Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2017 - 2 StR 290/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:190417U2STR290.16.0
bei uns veröffentlicht am19.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 290/16
vom
19. April 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
ECLI:DE:BGH:2017:190417U2STR290.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. April 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten M. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Betrugs unter Einbeziehung der Strafe aus der Verurteilung durch das Landgericht Mönchengladbach vom 26. Januar 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten K. hat es wegen Be- trugs unter „Einbeziehung“ der im Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. Mai 2015 gebildeten Gesamtstrafe und Einbeziehung der dort erkannten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen errichteten die Angeklagten zusammen mit dem früheren Mitangeklagten H. nach einem gemeinsamen Tatplan eine Organisationsstruktur, mittels derer sie im Tatzeitraum zwischen Februar und Dezember 2011 Telefonverkäufer in Callcentern einsetzten, um potentiellen Anlegern telefonisch den vorbörslichen Erwerb von Aktien eines Schweizer Unternehmens , der E. AG, anzubieten. Bei der dem H. gehörenden E. AG handelte es sich um eine Vorratsgesellschaft, die nie eine Geschäftstätigkeit entfalten sollte und für die auch kein Börsengang geplant war. Die von den Angeklagten instruierten Telefonverkäufer, die sich unter Verwendung von Alias-Namen als Mitarbeiter eines international tätigen Finanzdienstleisters ausgaben, erklärten den Anlegern jedoch unter Herausstellung hoher Gewinnerwartungen bewusst wahrheitswidrig, dass die E. AG mit seltenen Erden aus China handele und an die Börse gehen werde.
4
Die Anleger vertrauten auf die Angaben der Telefonverkäufer, unterschrieben deswegen Zeichnungsscheine der E. AG und überwiesen den vermeintlich fälligen Kaufpreis auf vom früheren Mitangeklagten H. eröffnete vermeintliche Treuhandkonten in der Schweiz. Einen Gegenwert in Form von Aktien erhielten die geschädigten Anleger nicht.
5
Zwischen dem 8. Februar und 6. Dezember 2011 wurden auf diese Weise vier Anleger in 15 Fällen zur Zahlung von insgesamt 540.891 Euro auf die angeblichen Treuhandkonten veranlasst. Die eingezahlten Beträge wurden vom früheren Mitangeklagten H. abgehoben. Nach Abzug seines eigenen Anteils in Höhe der Hälfte der eingezahlten Beträge, zahlte er den Rest an die Angeklagten aus. Die Angeklagten beglichen damit die eigenen Kosten, insbe- sondere die Provisionen der Telefonverkäufer, in Höhe von fünf bis 20 Prozent des eingegangenen Betrags. Den Rest behielten sie für sich und verwendeten ihn, wie geplant, als regelmäßige Einnahme für ihren Lebensunterhalt.
6
2. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Strafkammer ihre Feststellungen zum Tatgeschehen auch auf die Angaben von drei im Tatzeitraum durch die Zeichnung von Aktien der E. AG ebenfalls geschädigten Zeugen – S. , G. und F. (UA S. 47, 48) – gestützt und insoweit Schadenshöhen von 74.000 Euro, 88.000 Euro und 19.000 Euro genannt.
7
3. Das Landgericht hat – während die Anklage noch von 15 tatmehrheitlich begangenen Taten ausgegangen war – angenommen, dass die Angeklagten sich jeweils des Betrugs „in der Form des uneigentlichen Organisationsde- likts“ schuldig gemacht haben. Im Rahmen der Strafzumessung ist es vom Vor- liegen eines besonders schweren Falles gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen und hat zu Lasten der Angeklagten die aus 15 Fällen resultierende Gesamtschadenshöhe von 540.891 Euro berücksichtigt.

II.

