verstoß von vergleichbarem Gewicht gegeben ist. Demgegenüber gibt es auch Fallgestaltungen, in denen sich ein Verfassungsverstoß nicht feststellen lässt, vielmehr die §§ 26a, 27 StPO "nur" schlicht fehlerhaft angewendet wurden (BVerfG StraFo 2006, 232, 236; vgl. ferner BGH StV 2005, 587, 588; Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05 - Umdr. S. 6).
14
Erfolgt die Verwerfung nur aus formalen Erwägungen, wurden die Ablehnungsgründe aber nicht inhaltlich geprüft, ist im Einzelfall danach zu differenzieren , ob die Entscheidung des Gerichts auf einer groben Missachtung oder Fehlanwendung des Rechts beruht, ob also Auslegung und Handhabung der Verwerfungsgründe nach § 26a Abs. 1 StPO offensichtlich unhaltbar oder aber lediglich schlicht fehlerhaft sind (BGHSt 50, 216, 219 f.). In letzterem Fall entscheidet das Revisionsgericht weiterhin nach Beschwerdegrundsätzen sachlich über die Besorgnis der Befangenheit (zur bisherigen Rspr. vgl. BGHSt 18, 200, 203; 23, 265; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 1, 3, 9).
15
d) Die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs nach § 26a Abs. 1 StPO erfolgte hier nicht willkürlich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Strafkammer Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
16
Das mit dem Befangenheitsgesuch beanstandete Verhalten des Vorsitzenden war für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht relevant, sodass er bei der Mitwirkung am Verwerfungsbeschluss sein eigenes Verhalten nicht wertend beurteilen musste. Vielmehr wurde die Verwerfung nur mit formalen Mängeln des Gesuchs - Form und Frist, d.h. fehlende Glaubhaftmachung und Verspätung - begründet.
17
Die Entscheidung, das erste Ablehnungsgesuch wegen fehlender Glaubhaftmachung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, war zwar rechtsfehlerhaft; denn der von einem Verteidiger verfasste Antrag genügt schon dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Tatsachen, mit denen die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, gerichtsbekannt sind (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 17; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 26 Rdn. 16) oder der Antrag Wahrnehmungen des Verteidigers enthält, wobei das Fehlen einer anwaltlichen Versicherung grundsätzlich unschädlich ist (vgl. BayObLG StV 1995, 7; OLG Schleswig MDR 1972, 165; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 26 Rdn. 5; Maul in KK 5. Aufl. § 45 Rdn. 11).
18
Die Bewertung des Landgerichts ist aber nicht offensichtlich unhaltbar. Die Erklärungen des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung mussten zwar als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden. Das gilt jedoch nicht für die unterbliebene Information bezüglich des Überlassens von Aktenteilen im Vorfeld der Sachverständigenvernehmung. Insoweit teilt die Revision nicht mit, ob dieser von der Verteidigung erhobene Vorwurf gerichtsbekannt, insbesondere Gegenstand der Hauptverhandlung war. Auch diesbezüglich genügt zwar die in dem Befangenheitsgesuch enthaltene anwaltliche Erklärung, da es sich um eine eigene Wahrnehmung - gegebenenfalls auch außerhalb der Hauptverhandlung - handelte. Indem die Kammer jedoch insgesamt nicht die schlichte Erklärung ausreichen ließ, sodass zumindest die anwaltliche Versicherung von deren Richtigkeit erforderlich gewesen wäre, wandte sie den Verwerfungsgrund des § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO nicht grob rechtsfehlerhaft an. Zwar setzt die Glaubhaftmachung nach zutreffender Auffassung insoweit eine anwaltliche Versicherung nicht voraus. Die der Entscheidung der Kammer zugrunde liegende Auslegung, die sich auch auf obergerichtliche Rechtsprechung berufen kann (vgl. OLG Koblenz OLGSt StPO § 45 Nr. 5), ist jedoch vertretbar. Sie kann das Argument für sich beanspruchen, dass dem Verteidiger, der ein Ablehnungsgesuch stellt, mit der anwaltlichen Versicherung Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung für das Ablehnungsverfahren, in dem keine Beweisaufnahme über den Ablehnungsgrund stattfindet, vor Augen geführt werden.
19
e) Die demnach nach Beschwerdegrundsätzen vorgenommene Prüfung des Sachverhalts ergibt, dass das auf die Überlassung von Aktenteilen bezügliche Verhalten einem verständigen Angeklagten keinen Anlass geben konnte, an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu zweifeln. Maßstab hierfür ist, ob der Richter den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (Senat , Urteil vom 9. August 2006 - 1 StR 50/06 - Umdr. S. 23; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 24 Rdn. 6, 8 m.w.N.).
20
Die umfangreichen Bemühungen des Vorsitzenden um einen Sprachsachverständigen für den Sinti-Dialekt "Sintitikes" erfolgten im Interesse des Angeklagten, der Zweifel an der Richtigkeit der im Ermittlungsverfahren gefertigten Übersetzung äußerte. Dass es der Vorsitzende dabei unterließ, die Verteidigung davon zu informieren, dass er der schließlich beauftragten Sachverständigen zu ihrer Vorbereitung bestimmte Aktenteile zur Verfügung gestellt hatte, konnte von vornherein kein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit begründen , weil eine Verpflichtung hierzu nicht bestand (vgl. zu § 33 Abs. 2, 3 StPO; Maul aaO § 33 Rdn. 2; Wendisch aaO § 33 Rdn. 7). Weiterhin war die Frage des Verteidigers nach der Tatrelevanz der überlassenen digitalisierten Gespräche mit Übersetzungsprotokollen sachwidrig. Denn es war notwendig, der Sachverständigen den für ihre Übersetzungstätigkeit jedenfalls auch bedeutsamen fremdsprachlichen Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen (§ 80 Abs. 2 StPO). Welches Interesse der Angeklagte daran haben konnte, ihr nur für den Tatvorwurf nicht relevante Gespräche zur Verfügung zu stellen, ist weder von der Revision vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal sich der Auftrag an die Sachverständige naturgemäß (auch) auf die relevanten Gespräche bezog. Die Frage des Verteidigers zielte ferner auf eine vorläufige Bewertung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise und des Akteninhalts. Hierauf haben die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich keinen Anspruch (BGHSt 43, 212); im Übrigen obliegt die Würdigung des Beweisstoffs ohnehin nicht dem Vorsitzenden allein, sondern dem gesamten Spruchkörper. Die vom Vorsitzenden auf diese sachwidrige Frage gegebene Antwort konnte, zumal die Verfahrensbeteiligten sie ohne weiteres überprüfen konnten, vom Standpunkt eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit Elf

