Bundesgerichtshof Urteil, 20. Apr. 2011 - 2 StR 29/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers mit den Feststellungen zum äußeren Verletzungsbild ,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Es hat den Angeklagten ferner verurteilt, an den Nebenkläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2010 zu zahlen. Überdies hat es festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger sämtliche künftigen immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 16. August 2009 in Kassel entstehen werden. Gegen den strafrechtlichen Teil dieses Urteils richtet sich die Revision des Nebenklägers, mit der dieser die Verurteilung des Angeklagten auch wegen einer tateinheitlich mit versuchtem Totschlag zu seinem Nachteil begangenen schweren Körperverletzung erstrebt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
I.
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- Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am Morgen des 16. August 2009 gegen 05.10 Uhr die Diskothek C. in K. verlassen, wo er Alkohol konsumiert und Cannabis geraucht hatte. Er hatte im Imbiss A. eine Mahlzeit eingenommen und sich danach zu Fuß auf den Weg nach Hause begeben. Er befand sich in einer aggressiven Grundstimmung. Unterwegs begegnete ihm der alkoholisierte Zeuge B. , von dem er sich angesprochen und beleidigt fühlte. Der Angeklagte schlug und trat diesen. Der Zeuge B. sann auf Rache, eilte zur nahe gelegenen Diskothek N. Y. , informierte dort den Nebenkläger und bewegte diesen dazu, den Angeklagten zur Rede zu stellen. Nachdem sich zwischen dem Nebenkläger und dem Angeklagten eine Schlägerei entwickelt hatte, fühlte sich der Nebenkläger unterlegen, versuchte zu fliehen, wurde aber vom Angeklagten am Kragen festgehalten und mit einem Springmesser zweimal in den linken Arm und siebenmal auf der linken Seite in den Oberkörper gestochen. Der Nebenkläger musste danach intensivmedizinisch behandelt werden; ihm wurde die Milz entfernt.
II.
- 3
- Die Revision ist begründet. Der Nebenkläger beanstandet mit der Sachbeschwerde zu Recht, dass das Landgericht § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erörtert hat.
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- 1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Nebenkläger unter anderem sieben Stichverletzungen davongetragen hat, die den Oberkörper betrafen; außerdem entstanden Operationsnarben. Insgesamt handelt es sich um "eine Vielzahl markant bleibender Narben" und "überdauernde große Narben im Oberkörperbereich". http://www.juris.de/jportal/portal/t/2mao/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE038406160&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 -
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- Aufgrund dieser Feststellungen musste sich das Landgericht zur Erörterung der Frage gedrängt sehen, ob der Nebenkläger durch die Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt wurde. Erheblich ist eine Entstellung zwar nur dann, wenn sie zumindest dem Gewicht der geringsten Fälle nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Dies kann jedoch im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben der Fall sein (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion. Ob die Qualifikation der Tat auf das äußere Verletzungsbild des Nebenklägers mitsamt den Operationsnarben zutrifft, kann anhand der Urteilsgründe nicht nachgeprüft werden. Das Landgericht hat insoweit keine zur Charakterisierung der Narben ausreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen und sodann rechtlich zu beurteilen haben, ob von einer dauernden und erheblichen Entstellung des Nebenklägers auszugehen ist. Eine Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zur Ergänzung der textlichen Tatsachenfeststellungen ist dabei zulässig.
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- 2. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers entfällt die hierfür festgesetzte Einzelstrafe. Der Wegfall dieser Einsatzstrafe macht die Aufhebung der Gesamtstrafe erforderlich. Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach
Annotations
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person
- 1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, - 2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder - 3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.