8
Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwalt hat Erfolg.
9
1. Der Schuldspruch nur wegen Betrugs hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die Strafkammer bei beiden Angeklagten eine Verurteilung wegen des – nach den Feststellungen hier naheliegenden – Qualifikationstatbestandes des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB) nicht erwogen hat.
10
a) Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Abrede verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige Taten des Betruges zu begehen (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 211). Dabei ist es unschädlich, wenn diese Taten für einzelne Tatbeteiligte auf Grund eines einheitlichen Organisationsbeitrages in Tateinheit zueinander stehen (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 183).
11
b) Die Feststellungen der Strafkammer weisen auf eine ausdrückliche Bandenabrede im Sinne des § 265 Abs. 5 StGB zwischen den Angeklagten und dem gesondert verfolgten H. hin. Während die Angeklagten entsprechend der bei einem Treffen in der Schweiz getroffenen Vereinbarung für die Organisation des Callcenters – Einrichtung, Verwaltung und Überwachung – sowie die Beschaffung der Unternehmensunterlagen (Verkaufsprospekte, Zeichnungsscheine und Internetauftritt) verantwortlich waren und hierfür mit einem Anteil von 50 Prozent der betrügerisch erlangten Gelder „entlohnt“ werden sollten, oblag dem gesondert verfolgten H. die Lenkung der Geschäfte in der Schweiz, namentlich die Bereitstellung des emittierenden Unternehmens und die Einrichtung der vermeintlichen Treuhandkonten. Hierfür sollte er 50 Prozent der betrügerisch erlangten Summen erhalten. Sowohl für die Angeklagten als auch für H. sollten die mit den Betrugshandlungen erlangten Gelder eine dauerhafte Einnahmequelle in erheblicher Höhe bilden (UA S. 34 unten, 36 unten).
12
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage. Die Sache bedarf hinsichtlich beider Angeklagter neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neu zu treffenden Feststellungen wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, ob und inwieweit weitere – von der Anklage umfass- te – Schadensfälle einzubeziehen sind, um der Kognitionspflicht aus § 264 StPO zu genügen.
13
Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff vollständig erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung ist der geschichtliche Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff; er ist weiter als derjenige der Handlung im sachlichen Recht. Zur Tat im prozessualen Sinne gehört – unabhängig davon, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt – das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt. Somit umfasst der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf herleitet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, auch wenn diese in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend ist, ob zwischen den in Betracht kommenden Verhaltensweisen – unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung – ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 542/11, NStZ-RR 2012, 355, 356 mwN).
14
Nach diesen Maßstäben wird der neu entscheidende Tatrichter zu erwägen haben, ob auch die in der Anklage erwähnten und im Urteil skizzierten, die drei weiteren Zeugen S. , G. und F. betreffenden Vorgänge, bei denen es auch um den Erwerb von Aktien der E. AG ging, Verfahrensgegenstand sind und damit der Aburteilung unterliegen. Appl Eschelbach Bartel Wimmer Grube

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Strafgesetzbuch - StGB | § 263 Betrug


(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 265 Versicherungsmißbrauch


(1) Wer eine gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl versicherte Sache beschädigt, zerstört, in ihrer Brauchbarkeit beeinträchtigt, beiseite schafft oder einem anderen überläßt, um sich oder einem Dri

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Okt. 2009 - 4 StR 239/09

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 239/09 vom 29. Oktober 2009 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Raubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitz

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2012 - 1 StR 542/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 542/11 vom 7. Februar 2012 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2012, an der teilgenommen haben: Vo

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Wer eine gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl versicherte Sache beschädigt, zerstört, in ihrer Brauchbarkeit beeinträchtigt, beiseite schafft oder einem anderen überläßt, um sich oder einem Dritten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 263 mit Strafe bedroht ist.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 239/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer,
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten C. M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. Dezember 2008, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und den Angeklagten C. M. zu einer gesonderten Jugendstrafe (§ 31 Abs. 3 JGG) von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
2
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Hinsichtlich des Angeklagten B. beanstandet sie ferner das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten auch wegen unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Geldwäsche, Hausfriedensbruchs und wegen Sachbeschädigung sowie die Verhängung höherer Strafen.
3
Die Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Verfahrensrüge bedarf daher keiner näheren Erörterung.

I.


4
Nach den Feststellungen suchten der Angeklagte B. und der frühere Mitangeklagte W. am Abend des 13. Dezember 2006 den ihnen als Drogenhändler bekannten S. in dessen Wohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses auf und erwarben von ihm Haschisch zum Eigenverbrauch. Auf dem Heimweg lehnte der Angeklagte B. den Vorschlag des Mitangeklagten W. ab, S. das möglicherweise aus Drogengeschäften stammende Bargeld, das sie auf dem Tisch in der Wohnung hatten liegen sehen, gewaltsam wegzunehmen. In der darauf folgenden Nacht traf sich der Angeklagte B. in seiner Wohnung mit seinem gesondert verfolgten Bruder M. , dem Angeklagten C. M. und dem rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten Wi. . Sie fassten den Entschluss , S. auszurauben. Gegen 2.00 Uhr nachts gelangten sie durch die nicht verschlossene Haustür in das Wohnhaus. Dort setzten sie absprachegemäß ihre Sturmmasken auf und drückten gemeinsam "unter einigem Kraftaufwand" die Tür zu der Wohnung auf, in der S. auf einer Couch im Wohnzimmer schlief. Einer der Täter forderte den durch die Geräusche wach gewordenen S. auf, sich ruhig zu verhalten, sonst würden er und auch sein Hund "abgestochen". Danach befragt, wo das Bargeld sei, deutete S. , der wegen der Übermacht der Angreifer und der Drohung keinen Widerstand wagte, mit der Hand auf den Wohnzimmertisch. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung wurde eine Haschischplatte im Wert von etwa 400 Euro entdeckt, die Wi. an sich nahm. Der Angeklagte C. M. steckte das auf dem Wohnzimmertisch liegende Bargeld im Wert von 150 Euro ein. M. B. nahm eine Playstation an sich. Ferner wurden ein MP3-Player und eine Kamera entwendet. Nach dem Verlassen der Wohnung trennten sich die Täter und trafen sich später in der Wohnung des Angeklagten B. , wo sie die Beute untereinander verteilten. Die Haschischplatte konsumierten sie gemeinsam.

II.


5
Die Verurteilungen der Angeklagten B. und C. M. können nicht bestehen bleiben, weil die Schuldsprüche sachlich-rechtliche Fehler zum Vorteil der Angeklagten aufweisen.
6
1. Das Landgericht hat die den Angeklagten zur Last gelegte Verwendung eines Messers als Drohmittel mit rechtsfehlerfreien Erwägungen als nicht erwiesen angesehen und die Angeklagten deshalb, was von der Revision auch nicht beanstandet wird, nicht wegen schweren Raubes, sondern wegen Raubes verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet jedoch zu Recht, dass das Landgericht damit seiner Kognitionspflicht nicht genügt hat, die gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (vgl. BGHSt 25, 72, 75; BGH NStZ 1999, 415; 2008, 471, 472). Dies stellt einen sachlichrechtlichen Mangel des Urteils dar (vgl. BGH NStZ 1983, 174, 175). Dass die den Angeklagten zur Last gelegte Tat im Anklagesatz lediglich als schwerer Raub bezeichnet wurde und dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Angeklagten nur wegen Raubes beantragte, änderte nichts an der umfassenden Kognitionspflicht des Landgerichts. Dass eine wirksame Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 a StPO auf diese Gesetzesverletzungen erfolgt ist, lässt sich weder der Anklageschrift noch sonst den Akten entnehmen.
7
2. Das Landgericht hätte demgemäß eine Strafbarkeit der Angeklagten auch wegen folgender Gesetzesverletzungen prüfen müssen:
8
a) Der frühere Mitangeklagte Wi. , der durch das insoweit nicht angefochtene Urteil nur wegen Raubes verurteilt worden ist, hat mit der Wegnahme der Haschischplatte zugleich auch den Straftatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht (vgl. Körner BtMG 6.Aufl. § 29 Rn. 1352 m.N.), möglicherweise aber auch den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, in dem der Vergehenstatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln aufgeht (BGH StraFo 2005, 82, 83). Dass es sich um eine nicht geringe Menge Haschisch handelte, liegt im Hinblick auf den festgestellten Wert der Platte von etwa 400 Euro jedenfalls nicht fern. Es hätte deshalb der Prüfung bedurft, ob der gemeinsame Tatentschluss , dem Geschädigten das in seiner Wohnung vermutete Bargeld und andere mitnehmenswerte Gegenstände wegzunehmen und die Beute anschließend zu verteilen, auch möglicherweise in der Wohnung verwahrte Betäubungsmittel umfasste und die Angeklagten demgemäß auch hinsichtlich des Sichverschaffens und des Besitzes der Haschischplatte mittäterschaftlich handelten und das Haschisch bis zu dessen Verbrauch in Mitgewahrsam hatten (vgl. BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Menge 10; MünchKommStGB/Kotz § 29 BtMG Rn. 954; Weber BtMG 3. Aufl. § 29 Rn. 1222). Dies liegt im Hinblick darauf , dass die Angeklagten im Tatzeitraum Haschisch konsumierten und dass sie auch das erbeutete Haschisch gemeinsam verbrauchten, nahe. Hierzu, insbesondere auch zum Wirkstoffgehalt des Haschisch, hätte es daher weiterer Feststellungen bedurft. Dass diese noch getroffen werden können, erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen.
9
b) Nach den Feststellungen haben die Angeklagten mit dem Eindringen in die Wohnung des Geschädigten zudem mittäterschaftlich den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs. 1 StGB verwirklicht, der zu dem nachfolgenden Raub in Tateinheit steht. Der gemäß § 123 Abs. 2 StGB erforderliche Strafantrag ist von dem in seinem Hausrecht verletzten Geschädigten form- und fristgerecht gestellt worden. Der Geschädigte hat unmittelbar nach dem Überfall die Polizei gerufen und ist noch in der Nacht polizeilich als Zeuge vernommen worden. Er hat sowohl die Vernehmungsniederschrift als auch die von einem weiteren Beamten des Kriminaldauerdienstes aufgenommene Strafanzeige unterschrieben. Der damit gegenüber der Verfolgungsbehörde erklärte Wille zur Strafverfolgung genügt den inhaltlichen Anforderungen an einen Strafantrag (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 158 Rdn. 4 m.N.).
10
c) Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht dagegen nicht gehalten, sich der Frage zuzuwenden, ob die Angeklagten sich mit der Wegnahme des möglicherweise aus Drogengeschäften stammenden Bargeldes auch wegen (versuchter) Geldwäsche strafbar gemacht haben. Sinn und Zweck der hier allein in Betracht kommenden Straftatbestände des § 261 Abs. 2 StGB ist es, den Vortäter dadurch gegenüber der Umwelt zu isolieren, dass der aus einer der in Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift genannten Straftaten herrührende Gegenstand „praktisch verkehrsunfähig“ gemacht werden soll (vgl. BT-Drucks. 12/989 S. 27). Wird dem Vortäter ein solcher Gegenstand (gewaltsam) weggenommen , fehlt es am inneren Zusammenhang mit der Ächtung des Tatobjekts und dem Isolierungszweck des § 261 Abs. 2 StGB (vgl. Stree in Schönke /Schröder StGB 27. Aufl. § 261 Rdn. 13). Demgemäß ist der Raub eines sol- chen Gegenstandes kein Sichverschaffen im Sinne der Nr. 1 dieser Vorschrift (BVerfG NJW 2004, 1305, 1306; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 261 Rdn. 24 m.w.N.). Für das Verwahren und Verwenden eines dem Vortäter geraubten Gegenstandes kann nichts anderes gelten.
11
d) Soweit nach den Feststellungen eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener Sachbeschädigung unterblieben ist, kann dahinstehen, ob Verletzter neben dem Eigentümer auch derjenige ist, der, wie der Geschädigte als Mieter, ein unmittelbares obligatorisches Recht an der beschädigten Sache, hier der Wohnungstür, hat (zum Streitstand vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 303 c Rdn. 3). Ob zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils der gemäß § 303 c StGB erforderliche Strafantrag vorlag, ist nunmehr ohne Belang, weil der Generalbundesanwalt „rein vorsorglich“ das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat und die Sache nach der aus anderen Gründen gebotenen Zurückverweisung insgesamt neu zu verhandeln ist.

III.


12
1. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Urteils, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, auch soweit sie des Raubes schuldig gesprochen worden sind. Eine Teilaufhebung, wie sie die Staatsanwaltschaft ursprünglich mit ihrer Revisionsbegründungsschrift beantragt hat, scheidet aus, weil der Raub und die aus den vorgenannten Gründen möglicherweise von den Angeklagten verwirklichten Gesetzesverletzungen materiell -rechtlich eine Tat bilden (vgl. BGH NStZ 1997, 276). Demgemäß ist die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung der Revision unwirksam und damit unbeachtlich.
13
2. Infolge der Aufhebung der Verurteilungen müssen die Strafen neu zugemessen werden. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts verwiesen.
14
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 542/11
vom
7. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
7. Februar 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 7. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.


1
Dem Angeklagten war in der unverändert zugelassenen Anklage - allein - versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Last gelegt worden. Lediglich ergänzend wurde im Anklagesatz angemerkt, die Tat stehe „im Zusammenhang mit einem Streit um ein Drogengeschäft“, das dann im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen näher dargestellt wurde. Das Landgericht hat den Angeklagten - von dem genannten Tatvorwurf - freigesprochen. Sein Stich in den Unterbauch des Geschädigten sei durch Notwehr gerechtfertigt gewesen (§ 32 StGB).
2
Die Staatsanwaltschaft beanstandet den Freispruch mit der Sachrüge. Zum einen beruhten die Feststellungen zur Notwehrlage auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung. Zum anderen verweist die Revision (erstmals der General- staatsanwalt in Karlsruhe in seiner ergänzenden Äußerung zur Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft) auf eine Verletzung des § 264 StPO. Die Jugendkammer habe ihrer Kognitionspflicht nicht genügt. Das im Anklagesatz angesprochene Drogengeschäft - ein gescheiterter Versuch des Angeklagten, Marihuana zu erwerben - stehe, auch wenn es sich nicht als Handeltreiben im Sinne der Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes darstelle, in so engem zeitlichen, räumlichen, sachlichen und persönlichem Zusammenhang mit den Vorgängen, die Grundlage des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Tötung sind, dass das Betäubungsmittelgeschäft Teil der angeklagten Tat im Sinne von § 264 StPO sei. Das Landgericht hätte, nach entsprechendem Hinweis gemäß § 265 StPO, das Tatgeschehen auch im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz prüfen und gegebenenfalls den Angeklagten dementsprechend verurteilen müssen.
3
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Das Landgericht hat seiner Kognitionspflicht nicht genügt.

II.


4
Das Landgericht hat festgestellt:
5
Der in Mainz wohnhafte Angeklagte hatte im Herbst 2010 im Alter von 16 Jahren mit dem Konsum von Marihuana begonnen. Er rauchte regelmäßig am Wochenende Joints.
6
Im Dezember 2010 besuchte der Angeklagte einige Tage seinen Vetter in Karlsruhe. Am 19. Dezember 2010 entschlossen sich der Angeklagte, sein Vetter und dessen Freund dazu, gemeinschaftlich 200 Gramm Marihuana für 1.200,-- € zu kaufen. Jeder sollte ein Drittel dieser Menge erhalten und dementsprechend jeweils mit 400,-- € zur Bezahlung des Kaufpreises beitragen. Der Angeklagte wollte sich damit einen größeren Vorrat zum Eigenverbrauch zulegen, damit er das Rauschgift nicht in kleineren, teureren Mengen auf seinem heimischen Drogenmarkt beschaffen musste. Der Vetter kannte eine - wie er meinte - geeignete Quelle. Dies war W. , das spätere Tatopfer. W. erklärte sich mit dem Handel einverstanden.
7
Tatsächlich konnte und wollte W. kein Rauschgift liefern. Seine Absicht war, sich mittels eines Täuschungsmanövers der 1.200,-- € Kaufgeld ohne Gegenleistung zu bemächtigen.
8
Am Abend des 19. Dezember 2010 trafen sich die drei Käufer gegen 17.30 Uhr in Karlsruhe-Daxlanden mit dem vermeintlichen Lieferanten, der zur Verstärkung noch eine weitere Person mitgebracht hatte. W. forder- te „Vorkasse“. Sein Dealer sitze in der Nähe in einem Auto. Das bestellte Rauschgift gebe dieser aber nur gegen gleichzeitige Bezahlung heraus. Er - W. - dürfe sich nur alleine mit ihm treffen. Nach 15 Minuten werde er mit dem bestellten Betäubungsmittel zurückkommen.
9
Der Angeklagte und seine beiden Begleiter lehnten zunächst ab, vorab zu bezahlen. W. bot daraufhin sein Handy - Neuwert ca. 270,-- € - als Pfand an. Als der Vetter des Angeklagten dann noch versicherte, man könne W. vertrauen, übergaben die drei Käufer diesem schließlich den Kaufbetrag, jeder 400,-- €. Das Mobiltelefon nahm der Angeklagte in Verwahrung. W. hatte von vorneherein vor, sich dieses später wieder zurückzuholen , notfalls mit Gewalt.

10
W. und sein Begleiter entfernten sich und kehrten - nach drei telefonischen Nachfragen, wo sie denn blieben - verspätet gegen 18.35 Uhr zurück. W. forderte vom Angeklagten in aggressivem Ton, ihm sein Telefon auszuhändigen. Er sei von seinem Dealer „abgezogen“ worden. Er könne deshalb weder das bestellte Rauschgift liefern noch das übergebene Geld zurückzahlen. Er benötige sein Telefon, um den, der ihn „abgerippt“ habe, anzurufen. Der Angeklagte verweigerte die Herausgabe.
11
W. verlieh nun seiner Forderung Nachdruck. Von gleicher Statur und Größe wie der Angeklagte stellte er sich unmittelbar vor diesen hin und stieß ihn mit beiden Händen gegen den Brustkorb. Der Angeklagte musste zurückweichen. W. erhob die Hände zu einem weiteren Stoß. Der Angeklagte schlug sie nach unten und wich noch einige Schritte zurück.
12
W. fasste nach einem Schlagring in seiner Jackentasche, schob ihn über seine rechte Hand, ballte diese, zog sie auf Höhe seiner Hüfte zurück und holte aus, um dem etwa 50 Zentimeter entfernten Angeklagten mit dem Schlagring ins Gesicht zu schlagen.
13
Der Angeklagte befürchtete, dadurch schwer verletzt zu werden. Um sich gegen den unmittelbar bevorstehenden Angriff zu wehren und diesen zu beenden , holte der Angeklagte mit schnellem Griff ein Messer aus der Hosentasche, klappte es auf und stach W. mit erheblicher Wucht auf der linken Seite unterhalb des Nabels in den Bauch.
14
Durch den Einstich quollen einige Dünndarmschlingen aus der Bauchdecke. Mehrere lebenswichtige Blutgefäße wurden verletzt. Dies führte zu hohem Blutverlust. Nur glücklichen Umständen war es zu verdanken, dass W. nicht auf der Stelle verblutete. Er sackte zu Boden und erbrach sich. Sein Begleiter nahm die in den Schuhen des Schwerverletzten versteckten 1.200,-- € an sich und setzte einen Notruf ab. Ohne die zeitnah im St.Vincentius-Klinikum durchgeführte Notoperation hätte W. nicht überlebt.
15
Der Angeklagte sah, wie W. zusammenbrach. Er rannte sofort weg zur nächsten Bushaltestelle, fuhr zum Hauptbahnhof und weiter mit dem Zug zurück nach Mainz.

III.