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 284/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten C. L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 31. Januar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf der gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beanstandet und mit der Sachrüge die Beweiswürdigung angreift, ist begründet.

I.


2
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Last gelegt, am 10. November 2005 gemeinschaftlich mittels Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole eine in einer Tankstelle tätige Verkäufern dazu veranlasst zu haben, ihnen einen Geldbetrag von 420 € zu übergeben.
3
Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen.
4
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, von dem in der Anklageschrift geschilderten Geschehen, nicht aber von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt zu sein. Weder anhand der Aussage der als Zeugin vernommenen Verkäuferin noch anhand des bei der Tat gewonnenen und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Bildmaterials habe es diese Überzeugung gewinnen können.

II.


5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Denn das Landgericht hat den auf Einholung eines anthropologischen Identitätsgutachtens gerichteten Beweisantrag der Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.
6
1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
7
Die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei den zur Tatzeit mittels einer Überwachungskamera im Verkaufsraum der Tankstelle aufgezeichneten männlichen Personen um die Angeklagten handele, ein anthropologisches Identitätsgutachten einzuholen. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein "ungeeignetes Beweismittel" im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, weil es nicht möglich sei, dem Sachverständigen neben dem aus den Aufzeichnungen der Überwachungskamera stammenden "Videomaterial" das für die Begutachtung erforderliche "Vergleichsmaterial" zu verschaffen. Entsprechendes Material könne nur mittels eines Nachstellens der Tat unter Mitwirkung der Angeklagten gewonnen werden. Dazu seien diese nicht bereit.
8
2. Diese Begründung trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht; sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
9
a) Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 - 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 15. März 2007 - 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477; Beschluss vom 7. August 2008 - 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48 f.).
10
Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 - 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 7. August 2008 - 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48, 49 mwN).
11
Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises - etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen - klären (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1994 - 1 StR 86/94, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 14; Beschluss vom 9. März 1999 - 1 StR 693/98, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 20; Beschluss vom 15. März 2007 - 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477).
12
b) Danach vermag die vom Landgericht gegebene Begründung die Ablehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen.
13
Sie stützt sich allein darauf, es fehle an dem notwendigen Vergleichsbildmaterial , das ohne Mitwirkung der Angeklagten auch nicht beschafft werden könne. Damit ist aber nicht belegt, dass ein anthropologischer Sachverständiger nicht in der Lage wäre, aus einem Vergleich des vorhandenen Bildmaterials mit den in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten sowie mit Lichtbil- dern und Messungen, deren Herstellung die Angeklagten gemäß § 81b StPO zu dulden haben, nicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Identität der Angeklagten mit den durch die Überwachungskamera gefilmten Tätern zu treffen. Auch verhält sich der Ablehnungsbeschluss nicht dazu, ob das vorhandene Bildmaterial trotz seiner nur mäßigen Qualität nach den maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 - 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19) nicht doch hinreichende morphologische Merkmale der Täter erkennen lässt, die mit denen der Angeklagten abgeglichen werden könnten. Eine freibeweisliche Klärung dieser Fragen durch Anhörung eines kompetenten Sachverständigen hat das Landgericht nicht vorgenommen.
14
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre. Die Voraussetzungen, unter denen in Fällen der fehlerhaft begründeten Ablehnung eines Beweisantrags ausnahmsweise ein Beruhen ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211, 212 f.), liegen nicht vor.

III.


15
Auf die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge kommt es mithin nicht mehr an. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bezüglich der vom Angeklagten C. L. bei der Polizei gemachten Aussage die sichere Feststellung voraussetzt, dieser habe die ihm vor seiner Vernehmung erteilte Belehrung nach § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wegen einer akuten psychotischen Störung nicht verstanden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 - 1 StR 475/93, BGHSt 39, 349, 351 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 224; Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, NStZ 1997, 609, 610). Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. November 2006 (1 StR 454/06, BGHR StPO § 136 Belehrung 14) liegt entgegen Stimmen in der Literatur (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 136 Rn. 20; LR/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136a Rn. 78) kein anderer rechtlicher Maßstab zugrunde. Vielmehr gelangte der Bundesgerichtshof dort zu einem Beweisverwertungsverbot , weil der Verstoß gegen § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO mangels jeglicher Anhaltspunkte für eine Belehrung feststand.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 519/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Januar 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB in Tateinheit mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Abs. 4 Ziffer 1 StGB und in Tateinheit mit Zuhälterei sowie wegen gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision rügt mit Erfolg die fehlerhafte Behandlung von Beweisanträgen.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte der Angeklagte die damals 20jährige Nebenklägerin mit Schlägen und der Drohung, sie ansonsten den Hells Angels zu übergeben, zur Aufnahme der Prostitution. Er bestimmte sodann Zeit, Ort und Ausmaß der Tätigkeit. In einem Fall erzwang er den Anal- verkehr mit dem Opfer, bei anderer Gelegenheit schlug und trat er die Nebenklägerin und würgte sie bis zur einsetzenden Bewusstlosigkeit.
3
Der Angeklagte hat die Vorwürfe lediglich in seinem letzten Wort pauschal bestritten, im Übrigen hat er zu ihnen geschwiegen. Das Landgericht hat sich seine Überzeugung "insbesondere" aufgrund "der glaubhaften Aussage der Nebenklägerin" verschafft.
4
Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht mehrere Beweisanträge mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat und der Senat nicht ausschließen kann, dass das Urteil auf diesen Fehlern beruht.
5
1. Die Verteidigung hatte die Vernehmung eines Arztes und seiner Ehefrau als Zeugen zu der Tatsache beantragt, dass die Nebenklägerin zumindest im Sommer/Frühherbst 2007 keinerlei sichtbare Verletzungen an den Armen, Schultern oder im Gesichtsbereich hatte. Sie hatte dazu ausgeführt, die Nebenklägerin und der Angeklagte hätten in diesem Zeitraum im Haus der Zeugen in deren Anwesenheit gearbeitet und bei Tätigkeiten im Garten auch nur spärliche Kleidung getragen. Hintergrund des Antrags war die Behauptung der Nebenklägerin , vom Angeklagten im Jahr 2007 häufig geschlagen worden zu sein und am ganzen Körper Hämatome davongetragen zu haben. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt, "da die Vernehmung der Zeugen völlig ungeeignet" sei, "die Angaben der Nebenklägerin zu durch Einwirkung des Angeklagten erlittenen Hämatomen zu widerlegen. Selbst wenn die Zeugen bei der Nebenklägerin keine Hämatome bemerkt haben sollten, wäre das nicht einmal ein Indiz dafür, dass tatsächlich keine vorhanden waren."
6
Dies findet in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO keine Stütze. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit der Beweiserhebung ist dort nicht vorgesehen. Sollte das Landgericht gemeint haben, die benannten Beweismittel seien ungeeignet, wäre auch dies hier rechtsfehlerhaft. Zwar kann ein Beweisbegehren , das sich auf ein völlig ungeeignet es Beweismittel stützt, nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden. Dabei muss es sich aber um ein Beweismittel handeln, dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (vgl. BGH StV 1997, 338, 339). Der ablehnende Beschluss bedarf einer Begründung, die ohne jede Verkürzung oder sinnverfehlende Interpretation der Beweisthematik alle tatsächlichen Umstände dartun muss, aus denen das Gericht auf die völlige Wertlosigkeit des angebotenen Beweismittels schließt. Hieran fehlt es. Für die völlige Ungeeignetheit der benannten Zeugen ist auch sonst nichts erkennbar.