16
Das freisprechende Urteil des Landgerichts hat keinen Bestand.
17
1. Es kann dahinstehen, ob das Landgericht eine Notwehrsituation rechtsfehlerfrei festgestellt hat.
18
2. Denn das Urteil verfällt schon deshalb der Aufhebung, da das Landgericht das Tatgeschehen, die angeklagte Tat im Sinne von § 264 StPO, nicht unter allen tatsächlichen und strafrechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt hat; es hat seiner Kognitionspflicht nicht genügt.
19
Dies ist auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts hin zu berücksichtigen. Ob es einer Verfahrensrüge bedurft hätte, wenn der nicht beachtete Teil gemäß § 154a StPO ausgeschieden gewesen wäre, kann dahinstehen (Sachrüge genügt: BGH, Urteil vom 18. Juli 1995 - 1 StR 320/95; Verfahrensrü- ge erforderlich: BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 4 StR 370/95 -, BGHR StPO § 154a III Wiedereinbeziehung 3). Denn eine Teileinstellung ist hier nicht erfolgt, auch nicht - in Verkennung der Rechtslage - gemäß § 154 StPO (die dann als Beschränkung gemäß § 154a StPO anzusehen wäre).
20
Die bisherigen Feststellungen begründen den hinreichenden Verdacht, dass sich der Angeklagte eines versuchten (§ 22 StGB) Vergehens des Erwerbs von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG oder gar eines versuchten Verbrechens gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (Sich-Verschaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines Gegenstandes , der seiner Art nach zur Verletzung von Menschen geeignet und bestimmt ist) schuldig gemacht hat. Die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Versuch des Erwerbs von Betäubungsmitteln und der Messerstich zur Abwehr des Angriffs mit dem Schlagring bilden einen einheitlichen Lebenssachverhalt.
21
Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung (§ 264 Abs. 1 StPO) ist der geschichtliche Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff; er ist weiter als derjenige der Handlung im Sinne des sachlichen Rechts. Zur Tat im prozessualen Sinn gehört - unabhängig davon, ob Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) vorliegt - das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt. Somit umfasst der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf herleitet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, selbst wenn diese Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind. Bei der Beurteilung des Tatumfangs kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Entscheidend ist, ob zwischen den in Be- tracht kommenden Verhaltensweisen - unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung - ein enger sachlicher Zusammenhang besteht; selbst zeitliches Zusammentreffen der einzelnen Handlungen ist weder erforderlich noch ausreichend (vgl. zu allem BGH, Urteil vom 17. März 1992 - 1 StR 5/92 -, BGHR StPO § 264 I Tatidentität 21; BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 700/98 -, BGHSt 45, 211, 212 f. = BGHR StPO § 264 I Tatidentität 30; BGH, Urteil vom 14. März 2001 - 3 StR 446/00 -, BGHR StPO § 264 I Tatidentität 32; BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 - Rn. 16 f.; BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 -, Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 28. August 2003 - 2 BvR 1012/01).
22
Gemessen hieran, besteht zwischen der Herbeiführung der Stichverletzung und dem versuchten Erwerb der Betäubungsmittel eine ausreichende Verknüpfung.
23
Die körperliche Auseinandersetzung stellt sich als Eskalation des Geschehens um den versuchten Erwerb von 200 Gramm Marihuana dar. Sie ist noch dessen Teil. W. wollte mit dem Faustschlag die Rückgabe des als Pfand für den Kaufpreis übergebenen Mobiltelefons gewaltsam durchsetzen. Auch wenn der Versuch, sich Betäubungsmittel zu verschaffen, mit der Rückkehr des W. ohne das bestellte Marihuana auch für den Angeklagten erkennbar endgültig gescheitert war, ist der Kampf um das Handy mit dem Erwerbsversuch situativ, d.h. sachlich, räumlich, persönlich und zeitlich so eng verbunden, dass von Tatidentität und sogar von natürlicher Handlungseinheit im Sinne von § 52 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2007 - 4 StR 576/07 - Rn. 3, Wegnahme eines Handys nach vollendeter schwerer räuberischer Erpressung) auszugehen ist. Die Mitteilung über das Scheitern der - angeblichen - Bemühungen, an Marihuana zu kommen und den behaupteten Verlust des Geldes ging unmittelbar in die gewaltsame Auseinandersetzung um das Mobiltelefon über. Die Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren würde den hier zu beurteilenden Lebenssachverhalt unnatürlich aufspalten.
24
Das Landgericht hätte deshalb - wie von der Revision vorgetragen - nach einem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265 StPO) gemäß § 264 StPO von Amts wegen, also auch ohne einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne Bindung an die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, den Unrechtsgehalt der prozessualen Tat auch im Hinblick auf das Betäubungsmittelgeschäft ausschöpfen müssen. Innerhalb derselben prozessualen Tat ist der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft grundsätzlich unteilbar (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2001 - 3 StR 446/00 -, BGHR StPO § 264 I Tatidentität 32).
25
3. Da mit dem möglichen Betäubungsmitteldelikt - sogar materiell rechtliche - Tatidentität besteht, führt die aufgezeigte Verletzung der Kognitionspflicht zwingend zur Aufhebung des Freispruchs vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Denn wenn der Freispruch in Rechtskraft erwachsen würde, stünde dies der weiteren Verfolgung der Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Drogendelikts wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 3 GG entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96 -, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09 - Rn. 12; BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 - 2 StR 437/00).
26
Auch Feststellungen können im vorliegenden Fall nicht aufrecht erhalten bleiben.

27
Dies gilt zunächst für diejenigen zum versuchten Erwerb von Marihuana. Ohne Hinweis darauf, dass auch die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Betracht kommt unter Aufzeigung der Tatsachen , auf denen diese Möglichkeit beruht, konnte und musste der Angeklagte seine Verteidigung nicht hierauf ausrichten. Auch konnte er sich revisionsrechtlich gegen diese Feststellungen nicht zur Wehr setzen.
28
Feststellungen zu den Grundlagen des Freispruchs können in der hier gegebenen Konstellation (Freispruch unter Außerachtlassung eines tateinheitlichen strafrechtlich relevanten Geschehens) zwar grundsätzlich bestehen bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1983 - 4 StR 535/83 -, BGHSt 32, 84, 86 ff. [Der 4. Strafsenat hat dort entschieden, dass die rechtsfehlerfreien Feststellungen , auf deren Grundlage der Tatrichter den dortigen Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlages freigesprochen hatte, von der Urteilsaufhebung nicht mit umfasst werden, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrer erfolgreichen Revision allein geltend macht, dass es der Tatrichter unter Verstoß gegen § 264 StPO unterlassen hatte, den zuvor gemäß § 154a Abs. 2 StPO aus den Verfahren ausgeschiedenen Vorwurf eines Verstoßes gegen das Waffengesetz wieder einzubeziehen, nachdem er zu dem Ergebnis gelangt war, dass eine Verurteilung wegen versuchten Totschlages nicht in Betracht kommt.]; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. November 2000 - 3 StR 472/00 -, BGHR StPO § 353 II Teilaufhebung 2). Es muss dann aber sicher sein, dass die aufrechterhaltenen Feststellungen im neuen tatgerichtlichen Verfahren nicht - auch nur teilweise - Grundlage einer Verurteilung werden könnten. Denn diese den Angeklagten dann belastenden Feststellungen konnte er bei einem Freispruch revisionsrechtlich nicht beanstanden. Außerdem dürfen die in Frage stehenden strafrechtlich relevanten Vorgänge nicht so eng mit einander verbunden sein, dass bei teilweiser Aufrechterhaltung die Gefahr widersprüchlicher Erkenntnisse im neuen Verfahren besteht. Die Aufrechterhaltung von Feststellungen bei Freispruch unter Verletzung der Kognitionspflicht hinsichtlich derselben Tat gemäß § 264 StPO wird daher nur in seltenen Fällen in Betracht kommen. Eine Überdehnung des § 353 Abs. 2 StPO seitens des Revisionsgerichts berührt auch das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Februar 2006 - 2 BvR 1765/05). Im vorliegenden Fall kann wegen des engen Zusammenhangs des den Freispruch betreffenden Teils der Tat mit dem möglichen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz nur mit einer umfassenden Aufhebung der Weg zu insgesamt widerspruchsfreien Feststellungen eröffnet werden. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer wird deshalb den dem Angeklagten zur Last gelegten Sachverhalt in eigener tatrichterlicher Verantwortung in vollem Umfang erneut zu prüfen und darüber zu entscheiden haben. Nack Rothfuß Hebenstreit Elf Jäger