7
Sofern das Landgericht zuletzt den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache vor Augen gehabt haben sollte, hielte die Entscheidung ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als (aus tatsächlichen Gründen) bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Dies ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Allerdings darf das Gericht dabei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; es hat diese vielmehr so, als sei sie voll erwiesen, seiner antizipierenden Würdigung zu Grunde zu legen (BGH StV 2008, 288 m. w. N.). Danach hätte das Landgericht der in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsache den Charakter eines den Angeklagten entlastenden Indizes nicht schlechthin absprechen dürfen, sondern darlegen müssen, aus welchen Gründen es in Ansehung des bisherigen Beweisergebnisses der Tatsache keine Bedeutung für die Erschütterung seiner bisherigen Überzeugung (von der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin) beizumessen vermochte. Auch hieran fehlt es.
8
2. Mit demselben Ziel hatte die Verteidigung die zeugenschaftliche Vernehmung eines Polizeibeamten beantragt zum Beweis der Tatsache, dass die Nebenklägerin auch in dessen Haushalt im Sommer 2007 zusammen mit dem Angeklagten gearbeitet hatte und dem Zeugen trotz luftiger Kleidung keine Verletzungsspuren an der Nebenklägerin aufgefallen waren. Diesen Antrag hat das Landgericht abgelehnt, "da das Beweismittel völlig ungeeignet ist, die Angaben der Nebenklägerin zu widerlegen" und sich im Übrigen auf die Ablehnung des vorigen Beweisantrags (vorstehend 1.) bezogen. Auch diese Entscheidung ist aus den vorgenannten Gründen rechtfehlerhaft.
9
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge beruht das angefochtene Urteil. Hierzu im Einzelnen:
10
Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit , dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist (Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen hängt - insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht - stark von den Umständen des Einzelfalls ab (Hanack aaO Rdn. 257).
11
Bei mit fehlerhafter Begründung abgelehnten Beweisanträgen kann ein Beruhen des Urteils in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, wenn die Anträge mit anderer Begründung zu Recht hätten abgelehnt werden können und die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten hierdurch nicht berührt wurden (Kuckein in KK 6. Aufl. § 337 Rdn. 38 m. w. N.). Insbesondere im Zusammenhang mit Hilfstatsachen des Beweises, also mit Tatsachen, die einen zwingenden oder möglichen Schluss auf den Beweiswert eines Beweismittels zulassen, kann sich für das Revisionsgericht die Überzeugung ergeben, dass der Tatrichter den Beweisantrag auch mit der Begründung der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache hätte zurückweisen und der Angeklagte sich in Kenntnis einer solchen Ablehnung nicht weitergehend hätte verteidigen können. Hierfür ist die gesamte Beweissituation, wie sie sich aus dem Urteil darstellt, ebenso von Bedeutung wie die Art und Anzahl der gestellten Beweisanträge.
12
Vorliegend hat sich der Angeklagte mit einer Vielzahl von Beweisanträgen verteidigt. Soweit dabei Tatsachen unter Beweis gestellt wurden, handelte es sich überwiegend um solche, die der Widerlegung einzelner, mit dem Tatgeschehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehender Bekundungen der Nebenklägerin oder allgemein der Weckung von Zweifeln an deren Glaubwürdigkeit dienen sollten. Die Revision rügt über die beiden vorgenannten Fälle hinaus die Ablehnung weiterer Beweisanträge als rechtsfehlerhaft. Auch insoweit weisen die Entscheidungen des Landgerichts Mängel auf, die den Generalbundesanwalt veranlasst haben, in seinem Antrag, die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, jeweils umfangreich darzulegen, dass ein Beruhen des Urteils auf dem einzelnen Rechtsfehler ausgeschlossen werden könne.
Was bei isolierter Betrachtung der Beweisanträge und ihrer Behandlung durch die Strafkammer möglicherweise zu einer solchen Überzeugung des Revisionsgerichts hätte führen können, ist dem Senat vorliegend aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände nicht möglich.
13
Die Sache muss deshalb erneut verhandelt werden.
VRiBGH Becker ist wegen Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschrifts- Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhindert. leistung verhindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer